L 1 U 265/21

Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
SG Gotha (FST)
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
1.
1. Instanz
SG Gotha (FST)
Aktenzeichen
S 10 U 2766/18
Datum
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
L 1 U 265/21
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

§ 8 SGB VII

Arbeitsunfall - haftungsbegründende Kausalität – Konkurrenzursache – Osteporose

Beweiswürdigung

1. Es existiert kein Beweisgrundsatz des Inhalts, dass den zeitlich früheren Angaben aufgrund dessen, dass sie von versicherungsrechtlichen Überlegungen noch unbeeinflusst sind, ein höherer Beweiswert als den späteren Aussagen beizumessen ist. Ein Beteiligter ist nicht gehindert, sein Vorbringen im Laufe des Rechtsstreits zu präzisieren, zu ergänzen oder zu berichtigen.

2. Zur Rechtserheblichkeit einer versicherten Ursache für eine BWK-Fraktur, wenn gleichzeitig eine Osteoporose gesichert vorliegt.

Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Gotha vom 11. Februar 2021 und der Bescheid der Beklagten vom 19. Juni 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. September 2018 aufgehoben. Es wird festgestellt, dass der Kläger am 2. März 2018 einen Arbeitsunfall mit der Folge einer Kompressionsfraktur des 12. Brustwirbelkörpers (ICD-10 S22.06) erlitten hat. Die Beklagte wird zur Übernahme von Heilbehandlungskosten über den 2. März 2018 hinaus nach pflichtgemäßen Ermessen verurteilt und dazu, dem Kläger für die Zeit vom 2. März 2018 bis einschließlich 27. Mai 2018 Verletztengeld in gesetzlicher Höhe zu gewähren.

Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers zu tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist die Anerkennung eines Ereignisses vom 2. März 2018 als Arbeitsunfall streitig.

Der 1965 geborene Kläger war zum Unfallzeitpunkt mit der Beaufsichtigung des Aufbaus eines Hochregallagers bei der Firma Z in E1 beschäftigt. Er versuchte das Seitenteil eines Hochregales, welches sich mit den Füßen auf Betonankern etwa drei bis vier Zentimeter oberhalb der Bodenhöhe befand und von eben diesen Füßen abrutschte, zu halten, damit es nicht wieder in die Betonanker zurückrutschte. Der Versuch das Regalteil „schräg“ zu ziehen misslang, das Regalteil kam ihm entgegen und rutschte in die Betonanker zurück. Anschließend verspürte er starke Schmerzen in der Lendenwirbelsäule und ging zu Boden. Der Kläger wurde mit dem Rettungswagen ins K Krankenhaus E1 verbracht. Ausweislich des Notarztprotokolls verspürte der Kläger beim Heben eines Regalteils von ca. 30 kg plötzlich einschießende Schmerzen in der unteren Wirbelsäule. Im Durchgangsarztbericht vom 5. März 2018 wurde eine Fraktur des 12. Brustwirbelkörpers diagnostiziert. In der Unfallanzeige vom 6. März 2018 des Arbeitgebers des Klägers, der Firma E2 GmbH, ist als Unfallschilderung ein ruckartiges Anheben eines ca. 30 kg schweren Regalteiles mit plötzlich einschießenden Schmerzen im unteren Rückenbereich vermerkt. Der Kläger befand sich ausweislich eines Berichts des K Krankenhauses E1 bis zum 6. März 2018 in stationärer Behandlung. Die Deckplattenimpression des 12. Brustwirbelkörpers wurde konservativ behandelt. In einer Gesprächsnotiz vom 27. März 2018 schilderte der Kläger gegenüber einer Mitarbeiterin der Beklagten den Unfall dahingehend, dass er ein ca. 30 kg schweres Regalteil angehoben habe. Dieses sei nicht heruntergefallen. Es sei möglich, dass das Regal von den Zugankern gerutscht sei. Genau könne er sich nicht erinnern. Auf einem Schreiben der Beklagten mit der Bitte, die Richtigkeit dieses Unfallhergangs zu bestätigen, vermerkte der Kläger handschriftlich, dass er am Telefon gesagt habe, dass das Regal von den Zugankern gerutscht sei und er anschließend Schmerzen verspürt habe.

Der Beratungsarzt der Beklagten T1 führte in einer Stellungnahme vom 13. April 2018 aus, dass die Röntgenaufnahmen der Lendenwirbelsäule vom März 2018 bereits deutliche Zeichen einer Osteoporose und einen Kompressionsbruch im Sinne eines oberen Endplatteneinbruchs von BWK 12 zeigten. Bereits der Durchgangsarzt habe in seinem Bericht vom 5. März 2018 vermerkt, dass der Kläger in den letzten Wochen beim Heben schwerer Gegenstände leichte Schmerzen im Bereich der oberen Lendenwirbelsäule verspürt habe. Nach Aktenlage handle es sich daher um ein Anlassgeschehen mit erstmaliger Manifestation einer Osteoporoseerkrankung. Es sei von einem osteoporotischen Sinterungsbruch im Rahmen einer Arbeitsbelastung auszugehen. Daraufhin lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 19. Juni 2018 die Anerkennung eines Arbeitsunfalles ab. Die Kosten für die medizinische Behandlung würden nicht übernommen. Es bestehe kein Anspruch auf Verletztengeld. Das Ereignis vom 2. März 2018 sei nach Art und Schwere nicht geeignet gewesen, die Fraktur des Brustwirbelkörpers herbeizuführen. In den abgebildeten Wirbelkörpern liege eine Osteoporose vor. Ein hiergegen durch den Kläger eingelegter Widerspruch wurde durch Widerspruchsbescheid vom 25. September 2018 zurückgewiesen. Es wurde bereits in Zweifel gezogen, ob das für die Annahme eines Arbeitsunfalls erforderliche Merkmal einer äußeren Einwirkung vorliege. Im Rahmen höchstrichterlicher Rechtsprechung sei der Grundsatz geprägt worden, dass zeitlich früheren Angaben ein höherer Beweiswert als späteren Aussagen beigemessen werden müsse, weil frühere Angaben noch nicht von versicherungsrechtlichen Überlegungen beeinflusst seien. Das gewöhnliche Anheben eines Regalteils erfülle nicht die Kriterien des Arbeitsunfalls. Selbst wenn man ein Unfallereignis als solches annehme, sei der Gesundheitserstschaden allein auf die Osteoporose zurückzuführen.

