L 7 AS 142/24 B ER

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
1. Instanz
SG Leipzig (FSS)
Aktenzeichen
S 24 AS 232/24 ER
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AS 142/24 B ER
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze

Nach einem umzugsbedingten Wechsel der örtlichen Zuständigkeit ist der bisher örtlich zuständige Leistungsträger nicht berechtigt, aufgrund eines angenommenen Wegfalls der Erreichbarkeit die von ihm bewilligten Leistungen vor Fortsetzung der Leistungserbringung durch den nunmehr zuständigen Leistungsträger aufzuheben, soweit der erwerbsfähige Leistungsberechtigte für den örtlich zuständig gewordenen Leistungsträger erreichbar ist.

  1. Das Jobcenter Leipzig wird zum Verfahren beigeladen.

 

  1. Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Sozialgerichts Leipzig vom 8. März 2024 wird mit der Maßgabe, dass die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen den Bescheid vom 12. Januar 2024 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28. März 2024 (W 314/24) angeordnet wird, zurückgewiesen.

 

  1. Der Antragsgegner hat dem Antragsteller die notwendigen außergerichtlichen Kosten auch für das Beschwerdeverfahren zu erstatten.

 

G r ü n d e :

I.

Im Streit ist die Aufhebung der Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (Leistungen) nach einem Umzug in den örtlichen Zuständigkeitsbereich des Beigeladenen.

 

Der Antragsgegner bewilligte dem 1972 geborenen Antragsteller zuletzt für Januar bis Mai 2024 monatlich 766,14 € (Bescheid v. 16.12.2023 unter Abänderung des Bescheids v. 30.05.2023). Dabei berücksichtigte er bei der Berechnung der Leistungen 563,- € als Regelbedarf und 203,14 € als "KdU" (vgl. Anlage zum vorgenannten Bescheid).

 

Am 09.01.2024 teilte der Antragsteller dem Antragsgegner mit, er sei zum 01.01.2024 nach A.... umgezogen (Schreiben v. 05.01.2024 nebst Meldebescheinigung v. 04.01.2024).

 

Der Antragsgegner hob die Bewilligung von Leistungen ab Februar 2024 auf (Bescheid v. 12.01.2024) und wies den dagegen vom Antragsteller erhobenen Widerspruch gegen die Aufhebung der "Regelleistungen" (Schreiben seines Bevollmächtigten v. 14.02.2024) zurück (Widerspruchsbescheid v. 28.03.2024, W 314/24). Dagegen erhob der Antragsteller nach eigenen Angaben beim Sozialgericht Leipzig (SG) am 02.04.2024 Klage (vgl. Schreiben seines Bevollmächtigten v. 19.04.2024, S. 2; danach Az. des SG: S 9 AS 397/24).

 

Für Januar 2024 hob der Antragsgegner nach Anhörung des Antragstellers (Schreiben v. 15.01.2024) die Bewilligung der "Leistungsart KdU" auf und setzte den von ihm zu erstattenden Betrag auf 203,14 € fest (Bescheid v. 25.01.2024).

 

Am 22.02.2024 hat der Antragsteller beim SG die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen den Bescheid vom 12.01.2024 beantragt (Schreiben seines Bevollmächtigten v. selben Tag). Das SG hat die aufschiebende Wirkung "im Hinblick auf die Regelleistung in Höhe von monatlich 563,00 EUR für Monate Februar 2024 – Mai 2024 angeordnet" (Beschluss v. 08.03.2024). Der Umzug des Antragstellers sei keine rechtserhebliche Änderung für die Aufhebung der bewilligten Leistungen. Der Fortfall der örtlichen Zuständigkeit des Antragsgegners bis zur hier noch nicht erfolgten Fortsetzung der Leistungen durch den Beigeladenen genüge hierfür nicht. Die mangelnde Erreichbarkeit des Antragstellers für den Antragsgegner sei ebenso kein Grund für die Aufhebung der Regelleistung.

 

Der Antragsgegner setzte den - ihm am 11.03.2024 zugestellten - Beschluss um (Schreiben v. 12.03.2024 an den Bevollmächtigten des Antragstellers) und informierte darüber den Beigeladenen (E-Mail v. 11.03.2024). Danach bewilligte der Beigeladene dem Antragsteller auf Antrag vom 08.01.2024 für Januar bis Mai 2024 monatlich 331,24 € als "KdU"; die "Regelleistungen für Januar bis Mai 2024" erhalte er "laut Urteil des Sozialgerichts" vom Antragsgegner (Bescheid v. 13.03.2024 nebst Anlage).

