L 2 AL 25/20

Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
1. Instanz
SG Halle (Saale) (SAN)
Aktenzeichen
S 5 AL 59/18
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
L 2 AL 25/20
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze

1. Arbeitslose, die zuvor in Altersteilzeit gearbeitet haben, werden bei der Bemessung des Arbeitslosengeldes nur bis zu dem Zeitpunkt durch die Berücksichtigung eines fiktiven Arbeitsentgelts privilegiert, zu dem sie erstmals eine Altersrente in Anspruch nehmen können. Dies gilt auch, wenn die Altersrente mit Abschlägen behaftet ist (vgl BSG, Urt v 15. Dezember 2005, B 7a AL 30/05 R, juris RN 14; BSG, Urt v 22. September 2022, B 11 AL 31/21 R, juris RN 26). 2. Wird die Altersteilzeitvereinbarung bis zum Ende der Freistellungsphase und damit bis zum möglichen Altersrentenbeginn durchgeführt und scheidet der Arbeitnehmer vereinbarungsgemäß aus dem Arbeitsverhältnis aus, kann er von der Privilegierung des § 10 Abs 1 Satz 1 AltTZG nicht profitieren. Dies gilt auch, wenn sich die Gesetzeslage nach Abschluss der Altersteilzeitvereinbarung geänderten hat (hier: durch das RV-Leistungsverbesserungsgesetz), der Arbeitslose dadurch die Möglichkeit erhalten hat, früher eine ungeminderte Rente in Anspruch zu nehmen, und er sich deshalb dafür entscheidet, für die nur wenige Monate dauernde Zwischenzeit Arbeitslosengeld in Anspruch zu nehmen.

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Die Klägerin begehrt für die Zeit vom 1. August 2017 bis zum 31. Januar 2019 höheres Arbeitslosengeld von der Beklagten.

Die am ... 1954 geborene Klägerin meldete sich am 25. Juli 2017 mit Wirkung zum 1. August 2017 bei der Beklagten arbeitslos und beantragte die Bewilligung von Arbeitslosengeld. Bereits am 18. April 2017 hatte sie sich arbeitsuchend gemeldet. Die Klägerin war vom 2. März 1987 bis zum 31. Juli 2017 bei der D. AG (Arbeitgeberin) als Bürokraft/kaufmännische Fachkraft beschäftigt. Sie gab an, dass das Arbeitsverhältnis mit Wirkung vom 1. Dezember 2009 unter Abänderung und Ergänzung als Altersteilzeitverhältnis weitergeführt worden sei. Hierbei sei festgelegt worden, dass das Altersteilzeitarbeitsverhältnis zum 31. Juli 2017 ende, ohne dass es einer Kündigung bedürfe. Auch eine Nachfrage bei der Arbeitgeberin mit dem Wunsch der Fortsetzung der Beschäftigung sei erfolglos gewesen. Grundlage für den Altersteilzeitvertrag sei der konzerninterne Altersteilzeittarifvertrag gewesen. Hier sei festgelegt worden, dass die Altersteilzeit spätestens bis zum Beginn des Kalendermonats nach Vollendung des 59. Lebensjahres beginnen müsse. In einem Schreiben vom 3. Juli 2017 teilte die Arbeitgeberin der Klägerin mit, dass Ihre Freistellungsphase im Rahmen der Altersteilzeit mit Ablauf des 31. Juli 2017 ende. Nach der Altersteilzeitvereinbarung vom 22. Juli 2009 dauerte die Arbeitsphase in der Altersteilzeit vom 1. Dezember 2009 bis zum 30. September 2013 und die Freistellungsphase vom 1. Oktober 2013 bis zum 31. Juli 2017. Die Klägerin nahm zum 1. August 2017 eine Teilzeitbeschäftigung mit 5 Wochenstunden als Haushaltshilfe auf, hieraus erziele sie nach ihren Angaben ein Entgelt von 165 € monatlich. Aus der Arbeitsbescheinigung der Arbeitgeberin ergibt sich, dass die Klägerin von August 2016 bis Juli 2017 18.937,44 € (12 × 1.578,12 €) beitragspflichtiges Bruttoentgelt erzielte und ein fiktives Bruttoentgelt von 37.556,04 €, daneben erhielt sie eine Einmalzahlung im August 2016 i.H.v. 44,58 €.

