Wird der angegriffene Verwaltungsakt während des Berufungsverfahrens vollständig ersetzt, fehlt für eine parallel betriebene Nichtzulassungsbeschwerde das Rechtsschutzbedürfnis. Der neue Bescheid ist gem § 96 SGG iVm § 153 Abs 1 SGG Gegenstand des Berufungsverfahrens geworden. Über ihn ist auch bei nicht statthafter Berufung (erstinstanzlich) "auf Klage" zu entscheiden.
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Berufung im Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Halle vom 20. April 2020 wird verworfen.
Kosten sind im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Die Kläger begehren die Zulassung der Berufung gegen einen Gerichtsbescheid des Sozialgerichts (SG) Halle. In der Sache geht es ihnen um höhere Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende.
Die Kläger bezogen als Bedarfsgemeinschaft Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts vom Beklagten. Mit Bescheid vom 8. August 2018 hatte dieser ihnen vorläufig Arbeitslosengeld II bzw. Sozialgeld für die Zeit von August 2018 bis Januar 2019 gewährt. Die Vorläufigkeit begründete er mit der Ungewissheit, ob der Kläger zu 2. Einkommen aus selbständiger Tätigkeit erzielen würde. Bei der Ermittlung des Leistungsanspruchs berücksichtigte er als Einkommen u.a. eine Ausbildungsvergütung des Klägers zu 3.
Mit Bescheid vom 16. Oktober 2018 änderte der Beklagte die vorläufige Bewilligung für die Zeit von Oktober 2018 bis Januar 2019 ab, weil ein zuvor bestehender Krankengeldanspruch des Klägers zu 2. geendet habe, die Kläger eine Betriebskostennachzahlung zu leisten hätten und die Klägerin zu 1. ab November 2018 Arbeitslosengeld erhalte.
Gegen diesen Bescheid legten die Kläger Widerspruch ein und rügten, dass die beim Kläger zu 3. angerechnete Ausbildungsvergütung nur um „die ‚normalen‘ Freibeträge nach § 11b SGB II“ bereinigt worden sei, obwohl verschiedene Kosten zu berücksichtigen seien. Für die Versicherungspauschale, die Kfz-Haftpflichtversicherung und Fahrtkosten fielen monatlich durchschnittlich 172 € an.
Während des Widerspruchsverfahrens wurde die vorläufige Leistungsbewilligung für Januar 2019 mit Änderungsbescheid vom 24. November 2018 an die geänderten gesetzlichen Regelbedarfssätze angepasst.
Den Widerspruch der Kläger wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 22. Mai 2019 als unbegründet zurück. Es gehe um eine vorläufige Bewilligung, und die Voraussetzungen, um eine solche zu ändern, lägen nicht vor.
Dagegen haben die Kläger am 24. Juni 2019 beim SG Halle Klage erhoben und beantragt, den angegriffenen Bescheid zu korrigieren. Beziffert haben sie ihren Antrag nicht. Zur Begründung ihrer Klage haben sie auf ihr Vorbringen im Widerspruchsverfahren verwiesen. Im streitigen Zeitraum von Oktober 2018 bis Januar 2019 sei die Ausbildungsvergütung des Klägers zu 3. fehlerhaft angerechnet worden. Freibeträge seien i.H.v. ca. 72 € monatlich unberücksichtigt geblieben. Weiter haben die Kläger im Klageverfahren wiederholt eine endgültige Leistungsfestsetzung durch die Beklagte gefordert.
Mit Gerichtsbescheid vom 20. April 2020 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, es liege kein Fall vor, in dem eine vorläufige Bewilligung nach § 48 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) oder nach § 41a Abs. 2 Sozialgesetzbuch Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II; jetzt: Bürgergeld, Grundsicherung für Arbeitsuchende) zu korrigieren sei. In der Rechtsmittelbelehrung des Gerichtsbescheids wird die Berufung als statthaftes Rechtsmittel angegeben. Er ist dem Prozessbevollmächtigten der Kläger am 21. April 2020 zugestellt worden.
Am 22. Mai 2020, dem Tag nach dem Feiertag Christi Himmelfahrt, haben die Kläger beim Landessozialgericht (LSG) Berufung eingelegt. Das Berufungsverfahren wird unter dem Aktenzeichen L 2 AS 210/20 geführt.
Mit Bescheid vom 3. Juni 2020 setzte der Beklagte die den Klägern gewährten Leistungen für die Zeit von August 2018 bis Januar 2019 endgültig fest.
Nach einem richterlichen Hinweis, dass ihre Berufung unzulässig sei, haben die Kläger am 21. Juni 2023 „vorsorglich“ Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt. Sie verweisen darauf, dass die Rechtsmittelbelehrung des angegriffenen Gerichtsbescheids, wenn man der Auffassung des LSG folge, fehlerhaft gewesen sei. Im Berufungsverfahren haben sie ihre Beschwer nunmehr – mit Blick auf die endgültige Festsetzung – mit 1.540,01 € beziffert.
