Die Beschwerden der Klägerin gegen die Beschlüsse des Sozialgerichts Konstanz in den Verfahren S 9 VK 2275/17, S 9 VK 2983/18 und S 9 VK 2237/19 vom 19. März 2021 werden zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Die Klägerin wendet sich gegen die Ablehnung der Erteilung einer vollstreckbaren Ausfertigung der Niederschrift über die nichtöffentliche Sitzung vom 26. August 2020.
Die 1934 geborene Klägerin ist verwitwet und Mutter zweier Söhne. Sie war ab dem 1. September 1975 als Sportlehrerin an der C1-Gesamtschule in K1 beschäftigt und wurde nach der Vergütungsgruppe VI b Bundesangestelltentarifvertrag (BAT) bezahlt. Zum Wintersemester 1977/78 nahm sie neben ihrer beruflichen Tätigkeit das Studium der Sprachheilpädagogik und Kunsterziehung an der Pädagogischen Hochschule R1 auf, die 1980 in die Technische Universität D1 eingegliedert wurde. Das Arbeitsverhältnis als Lehrerin wurde mit Wirkung zum 31. März 1982 beendet (vgl. Senatsurteil vom 18. Februar 2016 – L 6 VK 2097/15 –, n. v.).
Das zum damaligen Zeitpunkt zuständige Versorgungsamt S1 erließ in Ausführung des zwischen der Klägerin und dem Landesversorgungsamt Nordrhein-Westfalen im Verfahren S 16 V 129/77 beim Sozialgericht Dortmund geschlossenen Vergleichs den Bescheid vom 29. Oktober 1981. In diesem Vergleich hatte sich das Landesversorgungsamt Nordrhein-Westfalen verpflichtet, ab dem 1. März 1975 anzuerkennen, dass die Gesundheitsstörung „Neurose (abnorme Erlebnisreaktion)“ durch schädigende Einwirkungen i. S. d. § 1 (Bundesversorgungsgesetz – BVG) hervorgerufen wurde, und der Klägerin Versorgungsbezüge nach § 30 Abs. 1 BVG nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 50 vom Hundert (v. H.) zu gewähren.
In Ausführung eines weiteren Vergleichs zwischen der Klägerin und dem Landesversorgungsamt Baden-Württemberg erging der Bescheid vom 2. April 1987, durch den eine MdE von 60 v. H. ab dem 1. Oktober 1979 festgestellt wurde. Die MdE enthielt eine mit 10 v. H. berücksichtigte besondere berufliche Betroffenheit (bbB). Im Weiteren wurde festgestellt, dass ab dem 1. Oktober 1979 ein Anspruch auf Berufsschadensausgleich (BSA) dem Grund nach bestehe. Als Vergleichseinkommen sei die Vergütungsgruppe VI b BAT maßgebend gewesen.
Mit Bescheid vom 2. Juli 2009 gewährte das LRA BSA in Höhe von 565,00 € und stellte mit Bescheid vom 12. Juli 2017 fest, dass der Bescheid insoweit rechtswidrig gewesen sei, als der tatsächlich zu beanspruchende BSA nur 565,00 € betrage. Der Unterschiedsbetrag von 8,00 € werde als Bestandsschutz gezahlt (§ 48 Abs. 3 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch [SGB X]). Den Widerspruch wies das Regierungspräsidium S2 – Landesversorgungsamt – mit Widerspruchsbescheid vom 6. Oktober 2017 zurück. BSA könne nur in Höhe von 557,00 € statt 565,00 € beansprucht werden. Eine Rücknahme der rechtswidrigen Bescheide sei nicht mehr möglich (§ 45 Abs. 3 SGB X), sodass der Unterschiedsbetrag solange als Besitzschutz gezahlt werde, bis der Bestandsschutzbetrag erreicht oder überschritten sei. Dagegen hat die Klägerin am 25. Oktober 2017 Klage beim Sozialgericht (SG) Konstanz (S 9 VK 2275/17) erhoben.
