1. Für die Abgrenzung des Vorsatzes von der bewussten Fahrlässigkeit ist die objektive Gefährlichkeit der Tathandlung zwar ein wesentlicher Indikator sowohl für das Wissens- als auch des Wollenselement des bedingten Vorsatzes. Jedoch kommt es auch bei in hohem Maß gefährlichen Handlungen auf die Umstände des Einzelfalls an.
2. Bei einem unbekannt gebliebenen Täter kann nur aufgrund äußerer Umstände darauf geschlossen werden, dass er bedingt vorsätzlich gehandelt hat. Beweisschwierigkeiten gehen nach den allgemeinen Regeln zu Lasten desjenigen, der die Beweis- oder Feststellungslast trägt.
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom1. März 2023 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt im Wege des Überprüfungsverfahrens die Gewährung von Beschädigtenversorgung nach dem Gesetz über die Entschädigung der Opfer von Gewalttaten (OEG) i. V. m. dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) aufgrund eines Zusammenstoßes als Fußgängerin mit einem Fahrrad am 26. März 2018 gegen 17.00 Uhr, bei dem sie sich unter anderem eine Fraktur der Hüfttotalendoprothese (Hüft-TEP) rechts zuzog.
Sie ist 1940 geboren und beantragte am 10. April 2018 bei dem Landratsamt L1 (LRA) erstmals die Gewährung von Leistungen nach dem OEG. Vorgelegt wurde ein Zeitungsausschnitt mit dem Titel „Dreiste Unfallflucht“: Auf dem Feldweg zwischen den Bahngleisen und der C1 in - B1 habe nach Informationen der Polizei ein bislang unbekannter Fahrradfahrer zunächst die Fußgängerbrücke über die Bahngleise kommend überquert. Anschließend habe er seine Fahrt parallel der Bahngleise fortgesetzt. In diesem Bereich sei er mit einer 77 Jahre alten Fußgängerin zusammengestoßen, die durch den Unfall schwere Verletzungen erlitten habe. Auf einem Taschentuch habe der Unbekannte seine vermeintlichen Personalien hinterlassen und seine Fahrt fortgesetzt. Später habe sich herausgestellt, dass der Mann wohl falsche Angaben gemacht habe.
Nach dem Entlassungsbericht des Krankenhauses B2 über die stationäre Behandlung vom 26. März bis 6. April 2018 wurde die Klägerin im Stand als Fußgängerin von einem Fahrrad angefahren und stürzte auf die rechte Seite. Seitdem bestünden Schmerzen in der rechten Hüfte, an der sie mit einer Hüft-TEP versorgt sei. Am rechten Ellenbogen habe sich eine Schwellung und eine traumatische Bursaverletzung mit oberflächlicher Wunde gezeigt. Es sei zu einer periprothetischen Fraktur der rechten Hüft-TEP gekommen und diese operativ versorgt worden. Die Entlassung sei in die Kurzzeitpflege erfolgt.
Die Verlaufskontrolle am 9. Mai 2018 ergab keinen Anhalt für Entzündungszeichen und keine offensichtliche Bewegungseinschränkung bei reizlosen Wundverhältnissen.
Vom 15. Mai bis 6. Juni 2018 wurde eine stationäre Rehabilitation in der Rehabilitationsklinik S1 durchgeführt. Der Entlassungsbericht beschrieb eine komplikationslose Mobilisation unter Vollbelastung. Eine Verbesserung von Gangsicherheit und –ausdauer habe erzielt werden können. Beweglichkeit, Kraft sowie Belastbarkeit seien gesteigert worden. Bei Entlassung habe ein flüssiges Gangbild an Unterarmgehstützen bestanden, mit einer möglichen Gehstrecke von 500 Metern. Das Treppensteigen gelinge problemlos. In den Verrichtungen des täglichen Lebens sei die Klägerin selbstständig. Die Beweglichkeit des Hüftgelenks habe für Extension/Flexion bei 0-0-90° gelegen.
Das LRA zog die Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft H1 – Verfahren gegen Unbekannt – bei.
Nach dem Polizeibericht sprach die Tochter der Klägerin am Folgetag auf dem Polizeirevier vor und erstattete Anzeige wegen Verkehrsunfallflucht. Die Klägerin habe eine handskizierte Zeichnung von dem Radfahrer zur Akte gereicht. Es sei eine Operation an der rechten Hüfte erfolgt und die Klägerin müsse drei Wochen in der Kurzzeitpflege bleiben. An der Unfallstelle hätten keine Unfallspuren auf der Fahrbahndecke vorgefunden werden können.
Die Klägerin gab an, dass sie zu dritt – sie und die beiden Zeuginnen G1 und G2 – vom Café S2 auf dem Fußweg Richtung B3 an den Gleisen entlanggelaufen seien. Es sei kurz vor 17.00 Uhr gewesen. Sie sei auf dem Fußweg auf der linken Seite gelaufen. Plötzlich habe sie ein kurzes Klingeln gehört, in dem Moment sei auch ein Zug vorbeigefahren. Ein Fahrradfahrer sei plötzlich von hinten auf sie drauf gefahren. Sie sei auf den Boden gestürzt, habe unter Schock gestanden. Ihre Begleiterinnen hätten gefragt, was passiert sei. Der Radfahrer sei auch gekommen und habe versucht, sie hochzuziehen. Sie habe nicht aufstehen können und starke Schmerzen gehabt. Irgendwann habe sie gestanden, habe sich aber nicht bewegen können. Sie habe eine ihrer Begleiterinnen gebeten, die Personalien vom Radfahrer aufzuschreiben. Davor habe sie – ihre Begleiterin – einen Krankenwagen gerufen. Der Fahrradfahrer habe sich bei ihr entschuldigt, als sie noch auf dem Boden gelegen sei. Als sie gestanden sei, habe er es sehr eilig gehabt, er habe ins Geschäft gewollt. Dessen Personalien habe ihre Begleiterin auf ein Taschentuch geschrieben, sie – die Klägerin – habe ihr noch gesagt, sie solle sich den Ausweis zeigen lassen.
E1 G1 gab in ihrer Zeugenvernehmung an, dass sie Kaffee trinken gewesen und anschließend Richtung B3 gelaufen seien. Circa 50 Meter vor der Einmündung zur Brücke sei ein Radfahrer von hinten gekommen. Zeitgleich sei rechts von ihnen ein Güterzug mit viel Lärm gefahren. Irgendetwas habe sie von hinten gehört, weshalb sie nachgeschaut habe. Es sei ein Fahrradfahrer gewesen, die Klägerin habe instinktiv einen Schritt zum linken Wegrand gemacht. Im dem Moment sei sie durch den Radfahrer angefahren worden. Sie sei auf den Boden gefallen, auch der Radfahrer sei gestürzt, habe aber wieder aufstehen können. Dann sei ein Ehepaar, das hinter ihnen gelaufen sei, gekommen. Gemeinsam hätten sie der Klägerin auf die Beine geholfen. Auch der Radfahrer habe sich daran beteiligt. Die Klägerin habe nicht mehr auf ihrem rechten Bein stehen können. Der Radfahrer habe gesagt, dass er zur Arbeit müsse. Sie hätten dem Radfahrer geglaubt, dass seine Personalien echt seien. Ihre größte Sorge sei gewesen, dass der Notarzt schnell komme. An die Polizei hätten sie in dem Moment nicht gedacht.
E2 G2 schilderte, ebenfalls als Zeugin gehört, dass sie über die Fußgängerbrücke nach B3 gewollt hätten. In dem Moment sei ein Güterzug auf den Gleisen gefahren. Sie hätten hinter sich ein Geräusch gehört. Sie habe sich umgedreht und den Radfahrer hinter sich gesehen. Links von ihnen seien noch circa 50 cm Platz gewesen. Sie habe die Klägerin gewarnt, dass hinter ihnen ein Radfahrer durchfahren wolle. Die Klägerin habe einen Schritt nach links gemacht, in dem Moment sei der Radfahrer an ihnen vorbei gefahren und habe die Klägerin erfasst. Der Radfahrer sei auf die Beine der Klägerin gefallen. Wie das Fahrrad ausgesehen habe, wisse sie nicht. Der Radfahrer habe ihnen seine Personalien gesagt und dann, dass er jetzt unbedingt zur Arbeit müsse. Wo er arbeite, hätten sie nicht verstanden. Er sei dann losgefahren. Auf die Idee, den Radfahrer mit ihrem Handy zu fotografieren oder die Polizei anzurufen, sei sie nicht gekommen.