Hiergegen hat der Kläger vor dem Sozialgericht Gotha fristgerecht Klage erhoben. In der Klagebegründung schilderte der Kläger den Vorgang am 2. März 2018 so, dass er am 2. März 2018 festgestellt habe, dass ein von dort tätigen Leiharbeitnehmern montiertes Hochregal am falschen Platz montiert worden sei. Daher hätten die Leiharbeitnehmer und der Kläger das Regal an den richtigen und geplanten Montageort geschoben. Während dieses Vorgangs sei eine in unmittelbarer Nähe des Klägers befindliche senkrechte Stele des Regals von den Zugankern gerutscht. Daher sei er gezwungen gewesen, das Herabstürzen von Regalteilen durch das Abfangen und Halten der heruntergerutschten Stele zu verhindern. Unmittelbar nach dem Abfangen des von den Zugankern gerutschten Regalteils habe er plötzlich auftretende Schmerzen im Rücken und Brustbereich festgestellt. Das Sozialgericht hat den Unfallchirurgen T2 mit der Erstellung eines Sachverständigengutachtens und B mit einem radiologischen Zusatzgutachten beauftragt. T2 führte in einem Schreiben vom 27. November 2019 aus, dass sich in der Akte unterschiedliche Angaben zum Ereignishergang befänden. Bei einer persönlichen Befragung am 8. August 2019 habe der Kläger angegeben, dass das Seitenteil auf dem Anker abgesetzt gewesen und es dennoch plötzlich davon abgerutscht sei. Er habe alleine versucht, das Abrutschen zu verhindern. Er habe versucht, das Seitenteil auf dem Anker zu halten, indem er eine Querstrebe des Seitenteiles angefasst habe, um mit im Ellenbogen gebeugten Armen das Abrutschen zu verhindern. Das Sozialgericht teilte dem Sachverständigen daraufhin mit, dass die ausführliche Schilderung des Unfallhergangs vom 2. März 2018 maßgeblich sei und zugrunde gelegt werden solle. Daraufhin erstattete der Sachverständige am 20. Januar 2020 sein Gutachten und verneinte das Vorliegen eines Unfallgeschehens am 2. März 2018. Nach den Vorgaben des Gerichts sei von der Ereignisschilderung vom 2. März 2018 auszugehen. Bei der dort beschriebenen Hebebewegung handle es sich um eine planmäßige Bewegung, welche keine plötzliche oder unerwartete Krafteinwirkung darstelle. Ursache eines Wirbelstauchungsbruchs wie im aktuellen Fall sei eine Überbeugung. Hinzukommen müsse eine unerwartete Kraftanstrengung mit dem Moment des Unabwendbaren. Darüber hinaus sei die Widerstandsfähigkeit der Knochen der Wirbelsäule des Klägers bereits zum Ereigniszeitpunkt deutlich geschwächt gewesen. Der Bruch des 12. Brustwirbels sei auf die beim Kläger ereignisunabhängig vorliegende Osteoporose zurückzuführen. Nach den Grundsätzen des Anscheinsbeweises könne beim Kläger mit überwiegender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass zum Unfallzeitpunkt eine Osteoporose Grad II vorgelegen habe. Dabei bezog er auch Ausführungen des radiologischen Zusatzgutachters B aus seinem Gutachten vom 28. Oktober 2019 mit ein. Darin führt dieser aus, dass die Kompressionsfraktur bei BWK 12 bildanalytisch frisch sei und damit dem Unfallgeschehen vom 2. März 2018 zugeordnet werden könne. Zum Unfallzeitpunkt ergebe sich röntgenologisch der erhebliche Strukturnachweis einer unphysiologischen Osteoporose. Die BWK 12-Fraktur sei damit als pathologisch einzuordnen. In seiner ergänzenden Stellungnahme vom 14. Juli 2020 hat T2 an seiner Einschätzung festgehalten. Die Hergangsschilderung sei vom Gericht vorgegeben gewesen. Radiologisch sei eine der Altersnorm weit vorauseilende Osteoporose gesichert.

Durch Urteil vom 11. Februar 2021 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Ein Ursachenzusammenhang zwischen dem Unfallereignis und dem Gesundheitserstschaden könne nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit begründet werden. Ursächlich für die Fraktur des 12. Brustwirbelkörpers sei nicht das Ereignis vom 2. März 2018 gewesen. Die ausgeprägte vorbestehende Osteoporose sei so leicht ansprechbar gewesen, dass der durch den Unfall eingetretene Gesundheitsschaden mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auch ohne das schädigende Ereignis ausgelöst worden wäre. Dem beruflichen Faktor könne keine überwiegende Bedeutung zugesprochen werden.