Weiterhin hat die Klägerin am 3. Dezember 2018 Klage gegen den Bescheid vom 10. September 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. November 2018 betreffend die Ablehnung der Rücknahme des Bescheides vom 17. Dezember 2008 nach § 44 SGB X erhoben (S 9 VK 2983/18).
Schließlich hat sie am 20. November 2019 Klage gegen den Bescheid vom 7. Oktober 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. November 2019 erhoben (S 9 VK 2237/19). Mit dem Bescheid hat das LRA die Versorgungsbezüge aufgrund der 25. KOV-AnpV 2019 ab dem 1. Juli 2019 angepasst.
Im Protokoll über die nichtöffentliche Sitzung in allen drei Verfahren vom 26. August 2020 ist vermerkt, der Vertreter des Beklagten habe erklärt, dass die Klägerin als angestellte Lehrerin mit ihrem letzten Gehalt eingestuft worden sei. Weiter ist ausgeführt: „Die Beteiligten stellen außer Streit, dass die derzeitige Einstufung die richtige Einstufung sei. Weiterhin bestünde Einigkeit darüber, dass die Klägerin, nach wie vor, den Berufsschadensausgleich nach § 30 Abs. 4 Satz 1 BVG in Anspruch nehme“. Die Klägerin erklärte in den Verfahren S 9 VK 2275/17, S 9 VK 2983/18 und S 9 VK 2237/19 die Rücknahme der Klagen.
Mit am 12. Januar 2021 bei dem SG eingegangenem Schriftsatz beantragte die Klägerin eine vollstreckbare Ausfertigung des Protokollinhaltes mit der zusätzlichen „Vermerkung“, dass sie als Lehrerin festgestellt sei. Weiter hat sie ausgeführt: „Um in den Empfang der zweistündigen Verhandlung der 9. Kammer des Protokolls vom 26. August 2020 meiner vorliegenden Bundesbesoldungsrechte der Beschädigung schwere Kriegsbeschädigung zu gelangen, bleibt mir nur noch der Erlass einer vollstreckbaren Ausfertigung“.
Mit Beschluss vom 14. Januar 2021 hat die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle für alle drei Verfahren die Erteilung einer vollstreckbaren Ausfertigung gemäß § 724 Zivilprozessordnung (ZPO) i. V. m. § 202 Sozialgerichtsgesetz (SGG) des Protokolls vom 26. August 2020 abgelehnt. Beim Protokoll vom 26. August 2020 handele es sich um keinen Titel gemäß § 199 SGG, der Inhalt sei nicht vollstreckungsfähig. Inhalt des Protokolls sei, dass die Klägerin in allen drei Verfahren die Klagerücknahme erklärt habe.
Die von der Klägerin erhobenen Erinnerungen hat das SG mit Beschlüssen jeweils vom 19. März 2021 in allen drei Verfahren zurückgewiesen. Die Erinnerung sei zulässig, aber unbegründet. Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle habe zutreffend entschieden, dass die Klägerin keinen Anspruch auf die Erteilung einer vollstreckbaren Ausfertigung habe. Grundsätzlich fänden zwar über § 198 Abs. 1 SGG die Vorschriften des 8. Buches der ZPO und damit auch § 724 ZPO Anwendung. Jedoch stelle das Protokoll über die nichtöffentliche Sitzung vom 26. August 2020 keinen Vollstreckungstitel im Sinne des § 199 Abs. 1 SGG dar. Eine Klausel nach § 724 ZPO habe nicht erteilt werden können.
Am 29. März 2021 hat die Klägerin gegen den Beschluss vom 19. März 2021 im Verfahren S 9 VK 2275/17 Beschwerde eingelegt und hat die Beschwerde am 8. April um die Beschlüsse in den Verfahren S 9 VK 2983/18 und S 9 VK 2237/19 erweitert, hilfsweise Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt.
Die Klägerin beantragt, sachdienlich gefasst,
die Beschlüsse des Sozialgerichts Konstanz vom 19. März 2021 sowie den Beschluss der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle vom 14. Januar 2021 aufzuheben und die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle zu verpflichten, eine vollstreckbare Ausfertigung des Protokolls vom 26. August 2020 zu erteilen.