M1 B4 gab, als Zeugin gehört, an, dass sie sich mit ihrem Mann auf ihrem Gartengrundstück befunden habe. Es seien drei Damen vorbeigelaufen, eine habe sie aus ihrem Sportverein gekannt. Kurze Zeit später sei ein Radfahrer vorbeigefahren, sie habe ihm hinterher geschaut und gesehen, wie zwei der drei Damen nach rechts und eine nach links ausgewichen sei. Dann sei es zum Aufprall mit dem Radfahrer gekommen und eine Dame auf den Boden gefallen. Der Radfahrer habe sein Fahrrad hingelegt und versucht, mit Hilfe der anderen zwei Damen die Klägerin aufzurichten. Sie und ihr Mann seien zur Unfallstelle gelaufen, der Fahrradfahrer habe immer wieder gesagt, dass er zur Arbeit müsse.
Deren Ehemann S3 B4 gab an, dass er und seine Frau einen Spaziergang hätten machen wollen. Sie seien aus ihrem Gartengrundstück gegangen und hätten das Tor abgeschlossen. Als sie sich umdrehten, hätten sie gesehen, dass ein Mann einer Frau habe helfen wollen, dass sie vom Boden aufstehen könne. Die Frau habe aber nicht stehen können. Zu diesem Zeitpunkt seien sie etwa 30 Meter entfernt gewesen. Eine Begleiterin habe ihm ihr Handy gegeben, damit er den Unfallort beschreiben können. Er sei zur Wendeplatte gegangen, habe auf den Krankenwagen gewartet und diesen eingewiesen. Als er zurückgekommen sei, sei der Radfahrer nicht mehr da gewesen. Dieser habe Namen und Adresse auf ein Taschentuch geschrieben gehabt. Er wisse nur noch, dass der Radfahrer Arbeitsschuhe getragen habe.
Mit Bescheid vom 16. August 2018 lehnte das LRA den Antrag ab. Ein vorsätzlicher rechtswidriger Angriff sei mangels Vorsatzes nicht gegeben. Eine feindselige Willensrichtung des Fahrradfahrers, die bei einem Vorsatz vorliege, sei nicht nachgewiesen. Aus den äußeren Umständen ergebe sich, dass der Radfahrer geklingelt habe, auch wenn zeitgleich ein Zug vorbeigefahren sei. Außerdem habe der Radfahrer nach dem Zusammenstoß angehalten, sei abgestiegen und habe versucht, der Klägerin wieder auf zu helfen. Zudem habe er sich bei der Klägerin entschuldigt. Die Tat sei damit nur aus Unachtsamkeit und deshalb fahrlässig erfolgt. Dagegen spreche nicht, dass falsche Personalien angegeben worden seien, sodass der Fahrradfahrer unbekannt geblieben sei.
Gegen den Bescheid erhob die Klägerin Widerspruch und machte geltend, dass sie zum Sachverhalt bisher nicht befragt worden sei. Dieser habe sich aus ihrer Sicht so dargestellt, dass sie mit zwei anderen Frauen spazieren gegangen sei. Ein Fahrradfahrer habe sie plötzlich und unerwartet von hinten angefahren und zu Fall gebracht. Im Weiteren habe der Radfahrer an ihr gezerrt und sie mit körperlicher Kraft begleitet von Worten des Bedauerns zum Aufstehen gezwungen, obwohl sie wiederholt geäußert habe, nicht aufstehen zu können und dies auch nicht zu wollen. Der Fahrradfahrer habe sich mit der Begründung entfernt, es eilig zu haben, bevor der Rettungsdienst sie fachgerecht versorgt habe.
Im Bescheid werde mitgeteilt, dass der Radfahrer geklingelt habe. Eine Fahrradklingel diene als Signalgerät, um sich als Radfahrer im Straßenverkehr akustisch durch Schallzeichen bemerkbar zu machen oder vor einer Gefahr zu warnen. Dies impliziere, dass der Radfahrer die vorausgehende, langsamere Gruppe, die er offensichtlich habe überholen wollte, wahrgenommen habe. Von Unachtsamkeit könne bei objektiver Betrachtung keine Rede sein. Der Radfahrer habe sie unmittelbar von hinten angefahren und damit die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in höchsten Maße außer Acht gelassen.
Den Widerspruch wies das Regierungspräsidium S4 – Landesversorgungsamt – mit Widerspruchsbescheid vom 7. November 2018 zurück. Auch unter Berücksichtigung der Einlassungen vom 10. September 2018 und 24. Oktober 2018 – in der Beschwerde an den Landrat über die Bearbeitung des Antrages – ergäben sich keine Hinweise, die ein Abweichen von der bisherigen Beurteilung rechtfertigten. Die Geschädigtenvernehmung der Klägerin sei aktenkundig, sodass es nicht zutreffe, dass man ihre eigenen Angaben für nicht erforderlich halte. Nach der Zeugenaussage der Frau G2 vom 27. März 2018 habe diese die Klägerin darauf hingewiesen, dass sich von hinten ein Radfahrer näherte. Während Frau G2 und Frau G1 daraufhin nach rechts weggegangen seien, um Platz für den Radfahrer zu schaffen, habe sich die Klägerin als einzige nach links bewegt. Der Radfahrer habe mitgeholfen, die Klägerin wiederaufzurichten, sich bei ihr entschuldigt und mitgeteilt, dass er dringend zur Arbeit müsse. Er habe bereits Arbeitsschuhe getragen. Das Verhalten des unbekannten Radfahrers sei allein dem Umstand geschuldet gewesen, dass er es eilig zur Arbeitsstelle hatte und deshalb wohl etwas riskanter mit dem Fahrrad unterwegs gewesen sei.
Am 3. Dezember 2018 erhob die Klägerin Klage beim Sozialgericht Heilbronn (SG – S 2 VG 3998/18) und machte geltend, dass sie von einem Radfahrer plötzlich von hinten angefahren und zu Fall gebracht worden sei. Im selben Moment habe sie ein Fahrradklingeln wahrgenommen. Es liege ein mindestens bedingt vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff vor. Die äußeren Umstände ließen keinen Zweifel daran entstehen, dass der Radfahrer die Fußgängergruppe wahrgenommen habe und sein Fahrrad bewusst gelenkt habe. Er habe stets willensgesteuert gehandelt. Die Ausführungen im Widerspruchsbescheid erweiterten den Blick auf den Sachverhalt. Der Radfahrer habe zweifelsfrei bereits von Weitem die Fußgängergruppe gesehen, denn sonst hätten die Zeugen kein Klingeln vernommen und auch den Weg zur Vorbeifahrt nicht freigemacht. Der Radfahrer habe sich „seines Sehens und Wissens“ auf die Situation einstellen und theoretisch sogar gefahrlos vorbeifahren können. Nach dem Sturz habe er sie gegen ihren ausdrücklich bekundeten Willen hoch gezerrt. Damit sei eine weitere unmittelbare tätliche Gewaltanwendung durch den Radfahrer erfolgt. Diese Tat sei durch Erste-Hilfe–Maßnahmen nicht zu rechtfertigen, da sie sämtliche diesbezügliche Handlungen von Beginn an ausdrücklich abgelehnt und geäußert habe, Schmerzen zu haben. Ob ihrer schweren Verletzungen sei sie nicht in der Lage gewesen, sich körperlich zu wehren und diesen Angriff abzuwenden. Ergänzend legte sie ein Lichtbild von dem Unfallort vor (vgl. Blatt 24 SG-Akte).
Im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 13. Juni 2019 (vgl. Protokoll) erklärte die Tochter der Klägerin, als deren Bevollmächtigte, dass bisher noch gar nicht berücksichtigt worden sei, dass der Radfahrer nach dem Unfall die Klägerin angefasst habe. Er habe an ihr gezerrt. Es sei nicht ganz klar, was diese Handlungen, die sich die Klägerin verbeten habe, letztlich ausgelöst hätten. Diese Handlungen seien mit dem Begriff „auf die Beine stellen“ bezeichnet worden, darin sei ein tätlicher Angriff zu sehen.
