L 18 AS 684/22

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
18.
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 126 AS 2731/21
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 18 AS 684/22
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

Obergrenze für die Nichtberücksichtigung von freiwilligen Zuwendungen Dritter an SGB II-Leistungsempfänger sind die Vermögensfreibeträge.

Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 20. Juni 2022 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig sind die Rücknahme und die Erstattung von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch – Bürgergeld, Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II) für die Zeit vom 1. Juni 2018 bis 31. Dezember 2019 i.H.v. 22.575,46 Euro.

Die  1970 bzw.  1971 geborenen Kläger zu 1) und 3) sind die Eltern des  2006 geborenen Klägers zu 2) und waren Nachbarn der pflegebedürftigen, 1926 geborenen und 2023 verstorbenen Frau M R (im Folgenden: R)für die die Klägerin zu 3) im Rahmen des Haushaltsscheckverfahrens seit dem 1. Februar 2020 als Haushaltshilfe tätig war. Sie bezogen im Streitzeitraum, in dem sie in einem Haushalt zusammenlebten, SGB II-Leistungen. Der Beklagte bewilligte ihnen auf die in Vertretung der Bedarfsgemeinschaft gestellten Weiterbewilligungsanträge des Klägers zu 1) vom 22. März 2018 und 5. Oktober 2018 (jeweils nach vorläufiger Leistungsfestsetzung wegen schwankender Einkommenserzielung aus Erwerbstätigkeit) mit Bescheid vom 19. Juni 2019 u.a. Leistungen für Juni  bis Oktober 2018, mit Bescheid vom 21. Juni 2019 Leistungen für die Monate November 2018 bis 30. April 2019 und auf den Weiterbewilligungsantrag vom 29. März 2019 mit Bescheid vom 25. April 2019 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 1. Juni 2019, 19. Juni 2019, 21. Juni 2019, 29. August 2019 und 24. September 2019 Leistungen für die Monate Mai 2019 bis Dezember 2019 i.H.v. insgesamt 22.593,46 Euro wie folgt:

 

Monat

Regelbedarf

Bedarfe für Unterkunft und Heizung

Kläger zu 1)

Juni 2018

Juli 2018

August 2018

September 2018

Oktober 2018

November 2018

Dezember 2018

Januar 2019

Februar 2019

März 2019

April 2019

Mai 2019

Juni 2019

Juli 2019

August 2019

September 2019

Oktober 2019

November 2019

Dezember 2019

 

210,49 Euro

210,06 Euro

227,17 Euro

126,87 Euro

139,38 Euro

113,47 Euro

133,16 Euro

141,84 Euro

141,84 Euro

141,84 Euro

141,84 Euro

214,52 Euro

214,52 Euro

213,57 Euro

213,57 Euro

213,98 Euro

291,42 Euro

291,42 Euro

291,42 Euro

210,05 Euro

204,87 Euro

218,80 Euro

218,80 Euro

218,80 Euro

184,10 Euro

225,14 Euro

300,20 Euro

300,20 Euro

300,20 Euro

300,20 Euro

300,20 Euro

300,20 Euro

300,20 Euro

300,20 Euro

310,49 Euro

310,49 Euro

310,49 Euro

310,49 Euro

Kläger zu 2)

Juni 2018

Juli 2018

August 2018

September 2018

Oktober 2018

November 2018

Dezember 2018

Januar 2019

Februar 2019

März 2019

April 2019

Mai 2019

Juni 2019

Juli 2019

August 2019

September 2019

Oktober 2019

November 2019

Dezember 2019

 

10.32 Euro

10,79 Euro

18,02 Euro

 

 

 

 

 

 

 

 

3,26 Euro

3,26 Euro

 

 

 

39,35 Euro

39,35 Euro

39,35 Euro

210,05 Euro

204,87 Euro

218,80 Euro

183,56 Euro

190,21 Euro

149,34 Euro

192,05 Euro

260,61 Euro

260,61 Euro

260,61 Euro

260,61 Euro

300,20 Euro

300,20 Euro

295,37 Euro

295,37 Euro

304,83 Euro

310,49 Euro

310,49 Euro

310,49 Euro

 

Klägerin zu 3)

Juni 2018

Juli 2018

August 2018

September 2018

Oktober 2018

November 2018

Dezember 2018

Januar 2019

Februar 2019

März 2019

April 2019

Mai 2019

Juni 2019

Juli 2019

August 2019

September 2019

Oktober 2019

November 2019

Dezember 2019

 

210,49 Euro

210,06 Euro

227,17 Euro

126,87 Euro

139,38 Euro

113,47 Euro

133,16 Euro

141,84 Euro

141,84 Euro

141,84 Euro

141,84 Euro

214,52 Euro

214,52 Euro

213,57 Euro

213,57 Euro

213,98 Euro

291,42 Euro

291,42 Euro

291,42 Euro

 

210,05 Euro

204,87 Euro

218,80 Euro

218,80 Euro

218,80 Euro

184,10 Euro

225,14 Euro

300,20 Euro

300,20 Euro

300,20 Euro

300,20 Euro

300,20 Euro

300,20 Euro

300,20 Euro

300,20 Euro 310,49 Euro

310,49 Euro

310,49 Euro

310,49 Euro

Am 2. Mai 2018 ging auf dem Konto der Klägerin zu 3) ein Betrag i.H.v. 65.250,- Euro von R ein, von dem zwei Teilbeträge i.H.v. 60.000,- Euro am 8. Mai 2018 und i.H.v. 5.000,- Euro am 14. Mai 2018 in bar ausgezahlt wurden. Dem Beklagten teilten die Kläger dies nicht mit. Nach einer – später zurückgezogenen – Anzeige der R und ihres Pflegehelfers (Herrn J K G, im Folgenden: G) klagte die Staatsanwaltschaft B mit Anklageschrift vom 27. Oktober 2020 den Kläger zu 1) und die Klägerin zu 3) wegen Betruges durch Unterlassen zulasten des Beklagten an. Mit schriftlicher Einlassung vom 10. April 2021 gab R an, der Klägerin zu 3) im Jahr 2018 einen größeren Geldbetrag geschenkt zu haben, um der Klägerin zu 3) und deren Familie die Erfüllung des lang gehegten Wunsches einer Reise nach Mekka zu ermöglichen. G gab im Rahmen seiner Vernehmung in der öffentlichen Sitzung des Amtsgerichts T vom 4. Mai 2021 an, die Klägerin zu 3) unterstütze die vermögende R viel. Die Klägerin zu 3) sei für R „fast wie ihre eigene Tochter“; R habe immer noch ein „sehr warmes Verhältnis“ zu ihr. R habe ihm (G) gesagt, dass sie das Geld der Familie geschenkt habe, „damit sie nach Mekka fahren können“. Die Familie sei sehr religiös. Sie beteten sehr viel. Sie hätten die Reise tatsächlich gemacht und R und G ein Video und Bilder davon gezeigt. Die Klägerin zu 3) gab an, die Familie habe die 14tägige Reise zu fünft im Jahr 2018 angetreten und pro Person fast 8.000,- Euro ausgegeben. Sie habe gedacht, dass sie ein einmaliges Geschenk gegenüber dem Jobcenter nicht angeben müsse. Der Kläger zu 1) gab an, dass seine Frau, die für Geldgeschäfte zuständig sei, die Reise organisiert und bezahlt habe. Sie seien zu sechst einschließlich eines Reisebegleiters, der auch Geld gekostet habe „und das nicht zu wenig“, unterwegs gewesen. Er habe nicht gewusst, dass er dem Beklagten eine Mitteilung über das Geldgeschenk hätte machen müssen. Das Amtsgericht T verurteilte die bisher strafrechtlich nicht in Erscheinung getretene Klägerin zu 3) wegen Betruges durch Unterlassen zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 15,- Euro <rechtskräftiges Urteil vom 15. Juni 2021, Az. (326 DS) 252 Js 3221/20 (30/20)>. Die Einziehung von Taterträgen i.H.v. 5.761,68 Euro wurde angeordnet. Mit Urteil des Landgerichts B vom 9. August 2022 wurde der bereits mehrfach u.a. wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis und Diebstahl vorbestrafte Kläger zu 1) unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus einem gegen ihn ergangenen Urteil des Amtsgerichts T vom 14. August 2019 und unter Auflösung der dortigen Gesamtstrafe zu einer Gesamtgeldstrafe von 170 Tagessätzen zu je 15,- Euro verurteilt <Az.(579) 252 Js 3221/20 Ns (82/21)>.