Mit Bescheid vom 18. August 2017 bewilligte die Beklagte der Klägerin ab dem 1. August 2017 vorläufig Arbeitslosengeld, für den Zeitraum vom 24. Oktober 2017 bis 22. April 2019 unter Berücksichtigung eines Bemessungsentgeltes von 18.937,44 € bzw. täglich 51,88 € (bei einem Leistungsentgelt i.H.v. 37,78 € - Lohnsteuerklasse IV) i.H.v. 22,67 € täglich; über den Zeitraum vom 1. August bis zum 23. Oktober 2017 könne noch nicht entschieden werden.

Die Klägerin reichte bei der Beklagten eine Mitteilung der Deutschen Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See vom 29. August 2017 ein, wonach sie frühestmöglich ab dem 1. August 2017 eine Altersrente für langjährig Versicherte mit einem Abschlag von 9,6 % in Anspruch nehmen könne. Der frühestmögliche Rentenbeginn ohne Minderung sei am 1. Dezember 2017 (Altersrente für besonders langjährig Versicherte).

Die Beklagte stellte zunächst fest, dass vom 1. August bis 23. Oktober 2017 eine Sperrzeit eingetreten sei. Mit Änderungsbescheid vom 7. August 2017 bewilligte sie der Klägerin abschließend Arbeitslosengeld ab dem 1. August 2017 für 720 Tage i.H.v. 22,67 € täglich, wobei der Leistungsbetrag wegen der Sperrzeit in der Zeit vom 1. August bis zum 23. Oktober 2017 0,00 € betrage. Nach Widerspruch und Klage der Klägerin änderte die Beklagte die Bewilligung mit Bescheid vom 22. Januar 2018 und bewilligte der Klägerin nunmehr Arbeitslosengeld i.H.v. 22,67 € täglich für den gesamten Leistungszeitraum 1. August 2017 bis 30. Juli 2019. Der Änderungsbescheid sei Gegenstand des laufenden Klageverfahrens. Letzteres wurde nachfolgend ohne streitige Entscheidung beendet.

Gegen diesen Änderungsbescheid legte die Klägerin am 14. Februar 2018 Widerspruch ein. Sie sei mit der Höhe der Leistungen nicht einverstanden. Bei der Berechnung müsse berücksichtigt werden, dass bei Altersteilzeit die soziale Sicherung der Arbeitnehmer festgeschrieben sei, weshalb das Bemessungsentgelt so berechnet werden müsse, als hätte der Arbeitnehmer seine Arbeitszeit nicht vermindert. Eine günstigere Berechnung würde erst dann entfallen, wenn der Arbeitslose eine Rente wegen Alters beziehen könne. Sie könne jedoch Altersrente erst zum 1. April 2020 beantragen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 27. März 2018 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin als unbegründet zurück. Die Höhe des Arbeitslosengeldes sei richtig errechnet worden. Ab dem ersten Tag der möglichen Inanspruchnahme, auch einer geminderten Rente wegen Alters, sei die Bemessung nach dem SGB III ohne die Privilegierung nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Altersteilzeitgesetz (AltTZG) durchzuführen. Die Klägerin habe nach der vorgelegten Rentenauskunft bereits ab dem 1. August 2017 eine geminderte Rente in Anspruch nehmen können.