Mit Urteil vom gleichen Tag wies das SG die Klage ab. Aus den objektiven Umständen könne nicht auf einen beim Radfahrer vorliegenden dolus eventualis geschlossen werden. Zwar habe sich der Radfahrer mit hoher Geschwindigkeit genähert, aber gleichzeitig die Fußgängergruppe durch Klingeln gewarnt. Daraus könne nur geschlossen werden, dass er sich der Gefahrensituation bewusst gewesen sei. Schlüsse auf das daneben erforderliche voluntative Element könnten hieraus keine gezogen werden. Es könne schlicht nicht davon ausgegangen werden, dass der Radfahrer einen Unfall billigend in Kauf genommen habe. Zur Beurteilung der Frage, ob der Radfahrer vorsätzlich gehandelt habe, schieden die Vorgänge nach dem Zusammenstoß aus. Durch eine eventuelle Unfallflucht könne nicht auf den Vorsatz hinsichtlich des Unfallgeschehens geschlossen werden. Soweit in der mündlichen Verhandlung darauf abgestellt worden sei, dass der Radfahrer an der Klägerin „gezerrt“ habe, fehle es an der kausalen Beziehung zwischen dem tätlichen Angriff und den erlittenen Verletzungen.
Am 3. August 2019 erhob die Klägerin Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg (L 6 VG 2568/19). Nach Hinweis des Berichterstatters auf die wohl fehlenden Erfolgsaussichten machte die Klägerin geltend, dass das SG seine Entscheidung auf einen unvollständig wiedergegebenen Unfallhergang gestützt habe. Nachdem der Radfahrer geklingelt habe, hätten zunächst die beiden Zeuginnen dem Radfahrer nach rechts Platz gemacht und sie – die Klägerin – auf den Radfahrer aufmerksam gemacht. Sie sei dann nach links ausgewichen. Der Radfahrer habe freie Fahrt auf dem Asphaltweg gehabt, sie aber auf dem Seitenstreifen erfasst. Richtig sei, dass er sie auf dem Wildwiesenstreifen fahrend erfasst habe, während sie sich am Rand des Asphaltweges befunden habe. Die Entscheidung des Radfahrers, mit hoher Geschwindigkeit zu fahren und diese auch bei der aufgetretenen Gefahrensituation nicht zu drosseln, zeuge davon, dass ihm eventuelle Gefährdungen als möglich erschienen seien, er das Risiko, hierdurch jemanden zu verletzen, aber als unerheblich begriffen habe, wodurch ihm in seinem Handeln mindestens Eventualvorsatz vorzuwerfen sei.
Das Zerren an ihr, das allen adäquaten Erste-Hilfe-Maßnahmen widerspreche, stelle eine weitere vorsätzliche Schädigung der Gesundheit dar. Möglicherweise sei erst durch das Tun des Radfahrers die Verletzung so schwerwiegend geworden.
Weiter machte die Klägerin geltend, dass unter nicht situationsadäquater Darstellung der örtlichen Gegebenheiten davon ausgegangen werde, der Radfahrer habe geklingelt und damit ausreichend signalisiert, er wolle einen Unfall vermeiden. Offenbar sei ihre Aussage, dass sie in dem Moment gestürzt sei, als sie ein – objektiv zweites – Klingeln des Radfahrers gehört habe, nicht berücksichtigt. Dies lasse an der Beurteilung, die Tat sei vom Radfahrer trotz des von den Fußgängerinnen freigegebenen Weges fahrlässig begangen worden, erheblich zweifeln. Unberücksichtigt bleibe weiter die überhöhte Geschwindigkeit des Radfahrers, die dieser auch nach seinem ersten Klingeln beibehalten habe. Spätestens wegen des zweiten Klingelns des Radfahrers könne nicht mehr nur von „besonderer Unbesonnenheit“ ausgegangen werden. Er habe die Fahrspur gewechselt, nochmal geklingelt und sie im selben Moment angefahren. Dies mache offenbar, dass es ihm gleichgültig gewesen sei, andere Verkehrsteilnehmer möglicherweise zu verletzen. Auch spreche der zu geringe Seitenabstand beim Überholen auf einem unebenen Weg schon dem Anscheinsbeweis nach dafür, dass jegliche Rücksicht gegenüber dem schwächeren Verkehrsteilnehmer bewusst außer Acht gelassen worden sei.
Nach von ihr beantragter Übersendung von Kopien aus den Verwaltungsakten machte die Klägerin dann geltend, dass sich aus den Protokollen nicht ergebe, dass der Radfahrer geklingelt habe, um die Fußgängergruppe zu warnen. Die „Prozessbevollmächtigte“ sei bisher von einer ordentlichen Amtsermittlung ausgegangen und habe die Sachverhaltsdarstellung des Beklagten einschließlich der gerichtlichen Überprüfung als korrekt unterstellt. Nunmehr müsse diese basierend auf den Vernehmungsprotokollen bestritten werden. Der Radfahrer habe nicht geklingelt, sämtliche darauf beruhenden den Anspruch ablehnenden Begründungen gingen fehl. Obwohl die Gruppe von sich aus den Weg freimachte, habe der Radfahrer diesen verlassen und sie – die Klägerin – ohne jegliche Vorwarnung zu Fall gebracht. Es lasse sich einzig und allein das von ihr zu Protokoll gegebene Klingeln mit sofort einhergehender Unfallverursachung feststellen. Dies sei in Unkenntnis der Protokolle bisher als „objektiv zweites Klingeln“ dargestellt worden. Der Radfahrer habe auf der geraden, gut überblick- und einschätzbaren Strecke ohne Gefahr die Fußgängergruppe passieren können. Doch er habe die Fahrspur gewechselt und sie – die Klägerin – im selben Moment klingelnd angefahren. Auch spreche der zu geringe Seitenabstand beim Überholen auf einem unebenen, schmalen Weg schon dem Anscheinsbeweis nach dafür, dass jegliche Rücksicht bewusst außer Acht gelassen worden sei.
Weiter wurden Kopien der Vernehmungsprotokolle übersandt, auf denen von der Zeugin G2 am 12. Dezember 2019 handschriftlich vermerkt wurde, dass sie ein Klingeln oder Rufen nicht vernommen habe und von der Zeugin G1, dass sie kein Klingeln oder Rufen wahrgenommen habe, also keine Warnung erfolgt sei.
Nachdem der Berichterstatter mitgeteilt hatte, dass beabsichtigt sei, gemäß § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) die Berufung durch Beschluss zurückzuweisen, wurde die Berufung zurückgenommen (Schriftsatz vom 21. Dezember 2019).
Bereits am 14. April 2020 beantragte die Klägerin die Überprüfung des Bescheides vom 16. August 2018. Erst im Berufungsverfahren habe sich herausgestellt, dass immer auf ein Klingeln des Radfahrers abgestellt werden sei, dies aber nicht zutreffe. Weiter habe sich ergeben, dass der mit hoher Geschwindigkeit fahrende Radfahrer sie ohne jegliche Vorwarnung angefahren, sie gegen ihren Willen hochgezerrt habe. Es sei von einem bedingten Vorsatz auszugehen, dass der Radfahrer also billigend in Kauf genommen habe, dass sie – die Klägerin – verletzt werde. Die beiden Zeuginnen hätten nicht von einem Klingeln gesprochen, sondern von einem „Geräusch“, das hinter ihnen gewesen sei.
Den Antrag lehnte das LRA mit Bescheid vom 4. Mai 2020 ab. Die Klägerin habe bei ihrer polizeilichen Vernehmung selbst angegeben, ein kurzes Klingeln gehört zu haben. Dies werde gestützt durch die Aussagen der beiden Zeuginnen. Die Zeugin G1 spreche davon, dass sie irgendetwas „von hinten“ gehört habe, weshalb sie sich umgedreht und den Radfahrer kommend gesehen habe. Die Zeugin G2 habe ebenfalls ein Geräusch gehört, sich umgedreht und den Radfahrer gesehen, die Klägerin noch auf den sich nähernden Radfahrer hingewiesen. Die vorgebrachte Argumentation treffe daher nicht zu.
