L 10 R 2326/22

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
10.
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 11 R 1898/20
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 R 2326/22
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 08.08.2022 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.



Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung.

Der 1973 geborene türkische Kläger zog im Jahr 1987 in das Bundesgebiet zu und war nach eigener Angabe von 1990 bis 1992 zunächst als Maschinenarbeiter, Staplerfahrer und in einer Gießerei beschäftigt. Von 1994 bis zum Eintritt von Arbeitsunfähigkeit Mitte Februar 2017 war er sodann als (angelernter) Busfahrer versicherungspflichtig tätig. Er bezog im Anschluss an die Entgeltfortzahlung zunächst Krankengeld und zuletzt bis 11.09.2019 Arbeitslosengeld. Wegen der weiteren Einzelheiten der zurückgelegten rentenrechtlichen Versicherungszeiten wird auf den Versicherungsverlauf vom 15.11.2022 (S. 31 ff. Senats-Akte) Bezug genommen.

Nach einem Hinterwandinfarkt nahm der Kläger vom 25.06. bis 16.07.2014 an einer ganztägig ambulanten Anschlussheilbehandlung im Z1 teil. Er wurde beschwerdefrei - wenn auch noch arbeitsunfähig - und mit einem Leistungsvermögen von mehr als sechs Stunden täglich für mittelschwere Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts entlassen.

In der Zeit vom 28.08. bis 18.09.2018 durchlief der Kläger nach stattgehabter Revisionsoperation im Bereich der Lendenwirbelsäule (LWS) eine stationäre (Anschluss-)Rehabilitationsmaßnahme in der H1 (Diagnosen: Schraubenlockerung S1 und Pseudarthrosenbildung L4/5 und L5/S1; Z.n. Re-Instrumentation, Verlängerung auf L3; Z.n. Spondylodese L4/5/S1 im Jahr 2010; Z.n. Operation bei Bandscheibenvorfall der LWS in den Jahren 2008, 2001, 1987; Koronare 3-Gefäßerkrankung, STEMI Hinterwand mit Stenteinlage im Jahr 2014; Diabetes mellitus Typ 2 seit 2017; chronische Hepatitis B; Schlafapnoe), aus der er arbeitsunfähig aber mit einem zeitlichen Leistungsvermögen von mehr als sechs Stunden täglich für leichte bis mittelschwere Tätigkeiten in wechselnder Körperhaltung (ohne Heben/Tragen von Lasten über 10-15 kg, ohne häufige Zwangshaltungen, etwa Bücken und Überkopfarbeiten) entlassen wurde.

Am 17.06.2019 beantragte der Kläger die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung. Die Beklagte zog ärztliche Unterlagen bei und holte bei dem W1 das Gutachten vom 29.10.2019 ein. Der Gutachter diagnostizierte nach Untersuchung chronische Schmerzen an der LWS mit Ausstrahlung in beide Beine nach mehrfacher Operation bei Z.n. Versteifung L4-S1 im Jahr 2010 und Versteifungsverlängerung L3-S1 im April 2018, ein chronisches Syndrom der Halswirbelsäule (HWS) sowie den Verdacht auf eine chronische Schmerzstörung W1 beschrieb beim Kläger eine „diffuse“ Beschwerdedemonstration mit verdeutlichender Beschwerdeschilderung und wies auf eine Diskrepanz zwischen den geklagten Beschwerden und dem objektiven Befund hin. Namentlich liege entgegen dem Beschwerdevorbringen keine isolierte Fußheberschwäche links vor. Der Gutachter schätzte das zeitliche Leistungsvermögen für leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts in wechselnder Körperhaltung auf mehr als sechs Stunden täglich ein (ohne regelmäßiges Heben und Tragen von Lasten über 10 kg, keine Arbeiten in regelmäßiger Oberkörpervorneige).

Noch am gutachtlichen Untersuchungstag begab sich der Kläger in stationäre Behandlung in das Zentrum für Wirbelsäulenchirurgie der Orthopädischen Klinik M1, wo er bis zum 07.11.2019 behandelt wurde. Wegen der diesbezüglichen weiteren Einzelheiten wird auf den ärztlichen Entlassungsbericht vom 15.11.2019 Bezug genommen (S. 61 ff. SG-Akte).

Gestützt auf das Gutachten des W1 lehnte die Beklagte den Rentenantrag des Klägers mit Bescheid vom 13.11.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 09.06.2020 ab, da keine Erwerbsminderung vorliege.

