L 1 U 149/24

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
1.
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 1 U 1335/21
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 1 U 149/24
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 13. Dezember 2023 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.



Gründe

I.

Die Klägerin begehrt eine Verletztenrente auf unbestimmte Zeit.

Sie ist 1956 geboren und arbeitete als Reinigungskraft und an der Rezeption in einem Hotel. In dieser Beschäftigung war sie bei der Beklagten gesetzlich unfallversichert.

Am 16. März 2019, einem Samstag, rutschte sie kurz nach 12:00 Uhr auf einem Türanhänger aus Pappe aus, der auf dem Boden lag, und verletzte sich das rechte Handgelenk. Etwa eine Stunde später diagnostizierte der H1 eine distale, dislozierte Radiusfraktur rechts. Am 18. März 2019 ließ die Klägerin eine Operation (offene Reposition und interne Fixierung mittels Plattenosteosynthese) durchführen.

In der Folgezeit war die Klägerin weiterhin arbeitsunfähig und bezog Verletztengeld. Sie wurde mit einer erweiterten ambulanten Physiotherapie behandelt. Am 6. September 2019 untersuchte sie P1 im Auftrage der Beklagten. Er berichtete, auch 1999 habe die Klägerin - auf der anderen, linken Seite - eine distale Radiusfraktur erlitten. Das rechte Handgelenk verfüge über eine Extension/Flexion von 45/0/45°, eine Radial- und Ulnar-Abduktion von 20/0/35° und eine Pro-/Supination von 80/0/75°. Der Faustschluss sei vollständig. Mit einer vollschichtigen Arbeitsfähigkeit sei am 14. Oktober 2019 zu rechnen, für voraussichtlich sechs Monate werde eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 20 vH vorliegen.

Nachdem die Arbeitsfähigkeit nicht wieder eintrat, erstattete P1 am 7. Februar 2020 das Erste Rentengutachten. Er führte aus, das rechte Handgelenk sei schmerzbedingt minderbelastbar (Handmuskelkraft 3 kg). Die Extension/Flexion betrage 35/0/50°, die Radial- und Ulnar-Abduktion 25/0/35° und die Pro- und Supination 80/0/75°. Zu peripher neurologischen Ausfällen sei es nicht gekommen. Die Klägerin werde ab dem 17. Februar 2020 wieder arbeitsfähig sein, die MdE werde von da an bis zum 31. August 2020 bei 20 vH liegen, danach bei 10 bis 20 vH.

Mit Bescheid vom 17. März 2020 bewilligte die Beklagte der Klägerin eine Verletztenrente als vorläufige Entschädigung in Form einer Gesamtvergütung nach einer MdE von 20 vH für die Zeit vom 17. Februar bis 31. August 2020.

Mitte August 2020 beantragte die Klägerin Fortzahlung. Die Beklagte erhob bei P1 das Zweite Rentengutachten vom 5. Oktober 2020. Die Handmuskelkraft rechts betrug jetzt 9 kg (links 14 kg), die Extension/Flexion lag bei 50/0/55°, die Radial-/Ulnar-Abduktion bei 25/0/40°, die Pro-/Supination bei 75/0/75°. Ferner stellte P1 eine Sensibilitätsminderung an der radialen Beugeseite des distalen Unterarms rechts ohne weitere neurologische Ausfälle fest.

Mit Bescheid vom 17. November 2020 lehnte die Beklagte die weitere Gewährung einer Verletztenrente ab. Als Unfallfolgen anerkannt wurden eine geringe Einschränkung der Beweglichkeit des Handgelenkes rechts, eine gering verminderte Muskelkraft der rechten Hand, eine Sensibilitätsminderung am rechen Unterarm, eine Pseudarthrose des Processus styloideus ulnae rechts und reizlose Narben am rechten Handgelenk.

Die Klägerin erhob Widerspruch, den sie nicht begründete. Daraufhin erging der zurückweisende Widerspruchsbescheid vom 26. März 2021.

