L 3 BA 8/23 B ER

Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Betriebsprüfungen
1. Instanz
SG Halle (Saale) (SAN)
Aktenzeichen
S 2 BA 12/23 ER
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
L 3 BA 8/23 B ER
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze

Nach Maßgabe des § 7a Abs 6 SGB IV in der seit dem 1. April 2022 geltenden Fassung haben Widerspruch und Klage nur in Statusfeststellungsverfahren aufschiebende Wirkung, dh insbesondere nicht bei der Feststellung einer Versicherungspflicht im Rahmen einer Betriebsprüfung.

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Halle mit dem berichtigten Datum vom 21. Juni 2023 wird zurückgewiesen.

            Die Antragstellerin trägt auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

            Der Streitwert wird auf 80.238,39 € festgesetzt.

 

Gründe:

Die Beschwerde der Antragstellerin (im Folgenden: Ast.) hat keinen Erfolg.

Es wird insoweit nach § 142 Abs. 2 Satz 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auf die ausführliche und zutreffende Begründung des Sozialgerichts Halle im Beschluss mit dem berichtigten Datum vom 21. Juni 2023 Bezug genommen.

Der bei dem Sozialgericht Halle am 31. März 2023 eingegangene Antrag bezieht sich auf die Feststellung des unveränderten Fortbestehens der Aussetzung der Vollziehung und hilfsweise die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage vor dem Sozialgericht Halle im Verfahren S 11 BA 23/20. In verfahrensrechtlicher Hinsicht ergeben sich insoweit keine Änderungen im Beschwerdeverfahren. Auch die Beschwerdebegründung gibt keinen Raum für eine andere Entscheidung.

Die Feststellung der aufschiebenden Wirkung auf Grund einer Entscheidung der Antrags- und Beschwerdegegnerin (im Folgenden: Ag.) kann schon in Bezug auf den Ablauf des Verfahrens nicht geltend gemacht werden. Der angefochtene Bescheid vom 25. September 2019 über eine Beitragsnachforderung von 363.481,79 € (einschließlich 109.548,50 € Säumniszuschlägen) betrifft insgesamt 16 Fahrzeugüberführer bzw. Fahrzeugüberführerinnen mit der Feststellung einer Versicherungspflicht in der Sozialversicherung bzw. in einem Fall einer geringfügigen nicht versicherungspflichtigen Beschäftigung von unterschiedlicher Dauer im Zeitraum Januar 2014 bis Dezember 2016. Im Rahmen der Teilabhilfe auf den Widerspruch der Ast. reduzierte sich die Nachforderung auf 320.953,55 € (einschließlich 95.602,50 € Säumniszuschlägen). Diese Teilabhilfe beruhte darauf, dass für zwei Personen auf Grund der Beschäftigung eigener Arbeitnehmer nicht mehr von einer Versicherungspflicht der Tätigkeit für die Klägerin ausgegangen wurde. Nach Zurückweisung des Widerspruchs im Übrigen mit Widerspruchsbescheid vom 17. November 2020 als unbegründet hat die Klägerin gegen den vorgenannten Bescheid am 30. November 2020 Klage vor dem Sozialgericht Halle erhoben (S 11 BA 23/20). Auf den Antrag der Ast. erfolgte durch die Ag. mit Schreiben vom 3. Dezember 2020 und mit folgendem Wortlaut erneut unter dem 8. Dezember 2020 die Aussetzung der Vollziehung der Beitragsforderung mit folgender Maßgabe: „[…] bis zum Eintritt der Unanfechtbarkeit der Hauptsacheentscheidung im Klageverfahren zum Aktenzeichen S 25 BA 18/20 bzw. bis zu einer sozialrechtlichen Ergänzung des § 7a Abs. 7 SGB IV dahingehend, dass Widerspruch und Klage ausschließlich im Anfrageverfahren aufschiebende Wirkung haben, nicht jedoch bei sozialversicherungsrechtlichen Beurteilungen nach § 28h Abs. 2 SGB IV und § 28p Abs. 1 S. 5 SGB IV […]“. Das Klageverfahren ist mit Beschluss des Sozialgerichts vom 26. Mai 2021 ruhend gestellt worden. Mit Schreiben vom 21. März 2023 hat die Ag. unter Hinweis auf die Neuregelungen zum Statusfeststellungsverfahren die Aussetzung der Vollziehung sodann beendet. Weder handelt es sich bei der Mitteilung über die Aussetzung der Vollziehung durch die Ag. um einen eigenständigen Verwaltungsakt im Sinne des § 31 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - SGB X; vgl. insoweit statt aller Landessozialgericht [LSG] Baden-Württemberg, Urteil vom 20. Juli 2021 - L 11 BA 660/21 -, juris, RdNr. 29) noch ist die Behörde nach § 86a Abs. 3 Satz 5 SGG gehindert, ihre Entscheidung jederzeit zu ändern oder aufzuheben.