 

Der Antragsgegner hat am 03.04.2024 beim erkennenden Gericht Beschwerde gegen den Beschluss vom 08.03.2024 eingelegt (Schreiben v. selben Tag). Der Antragsteller sei aufgrund seines Umzugs bei ihm von Leistungen ausgeschlossen, da er seine Dienststelle nicht mehr innerhalb von zweieinhalb Stunden erreichen könne. Eine geänderte Begründung für die Aufhebung während des Vorverfahrens sei zulässig. § 2 Abs. 3 SGB X stehe der Aufhebung nicht entgegen. Auf den weiteren Inhalt seines Vorbringens wird Bezug genommen (Schreiben v. 03.04.2024 und 06.05.2024).

 

Der Antragsgegner beantragt,

den Beschluss des Sozialgerichts Leipzig vom 08.03.2024 aufzuheben und den Antrag abzulehnen.

 

Der Antragsteller beantragt,

            die Beschwerde zurückzuweisen.

 

Die Beschwerde sei unzulässig, da dem Antragsgegner ein Erstattungsanspruch gegen den Beigeladenen zustehe, auch wenn er diesen bisher nicht geltend gemacht habe und nach den fachlichen Weisungen der Bundesagentur für Arbeit hinsichtlich des Regelbedarfs nicht geltend zu machen sei. Jedenfalls sei die Beschwerde unbegründet, da er wegen seines Umzugs nicht von Leistungen ausgeschlossen sei. Auf den weiteren Inhalt seines Vorbringens wird Bezug genommen (Schreiben seines Bevollmächtigten v. 19.04.2024 und 08.05.2024).

 

Der Antragsteller und -gegner haben einer Entscheidung durch Einzelrichter zugestimmt (Schreiben v. 15./19.04.2024).

 

Dem Senat liegen neben den Gerichtsakten die vom Antragsgegner vorgelegte Verwaltungsakte (vgl. dessen Schreiben v. 03.04.2024, S. 5) vor.

 

II.

Die Beiladung beruht auf § 75 Abs. 2 Alt. 2 SGG, da der Beigeladene als seit Januar 2024 örtlich zuständiger Leistungsträger (§ 36 Abs. 1 Satz 1 f., § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 f., § 6d,
§ 44b SGB II)
als alternativ leistungspflichtig in Betracht kommt, wenn der Antragsgegner dem Antragsteller die streitgegenständlichen Leistungen (hierzu unter III.) nicht (einstweilig) zu erbringen hat (zur Beiladung des nach einem Umzug örtlich zuständig gewordenen Leistungsträgers vgl. z.B. BSG v. 17.10.2013 - B 14 AS 58/12 R - Rn. 12).

 

Der Anhörung der Beteiligten (§ 69 SGG) bedurfte es aufgrund besonderer Umstände zumindest in diesem Verfahren nicht, da der Beigeladene bereits - ohne Beiladung - erstinstanzlich am Verfahren beteiligt (vgl. dessen Schreiben v. 29.02.2024 auf das gerichtliche Schreiben v. selben Tag) und die Beiladung vom Antragsteller in beiden Instanzen angeregt wurde (vgl. Schreiben seines Bevollmächtigten v. 07.03.2024, S. 2, und 19.04.2024, S. 3), wozu der Antragsgegner hinreichend Gelegenheit zur Stellungnahme hatte. Weiterhin ist der Sachverhalt geklärt, da die bisher Beteiligten nur über Rechtsfragen streiten, und wurde der Beigeladene nicht einstweilig zur Leistung verpflichtet.

 

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 75 Abs. 3 Satz 3 SGG).

 

III.

Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den erstinstanzlichen Beschluss vom 08.03.2024 ist unbegründet. Darüber hat der Senat durch Beschluss seiner Berufsrichter ohne Mitwirkung ehrenamtlicher Richter entschieden (§ 176, § 33 Abs. 1, § 12 Abs. 1 Satz 2 SGG; zur notwendigen Ermessensausübung vor einer Entscheidung durch den sog. konsentierten Einzelrichters vgl. z.B. BSG v. 29.01.2019 - B 2 U 5/18 R - Rn. 14), zumal kein Einverständnis des Beigeladenen zur Entscheidung durch den Berichterstatter als Einzelrichter (§ 155 Abs. 3 f. SGG; zum Erfordernis vgl. z.B. Knittel in: jurisPK-SGG, 2. Aufl., § 155 Rn. 89) vorliegt.