Gegen den Bescheid erhob die Klägerin Widerspruch und machte geltend, dass ein dolus eventualis des Täters vorgelegen habe. Hierfür sei erforderlich, dass der Täter eine körperliche Einwirkung auf das Opfer für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen habe. Es sei bislang fälschlich davon ausgegangen worden, dass der Radfahrer die Gruppe vor dem Unfall durch ein Klingeln gewarnt habe. Fakt sei, dass der Fahrradfahrer sich mit sehr hoher Geschwindigkeit genähert habe. Entgegen der bisherigen Annahme habe er jedoch vor dem Zusammenstoß nicht mit einem Klingeln gewarnt. Die beiden Zeuginnen hätten nur ein Geräusch gehört, zeitgleich sei aber auch ein Güterzug auf den Gleisen gewesen. Sie – die Klägerin – habe das Klingeln in dem Moment vernommen, als der Unfall passiert sei. Es könne also sein, dass das Klingeln durch den Sturz entstanden sei. Herausfinden könne man das nicht mehr, da der Radfahrer wegen seiner falschen Angaben nicht mehr auffindbar sei. Ein Radfahrer, der sich einer Gruppe älterer Damen von hinten mit hoher Geschwindigkeit nähere, nehme billigend in Kauf, dass etwas geschehe. Selbst wenn er geklingelt hätte, was nicht geschehen sei, hätte dies nichts geändert.
Ergänzend sei mitzuteilen, dass die beiden Zeuginnen sich anfänglich bemüht hätten, ihr beim Aufstehen behilflich zu sein. Sie hätten aber nicht an ihr gezerrt und auf ihre Bitten auch von ihr abgelassen. Sie hätten sich dann der Organisation der Verletztenversorgung gewidmet, indem sie telefoniert hätten. Während dieser Zeit habe der Radfahrer massiv an ihr gezerrt, wie der Zeuge B4 bestätigt habe. Die beiden Zeuginnen hätten im Nachgang bestätigt, dass sie kein Klingeln oder Rufen vernommen hätten. Sie habe sich nicht nur an der rechten Hüfte verletzt, sondern auch eine Oberschenkelfraktur rechts erlitten.
Den Widerspruch wies das Regierungspräsidium S4 – Landesversorgungsamt – mit Widerspruchsbescheid vom 9. November 2020 zurück. Eine Rechtswidrigkeit könne nicht festgestellt werden, da ein dolus eventualis des Radfahrers nicht nachgewiesen sei. Die Klägerin habe selbst angegeben, ein kurzes Klingeln des Fahrradfahrers gehört zu haben. Die aktuellen Zweifel an der damaligen Aussage reichten nicht aus, um eine Rechtswidrigkeit des Bescheides anzunehmen, die jetzigen Ergänzungen der Zeuginnen führten zu keiner anderen Beurteilung. Der nunmehrige Vortrag, dass die Klägerin von dem Radfahrer mehrfach hochgezerrt worden sei, finde keine Bestätigung in der damaligen Zeugenaussage des Herrn B4, wäre im Übrigen aber auch kein Nachweis für einen Vorsatz. Das SG habe bereits festgestellt, dass die Verletzungen bei dem Sturz ausgelöst worden seien und nicht durch das Aufstellen nach dem Unfallereignis. Das Vorbringen, dass sich der Fahrradfahrer der Gruppe von hinten mit hoher Geschwindigkeit genähert habe, spreche nicht für die Annahme eines bedingten Vorsatzes. Vielmehr sei zu berücksichtigen, dass es im Alltag viele Fahrradfahrer gebe, welche auf Fußgängerwegen mit hoher Geschwindigkeit ohne ausreichenden Sicherheitsabstand an Personengruppen vorbeiführen, mit oder ohne Klingelzeichen.
Am 2. Dezember 2020 hat die Klägerin erneut Klage beim SG erhoben und ihr Vorbringen wiederholt. Weiter hat sie auf die Entscheidung des Oberlandesgerichtes Frankfurt vom 9. Oktober 2012 – 22 U 10/11 – verwiesen. Darin ist ausgeführt, dass der dortigen Beklagten ein fahrlässiges Verhalten beim Heraustreten auf den Bürgersteig nicht vorgeworfen werden könne. Bei einem gemeinsamen Rad- und Fußweg träfen den Radfahrer höhere Sorgfaltspflichten als den Fußgänger. Diese könnte ihn zur Herstellung von Blickkontakt, Verständigung und notfalls Schrittgeschwindigkeit zwingen. Radfahrer hätten auf kombinierten Geh- und Radwegen keinen Vorrang, Fußgänger müssten sie aber vorbeifahren lassen, wobei Radfahrer jede Gefährdung vermeiden müssten. Eine Unachtsamkeit der Beklagten sei nicht zu erkennen. Diese habe sich darauf verlassen können, dass Fahrradfahrer, die den Gehweg benutzen, sich so verhielten, dass ein Heraustreten auf den Gehsteig in vertretbarem Maße möglich gewesen sei. Das Landgericht habe zutreffend ausgeführt, dass es völlig realitätsfern sei, von einem Fußgänger zu verlangen, dass er vor Betreten des Gehsteigs mit dem Kopf aus dem Eingang herausschaue und auf zu nah heranfahrende Fahrradfahrer achten müsse.
Nach Anhörung der Beteiligten hat das SG die Klage mit Gerichtsbescheid vom 1. März 2023 abgewiesen. Das Gericht verweise auf die Ausführungen der Beklagten im Widerspruchsbescheid (§ 136 Abs. 3 SGG). Ergänzend sei darauf hinzuweisen, dass der Vortrag zum generellen bedingten Vorsatz von Radfahrern fernliegend sei. Im Übrigen werde auf die Ausführungen im Urteil vom 13. Juni 2019 verwiesen, weiterhin gehe die Nichterweislichkeit der Frage, ob der Radfahrer vorsätzlich gehandelt habe, zu Lasten der Klägerin. Weitere Ermittlungsansätze seien nach wie vor nicht ersichtlich.
Am 22. März 2023 hat die Klägerin wiederum Berufung beim Senat eingelegt. Es habe sich inzwischen ein anderer Sachverhalt herausgestellt, nämlich, dass der mit hoher Geschwindigkeit fahrende Radfahrer sie ohne jegliche Vorwarnung angefahren und anschließend gegen ihren Willen hochgezerrt habe. Insbesondere könne nicht mehr davon ausgegangen werden, dass der Radfahrer sie durch ein Klingeln habe warnen wollen. Er sei vielmehr erst im letzten Moment von einer ihrer Begleiterinnen bemerkt worden. Gleichzeitig sei auf den naheliegenden Gleisen ein Güterzug mit viel Lärm vorbeigefahren. Weiter genüge es, dass sich der Vorsatz auf die wesentlichen Elemente der Angriffshandlung beziehe, der Erfolg müsse nicht beinhaltet werden. Ein direkter Vorsatz werde nicht vorausgesetzt, vielmehr reiche ein dolus eventualis aus. Dies sei in den vorausgegangenen Entscheidungen wegen des unrichtigen Sachverhaltes nicht erkannt worden. Nach den vorliegenden Zeugenaussagen habe sich der Radfahrer mit hoher Geschwindigkeit von hinten genähert, ohne auf sich aufmerksam zu machen. Sowohl sie als auch die Zeuginnen hätten sich auf einem Feldweg befunden, der von Radfahrern und Fußgängern gleichermaßen genutzt werde. In diesem Fall hätten Radfahrer jedoch keinen Vorrang. Wenn ein Radfahrer Fußgänger passiere, müsse er jede Gefährdung vermeiden. § 3 der Straßenverkehrsordnung (StVO) sei von Radfahrern ebenfalls zu beachten.
Bei einem gemeinsam genutzten Weg träfen Radfahrer höhere Sorgfaltspflichten, die Radfahrer hätten die Belange der Fußgänger besonders zu berücksichtigen und insbesondere bei unklarer Verkehrslage gegebenenfalls Schrittgeschwindigkeit zu fahren, um ein sofortiges Anhalten zu ermöglichen. Auf betagte oder unachtsame Fußgänger müsse der Radfahrer besondere Rücksicht nehmen sowie mit Unaufmerksamkeiten oder Schreckreaktion rechnen. Seine Geschwindigkeit habe er so zu bemessen, dass er innerhalb einer übersehbaren Strecke anhalten könne.