Hiergegen hat die Klägerin am 26. April 2021 Klage beim Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben. Eine Klagebegründung wurde trotz mehrfacher Nachfragen und bewilligter Fristverlängerungen nicht abgegeben. Mit Schreiben vom 9. Dezember 2021, der Klägerin am 13. Dezember 2021 zugestellt, hat das SG zum Betreiben des Verfahrens aufgefordert und auf die Voraussetzungen einer Präklusion verspäteten Vorbringens hingewiesen. Daraufhin hat die Klägerin am 3. Januar 2022 die Verurteilung der Beklagten zur Anerkennung diverser Gesundheitsschäden als Unfallfolgen und zur Gewährung einer RAUZ nach einer MdE um 20 vH beantragt. Sie hat dabei das Gutachten der R1 und R2 vom 6. Mai 2021 vorgelegt, das im Auftrage ihrer privaten Unfallversicherung erstattet worden war (Extension/Flexion 40/0/55°, Radial-/Ulnar-Abduktion 15/0/25°, Teil-Invalidität von 5/20 Handwert auf Dauer).

Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Sie hat zu den Bewegungsmaßen aus dem Gutachten R1/ R2 ausgeführt, sie lägen ebenfalls noch annähernd im altersentsprechenden Normbereich und führten jedenfalls nicht zu einer rentenberechtigenden MdE.

Von Amts wegen hat das SG bei dem C1 das Gutachten vom 7. Juni 2022 erhoben. Der Sachverständige hat bekundet, Unfallfolgen seien eine beugeseitig längsverlaufende reizlose Narbe von 5 cm Länge nach operativer Stabilisierung einer Radiusfraktur und nachfolgender Metallentfernung, eine im Seitenvergleich gering eingeschränkte Beweglichkeit der Unterarmauswärtsdrehung und Unterarmeinwärtsdrehung, der Beugung und Streckung (50/0/55°) und der Abspreizung und Anspreizung (20/0/15°) sowie eine Einschränkung der groben Kraft der rechten Hand ohne messtechnisch objektivierbare Muskelminderung. Für die Gefühlsstörung, die die Klägerin darüberhinaus für ihren gesamten rechten Arm angegeben habe, lasse sich kein Zusammenhang mit der stattgehabten Fraktur des Radius herstellen. Die unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit habe im Februar 2020 geendet, die MdE liege seit Februar 2020 bei 10 vH.

Die Klägerin ist diesen Ausführungen entgegengetreten und hat die Stellungnahme von R2 vom 10. Dezember 2022 vorgelegt. Darin ist ausgeführt, die Bewegungsmaße der Klägerin lägen „unbestritten“ am bzw. unterhalb des allgemein als Norm anerkannten Bewegungsumfangs. Jedoch könne die Bewegungsminderung bei der Klägerin nicht durch einen Vergleich mit der linken Seite ermittelt werden, da diese 1999 ebenfalls verletzt worden sei. Ferner müsse berücksichtigt werden, dass die Klägerin eine „übermäßige Beweglichkeit“ aller Gelenke besitze. Auch die Kraftminderung sei gutachterlich noch nicht objektiviert worden. Letztlich sei bei der Klägerin die MdE höher zu bewerten, weil sie wegen der Bewegungseinschränkung ihre Tätigkeit als Reinigungskraft nicht mehr ausüben könne und daher eine besondere berufliche Betroffenheit vorliege.

In der mündlichen Verhandlung am 13. Dezember 2023 hat die Klägerin ihren Antrag auf die Verurteilung zur Gewährung einer Verletztenrente auf Dauer beschränkt. Das SG hat die Klage mit Urteil von jenem Tage abgewiesen. Die verbliebenen unfallbedingten Funktionseinbußen der Klägerin, auch die im Grenzbereich zur Norm liegende Beweglichkeit des rechten Handgelenks, bedingten keine MdE um wenigstens 20 vH. Eine besondere berufliche Betroffenheit komme bei einer Berufstätigkeit als Reinigungskraft von vornherein nicht in Betracht.