Hiergegen hat der Kläger am 13.07.2020 beim Sozialgericht Heilbronn (SG) Klage erhoben. Zur Begründung hat er im Wesentlichen geltend gemacht, dass er an multiplen Erkrankungen leide und nicht mehr in der Lage sei, auch nur leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu verrichten. Er habe alles getan, um seinen Gesundheitszustand zu verbessern (Besuche beim Heilpraktiker, Reha-Sport und Ertüchtigungsmaßnahmen im Verein für Gesundheitssport Medifit, Physiotherapie, Behandlungen bei Dr. S1, Massagen). Der Kläger hat im Laufe des SG-Verfahrens die Arztbriefe S1 vom 24.12.2020 (S. 60 SG-Akte) und 10.09.2021 (S. 202 SG-Akte) nebst dessen Rechnungen (CT-gestützte Infiltrationen, „IGEL“-Leistungen, s. S. 189 ff. SG-Akte) sowie den Arztbrief C1 vom 12.11.2020 (S. 70 f. SG-Akte) vorgelegt; insoweit wird hier wegen des Inhalts auf die genannten Aktenstücke verwiesen.

Das SG hat die behandelnden Ärzte des Klägers schriftlich als sachverständige Zeugen gehört. Der T1 hat im Wesentlichen mitgeteilt (Auskunft vom 25.02.2021, S. 55 f. SG-Akte), dass der Kläger seit 1990 über Rückenschmerzen klage und er sich mindestens alle vier Wochen in hausärztlicher Behandlung befinde (wegen der mitgeteilten Diagnosen s. im Einzelnen S. 55 SG-Akte). Er T1 halte den Kläger für nur noch leistungsfähig im Umfang von allenfalls zwei Stunden täglich; führend sei die Wirbelsäulenerkrankung mit massiven Schmerzen. Die Einschränkung der Leistungsfähigkeit bestehe seit 2017. Der A1 hat auf den o.a. Entlassungsbericht und zeitlich ältere Arztbriefe verwiesen; zur beruflichen Leistungsfähigkeit des Klägers hat er sich nicht zu äußern vermocht (Auskunft vom 12.04.2021, S. 106 SG-Akte). Der K1 hat bekundet (Auskunft vom 30.04.2021, S. 129 ff. SG-Akte), den Kläger zuletzt Mitte Januar 2020 behandelt zu haben. Aus orthopädischer Sicht sei der Kläger noch in der Lage, leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt in wechselnder Körperhaltung sechs Stunden täglich zu verrichten, wobei Arbeiten in Zwangshaltung, Überkopfarbeiten sowie das Heben von Lasten über 5 kg zu vermeiden seien; eine Einschränkung der Wegefähigkeit bestehe nicht. Der A2, der den Kläger zuletzt am 21.01.2021 behandelt hat, hat gemeint (Auskunft vom 08.05.2021, S. 165 SG-Akte), dass der Kläger wegen der bestehenden somatoformen Störung mit Schmerzchronifizierung maximal noch vier Stunden am Tag belastbar sei. Eine Einschränkung seiner Gehfähigkeit liege hingegen nicht vor. Die K2 hat berichtet (Auskunft vom 28.05.2021, S. 162 SG-Akte), den Kläger zuletzt im Juli 2019 (Hinweis auf den Arztbrief vom 08.07.2019 (S. 163 SG-Akte) gesehen zu haben. S1 hat im Wesentlichen bekundet (Auskunft vom 01.11.2021, S. 220 ff. SG-Akte), den Kläger wegen Rückenschmerzen behandelt zu haben (CT-Infiltrationen), zuletzt im September 2021. Eine leichte berufliche Tätigkeit in wechselnder Körperhaltung sei dem Kläger durchaus möglich und hätte auch positiven Einfluss auf sein Selbstwertgefühl.

Zu den Arztauskünften hat für die Beklagte die J1 beratungsärztlich Stellung genommen (sozialmedizinische Stellungnahmen vom 10.03.2021, S. 79 f. SG-Akte, vom 30.06.2021, S. 173 f. SG-Akte, und vom 17.11.2021, S. 234 f. SG-Akte) und im Einzelnen dargelegt, dass und warum aus den Arztauskünften und den vorgelegten Arztberichten eine zeitliche Leistungslimitierung für leichte körperliche Tätigkeiten unter Beachtung qualitativer Einschränkungen nicht abgeleitet werden könne. Insbesondere seien die Leistungseinschätzungen des T1 und des A2 nicht nachvollziehbar, zumal der Kläger aus der Behandlung in M1 mit einer nur endgradig eingeschränkten LWS-Beweglichkeit und schmerzgelindert entlassen worden sei.