 

Gegenstand des Verfahrens ist neben der erstinstanzlichen Entscheidung der - für die Beteiligten in der Sache nicht bindende (§ 77 SGG) - Bescheid vom 12.01.2024 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28.03.2024 (W 314/24), mit dem der Antragsgegner die Bewilligung von Leistungen "ab 01.02.2024 ganz aufgehoben" hat.

 

Streitgegenstand sind einstweilige Maßnahmen (§ 86b SGG) gegen die Aufhebung der Bewilligung von Leistungen für Februar bis Mai 2024 ohne die Leistungen für die Bedarfe für Unterkunft und Heizung, da der Antragsteller nach seinem Vorbringen im Vorverfahren bereits seinen Widerspruch insoweit beschränkt hat (vgl. Schreiben seines Bevollmächtigten v. 14.02.2024, S. 1: "soweit … Regelleistungen betrifft"; zur Zulässigkeit der Beschränkung vgl. nur BSG v. 05.08.2021 - B 4 AS 82/20 R - Rn. 13).

 

Die Beschwerde ist statthaft (§ 172 Abs. 1 SGG). Sie ist insbesondere nicht nach § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG ausgeschlossen, da in der Hauptsache der Wert des Beschwerdegegenstands 750,- € übersteigt und deswegen die Berufung keiner Zulassung bedürfte (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG).

 

Die Beschwerde ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt (§ 173 Satz 2 SGG). Weiterhin mangelt es dem Antragsgegner trotz der Umsetzung der erstinstanzlichen Entscheidung nicht am erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis (vgl. - zu einstweiligen Anordnungen nach § 86b Abs. 2 SGG - z.B. Senatsbeschluss v. 26.03.2024 - L 7 AS 13/24 B ER - juris Rn. 29 m.w.N.). Ebenso stünde ein Erstattungsanspruch des Antragsgegners gegen den Beigeladenen nach § 2 Abs. 3 Satz 2 f., § 102 Abs. 2 SGB X seinem Rechtsschutzbedürfnis nicht entgegen (vgl. - zumindest für Klagen auf Leistungen bei möglichen Erstattungsansprüchen von Leistungsträgern untereinander - z.B. BSG v. 16.05.2012 - B 4 AS 105/11 R - Rn. 11; BSG v. 12.03.2013 - B 1 KR 7/12 R - Rn. 11), da es sich im Allgemeinen bereits aus dessen formellen Beschwer durch die vorinstanzliche Entscheidung ergibt (vgl. z.B. BSG v. 05.06.2014 - B 4 AS 349/13 B - Rn. 10 und BSG v. 12.12.2023 - B 8 SO 7/22 R - Rn. 9) und eine Ausnahme hiervon in diesem Beschwerdeverfahren nicht vorliegt (zur Unterscheidung zwischen formeller Beschwer und Rechtsschutzbedürfnis sowie zu den Voraussetzungen für dessen Verneinung trotz formeller Beschwer vgl. z.B. BSG v. 17.09.2020 - B 4 AS 13/20 R - Rn. 16).

 

Die Beschwerde ist unbegründet, da das SG die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 12.01.2024 zu Recht und mit zutreffender Begründung angeordnet hat, soweit dieser vom Antragsteller angefochten wurde (zur Beschränkung des Widerspruchs vgl. zuvor). Lediglich wegen des weiteren Verfahrensfortgangs seit dem Beschluss vom 08.03.2024 ist nunmehr die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen (zur Zulässigkeit im Antrags- und Beschwerdeverfahren vgl. z.B. Schmidt in: Meyer-Ladewig u.a., SGG, 14. Aufl., § 86b Rn. 9b, 21 m.w.N. auch zur hiervon abweichenden Auffassung). Dabei kann dahinstehen, ob es hierfür eines gesonderten Antrags bedarf (vgl. zum Streitstand z.B. Burkiczak in: jurisPK-SGG, 2. Aufl., § 86b Rn. 242 ff.), da er jedenfalls dem Vorbringen des Antragstellers im Beschwerdeverfahren (vgl. insb. das Schreiben seines Bevollmächtigten v. 19.04.2024) zu entnehmen wäre.