Der Beklagte beantragt,
die Beschwerden der Klägerin zurückzuweisen.
Der Beschluss über die Ablehnung der vollstreckbaren Ausfertigung sei nicht zu beanstanden. Soweit die Aufhebung des Protokolls und die Gewährung von Versorgung beantragt werde, sei der Antrag unzulässig, da die Klägerin die Klagen in den Verfahren S 9 VK 2275/17, S 9 VK 2983/18 und S 9 VK 2237/19 wirksam zurückgenommen habe.
Mit Beschluss vom 29. April 2022 ist das Ruhen des Verfahrens angeordnet worden, das Verfahren ist am 5. April 2024 wieder angerufen worden (fortgeführt mit L 6 VK 1086/24). Am 8. April 2024 hat die Klägerin geltend gemacht, den Antrag wieder zurück zu nehmen.
Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Verwaltungs- und Gerichtsakte Bezug genommen.
II.
Der Senat konnte verhandeln und entscheiden, obwohl die Klägerin zum Termin zur mündlichen Verhandlung nicht erschienen war, da mit der ordnungsgemäß zugestellten Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden ist, § 110 Abs. 1 Satz 2 SGG. Der Senat hat über die Beschwerden durch Beschluss unter Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter (vgl. § 33 Abs. 1 Satz 2 SGG i. V. m. § 12 SGG) entschieden, da er aufgrund mündlicher Verhandlung ergangen ist.
Das Verfahren war nach dem von der Klägerin erklärten Wiederanrufen nach Ruhen fortzusetzen. Bei der Wiederanrufung handelt es sich um eine Prozesserklärung, die unanfechtbar ist, sodass die „Rücknahme“ des Antrags ins Leere gegangen ist. Für eine erneute Anordnung des Ruhens besteht schon keine Zweckmäßigkeit, sodass es nicht darauf ankommt, dass der Beklagte dem Ruhen erneut hätte zustimmen müssen. Darüber hinaus liegen die Voraussetzungen für eine Fortsetzung von Amts wegen vor, da die Fortdauer des Ruhens nicht mehr zweckmäßig ist (vgl. Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, Kommentar zum SGG, 14. Aufl. 2023, Vor § 114 Rz. 4).
Die Beschwerden gegen die die Erinnerungen gegen den Beschluss der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle zurückweisenden Beschlüsse des SG sind statthaft. Gemäß § 198 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozessordnung (ZPO) entsprechend, soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt. Zuständig für die Erteilung der Vollstreckungsklausel ist der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle (vgl. § 198 Abs. 1 SGG i. V. m. § 732 Abs. 1 ZPO), lehnt dieser die Erteilung der Vollstreckungsklausel ab, steht dem Gläubiger die fristgebundene Erinnerung nach § 573 Abs. 1 Satz 1 ZPO, nicht aber die Klauselerinnerung nach § 732 ZPO zu (vgl. Wolfsteiner in: Münchener Kommentar zur ZPO, 6. Aufl. 2020, § 724 Rz. 57). Gegen die Entscheidung des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle kann binnen einer Notfrist von zwei Wochen die Entscheidung des Gerichts beantragt werden (Erinnerung), vgl. § 573 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Gegen die im ersten Rechtszug ergangene Entscheidung des Gerichts findet die sofortige Beschwerde statt (vgl. § 573 Abs. 2 ZPO), an deren Stelle die Beschwerde nach §§ 172 bis 177 SGG tritt, vgl. § 198 Abs. 3 SGG.
Die Beschwerden sind auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht (vgl. § 173 Abs. 1 SGG) eingelegt worden, aber unbegründet.
Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle hat die Erteilung einer vollstreckbaren Ausfertigung des Protokolls vom 26. August 2020 zu Recht abgelehnt, das SG hat daher die Erinnerung gegen die Ablehnung zutreffend zurückgewiesen. Ein Vollstreckungstitel liegt nicht vor.
