L 7 VE 7/23 B

Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
1. Instanz
SG Halle (Saale) (SAN)
Aktenzeichen
S 9 VE 10/18
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
L 7 VE 7/23 B
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze

1. Eine Beschwerde gegen die Zurückweisung einer Erinnerung iSv § 120 Abs 4 Satz 2 SGG ist unstatthaft, weil sie gesetzlich ausgeschlossen ist. 2. Wird ein Antrag auf Akteneinsicht abgelehnt, ist Beschwerdegegner der Rechtsträger des Gerichts, welches die Akteneinsicht in die Unterlagen nicht gewährt.
3. Ob die Verweigerung der Akteneinsicht zu einer verfahrensfehlerhaften Entscheidung in der Hauptsache führt, kann nur im Rahmen eines Rechtsmittels gegen die Hauptsacheentscheidung geklärt werden.

Die Beschwerde wird als unzulässig verworfen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Kläger wendet sich mit seinem Rechtsbehelf gegen die durch das Sozialgericht Halle (SG) erfolgte Ablehnung der Gewährung von Akteneinsicht in medizinische Unterlagen.

Der 1966 geborene Kläger beantragte im Jahr 2015 beim Landesverwaltungsamt des Landes Sachsen-Anhalt Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) unter Angabe diverser Tathandlungen durch verschiedene Institutionen (u.a. Kliniken, Behörden, Staatsanwaltschaft, Polizei) im Zeitraum von 1991 bis 2015. Infolgedessen sei seine bereits anerkannte psychische Gesundheitsstörung aufgetreten. Mit Bescheid vom 14. November 2013 war dahingehend ein Grad der Behinderung von 50 festgestellt worden.

Der Antrag wurde mangels Nachweisbarkeit eines tätlichen Angriffs abgelehnt (Bescheid vom 2. Februar 2018). In seinem Widerspruch benannte der Kläger als schädigenden Vorgang eine Zwangseinweisung vom Krankenhaus St. E. und St. B. in die psychiatrische Einrichtung des Universitätsklinikums H. im Jahr 1994.

Gegen den Widerspruchsbescheid vom 13. Juni 2018 hat der Kläger am 4. Juli 2018 beim SG Klage gegen das Land Sachsen-Anhalt, vertreten durch das Landesverwaltungsamt (Beklagter), erhoben (S 9 VE 10/18). Dabei hat er u.a. ausgeführt, dass ihm vom 3. März bis 7. April 1994 für 36 Tage ohne rechtliche Grundlage die Freiheit entzogen worden sei. Ebenso sei während einer früheren Behandlung durch das Krankenhaus St. E. und St. B. im Jahr 1991/1992 sein Recht auf sexuelle Selbstbestimmung durch eine Ärztin verletzt worden.

Das SG hat vom Krankenhaus St. E. und St. B. Unterlagen für die benannten Zeiträume angefordert. Eine Einsichtnahme des Klägers ist vom Krankenhaus nicht ausgeschlossen worden (Schreiben vom 12. Oktober 2020).

Am 23. Februar 2022 hat der Kläger Akteneinsicht in die dem Gericht vorliegenden Behandlungsunterlagen beantragt. Ansonsten sei ihm eine Stellungnahme zum gerichtlichen Schreiben vom 16. Februar 2022, wonach kein tätlicher Angriff festzustellen und der Erlass eines Gerichtsbescheides beabsichtigt sei, nicht möglich. Das SG hat den Kläger darauf hingewiesen, es erachte die Unterlagen für nicht entscheidungserheblich (Schreiben vom 22. März 2022).

Mit Beschluss vom 23. Dezember 2022 hat das SG den Antrag auf Einsicht in die Behandlungsunterlagen des Krankenhauses St. E. und St. B. abgelehnt. Diese seien nicht Bestandteil der Gerichtsakte und auch nicht dem Beklagten übermittelt worden. Auf die Unterlagen komme es nicht an, da der Kläger schon keine konkrete Tathandlung benennen könne, für die diese Unterlagen als Beweis dienen könnten. Die Aufbewahrung (außerhalb der Gerichtsakte) erfolge nur, um eine endgültige Vernichtung nach Ablauf der Aufbewahrungsfrist zu vermeiden. Sehe man deswegen die Unterlagen als Aktenbestandteil an, sei die Akteneinsicht jedenfalls zu beschränken, wofür die Voraussetzungen vorlägen. Die Gefahr der psychischen Dekompensation mit Folgen für Leib und Leben des Klägers sei höher als dessen Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Gegen diese Entscheidung könne das Gericht angerufen werden, welches dann endgültig entscheide (§ 120 Abs. 4 S. 2 Sozialgerichtsgesetz [SGG]).