 

Statthaft ist nunmehr ein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den gegenständlichen Bescheid (§ 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG), da sie (wie bereits der Widerspruch gegen den Bescheid v. 12.01.2024) keine aufschiebende Wirkung hat
(§ 86a Abs. 2 Nr. 4 SGG i.V.m. § 39 Nr. 1 SGB II i.d.F. des Gesetzes v. 26.07.2016, BGBl. I S. 1824), ohne dass es hier eines Antrags auf Aufhebung der Vollziehung des Bescheids (§ 86b Abs. 1 Satz 2 SGG) bedarf (zu entsprechenden Konstellationen vgl. z.B. Senatsbeschluss v. 06.01.2023 - L 7 AS 591/22 B ER - juris Rn. 22 m.w.N.), zumal der Antragsgegner die erstinstanzliche Entscheidung durch "Auszahlung der Leistungen" an den Antragsteller umgesetzt hat (vgl. Schreiben v. 12.03.2024 an dessen Bevollmächtigten).

 

Der Antrag nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG ist begründet. Nach übereinstimmender Auffassung ist die aufschiebende Wirkung anzuordnen, wenn das Interesse des Antragstellers an der Aussetzung der Vollziehung des gegenständlichen Verwaltungsakts (Aussetzungsinteresse) dem gegenläufigen Interesse des Antragsgegners (Vollzugsinteresse) überwiegt, wobei zu den Entscheidungskriterien, deren Gewichtung sowie zum Umfang der Aufklärung der Sach- und Rechtslage unterschiedliche Auffassungen vertreten werden (vgl. z.B. Burkiczak, a.a.O., § 86b Rn. 188 ff. und Keller in: Meyer-Ladewig u.a., SGG, 14. Aufl., § 86b Rn. 12a ff.). Einigkeit besteht indes an der Orientierung an den Erfolgsaussichten in der Hauptsache, da am Vollzug eines rechtswidrigen Verwaltungsakts kein schützenwertes Interesse besteht und bei einem rechtmäßigen Verwaltungsakt das Vollzugsinteresse überwiegt. Ist die Erfolgsaussicht in der Hauptsache nicht offensichtlich, sind alle sonstigen Umstände des Einzelfalls, die für und gegen die sofortige Vollziehung sprechen sowie deren Folgen, gegeneinander abzuwägen (vgl. wiederum z.B. Senatsbeschluss v. 06.01.2023 -
L 7 AS 591/22 B ER - juris Rn. 23)
.

 

Unter Beachtung dieser Maßstäbe ist die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen, da nach dem derzeit vorliegenden Sach- und Streitstand der gegenständliche Bescheid rechtswidrig ist. Auf die zutreffenden erstinstanzlichen Ausführungen wird Bezug genommen, ohne dass es an sich einer weiteren Begründung bedarf (§ 142 Abs. 2 Satz 3 SGG). Zum überwiegend wiederholenden und teils vertiefenden Vorbringen der Beteiligten, insbesondere des Antragsgegners, im Beschwerdeverfahren sind die entscheidungserheblichen Gründe nur wie folgt zu ergänzen:

 

Nach einem Wechsel der örtlichen Zuständigkeit muss die bisher zuständige Behörde die (von ihr bewilligten) Leistungen bis zu deren Fortsetzung durch die zuständig gewordene Behörde erbringen, die wiederum nach dem Zuständigkeitswechsel erbrachte Leistungen auf Anforderung zu erstatten hat (§ 2 Abs. 3 Satz 1 f., § 1 Abs. 2 SGB X, hier i.V.m. § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II). Dadurch soll durch den Wechsel der örtlichen Zuständigkeit keine Unterbrechung des Leistungsverhältnisses eintreten und gewährleistet werden, dass der vorleistende Träger nicht die Kosten der Weiterleistung zu tragen hat (vgl. z.B. BSG v. 01.03.2018 - B 8 SO 22/16 R - Rn. 27). Damit ist eine auf diese Änderung gestützte Aufhebung der Bewilligung von Leistungen durch den bisher zuständigen Leistungsträger grundsätzlich ausgeschlossen (vgl. nur - jeweils m.w.N. - LSG Berlin-Brandenburg v. 23.07.2021 - L 3 AS 785/21 B ER - juris insb. Rn. 27, 31; LSG Berlin-Brandenburg v. 18.11.2021 - L 19 AS 1806/18 - juris insb. Rn. 19, 26 und Aubel in: jurisPK-SGB II, 5. Aufl., § 36 Rn. 93, s. auch den Verweis in BSG v. 07.07.2022 - B 7/14 AS 197/21 B - Rn. 5; Hengelhaupt in: Hauck/Noftz, SGB II, § 36 Rn. 261 f., Stand: November 2020; zum Ausschluss von Entscheidungen nach §§ 44 ff. SGB X gegen den Leistungsberechtigten / -empfänger bei einem bestehenden Erstattungsanspruch der Leistungsträger untereinander nach §§ 102 ff. SGB X aufgrund der Erfüllungsfiktion des § 107 Abs. 1 SGB X vgl. z.B. BSG v. 08.12.2022 - B 7/14 AS 10/21 R und B 7/14 AS 11/21 R - jeweils Rn. 25). Dies gilt jedenfalls, soweit auch nach dem Wechsel der örtlichen Zuständigkeit die Anspruchs- / Leistungsvoraussetzungen vorliegen (vgl. z.B. Aubel, a.a.O., § 36 Rn. 95; Hengelhaupt, a.a.O., § 36 Rn. 271; Paulenz in: Münder/Geiger/Lenze, SGB II, 8. Aufl., § 36 Rn. 32; Roller in: Schütze, SGB X, 9. Aufl., § 2 Rn. 15; zu den hier nicht gegenständlichen Leistungen für Bedarfe für Unterkunft und Heizung vgl. hingegen z.B. LSG für das Land Nordrhein-Westfalen v. 25.02.2021 - L 19 AS 2007/19 - juris insb. Rn. 33 m.w.N; s. insg. zum Vorstehenden weiterhin z.B. Böttiger in: Luik/Harich, SGB II. 6. Aufl., § 36 Rn. 52).