Mit der Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Er habe unmittelbar nach dem Abfangen des Regalteils Schmerzen im Rücken- und Brustbereich verspürt. Das Sozialgericht habe fehlerhafterweise weitere Ermittlungen unterlassen. Zum Hergang sei er im Verwaltungsverfahren nie ordentlich angehört worden.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Gotha vom 11. Februar 2021 und den Bescheid der Beklagten vom 19. Juni 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. September 2018 aufzuheben und festzustellen, dass der Kläger am 2. März 2018 einen Arbeitsunfall mit der Folge einer Kompressionsfraktur des 12. Brustwirbelkörpers (ICD-10 S22.06) erlitten hat, sowie dem Grunde nach festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ab dem 2. März 2018 die Kosten der Heilbehandlung zu übernehmen und Verletztengeld dem Grunde nach zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung bezieht sie sich auf die Ausführungen in der erstinstanzlichen Entscheidung.

In einem Erörterungstermin vom 9. August 2021 hat der Kläger vor dem Berichterstatter die Darstellung des Unfallhergangs gegenüber dem Sachverständigen T2 vom 8. August 2019 bestätigt. Hinsichtlich der früheren Darstellungen hat er ausgeführt, dass ihm nie jemand richtig zugehört habe. Wie schwer das Regal gewesen sei, könne er letztlich nicht sagen.

Im Auftrag des Senats hat der Radiologe T3 am 7. September 2021 ein Sachverständigengutachten erstattet. Darin führt dieser aus, dass sich den vorliegenden bildgebenden Befunden ein frischer Bruch des 12. Brustwirbelkörpers mit Deckplatteneinbruch und Höhenminderung der Vorderkante entnehmen lasse. Die Befunde sprächen für eine frische Fraktur des BWK 12. Eine sichere Beurteilung der Osteoporose sei nur durch eine Knochendichtemessung möglich. Es sei unverständlich, warum diese bislang nicht erfolgt sei. Auf den vorliegenden Aufnahmen könne man subjektiv eine Kalksalzminderung mit Verstärkung der Trabekelstruktur erkennen. Die Knochendichte des Klägers läge nach Anwendung bestimmter Studien im Bereich von über 90-jährigen Patienten und damit deutlich unter dem altersentsprechenden Niveau. Hierbei handle es sich aber nur um eine orientierende Untersuchung. Es sei sehr wahrscheinlich, dass die Kompressionsfraktur des BWK 12 im Zusammenhang mit einer vorbestehenden Schadensanlage in Form einer generalisierten Osteoporose entstanden sei. Zur endgültigen Sicherung sollte noch eine Knochendichtemessung gemacht werden.

Im Nachgang ist es dem Senat zunächst nicht gelungen, die Anschriften der beiden Leiharbeitnehmer zu ermitteln, die bei dem Ereignis anwesend waren. Auch die Beklagte hat insoweit mit Schriftsatz vom 9. November 2022 mitgeteilt, dass die Zeugen nicht ermittelt werden konnten.

Im Anschluss hat der Senat ein Sachverständigengutachten beim Unfallchirurgen N in Auftrag gegeben. Diesem wurde aufgegeben, bei der Beantwortung der Beweisfragen von der Hergangsschilderung gegenüber dem Sachverständigen T2 am 8. August 2019 auszugehen. N gelangt in seinem Gutachten vom 12. April 2023 zu dem Ergebnis, dass die Fraktur des 12. Brustwirbelkörpers Folge eines Unfallereignisses am 2. März 2018 sei. Der vom Gericht vorgegebene Geschehensablauf decke sich im Wesentlichen auch mit den Angaben des Klägers bei der Begutachtung. Der Kläger habe versucht, das Seitenteil eines Hochregals, welches von Füßen auf Betonankern abrutschte, zu halten. Damit sei eine biomechanische Einwirkung auf die Wirbelsäule zu unterstellen. Das Erstschadensbild sei durch die diagnostischen Maßnahmen am Unfalltag vollbeweislich gesichert. Radiologischerseits liege eine als frisch beurteilte Deckplattenimpressionsfraktur des 12. BWK vor. Die bislang fehlende Knochendichtemessung sei nunmehr nachgeholt worden. Messtechnisch sei nunmehr erstmalig am 15. März 2023 beim Kläger eine verminderte Knochendichte im Sinne einer Osteoporose nachgewiesen. Aufgrund der radiologischen Befundbeschreibung sei hochwahrscheinlich, dass im März 2018 ein ähnlicher Befund vorgelegen habe. Entsprechend der aktuell vorliegenden Knochendichtewerte handle es sich beim Kläger um eine Osteoporose Grad I. Osteoporosebedingte Knochenbrüche hätten zum Zeitpunkt des Unfallgeschehens noch nicht vorgelegen. Nach einer wissenschaftlichen Arbeit führe eine Osteoporose Grad I häufig wesentlich teilursächlich zu Unfällen hinsichtlich einer Wirbelfraktur. Aus der Studie ergebe sich, dass bei einer Osteoporose Schweregrad I normale Belastungen des normalen Lebensalltags noch nicht ausreichend seien, um eine solche Verformung herbeizuführen. Damit könne das Unfallereignis nicht hinweggedacht werden. Das angeschuldigte Unfallereignis sei als die rechtlich wesentliche Mitursache anzusehen. Aufgrund der vorliegenden Befundkonstellation sei es auszuschließen, dass die Krankheitsanlage so leicht ansprechbar gewesen sei, dass es keiner äußeren Einwirkung bedurft hätte, um ein ähnliches Schadensbild hervorzurufen.