Zu den Vollstreckungstiteln bestimmt § 199 Abs. 1 SGG, dass vollstreckt wird aus gerichtlichen Entscheidungen, soweit nach den Vorschriften dieses Gesetzes kein Aufschub eintritt (Nr. 1), aus einstweiligen Anordnungen (Nr. 2), aus Anerkenntnissen und gerichtlichen Vergleichen (Nr. 3), aus Kostenfestsetzungsbeschlüssen (Nr. 4) und aus Vollstreckungsbescheiden (Nr. 5).
Das Protokoll über die nichtöffentliche Sitzung vom 26. August 2020 erfüllt keine dieser Voraussetzungen. Weder handelt es sich um eine gerichtliche Entscheidung oder eine einstweilige Anordnung, noch um einen Kostenfestsetzungsbeschluss oder einen Vollstreckungsbescheid. Letztlich ist in dem Protokoll weder ein Anerkenntnis enthalten noch ein gerichtlicher Vergleich, der einer Vollstreckung zugänglich wäre. Es finden sich nur Erklärungen zum Sach- und Streitstand und die Rücknahmeerklärungen hinsichtlich aller drei Verfahren der Klägerin.
Aus Vorstehendem folgt gleichzeitig, dass das Protokoll keinen vollstreckungsfähigen Inhalt hat (vgl. dazu Schmidt in: Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, Kommentar zum SGG, 14. Aufl. 2023, § 199 Rz. 3a) und auch deshalb keine vollstreckbare Ausfertigung erteilt werden kann.
Das Beschwerdevorbringen der Klägerin führt zu keiner anderen Beurteilung. Sie verkennt, dass mit den erklärten Rücknahmen die in den Verfahren jeweils angegriffenen Bescheide bestandskräftig geworden sind und zwar unabhängig davon, ob die Klägerin diese inhaltlich für richtig erachtet. Eine Sachentscheidung durfte das SG schon nicht mehr treffen und hat dies auch nicht getan (vgl. dazu auch BSG, Urteil vom 17. September 2020 – B 4 AS 13/ 20 R –, juris, Rz. 18). Die schon nur hilfsweise erhobene Berufung der Klägerin würde damit ins Leere gehen und wäre mangels Statthaftigkeit zu verwerfen (vgl. § 158 SGG). Eine anfechtbare Entscheidung des SG in der Hauptsache konnte nicht mehr ergehen und ist auch nicht ergangen, eine materiell-rechtliche Befassung des Senats daher ausgeschlossen. Eine Entscheidung, hinsichtlich derer eine Sprungrevision in Betracht käme, liegt dementsprechend auch nicht vor.
Dass die Klägerin offensichtlich meint, aus dem Inhalt des Protokolls über die nichtöffentliche Sitzung weitergehende Schlüsse ziehen zu können, ist nicht entscheidungserheblich. Dies gilt auch deshalb, weil sich hierdurch an der Bestandskraft der Bescheide nichts ändert und eine inhaltliche Befassung des Senats sowohl eine anfechtbare Verwaltungsentscheidung über den jeweiligen Streitgegenstand als auch eine Entscheidung des SG darüber voraussetzt.
Lediglich ergänzend merkt der Senat an, dass im Senatsurteil vom 25. Mai 2023 (L 6 VK 1996/22) ausführlich dargelegt worden ist, weshalb ein schädigendes Ereignis bereits zu Unrecht anerkannt worden ist und warum deshalb keine weitergehenden Leistungen beansprucht werden können. Der Inhalt des Protokolls vom 26. August 2020 lässt daneben auch nicht ansatzweise einen leistungsrechtlich relevanten Sachverhalt erkennen.
Die Beschwerden konnten daher keinen Erfolg haben und waren zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 177 SGG.
Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
6.
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 9 VK 2275/17
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 VK 1086/24
Datum
3. Instanz
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Aktenzeichen
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Datum
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Kategorie
Beschluss
Rechtskraft
Aus
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