- Geht das Gericht von einem besonders starken Anordnungsanspruch aus, sind die Anforderungen an den Anordnungsgrund – jedenfalls bei einer Regelungsanordnung für die Zukunft – sehr gering. Allein eine drohende ordentliche Kündigung wegen der noch bestehenden Mietschulden genügt im Hinblick auf die vom BVerfG gesehene besondere grundrechtliche Bedeutung der Unterkunftssicherung als drohender wesentlicher Nachteil.
- Personen dürfen sich gerade in einer Situation, in der sich ihre Hilfebedürftigkeit erhöht, an den Grundsicherungsträger mit einem Antrag wenden, ohne dass ihnen dies nachteilig ausgelegt wird.
- Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Neuruppin vom 14. Dezember 2023 geändert.
- Dem Antragsgegner wird auferlegt, an den Antragsteller vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Kosten der Unterkunft für die Zeit ab 6. März 2024 bis 31. März 2024, längstens bis zur Entscheidung in der Hauptsache, in Höhe von 333,33 Euro (25/30 aus 400 Euro) zu zahlen.
- Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
- Der Antragsgegner hat dem Antragsteller dessen Kosten des Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes zu zwei Dritteln zu erstatten.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes über höhere Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II, im Beschwerdeverfahren nur noch hinsichtlich der Leistungen für die Kosten der Unterkunft für Zeiträume vom 7. November 2023 bis 31. März 2024.
Der 1991 geborene Antragsteller hat beim Antragsgegner für Zeiträume ab Oktober 2022 Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II geltend gemacht. Er wohnt in einer im Eigentum seiner Eltern stehenden Wohnung wieder seit August 2022, nachdem er bis zum Frühjahr 2022 bereits in dieser Wohnung gelebt hatte, dann jedoch bis zur fristlosen Kündigung im Juli 2022 in einer Mietwohnung in K. In den Monaten August und September 2022 konnte er in seiner aktuellen Wohnung mietfrei leben. Für die Zeiträume ab 1. Oktober 2022 schloss er mit seinen Eltern einen Mietvertrag, wonach er eine Nettokaltmiete von 300 Euro und für die Betriebskosten monatlich 100 Euro zu zahlen hat. Er ist selbständig tätig.
Der Antragsgegner bewilligte ihm mit Bescheid vom 16. Oktober 2023 vorläufig Bürgergeld in Höhe von monatlich 139,99 Euro für Oktober bis Dezember 2023 und für den Zeitraum von Januar bis März 2024 monatlich 200,99 Euro. Einkommen aus selbständiger Tätigkeit rechnete der Antragsgegner nicht an, weil dieses mit dem monatlichen Betrag von 99,84 Euro unter dem Freibetrag liege. Allerdings rechnete er Zahlungen der Mutter in Höhe von monatlich 500 Euro an. Während Heizkosten von 137,99 Euro beim Bedarf berücksichtigt wurden, erkannte der Antragsgegner die Miete nicht an; nur die nachgewiesenen Hauslasten könnten berücksichtigt werden. Eine ernsthafte Verpflichtung aus dem mit den Eltern geschlossenen Mietvertrag werde nicht gesehen (Bescheid Seite 9).
Gegen den Bescheid wandte sich der Antragsteller mit dem Widerspruch vom 23. Oktober 2023 (Zugang beim Antragsgegner am 07. November 2023) und beantragte am 7. November 2023 den Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Begehren, ihm ab Eingang des Antrages bei Gericht Leistungen nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe bis zum 31. März 2024, längstens bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens zu gewähren. Seine Mutter habe ihm letztmalig im August 2023 ein Darlehen von 500 Euro gewährt. Die Kosten der freiwilligen Krankenversicherung in Höhe von monatlich 217,28 Euro seien zu berücksichtigen. Er sei krank und befinde sich in einer finanziellen Notlage. Er hat das mit „Fristlose Kündigung des Mietverhältnisses“ überschriebene Schreiben der Eltern vom 10. November 2023 vorgelegt, wegen dessen Inhalt auf die Gerichtakte Bezug genommen wird.
Der Antragsgegner meinte, der Mietvertrag mit seiner Mutter werde offensichtlich nicht gelebt. Hinsichtlich des Anordnungsgrundes müsse der Grundsatz der Selbstwiderlegung zur Anwendung kommen, weil niemand mit der Behauptung wesentlicher Nachteile gehört werden könne, wenn er sich nicht nachdrücklich um Arbeit bemühe.