Gegen dieses Urteil hat die Klägerin am 9. Januar 2024 Berufung erhoben. Sie vertieft ihr Vorbringen und verweist insbesondere auf die Stellungnahme von R2.

Sie beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 13. Dezember 2023 aufzuheben, den Bescheid der Beklagten vom 17. November 2020 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 26. März 2021 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 16. März 2019 eine Verletztenrente auf Dauer nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 20 vom Hundert über den 31. August 2020 hinaus zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat unter dem 12. Januar und 12. Februar 2024 Hinweise zur Sach- und Rechtslage gegeben und auch nach etwaigen Stütztatbeständen gefragt. Hierzu hat die Klägerin in ihrer Berufungsbegründung vom 14. März 2024 vorgetragen, es gebe „zwar weitere Arbeitsunfälle, diese seien jedoch keiner BG gemeldet“ worden.

Unter dem 22. März 2024 hat der Senat angekündigt, er erwäge eine Entscheidung durch Beschluss, und hat Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 22. April 2024 gegeben. Dem am 22. April 2024 gestellten Antrag auf Verlängerung der Frist hat der Berichterstatter am 23. April 2024 mangels ausreichender Begründung abgelehnt, dabei jedoch mitgeteilt, dass der angekündigte Beschluss erst ab dem 1. Mai 2024 ergehen werde.

Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten und der Ergebnisse der Beweisaufnahme wird auf die Akten der Beklagten und des SG Bezug genommen, insbesondere auf die Gutachten von P1 und C1 sowie die Ausführungen von R2.

II.

Der Senat entscheidet gemäß § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss und deshalb ohne die ehrenamtlichen Richter. Die Entscheidung ergeht einstimmig. Das Verfahren weist auch keine schwierigen oder ungeklärten Rechts- oder Sachfragen auf, die in mündlicher Verhandlung erörtert werden müssten. Die Klägerin ist in erster Instanz angehört worden. Die Beteiligten sind auf diese Verfahrensweise hingewiesen worden und hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.

Die Berufung der Klägerin ist statthaft (§§ 143, 144 Abs. 1 Satz 2 SGG) und auch im Übrigen zulässig, insbesondere fristgerecht (§ 151 Abs. 1 SGG) erhoben. Sie ist aber nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Sie ist zwar mit dem zuletzt aufrechterhaltenen Antrag wegen der Gewährung einer Rente auf unbestimmte Zeit als Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG), gerichtet auf ein Grundurteil nach § 130 Abs. 1 SGG, statthaft und zulässig. Sie ist aber nicht begründet. Der geltend gemachte Anspruch besteht nicht, weswegen auch die angefochtenen Bescheide rechtmäßig sind.

Anspruchsgrundlage für die begehrte Rentengewährung ist § 56 Abs. 1 in Verbindung mit § 75 Satz 2 Alt. 2 SGB VII. Danach haben Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls - hier eines Arbeitsunfalls - über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 vH gemindert ist, Anspruch auf Rente (§ 56 Abs. 1 Satz 1 SGB VII). Ist die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Versicherungsfälle gemindert und erreichen die Vomhundertsätze zusammen wenigstens die Zahl 20, besteht für jeden, auch für einen früheren Versicherungsfall, Anspruch auf Rente (§ 56 Abs. 1 Satz 2 SGB VII). Die Folgen eines Versicherungsfalls sind nur zu berücksichtigen, wenn sie die Erwerbsfähigkeit um wenigstens 10 vH mindern (§ 56 Abs. 1 Satz 3 SGB VII). Den Versicherungsfällen stehen gleich Unfälle oder Entschädigungsfälle nach den Beamtengesetzen, dem Bundesversorgungsgesetz, dem Soldatenversorgungsgesetz, dem Gesetz über den zivilen Ersatzdienst, dem Gesetz über die Abgeltung von Besatzungsschäden, dem Häftlingshilfegesetz und den entsprechenden Gesetzen, die Entschädigung für Unfälle oder Beschädigungen gewähren (§ 56 Abs. 1 Satz 4 SGB VII). § 75 Satz 2 SGB VII bestimmt, dass nach Ablauf des Zeitraumes, für den eine Gesamtvergütung bestimmt war, auf Antrag Rente auf unbestimmt Zeit gezahlt wird, wenn die Voraussetzungen hierfür vorliegen.