Hiergegen hat die Klägerin am 25. April 2018 Klage vor dem Sozialgericht (SG) H. erhoben. Zur Begründung hat sie ausgeführt, dass sie mit ihrer Arbeitgeberin noch in Unkenntnis des im Jahr 2014 in Kraft getretenen RV-Leistungsverbesserungsgesetzes vom 23. Juni 2014 einen Altersteilzeitvertrag mit nahtlosem Übergang in eine vorgezogene abschlagsgeminderte Altersrente geschlossen habe. Die hierbei in Kauf genommenen Abschläge beim Rentenbezug könnten bei Inanspruchnahme der neu eingeführten Rente für besonders langjährig Versicherte nunmehr vermieden werden. Zwischen dem ursprünglichen nach der Altersteilzeitvereinbarung beabsichtigten Renteneintritt und dem nachträglich geänderten Rentenbeginn mit ungeminderter Rente sei eine Lücke entstanden. Ihre Arbeitgeberin habe sie nicht weiter beschäftigen wollen. Aus diesem Grund habe sie sich bei der Beklagten arbeitslos gemeldet. Die Beklagte könne sie nur in eine abschlagsfreie Rente „zwingen“. Das mit dem RV-Leistungsverbesserungsgesetz verfolgte Ziel, die Möglichkeit der früheren Inanspruchnahme einer ungeminderten Altersrente zu eröffnen, würde durch die Regelung des § 10 Abs. 1 Satz 2 AltTZG konterkariert, wenn diese auch in dem vorliegenden Fall zur Anwendung käme. In Bezug auf die Sperrzeit habe das Bundessozialgericht die besonderen Umstände des erst weit nach Abschluss des Altersteilzeitvertrages in Kraft getretenen RV-Leistungsverbesserungsgesetzes berücksichtigt. Danach rechtfertige das Abrücken von der ursprünglichen Absicht, nach der Freistellungsphase im Altersteilzeitvertrag eine Rente mit Abschlägen in Anspruch zu nehmen, zugunsten der Entscheidung, eine erst später beginnende abschlagsfreie Rente in Anspruch zu nehmen, nicht die Festsetzung einer Sperrzeit. Diese Umstände müssten auch bei der Berechnung der Höhe des Arbeitslosengeldes berücksichtigt werden. So betrage die Differenz zwischen der geminderten Altersrente und der ungeminderten Altersrente ca. 256 € netto monatlich. Die Beklagte habe bei der Ermittlung des Bemessungsentgeltes auch die bescheinigte Einmalzahlung i.H.v. 44,58 € im August 2016 nicht berücksichtigt.

Die Beklagte ist davon überzeugt, dass die streitige Entscheidung nach Maßgabe von § 10 Abs. 1 Satz 2 AltTZG rechtmäßig ergangen sei. Die von der Klägerseite angeführte Rechtsprechung zur Sperrzeit wegen Arbeitsaufgabe durch Altersteilzeitverträge sei für die rechtliche Bewertung der Anwendung der Vorschrift ohne Bedeutung.

Nach Zustimmung der Beteiligten hat das SG die Klage ohne mündliche Verhandlung mit Urteil vom 23. Juni 2020 abgewiesen. Die Beklagte habe sowohl den Bemessungszeitraum und den Bemessungsrahmen als auch das zu berücksichtigende Bemessungsentgelt zur Ermittlung des Leistungsentgeltes zutreffend bestimmt. Die Privilegierung nach § 10 Abs. 1 Satz 1 AltTZG komme der Klägerin nicht zugute, weil die Voraussetzungen nach § 10 Abs. 1 Satz 2 AltTZG vorlägen. Denn die Klägerin habe ab dem 1. August 2017 eine Altersrente mit Abschlägen in Anspruch nehmen können.

Gegen das ihrer Bevollmächtigten am 26. Juni 2020 zugestellte Urteil hat diese für die Klägerin an 17. Juli 2020 Berufung eingelegt. Dem Gericht sei zunächst zuzustimmen, dass nach dem Wortlaut des § 10 Abs. 1 AltTZG das Bemessungsentgelt nicht zu erhöhen sei, wenn eine Altersrente in Anspruch genommen werden könne, wozu das Bundessozialgericht auch eine vorzeitige Altersrente mit Abschlägen gezählt habe. Die Regelung müsse jedoch unter Berücksichtigung des RV-Leistungsverbesserungsgesetzes sachgerecht ausgelegt werden. So habe sie nicht vorhersehen können, dass im Jahr 2014 eine gesetzliche Regelung in Kraft treten werde, welche eine frühere Inanspruchnahme einer Altersrente ohne Abschläge ermögliche. Dies rechtfertige es, von der ursprünglichen Absicht der Inanspruchnahme einer geminderten Altersrente abzurücken und zunächst Arbeitslosengeld zu beantragen. Die sachgerechte Auslegung bei der Frage, ob sich ein Arbeitnehmer bei einer Sperrzeit auf einen wichtigen Grund berufen könne, müsse auch in diesem Fall durchgreifen, um Wertungswidersprüche zu vermeiden. Auch bei der Auslegung von Gesetzen dürfe nicht am Buchstaben gehaftet werden, sondern es habe stets auch eine Auslegung nach Sinn und Zweck zu erfolgen. Das durch die Leistungsverbesserungen vom Gesetzgeber angestrebte Ziel werde verfehlt, wenn auf der anderen Seite ein Nachteil bei der Bemessung des Arbeitslosengeldes eintrete.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 23. Juni 2020 aufzuheben und den Bescheid der Beklagten vom 22. Januar 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. März 2018 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihr Arbeitslosengeld auf der Grundlage eines Bemessungsentgeltes ohne Berücksichtigung der Verminderung ihrer Arbeitszeit im Rahmen der Altersteilzeit in gesetzlicher Höhe zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