Das Sozialgericht Neuruppin hat mit Beschluss vom 14. Dezember 2023 den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller für die Zeit vom 7. November 2023 bis 31. März 2024, längstens bis zur Entscheidung in der Hauptsache, vorläufig weitere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II i.H.v. 229,82 Euro für November 2023, 299,76 Euro für Dezember 2023 sowie 287,56 Euro monatlich für Januar bis März 2024 zu gewähren. Im Übrigen hat das Sozialgericht den Antrag abgelehnt. Dabei ist das Sozialgericht davon ausgegangen, dass im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens ein Abschlag von 20 % vom Regelbedarf zur Vermeidung der Vorwegnahme der Hauptsache vorzunehmen sei. Aus diesem Grund bleibe auch der Freibetrag unberücksichtigt. Zahlungen der Mutter seien nicht mehr ersichtlich. Hinsichtlich der freiwilligen Krankenversicherung sei diese nicht als Bedarf anzuerkennen, weil der Antragsteller aufgrund des Leistungsbezuges beim Antragsgegner gesetzlich pflichtversichert sei. Bedarfe für die Unterkunft seien nur insofern zu berücksichtigen, als diese vom Antragsteller auch getragen würden. Es sei nicht ersichtlich, dass der Mietvertrag des Antragstellers mit seiner Mutter gelebt würde oder die ausgesprochene Kündigung weiterbetrieben werde. Die weitere Sachaufklärung zu den Bedarfen für die Unterkunft könne einem etwaigen Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben.
Gegen den am 27. Dezember 2023 zugestellten Beschluss hat der Antragsteller am 3. Januar 2024 beim Sozialgericht Neuruppin Beschwerde eingelegt und diese auf den Bedarf für Unterkunft und Heizung von monatlich 400 Euro beschränkt. Er bezieht sich auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss vom 01.08.2020 17, 1 BvR 1910/12). Die Eltern seien in verständlicher Weise nicht mehr bereit, auch noch ein Hauptsacheklageverfahren abzuwarten, welches ohne Weiteres ein bis zwei Jahre oder länger dauern könne. Die Mutter des Antragstellers habe mit Schreiben vom 10. November 2023 erklärt, dass noch der Ausgang des gerichtlichen Eilverfahrens abgewartet werden solle. Der Antragsteller leide phasenweise an Depressionen und sei seit 23. Oktober 2023 arbeitsunfähig erkrankt. Soweit das Sozialgericht meine, dass der Mietvertrag mit der Mutter nicht gelebt werde, verkenne es, dass die mietvertraglich geschuldete Miete nur deswegen nicht bezahlt werden könne, weil das Jobcenter keine Leistungen bewillige. Der Antragssteller könne nicht darauf verwiesen werden, auf die Erhebung einer Räumungsklage zu warten. Weil der Mietvertrag wirksam sei, komme es nicht auf den Nachweis konkreter Nebenkosten, sondern auf die mietvertragliche Regelung an. Eine wirksame Kündigung des Mietverhältnisses liege nicht vor. Gegebenenfalls komme § 546a BGB dahingehend zur Anwendung, dass die vereinbarten Mietkosten weiter geltend gemacht würden. Die vom Antragsgegner gewährten Nachzahlungen habe er zur Schuldentilgung, insbesondere auch bei seiner Mutter eingesetzt. Das Mietverhältnis werde gelebt. So habe der Antragsteller seinerzeit für Oktober 2022 die Miete gezahlt und habe nunmehr mit den Nachzahlungen des Antragsgegners einen Teil der Mietschulden begleichen können.
Der Antragsteller beantragt,
den Antragsgegner unter Änderung des Beschlusses vom 14. Dezember 2023 im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig zu verpflichten, dem Antragsteller weitere Leistung nach dem SGB II für den Zeitraum ab 7. November 2023 bis zum 31. März 2024, längstens jedoch bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens mit der Maßgabe zu gewähren, dass als Bedarf für Unterkunft und Heizung monatlich ein Betrag i.H.v. 400,00 Euro anerkannt wird.