Die Beklagte ist diesen Feststellungen entgegengetreten. Bei einer Osteoporose Grad I sei die Krafteinwirkung des angeschuldigten Ereignisses wesentlich. Der vom Landessozialgericht vorgegebene Unfallhergang könne nicht zugrunde gelegt werden. Der Kläger habe unterschiedliche Hergänge geschildert. In einer beratungsärztlichen Stellungnahme führt der Unfallchirurg T1 vom 17. Mai 2023 aus, dass N nicht hinreichend berücksichtige, dass ausweislich des Durchgangsarztberichtes vom 2. März 2018 der Versicherte in den letzten Wochen zuvor leichte Schmerzen im Bereich der oberen Lendenwirbelsäule beim Heben schwerer Gegenstände verspürt habe. Daher sei bereits von einer Vorschädigung im Sinne einer Vorerkrankung auszugehen. Sachverständige müssten den Umfang der Mitwirkungsanteile nach den Vorgaben der deutschen gesetzlichen Unfallversicherung festlegen. Bei widersprüchlichen Angaben sei den Erstangaben das meiste Gewicht beizumessen. Verdeutlichungstendenzen seien festzustellen. Die Entscheidung hierüber obliege aber letztlich dem Gericht. Nach der Studie von Grosser komme der unfallbedingten Krafteinwirkung eine erhebliche Bedeutung zu.

Der Kläger hat sich den Ausführungen des Sachverständigen N angeschlossen. Von einer biomechanischen Einwirkung auf die Wirbelsäule sei ohne Weiteres auszugehen.

Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 8. Februar 2024 die Anschrift des Zeugen D mitgeteilt. Bezüglich des anderen Leiharbeitnehmers H haben Nachforschungen des Senats ergeben, dass dieser seit 7. November 2019 nicht mehr in Deutschland gemeldet ist.

Der Senat hat den Kläger in der mündlichen Verhandlung zum Hergang des Unfallereignisses vom 2. März 2018 angehört und Beweis erhoben durch Vernehmung des Zeugen D. Wegen der Einzelheiten wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und den beigezogenen Verwaltungsvorgang Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Berufung des Klägers ist zulässig (§§ 143, 151 des Sozialgerichtsgesetzes [SGG]) und hat in der Sache Erfolg. Der Bescheid der Beklagten vom 19. Juni 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. September 2018 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 54 SGG), weil er Anspruch auf Feststellung des Ereignisses vom 2. März 2018 als Arbeitsunfall mit der Folge einer Fraktur des 12. Brustwirbelkörpers hat. Des Weiteren hat der Kläger deswegen Anspruch auf Übernahme der Heilbehandlungskosten ab dem 2. März 2018 und dem Grunde nach auf Gewährung von Verletztengeld.

Richtige Klageart für die Feststellung eines Ereignisses als Arbeitsunfall und die Feststellung von Unfallfolgen ist die kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage nach § 54 Abs. 1 SGG und § 55 Abs. 1, 3 SGG.

Arbeitsunfälle sind Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3, 6 des Siebenten Buches Sozialgesetzbuch begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit; SGB VII). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen (§ 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII). Für das Vorliegen eines Arbeitsunfalls i. S. d.§ 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII ist danach in der Regel erforderlich, dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer bzw. sachlicher Zusammenhang), dass diese Verrichtung zu dem zeitlich begrenzten von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis – dem Unfallereignis - geführt und das Unfallereignis einen Gesundheits(-erst-)schaden oder den Tod des Versicherten verursacht (haftungsbegründende Kausalität) hat. Das Entstehen von länger andauernden Unfallfolgen aufgrund des Gesundheits(-erst-)schadens (haftungsausfüllende Kausalität) ist nicht Voraussetzung für die Anerkennung eines Arbeitsunfalls (ständige Rechtsprechung, vgl. stellvertretend BSG, Urteile vom 9. Mai 2006 - B 2 U 1/05 R, B 2 U 40/05 R, B 2 U 26/04 R, zitiert nach juris). Im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung gibt es unterschiedliche Beweisanforderungen. Für die äußerlich fassbaren und feststellbaren Voraussetzungen „versicherte Tätigkeit“, „Verrichtung zur Zeit des Unfallereignisses“, „Unfallereignis“ und „Gesundheitsschaden“ wird eine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit gefordert, die vorliegt, wenn kein vernünftiger, die Lebensverhältnisse klar überschauender Mensch noch zweifelt (Vollbeweis). Vermutungen, Annahmen, Hypothesen und sonstige Unterstellungen reichen daher ebenso wenig aus wie eine (möglicherweise hohe) Wahrscheinlichkeit. Hinreichende Wahrscheinlichkeit wird von der ständigen Rechtsprechung für die Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs zwischen Unfallereignis und Gesundheitserstschaden (haftungsbegründende Kausalität) sowie dem Gesundheitserstschaden und der Unfallfolge im Sinne eines länger andauernden Gesundheitsschadens (haftungsausfüllende Kausalität) für ausreichend erachtet (vgl. BSG, Urteil vom 20. März 2007 - B 2 U 27/06 R). Hinreichende Wahrscheinlichkeit liegt vor, wenn bei vernünftiger Abwägung aller Umstände diejenigen so stark überwiegen, die für den Ursachenzusammenhang sprechen, dass darauf eine richterliche Überzeugung gegründet werden kann (vgl. BSG, Urteil vom 31. Januar 2012 - B 2 U 2/11 R; BSG, Urteil vom 9. Mai 2006 - B 2 U 1/05 R). Dabei hat die Prüfung getrennt nach 2 Stufen, nämlich zunächst auf einer naturwissenschaftlich-medizinischen und anschließend auf einer rechtlichen Ebene zu erfolgen. Ist auf der ersten Stufe der notwendige naturwissenschaftlich-medizinische Zusammenhang gesichert, hat auf der zweiten Stufe eine Prüfung der rechtlichen Wesentlichkeit zu erfolgen (Spellbrink, Die Aufgabenverteilung zwischen (medizinischem) Sachverständigen und Richter bei der Kausalitätsprüfung im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung, MEDSACH 2017, 51-56). Welche Ursache im Einzelfall rechtlich wesentlich ist und welche nicht, muss nach der Auffassung des praktischen Lebens über die besondere Beziehung der Ursache zum Eintritt des Erfolgs vom Rechtsanwender (Juristen) wertend entschieden werden (BSG, Urteil vom 30. März 2017 - B 2 U 6/15 R, BSGE 123, 24-35; BSG, Urteil vom 9. Mai 2006 - B 2 U 1/05 R, zitiert nach huris). Die Wesentlichkeit einer (Mit-)Ursache ist eine reine Rechtsfrage, die sich nach dem Schutzzweck der Norm beantwortet. Die rechtliche Wesentlichkeit ist zu bejahen, wenn die Einwirkung rechtlich unter Würdigung auch aller festgestellten mitwirkenden unversicherten Ursachen die Realisierung einer in den Schutzbereich des jeweils erfüllten Versicherungstatbestandes fallenden Gefahr ist. Eine Rechtsvermutung dafür, dass die versicherte Einwirkung wegen ihrer objektiven Mitverursachung der Erkrankung auch rechtlich wesentlich war, besteht nicht. Die Wesentlichkeit ist vielmehr zusätzlich und eigenständig nach Maßgabe des Schutzzwecks des jeweils begründeten Versicherungstatbestandes zu beurteilen (vgl. Spellbrink, jurisPR-SozR 5/2022 Anm. 2).