Das SG hat von Amts wegen bei dem M2 das Sachverständigengutachten vom 08.03.2022 eingeholt. Der Sachverständige hat nach Untersuchung und unter Würdigung vom Kläger zur Untersuchung mitgebrachter weiterer ärztlicher Unterlagen eine chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren und eine leichte Fußsenkerparese Kraftgrad 4-5/5 links als Zeichen einer Wurzelkompression S1 links mit entsprechendem sensiblen Defizit diagnostiziert. Bei erheblicher Aggravation des Klägers bestehe kein ausreichender Anhalt für eine depressive Störung, weswegen der Einschätzung einer schweren depressiven Episode durch den zwischenzeitlich den Kläger behandelnden K3 nicht gefolgt werden könne, zumal auch die Behandlungsbemühungen (u.a. Nichtnachweisbarkeit der angegebenen Einnahme von Oxycodon im Blutserum, keine stationäre psychiatrische Behandlung, keine Psychotherapie) und der angegebene Leidensdruck ganz erheblich kontrastierten. Eine leichte Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sei dem Kläger noch mehr als sechs Stunden täglich möglich. Zu vermeiden seien das Heben/Tragen von Lasten über 10 kg, eine häufig vornübergebeugte Körperhaltung, regelmäßige Tätigkeiten im Freien bei ungünstigen Witterungsbedingungen, Tätigkeiten mit sehr hohen Anforderungen an das Konzentrationsvermögen sowie mit sehr hoher Verantwortung. Eine Einschränkung der Wegefähigkeit lasse sich medizinisch nicht begründen, ebenso wenig der Umstand, dass der Kläger nach eigener Angabe ständig zwei Gehstützen nutze. Eine wesentliche Änderung des Gesundheitszustands seit der Rehabilitation in sei nicht erkennbar und mit dem Gutachten des W1 bestehe Übereinstimmung.

Nach Anhörung der Beteiligten hat das SG die Klage mit Gerichtsbescheid vom 08.08.2022 abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass der Kläger noch in der Lage sei, leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt bei Beachtung qualitativer Einschränkungen (kein Heben und Tragen von Lasten über 10 kg, keine häufig vornübergebeugte Körperhaltung, keine regelmäßige Tätigkeit im Freien bei ungünstigen Witterungsbedingungen, kein ständiges Sitzen, Stehen oder Gehen, sondern ein Einsatz in wechselnden Körperhaltungen, keine Tätigkeiten mit sehr hohen Anforderungen an das Konzentrationsvermögen oder sehr hohe Verantwortung) mindestens sechs Stunden täglich auszuüben, sodass keine Erwerbsminderung bestehe. Dabei hat es sich in nervenärztlicher Hinsicht auf das Sachverständigengutachten gestützt und unter Darlegung des vom M2 erhobenen klinischen Befunds begründet, dass dieses Gutachten überzeuge. In orthopädischer Hinsicht hat sich das SG der Leistungseinschätzung des K1 angeschlossen und dargelegt, dass den vom A2 genannten lumbalen Schmerzen bei längerem Sitzen mit den qualitativen Leistungseinschränkungen hinreichend Rechnung getragen werde.

Gegen den seinen Prozessbevollmächtigten am 10.08.2022 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 15.08.2022 Berufung eingelegt. Er hat im Wesentlichen sein Vorbringen aus dem erstinstanzlichen Verfahren wiederholt. Nach wie vor leide er an ständigen Schmerzen und die ambulanten Behandlungsmöglichkeiten seien ausgeschöpft.

Der Kläger beantragt (teilweise sinngemäß),

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 08.08.2022 sowie den Bescheid der Beklagten vom 13.11.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 09.06.2020 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung, zumindest auf Zeit, ab dem 01.06.2019 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtenen Entscheidungen für zutreffend und hat mitgeteilt, dass die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen beim Kläger letztmalig bei einem Leistungsfall im Oktober 2021 erfüllt seien (s. S. 36 ff. Senats-Akte).