Der Radfahrer sei mit hoher Geschwindigkeit unterwegs gewesen, da er offenbar dringend zur Arbeit gemusst habe. Er sei daher bewusst mit überhöhter Geschwindigkeit auf der schmalen Fahrbahn unterwegs gewesen. Anstatt seine Geschwindigkeit zu vermindern, sei er mit vorsätzlich überhöhter Geschwindigkeit weitergefahren, habe einen möglichen Zusammenstoß auch aufgrund der hohen Geschwindigkeit mit einer erheblichen Verletzung billigend in Kauf genommen. Zum Beweis werde beantragt, die Zeuginnen G1 und G2 zu hören.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 1. März 2023 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihr unter Aufhebung des Bescheides vom 4. Mai 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. November 2020 sowie unter Rücknahme des Bescheides vom 16. August 2018 Beschädigtenversorgung, insbesondere Beschäftigtengrundrente, zu gewähren,
hilfsweise zum Beweis des Tathergangs
1. Frau E3 G1, E4, B6
2. Frau E2 G2, B5, B6
als Zeugen zu vernehmen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
Er verweist auf die angefochtene Entscheidung.
Der Senat hat die Akten der Vorverfahren beigezogen und der Klägerin Einsicht gewährt.
Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Verwaltungs- und Gerichtsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die form- und fristgerecht (§ 151 SGG) eingelegte Berufung der Klägerin ist statthaft (§§ 143, 144 SGG) und auch im Übrigen zulässig, aber unbegründet.
Streitgegenstand des Berufungsverfahrens ist der Gerichtsbescheid des SG vom 1. März, mit dem die kombinierte Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 und 4 SGG, vgl. Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, Kommentar zum SGG, 14. Aufl. 2023, § 54 Rz. 20c) auf Gewährung von Beschädigtenversorgung, insbesondere Beschädigtengrundrente, unter Aufhebung des Bescheides vom 4. Mai 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides (§ 95 SGG) vom 9. November 2020 sowie unter Rücknahme des Bescheides vom 16. August 2018 abgewiesen worden ist. Maßgebender Zeitpunkt für die Beurteilung des Antrags nach § 44 SGB X ist die damalige Sach- und Rechtslage aus heutiger Sicht („geläuterte Rechtsauffassung“ vgl. BSG, Urteil vom 30. Januar 2020 – B 2 U 2/18 R –, juris, Rz. 16).
Die Unbegründetheit der Berufung folgt aus der Unbegründetheit der Klage. Der Bescheid vom 4. Mai 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. November 2020 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 54 Abs. 1 Satz 2 SGG). Auch zur Überzeugung des Senats kann sie die Gewährung von Beschädigtenversorgung nicht beanspruchen, sodass der Beklagte zu Recht die Rücknahme des Bescheides vom 16. August 2018 abgelehnt und das SG die Klage zu Recht abgewiesen hat.
Rechtsgrundlage des Bescheides ist § 44 Abs. 1 SGB X. Danach ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind.
Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt, da weder der Beklagte noch das SG von einem unzutreffenden Sachverhalt ausgegangen sind, nachdem die Entscheidungen sich nicht tragend auf ein vermeintliches Klingeln des Radfahrers stützen, welches die Klägerin nunmehr gänzlich in Abrede zu stellen versucht.
Materiell-rechtlich sind die Vorschriften des BVG in seiner bis 31. Dezember 2023 geltenden Fassung anzuwenden. Gemäß § 142 Abs. 1 Satz 1 Vierzehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XIV) in der ab 1. Januar 2024 geltenden Fassung erhalten Personen, deren Ansprüche nach dem Bundesversorgungsgesetz oder nach einem Gesetz, dass das Bundesversorgungsgesetz ganz oder teilweise für anwendbar erklärt, in der bis zum 31. Dezember 2023 geltenden Fassung bis zum 31. Dezember 2023 bestandskräftig festgestellt sind, diese Leistungen nach dem Bundesversorgungsgesetz oder nach dem Gesetz, dass das Bundesversorgungsgesetz für anwendbar erklärt, in der am 23. Dezember 2023 geltenden Fassung weiter, soweit dieses Kapitel nichts anderes bestimmt. Über einen bis zum 23. Dezember 2023 gestellten und nicht bestandskräftig entschiedenen Antrag auf Leistungen nach dem Bundesversorgungsgesetz oder nach einem Gesetz, dass das Bundesversorgungsgesetz ganz oder teilweise für anwendbar erklärt, ist nach dem im Zeitpunkt der Antragstellung geltenden Recht zu entscheiden, § 142 Abs. 2 Satz 1 SGB XIV. Wird hierbei ein Anspruch auf Leistungen festgestellt, werden ebenfalls Leistungen nach Absatz 1 erbracht, § 142 Abs. 2 Satz 2 SGB XIV.
Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch ist § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG in Verbindung mit § 9 Abs. 1 Nr. 3 Alt. 1, § 30, § 31 BVG. Danach erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG, unter anderem auch Beschädigtengrundrente nach § 31 Abs. 1 BVG, wer im Geltungsbereich des OEG oder auf einem deutschen Schiff oder Luftfahrzeug infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat. Die Versorgung umfasst nach dem insoweit entsprechend anwendbaren § 9 Abs. 1 Nr. 3 BVG die Beschädigtenrente (§§ 29 ff. BVG). Nach § 30 Abs. 1 Satz 1 BVG ist der GdS - bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zur Änderung des BVG und anderer Vorschriften des Sozialen Entschädigungsrechts vom 13. Dezember 2007 (BGBl I S. 2904) am 21. Dezember 2007 als Minderung der Erwerbsfähigkeit <MdE> bezeichnet - nach den allgemeinen Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen, welche durch die als Schädigungsfolge anerkannten körperlichen, geistigen oder seelischen Gesundheitsstörungen bedingt sind, in allen Lebensbereichen zu beurteilen. Der GdS ist nach Zehnergraden von 10 bis 100 zu bemessen; ein bis zu fünf Grad geringerer GdS wird vom höheren Zehnergrad mit umfasst (§ 30 Abs. 1 Satz 2 BVG). Beschädigte erhalten gemäß § 31 Abs. 1 BVG eine monatliche Grundrente ab einem GdS von 30. Liegt der GdS unter 25 besteht kein Anspruch auf eine Rentenentschädigung (vgl. Senatsurteil vom 18. Dezember 2014 - L 6 VS 413/13 -, juris, Rz. 42; Dau, in: Knickrehm, Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, 2012, § 31 BVG, Rz. 2).
Für einen Anspruch auf Beschädigtenversorgung nach dem OEG in Verbindung mit dem BVG sind folgende rechtlichen Grundsätze maßgebend (vgl. BSG, Urteil vom 17. April 2013 – B 9 V 1/12 R –, BSGE 113, 205 <208 ff.>):
Ein Versorgungsanspruch setzt zunächst voraus, dass die allgemeinen Tatbestandsmerkmale des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG gegeben sind (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 23. April 2009 – B 9 VG 1/08 R –, juris, Rz. 27 m. w. N). Danach erhält eine natürliche Person („wer"), die im Geltungsbereich des OEG durch einen vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriff eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG. Somit besteht der Tatbestand des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG aus drei Gliedern (tätlicher Angriff, Schädigung und Schädigungsfolgen), die durch einen Ursachenzusammenhang miteinander verbunden sind. In Altfällen, also bei Schädigungen zwischen dem Inkrafttreten des Grundgesetzes am 23. Mai 1949 und dem Inkrafttreten des OEG am 16. Mai 1976 (BGBl I S. 1181), müssen daneben noch die besonderen Voraussetzungen gemäß § 10 Satz 2 OEG in Verbindung mit § 10a Abs. 1 Satz 1 OEG erfüllt sein. Nach dieser Härteregelung erhalten Personen, die in diesem Zeitraum geschädigt worden sind, auf Antrag Versorgung, solange sie allein infolge dieser Schädigung schwerbeschädigt und bedürftig sind sowie im Geltungsbereich des OEG ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben. Eine Schwerbeschädigung liegt nach § 31 Abs. 2 BVG vor, wenn ein GdS von mindestens 50 festgestellt ist.