            die Berufung zurückzuweisen.

Sie verweist auf die Ausführungen im erstinstanzlichen Urteil. Der Hinweis der Klägerin auf die Entscheidung des Bundessozialgerichts zur Sperrzeit führe hier nicht weiter, denn im dortigen Verfahren sei eine Rechtsfrage in Abhängigkeit vom Verhalten des Arbeitslosen zu betrachten gewesen. Vorliegend seien jedoch die rechtlichen Regelungen von § 10 Abs. 1 Satz 2 AltTZG umzusetzen, welche weder umgehungs- noch auslegungsfähig im Sinne der Klägerin seien.

Nach Hinweis des Berichterstatters hat die Beklagte die bisher nicht eingerechnete Einmalzahlung i.H.v. 44,58 € bei der Leistungsberechnung berücksichtigt und mit Änderungsbescheid vom 1. Februar 2024 der Klägerin nunmehr Leistungen vom 1. August 2017 bis zum 31. Dezember 2018 i.H.v. 22,69 € und vom 1. Januar 2019 bis 30. April 2019 i.H.v. 23 € (Veränderung der Sozialpauschale) täglich bewilligt. Das Bemessungsentgelt betrage 52,01 € täglich.

Der Berichterstatter hat die Beteiligten darauf hingewiesen, dass eine Zurückweisung der Berufung durch Beschluss in Betracht komme, und ihnen Gelegenheit zur Äußerung gegeben.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsakte der Beklagten ergänzend verwiesen. Diese sind Gegenstand der Entscheidung des Senates gewesen.

II.

Der Senat weist die Berufung durch Beschluss zurück, weil er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält (§ 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz - SGG). Die Beteiligten sind dazu angehört worden.

Gegenstand des Berufungsverfahrens sind das Urteil des SG vom 23. Juni 2020 und der Änderungsbescheid der Beklagten vom 22. Januar 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. März 2018 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 1. Februar 2024. Diesen hatte die Klägerin mit ihrer Klage insgesamt angegriffen.

Die Berufung ist gem. §§ 143, 144 Abs. 1 S. 2 SGG statthaft, weil die Berufung wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft. Die Klägerin begehrt höheres Arbeitslosengeld für die Zeit vom 1. August 2017 bis zum 31. Januar 2019 (also bis zum Beginn der ungeminderten Altersrente am 1. Februar 2019). Die Berufung ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt worden.

Die Berufung der Klägerin ist nach der Korrektur der Beklagten durch den Änderungsbescheid vom 1. Februar 2024 nicht begründet. Die Klägerin verfolgt ihren Anspruch zulässigerweise im Wege der kombinierten Anfechtungsund Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 1. Alt. i.V.m. Abs. 4 SGG). Es kann dahinstehen, ob der Änderungsbescheid vom 22. Januar 2018 nicht nach § 96 SGG Gegenstand des früheren Klageverfahrens geworden ist und deshalb ein Widerspruch gegen den Bescheid unzulässig war (dann käme nur ein Überprüfungsverfahren in Betracht). Die Frage, ob ein Abhilfebescheid Gegenstand des laufenden Klageverfahrens wird ist streitig (dafür: Schmidt in: Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Aufl. 2023, § 96 Rn. 5 m. w. N zum Streitstand; dagegen: BSG, Urteil vom 10. Oktober 1978 – RAr 65/77 – juris). Denn jedenfalls hat die Beklagte den Widerspruch in der Sache beschieden und damit das Klageverfahren hiergegen eröffnet.