Der Kläger hat am 2. März 2018 einen Arbeitsunfall erlitten. Dass der bei der Firma E2 GmbH zum Unfallzeitpunkt beschäftigte Kläger am 2. März 2018 bei seiner Tätigkeit im Rahmen des Aufbaus eines Hochregallagers einer versicherten Tätigkeit nachging, steht außer Frage und ist auch von der Beklagten nicht bestritten worden.

Am 2. März 2018 hat zur Überzeugung des Senats auch ein von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis stattgefunden. Nach dem Ergebnis der durchgeführten persönlichen Anhörung des Klägers im Termin vor dem Senat, der Vernehmung des Zeugen D und der Auswertung des gesamten Akteninhalts steht zur Überzeugung des Senats fest, dass der Kläger an diesem Tag feststellte, dass ein bereits weitgehend montiertes (nur die Muttern auf den Betonankern waren noch nicht verschraubt) Schwerlasthochregal, offensichtlich an der falschen Stelle aufgestellt worden war. Daraufhin wurden zunächst die Schwerlasttraversen (Einlegebretter) bzw. Querholme zu den Nachbarregalen aus dem Schwerlastregal entfernt, um das Regal verschieben zu können. Anschließend versuchte der Kläger mit zwei weiteren Mitarbeitern, das Regal aus den Betonankern hochzuheben. Nachdem ein Seitenteil auf dem Anker abgesetzt worden war, rutschte das Regal, als die Kollegen des Klägers das Regal an einer anderen Stelle aus den Betonankern heben wollten, plötzlich von den am Boden befindlichen Ankern ab. Der Kläger versuchte das Seitenteil auf dem Anker zu halten, indem er eine Querstrebe des Seitenteils anfasste, um das Regal schräg zu ziehen und das Abrutschen zu verhindern. Dabei rutschte das Seitenteil gegen den Halteversuch von den am Boden befindlichen Ankern ab. Anschließend verspürte der Kläger stark einschießende Schmerzen in der Lenden-/Brustwirbelsäule. Er fiel zu Boden und konnte sich vor lauter Schmerzen nicht mehr bewegen. Im Ergebnis der persönlichen Anhörung des Klägers und nach Einvernahme des Zeugen D vor dem Senat hat dieser keine Zweifel an dem geschilderten Unfallhergang. Der Zeuge D hat die Angaben des Klägers im Kern bestätigt. Der Zeuge D hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat schlüssig und glaubhaft ausgesagt, dass beim Verschieben des Regalteiles dieses an der Stelle, wo der Kläger es festhalten sollte, ins Rutschen kam und er dann einen Schrei gehört hat. Der Zeuge hat erstmals in der Verhandlung vor dem Senat über den Unfallhergang berichtet.  Der festgestellte Unfallhergang steht entgegen der Auffassung der Beklagten im Ergebnis auch mit dem Akteninhalt und den früher abgegebenen Schilderungen des Klägers im Einklang. Im Gegensatz zur Auffassung der Beklagten kann hier nicht von Verdeutlichungstendenzen des Klägers ausgegangen werden. Es existiert auch kein Beweisgrundsatz des Inhalts, dass den zeitlich früheren Angaben aufgrund dessen, dass sie von versicherungsrechtlichen Überlegungen noch unbeeinflusst sind, ein höherer Beweiswert als den späteren Aussagen beizumessen ist. Ein Beteiligter ist nicht gehindert, sein Vorbringen im Laufe des Rechtsstreits zu präzisieren, zu ergänzen oder zu berichtigen, weil insbesondere die Prozessentwicklung Anlass geben mag, bislang Vorgetragenes zu präzisieren (BGH, Urteil vom 5. September 2019 - III ZR 73/18, zitiert nach juris). Deswegen darf bei der Beweiswürdigung ein Vortrag nicht allein deswegen unberücksichtigt bleiben, weil es sich zu früherem Vorbringen in Widerspruch setzt. Dies gilt erst recht für einen Unterschied zwischen vorgerichtlichen Erklärungen und späterem Vortrag im Prozess. Etwaige Widersprüche sind ausschließlich im Rahmen der Beweiswürdigung zu würdigen. Darüber hinaus verbietet es sich ohnehin, zu strenge Anforderungen an die Widerspruchsfreiheit eines Vortrags zu stellen. Bei Konsistenz des Kernvortrags eines Beteiligten rechtfertigen Widersprüchlichkeiten im Allgemeinen es nicht, den Nachweis der Tatsache bereits deshalb als nicht erbracht anzusehen. Vielmehr sind verbliebene Widersprüche bei Konsistenz des Kernvorbringens im Rahmen der Beweiswürdigung zu berücksichtigen (vgl. BGH a. a. O.). Das Gericht hat unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlung nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung als wahr oder als nicht wahr erachtet wird (§ 286 Abs. 1 Satz 1 der Zivilprozessordnung [ZPO]). Für die volle richterliche Überzeugungsbildung nach § 286 Abs. 1 ZPO genügt, dass ein für das praktische Leben brauchbarer Grad an Gewissheit erreicht ist, der Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig ausschließen zu müssen (BAG, Urteil vom 29. Juni 2023 - 2 AZR 296/22, Rn. 46, zitiert nach juris).