Bereits mit Schreiben des Landeskriminalamtes (LKA) vom 16. und 30. Januar 2020 war der Beklagte über den Kontoeingang i.H.v. 65.250,- Euro informiert worden.

Mit zwei Anhörungsschreiben vom 25. September 2020 (gerichtet an den Kläger zu 1) – auch in Vertretung des Klägers zu 2) – und die Klägerin zu 3)), jeweils betreffend den Zeitraum vom 1. Juni 2018 bis 30. November 2018, und zwei Anhörungsschreiben vom 30. September 2020 (gerichtet an den Kläger zu 1) – auch in Vertretung des Klägers zu 2)) betreffend den Zeitraum vom 1. Dezember 2018 bis 30. April 2019 und vom 1. Mai 2019 bis zum 31. Dezember 2019 gab der Beklagte den Klägern Gelegenheit zur Stellungnahme zur beabsichtigten Aufhebung und Erstattung von Leistungen für die Monate Juni 2018 bis Dezember 2019 (Kläger zu 1 und 2)) bzw. Juni 2018 bis November 2018 (Klägerin zu 3)) und zur beabsichtigten Aufrechnung mit folgender Begründung: Die Kläger hätten die einmalige Einnahme i.H.v. 65.250,- Euro nicht mitgeteilt. Sie hätten erkennen können, dass ihnen Leistungen in der bewilligten Höhe nicht zustanden. Die Kläger ließen sich dahingehend ein, dass sie das Geld von R zum Dank für die jahrelange liebevolle Pflege zum Zweck einer Mekka-Reise erhalten hätten, die ihnen als religiöse Familie sehnlichster Wunsch gewesen sei. Da es sich um eine zweckgebundene Schenkung gehandelt habe, hätten sie keine Möglichkeit gehabt, das Geld zur Sicherung des Lebensunterhalts zu verwenden. Sie hätten nicht gewusst, dass sie dem Beklagten die Schenkung mitteilen mussten.

Mit zwei Rücknahme- und Erstattungsbescheiden vom 9. November 2020 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 26. März 2021 (getrennt an den Kläger zu 1) – auch in Vertretung des Klägers zu 2) – und an die Klägerin zu 3) adressiert) hob der Beklagte die an die Kläger gewährten Leistungen für Juni 2018 bis November 2018 auf (vgl. nachstehende Tabelle) und forderte einen Erstattungsbetrag i.H.v. 2.282,86 Euro (Kläger zu 1)), 1.195,96 Euro (Kläger zu 2)) und 2.282,86 Euro (Klägerin zu 3)), insgesamt 5.761,68 Euro.

 

Monat

Aufhebung Regelbedarf

Aufhebung Bedarfe für Unterkunft und Heizung

Kläger zu 1)

Juni 2018

Juli 2018

August 2018

September 2018

Oktober 2018

November 2018

 

210,49 Euro

210,06 Euro

227,17 Euro

126,87 Euro

139,38 Euro

113,47 Euro

 

210,05 Euro

204,87 Euro

218,80 Euro

218,80 Euro

218,80 Euro

184,10 Euro

 

Kläger zu 2)

Juni 2018

Juli 2018

August 2018

September 2018

Oktober 2018

November 2018

 

10,32 Euro

10,79 Euro

18,02 Euro

 

 

 

 

210,05 Euro

204,87 Euro

218,80 Euro

183,56 Euro

190,21 Euro

149,34 Euro

 

Klägerin zu 3)

Juni 2018

Juli 2018

August 2018

September 2018

Oktober 2018

November 2018

 

210,49 Euro

210,06 Euro

227,17 Euro

126,87 Euro

139,38 Euro

113,47 Euro

 

210,05 Euro

204,87 Euro

218,80 Euro

218,80 Euro

218,80 Euro

184,10 Euro

 

Gleichzeitig erklärte der Beklagte die Aufrechnung mit den den Klägern zustehenden Leistungsansprüchen i.H.v. 30% des maßgeblichen Regelbedarfs.

Mit zwei Rücknahme- und Erstattungsbescheiden vom 7. Januar 2021 (betreffend den Zeitraum Dezember 2018 bis April 2019) und 8. Januar 2021 (betreffend den Zeitraum Mai 2019 bis Dezember 2019) in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Mai 2021 (an den Kläger zu 1) – auch in Vertretung des Klägers zu 2) – adressiert) hob der Beklagte die an die Kläger gewährten Leistungen für Dezember 2018 bis Dezember 2019 auf (vgl. die nachstehende Tabelle) und forderte Erstattungsbeträge i.H.v. 2.126,46 Euro (Dezember 2018 bis April 2019; Kläger zu 1) und 1.234,49 Euro (Dezember 2018 bis April 2019; Kläger zu 2) sowie i.H.v. 4.387,18 Euro (Mai 2019 bis Dezember 2019; Kläger zu 1) und 2.552,01 Euro (Mai 2019 bis Dezember 2019; Kläger zu 2), mithin insgesamt 10.300,14 Euro.

 

Monat

Aufhebung Regelbedarf

Aufhebung Bedarfe für Unterkunft und Heizung

Kläger zu 1)

Dezember 2018

Januar 2019

Februar 2019

März 2019

April 2019

Mai 2019

Juni 2019

Juli 2019

August 2019

September 2019

Oktober 2019

November 2019

Dezember 2019

 

133,16 Euro

141,84 Euro

141,84 Euro

141,84 Euro

141,84 Euro

214,52 Euro

214,52 Euro

213,57 Euro

213,57 Euro

213,98 Euro

291,42 Euro

291,42 Euro

291,42 Euro

225,14 Euro

300,20 Euro

300,20 Euro

300,20 Euro

300,20 Euro

300,20 Euro

300,20 Euro

300,20 Euro

300,20 Euro

310,49 Euro

310,49 Euro

310,49 Euro

310,49 Euro

Kläger zu 2)

Dezember 2018

Januar 2019

Februar 2019

März 2019

April 2019

Mai 2019

Juni 2019

Juli 2019

August 2019

September 2019

Oktober 2019

November 2019

Dezember 2019

 

 

 

 

 

 

3,26 Euro

3,26 Euro

 

 

 

39,35 Euro

39,35 Euro

39,35 Euro

192,05 Euro

260,61 Euro

260,61 Euro

260,61 Euro

260,61 Euro

300,20 Euro

300,20 Euro

295,37 Euro

295,37 Euro

304,83 Euro

310,49 Euro

310,49 Euro

310,49 Euro

 

Gleichzeitig erklärte der Beklagte die Aufrechnung mit den den Klägern zu 1) und 3) zustehenden Leistungsansprüchen i.H.v. 30% des maßgeblichen Regelbedarfs.

Ebenfalls mit zwei Rücknahme- und Erstattungsbescheiden vom 7. Januar 2021 (betreffend den Zeitraum Dezember 2018 bis April 2019) und 8. Januar 2021 (betreffend den Zeitraum Mai 2019 bis Dezember 2019) in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Mai 2021 hob der Beklagte die an die Klägerin zu 3) gewährten Leistungen für Dezember 2018 bis Dezember 2019 auf (vgl. die nachstehende Tabelle) und forderte Erstattungsbeträge i.H.v. 2.126,46 Euro (Dezember 2018 bis April 2019) sowie i.H.v. 4.387,18 Euro (Mai 2019 bis Dezember 2019), mithin insgesamt 6.513,64 Euro.

 

Monat

Aufhebung Regelbedarf

Aufhebung Bedarfe für Unterkunft und Heizung

Klägerin zu 3)

Dezember 2018

Januar 2019

Februar 2019

März 2019

April 2019

Mai 2019

Juni 2019

Juli 2019

August 2019

September 2019

Oktober 2019

November 2019

Dezember 2019

 

133,16 Euro

141,84 Euro

141,84 Euro

141,84 Euro

141,84 Euro

214,52 Euro

214,52 Euro

213,57 Euro

213,57 Euro

213,98 Euro

291,42 Euro

291,42 Euro

291,42 Euro

 

225,14 Euro

300,20 Euro

300,20 Euro

300,20 Euro

300,20 Euro

300,20 Euro

300,20 Euro

300,20 Euro

300,20 Euro 310,49 Euro

310,49 Euro

310,49 Euro

310,49 Euro

Gleichzeitig erklärte der Beklagte die Aufrechnung mit den der Klägern zu 3) zustehenden Leistungsansprüchen i.H.v. 30% des maßgeblichen Regelbedarfs.

