L 4 KR 2345/22

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4.
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 6 KR 275/21
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 KR 2345/22
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 3. August 2022 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.



Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist die Höhe der vom Kläger zu zahlenden Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung streitig.

Der 1978 geborene Kläger studierte Germanistik und Philosophie und ist nach seinen eigenen Angaben als Hauslehrer tätig. Er ist seit dem 1. Juli 2016 bei der Beklagten zu 1 freiwillig versichertes Mitglied und zugleich bei der Beklagten zu 2 Pflichtmitglied.

Die Höhe der durch den Kläger zu entrichtenden Beiträge war wiederholt Gegenstand von Verfahren vor dem Sozialgericht Freiburg (SG) und dem Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg. Mit Bescheid vom 12. Januar 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12. Juni 2018 berechnete die Beklagte zu 1 die Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung ab 1. Januar 2018 für den Kläger auch im Namen der Beklagten zu 2 neu. Mit Gerichtsbescheid vom 12. November 2018 wies das SG (S 11 KR 1315/18) die hiergegen gerichtete Klage des Klägers ab. Mit Bescheid vom 16. Januar 2019 berechnete die Beklagte zu 1 die Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung für die Zeit ab dem 1. Januar 2019 neu (Krankenversicherungsbeitrag 160,94 €, Pflegeversicherungsbeitrag 34,26 €). Der Bescheid erging auch im Namen der Beklagten zu 2. Mit Schreiben vom 19. April 2019 teilte der Kläger auf eine Erinnerung vom 11. April 2019 an die Zusendung von aktuellen Einkommensunterlagen mit, seine Einkommenssituation habe sich nicht geändert. Wenn sie sich ändere, werde er sich selbst bei der Beklagten zu 1 melden, da er dazu verpflichtet sei. Das Einkommen sei seit der letzten Belegung unverändert prekär, betrage nur 800,00 € bis 900,00 € und liege unter dem Satz, der eine Erhöhung des Beitrages rechtfertige. Dennoch erhöhe die Beklagte ständig ohne Begründung den Betrag. Die Beklagte zu 1 führte hierauf mit Schreiben vom 24. Mai 2019 aus, die monatlichen Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge blieben unverändert. Der aktuelle Beitragsbescheid sei weiterhin gültig. Am 31. Oktober 2019 erhob der Kläger Klage beim SG (S 2 KR 4332/19), mit der er sich „gegen die erhöhten Kosten durch neue Festlegung" der Beklagten wandte. Mit Bescheid vom 10. Januar 2020 berechnete die Beklagte zu 1 auch im Namen der Beklagten zu 2 die Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung für die Zeit ab dem 1. Januar 2020 neu (Krankenversicherungsbeitrag 164,56 €, Pflegeversicherungsbeitrag 35,04 €). Auf Nachfrage des SG konkretisierte der Kläger sein Begehren dahingehend, dass er sich gegen die Bescheide vom 16. Januar 2019 sowie 10. Januar 2020 wende. Die Einstufungen würden keinen Bezug auf seine reale Einkommenssituation nehmen und daher Schulden verursachen. Mit Widerspruchsbescheid vom 9. Juni 2020 wies die Beklagte zu 1 auch für die Beklagte zu 2 die Widersprüche gegen die Bescheide vom 16. Januar 2019 sowie vom 10. Januar 2020 zurück. Mit Schriftsatz vom 15. Juni 2020 (Eingang beim SG am 16. Juni 2020) hat der Kläger mitgeteilt, er erhebe Klage gegen den ergangenen Widerspruchsbescheid. Es herrsche in Deutschland eine Versicherungspflicht. Die gesetzlich festgelegten Bemessungsgrenzen würden bei jeder Krankenkasse gelten, daher bestehe keine Freiwilligkeit. Er würde keine 1.015,00 € verdienen, er habe bereits mehrfach den erheblich geringeren Verdienst von ca. 600,00 bis 700,00 € monatlich mitgeteilt. Mit Gerichtsbescheid vom 27. Juli 2020 wies das SG die Klage ab. Hiergegen legte der Kläger Berufung beim LSG Baden-Württemberg (L 11 KR 2499/20) ein. Mit Bescheid vom 13. Januar 2021 berechnete Beklagte zu 1 auch im Namen der Beklagten zu 2 die Beiträge ab 1. Januar 2021 neu (Krankenversicherungsbeitrag 169,98 €, Pflegeversicherungsbeitrag 36,19 €). Mit Urteil vom 22. Juni 2021 wies das LSG Baden-Württemberg die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 27. Juli 2020 zurück und die Klage gegen den Bescheid vom 13. Januar 2021 ab. Der Bescheid vom 10. Januar 2020 sei gemäß § 96 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Gegenstand des Klageverfahrens und der Bescheid vom 13. Januar 2021 gemäß §§ 153 Abs. 1, 96 SGG Gegenstand des Berufungsverfahrens geworden. Die Beiträge seien durch die Beklagten in den Bescheiden vom 16. Januar 2019, 10. Januar 2020 und 13. Januar 2021 korrekt festgesetzt worden. Die Revision des Klägers wurde durch das Bundessozialgericht (BSG, B 12 KR 5/12 R) mit Beschluss vom 19. August 2021 als unzulässig verworfen.