Der Antragsgegner beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Er hat den Beschluss des Sozialgerichts Neuruppin ausgeführt und mit dem Teilabhilfe- und Widerspruchsbescheid vom 17. Januar 2024 Leistungen ohne Einkommensanrechnung auf den gesamten Regelbedarf und monatliche Heizkosten von 137,99 Euro gewährt. Insgesamt wurden dem Antragsteller Leistungen bis Januar 2024 in einer Höhe von 2.053,39 Euro ausgezahlt. Im Hinblick auf diese Nachzahlung und weitere Nachzahlungen aus früheren Verfahren (Bescheid vom 19. Februar 2024) und der Gutschrift der Bundeskasse K vom 27. Dezember 2023 i.H.v. 2.959,63 Euro verfüge der Antragsteller über ausreichende Mittel für den streitgegenständlichen Zeitraum, weshalb es am Anordnungsgrund fehle.
Der Berichterstatter hat im Erörterungstermin am 23. Februar 2024 die Mutter des Antragstellers als Zeugin vernommen. Wegen der Ergebnisse der Beweiserhebungen wird auf den Inhalt des Protokolls vom 23. Februar 2024 Bezug genommen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der vorliegenden Gerichts- und Verwaltungsakten Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist teilweise begründet.
Weil der Antragsteller eine Änderung des bestehenden Zustandes verlangt, ist die Entscheidung auf der Grundlage von § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG zu treffen. Danach kann das Gericht eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Wegen § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO erscheint die Regelung nötig, wenn die Rechtsverfolgung erhebliche Erfolgsaussicht hat (Anordnungsanspruch) und bei Abwägung der Interessen der Beteiligten die Interessen des Antragstellers an der vorläufigen Regelung diejenigen der anderen Beteiligten überwiegen und für ihre Realisierung ohne die Regelung erhebliche Gefahren drohen, also ein besonderer Eilbedarf für eine Entscheidung besteht und die besondere Eile rechtfertigt (Anordnungsgrund). Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund stehen nicht beziehungslos nebeneinander, sondern stehen in einem Wechselverhältnis (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt: SGG, 14. Aufl., § 86b RdNr. 27 m.w.N.): Je größer die Erfolgsaussichten in der Hauptsache sind, umso geringer sind die Anforderungen an den Anforderungsgrund und umgekehrt. Die Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes verlangt grundsätzlich die Möglichkeit eines Eilverfahrens, wenn ohne sie dem Betroffenen eine erhebliche, über Randbereiche hinausgehende Verletzung in seinen Rechten droht, die durch die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden kann (BVerfG, Beschlüsse vom 06.02.2013, 1 BvR 2366/12, RdNr. 2, und vom 12.05.2005, 1 BvR 569/05, RdNr. 23 m.w.N.). Dies gilt sowohl für Anfechtungs- wie für Vornahmesachen. Die Entscheidungen dürfen sowohl auf eine Folgenabwägung wie auch auf eine summarische Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache gestützt werden, erforderlichenfalls unter eingehender tatsächlicher und rechtlicher Prüfung des im Hauptverfahren geltend gemachten Anspruchs (BVerfG, Beschluss vom 06.02.2013, 1 BvR 2366/12, RdNr. 2). Dabei sind die grundrechtlichen Belange des Antragstellers umfassend in die Abwägung einzustellen. Die Gerichte müssen sich schützend und fördernd vor die Grundrechte des Einzelnen stellen (BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005, 1 BvR 569/05, RdNr. 26 m.w.N.).
Eine Vorwegnahme der Hauptsache kann bei drohenden schweren und unzumutbaren Nachteilen geboten sein (BVerfG, Beschluss vom 25.02.2009, 1 BvR 120/09 RdNr. 17). Eine Vorwegnahme der Hauptsache liegt nur dann vor, wenn die begehrte vorläufige Entscheidung faktisch keine vorläufige wäre, sondern einer endgültigen gleichkäme (BVerfG, Beschluss vom 03.05.2012, 2 BvR 2355/10, 2 BvR 1443/11, RdNr. 13). Vorläufige Geldleistungen bzw. vorläufige Leistungserbringung durch Kostenübernahme stellen nach dieser Rechtsprechung des BVerfG keine Vorwegnahme der Hauptsache dar, sofern nicht die Rückforderung der Zahlung ausgeschlossen ist (Keller a.ao. § 86b RdNr. 31).
Im vorliegenden Fall ist eine vorläufige Zahlung im Streit, für welche die Rückforderung nicht ausgeschlossen ist, so dass die strengeren Maßstäbe für den Fall einer Vorwegnahme der Hauptsache nicht anzuwenden sind.