Gegen den Rücknahme- und Erstattungsbescheid vom 9. November 2020 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 26. März 2021 hat der Kläger zu 1) – auch in Vertretung des Klägers zu 2) – am 21. April 2021 Klage erhoben (S 126 AS 2731/21). Am selben Tag hat auch die Klägerin zu 3) gegen den an sie adressierten Rücknahme- und Erstattungsbescheid vom 9. November 2020 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 26. März 2021 Klage erhoben (S 150 AS 2732/21). Zudem hat der Kläger zu 1) am 28. Juni 2021 Klage gegen die Rücknahme- und Erstattungsbescheide vom 7. Januar 2021 und 8. Januar 2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Mai 2021 erhoben mit dem Zusatz: „Die Klage bezieht sich auf alle Personen in meiner Bedarfsgemeinschaft“ (S 126 AS 4522/21). Das Sozialgericht (SG) Berlin hat mit Beschlüssen vom 9. August 2021 und 10. Januar 2022 die Verfahren S 150 AS 2732/21 und S 126 AS 4522/21 zum führenden Verfahren S 126 AS 2731/21 verbunden und die Klagen mit Urteil vom 20. Juni 2022 abgewiesen. Zur Begründung hat es angeführt: Entgegen der Auffassung des Beklagten seien auch die an die Klägerin zu 3) adressierten zwei Rücknahme- und Erstattungsbescheide vom 7. Januar 2021 und 8. Januar 2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Mai 2021 Gegenstand des Verfahrens. Der Kläger zu 1) habe insoweit im Klageschriftsatz vom 28. Juni 2021 im Verfahren S 126 AS 4522/21 erklärt, dass sich die Klage gegen die Rücknahme- und Erstattungsbescheide vom 7. Januar 2021 und 8. Januar 2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Mai 2021 auf alle Personen in seiner Bedarfsgemeinschaft beziehe. Die zulässigen Klagen seien jedoch unbegründet. Die angefochtenen Rücknahme- und Erstattungsbescheide vom 9. November 2020 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 26. März 2021 seien rechtmäßig und verletzten die Kläger nicht in ihren Rechten. Zutreffend habe der Beklagte seine Aufhebungsentscheidung auf § 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II, § 330 Sozialgesetzbuch – Arbeitsförderung – (SGB III) i.V.m. § 45 Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X) gestützt. Die Bewilligungsbescheide vom 19. und 21. Juni 2019 seien rechtswidrig gewesen, weil sie die am 21. Mai 2018 zugeflossene Zahlung i.H.v. 65.250,- Euro nicht als Einkommen, das ab Juni 2018 auf einen Sechs-Monats-Zeitraum zu verteilen gewesen sei, berücksichtigt hätten. Auf die zutreffenden Ausführungen in den Widerspruchsbescheiden vom 26. März 2021 werde verwiesen. Das Einkommen sei nicht nach § 11a SGB II außer Betracht zu lassen gewesen. Nach dessen Abs. 5 Nr. 1 seien Zuwendungen, die ein anderer erbringe, ohne hierzu eine rechtliche oder sittliche Pflicht zu haben, nicht als Einkommen zu berücksichtigen, soweit ihre Berücksichtigung für die Leistungsberechtigten grob unbillig wäre. Ausweislich der Gesetzesbegründung sei die Regelung dazu gedacht, dass gelegentliche oder regelmäßige Zuwendungen Anderer, die üblich und auch gesellschaftlich akzeptiert sind, unberücksichtigt bleiben könnten. Selbst wenn die Kläger die einmalige Zahlung i.H.v. 65.250,- Euro – wie von ihnen vorgetragen – zum Zweck der Durchführung einer Mekka-Reise geschenkt bekommen hätten und der Geldbetrag von ihnen auch für diesen Zweck verwendet worden sei, mithin grundsätzlich der Anwendungsbereich des § 11a Abs. 5 Nr. 1 SGB II eröffnet sei, liege eine Privilegierung dieses Einkommens nur insoweit vor, als das Geld tatsächlich für die Durchführung der Mekka-Reise verwendet worden sei. Eine Internetrecherche habe insoweit ergeben, dass selbst die umfangreiche Durchführung einer Pilgerfahrt nach Mekka einschließlich ritueller Zwischenhalte in Arafa und Mina sowie Aufenthalt in Medina bei Übernachtung in einem 5-Sterne-Hotel in Medina einschließlich An- und Abreise, Begleitung durch Reiseleiter und islamische Gelehrte sowie Visum-Service zu einem Preis von 5.200,- Euro pro Person erhältlich sei. Ungeachtet der Frage, ob die Reise auch zu günstigeren Konditionen durchführbar sei, koste die Reise für vier Personen danach etwa 20.800,- Euro. Vom Gesamtbetrag i.H.v. 65.250,- Euro verbleibe damit noch ein Betrag i.H.v. rund 44.450,- Euro, der der Anrechnung unterliege und auch bei einer Aufteilung auf sechs Monate den monatlichen Gesamtbedarf der Kläger weit übersteige. Es bleibe daher bei der Anrechnung bedarfsdeckenden Einkommens mit der Folge des Wegfalls der Bedürftigkeit. Die Kläger könnten sich nicht auf Vertrauensschutz berufen, weil sie bei der Beantragung der Leistungen vorsätzlich Angaben gemacht hätten, die in wesentlicher Beziehung, nämlich in Bezug auf ihre Einkommensverhältnisse, unvollständig gewesen seien. Den Klägern, die bereits seit geraumer Zeit im Leistungsbezug stünden und wiederholt Einkommen aus verschiedenen Tätigkeiten erzielt hätten, sei mehrfach mitgeteilt worden, dass Einkommen anzuzeigen sei. Dies sei ihnen auch bewusst gewesen. Auch die zwei Rücknahme- und Erstattungsbescheide vom 7. Januar 2021 und 8. Januar 2021 in der Gestalt der Widerspruchsbescheides vom 26. und 27. Mai 2021 seien rechtmäßig. Der Beklagte habe für den Zeitraum vom 1. Dezember 2018 bis 30. April 2019 und vom 1. Mai 2019 bis zum 31. Dezember 2019 Leistungen rechtswidrig bewilligt, da er die am 2. Mai 2018 zugeflossene Einnahme nicht berücksichtigt habe. Den Klägern habe jeweils zu Beginn der Bewilligungszeiträume selbst bei Abzug fiktiver Kosten für die Mekka-Reise bedarfsdeckendes, die Freibeträge überschreitendes Vermögen zur Verfügung gestanden. Auf die zutreffenden Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden in der Gestalt der Widerspruchsbescheide werde verwiesen. Rechtsgrundlage für die Rücknahmeentscheidung sei auch insoweit § 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II, § 330 SGB III i.V.m. § 45  SGB X. Die Kläger könnten sich nicht auf Vertrauensschutz berufen, weil sie bei der Beantragung der Leistungen vorsätzlich Angaben gemacht hätten, die in wesentlicher Beziehung, nämlich in Bezug auf ihre Vermögensverhältnisse, unvollständig gewesen seien.

Mit ihrer Berufung haben die Kläger vorgetragen, sie hätten den von R überwiesenen Geldbetrag „im Wesentlichen gemäß der Bedingung“ der R verwendet. Sie nähmen auf ihre Einlassungen und das Ergebnis der Beweisaufnahme in den Strafverfahren vor dem Amtsgericht T Bezug. Belege zur ihrer Reise nach Mekka könnten sie nicht vorlegen. Sie hätten die Reise zu fünft angetreten und seien mit einem Budget von 50.000,- Euro nach Ägypten geflogen, wobei der Flug etwa 5.617,- Euro gekostet habe. In Ägypten seien sie von einem religiösen Guide begleitet worden, dessen Kosten sie auch übernommen hätten. Pro Person hätten sie für Schiff, Übernachtung, Verpflegung usw. ca. 8.333,- Euro ausgegeben, so dass ihnen Kosten für sechs Personen i.H.v. 49.998,- Euro entstanden seien. Die Reise habe insgesamt 55.615,- Euro gekostet. Alles sei, wie es der Üblichkeit entspreche, in bar ohne Quittung bezahlt worden. Wie mit R abgesprochen, habe sich die Klägerin zu 3) für 7.000,- Euro „die Zähne machen lassen“. Mit dem restlichen Geld (ca. 3.000,- Euro) seien – ebenfalls nach Absprache mit R – Schulden getilgt und ein Betrag gespendet worden.