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (Schriftsatz vom 14.03.2023, S. 43 Senats-Akte, und vom 21.03.2023, S. 45 Senats-Akte).

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten sowie die Prozessakten erster und zweiter Instanz verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die gemäß § 151 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegte und gemäß den §§ 143, 144 SGG statthafte Berufung des Klägers, über die der Senat auf Grund des Einverständnisses der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 153 Abs. 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 SGG), ist zulässig, jedoch unbegründet.

Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Denn der Bescheid der Beklagten vom 13.11.2019 in der Gestalt (§ 95 SGG) des Widerspruchsbescheids vom 09.06.2020 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Er ist im Sinne der maßgeblichen gesetzlichen Regelung (§ 43 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 Satz 2 des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuchs - SGB VI -) weder voll noch teilweise erwerbsgemindert, sodass ihm eine entsprechende Rente wegen Erwerbsminderung nicht zusteht.

Das SG hat in den Gründen der angefochtenen Entscheidung die rechtlichen Grundlagen für die hier begehrte Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung dargelegt und zutreffend ausgeführt, dass der Kläger diese Voraussetzungen nicht erfüllt, weil er nicht erwerbsgemindert ist, sondern zumindest leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts unter Beachtung der im Einzelnen aufgeführten - vom Sachverständigen M2 benannten - qualitativen Einschränkungen noch mindestens sechs Stunden arbeitstäglich ausüben kann. Dabei hat es sich in orthopädischer Hinsicht zu Recht auf die Leistungseinschätzung des K1 gestützt - der die zeitliche Leistungsbeurteilung der Ärzte in M3 und die des Gutachters W1 (dessen Gutachten urkundsbeweislich verwertbar ist) bestätigt hat - und zutreffend ausgeführt, dass der entgegenstehenden Einschätzung des Facharztes A2 nicht gefolgt werden kann. In nervenärztlicher Hinsicht hat sich das SG ebenfalls zu Recht der Beurteilung des Sachverständigen M2 angeschlossen und auf der Grundlage des von ihm erhobenen klinischen Befunds sowie der von ihm beschriebenen nicht authentischen, inkongruenten und aggravierenden Beschwerdeangaben und -demonstrationen des Klägers im Einzelnen dargelegt, dass und warum dessen Leistungsbeurteilung überzeugt. Der Senat sieht daher von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab und weist die Berufung gemäß § 153 Abs. 2 SGG insoweit aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung zurück. Die vom SG angeführten qualitativen Einschränkungen sind lediglich um die von K1 zusätzlich genannten (keine Zwangshaltungen, keine Überkopfarbeiten) zu ergänzen, was der Senat zu Gunsten des Klägers seiner Beurteilung auch zu Grunde legt.

In nervenärztlicher Hinsicht leidet der Kläger an einer chronischen Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren sowie an einer leichten (Kraftgrad 4-5/5) Fußsenkerparese links als Zeichen einer Wurzelkompression S1 links mit entsprechendem sensiblen Defizit. Dies stützt der Senat auf das befundgestützte (s. im Einzelnen S. 266 ff., 270 ff. SG-Akte) und in jeder Hinsicht schlüssige und nachvollziehbare Gutachten des Sachverständigen M2, der insbesondere höhergradige seelische Störungen mit entsprechenden Schmerzzuständen in Ansehung der von ihm im Einzelnen begründeten erheblichen Aggravation, Beschwerdeverdeutlichung und inkonsistenten Beschwerdeangaben des Klägers (S. 268 f., 273 ff., 275 ff. SG-Akte) ausgeschlossen hat. Nachdem die Klägerseite dagegen sachlich-inhaltlich keine Einwände erhoben hat, legt der Senat seiner Entscheidung die überzeugenden Ausführungen des Facharztes M2 zu Grunde, zumal auch bereits zuvor der Gutachter W1 eine „diffuse“, verdeutlichende und mit dem klinischen Befund inkongruente Beschwerdedemonstration des Klägers beschrieben hat.

Ausgehend davon hat der Sachverständige M2 ebenfalls in jeder Hinsicht überzeugend dargelegt, dass die beim Kläger objektivierbaren Gesundheitsstörungen von nervenärztlicher Seite lediglich die o.a. qualitativen Einschränkungen bedingen, nicht jedoch zu einer zeitlichen Leistungsminderung führen.