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf höheres Arbeitslosengeld. Sie erfüllt die Anspruchsvoraussetzungen für Arbeitslosengeld. So hat sie sich zum 1. August 2017 arbeitslos gemeldet, die Anwartschaftszeit erfüllt und war auch arbeitslos (§§ 137 Abs. 1, 138, 141,142 des Sozialgesetzbuches Drittes Buch – Arbeitsförderung [SGB III] in der damaligen Fassung). Die während der Arbeitslosigkeit ausgeübte Nebentätigkeit umfasste weniger als 15 Wochenstunden.

Die Beklagte hat den Anspruch der Klägerin auf Arbeitslosengeld auch der Höhe nach zutreffend berechnet. Nach § 149 Nr. 2 SGB III beträgt das Arbeitslosengeld nach dem im Fall der Klägerin einschlägigen allgemeinen Leistungssatz 60 % des pauschalierten Nettoentgelts (Leistungsentgelt), das sich aus dem Bruttoentgelt ergibt, das die oder der Arbeitslose im Bemessungszeitraum erzielt hat (Bemessungsentgelt).

Der Bemessungszeitraum umfasst nach § 150 Abs. 1 Satz 1 SGB III die beim Ausscheiden aus dem jeweiligen Beschäftigungsverhältnis abgerechneten Entgeltabrechnungszeiträume der versicherungspflichtigen Beschäftigungen im Bemessungsrahmen. Der Bemessungsrahmen umfasste ein Jahr und endete mit dem letzten Tag des letzten Versicherungspflichtverhältnisses vor der Entstehung des Anspruchs (§ 150 Abs. 1 Satz 2 SGB III). Das Bemessungsentgelt ist nach § 151 Abs. 1 Satz 1 SGB III in der bis zum 31. Dezember 2022 geltenden Fassung das durchschnittlich auf den Tag entfallene beitragspflichtige Arbeitsentgelt, das die oder der Arbeitslose im Bemessungszeitraum erzielt hat. In Anwendung dieser Maßstäbe hat die Beklagte zutreffend ein Bemessungsentgelt i.H.v. täglich 52,01 € ermittelt. Die Klägerin erzielte in dem beim Ausscheiden aus dem Beschäftigungsverhältnis abgerechneten Zeitraum vom 1. August 2016 bis zum 31. Juli 2017 ein Arbeitsentgelt i.H.v. 18.937,44 €, hinzu kam die Einmalzahlung i.H.v. 44,58 €, woraus sich ein berücksichtigungsfähiges Gesamtentgelt von 18.982,02 € ergibt. Hieraus errechnet sich ein tägliches Bemessungsentgelt i.H.v. 52,01 € (18.982,02 €/365).

Entgegen der Auffassung der Klägerin ist kein höheres Bemessungsentgelt heranzuziehen. Zutreffend hat die Beklagte keinen Sonderfall in Bezug auf eine Verschiebung des Bemessungszeitraums oder eine fiktive Heranziehung höherer Entgelte angenommen.