Die Kläger beantragen,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 20. Juni 2022 und die Rücknahme- und Erstattungsbescheide des Beklagten vom 9. November 2020 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 26. März 2021 sowie die Rücknahme- und Erstattungsbescheide vom 7. Januar 2021 und 8. Januar 2021 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 26. Mai 2021 und 27. Mai 2021 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Gerichtsakten und die elektronischen Leistungsakten des Beklagten sowie die Ablichtungen aus der Akte 252 JS 3221/20 (29207) V verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

 

Entscheidungsgründe

Die Berufung der Kläger hat keinen Erfolg. Der Beklagte hat zu Recht die Bewilligung von Leistungen für die Zeit vom 1. Juni 2018 bis 31. Dezember 2019 ganz aufgehoben und die Erstattung zu Unrecht erbrachter Leistungen von den Klägern verlangt.

Gegenstand des Berufungsverfahrens sind neben dem erstinstanzlichen Urteil vom 20. Juni 2022 die Rücknahme- und Erstattungsbescheide des Beklagten vom 9. November 2020 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 26. März 2021 sowie die Rücknahme- und Erstattungsbescheide vom 7. Januar 2021 und 8. Januar 2021 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 26. und 27. Mai 2021, gegen die sich die Kläger mit (isolierten) Anfechtungsklagen wenden (§ 54 Abs. 1 Satz 1 SGG). Mit den genannten Verwaltungsakten hat der Beklagte die mit Bescheiden vom 19. Juni 2019, 21. Juni 2019 und 25. April 2019 – letzterer in der Fassung der Änderungsbescheide vom 1. Juni 2019, 19. Juni 2019, 21. Juni 2019, 29. August 2019 und 24. September 2019 – verfügte Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 1. Juni 2018 bis 31. Dezember 2019 ganz zurückgenommen und die Erstattung überzahlter Beträge verlangt.

Einer Sachentscheidung auch über die gegenüber der Klägerin zu 3) ergangenen zwei Rücknahme- und Erstattungsbescheide vom 7. Januar 2021 (betreffend den Zeitraum Dezember 2018 bis April 2019) und 8. Januar 2021 (betreffend den Zeitraum Mai 2019 bis Dezember 2019) in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Mai 2021 steht nicht entgegen, dass diese bestandskräftig geworden wären. Zwar hat die Klägerin zu 3) – anders als im Fall des an sie adressierten Rücknahme- und Erstattungsbescheides vom 9. November 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. März 2021  (vgl. das Verfahren S 150 AS 2732/21 ) – keine eigene Klage gegen diese Bescheide erhoben. Unter Berücksichtigung des Meistbegünstigungsgrundsatzes ist indes die vom (damals anwaltlich nicht vertretenen) Kläger zu 1) am 28. Juni 2021 erhobene Klage gegen die Rücknahme- und Erstattungsbescheide vom 7. Januar 2021 und 8. Januar 2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Mai 2021 als auch im Namen der Klägerin zu 3) erhobene Klage gegen die ihr gegenüber ergangenen zwei Rücknahme- und Erstattungsbescheide vom 7. Januar 2021 und 8. Januar 2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Mai 2021 auszulegen (zur Auslegung von Anträgen vgl. nur Bundessozialgericht <BSG>, Beschluss vom 6. Dezember 2018 – B 8 SO 38/18 B –, juris Rn. 6), da sich ausweislich des Zusatzes in der Klageschrift diese Klage „auf alle Personen in meiner Bedarfsgemeinschaft“ beziehen sollte.

Zu Recht ist das SG davon ausgegangen, dass die streitgegenständlichen Bescheide an §§ 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II, 330 Abs. 2 SGB III i.V.m. § 45 Abs. 1, Abs. 2 bis 4 SGB X zu messen sind.

Die Bescheide vom 19. Juni 2019, 21. Juni 2019 und 25. April 2019 – letzterer in der Fassung der Änderungsbescheide vom 1. Juni 2019, 19. Juni 2019, 21. Juni 2019, 29. August 2019 und 24. September 2019 –, die durch die streitgegenständlichen Bescheide aufgehoben worden sind, waren endgültige Bewilligungen. Ihre Änderung konnte nur nach Maßgabe der vertrauensschützenden Regelungen der §§ 45 ff SGB X i.V.m. § 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II, § 330 Abs. 2 SGB III erfolgen.

In formeller Hinsicht sind die angefochtenen Bescheide nicht zu beanstanden. Die Kläger sind vor ihrem Erlass angehört worden (§ 24 Abs. 1 Sozialgesetzbuch – Verwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz-  <SGB X>) und hatten zudem im Widerspruchsverfahren weitere Gelegenheit zur Äußerung. Gewahrt ist auf die Anhörung im September 2020 auch die Jahresfrist nach § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X (st. Rspr. des BSG; vgl. schon BSG, Urteil vom 8. Februar 1996 – 13 RJ 35/94 -, juris). Schließlich bezeichnen die Bescheide hinreichend bestimmt (§ 33 Abs. 1 SGB X) jeweils die Bewilligungsentscheidungen, die "ganz zurückgenommen" werden, und beziffern die jeweils zu erstattende Gesamtsumme und die Teilbeträge, aus denen sie sich zusammensetzt.

Rechtsgrundlage der Rücknahmebescheide ist § 40 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 3 SGB II in der im Rücknahmezeitpunkt geltenden Fassung der Bekanntmachung vom 29. April 2019 (zur Maßgeblichkeit des im Zeitpunkt der Aufhebung geltenden Rechts vgl. BSG, Urteil vom 7. Dezember 2017 – B 14 AS 7/17 R -, juris Rn. 10) i.V.m. § 45 SGB X und § 330 Abs. 2 SGB III. Nach § 45 Abs. 1 SGB X darf ein begünstigender Verwaltungsakt, soweit er rechtswidrig ist, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Gemäß § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X kann sich der Begünstigte dabei nicht auf sein Vertrauen auf den Bestand des Verwaltungsakts berufen, wenn dieser auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat, wobei grobe Fahrlässigkeit vorliegt, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 Halbsatz 2 SGB X). Der begünstigende Verwaltungsakt ist dann nach § 45 Abs. 4 Satz 1 SGB X, § 330 Abs. 2 SGB III mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen.

Auf dieser Grundlage hat der Beklagte zu Recht alle die Kläger begünstigenden (bestandskräftigen und damit bindenden, vgl. § 77 Sozialgerichtsgesetz – SGG –) Bewilligungsentscheidungen nach dem SGB II für den streitbefangenen Zeitraum wegen Rechtswidrigkeit im Zeitpunkt ihres Erlasses zurückgenommen, weil die Kläger sich auf Vertrauen nicht berufen können und die Rücknahme deshalb wegen der für das SGB II entsprechend anwendbaren Sonderregelung des § 330 Abs. 2 SGB III zwingend ist. Das gilt ebenso für die Erstattungsforderungen, die ebenfalls rechtmäßig sind.

Zutreffend ist das SG davon ausgegangen, dass die SGB II-Bewilligungen für den streitbefangenen Zeitraum bei Erlass mangels Hilfebedürftigkeit der Kläger objektiv rechtswidrig waren.