Ein Anordnungsgrund besteht grundsätzlich nicht, wenn Leistungen für die Vergangenheit Gegenstand des Verfahrens sind. Für derartige Situationen besteht grundsätzlich kein Eilbedarf, weil es Sinn des einstweiligen Rechtsschutzes ist, aktuelle und drohende wesentliche Nachteile abzuwenden, die hinzunehmen bis zum Abschluss der Hauptsacheverfahren unzumutbar erscheinen. Kein besonderer Eilbedarf kann regelmäßig angenommen werden bei der Verfolgung offener Geldforderungen aus der Vergangenheit. Nur ausnahmsweise können derartige offene Forderungen zugleich wesentliche Nachteile bis zur Entscheidung in der Hauptsache begründen, insbesondere dann, wenn aus den fehlenden Geldmitteln aktuelle schwere, existenzbedrohende Nachteile für die Gegenwart oder den Zeitraum bis zur Entscheidung der Hauptsache drohen. Anderenfalls ist den Antragstellern bei bloßen Geldforderungen zuzumuten, den Ausgang des Hauptsacheverfahrens abzuwarten, weil das Risiko, die geltend gemachte Zahlungsforderung prozessual nicht realisieren zu können, der mit jedem gerichtlichen Verfahren verbundene mögliche Nachteil ist, der nicht als besonderer Nachteil ein besonderes Eilbedürfnis zu begründen vermag.
Im vorliegenden Fall macht der Antragsteller auch Geldleistungen für Zeiträume in der Vergangenheit geltend. Insofern ist seine Beschwerde unbegründet.
Einen besonderen Eilbedarf für in der Vergangenheit liegende Zeiträume, also die Zeiträume vor dem Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung, hat er nicht glaubhaft gemacht. Streitig sind noch die Kosten der Unterkunft. Der existenzsichernde und zugleich Teilhabebedarf, der mit den Unterkunftskosten verbunden ist, kann in der vorliegenden Konstellation nicht mehr gefährdet sein. Auch aus dem Schreiben vom 10. November 2023 und den Ausführungen der Zeugin ergibt sich, dass eine Wohnraumgefährdung für den Antragsteller nicht besteht, sollte dieser im Eilverfahren hinsichtlich der Anerkennungsfähigkeit der Unterkunftskosten obsiegen. Weitergehende Gründe für eine rückwirkende vorläufige Gewährung von Unterkunftskosten sind nicht vorgetragen, geschweige denn glaubhaft gemacht.
Für die Zeiträume ab Entscheidung des Senats liegen Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund vor.
Dabei legt der Senat das Begehren des Antragstellers dahingehend aus, dass Heizkosten entgegen der Formulierung im Antrag nicht geltend gemacht werden, sondern nur die Kosten der Bruttokaltmiete, denn der Antragsgegner hatte von Beginn an die Heizkosten ohne Kostensenkungsaufforderung (obwohl diese ersichtlich extrem hoch sind) als Bedarf berücksichtigt. Auch der Betrag der geltend gemachten Forderung entspricht ausschließlich der Bruttokaltmiete, wie sie nach dem eingereichten Mietvertrag geschuldet sein soll. Nicht mehr zu beurteilen, weil mit der Beschwerde nicht geltend gemacht und inzwischen durch den Widerspruchsbescheid uneingeschränkt bewilligt, sind die Leistungen für den Regelbedarf mit den damit verbundenen Fragen der Einkommensanrechnung.
Es liegt ein Anordnungsanspruch vor. Der Antragsteller hat Anspruch auf die Leistung für die Kosten der Unterkunft für die Zeiträume ab Entscheidung des Senats.
Der Antragsteller ist erwerbsfähiger Leistungsberechtigter im Sinne von §§ 19 Abs. 1 Satz 1, 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II. Er erfüllt die Altersvoraussetzung nach § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II, ist trotz seiner akuten Erkrankung erwerbsfähig (Nr. 2, i.V.m. § 8 SGB II) und wohnt im Bundesgebiet (Nr. 4). Er ist ausweislich der vorgelegten Kontoauszüge trotz der Einkünfte aus der selbständigen Erwerbstätigkeit nicht in der Lage, die Bedarfe für seinen Unterhalt (Regelbedarfe) und für seine Unterkunft zu decken und damit hilfebedürftig (Nr. 3). Den gezahlten Zuschuss der Bundeskasse (Überweisung von 2.959,63 Euro am 27. Dezember 2023) hatte der Antragsteller bereits bei der Gewinnkalkulation berücksichtigt. Insofern stellt dieser Zahlungseingang einen bereits erwarteten und in der vorläufigen Gewinnberechnung berücksichtigten Zufluss dar. Die Nachzahlungen von Bürgergeld für abgelaufene Zeiträume stellen für die Berechnung der Leistungshöhe keine relevanten Einkünfte dar (§ 11a Abs. 1 Nr. 1 SGB II). Die Hilfebedürftigkeit ist daher nicht zweifelhaft.