Eine Verlängerung des Bemessungszeitraumes in die Vergangenheit wegen einer Teilzeitvereinbarung nach § 150 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 SGB III scheidet aus, weil die Regelung zur Altersteilzeit eine speziellere Regelung darstellt. So greift nach § 150 Abs. 2 Satz 2 SGB III die Regelung nicht in Fällen einer Teilzeitvereinbarung nach dem Altersteilzeitgesetz, es sei denn, das Beschäftigungsverhältnis ist wegen Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers beendet worden. Vorliegend haben die Arbeitsvertragsparteien eine Altersteilzeitvereinbarung abgeschlossen. Altersteilzeitarbeit im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1, 2 i.V.m. § 1 Abs. 3 Satz 1 AltTZG in der bis zum 31. Dezember 2022 gültigen Fassung leisten Arbeitnehmer, wenn sie das 55. Lebensjahr vollendet haben, aufgrund einer Vereinbarung mit ihrem Arbeitgeber, die sich zumindest auf die Zeit erstrecken muss, bis eine Rente wegen Alters beansprucht werden kann, ihre Arbeitszeit auf die Hälfte der bisherigen wöchentlichen Arbeitszeit vermindert haben und versicherungspflichtig beschäftigt im Sinne des SGB III sind. Die Verringerung der Arbeitszeit kann entweder im sogenannten Teilzeitmodell, bei dem der Arbeitnehmer unter Verminderung seiner bisherigen Arbeitszeit weiterarbeitet, oder im sogenannten Blockmodell, bei dem der Arbeitnehmer zunächst weiterarbeitet (Arbeitsphase) und sodann freigestellt ist (Freistellungsphase), erfolgen (vgl. BAG, Urteil vom 12. August 2008 – 9 AZR 620/07 – juris). Eine solche Vereinbarung haben die Arbeitsvertragsparteien mit der Altersteilzeitvereinbarung vom 22. Juli 2009 geschlossen. Nach § 2 Nr. 1 dieser Vereinbarung beträgt die Altersteilzeitarbeit die Hälfte der Arbeitszeit die vor dem Übergang in die Altersteilzeit vereinbart war. Hierbei erfolgt die Aufteilung in Form eines Blockmodells mit einer Arbeitsphase vom 1. Dezember 2009 bis zum 30. September 2013 und einer Freistellungsphase vom 1. Oktober 2013 bis zum 31. Juli 2017. Die Vereinbarung erstreckte sich auf den Zeitraum bis ab dem 1. August 2017 von der Klägerin eine geminderte Rente wegen Alters beansprucht werden konnte.

Für Altersteilzeitvereinbarungen gilt eine Privilegierung nach § 10 Abs. 1 Satz 1 AltTZG. Dessen Satz 1 ordnet an, dass sich das Bemessungsentgelt eines Arbeitslosengeldempfängers, das sich nach dem SGB III ergibt, bis zu dem Betrag erhöht, der als Bemessungsentgelt zu Grunde zu legen wäre, wenn der Arbeitnehmer seine Arbeitszeit nicht im Rahmen der Altersteilzeit vermindert hätte. Dieses erhöhte fiktive Bemessungsentgelt ohne Arbeitszeitverkürzung gilt nach § 10 Abs. 1 Satz 2 AltTZG aber nicht, wenn der Arbeitnehmer eine Rente wegen Alters in Anspruch nehmen kann. Diese einschränkende Regelung kommt auch zur Anwendung, wenn eine Altersrente nur unter Inkaufnahme eines Abschlags vorzeitig in Anspruch genommen werden kann (BSG, Urteil vom 15. Dezember 2005 – B 7a AL 30/05 R – juris Rn. 14; bestätigt: Urteil vom 22. September 2022 – B 11 AL 31/21 R – juris Rn. 26), wie auch die Gesetzesbegründung ausdrücklich betont (BT-Drucks. 13/4877 S. 29 f.). Dies deckt sich damit, dass das Gesetz die Formulierung „erstmals beansprucht werden kann“ gewählt hat und auf eine Ausnahmeregelung für Altersrenten, die vorzeitig in Anspruch genommen werden, verzichtet hat, die in anderen Vorschriften ausdrücklich aufgenommen ist (z. B. § 428 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 SGB III). Nach der Rentenauskunft vom 29. August 2017 konnte die Klägerin eine Altersrente für langjährig Versicherte mit einem Abschlag von 9,6 % ab dem 1. August 2017 vorzeitig in Anspruch nehmen. Die Privilegierung im AltTZG nur für Arbeitslose, die noch keine Rente in Anspruch nehmen können, entspricht auch der Konzeption des Gesetzes. Nach dem Entwurf des Job-AQTIV-Gesetzes zum damaligen § 131 SGB III jetzt § 150 SGB III, wurden diese Konzeption und die geschützte Personengruppe deutlich. So heißt es: „Arbeitnehmer, die mit ihrem Arbeitgeber eine Teilzeitvereinbarung nach dem Altersteilzeitgesetz getroffen haben, sind bei Arbeitslosigkeit für Zeiten vor dem frühestmöglichen Rentenbeginn durch die Sonderregelung des § 10 Abs. 1 des Altersteilzeitgesetzes von Nachteilen bei der Bemessung des Arbeitslosengeldes geschützt. (…) Arbeitnehmer, die sich entschließen, nach Ablauf der Altersteilzeitvereinbarung – entgegen dem Grundgedanken des Altersteilzeitgesetzes und der Altersteilzeitförderung – keine Rente wegen Alters in Anspruch (zu) nehmen, sondern Arbeitslosengeld zu beantragen, sollen bei der Bemessung der Leistung für Zeiten nach einem möglichen Rentenbeginn jedoch nicht privilegiert werden“ (vgl. BT-Drucks. 14/6944, S. 36 zu § 131 zu Buchstabe d, jetzt § 150 Abs. 2 Satz 2 SGB III). D. h., der Schutz greift nur, wenn das Arbeitsverhältnis vor Beendigung der Altersteilzeitregelung endet, weil Altersteilzeit definitionsgemäß den Übergang bis zum Rentenbeginn gestaltet (vgl. § 2 Abs. 1 Nr. 2 AltTZG). Das Konzept der Altersteilzeit sieht nicht vor, dass nach Abschluss der Freistellungsphase der Altersteilzeit Arbeitslosengeld in Anspruch genommen wird.