Im Falle der Klägerin bleibt eine MdE um wenigstens 20 vH vonnöten, um einen Rentenanspruch zu begründen. Ihre Aussage auf die Nachfrage des Senats nach Stütztatbeständen (§ 56 Abs. 1 Sätze 2 bis 4 SGB VII), es habe zwar Arbeitsunfälle gegeben, diese seien jedoch niemandem gemeldet worden, ist zu unbestimmt, um darauf weitere Ermittlungen zu stützen. Darauf hat der Senat die Klägerin am 22. März 2024 hingewiesen, ohne dass es eine Reaktion gegeben hat.

Die unfallbedingten funktionellen Einschränkungen der Klägerin schränken ihre Erwerbsfähigkeit nicht in einem Maße ein, dass eine MdE um 20 vH erreicht wäre.

Unfallbedingt ist bei der Klägerin nach der Verletzung der rechten Hand eine beugeseitig längsverlaufende reizlose Narbe von fünf Zentimetern Länge nach einer operativen Stabilisierung einer Radiusfraktur und nachfolgenden Metallentfernung zurückgeblieben. Zudem besteht eine leicht eingeschränkte Beweglichkeit des rechten Handgelenks (Unterarmdrehung 70/0/80°, Streckung/Beugung 55/0/55°, Ab-/Anspreizung 20/0/15°). Messbar ist ferner eine Einschränkung der groben Kraft der rechten Hand ohne objektivierbare Muskelminderung.

Diese unfallbedingten Schädigungen hat C1 in seinem Gutachten vom 7. Juni 2022 dargestellt. Weitere Schäden hat er ausgeschlossen, insbesondere konnte er die von der Klägerin geklagte diffuse Sensibilitätsstörung am gesamten rechten Arm, die schon P1 festgestellt hatte, nicht der Verletzung des rechten Handgelenks am 16. März 2019 zuordnen.

Der Senat legt diese Ausführungen zu Grunde. C1‘ Feststellungen decken sich mit jenen von P1, insbesondere in seinem Zweiten Rentengutachten vom 5. Oktober 2020. Auch R2 hat in ihrem Gutachten vom 6. Mai 2021 und ihrer Stellungnahme vom 10. Dezember 2022 keine wesentlich anderen Feststellungen getroffen, auch die von ihr erhobenen Restbeweglichkeiten (Unterarmdrehung 80/0/75° Streckung/Beugung 50/0/50°, Spreizungen 10/0/30°) entsprachen jenen bei C1 oder waren sogar besser. Auch eine größere Kraftminderung als C1 festgestellt hatte hat R2 nicht mitgeteilt. Soweit R2 auf die Schädigungen hinweist, die sie in der MRT-Untersuchung vom 12. Februar 2020 festgestellt hat („Ulna-Impaction-Syndrom durch Radiusverkürzung um 2-3 mm, Ausdünnung an der radialen Anheftung des TFFC, beginnende Handgelenksarthrose, Unatum-Ödem ulnar, palmare Ganglien ausgehend vom Radiokarpalgelenk“), handelt es sich nur um bildgebend festgestellte Veränderungen, aber nicht um Funktionseinschränkungen, wie sie C1 bei seiner klinischen Untersuchung am 31. Mai 2022 festgestellt hat.

Diese funktionellen Einbußen der Klägerin bedingen keine MdE um wenigstens 20 vH auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt.