Rechtsgrundlage der den Klägern zuerkannten Leistungen nach dem SGB II ist § 19 i.V.m. §§ 7, 9, 11, 20 ff SGB II in der im Bezugszeitraum jeweils geltenden Fassung; denn in Rechtsstreitigkeiten über schon abgeschlossene Bewilligungsabschnitte ist das zum damaligen Zeitpunkt geltende Recht anzuwenden (Geltungszeitraumprinzip, vgl. nur BSG vom 19. Oktober 2016 – B 14 AS 53/15 R -, juris Rn. 15 m.w.N.). Maßgebend für die Hilfebedürftigkeit der Kläger – die die Grundvoraussetzungen des § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II, aber keinen Ausschlusstatbestand erfüllten – war danach § 9 Abs. 1 SGB II in der Fassung vom 13. Mai 2011, wonach hilfebedürftig ist, wer u.a. seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, vor allem nicht 1. durch Aufnahme einer zumutbaren Arbeit, 2. aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält. Zur Prüfung der Hilfebedürftigkeit sind dem Bedarf die zu dessen Sicherung zu berücksichtigenden und zur Verfügung stehenden Bedarfsdeckungsmöglichkeiten gegenüberzustellen. Die Berücksichtigung von Einkommen ist in § 11 SGB II, diejenige von Vermögen in § 12 SGB II - beide jeweils i.V.m. § 13 SGB II sowie der Verordnung zur Berechnung von Einkommen sowie zur Nichtberücksichtigung von Einkommen und Vermögen beim Arbeitslosengeld II/Sozialgeld (Alg II-V) - geregelt. Einkommen im Sinne des § 11 Abs. 1 SGB II ist dabei grundsätzlich alles, was jemand nach Antragstellung wertmäßig dazu erhält, und Vermögen (§ 12 SGB II) dasjenige, was er vor Antragstellung bereits hatte (st. Rpsr. des BSG, vgl. bereits Urteil vom 30. Juli 2008 – B 14 AS 26/07 R –, juris <Leitsatz>; Urteil vom 19. August 2015 – B 14 AS 43/14 R –, juris Rn. 13).

Der zu deckende Bedarf der Kläger stellte sich ausgehend vom Regelbedarf (§ 20 Abs. 2 Satz 1 SGB II) und den tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung (§ 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II) entsprechend den (von den Klägern unbeanstandeten) Berechnungen des Beklagten in den Widerspruchsbescheiden vom 26. März 2021 und 26. und 27. Mai 2021, auf die der Senat Bezug nimmt, wie folgt dar:

 

Monat

Regelbedarf

Bedarfe für Unterkunft und Heizung

Kläger zu 1)

Juni 2018

Juli 2018

August 2018

September 2018

Oktober 2018

November 2018

Dezember 2018

Januar 2019

Februar 2019

März 2019

April 2019

Mai 2019

Juni 2019

Juli 2019

August 2019

September 2019

Oktober 2019

November 2019

Dezember 2019

 

210,49 Euro

210.06 Euro

227,17 Euro

126,87 Euro

139,38 Euro

113,47 Euro

133,16 Euro

141,84 Euro

141,84 Euro

141,84 Euro

141,84 Euro

214,52 Euro

214,52 Euro

213,57 Euro

213,57 Euro

213,98 Euro

291,42 Euro

291,42 Euro

291,42 Euro

210,05 Euro

204,87 Euro

218,80 Euro

218,80 Euro

218,80 Euro

184,10 Euro

225,14 Euro

300,20 Euro

300,20 Euro

300,20 Euro

300,20 Euro

300,20 Euro

300,20 Euro

300,20 Euro

300,20 Euro

310,49 Euro

310,49 Euro

310,49 Euro

310,49 Euro

Kläger zu 2)

Juni 2018

Juli 2018

August 2018

September 2018

Oktober 2018

November 2018

Dezember 2018

Januar 2019

Februar 2019

März 2019

April 2019

Mai 2019

Juni 2019

Juli 2019

August 2019

September 2019

Oktober 2019

November 2019

Dezember 2019

 

10.32 Euro

10,79 Euro

18,02 Euro

 

 

 

 

 

 

 

 

3,26 Euro

3,26 Euro

 

 

 

39,35 Euro

39,35 Euro

39,35 Euro

210,05 Euro

204,87 Euro

218,80 Euro

183,56 Euro

190,21 Euro

149,34 Euro

192,05 Euro

260,61 Euro

260,61 Euro

260,61 Euro

260,61 Euro

300,20 Euro

300,20 Euro

295,37 Euro

295,37 Euro

304,83 Euro

310,49 Euro

310,49 Euro

310,49 Euro

 

Klägerin zu 3)

Juni 2018

Juli 2018

August 2018

September 2018

Oktober 2018

November 2018

Dezember 2018

Januar 2019

Februar 2019

März 2019

April 2019

Mai 2019

Juni 2019

Juli 2019

August 2019

September 2019

Oktober 2019

November 2019

Dezember 2019

 

210,49 Euro

210.06 Euro

227,17 Euro

126,87 Euro

139,38 Euro

113,47 Euro

133,16 Euro

141,84 Euro

141,84 Euro

141,84 Euro

141,84 Euro

214,52 Euro

214,52 Euro

213,57 Euro

213,57 Euro

213,98 Euro

291,42 Euro

291,42 Euro

291,42 Euro

 

210,05 Euro

204,87 Euro

218,80 Euro

218,80 Euro

218,80 Euro

184,10 Euro

225,14 Euro

300,20 Euro

300,20 Euro

300,20 Euro

300,20 Euro

300,20 Euro

300,20 Euro

300,20 Euro

300,20 Euro 310,49 Euro

310,49 Euro

310,49 Euro

310,49 Euro

Diesen Bedarfen i.H.v. insgesamt 22.593,46 Euro standen im Rücknahmezeitraum Juni 2018 bis November 2018 ausreichende Mittel aus der einmaligen Einnahme der Klägerin zu 3) im Mai 2018 und im Rücknahmezeitraum Dezember 2018 bis Dezember 2019 zu Beginn eines jeden Monats ausreichende Vermögensmittel i.H.v. insgesamt 48.750,- Euro gegenüber, die vorrangig zur Sicherung ihres Lebensunterhalts einzusetzen waren (vgl. § 2 Abs. 2 SGB II; zur monatsweisen Gegenüberstellung von Bedarfen und Bedarfsdeckungsmöglichkeiten vgl. nur BSG, Urteil vom 24. August 2017 – B 4 AS 9/16 R –, juris Rn. 31 m.w.N.).

Die einmalige Einnahme der Klägerin zu 3) i.H.v. 65.250,- Euro ist i.H.v. 48.750,- Euro als Einkommen bei der Berechnung der den Klägern im Zeitraum Juni 2018 bis November 2018 zustehenden Leistungen nach Maßgabe von § 11 Abs. 1 Satz 1 letzter Halbsatz SGB II i.V.m. § 11a Abs. 5 SGB II teilweise zu berücksichtigen. Nach § 11a Abs. 5 SGB II bleibt Einkommen unter den dort benannten weiteren Voraussetzungen unberücksichtigt, soweit es als Zuwendung zu qualifizieren ist. § 11a Abs. 5 soll die Grundlage dafür schaffen, dass übliche und auch gesellschaftlich akzeptierte, gelegentliche oder regelmäßige Zuwendungen anderer privater Personen oder Institutionen als der freien Wohlfahrtspflege ohne Berücksichtigung bleiben können (vgl. BT-Drucks. 17/3404, S. 94 f. zu Art. 2 Nr. 15 § 11a, z.B. geringfügiges Taschengeld der Groß- oder Urgroßeltern). Um eine Zuwendung im Sinne der Regelung handelt es sich, wenn ein anderer sie erbringt, ohne hierzu eine rechtliche oder sittliche Pflicht zu haben. Damit ist bereits nach dem Wortlaut der Norm Kernelement einer Zuwendung die Freiwilligkeit ihrer Gabe. Umgekehrt lässt die rechtliche Verpflichtung zur Zahlung von vornherein eine Qualifizierung dieser als mögliche berücksichtigungsfreie "Zuwendung" entfallen. Damit scheiden Geldleistungen als Zuwendung aus, die auf vertraglicher Grundlage erbracht werden, z.B. im Zusammenhang mit einem Austauschvertrag im Sinne einer synallagmatischen Verknüpfung gegenseitiger Verpflichtungen wie etwa aus einem Arbeitsvertrag (vgl. BSG, Urteil vom 13. Juli 2022 – B 7/14 AS 75/20 R –, juris Rn. 18, 19).