Mit Gerichtsbescheid vom 23. Dezember 2022 hat das SG die Klage abgewiesen. Auf das Rechtsmittel der Berufung beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt (LSG) hat es darin hingewiesen.

Beide Entscheidungen sind dem Kläger am 1. Februar 2023 zugestellt worden.

Am 8. Februar 2023 hat der Kläger beim SG „Widerspruch zum Beschluss“ eingelegt. Klinikunterlagen seien mit seinem Einverständnis abgefordert und dennoch als nicht relevant angesehen worden. Dies sei nicht verständlich. Er hat zudem weiter zu den schädigenden Ereignissen ausgeführt.

Mit Beschluss vom 15. Februar 2023 hat das SG die Erinnerung gegen den Beschluss vom 23. Dezember 2022 zurückgewiesen. Akteneinsicht sei nicht zu gewähren. Konkrete Tathandlungen seien vom Kläger weiterhin nicht benannt worden. Dieser ist darauf hingewiesen worden, dass der Beschluss unanfechtbar sei.

Gegen den am 17. März 2023 zugestellten Beschluss vom 15. Februar 2023 hat der Kläger am 14. April 2023 beim SG „Widerspruch“ eingelegt. Das SG hat den Rechtsbehelf am 16. Mai 2023 an das LSG übersandt. Diesen hat der Kläger nicht begründet.

Die Prozessakten haben dem Senat vorgelegen.

II.

1.

Gegenstand des Verfahrens ist ausschließlich der Beschluss des SG vom 15. Februar 2023, was sich aus der Anlage zum fristgerecht eingegangenen Rechtsbehelfsschriftsatz des Klägers ergibt. Bei der entsprechend § 123 SGG gebotenen Auslegung ist der „Widerspruch“ als das Rechtsmittel der Beschwerde i.S.v. §§ 172, 173 SGG anzusehen. Grundsätzlich findet nach § 172 Abs. 1 SGG gegen Entscheidungen der Sozialgerichte, die nicht Urteile sind, die Beschwerde an das LSG statt.

2.

Verfahrensgegner ist unter Berücksichtigung des Rechtsträgerprinzips (§ 70 Nr. 1 SGG) das Land Sachsen-Anhalt, vertreten durch den Präsidenten des SG Halle, da der Kläger eine Verpflichtung dieses Gerichts begehrt, ihm Akteneinsicht in dem Gericht vorliegende Unterlagen zu gewähren.

3.

Die Beschwerde ist jedoch aufgrund des gesetzlichen Ausschlusses gemäß § 172 Abs. 1, letzter Hs. SGG i.V.m. § 120 Abs. 4 S. 2, Hs. 2 SGG unstatthaft und damit unzulässig.

Die für das Klageverfahren S 9 VE 10/18 zuständige Kammervorsitzende des SG hat im verfahrensgegenständlichen Beschluss eine Erinnerung gegen den Beschluss vom 23. Dezember 2022 zurückgewiesen. Darin hatte sie dem Kläger die Einsicht in die dem Gericht vorliegenden Behandlungsunterlagen versagt. Gegen eine solche Entscheidung ist nach § 120 Abs. 4 S. 2, Hs. 1 SGG die (fristlose) Erinnerung statthaft gewesen, welche in dem „Widerspruch zum Beschluss“ zu sehen war. Über diesen Rechtsbehelf kann beim SG der Kammervorsitzende durch Beschluss ohne ehrenamtliche Richter selbst entscheiden (Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, 14. Auflage 2023, § 120 Rn. 8a).

Diese Entscheidung über die Zurückweisung der Erinnerung ist aber gemäß § 120 Abs. 4 S. 2, Hs. 2 SGG unanfechtbar („entscheidet endgültig“) und damit vom gesetzlichen Ausschluss der Beschwerde umfasst. Darauf hat das SG den Kläger in zutreffender Weise hingewiesen.

Ob die Verweigerung der Akteneinsicht zu einer verfahrensfehlerhaften Entscheidung in der Hauptsache führen kann, könnte nur im Rahmen eines Rechtsmittels gegen die Hauptsacheentscheidung (hier: Gerichtsbescheid vom 23. Dezember 2022) geklärt werden (Keller, a.a.O., Rn. 10, mwN).

4.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).

Rechtskraft
Aus
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