Der Senat hat die Prozessakte des SG und die Verwaltungsakte des Beklagten beigezogen.
II.
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist zu verwerfen, weil sie unzulässig ist.
Es kann dahinstehen, ob dies schon daraus folgt, dass sie nicht fristgemäß eingelegt worden ist. Gemäß § 145 Abs. 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist die Beschwerde innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils beim LSG einzulegen. Ist in der angegriffenen Entscheidung die erforderliche Rechtsmittelbelehrung unterblieben oder unrichtig erteilt worden, so ist die Einlegung des Rechtsbehelfs gemäß § 66 Abs. 2 Satz 1 SGG nur innerhalb eines Jahres seit ihrer Zustellung, Eröffnung oder Verkündung zulässig, außer wenn die Einlegung vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war oder eine schriftliche oder elektronische Belehrung dahin erfolgt ist, dass ein Rechtsbehelf nicht gegeben sei. Wenn man davon ausgeht, dass demnach auch in Fällen, in denen in der Rechtsmittelbelehrung ein falsches Rechtsmittel genannt wird, die Jahresfrist gilt (vgl. Bundessozialgericht [BSG], Beschluss vom 21. Juni 2011 – B 4 AS 32/11 B – juris Rn. 10; Beschluss vom 8. Februar 2022 – B 4 AS 76/21 BH – juris Rn. 6; LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 27. April 2023 – L 5 AS 388/22 – n.v.; a.A. BSG, Urteil vom 14. Dezember 2006 – B 4 R 19/06 R – juris Rn. 54; Schmidt in: Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Auflage. 2023, § 66 Rn. 13d), wäre die Nichtzulassungsbeschwerde der Kläger verfristet.
Sie ist allerdings unabhängig davon unzulässig, weil es den Klägern am nötigen Rechtsschutzbedürfnis fehlt. Eine stattgebende Beschwerdeentscheidung des Senats und die Zulassung der Berufung würden ihnen keinen Vorteil bringen. Die Entscheidung über die vorläufige Leistungsbewilligung, die allein Gegenstand einer anschließenden Berufungsentscheidung sein kann, hat sich durch die während des Berufungsverfahrens ergangene abschließende Bewilligung vollständig erledigt. Über diese abschließende Entscheidung hat der Senat unabhängig von der Zulassung der Berufung ohnehin aufgrund von § 96 Abs. 1 i.V.m. § 153 Abs. 1 SGG zu entscheiden.
Streitgegenstand des angegriffenen Gerichtsbescheids war der Bescheid vom 16. Oktober 2018 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 24. November 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22. Mai 2019. Mit diesem Bescheid hatte der Beklagte den Klägern Leistungen für die Zeit von Oktober 2018 bis Januar 2019 vorläufig bewilligt. Er ist jedoch während des Berufungsverfahrens durch den Bescheid vom 3. Juni 2020 vollständig ersetzt worden. Damit hat der Beklagte den Klägern für die Zeit von August 2018 bis Januar 2019 Leistungen abschließend bewilligt. Diese abschließende Entscheidung hat mit ihrem Erlass die vorläufige Entscheidung ersetzt und i.S.v. § 39 Abs. 2 SGB X erledigt, ohne dass es einer Aufhebung oder Änderung dieser vorläufigen Entscheidung bedurft hätte (vgl. BSG, Urteil vom 5. Juli 2017 – B 14 AS 36/16 R – juris Rn. 15 m.w.N.). Durch den ursprünglich angegriffenen Bescheid sind die Kläger also nicht mehr beschwert. Der darauf bezogene Gerichtsbescheid ist gegenstandslos geworden (vgl. Schmidt, a.a.O., § 96 Rn. 7) und einer inhaltlichen Überprüfung im Berufungsverfahren nicht mehr zugänglich.
Der Bescheid vom 3. Juni 2020 ist gemäß § 96 Abs. 1 i.V.m. § 153 Abs. 1 SGG Gegenstand des Verfahrens geworden. Da er erst während des Berufungsverfahrens ergangen ist, also nicht Gegenstand des Verfahrens vor dem SG war, hat der Senat über ihn erstinstanzlich auf Klage (nicht auf Berufung) zu entscheiden (vgl. BSG, Urteil vom 8. Oktober 2019 – B 12 KR 8/19 R – juris Rn. 13). Dafür kommt es nicht darauf an, ob die Berufung zulässig ist (vgl. BSG, Urteil vom 30. Oktober 1962 – 2 RU 225/59 – juris Rn. 23; Urteil vom 9. Februar 2000 – B 9 V 29/98 R – Rn. 13; Becker in: Roos/Wahrendorf/Müller, SGG, 3. Auflage 2023, § 96 Rn. 18; Schmidt, a.a.O., § 96 Rn. 7; a.A. Bienert, NZS 2011, 732, 737). Dies gilt auch für die Statthaftigkeit der Berufung.
Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung von § 193 Abs. 1 SGG.
Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).