Soweit die Ast. zumindest im erstinstanzlichen Verfahren gemeint hat, im Bereich der Betriebsprüfung sei im Rahmen ihres Antrags im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes eine aufschiebende Wirkung kraft Gesetzes nach § 86a Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 SGG i.V.m. § 7a Abs. 6 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (Allgemeine Grundsätze für die Sozialversicherung - SGB IV) in der Fassung des Art. 2c des Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2019/882 des Europäischen Parlamentes und des Rates über die Barrierefreiheitsanforderungen für Produkte und Dienstleistungen und zur Änderung anderer Gesetze vom 16. Juli 2021 (im Folgenden „n.F.“, BGBl. I, S. 2970) zu berücksichtigen, weil auch der sozialversicherungsrechtliche Status der von dem Bescheid betroffenen natürlichen Personen festgestellt worden sei, kann dem nicht gefolgt werden.

Die Rechtsauffassung u.a. des 1. und 3. Senats des LSG Sachsen-Anhalt, auf die sich die Ast. stützt (vgl. u.a. LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 10. November 2016 - L 1 R 153/16 B ER -, juris; LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 1. September 2016 - L 3 R 126/16 B ER, juris, RdNr. 20; in der Literatur z.B. auch Pietrek: in JurisPK-SGB IV, Stand 28. März 2023, zu § 7a Abs. 7 SGB IV a.F. RdNr. 147), ist von verschiedenen Obergerichten nicht geteilt worden und hat schon deshalb nicht als allgemeine Meinung Geltung beanspruchen können (vgl. z.B. LSG für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 28. Oktober 2015 - L 8 R 442/15 B ER - juris, RdNr. 37 m.w.N., Schleswig-Holsteinisches LSG, Beschluss vom 7. September 2015 - L 5 KR 147/15 B ER - RdNr. 16; vgl. zur Abgrenzung auch LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 21. November 2017 - L 3 R 199/17 B ER -, juris, RdNr. 24). Die analoge Anwendung von § 7a Abs. 7 Satz 1 SGB IV in der vom 1. Januar 1999 bis zum 31. März 2022 im Wesentlichen unverändert geltenden Fassung des Art. 1 Nr. 2 des Gesetzes zur Förderung der Selbstständigkeit vom 20. Dezember 1999 (im Folgenden: „n.F.“, BGBl. I 2000, S. 2: „Widerspruch und Klage gegen Entscheidungen, dass eine Beschäftigung vorliegt, haben aufschiebende Wirkung.“) beruhte im Wesentlichen auf der für die damalige Fassung der Vorschrift maßgebenden Annahme, dass der Gesetzgeber eine Beschränkung der aufschiebenden Wirkung auf Statusfeststellungsverfahren nach § 7a SGB IV a.F. nicht beabsichtigt hatte (vgl. LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 10. November 2016, a.a.O., RdNr. 19 unter Hinweis auf Bundestags-Drucksache 14/1855, S. 8). Da das Gesetz in § 86a Abs. 1 SGG von einem Regel-Ausnahme-Verhältnis der aufschiebenden Wirkung ausgeht, war auch im Rahmen der rechtsstaatlichen Vorgaben eine weite Auslegung des § 7a Abs. 7 Satz 1 SGB IV a.F. naheliegend.

Diese Rechtsprechung zu einer aufschiebenden Wirkung bei Nachforderungen im Rahmen von Betriebsprüfungen kann schon vor dem Hintergrund nicht mehr weitergeführt werden, dass § 7a Abs. 7 SGB IV n.F. nun eine Übergangsvorschrift zu einzelnen Regelungen des § 7a SGB IV beinhaltet, die keinen Bezug zur Frage der aufschiebenden Wirkung hat. Der Gesetzgeber hat im Übrigen mit § 7a Abs. 6 Satz 1 SGB IV n.F. („Widerspruch und Klage gegen Entscheidungen nach den Absätzen 2 und 4a haben aufschiebende Wirkung.“) für den Senat hinreichend klargestellt, dass die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage auf Statusfeststellungsverfahren im engeren Sinne beschränkt sein soll. Im Rahmen des Willkürverbots ist diese Einschränkung verfassungsrechtlich dadurch zu rechtfertigen, dass eine frühzeitige Klärung des Versicherungsstatus (nach Absatz 4a nun noch vor Aufnahme der Tätigkeit möglich), die bei typisierender Betrachtung bei einer Statusfeststellung erst im Rahmen der Betriebsprüfung von den Antragsberechtigten verabsäumt wurde, nachvollziehbar privilegiert werden soll (vgl. wie hier im Ergebnis z.B. auch Pietrek in: JurisPK-SGB IV, Stand 9. Mai 2023, zu § 7a Abs. 6 SGB IV n.F. RdNr. 69ff.; RdNr. 71 zur Frage, ob innerhalb der Verfahren nach § 7a SGB IV weiter zu differenzieren ist).