Ausgehend hiervon ist festzustellen, dass das Vorbringen des Klägers zum Hergang des Ereignisses am 2. März 2018 in seinem Kern immer konsistent gewesen ist. Sowohl im Durchgangsarztbericht vom 5. März 2018 als auch im Notarztprotokoll vom 2. März 2018 ist angegeben, dass der Kläger beim Heben eines Regalteils von ca. 30 kg Gewicht anschließend starke Schmerzen in der Lendenwirbelsäule verspürte. Unabhängig davon, wie diese Angaben letztlich zustande gekommen sind (insbesondere ist zu berücksichtigen, dass der Kläger mit dem Rettungswagen in das K Krankenhaus transportiert wurde), ist damit bereits im Kern die Mitteilung erfolgt, dass das Ereignis sich bei Arbeiten an einem Regal ereignete. Als Regalteil kann auch das Seitenteil angesehen werden. Soweit vom Kläger in einem Telefonat mit einer Mitarbeiterin der Beklagten am 27. März 2018 als Unfallhergang angegeben worden sein soll, dass das Regal angehoben worden, es aber nicht heruntergefallen und es möglich sei, dass das Regal von den Zugankern gerutscht sei, ist in dieser Erklärung bereits enthalten, dass das Regal auf Zugankern stand und von dort wegbewegt werden sollte. Der Kläger hat nach dieser telefonischen Mitteilung nicht ausschließen können, dass das Regal dabei von den Zugankern rutschte. Als dieser Gesprächsinhalt ihm in einer schriftlichen Zusammenfassung übermittelt wurde, hat er sofort der Beklagten zurückgeschrieben und ausgeführt, dass er gesagt habe, dass das Regal von den Zugankern gerutscht sei und er einen Schmerz verspürt habe. In der Klageschrift vom 4. Oktober 2018 hat der Kläger erstmals den Vorgang umfangreicher geschildert und ausgeführt - wie später beim Sachverständigen T2 am 8. August 2019 -, dass Leiharbeitnehmer ein Hochregal an einem falschen Platz montiert hätten und zwar in der Weise, dass nur ein Teil des Regals und ein Teil der im Hallenboden befindlichen Zuganker montiert worden waren. Das Regal sei dann von den dort tätigen Leiharbeitnehmern und ihm an den richtigen und geplanten Montageort geschoben worden. Während dieses Vorganges sei eine in unmittelbarer Nähe befindliche senkrechte Stele des Regals von den Zugankern gerutscht, und der Kläger habe das Herabstürzen von Regalteilen durch das Abfangen und Halten der heruntergerutschten Stele verhindern wollen. Unmittelbar nach dem Abfangen dieses gerutschten Regalteils habe er starke Schmerzen verspürt. Dieses Vorbringen entspricht den Angaben, die der Kläger am 8. August 2019 gegenüber dem Sachverständigen T2 gemacht hat. So hat er es auch im Wesentlichen in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat wiederholt. Bei dieser Sachlage kann der Senat nicht feststellen, dass hier Verdeutlichungstendenzen gegeben sind. Denn im Kern hat der Kläger immer von einem rutschenden Regalteil berichtet, in seinen späteren Darstellungen lediglich seinen Vortrag insbesondere aufgrund der von der Beklagten geäußerten Zweifel an der Geeignetheit des Herganges weiter präzisiert. Dass es dabei vereinzelt zu Widersprüchen gekommen ist, spricht gerade für die Glaubhaftigkeit der Ausführungen des Klägers. Festzuhalten ist auch, dass die Ausführungen im Durchgangsarztprotokoll schon vom Ansatz her überhaupt nicht geeignet sind, den Hergang und den Zusammenhang eingehend darzulegen. In diesem Zusammenhang fehlt völlig, warum z. B. ein Regalteil angehoben werden musste und was dabei im Einzelnen passierte. Es liegen hier gerade keine Widersprüche beispielsweise dergestalt vor, dass der Kläger den Vortrag vollständig ausgewechselt hat. Auch unter Berücksichtigung dessen, dass dieser Vorgang sich in Sekundenschnelle vollzogen hat, hält das Gericht die vom Kläger gemachten Angaben im Kern für glaubhaft.