Der Annahme der Ärzte in M4 (Entlassungsbericht vom 15.11.2019) und K3 (s. dazu die Ausführungen des Sachverständigen S. 254, 281 SG-Akte) von höhergradigen seelischen Störungen mit entsprechenden Schmerzzuständen ist damit - worauf der Sachverständige hingewiesen hat - die Grundlage entzogen. Ohnehin ist der Kläger aus der Behandlung in ausweislich des Entlassungsberichts mit nur leichtgradigen LWS-Einschränkungen und mit einer (leicht) gebesserten Stimmungslage und gebessertem Schlaf entlassen worden, sodass sich daraus jedenfalls keine überdauernden höhergradigen seelischen Funktionsdefizite ableiten lassen, worauf die Beratungsärztin J1 in ihrer sozialmedizinischen Stellungnahme vom 10.03.2021 zutreffend aufmerksam gemacht hat.

Sind damit die von T1 (Auskunft gegenüber dem SG) postulierten „massiven“ Schmerzen nicht objektiviert, geht seine maßgeblich darauf gestützte Einschätzung einer zeitlichen Minderung des klägerischen Leistungsvermögens auf allenfalls zwei Stunden täglich ins Leere; sie ist vielmehr durch das Sachverständigengutachten widerlegt. Nämliches gilt hinsichtlich der Einschätzung des A2 (Auskunft gegenüber dem SG), nachdem auch er eine zeitliche Leistungslimitierung aus der chronischen Schmerzstörung abgeleitet hat.

In orthopädischer Hinsicht leidet der Kläger im Wesentlichen an chronischen LWS-Beschwerden mit Ausstrahlung in die Beine nach mehrmaligen Operationen bei Z.n. Versteifung, Versteifungsverlängerung und Bandscheibenvorfällen sowie an einem chronischen HWS-Syndrom. Dies stützt der Senat maßgeblich auf den Entlassungsbericht Ärzte in M3 und auf das Gutachten W1. Nichts Abweichendes ergibt sich insoweit aus den Auskünften der behandelnden Ärzte - namentlich auch nicht aus der Auskunft (gegenüber dem SG) S1 - und den Arztbriefen Ärzte in M4 (soweit diese überhaupt den vorliegend maßgeblichen Zeitraum ab Juni 2019 betreffen), worauf die J1 in ihren sozialmedizinischen Stellungnahmen (die als qualifiziertes Beteiligtenvorbringen verwertbar sind) hingewiesen hat.

Diese somatischen Gesundheitsstörungen (zu den geltend gemachten Schmerzzuständen s. bereits oben) bedingen indes keine zeitliche Leistungslimitierung für leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts, sondern führen lediglich zu den o.a. qualitativen Einschränkungen, was der Gutachter W1, der die zeitliche Leistungsbeurteilung der Ärzte in M3 bestätigt hat, schlüssig und nachvollziehbar dargelegt hat und der sich der Sachverständige M2 ausdrücklich angeschlossen hat, nachdem auch der von ihm erhobene körperliche Untersuchungsbefund (S. 270 ff. SG-Akte) keine höhergradigen Funktionsdefizite ergeben hat. Auch K1 ist in seiner Auskunft gegenüber dem SG zu einem sechsstündigen Leistungsvermögen gelangt, was Erwerbsminderung ausschließt (vgl. § 43 Abs. 3 Halbsatz 1 SGB VI: „mindestens“, also einschließlich, sechs Stunden).

Dass und warum der Leistungseinschätzung des T1 und des A2 nicht gefolgt werden kann, ist bereits oben dargelegt worden, ebenso, dass sich aus den Arztbriefen der Ärzte in M4 nichts Abweichendes herleiten lässt; darauf wird verwiesen.