Bei der einmaligen Einnahme der Klägerin zu 3) i.H.v. 65.250,- Euro im Mai 2018 handelte es sich nach dem Ergebnis der Ermittlungen im Strafverfahren gegen die Kläger zu 1) und 3) um eine freiwillige und ohne Rechtspflicht erfolgte Zahlung der R. Die Tätigkeit der Klägerin zu 3) für die R als Haushaltshilfe begann erst am 1. Februar 2020. Die einmalige Zahlung der R an die Klägerin zu 3) i.H.v. 62.250,- Euro im Mai 2018 war damit kein Erwerbseinkommen. Denn sie resultierte nicht aus einem wirtschaftlichen Austauschverhältnis der Leistung von fremdnütziger Arbeit gegen Entgelt. Vielmehr ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme im Strafverfahren davon auszugehen, dass R der Klägerin zu 3) das Geld – wohl auch als persönliche Anerkennung dafür, dass sich die Klägerin zu 3) und ihre Familie um die betagte R kümmerten („honorierende Anerkennung“, vgl. BSG im o.a. Urteil vom 13. Juli 2022, a.a.O. Rn. 22) – aus einem Näheverhältnis heraus schenkte, um der Klägerin zu 3) und deren Familie die Erfüllung des Wunsches einer Reise nach Mekka zu ermöglichen.

Die weiteren Voraussetzungen für eine vollständige Nichtberücksichtigung der Zuwendung liegen indes nicht vor. Ein Fall des § 11a Abs. 5 Nr. 2 SGB II ist angesichts der Höhe des zugewendeten Geldbetrages, der den maßgebenden Regelbedarf der Mitglieder der klägerischen Bedarfsgemeinschaft um ein Vielfaches übersteigt, offensichtlich nicht gegeben (das BSG sieht bei einer Zuwendung, die 10 % des jeweils maßgebenden Regelbedarfs nicht übersteigt, die Voraussetzungen für die Nichtberücksichtigung der Zuwendung erfüllt, vgl. die Ausführungen im o.a. Urteil vom 13. Juli 2022, a.a.O. Rn. 37).

Die teilweise Berücksichtigung der einmaligen Zahlung durch den Beklagten war auch nicht grob unbillig i.S. des § 11a Abs. 5 Nr. 1 SGB II. Die grobe Unbilligkeit i.S. des § 11a Abs. 5 Nr. 1 SGB II verlangt, dass gegen die Berücksichtigung der Zuwendung als Einnahme bei der Berechnung der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts vom Typischen abweichende Umstände bzw. Zwecke der Zuwendung sprechen. Maßstab für die Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs der "groben Unbilligkeit" ist das Regel-Ausnahmeverhältnis zwischen § 11 Abs. 1 SGB II einerseits und § 11a SGB II andererseits. Grundsätzlich ist danach die Einnahme dem Bedarf gegenüber zu stellen. Es besteht die Obliegenheit, im Rahmen der Selbsthilfe nach § 2 SGB II jegliche Einnahmen zur Sicherung des Lebensunterhalts zu verwenden (BSG im o.a. Urteil vom 13. Juli 2022, a.a.O. Rn. 26 m.w.N.). Diese Obliegenheit entfällt im Fall des § 11a Abs. 5 Nr. 1 SGB II grundsätzlich bei Zweckverfehlung, wenn also die Zuwendung mit einem objektivierbaren Zweck verknüpft ist, dessen Verwirklichung durch die Berücksichtigung bei der Berechnung der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts vereitelt würde. Solch eine objektivierbare Zweckbestimmung liegt hier mit der einmaligen, zum Zweck der Durchführung einer Pilgerreise nach Mekka bestimmten Einnahme, zwar vor. Indes steht die Höhe der Zuwendung jedenfalls deren vollständiger Privilegierung im Rahmen des § 11a Abs. 5 SGB II entgegen. Wie bereits das SG zutreffend festgestellt hat, erlaubt es die Formulierung des § 11a Abs. 5 („soweit“), unbillige Ergebnisse durch teilweise Berücksichtigung der Zuwendungen zu vermeiden. In Frage kommt dies, wenn besondere Umstände des Einzelfalls – insbes. die Höhe der Zuwendung – eine Teilberücksichtigung rechtfertigen (vgl. Luik/Harich/Schmidt/Lange SGB II § 11a Rn. 44). Nach Sinn und Zweck der Regelung ist demnach eine – gerichtlich voll überprüfbare – Abwägung zu treffen, ob bei einem Vergleich mit anderen Hilfebedürftigen unter Beachtung des fiskalischen öffentlichen Interesses ungekürzte Leistungen nach dem SGB II noch als gerechtfertigt erscheinen (vgl. Geiger in Münder/Geiger/Lenze, SGB II, 8. Aufl.  2023 Rn. 32). Obergrenze für die Nichtberücksichtigung derartiger Zuwendungen sind nach dem in den Materialien zu § 11a Abs. 5 Nr. 1 SGB II dokumentierten Verständnis (vgl. Entwurf der Fraktionen der CDU/CSU und FDP zum Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch, BT-Drucks 17/3404 S. 94) die geltenden Vermögensfreibeträge, da die Zuwendung im Monat nach dem Zufluss Vermögen darstellt (so auch Söhngen in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 5. Aufl., § 11a Rn. 72 <Stand: 7. März 2023>; Hengelhaupt in: Hauck/Noftz SGB II, 2. EL 2024, § 11a Rn. 406 m.w.N.). Unter Heranziehung dieser Maßstäbe kann die Zuwendung von 65.250,- Euro nur in Höhe der Vermögensfreibeträge der Kläger, die zum 1. Dezember 2018 16.500,- Euro betrugen, nicht als Einkommen berücksichtigt werden:

Nach § 12 Abs. 2 SGB II sind vom Vermögen Freibeträge abzusetzen. Der Grundfreibetrag nach § 12 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 Nr. 1 SGB II betrug zum 1. Dezember 2018 allein für den Kläger zu 1) 7.200,- Euro (48 Jahre x 150 Euro) und zuzüglich seines Freibetrags für notwendige Anschaffungen i.H.v. 750,- Euro nach § 12 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 SGB II 7.950,- Euro. Hinzu kamen, weil bei Partnern in der Bedarfsgemeinschaft diese Freibeträge addiert werden (vgl. nur BSG, Urteil vom 13. Mai 2009 - B 4 AS 58/08 R – juris Rn. 22 m.w.N.), der Grundfreibetrag für die Klägerin zu 3) nach § 12 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 Nr. 2 SGB II i.H.v. 7.050,-  Euro (47 x 150) und ihr Anschaffungsfreibetrag nach § 12 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 SGB II i.H.v. 750,- Euro, insgesamt 7.800,-  Euro; zusammen lag die Vermögensfreibetragsgrenze der Kläger zu 1 und 3) im Dezember 2018 bei 15.750,- Euro. Ein zusätzlicher Freibetrag nach § 12 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a SGB II kann nicht in Ansatz gebracht werden. Nach dieser Vorschrift sind vom Vermögen ein Grundfreibetrag i.H.v. 3.100,- Euro für jedes hilfebedürftige minderjährige Kind abzusetzen, wobei sich der Freibetrag ausschließlich auf tatsächlich beim Kind vorhandenes Vermögen bezieht und keinen „Vermögenskinderfreibetrag“ für die Eltern darstellt (BSG, Urteil vom 13. Mai 2009 – B 4 AS 58/08 R –, juris Rn. 19 m.w.N.). Da der Kläger zu 2) über kein Vermögen verfügte, kann lediglich sein Anschaffungsfreibetrag nach § 12 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 SGB II i.H.v. 750,- Euro zusätzlich in Ansatz gebracht werden. Danach ergibt sich für die Kläger insgesamt ein zu berücksichtigender Freibetrag i.H.v. 16.500,- Euro.

Diesem Ergebnis steht nicht entgegen, dass die Kläger das Geld nach ihrem (nicht belegten) Vorbringen im Berufungsverfahren teilweise zur Schuldentilgung verwendet haben. Denn im Zeitpunkt der Auszahlung des Einkommens offene Schulden sind nicht vom Einkommen abzusetzen (vgl. BSG, Urteil vom 30. September 2008 – B 4 AS 29/07 R –, Rn. 19).