 

Für erwerbsfähige Leistungsberechtigte (§ 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II) gehört die Erreichbarkeit (§ 7b, § 13 Abs. 3 SGB II i.d.F. des Gesetzes v. 16.12.2022, BGBl. I S. 2328; Verordnung zur Regelung weiterer Voraussetzungen der Erreichbarkeit erwerbsfähiger Leistungsberechtigter nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch, Erreichbarkeits-Verordnung - ErrV, v. 28.07.2023, BGBl. I Nr. 207) - ungeachtet einer weiterhin bestehenden Ausgestaltung als Ausschlusstatbestand (vgl. hierzu z.B. Söhngen/Baldschun, SGb 2024, S. 268, 273, 276, m.w.N.; a.A. wohl z.B. Valgolio in: Hauck/Noftz, SGB II, § 7b Rn. 3, Stand: Dezember 2023; zu § 7 Abs. 4a SGB II i.d.F. des Gesetzes v. 20.07.2006, BGBl. I S. 1706, vgl. z.B. BSG v. 16.05.2012 - B 4 AS 166/11 R - Rn. 24) - zu den Anspruchsvoraussetzungen für Leistungen nach dem SGB II (vgl. Kapitel 2 SGB II).

 

Räumlicher Anknüpfungs- und Bezugspunkt für die Erreichbarkeit ist der nähere Bereich des örtlich zuständigen Jobcenters (§ 7b Abs. 1 Satz 2 f. SGB II, § 1 Abs. 1, § 4 Abs. 1 Satz 1 ErrV). Nach einem umzugsbedingten Wechsel der örtlichen Zuständigkeit bestimmt sich die Erreichbarkeit nach dem näheren Bereich des nunmehr örtlich zuständigen Leistungsträgers, da in dessen Bezirk bzw. Gebiet der erwerbsfähige Leistungsberechtigte nun seinen gewöhnlichen Aufenthalt (§ 36 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 f. SGB II, § 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I; vgl. hierzu z.B. BSG v. 08.03.2023 - B 7 AS 7/22 R - Rn. 17) hat, die Erreichbarkeit i.S.d. § 7b SGB II grundsätzlich einen gewöhnlichen Aufenthalt beim örtlich zuständigen Leistungsträger voraussetzt und hiervon abweichende, zeitlich begrenzte (tatsächliche) Aufenthalte außerhalb dessen näheren Bereichs für einen bestimmten "Zeitraum" (§ 13 Abs. 3 SGB II; vgl. hierzu insb. § 7b Abs. 2 Satz 2 SGB II, § 5 ErrV für Abwesenheiten aus wichtigem Grund und § 7b Abs. 3 Satz 2 SGB II, § 7 Abs. 1 Satz 3 f. ErrV für Abwesenheiten ohne wichtigen Grund) erfasst (zum Verhältnis des gewöhnlichen Aufenthalts, auch nach
§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB II, und der Ausschlussgründe nach § 7 Abs. 4 SGB II zur Erreichbarkeit i.S.d. § 7b SGB II vgl. z.B. Geiger in: Münder/Geiger/Lenze, SGB II, 8. Aufl., § 7b Rn. 11 f.; Uyanik, info also 2023, S. 198, 200, 202)
.