Bereits am 27. Januar 2021 hatte der Kläger unter Vorlage des Bescheids vom 13. Januar 2021 erneut Klage beim SG (S 275/21) erhoben. Die Erhöhung der Beiträge sei unbegründet und führe dazu, dass die Belastung höher sei und somit die Gefahr bestehe, aus der gesetzlichen Krankenversicherung herausgedrängt zu werden. Mit Schriftsatz vom 24. Juli 2021 reichte der Kläger außerdem ein Formular der Beklagten für Angaben zur Berechnung der Beiträge für die Kranken- und Pflegeversicherung ein und teilte mit, dass er sich auch dagegen beschwere, weil die Daten nicht erhoben werden müssten, da sich seine finanziellen Verhältnisse nicht geändert hätten. Er sei nur verpflichtet, Änderungen mitzuteilen.

Die Beklagte trat der Klage entgegen.

Nach vorheriger Anhörung wies das SG die Klage mit Gerichtsbescheid vom 3. August 2022 ab. Die Klage sei unzulässig, weil der angefochtene Bescheid vom 13. Januar 2021 Gegenstand des Berufungsverfahrens vor dem LSG Baden-Württemberg in dem Verfahren L 11 KR 2499/20 geworden sei. Die Klage sei daher ohne Prüfung in der Sache durch Prozessurteil abzuweisen. Soweit der Kläger sich mit Schreiben vom 24. Juli 2021 zusätzlich gegen die Neuerhebung von Angaben zur Beitragsberechnung wende, sei dies schon deshalb kein zulässiger Klagegegenstand, weil Rechtsbehelfe gegen behördliche Verfahrenshandlungen nur gleichzeitig mit den gegen die Sachentscheidung zulässigen Rechtsbehelfen geltend gemacht werden könnten, was nur dann nicht gelte, wenn behördliche Verfahrenshandlungen vollstreckt werden könnten oder gegen einen Nichtbeteiligten ergingen.

Hiergegen hat der Kläger am 15. August 2022 beim SG Berufung zum LSG Baden-Württemberg eingelegt. Die Entscheidung entspreche nicht den Tatsachen. Er sei nicht freiwillig versichert. Da in Deutschland Versicherungspflicht für jedermann bestehe, sei er pflichtversichert. Außerdem sei die Behauptung des SG, der angegriffene Bescheid sei Teil des früheren Berufungsverfahrens geworden, unzutreffend. Er beantrage die Trennung der Klagen. Der Bescheid könne gesondert beklagt werden, weil er, wie das SG selbst sage, abgeändert worden sei, also mit der ursprünglichen Klage nichts zu tun habe. Es gehe ihm darum, dass die laufenden Erhöhungen der Beiträge über seine Zahlungsfähigkeit hinaus unstatthaft gewesen seien. Seine Klage richte sich gegen den Gesetzgeber, wenn die Beklagte nur Mittel der Erhöhung sei und diese weitergeben müsse. Durch die Beklagte sei er aus der Versicherung gedrängt worden, weil sie, entgegen seiner Warnungen, laufend erhöht habe. Das sei sittenwidrig. Die Beklagte dürfe ihn nicht in eine Situation drängen, in der er die Versicherung verliere, nicht wechseln könne und Schulden mache.

Der Kläger beantragt (sachdienlich ausgelegt und gefasst),

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 3. August 2022 und den Bescheid der Beklagten vom 13. Januar 2021 insoweit aufzuheben, als die Beklagten ab dem 1. Januar 2021 „über seine Zahlungsfähigkeit hinaus“ Beiträge zur Kranken- und sozialen Pflegeversicherung erhoben haben.

Die Beklagten beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verweisen auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Gerichtsbescheids.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Instanzen sowie der beigezogenen Akte in dem Verfahren L 11 KR 2499/20 Bezug genommen.


Entscheidungsgründe

Der Senat konnte verhandeln und entscheiden, obwohl der Kläger im Termin zur mündlichen Verhandlung nicht erschienen ist, da mit der ordnungsgemäßen, ausweislich der Postzustellungsurkunde am 7. September 2023 zugestellten Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen wurde (§ 110 Abs. 1 Satz 2 SGG).

1. Die nach § 151 Abs. 1 und 2 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig, insbesondere statthaft gemäß §§ 105 Abs. 2 Satz 1, 143, 144 Abs. 1 Satz 2 SGG. Denn er wendet sich gegen Beitragsforderungen für einen Zeitraum von mehr als einem Jahr.