Nach der Rechtsprechung des BSG ist bei der Auslegung des Rechtsbegriffes „vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff" im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG entscheidend auf die Rechtsfeindlichkeit, vor allem verstanden als Feindlichkeit gegen das Strafgesetz, abzustellen; von subjektiven Merkmalen, wie etwa einer kämpferischen, feindseligen Absicht, hat sich die Auslegung insoweit weitestgehend gelöst (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 7. April 2011 – B 9 VG 2/10 R –, SozR 4-3800 § 1 Nr. 18, Rz. 32 m. w. N.). Dabei sind je nach Fallkonstellation unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt und verschiedene Gesichtspunkte hervorgehoben worden. Leitlinie ist insoweit der sich aus dem Sinn und Zweck des OEG ergebende Gedanke des Opferschutzes. Das Vorliegen eines tätlichen Angriffes hat das BSG daher aus der Sicht von objektiven, vernünftigen Dritten beurteilt und insbesondere sozial angemessenes Verhalten ausgeschieden. Allgemein ist es in seiner bisherigen Rechtsprechung davon ausgegangen, dass als tätlicher Angriff grundsätzlich eine in feindseliger oder rechtsfeindlicher Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielende gewaltsame Einwirkung anzusehen ist, wobei die Angriffshandlung in aller Regel den Tatbestand einer - jedenfalls versuchten - vorsätzlichen Straftat gegen das Leben oder die körperliche Unversehrtheit erfüllt (st. Rspr.; vgl. nur BSG, Urteil vom 29. April 2010 – B 9 VG 1/09 R –, SozR 4-3800 § 1 Nr. 17, Rz. 25 m. w. N.). Abweichend von dem im Strafrecht umstrittenen Gewaltbegriff im Sinne des § 240 Strafgesetzbuch (StGB) zeichnet sich der tätliche Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG durch eine körperliche Gewaltanwendung (Tätlichkeit) gegen eine Person aus, wirkt also körperlich (physisch) auf einen anderen ein (vgl. BSG, Urteil vom 7. April 2011 - B 9 VG 2/10 R -, SozR 4 3800 § 1 Nr. 18, Rz. 36 m. w. N.). Ein solcher Angriff setzt eine unmittelbar auf den Körper einer anderen Person zielende, gewaltsame physische Einwirkung voraus; die bloße Drohung mit einer wenn auch erheblichen Gewaltanwendung oder Schädigung reicht hierfür demgegenüber nicht aus (vgl. BSG, Urteil vom 16. Dezember 2014 - B 9 V 1/13 R -, juris, Rz. 23 ff.).
Hinsichtlich der entscheidungserheblichen Tatsachen kennen das soziale Entschädigungsrecht und damit auch das OEG drei Beweismaßstäbe. Grundsätzlich bedürfen die drei Glieder der Kausalkette (schädigender Vorgang, Schädigung und Schädigungsfolgen) des Vollbeweises. Für die Kausalität selbst genügt gemäß § 1 Abs. 3 BVG die Wahrscheinlichkeit. Nach Maßgabe des § 15 Satz 1 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOVVfG), der gemäß § 6 Abs. 3 OEG anzuwenden ist, sind bei der Entscheidung die Angaben der Antragstellenden, die sich auf die mit der Schädigung, also insbesondere auch mit dem tätlichen Angriff im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, zugrunde zu legen, wenn sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen.
Für den Vollbeweis muss sich das Gericht die volle Überzeugung vom Vorhandensein oder Nichtvorhandensein einer Tatsache verschaffen. Allerdings verlangt auch der Vollbeweis keine absolute Gewissheit, sondern lässt eine an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit ausreichen. Denn ein darüber hinausgehender Grad an Gewissheit ist so gut wie nie zu erlangen (vgl. Keller, a. a. O., § 128 Rz. 3b m. w. N.). Daraus folgt, dass auch dem Vollbeweis gewisse Zweifel innewohnen können, verbleibende Restzweifel mit anderen Worten bei der Überzeugungsbildung unschädlich sind, solange sie sich nicht zu gewichtigen Zweifeln verdichten (vgl. BSG, Urteil vom 24. November 2010 - B 11 AL 35/09 R -, juris, Rz. 21). Eine Tatsache ist bewiesen, wenn sie in so hohem Grade wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung zu begründen (vgl. Keller, a. a. O.).
Der Beweisgrad der Wahrscheinlichkeit im Sinne des § 1 Abs. 3 Satz 1 BVG ist dann gegeben, wenn nach der geltenden wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang spricht (vgl. BSG, Beschluss vom 8. August 2001 – B 9 V 23/01 B –, SozR 3-3900 § 15 Nr. 4, S. 14 m. w. N.). Diese Definition ist der Fragestellung nach dem wesentlichen ursächlichen Zusammenhang (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 16. Dezember 2014 - B 9 V 6/13 R -, juris, Rz. 18 ff.) angepasst, die nur entweder mit ja oder mit nein beantwortet werden kann. Es muss sich unter Würdigung des Beweisergebnisses ein solcher Grad von Wahrscheinlichkeit ergeben, dass ernste Zweifel hinsichtlich einer anderen Möglichkeit ausscheiden. Für die Wahrscheinlichkeit ist ein „deutliches" Übergewicht für eine der Möglichkeiten erforderlich. Sie entfällt, wenn eine andere Möglichkeit ebenfalls ernstlich in Betracht kommt.
Bei dem „Glaubhafterscheinen“ im Sinne des § 15 Satz 1 KOVVfG handelt es sich um den dritten, mildesten Beweismaßstab des Sozialrechts. Glaubhaftmachung bedeutet das Dartun einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit (vgl. Keller, a. a. O., Rz. 3d m. w. N.), also der guten Möglichkeit, dass sich der Vorgang so zugetragen hat, wobei durchaus gewisse Zweifel bestehen bleiben können (vgl. BSG, Beschluss vom 8. August 2001 - B 9 V 23/01 B -, SozR 3 3900 § 15 Nr. 4, S. 14 f. m. w. N.). Dieser Beweismaßstab ist durch seine Relativität gekennzeichnet. Es muss nicht, wie bei der Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges, absolut mehr für als gegen die glaubhaft zu machende Tatsache sprechen. Es reicht die gute Möglichkeit aus, also es genügt, wenn bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten ist (vgl. Keller, a. a. O.), weil nach der Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Möglichkeit spricht. Von mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Sachverhaltsvarianten muss einer den übrigen gegenüber ein gewisses, aber kein deutliches Übergewicht zukommen. Wie bei den beiden anderen Beweismaßstäben reicht die bloße Möglichkeit einer Tatsache nicht aus, um die Beweisanforderungen zu erfüllen. Das Tatsachengericht ist allerdings mit Blick auf die Freiheit der richterlichen Beweiswürdigung (§ 128 Abs. 1 Satz 1 SGG) im Einzelfall grundsätzlich darin nicht eingeengt, ob es die Beweisanforderungen als erfüllt ansieht (vgl. BSG, Beschluss vom 8. August 2001 - B 9 V 23/01 B -, SozR 3-3900 § 15 Nr. 4, S. 15). Diese Grundsätze haben ihren Niederschlag auch in den „Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz“ in ihrer am 1. Oktober 1998 geltenden Fassung der Ausgabe 1996 (AHP 1996) und nachfolgend - seit Juli 2004 - den „Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB IX)“ in ihrer jeweils geltenden Fassung (AHP 2005 und 2008) gefunden, welche zum 1. Januar 2009 durch die Anlage zu § 2 Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) vom 10. Dezember 2008 (Teil C, Nrn. 1 bis 3 und 12 der Anlage zu § 2 VersMedV; vgl. BR-Drucks 767/1/08 S. 3, 4) inhaltsgleich ersetzt worden ist (vgl. BSG, Urteil vom 16. Dezember 2014 - B 9 V 6/13 R -, juris, Rz. 17).
Nach diesen Maßstäben ist ein vorsätzlicher, rechtswidriger, tätlicher Angriff auch zur Überzeugung des Senats nicht im Vollbeweis bewiesen. Der abgesenkte Beweismaßstab der Glaubhaftmachung kommt schon deshalb nicht zu Anwendung, weil der Vorfall von zwei Zeuginnen beobachtet worden ist.