 

Damit ändert sich trotz eines umzugsbedingten Wechsels der örtlichen Zuständigkeit die Erreichbarkeit des erwerbsfähigen Leistungsberechtigten nicht, soweit er nach dem Wechsel seines gewöhnlichen Aufenthalts für den örtlich zuständig gewordenen Leistungsträger erreichbar ist. Daher ist der bisher örtlich zuständige Leistungsträger nicht berechtigt, aufgrund eines angenommenen Wegfalls der Erreichbarkeit durch Umzug außerhalb seiner örtlichen Zuständigkeit die von ihm bewilligten Leistungen vor Fortsetzung der Leistungserbringung durch den nunmehr zuständigen Leistungsträger aufzuheben.

 

Aus vorgenannten Gründen folgt der Senat hiervon abweichenden Verlautbarungen (vgl. z.B. Aubel, a.a.O., § 36 Rn. 96; Hengelhaupt, a.a.O., § 36 Rn. 274; Mutschler in: BeckOGK, SGB X, § 2 Rn. 21, Stand: 01.03.2022; Palsherm in: jurisPK-SGB X,
3. Aufl., § 2 Rn. 26
)
nicht, zumal sie sich mit den vorstehenden Darlegungen teils nicht auseinandersetzen, sich auf hier nicht geltendes Recht (§ 7 Abs. 4a SGB II in der bis zum 30.06.2023 geltenden Fassung; zum Geltungszeitraum vgl. z.B. Leopold in: jurisPK-SGB II, 5. Aufl., § 7b Rn. 2 ff.) beziehen sowie die - auch vom Antragsgegner teils - hierzu zitierten gerichtlichen Entscheidungen nicht auf tragenden Gründen zur hier entscheidungserheblichen Rechtsfrage bzw. auf nicht vergleichbaren Sachverhalten beruhen (vgl. insb. Schleswig-Holsteinisches LSG v. 12.04.2011 - L 6 AS 45/10 - juris, wonach u.a. nur die "erhöhte Regelleistung für Alleinstehende/Neue Länder" rechtmäßig aufgehoben und erstattet verlangt werden durfte sowie § 7 Abs. 4a SGB II noch keine Anwendung fand; SG Augsburg v. 21.06.2012 - S 15 AS 664/11 - juris, wonach die Überprüfung einer bindenden Aufhebungsentscheidung wegen "eines vorübergehenden Wegzugs" gegenständlich war; LSG für das Land Nordrhein-Westfalen v. 06.06.2013 - L 7 AS 818/12 - juris, wonach Aufhebung und Erstattung aufgrund der nahtlosen Fortsetzung durch den zuständig gewordenen Leistungsträger rechtmäßig waren; LSG Mecklenburg-Vorpommern v. 15.01.2019 - L 8 AS 251/18 B ER - juris, wonach u.a. die Aufhebung der Leistungsbewilligung für die Zukunft bei einem bereits seit mehreren Monaten geänderten gewöhnlichen Aufenthalt gegenständlich war; aus der von Hengelhaupt a.a.O. zitierten Rn. 19 und 25 der Entscheidung des BSG v. 23.05.2012 - B 14 AS 133/11 R ergibt sich für die hier entscheidungserhebliche Rechtsfrage nichts).

 

Eine Fortsetzung der hier streitigen Leistungen durch den Beigeladenen erfolgte auch im Beschwerdeverfahren nicht (vgl. dessen Bescheid v. 13.03.2024).

 

Damit kann dahinstehen, ob der gegenständliche Bescheid auch aus anderen Gründen rechtswidrig ist und aufgrund der hier allein streitigen Leistungen kein Erstattungsanspruch des Antragsgegners gegen den Beigeladenen besteht oder zumindest nicht geltend zu machen ist (vgl. hierzu z.B. Bundesagentur für Arbeit, Fachliche Weisungen § 36 SGB II, Rn. 36.17, 36.22, Stand: 20.12.2017; s. in diesem Zusammenhang auch BSG v. 23.05.2012 - B 14 AS 133/11 R - Rn. 24).

 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Die Beschwerde gegen diesen Beschluss ist ausgeschlossen (§ 177 SGG).

Rechtskraft
Aus
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