Auch die Voraussetzungen einer Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG liegen nicht vor. Aus dem Verfahren vor dem LSG Sachsen-Anhalt L 3 BA 53/18 kann die Ast. keine für sie günstigen Rechtsfolgen für das vorliegende Verfahren ableiten, da ihre Klagen mit rechtskräftigem Urteil vom 13. Dezember 2022 abgewiesen wurden. Auch dem Beschluss des Bundessozialgerichts vom 15. Juni 2023 über die Nichtzulassungsbeschwerde im Verfahren B 12 BA 6/23 B lässt sich nichts entnehmen, worauf sich ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit des im Klageverfahren S 11 BA 23/20 angefochtenen Bescheides der Ag. stützen ließen.

Da die geltend gemachte aufschiebende Wirkung von der Ast. im Wesentlichen auf abstrakte rechtliche Erwägungen ohne Bezug zu einzelnen von der Ast. in Anspruch genommenen Dienstleistungen gestützt worden ist, bietet die Beschwerde schon keinen hinreichenden Anlass, sich über die ausführliche Begründung des Sozialgerichts hinausgehend mit den Einzelheiten des angefochtenen Bescheides auseinanderzusetzen. Auch nach eigener Prüfung der Aktenlage durch den Senat kann dies eine aufschiebende Wirkung der Klage nicht bewirken. Insbesondere sind für die Personen, bei denen eine anderweitige hauptberuflich selbstständige Erwerbstätigkeit oder der Bezug einer Regelaltersrente behauptet worden ist, keine Unterlagen übersandt worden, aus denen sich die Einschätzung der Ast. nachvollziehen ließe. Für die vollständige Erfassung der maßgebenden Rechtsverhältnisse für die Abführung der Gesamtsozialversicherungsbeiträge ist der Arbeitgeber mit Beginn der versicherungspflichtigen Beschäftigung verantwortlich (§ 28a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 Buchst. b SGB IV).

Soweit eine drohende Insolvenz eine unbillige Härte der Vollziehung einer Beitragsforderung darstellen kann (§ 86a Abs. 3 Satz 2 Alt. 2 SGG), setzt dies eine Kausalität der sofortigen Vollziehung in Bezug auf die Zahlungsunfähigkeit voraus. Es muss sich bereits um einen nur vorübergehenden Zahlungsengpass handeln (vgl. statt aller LSG Niedersachen-Bremen, Beschluss vom 20. Dezember 2018 - L 12 BA 23/18 B ER -, juris, RdNr. 40). Hier hat die Ast. weder sämtliche Forderungen aufgeführt, die ihr gegenüber bestehen, noch ist für den Senat ersichtlich, welche weiteren Mittel ihr zum Zeitpunkt der Hauptsacheentscheidung zur Verfügung stehen werden, um sämtliche dann zu bedienenden Forderungen auszugleichen. Das Vorbringen der Ast. legt vielmehr nahe, dass parallel zu der im vorliegenden Verfahren betroffenen Forderung Beträge in mindestens sechsstelliger Höhe von der Ast. gefordert werden, ohne dass insoweit Rücklagen gebildet worden sind. Auch ist von der Ast. nicht dargelegt worden, welche Maßnahmen zu Zahlungserleichterungen, wie z.B. Ratenzahlungsvereinbarungen, bereits ergriffen worden sind. Insbesondere auf die Möglichkeit der Stundung hat die Ag. in ihrer Beschwerdeerwiderung ausdrücklich hingewiesen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung.

Der Streitwert wird nach stetiger Rechtsprechung vom Senat auf der Grundlage der §§ 52 Abs. 1 und 2, 53 Abs. 2 Nr. 4 Gerichtskostengesetz (GKG) bei einer beantragten aufschiebenden Wirkung zu einem Bescheid über eine Beitragsnachforderung nach einem Viertel der Beitragsforderung einschließlich von Säumniszuschlägen bemessen (vgl. statt aller LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 21. November 2017, a.a.O., RdNr. 31).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG für die Beschwerdeentscheidung, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 63 Abs. 3 Satz 3 GKG für die Festsetzung des Streitwertes).

Rechtskraft
Aus
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