Auch ist nicht von einem zwischenzeitlichen Verbrauch der Mittel auszugehen. Soweit die Kläger im Berufungsverfahren vortragen haben, insgesamt 55.615,- Euro für die Reise nach Mekka ausgegeben zu haben, haben sie dies entgegen der Aufforderung des Senats, Belege für die Reise wie z.B. Kontoauszüge (Überweisung der Geldbeträge für Flug- und Hotelkosten) oder Quittungen über Barzahlungen einzureichen, nicht nachgewiesen. Ihre Behauptung, die Reise in bar „und ohne Quittung“ bezahlt zu haben (vgl. das Schreiben der Kläger vom 13. Dezember 2023), haben sie zwar in der mündlichen Verhandlung konkretisiert, indem sie angegeben haben, die Reise über ein Reisebüro in der Müllerstraße im Wedding gebucht zu haben. Indes konnten sie auch insoweit keine von dort ausgehändigten Reiseunterlagen oder eine Quittung über den entrichteten Reisebetrag vorlegen. Auch fehlen jegliche Nachweise über den Zeitpunkt der Reise, die den Angaben der Klägerin zu 3) in der mündlichen Verhandlung zufolge im Sommer 2018 stattgefunden haben soll. Auf Vorhalt des Senats, dass dies z.B. durch Ein- und Ausreisestempel in den Reisepässen belegbar wäre, haben die Kläger angegeben, die entsprechenden Reisepässe inzwischen nicht mehr zu besitzen, da sie „mittlerweile abgelaufen“ sein dürften (vgl. die Einlassung der Klägerin zu 3) in der mündlichen Verhandlung). Bei einer Reise von so hervorgehobener Bedeutung, wie sie die Pilgerreise nach Mekka für die Kläger nach eigenem Vorbringen darstellte, dürfte es nach Auffassung des Senats indes naheliegen, schon zu Andenkenzwecken Flugtickets, Bordkarten u.ä. aufzubewahren, so dass das gänzliche Fehlen von Nachweisen ebenso Anlass zu Zweifeln an der Glaubhaftigkeit des Vorbringens gibt wie die Unsicherheiten der Kläger in ihren Angaben über die Art der Bezahlung beim Reisebüro („ich glaube in bar, nach der langen Zeit weiß ich es aber nicht mehr so genau“, vgl. die Einlassung der Klägerin zu 3) in der mündlichen Verhandlung). Abgesehen davon widerspricht es auch der Lebenserfahrung, eine so teure Reise beim Reisebüro in bar zu bezahlen. Soweit die Klägerin zu 3) schließlich vorgetragen hat (vgl. das Schreiben der Kläger vom 13. Dezember 2023), im Einvernehmen mit R einen Teilbetrag der Schenkung i.H.v. 7.000,- Euro für eine Zahnbehandlung ausgegeben zu haben, liegen ebenfalls keine Nachweise vor. Zwar hat die Klägerin zu 3) in der mündlichen Verhandlung ihren Vortrag dahin gehend konkretisiert, dass diese Behandlung – wohl noch vor der Reise nach Mekka – bei einer Praxis in Steglitz durchgeführt worden sei und die Krankenkasse später einen Teilbetrag erstattet habe („Ich glaube so ungefähr 1.000,- Euro“, vgl. die Einlassung der Klägerin zu 3) in der mündlichen Verhandlung). Eine Rechnung über die Zahnbehandlung oder einen Zahlungsbeleg (Quittung, Überweisungsbeleg o.ä.) hat die Klägerin zu 3) indes nicht vorgelegt. Ansatzpunkte für Ermittlungen von Amts wegen (vgl. § 103 Sozialgerichtsgesetz – SGG –) waren bei dieser Sachlage nicht vorhanden. Zwar liegt im Rahmen der Prüfung des § 45 SGB X die objektive Feststellungslast für das Vorliegen einer anfänglichen Rechtswidrigkeit - nach Ausschöpfung aller Ermittlungsmöglichkeiten zur Aufklärung des Sachverhalts - grundsätzlich bei der Behörde. Jedoch ist hier von einer Umkehr der Beweislast auszugehen, da die Beweisführung für den Beklagten unmöglich ist, weil die zu beweisenden Tatsachen sich im Bereich der Kläger abgespielt haben und diese an der ihnen möglichen Sachverhaltsaufklärung – wie dargelegt – nicht ausreichend mitgewirkt haben (vgl. BSG, Urteil vom 10. September 2013 – B 4 AS 89/12 R –, juris Rn. 32; vgl. auch die zum Arbeitsförderungsrecht ergangene Rspr. des BSG, Urteil vom 28. August 2007 – B 7/7a AL 10/06 R –, juris Rn. 17).

Die danach i.H.v. 48.750,- Euro (65.250,- Euro – 16.500,- Euro) zu berücksichtigende, im Mai 2018 zugeflossene einmalige Einnahme der Klägerin zu 3) war als Einkommen bei allen Klägern zu berücksichtigen; denn bei Personen wie dem Kläger zu 1), die in einer Bedarfsgemeinschaft leben, sind auch das Einkommen und Vermögen des Partners zu berücksichtigen (§ 9 Abs. 2 Satz 1 SGB II). Bei unverheirateten Kindern wie dem Kläger zu 2), die mit ihren Eltern in einer Bedarfsgemeinschaft leben und die die Leistungen zur Sicherung ihres Lebensunterhalts nicht aus ihrem eigenen Einkommen oder Vermögen beschaffen können, sind auch das Einkommen und Vermögen der Eltern zu berücksichtigen (§ 9 Abs. 2 Satz 2 SGB II).

Nach § 11 Abs. 3 Satz 1 SGB II sind einmalige Einnahmen in dem Monat, in dem sie zufließen, zu berücksichtigen. Sofern - wie vorliegend - für den Zuflussmonat (Mai 2018) bereits Leistungen ohne Einbeziehung einmaliger Einnahmen erbracht worden sind, werden sie im Folgemonat berücksichtigt (§ 11 Abs. 3 Satz 3 SGB II in der ab 1. August 2016 geltenden Fassung). Entfiele – wie hier – der Leistungsanspruch durch die Berücksichtigung in einem Monat, ist die einmalige Einnahme nach § 11 Abs. 3 Satz 4 SGB II auf einen Zeitraum von sechs Monaten (hier: Juni bis November 2018) gleichmäßig aufzuteilen und monatlich mit einem entsprechenden Teilbetrag zu berücksichtigen. Die i.H.v. 48.750,- Euro zu berücksichtigende einmalige Einnahme war nach alledem auf den Verteilzeitraum Juni bis November 2018 gleichmäßig aufzuteilen, wodurch die Hilfebedürftigkeit aller Kläger entfiel.

Im Rücknahmezeitraum Dezember 2018 bis Dezember 2019 verfügten die Kläger auch unter Berücksichtigung der ihnen zustehenden Freibeträge i.H.v. 16.500,- Euro bis 1. Dezember 2018 und i.H.v. 16.800,- Euro zum 1. Mai 2019 (Erhöhung wegen der zwischenzeitlichen Vollendung des 49. Lebensjahrs des Klägers zu 1) <49 Jahre x 150 Euro = 7.350,- Euro> und des 48. Lebensjahres der Klägerin zu 3) <48 Jahre x 150 Euro = 7.200,- Euro>) zu Beginn eines jeden Monats über ausreichende Vermögensmittel, die ihre Bedarfe i.H.v. 16.831,78 Euro in diesem Zeitraum überschritten und dem Leistungsanspruch entgegenstanden. Ein (zwischenzeitlicher) Verbrauch der zugeflossenen Mittel ist von den Klägern lediglich behauptet, nicht aber von ihnen belegt worden.