Diese Verrichtung - der Versuch das Seitenteil auf dem Anker zu halten mit anschließendem Abrutschen des Seitenteils entgegen der Haltebewegung des Klägers - hat bei dem Kläger zu einer zeitlich begrenzten Einwirkung von außen - dem Unfallereignis – geführt. Für das von außen auf den Körper einwirkende, zeitlich begrenzte Ereignis ist nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 12. April 2005 – B 2 U 27/04 R, Rn. 12, zitiert nach juris) kein besonderes, ungewöhnliches Geschehen erforderlich. Alltägliche Vorgänge, wie Stolpern usw., genügen. Es dient der Abgrenzung zu Gesundheitsschäden aufgrund von inneren Ursachen, wie Herzinfarkt, Kreislaufkollaps usw., wenn diese während der versicherten Tätigkeit auftreten, sowie zu vorsätzlichen Selbstschädigungen. Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass auch die ursprüngliche Hergangsschilderung im Durchgangsarztbericht, wenn man sie isoliert betrachtete, ausreicht, um das Vorliegen eines Unfallereignisses zu begründen. Denn es ist z. B. bei Pflegekräften anerkannt, dass das Anheben eines Patienten und die damit einhergehende Kraftanstrengung zu einer zeitlich begrenzten äußeren Einwirkung auf den Körper des Versicherten führt (vgl. zum Anheben eines Steines: BSG, Urteil vom 12. April 2005 - B 2 U 27/04 R, zitiert nach juris). Die Unfreiwilligkeit der Einwirkung bei dem, den das Geschehen betrifft, ist dem Begriff des Unfalls immanent, weil ein geplantes, willentliches Herbeiführen einer Einwirkung dem Begriff des Unfalls widerspricht. Hiervon zu unterscheiden sind jedoch die Fälle eines gewollten Handelns mit einer ungewollten Einwirkung, bei dieser liegt eine äußere Einwirkung vor. Für die Prüfung der Voraussetzungen eines Arbeitsunfalls bedeutet dies, dass für die äußere Einwirkung nicht ein äußerliches, mit den Augen zu sehendes Geschehen zu fordern ist (vgl. Senatsurteil vom 5. November 2020 - L 1 U 205/18, zitiert nach juris).

Dieses Ereignis war im Rechtssinne eine wesentliche Mitursache für die Fraktur des 12. Brustwirbelkörpers des Klägers. Die beim Kläger zum Unfallzeitpunkt vorliegende Osteoporose hindert nicht die Feststellung, dass die versicherte Ursache dennoch als rechtserheblich anzusehen ist.

Der Sachverständige N hat in seinem Gutachten vom 12. April 2023 dargelegt, dass dieses Unfallereignis für die frische Fraktur des 12. Brustwirbelkörpers am 2. März 2018 medizinisch verantwortlich ist. Der Versuch des Klägers, das Seitenteil eines Hochregals, welches sich im Abrutschen befand, zu halten, wurde von N nachvollziehbar als geeignete biomechanische Einwirkung auf die Wirbelsäule angesehen. Diese Krafteinwirkung ist im Rechtssinne als wesentliche Ursache für die Fraktur des 12. Brustwirbelkörpers anzusehen. Zunächst führt N aus, dass die Fraktur des 12. Brustwirbelkörpers unmittelbar nach dem Unfallereignis durch bildgebende Befunde und die körperliche Untersuchung des Klägers eindeutig gesichert worden ist. Radiologischerseits ist insoweit eine als frisch beurteilte Deckplattenimpressionsfraktur des 12. Brustwirbelkörpers nachgewiesen. Zutreffend hat der Sachverständige weiter ausgeführt, dass selbst unter Beachtung des beim Kläger bereits zum Zeitpunkt des Unfallereignisses vorliegenden Osteoporosegrades I (d. h. der Mineralsalzgehalt des Knochens ist um mehr als 2,5 im T-Score vermindert, aber osteoporosebedingte Knochenbrüche haben noch nicht vorgelegen) diese nicht als wesentliche Ursache für die Fraktur anzusehen ist. N geht in seinem Gutachten im Einklang mit den klinischen Erfahrungswerten davon aus, dass bei einem Osteoporosegrad I eine solche nur unter bestimmten, hier nicht vorliegenden Voraussetzungen als wesentliche Teilursache für das Entstehen einer Wirbelfraktur angesehen werden kann (vgl. auch Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Auflage 2017, S. 474ff.). Im Einklang mit den Ausführungen von Grosser/Schröter in Orthopädisch-unfallchirurgische Begutachtung, 3. Auflage 2020, S. 94, führt er sodann aus, dass bei einer Osteoporose Grad I Belastungen des normalen Lebens noch nicht ausreichend sind, um eine solche Verformung herbeizuführen. Das bedeutet, dass nicht im gleichen Zeitraum ohne das Ereignis mit einer Wirbelkörperverformung zu rechnen war. Damit ist aber der gesamte eingetretene Gesundheitsschaden der Wirbelkörperfraktur dem Unfallereignis im Rechtssinne zuzurechnen. Hierbei ist auch noch zu berücksichtigen, dass das Vorliegen einer Osteoporose Grad I definitiv erst im Jahre 2023 durch die im Rahmen der letzten Begutachtung durchgeführte Knochendichtemessung am 15. März 2023 nachgewiesen wurde. Zwar spricht nach den Ausführungen von N vieles dafür, dass nach den radiologischen Befundbeschreibungen hochwahrscheinlich ein solcher Befund bereits am Unfalltag am 2. März 2018 vorgelegen hat. Es ist jedoch durchaus zweifelhaft, ob davon im Sinne des Vollbeweises ausgegangen werden kann, insbesondere vor dem Hintergrund, dass jede Osteoporose erfahrungsgemäß eine Entwicklung nimmt. Die eingeholten radiologischen Gutachten stehen diesem Ergebnis nicht entgegen. N weist insoweit zu Recht darauf hin, dass der radiologische Gutachter B in seinem Gutachten vom 28. Oktober 2019 darauf hinweist, dass ohne Vorlage einer Knochendichtemessung der Verdacht auf eine Osteoporose noch nicht gesichert ist. Soweit auch der Sachverständige T3 in seinem Gutachten vom 7. September 2021 von einer Osteoporose und insbesondere von einer Knochendichte beim Kläger im Bereich von über 90-jährigen Patienten ausgeht, weist er selber darauf hin, dass es sich bei dem angewandten Verfahren nur um eine orientierende, aber nicht eine hinreichend evaluierte Untersuchung handelt. Zwingend ist nach seinen Ausführungen zur exakten Quantifizierung der Osteoporose eine Knochendichtemessung anzufordern. Dasselbe gilt insoweit für die Ausführungen von T2 in seinem Sachverständigengutachten vom 20. Januar 2020 und der ergänzenden Stellungnahme vom 14. Juli 2020. Seine Annahme einer Gelegenheitsursache beruht im Wesentlichen darauf, dass er von einer im Vordergrund stehenden Osteoporoseerkrankung der Brustwirbelsäule ausgeht. Ebenso vermögen die Ausführungen des Beratungsarztes der Beklagten T1 in seiner Stellungnahme vom 17. Mai 2023 die Annahme von N nicht zu erschüttern. Soweit er kritisch anmerkt, dass sich aus dem Durchgangsarztbericht vom 2. März 2018 ergebe, dass der Versicherte bereits in den Wochen zuvor über leichte Schmerzen im Bereich der oberen Lendenwirbelsäule geklagt habe, haben die nachfolgenden Untersuchungen keinen Hinweis auf außer der Osteoporose vorliegende degenerative oder schicksalhafte Erkrankungen erbracht. Bezüglich der Osteoporose liegt aber eine solche nur im Grad I, und zwar gesichert erst 2023, vor. Insoweit führt auch der Beratungsarzt T1 selbst aus, dass die Schmerzhaftigkeit in diesem Bereich nicht als Zeichen stattgehabter Mikrofrakturierungen gedeutet werden könne, weil solche nicht bewiesen seien. Soweit er sich mit der Analyse des Unfallhergangs beschäftigt, obliegt die Feststellung des Unfallhergangs allein dem Senat. Insoweit überschreiten seine Ausführungen in der beratungsärztlichen Stellungnahme die Kompetenz eines Mediziners. Soweit er anmahnt, dass klärungsbedürftig sei, ob der Kläger mit dem Krankenwagen in die Klinik gebracht worden sei, besteht ein solcher Klärungsbedarf nicht. Der Kläger hat dies immer so angegeben. Warum dies im Durchgangsarztbericht keine Erwähnung gefunden hat, kann letztlich dahinstehen. Das Notarztprotokoll wurde inzwischen durch die Beklagte vorgelegt. Soweit der Beratungsarzt in seiner Stellungnahme ausführt, dass unstrittig sei, dass bei dem Kläger ein Osteoporosegrad I am 2. März 2018 vorgelegen habe, ist dies jedenfalls nicht vollbeweislich gesichert. Knochendichtemessungen unmittelbar im zeitlichen Zusammenhang mit dem Unfallereignis sind nicht erfolgt. Es ist daher durchaus möglich, dass zum Zeitpunkt des Unfallereignisses noch nicht die Voraussetzungen für eine Osteoporose Grad I erreicht waren. Dies kann aufgrund der erst im Jahre 2023 erfolgten Knochendichtemessung auch nachträglich nicht mehr geklärt werden. Die radiologischen Feststellungen reichen insoweit nicht aus, da sie nach den eingeholten Gutachten nur orientierender Natur sind. Dabei trägt die Beklagte ebenso wie für das Vorliegen einer Konkurrenzursache als rechtsvernichtenden Einwand auch für die Ausprägung derselben die objektive Beweislast (vgl. BSG, Urteil vom 7. Mai 2019 – B 2 U 34/17 R, Rn. 27, zitiert nach juris). Bestehende Beweisschwierigkeiten gehen insoweit zu Lasten der Beklagten.