Zum Ereignishergang kann der Senat feststellen, dass sich die Klägerin am 26. März 2018 gegen 17.00 Uhr mit den beiden Zeuginnen auf dem Fußweg (zwischen den Bahngleisen und der C1 Richtung B3 befand. Von hinten näherte sich ein Radfahrer, der von den Zeuginnen bemerkt wurde, weshalb sie sich nach rechts an den Fahrbahnrand gingen um einen Zusammenstoß zu vermeiden. Auf die Warnung der Zeugin G2 an die Klägerin bewegte sich diese dagegen nach links und wurde von dem Radfahrer, der den Randstreifen neben dem Asphaltweg befuhr, erfasst und zu Fall gebracht. Dies entnimmt der Senat den Angaben der Klägerin sowie den polizeilichen Vernehmungsprotokollen der Zeugen, die er im Wege des Urkundsbeweises verwertet (§ 118 Abs. 1 SGG i. V. m. §§ 415 ff. Zivilprozessordnung [ZPO]). Somit hat sich lediglich ein Verkehrsunfall ereignet, der ganz generell nicht unter einen entschädigungspflichtigen Tatbestand des OEG fällt.
Ein vorsätzlicher, rechtswidriger, tätlicher Angriff ergibt sich hieraus nämlich nicht. Als „tätlicher Angriff“ in diesem Sinne gilt jede in feindlicher Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines Anderen zielende Einwirkung, ohne Rücksicht auf den Erfolg. Der für diesen Angriff geforderte Vorsatz muss sich grundsätzlich nur auf diese Angriffshandlung beziehen, fahrlässig begangene Handlungen scheiden in der Regel als Anspruchsgrundlage für einen Entschädigungsanspruch aus (vgl. BSG, Urteil vom 4. Februar 1988 – B 9 VG 5/96 R –, juris, Rz. 12).
Ein vorsätzlicher tätlicher Angriff liegt bei Körperverletzungs- oder Tötungsdelikten auch dann vor, wenn der Täter mit bedingtem Vorsatz gehandelt hat, d.h. wenn er zwar nicht wissentlich und willentlich sein Verhalten auf die Verwirklichung eines durch Eintritt des Erfolges gekennzeichneten Straftatbestandes ausgerichtet, den Erfolg habe für möglich und billigend in Kauf genommen hat (vgl. BSG, Urteil vom 4. Februar 1988 – B 9 VG 5/96 R –, juris, Rz. 15). Die Grenze zum bedingten Vorsatz ist auch bei einer bewussten Fahrlässigkeit nicht überschritten, weil der Täter darauf vertraut, dass nichts passiert wird, so dass es am voluntativen Moment des billigend in Kaufnehmens fehlt (vgl. Fischer, StGB-Kommentar, 69. Aufl. 2022, § 15 Rz. 14 ff.).
Ist der Täter unerkannt geblieben, so kann nur aus den festgestellten äußeren Umständen darauf geschlossen werden, ob er (bedingt) vorsätzlich gehandelt hat. Es liegt daher auf der Hand, dass Beweisschwierigkeiten auftreten können, da sich nicht immer aus den äußeren Umständen feststellen lassen wird, welche Vorstellungen und welche Willensrichtung der Täter bei seiner zur Verletzung führenden Tat hatte. In einem solchen Fall geht die Nichterweislichkeit des Vorsatzes nach den Grundsätzen der objektiven Beweis- oder Feststellungslast zu Lasten des Klägers (vgl. BSG, Urteil vom 4. Februar 1988 – B 9 VG 5/96 R –, juris, Rz. 18).
Aus den festgestellten äußeren Umständen (vgl. oben) lässt sich vorliegend nicht auf einen bedingten Vorsatz des Radfahrers schließen. Die Tatsache, dass dieser nach Angaben der Klägerin selbst den Asphaltweg verlassen hatte, spricht vielmehr dafür, dass er versucht hat, seinerseits der Personengruppe auszuweichen, wenngleich dieses Verhalten im Ergebnis zu der Kollision mit der in die gleiche Richtung ausweichenden Klägerin geführt hat. Dass die Klägerin nach ihrem Vorbringen davon ausgegangen ist, der Radfahrer werde mittig auf dem Asphaltweg weiterfahren, steht der Annahme, dass der Radfahrer den Randstreifen genutzt hat, um seinerseits der Personengruppe auszuweichen nicht entgegen. Jedenfalls sind keinerlei objektive Anhaltspunkte dafür gegeben, dass er den „Fahrspurwechsel“, wie es die Klägerin bezeichnet, deshalb unternommen hat, um sie zu schädigen.
In Rechnung zu stellen ist dabei auch, dass nach der strafgerichtlichen Rechtsprechung die Prüfung, ob Vorsatz oder (bewusste) Fahrlässigkeit vorliegt, eine Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände erfordert. Dabei ist zwar die objektive Gefährlichkeit der Tathandlung ein wesentlicher Indikator sowohl für das Wissens- als auch für das Willenselement des bedingten Vorsatzes. Indessen kommt es auch bei in hohem Maße gefährlichen Handlungen auf die Umstände des Einzelfalls an. Bei der gebotenen Gesamtschau sind im Einzelfall alle in Betracht kommenden, einen Vorsatz in Frage stellenden Umstände in die Erwägungen einzubeziehen (vgl. Bundesgerichtshof [BGH]; Urteil vom 18. Juni 2020 – 4 StR 482/19 –, juris, Rz. 23).
Bei riskanten Verhaltensweisen im Straßenverkehr, die nicht von vornherein auf die Verletzung einer anderen Person oder die Herbeiführung eines Unfalls angelegt sind, kann eine vom Täter als solche erkannte Eigengefährdung dafür sprechen, dass er auf einen guten Ausgang vertraute. Es bedarf deshalb einer Auseinandersetzung im Einzelfall damit, ob und in welchem Umfang aus Sicht des Täters aufgrund seines Verhaltens eine Gefahr (auch) für eine eigene körperliche Integrität drohte. Hierfür können sich wesentliche Indizien aus den objektiven Tatumständen ergeben, nämlich dem täterseitig genutzten Verkehrsmittel und dem konkreten Unfallszenario. So kann es sich unterschiedlich auf das Vorstellungsbild des Täters zu seiner Eigengefährdung auswirken, ob er sich selbst in einem PKW oder auf einem Motorrad befindet und ob Kollisionen mit Fußgängern oder Radfahrern oder mit anderen PKW oder gar LKW drohen (vgl. BGH, Urteil vom 18. Juni 2020 – 4 StR 482/19 – juris Rz. 31 f.; BGH, Urteil vom 1. März 2018 – 4 StR 399/17 –, juris, Rz. 21).
Anhaltspunkte dafür, dass eine von vornherein auf die Verletzung einer anderen Person angelegte Verhaltensweise des Radfahrers vorgelegen hat, bestehen vorliegend keine. Vielmehr ist nach den Aussagen der Zeugen und seines Verhaltens nach dem Unfall davon auszugehen, dass sich der Radfahrer schlicht auf seinem Arbeitsweg befunden hat. Selbst wenn, entsprechend dem Vortrag der Klägerin, von einer riskanten Fahrweise des Radfahrers ausgegangen wird, wofür keinerlei Anhaltspunkte bestehen, lässt dies anhand der objektiven Umstände den Rückschluss auf einen bedingten Vorsatz nicht zu. In Rechnung zu stellen ist dabei nach den oben aufgezeigten Grundsätzen nämlich, dass für den Radfahrer eine nicht unerhebliche Eigengefährdung bestanden hat. Bei einer Kollision steht regelhaft zu erwarten, dass auch der Radfahrer selbst zu Fall kommt, wie es vorliegend auch geschehen ist. Mit eigenen Verletzungen des Radfahrers ist damit zu rechnen, insbesondere bei dem Untergrund oder bei entsprechender Geschwindigkeit. Ein Anscheinsbeweis (vgl. zu der grundsätzlichen Anwendbarkeit BSG, Urteil vom 4. Februar 1988 – B 9 VG 5/96 R –, juris, Rz. 12) dahingehend, dass jede riskante Verhaltensweise im Straßenverkehr einen dolus eventualis begründet, wie die Klägerin zu meinen scheint, scheidet daher aus.