Auf ein schutzwürdiges Vertrauen gegenüber der Aufhebung der Leistungsbewilligung mit Wirkung für die Vergangenheit können sich die Kläger nicht mit Erfolg berufen, da diese auf zumindest grob fahrlässig unrichtig bzw. unvollständig gemachten Angaben der Kläger zu 1) und 3) i.S. des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X beruhte. Dem gleichzustellen ist eine vorsätzlich oder grob fahrlässig unterlassene Mitteilung von wesentlichen Änderungen in den Verhältnissen, welche kausal zu der Leistungsbewilligung geführt hat (vgl. BSG, Urteil vom 10. September 2013 – B 4 AS 89/12 R –, juris Rn. 33). Für die Bösgläubigkeit im Sinne des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X ist es ausreichend, wenn der Leistungsempfänger im Rahmen einer sog. Parallelwertung in der Laiensphäre wusste oder wissen musste, dass ihm die zuerkannte Leistung so nicht zusteht (vgl. nur BSG vom 28. März 2013 – B 4 AS 59/12 R -, juris Rn. 25). Es reicht daher grundsätzlich aus, wenn sich die Kenntnis bzw. grob fahrlässige Unkenntnis darauf bezieht, dass bei der Bewilligungsentscheidung das tatsächlich zugeflossene Einkommen nicht berücksichtigt worden ist. Der Kläger zu 1) als Vertreter der Bedarfsgemeinschaft und die Klägerin zu 3) als Begünstigte hatten dem Beklagten die einmalige Einnahme i.H.v. 65.250,- Euro nicht mitgeteilt. Hierzu wären sie jedoch verpflichtet gewesen, weil die Schenkung erkennbar eine wesentliche Veränderung in den Verhältnissen bewirkte. Die Bedeutung von zu berücksichtigendem Einkommen für die Leistungsvoraussetzung der Hilfebedürftigkeit war beiden Klägern schon deshalb bekannt, weil sie in der Vergangenheit Einnahmen aus Erwerbstätigkeit erzielt hatten, die sie jeweils dem Beklagten mitteilen mussten und die zur Anrechnung auf die Leistungen nach dem SGB II führten. Sie wussten bzw. hätten ohne Weiteres wissen müssen, dass der Bedarfsgemeinschaft die zuerkannten Leistungen so nicht zustanden. Ihnen war klar oder hätte sich nach dem insoweit maßgebenden subjektiven Verschuldensmaßstab geradezu aufdrängen müssen, dass die Bewilligungsbescheide, die die einmalige Einnahme nicht berücksichtigten, unrichtig waren und auf Dauer nicht Bestand haben konnten. Nach dem in der mündlichen Verhandlung gewonnenen Eindruck des Senats bestehen keine Zweifel daran, dass die Kläger zu 1) und 3) nach ihrer persönlichen Einsichts- und Urteilsfähigkeit in der Lage waren, die Tragweite ihres Handelns zu überblicken. Einer Ermessensausübung des Beklagten bedurfte es infolge der Bösgläubigkeit der Kläger nicht, wobei die hier vorliegende Bösgläubigkeit der Kläger zu 1 und 3) dem Kläger zu 2) zuzurechnen ist. Jedenfalls bei gesetzlicher Vertretung - wie hier im Fall des (noch) minderjährigen Klägers zu 2) - ist die Kenntnis bzw. das Kennenmüssen der gesetzlichen Vertreters dem Begünstigten zuzurechnen (vgl. § 166 Abs. 1, § 1629 Bürgerliches Gesetzbuch [BGB]; so bereits BSG, Urteil vom 31. August 1976 – 7 Rar 112/74 –, juris Rn. 18).

Nach § 45 Abs. 4 Satz 1 SGB X, § 330 Abs. 2 SGB III waren alle Bewilligungsentscheidungen für die Zeit Juni 2018 bis Dezember 2019 ganz und mit Wirkung für die Vergangenheit aufzuheben.

Nach alledem sind die Kläger nach § 50 Abs. 1 SGB X verpflichtet, die ihnen im streitigen Zeitraum gezahlten Grundsicherungsleistungen in Höhe von insgesamt 22.593,46 Euro zu erstatten. Auf die in den angefochtenen Bescheiden dargestellte Berechnung der Erstattungssumme und Aufschlüsselung nebst Berechnungsbögen wird Bezug genommen. Bei Eintritt der Volljährigkeit des Klägers zu 2) am 28. Mai 2024 wird der Beklagte die Beschränkung der Minderjährigenhaftung nach § 1629a Abs. 1 BGB (vgl. dazu BSG, Urteil vom 28. November 2018 – B 14 AS 34/17 R -, juris Rn. 17 ff) zu beachten haben. Der Erstattungsbescheid war zum Zeitpunkt seines Erlasses rechtmäßig, da der Kläger zu 2) damals noch nicht volljährig war. Dies entspricht der § 1629a BGB zugrunde liegenden unbeschränkten Haftung des Minderjährigen bis zum Eintritt der Volljährigkeit (vgl. BSG, Urteil vom 7. Juli 2011 – B 14 AS 153/10 R –, juris Rn. 7 m.w.N.). Die Haftungsbeschränkung kommt erst zum Zuge, soweit bei Eintritt der Volljährigkeit das an diesem Tag bestehende pfändbare Vermögen hinter den (unter § 1629a BGB fallenden) Verbindlichkeiten zurückbleibt. Für die Beachtung der Grundsätze der Minderjährigenhaftungsbeschränkung ist grundsätzlich nur eine Saldierung von Schuld und Vermögen zum Zeitpunkt der Vollendung des 18. Lebensjahres maßgeblich.

Auch die von dem Beklagten – schriftlich (vgl. § 43 Abs. 4 Satz 1 SGB II) – verlautbarte Aufrechungsentscheidung i.H.v. 30% der monatlichen Regelleistung ist rechtmäßig. Der Beklagte kann gegen Ansprüche von leistungsberechtigten Personen auf Geldleistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts mit Erstattungsansprüchen nach § 50 SGB X aufrechnen (§ 43 Abs. 1 Nr. 1 SGB II). Die Höhe der Aufrechnung beträgt bei Erstattungsansprüchen, die – wie hier – auf § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X i.V.m. § 50 SGB X beruhen, 30% des für die leistungsberechtigte Person maßgebenden Regelbedarfs (§ 43 Abs. 2 Satz 1 letzter Halbsatz SGB II). Ausschlusstatbestände nach § 43 Abs. 2 Satz 2 bzw. Abs. 3 SGB II liegen nicht vor. Der Beklagte hat in Bezug auf die Aufrechnungsentscheidung sein Ermessen (vgl. zum sog Ermessens-Kann insoweit BSG, Urteil vom 9. März 2016 – B 14 AS 20/15 R = SozR 4-4200 § 43 Nr. 1 – Rn. 25) beanstandungsfrei ausgeübt; Ermessensfehler (vgl. § 54 Abs. 2 Satz 2 SGG) sind nicht ersichtlich. Dass der Beklagte sein Ermessen erkannt hat, ergibt sich aus den angefochtenen Bescheiden. Aus der entsprechenden Bescheidbegründung ergibt sich zudem, dass der Beklagte die Interessen der Kläger berücksichtigt und mit dem Interesse der Gemeinschaft der Steuerzahler, bestehende Forderungen mit den zur Verfügung stehenden Mitteln beizutreiben, abgewogen hat. Die Abwägung konnte auf die Aktenlage Bezug nehmen, nachdem die Kläger im Anhörungsverfahren erhebliche Tatsachen nicht vorgetragen hatten und sich dem Beklagten offensichtliche Umstände, die bei der Ermessensausübung zu berücksichtigen waren, nicht aufdrängten. Dass der Beklagte keinen Endzeitpunkt für die Aufrechnung bestimmt hat, ist vor dem Hintergrund der gesetzlichen Regelung in § 43 Abs. 4 Satz 2 SGB II unschädlich (vgl. BSG a.a.O. Rn 31). Diese entspricht auch verfassungsrechtlichen Vorgaben (vgl. zur Zulässigkeit einer Aufrechnung i.H.v. 30% der mtl. Regelleistung BSG a.a.O. Rn. 38 ff, 49).

Ein Forderungserlass (§ 44 SGB II) bzw. eine Niederschlagung sind nicht Streitgegenstand (vgl. BSG, Urteil vom 25. April 2018 – B 14 AS 15/17 R - BSGE 125, 301 = SozR 4-4200 § 40 Nr. 14 – Rn. 33). Soweit die Kläger zuletzt einen Überweisungsbeleg vorgelegt haben, aus dem hervorgehen soll, dass sie auf die im Strafverfahren angeordnete Einziehung von Taterträgen i.H.v. 5.761,68 Euro am 4. Dezember 2023 eine entsprechende Zahlung an die Kosteneinziehungsstelle der Justiz geleistet haben, wird dies im Vollstreckungsverfahren zu berücksichtigen sein.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG) sind nicht ersichtlich.

Rechtskraft
Aus
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