Damit ist die Fraktur des 12. Brustwirbelkörpers mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf das Unfallereignis vom 2. März 2018 zurückzuführen und der Kläger hat Anspruch auf Anerkennung eines Arbeitsunfalles mit der entsprechenden Unfallfolge.

Des Weiteren hat der Kläger dem Grunde nach einen Anspruch auf Übernahme der Kosten der Heilbehandlung für die Fraktur des 12. Brustwirbelkörpers ab dem 2. März 2018 nach den §§ 26 ff. SGB VII. Die Beklagte hat in dem angegriffenen Bescheid vom 19. Juni 2018 generell die Übernahme der Kosten für medizinische Behandlungen abgelehnt, da sie einen Arbeitsunfall verneint hat. Dies ist unzutreffend, sodass der Kläger einen Anspruch auf Gewährung von Heilbehandlungsmaßnahmen hat. Die Unfallversicherungsträger bestimmen im Einzelfall Art, Umfang und Durchführung der Heilbehandlung und der Leistungen zur Teilhabe sowie die Einrichtungen, die diese Leistungen erbringen, nach pflichtgemäßem Ermessen (§ 26 Abs. 5 Satz 1 SGB VII). Die Beklagte wird daher im Einzelnen zu entscheiden haben, welche dies sind.

Dem Grunde nach besteht auch ein Anspruch auf Gewährung von Verletztengeld.  Nach § 45 Abs. 1 SGB VII wird Verletztengeld insbesondere erbracht, wenn ein Versicherter infolge eines Versicherungsfalles arbeitsunfähig ist, unmittelbar vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit Anspruch auf Arbeitseinkommen hatte und kein Beendigungstatbestand im Sinne des § 46 Abs. 3 SGB VII vorliegt. Vorliegend steht zur Überzeugung des Senats fest, dass eine unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit bis zum 25. Mai 2018 bestand, wie sich aus Zwischenberichten des Durchgangsarztes ergibt. Die Wiederaufnahme der Arbeit erfolgte am Montag, den 28. Mai 2019. Daher besteht bis dahin ein Anspruch auf Verletztengeld dem Grunde nach. Gem. § 52 Nr. 1 SGB VII ist eine gewährte Lohnfortzahlung anzurechnen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.

Rechtskraft
Aus
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