An diesem eingeschränkten Schutz ändert auch die besondere Situation der Klägerin nichts, dass sie bei Abschluss der Altersteilzeitvereinbarung davon ausgehen musste, erst viel später eine Altersrente ohne Abschläge in Anspruch nehmen zu können. Die Neueinführung einer Altersrente für besonders langjährig Versicherte ändert nur etwas an dem frühestmöglichen Zeitpunkt für die Inanspruchnahme einer Rente ohne Minderung. Hingegen blieb die Möglichkeit bestehen, eine Altersrente unter Inkaufnahme eines Abschlags bereits zum 1. August 2017 in Anspruch nehmen zu können.

Aus dem Urteil des Bundessozialgerichts vom 12. September 2017 – B 11 AL 25/16 R – juris – kann für die vorliegende Fallkonstellation nichts abgeleitet werden. Es betrifft das Vorliegen eines wichtigen Grundes, der dem Eintritt einer Sperrzeit entgegensteht. Das Bundessozialgericht hat entschieden, dass ein solcher Grund nicht dadurch entfällt, dass entgegen der ursprünglichen, objektivierten Absicht, nunmehr unmittelbar nach der Altersteilzeit keine Altersrente, sondern zunächst Arbeitslosengeld in Anspruch genommen wird. Bei der Prüfung des wichtigen Grundes im Sperrzeitrecht geht es aber darum, dass eine Sperrzeit nur eintreten soll, wenn dem Arbeitnehmer unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung seiner Interessen mit denen der Versichertengemeinschaft ein anderes Verhalten zugemutet werden kann. Die Regelungen zur Höhe des Arbeitslosengeldes enthalten eine solche Zumutbarkeitsprüfung (wichtiger Grund) nicht. Fragen der Leistungsberechnung werden in dem von der Klägerin angeführten Urteil nicht behandelt.

Eine Nichtanwendung der Privilegierungstatbestände verstößt auch nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG). Für die unterschiedliche Arbeitslosengeldbemessung bei Personen, die noch keine Rente beanspruchen können, und solchen, die bereits eine Rente (wenn auch ggf. vorzeitig mit Abschlägen) beanspruchen können, besteht ein sachlicher Grund. Dieser besteht in dem Schutz der Arbeitslosenversicherung vor finanziellen Belastungen aus Frühverrentungen und darin, dass die Privilegierung nur Fälle des Scheiterns der Altersteilzeitvereinbarung betrifft. Anhaltspunkte für die Anwendung des besonderen Gleichheitssatzes des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 22. September 2022 – B 11 AL 31/21 R – juris Rn. 32) bestehen nicht, weil die Klägerin kein schwerbehinderter Mensch ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Das geringfügige Obsiegen durch den erwirkten Teilabhilfebescheid vom 1. Februar 2024 fällt nicht ins Gewicht und wirkt sich daher nicht aus (vgl. § 92 Abs. 2 Nr. 1 der Zivilprozessordnung).

Gründe, die Revision zuzulassen, bestehen nicht.

Rechtskraft
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