Die sonstigen, von internistischer Seite beim Kläger bestehenden Gesundheitsstörungen (im Wesentlichen koronare 3-Gefäßerkrankung, Z.n. Hinterwandinfarkt mit Stenteinlage, medikamentös eingestellter Diabetes mellitus Typ 2, chronische Hepatitis B) bedingen keine zeitliche Leistungslimitierung; ihnen wird mit den o.a. qualitativen Einschränkungen vielmehr hinreichend Rechnung getragen. Dies stützt der Senat auf den Entlassungsbericht der Ärzte in M3, auf die sozialmedizinische Stellungnahme der J1 vom 10.03.2021 und auf das Sachverständigengutachten des M2, der im Übrigen darauf hingewiesen hat, dass die vom Kläger vorgelegte Polysomnographie keine Apnoe zeigt (S. 255, 273 SG-Akte). Namentlich aus dem im SG-Verfahren vom Kläger vorgelegten Arztbrief des C1 (zusätzliche Diagnosen: mäßige Karotissklerose, arterielle Hypertonie, Nikotinabusus, Hyperlipidämie) ergibt sich - auch darauf haben die Fachärztin J1 und der M2 hingewiesen - nichts Abweichendes, zumal C1 dort einen stabilen Kardio-Befund ohne wesentliche Veränderung beschrieben hat. Ohnehin hat der Kläger beim Sachverständigen M2 zuletzt angegeben, dass er vor kurzem beim Kardiologen gewesen und „alles in Ordnung“ ist (S. 273 SG-Akte).

Das Rechtsmittelvorbringen rechtfertigt keine andere Beurteilung.

Soweit der Kläger (nur pauschal) auf seine ständigen Schmerzen verwiesen hat, hat der Sachverständige M2 die geklagten Schmerzzustände, soweit überhaupt objektivierbar, seiner Beurteilung zu Grunde gelegt und daraus - wie schon dargelegt - schlüssig und nachvollziehbar lediglich die o.a. qualitativen Einschränkungen abgeleitet.

Soweit der Kläger ferner (wiederum nur pauschal) gemeint hat, er habe alle (ambulanten) Behandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft, ist schon - unabhängig davon, dass der Sachverständige dies seitens seiner Fachgebiete gerade nicht bestätigt hat - eine Relevanz für den erhobenen Anspruch nicht zu erkennen. Wie schon dargelegt, lässt sich eine zeitliche Leistungsminderung nicht begründen und für die vorliegend zu entscheidende Frage einer Erwerbsminderung kommt es von vornherein nicht darauf an, ob der Kläger weiterhin wegen Krankheit oder Behinderung (auch medikamentös) behandlungsbedürftig oder - auch häufig - arbeitsunfähig ist (vgl. nur BSG 31.10.2012, B 13 R 107/12 B, in juris). Ebenso sagt der bei ihm festgestellte Grad der Behinderung nichts über seine berufliche Einsetzbarkeit aus (vgl. BSG 19.09.2015, B 13 R 290/15 B, in juris).

Nach alledem ist der Kläger auch zur Überzeugung des Senats noch in der Lage, zumindest leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts unter Beachtung der oben näher dargelegten qualitativen Einschränkungen mindestens sechs Stunden täglich auszuüben. Er ist daher nicht erwerbsgemindert und im gegebenen Zusammenhang spielt es auch keine Rolle, dass er seine vormalige berufliche Tätigkeit als Busfahrer nicht mehr verrichten kann. Unerheblich ist auch, ob ihm ein dem Leistungsvermögen entsprechender Arbeitsplatz vermittelt werden kann, weil nach § 43 Abs. 3 Halbsatz 2 SGB VI die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen ist und damit die Vermittelbarkeit auf einen leidensgerechten Arbeitsplatz nicht dem Verantwortungsbereich der Beklagten, sondern dem der Arbeitsverwaltung unterliegt (s. dazu nur BSG Großer Senat 19.12.1996, GS 2/95, in juris, Rn. 40 f.).