Die MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII). Um eine MdE und ihre Höhe zu beurteilen, ist zunächst zu fragen, ob das aktuelle körperliche oder geistige Leistungsvermögen beeinträchtigt ist. In einem zweiten Schritt ist zu prüfen, ob und in welchem Umfang dadurch die Arbeitsmöglichkeiten der versicherten Person auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens vermindert werden. Entscheidend ist, in welchem Ausmaß Versicherte durch die Folgen des Versicherungsfalls in ihrer Fähigkeit gehindert sind, zuvor offenstehende Arbeitsmöglichkeiten zu ergreifen (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Aufl. 2017, S. 123). Die Bemessung des Grades der MdE erfolgt als Tatsachenfeststellung des Gerichts, die dieses gemäß § 128 Abs. 1 Satz 1 SGG nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung trifft (BSG, Urteil vom 18. Januar 2011 - B 2 U 5/10 R -, juris, Rn. 16). Die zur Bemessung der MdE in Rechtsprechung und Schrifttum herausgearbeiteten Erfahrungssätze sind dabei zu beachten. Sie sind zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend, bilden aber die Grundlage für eine gleiche und gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis und unterliegen ständigem Wandel (BSG, Urteil vom 22. Juni 2004 - B 2 U 14/03 R -, juris).

Für Schädigungen des Handgelenks liegen solche anerkannten Bewertungsmaße vor. Dabei richtet sich die Schätzung der MdE vorwiegend nach den Bewegungsausmaßen im Handgelenk (Schönberger/Mehrtens/Valentin, aaO, S. 518). Für die MdE ist es ohne Bedeutung, dass es sich bei der verletzten Hand um die Gebrauchshand der Klägerin handelt. Eine seitendifferente Bewertung wird nach den Erfahrungswerten nicht vorgenommen (Bayerisches LSG, Urteil vom 13. Februar 2007 - L 18 U 273/06 –, juris Rn. 25). Die Einschätzung der MdE orientiert sich an den verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens, weshalb bei der Beweglichkeitsprüfung Referenzwerte anzulegen, um eine gleiche und gerechte Bewertung in zahlreichen Parallelfällen zu erlangen (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 30. November 2012 - L 3 U 17/12 -, juris Rn. 43).

Nach diesen Erfahrungswerten führt eine Einschränkung der gesamten Handgelenksbeweglichkeit um 40° zu einer MdE um 10 vH (Schönberger/Mehrtens/Valentin, S. 581). Ansonsten können nur Versteifungen, die aber bei der Klägerin nicht vorliegen, eine MdE bedingen. Die Gesamtbeweglichkeit der Klägerin ist aber nicht in diesem Maße eingeschränkt. Aus den Messungen bei C1 ergibt sich eine Bewegungseinschränkung rechts gegenüber links von zusammen 30° (15° bei der Streckung/Beugung, 15° bei der Ab- und Anspreizung). Allerdings kann durchaus dem Einwand von R2 gefolgt werden, bei der Klägerin sei ein Seitenvergleich schwierig, weil 1999 auch die linke Hand verletzt worden ist. Aber wenn man die Bewegungsmaße stattdessen mit den Normalwerten vergleicht, so ergibt sich bei der Klägerin sogar eine noch geringere Einschränkung. Die Normalwerte finden sich z.B. in dem von der DGUV herausgegebene Messblatt „Obere Gliedmaßen“, das auch R2 in ihrem Gutachten vom 6. Mai 2021 verwandt hatte. Danach beträgt üblicherweise die Beugung/Streckung 40-60/0/50-70° (Abb. 7) und die Ab- und Anspreizung 20-30/0/30-40° (Abb. 8). Vergleicht man diese Werte mit den Messergebnissen bei C1, ist die Gesamtbeweglichkeit nur um 15° (gegenüber den Mindestnormwerten) eingeschränkt, nämlich um 5° und 10° bei der An- und Abspreizung. Geht man von den Bewegungsmaßen bei R2 aus, so ergibt sich sogar nur bei der Anspreizung (15° gegenüber 20° Mindestnormalwert) überhaupt eine Einschränkung, die anderen Maße waren noch im Normbereich. Eine nennenswerte Erhöhung ergibt sich auch nicht durch eine Einbeziehung der Unterarmdrehung (die zu größeren Teilen auf dem Ellenbogengelenk beruht). Hier hat C1 ebenfalls nur eine geringe Einbuße gemessen (15° gegenüber links, 10° gegenüber dem Normwert von 80-90/0/80-90°). Insoweit würde erst eine beidseitige („konzentrische“) Einschränkung der Handgelenksdrehung um die Hälfte zu einer MdE führen (Schönberger/Mehrtens/Valentin, S. 568).