Es kommt somit nicht entscheidungserheblich darauf an, dass weder den Erstangaben der Klägerin, noch den Angaben der Zeugen entnommen werden kann, dass der Radfahrer mit hoher Geschwindigkeit unterwegs gewesen ist. Dagegen spricht nämlich, dass der Radfahrer zwar selbst zu Fall gekommen ist, sich aber keine schwerwiegenderen Verletzungen zugezogen zu haben scheint und auch das Fahrrad fahrtüchtig geblieben ist, denn er konnte ohne weiteres den Unfallort mit dem Rad verlassen, was alle Beteiligten bestätigt haben. Unfallspuren konnte die am Folgetag hinzugezogene Polizei dementsprechend an der Unfallstelle auch keine sichern. Lediglich ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass es sich um reine Spekulationen des Beklagten handelt, dass der Radfahrer in Eile und deshalb riskanter mit dem Fahrrad unterwegs gewesen sei. Tatsache ist vielmehr, dass den Zeugenaussagen nur entnommen werden kann, dass sich der Radfahrer mit dem Bemerken vom Unfallort entfernt hat, zur Arbeit zu müssen.
Ebenso kann dahinstehen, ob der Radfahrer geklingelt hat oder nicht. Dass er die Fußgängergruppe erkannt hat, ergibt sich schon daraus, dass er nach dem eigenen Vorbringen der Klägerin auf den nicht asphaltierten Rand ausgewichen ist. Im Übrigen ist es einzig die Klägerin selbst gewesen, die über ein Klingeln des Radfahrers bei ihrer polizeilichen Vernehmung berichtet hat, was vom Beklagten dann in den streitigen Bescheiden übernommen worden ist. Nach dem Vernehmungsprotokoll hat sie angegeben, „ein kurzes Klingeln“ gehört zu haben, dass sie zum Sachverhalt nicht gehört worden sei, wie sie im vorangegangenen Widerspruchsverfahren behauptet hat, trifft daher nicht zu. Das Vorbringen hinsichtlich des Klingelns ist von ihr im vorangegangenen Verfahren dann dahingehend ausgeweitet worden, dass sie sogar ein zweites Klingeln unmittelbar beim Zusammenprall vernommen haben wollte. Nunmehr wird wiederum jegliches Klingeln des Radfahrers von der Klägerin in Abrede gestellt, vielmehr behauptet, dass das von ihr wahrgenommene Klingeln beim Zusammenprall nicht einem aktiven Verhalten des Radfahrers geschuldet gewesen sein soll, sondern das Geräusch zufällig beim Sturz entstanden ist – wobei sie selbst einräumt, dass sich diese Frage nicht mehr klären lasse. Die Widersprüchlichkeiten ergeben sich somit allein aus den ersichtlich angepassten Einlassungen der Klägerin und nicht aus den Aussagen der polizeilich vernommenen Zeugen.
Welche Bedeutung einem Klingeln des Radfahrers im Hinblick auf einen mit viel Lärm zeitgleich vorbeifahrenden Zug überhaupt zukommen soll, welches sowohl die Zeuginnen als auch die Klägerin berichtet haben, erschließt sich dem Senat nicht. Das kann aber schon deshalb dahinstehen, da durch die Aussagen der Zeuginnen G2 und G1 erwiesen ist, dass sich diese herumgedreht haben, den Radfahrer kommen sahen, diesem selbst ausweichen konnten und die Klägerin auch noch gewarnt haben. Dass der Radfahrer sie plötzlich und unvermittelt von hinten angefahren habe, wie die Klägerin mehrfach behauptet hat, trifft daher in keinster Weise zu. Der Senat hat keinen Zweifel an der Richtigkeit der Angabe der Zeugin G2, dass diese die Klägerin noch gewarnt hat. Dafür spricht insbesondere die nachfolgende Reaktion der Klägerin, nämlich, dass die – wie beide Zeuginnen bestätigt haben – einen Ausweichschritt nach links, somit zwar in die falsche Richtung, aber ersichtlich um eine Kollision zu vermeiden, gemacht hat, bevor es dann zum Unfall gekommen ist.
Dass der Radfahrer nach dem Unfall offensichtlich falsche Personalien angeben hat, lässt, worauf das SG bereits in der vorangegangenen Entscheidung zu Recht hingewiesen hat, keinen Rückschluss auf einen bedingten Vorsatz hinsichtlich des Zusammenstoßes zu.
Der Verweis der Klägerin auf die Entscheidung des OLG Frankfurt (Az.: 22 U 10/11 vom 9. Oktober 2012) geht fehl. Zum einen handelte es sich dort um eine zivilrechtliche Streitigkeit mit Schadensersatzansprüchen nach § 823 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), bei denen im Gegensatz zum OEG Fahrlässigkeit ausreichen kann. Zum anderen hat der Fall die Frage betroffen, ob eine Fußgängerin dem Radfahrer durch ein unvorsichtiges Heraustreten aus einer Einfahrt auf einen Fußgängerweg schadenersatzpflichtig sein kann, also genau der umgekehrte Fall, was im dortigen Fall verneint worden ist.
Letztlich ergibt sich aus dem von der Klägerin behaupteten „Hochzerren“ gegen ihren Willen kein vorsätzlicher, rechtswidriger, tätlicher Angriff. Ein Handeln in feindseliger Willensrichtung (vgl. oben) des Radfahrers ist schon deshalb abwegig, da die Klägerin selbst bekundet hat, dass sich der Radfahrer unmittelbar nach dem Unfall, als sie noch am Boden lag, bei ihr entschuldigt hat. Das widerlegt nach ihrem eigenen Vorbringen eine feindselige Willensrichtung. Im Übrigen ist ein Handeln gegen den Willen der Klägerin in keiner Weise belegt. Vielmehr hat die Zeugin G1 bekundet, dass sie gemeinsam – mit Unterstützung des Radfahrers – der Klägerin auf die Beine geholfen haben und diese in den Stand gekommen ist, letzteres hat die Klägerin selbst ebenfalls angegeben. Ebenso hat die Zeugin B4 bekundet, dass der Radfahrer sein Fahrrad hingelegt und mit Hilfe der anderen zwei Damen versucht hat, die Klägerin aufzurichten. Die zum Unfallgeschehen hinzukommende Zeugin hat damit die Angaben der Zeugin G1 vollumfänglich bestätigt. Die Angaben des Zeugen B4 stehen dem nicht entgegen, da er nur ausgesagt hat, dass der Radfahrer der Klägerin beim Aufstehen habe helfen wollen, was in keinem Widerspruch zu den Angaben seiner Ehefrau und der Zeugin G1 steht.
Im Übrigen ist in keiner Weise medizinisch belegt, dass es durch das vermeintliche Hochzerren der Klägerin durch den Radfahrer zu einem Gesundheitserstschaden gekommen ist. Dem Entlassungsbericht des Krankenhauses B2 entnimmt der Senat nämlich, dass die Schmerzen bereits nach dem Sturz aufgetreten sind. Es handelt sich somit um bloße Spekulationen der Klägerin, für die es an jeglichen medizinischen Anknüpfungstatsachen und auch ihrer Sachkunde fehlt.
Weiterer Ermittlungsbedarf hat nicht bestanden. Insbesondere waren die beiden benannten Zeuginnen nicht erneut zu hören, da es sich um eine wiederholte Beweisaufnahme handeln würde, nachdem diese bereits polizeilich vernommen worden sind. Im Übrigen bedarf das von der Klägerin sinngemäß benannte Beweisthema, dass die Zeuginnen kein Klingeln vernommen hätten, keiner weiteren Aufklärung. Es ist einzig die Klägerin gewesen, die von dem Klingeln berichtet hat. Nunmehr will sie schlicht das Gegenteil ihrer zeitnahen, noch unbeeinflussten eigenen Angaben beweisen. Folglich waren auch die hilfsweise gestellten Beweisanträge, die Zeuginnen zum Tathergang zu hören abzulehnen. Dies gilt schon deshalb, weil es an einer konkreten Tatsachenbehauptung, die einer Beweisaufnahme zugänglich wäre, fehlt. Eine Befragung der Zeuginnen zum „Tathergang“ läuft auf eine unzulässige Beweisermittlung hinaus, da erst aus der Befragung selbst die Grundlage für weitere Beweiserhebungen gewonnen werden soll. Dies kann aber schon deshalb dahinstehen, da die Zeuginnen bereits – zeitnah am 27. März 2018 - zu den Tathergängen gehört worden sind.
Die Berufung konnte daher keinen Erfolg haben und war zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht gegeben, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.