Die Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit ist vorliegend nicht erforderlich (vgl. BSG 14.09.1995, 5 RJ 50/94, in juris, auch zum Nachfolgenden). Denn nach der Rechtsprechung des BSG steht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt eine so große Anzahl von Tätigkeitsarten zur Verfügung, dass das Vorhandensein einer geeigneten Verweisungstätigkeit offensichtlich ist. Nur ausnahmsweise ist für einen auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbaren Versicherten wie dem Kläger mit zumindest sechsstündigem Leistungsvermögen für leichte Arbeiten die Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit erforderlich, wenn die Erwerbsfähigkeit durch mehrere schwerwiegende gesundheitliche Einschränkungen oder eine besonders einschneidende Behinderung gemindert ist. In der Rechtsprechung des BSG sind bestimmte Fälle anerkannt (z.B. Einarmigkeit, vgl. BSG, a.a.O., m.w.N.), zu denen der vorliegende Fall aber nicht gehört. Vielmehr braucht eine Verweisungstätigkeit erst benannt zu werden, wenn die gesundheitliche Fähigkeit zur Verrichtung selbst leichter Tätigkeiten in vielfältiger, außergewöhnlicher Weise eingeschränkt ist. Dies ist jedenfalls dann nicht der Fall, wenn ein Versicherter noch vollschichtig körperlich leichte Arbeiten ohne Heben und Tragen von Gegenständen über 5 kg, ohne überwiegendes Stehen und Gehen oder ständiges Sitzen, nicht in Nässe, Kälte oder Zugluft, ohne häufiges Bücken, ohne Zwangshaltungen, ohne besondere Anforderungen an die Fingerfertigkeit und nicht unter besonderen Unfallgefahren zu verrichten vermag (BSG a.a.O.; BSG 27.04.1982, 1 RJ 132/80, in juris). Denn ein Teil dieser Einschränkungen stimmt bereits mit den Tätigkeitsmerkmalen einer körperlich leichten Arbeit überein; dies gilt insbesondere für die geminderte Fähigkeit, Lasten zu bewältigen und die geringe Belastbarkeit der Wirbelsäule (BSG a.a.O.) mit den hierauf beruhenden Einschränkungen. Diese zur früheren Rechtslage entwickelten Grundsätze sind auch für Ansprüche auf Renten wegen Erwerbsminderung nach dem ab dem 01.01.2001 geltenden Recht weiter anzuwenden (vgl. zuletzt BSG 11.12.2019, B 13 R 7/18 R, in juris). Nicht anders liegt der Fall des Klägers. Auch bei ihm wird den qualitativen Einschränkungen (s.o.) im Wesentlichen bereits dadurch Rechnung getragen, dass ihm nur noch leichte Arbeiten zugemutet werden.

Abschließend stellt der Senat noch fest, dass beim Kläger auch keine schwere spezifische Leistungsbehinderung in Gestalt einer Einschränkung seiner Wegefähigkeit (vgl. dazu nur BSG 12.12.2011, B 13 R 79/11 R, in juris, Rn. 20 m.w.N.) vorliegt. Weder die noch W1 und der gerichtliche Sachverständige sowie die im SG-Verfahren gehörten Ärzte haben entsprechende Anknüpfungsbefunde, die eine solche Einschränkung begründen könnten, zu objektivieren vermocht. Selbst der A2 hat (in seiner Auskunft gegenüber dem SG) eine Beschränkung der klägerischen Gehfähigkeit ausdrücklich verneint. Dagegen ist nichts zu erinnern, zumal der Sachverständige M2 auch einen medizinischen Grund für die angebliche „ständige“ Nutzung von Gehstützen - die als tatsächlich zur Verfügung stehende Hilfsmittel ohnehin bei der Beurteilung der Mobilität eines Versicherten zu berücksichtigen sind (vgl. nur BSG 28.08.2002, B 5 RJ 12/02 R, in juris, Rn. 13 m.w.N.) - explizit und befundgestützt verneint hat. Unabhängig davon fährt der Kläger nach eigenen Angaben Pkw und nutzt öffentliche Verkehrsmittel (s. S. 265 SG-Akte).

Der medizinische Sachverhalt ist geklärt. Namentlich die vorhandenen Gutachten, der Entlassungsbericht der, die sozialmedizinischen Stellungnahmen der J1 und die Auskunft des K1 haben dem Senat die erforderlichen Grundlagen für seine Überzeugungsbildung vermittelt. Auf den aktuellen Gesundheitszustand des Klägers kommt es ohnehin nicht entscheidend an, weil - ausgehend vom Versicherungsverlauf vom 15.11.2022, gegen dessen Richtig- und Vollständigkeit die Klägerseite keine Einwände erhoben hat - die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen (§ 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB VI, sog. 3/5-Belegung) letztmalig für einen spätestens am 31.10.2021 eingetretenen Versicherungsfall erfüllt sind, worauf die Beklagte im Berufungsverfahren zutreffend hingewiesen hat. Denn im maßgeblichen Fünfjahreszeitraum vom 31.10.2016 bis 30.10.2021 sind insgesamt 36 Monate mit Pflichtbeiträgen belegt, anders als bei einem erst am 01.11.2021 (oder später) eingetretenen Versicherungsfall (dann nur 35 Monate mit Pflichtbeiträgen im Zeitraum vom 01.11.2016 bis 31.10.2021), nachdem der Versicherungsverlauf für die Zeit nach September 2019 überhaupt keine rentenrechtlichen Zeiten mehr enthält.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.





 

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