2. Gegenstand des Berufungsverfahrens ist bei sachdienlicher Auslegung (§ 123 SGG) des Begehrens des Klägers die (teilweise) Aufhebung des Bescheids vom 13. Januar 2021 soweit die Beklagten für die Zeit ab dem 1. Januar 2021 die durch den Kläger zu entrichtenden Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung „über seine Zahlungsfähigkeit hinaus“ (Berufungsschriftsatz vom 12. August 2022) festgesetzt haben. Soweit der Kläger vorträgt, es gehe ihm darum, dass die laufenden Erhöhungen der Beiträge über seine Zahlungsunfähigkeit hinaus unstatthaft gewesen seien, legt der Senat dies als Begründung der gegen den Bescheid vom 13. Januar 2021 gerichteten Klage aus.

Soweit sich der Kläger mit Schreiben vom 24. Juli 2021 zusätzlich gegen die Neuerhebung von Angaben zur Beitragsberechnung wandte, hat er dieses Begehren im Berufungsverfahren nicht mehr weiterverfolgt. Darin liegt eine Klagerücknahme (§ 102 SGG), die auch noch im Berufungsverfahren zulässig ist. Im Übrigen hat das SG zutreffend ausgeführt, dass die Klage insoweit bereits unzulässig war, da Rechtsbehelfe gegen behördliche Verfahrenshandlungen nur gleichzeitig mit den gegen die Sachentscheidung zulässigen Rechtsbehelfen geltend gemacht werden können, was nur dann nicht gilt (vorliegend jedoch nicht erfüllt), wenn behördliche Verfahrenshandlungen vollstreckt werden können oder gegen einen Nichtbeteiligten ergehen (§ 56a SGG).

3. Die Berufung des Klägers ist nicht begründet. Die gegen den Bescheid vom 13. Januar 2021 gerichtete Anfechtungsklage war, wie das SG zutreffend ausgeführt hat, bereits unzulässig.

Die am 27. Januar 2021 beim SG erhobene Klage war zunächst wegen anderweitiger Rechtshängigkeit (§ 94 SGG) unzulässig, da der Bescheid vom 13. Januar 2021 bereits gemäß §§ 153 Abs. 1, 96 SGG Gegenstand des Berufungsverfahrens vor dem LSG Baden-Württemberg in dem Verfahren L 11 KR 2499/20 geworden war. Soweit die Klage nach rechtskräftigem Abschluss des ersten Streitverfahrens (Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 22. Juni 2021, Beschluss des BSG vom 19. Juni 2021) wieder zulässig geworden ist, steht ihr nun die Rechtskraftwirkung der ersten Entscheidung entgegen.

Nach § 202 SGG i.V.m. § 17 Abs. 1 Satz 2 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) kann die Sache während der Rechtshängigkeit von keiner Partei anderweitig anhängig gemacht werden. Die Rechtshängigkeit entfaltet mithin für ein zweites Verfahren über denselben Streitgegenstand Sperrwirkung (vgl. Schmidt, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, Kommentar zum SGG, 14. Aufl. 2023, § 94 Rn. 7). Diese prozessuale Sperrwirkung führt zur Unzulässigkeit der zweiten Klage. Die Sperrwirkung endet zwar mit Abschluss des ersten Verfahrens (hier: Eintreten der formellen Rechtskraft des Urteils vom 22. Juni 2021), sodass eine zunächst wegen anderweitiger Rechtshängigkeit unzulässige Klage noch zulässig werden kann (vgl. Schmidt, a.a.O., § 94 Rn. 7b). Sie bleibt aber unzulässig, soweit sie denselben Streitgegenstand (hier: Höhe der Beiträge für den Zeitraum ab 1. Januar 2021) zwischen denselben Beteiligten betrifft (Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, Kommentar zum SGG, 14. Aufl. 2023, § 141 Rn. 6a). Dies resultiert aus der Rechtskraft der Entscheidung (§ 141 Abs. 1 SGG; vgl. BSG, Urteil vom 12. Dezember 2013 – B 8 SO 22/10 R – juris, Rn. 17). So liegt der Fall hier. Über die streitige Höhe der Beiträge zu Kranken- und sozialen Pflegeversicherung ab dem 1. Januar 2021, festgesetzt durch den streitgegenständlichen Bescheid vom 13. Januar 2023, wurde durch Urteil des LSG Baden-Württemberg bereits in dem Verfahren L 11 KR 2499/20 rechtskräftig entschieden. Die Rechtskraft steht einem neuen Prozess nur dann nicht entgegen, wenn sich die Grundlage des Anspruchs geändert hat oder wenn sich die tatsächlichen Verhältnisse nach Schluss der letzten mündlichen Verhandlung, auf die das Urteil ergangen ist (oder nach dem entsprechenden Zeitpunkt im schriftlichen Verfahren) wesentlich geändert haben (vgl. BSG, Urteil vom 27. Juni 2007 – B 6 KA 27/06 R – juris, Rn. 28). Derartige Änderungen hat der Kläger weder vorgetragen noch sind diese ersichtlich. Das Gegenteil ist vielmehr der Fall. Denn der Kläger wiederholt in den zahlreichen Gerichtsverfahren im Kern immer sein bisheriges Vorbringen.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG.

5. Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe hierfür (vgl. § 160 Abs. 2 SGG) nicht vorliegen.



 

Rechtskraft
Aus
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