Für die MdE-Bewertung sind vor allem diese Bewegungseinschränkungen relevant, daneben ggfs. merkliche Kraftminderungen. Dagegen werden Schmerzen oder sensible Störungen idR nicht berücksichtigt. Die üblichen Schmerzen sind mit der MdE für die Schädigung enthalten, sensible Störungen können allenfalls, wenn sie an der Handinnenfläche großflächig auftreten, z.B. das Greifvermögen beeinträchtigen. Diese Voraussetzungen liegen bei der Klägerin nicht vor. C1 hat überzeugend dargelegt, dass die lokal begrenzte Verletzung des Handgelenks nicht zu diffusen Sensibilitätsstörungen am gesamten Arm führen kann.

Der Senat folgt auch der Einschätzung des SG, die MdE sei nicht wegen einer besonderen beruflichen Betroffenheit zu erhöhen.

Besondere berufliche Nachteile im Sinne des § 56 Abs. 2 Satz 3 SGB VII sind solche, die Versicherte dadurch erleiden, dass sie bestimmte von ihnen erworbene besondere berufliche Kenntnisse und Erfahrungen infolge des Versicherungsfalls nicht mehr oder nur noch in vermindertem Umfang nutzen können. Bereits unter Geltung der Vorläufervorschrift (§ 581 Abs. 2 RVO) entsprach es der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung, zur Vermeidung unbilliger Härten bei der Bemessung der MdE auch die Auswirkungen der Unfallfolgen auf den Lebensberuf der Verletzten im Einzelfall angemessen, aber nicht etwa ausschlaggebend, zu berücksichtigen. Allerdings lässt diese unfallversicherungsrechtliche Regelung keine allgemeine Berücksichtigung der besonderen beruflichen Betroffenheit zu. Sie greift nur ein, wenn besondere Fertigkeiten geschädigt wurden, die sich der Versicherte z.B. durch eine sehr spezielle Ausbildung, eine vorhandene Begabung und meist jahrelange Übung angeeignet hat, und die für einen anderen Beruf nicht verwertbar sind (Scholz in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VII, 3. Aufl., § 56 SGB VII Rn. 82). Dagegen liegt eine besondere berufliche Betroffenheit nicht schon dann vor, wenn der bisherige Beruf aufgebeben werden muss (BSG, Urteil vom 5. September 2006 - B 2 U 25/05 R -, juris Rn. 18). Vor diesem Hintergrund können Einschränkungen der Beweglichkeit auf Grund einer Verletzung des Handgelenks unter Umständen bei Bergleuten, Goldschmieden, Ofensetzern, Landwirten oder Geigern relevant sein (Schönberger/Mehrtens/Valentin, aaO, S. 577). Dazu zählt der Beruf der Klägerin nicht.

Eine andere Einschätzung zur Höhe der MdE ergibt sich auch nicht aus dem Gutachten der R1 und R2 vom 6. Mai 2021. Jenes Gutachten wurde im Auftrag einer privaten Unfallversicherung erhoben und folgt dementsprechend zivil- bzw. versicherungsvertragsrechtlichen Grundsätzen zur Bestimmung des Schadensausmaßes („Handwert“). Dem Recht der gesetzlichen Unfallversicherung liegen andere Grundsätze zur Bestimmung der MdE zu Grunde. Die Messergebnisse, die in jenem Gutachten genannt sind, entsprachen wie ausgeführt im Wesentlichen jenen aus dem Gutachten von C1.

Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) bestehen nicht.


 

Rechtskraft
Aus
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