Nach §§ 19 Abs. 1 Satz 3, 22 Abs. 1 SGB II umfassen die Leistungen auch den Bedarf für Unterkunft und Heizung. Entscheidend ist allein, dass Aufwendungen für die Unterkunft tatsächlich entstanden und Zahlungen erfolgt sind bzw. der Betroffene einem ernsthaften Zahlungsbegehren ausgesetzt ist (Piepenstock in jurisPK-SGB II, 5. Aufl. 2020, Stand 06.02.2023, § 22 RdNr. 54 m.w.N.). Davon ist im vorliegenden Fall auszugehen. Der Senat hat sich nach Vernehmung der Zeugin und Anhörung des Antragstellers sowie der Auswertung des Mietvertrages und der vorliegenden Kontoauszüge davon im Sinne des Vollbeweises überzeugt, dass der Mietvertrag wirksam geschlossen und ernst gemeint ist. Als Mietvertrag wurde ein Standardvertragsvordruck verwendet und den Gegebenheiten der Beteiligten angepasst. Der Senat hält insbesondere der Vortrag der Zeugin für glaubhaft, soweit sie aus ihrer Sicht das Zustandekommen des Vertrages und den von der Seite der Eltern des Antragstellers bestehenden Willen für eine vertragliche Bindung in der vorliegenden Gestalt geschildert hat. Nachvollziehbar ist, dass sie das gesamte Grundstück mit beiden Wohnungen für die Altersvorsorge angeschafft haben. Nachvollziehbar ist auch, dass sie deshalb die einzig derzeit bewohnbaren Wohnräume vermieten wollen, die Einnahmen daraus erzielen und für ihre Altersvorsorge beziehungsweise die weiteren erforderlichen Rekonstruktionsarbeiten am Haus zur Verfügung haben wollen. Ebenso plausibel ist, dass sie nach Ablauf der Übergangsmonate August und September 2022 keine vergönnungsweise Überlassung der Wohnung an den Sohn mehr hinnehmen wollten. Die weiteren Gründe, zu denen das Zerwürfnis mit dem Vater ebenso zählt wie die Auffassung der Zeugin, dass ihr Sohn nicht mehr studiere und deshalb dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehe, leuchten ein. Vor diesem Hintergrund kommt es auf die nach der ständigen Rechtsprechung des BSG ohnehin in Grundsicherungsfragen irrelevante Forderung eines Fremdvergleichs (vgl. BSG, Urteile vom 03.03.2009, B 4 AS 37/08 R und vom 07.05.2009, B 14 AS 31/07 R) nicht an. Aus Sicht des Senats ist im Sinne dieser höchstrichterlichen Rechtsprechung der Bindungswillen der Eltern und auch des Klägers bewiesen.
Auch das Verhalten der Beteiligten spricht für ein ernsthaft gewolltes Mietverhältnis zu den vereinbarten Bedingungen. Dass der Vertrag niemals erfüllt wurde, ist anhand der für Oktober 2023 gezahlten vollständigen Miete (VA Bd. II Bl. 280) widerlegt. Zudem hat der Antragsteller, nachdem ihm Leistungen über den Bereich des absolut Unerlässlichen hinaus erbracht wurden, mit der Tilgung der Mietschulden begonnen, zunächst die Nebenkosten, sodann auch die Bruttokaltmieten. Der Antragsgegner setzt sich in Widerspruch, wenn er einerseits dem Leistungsbedürftigen die notwendigen Leistungen verweigert und ihm dann andererseits entgegenhalten will, dieser erfülle seine mietvertraglichen Pflichten nicht, weshalb der Mietvertrag nicht ernst gemeint sein könne. Dies gilt umso mehr, wenn er in diesem Zusammenhang die tatsächlich erfolgten Zahlungen (hier für die Miete Oktober 2023) nicht einmal ernsthaft zur Kenntnis nimmt, obwohl ihm die Unterlagen dafür vorliegen. Vor diesem Hintergrund stellt die Behauptung des Antragsgegner, die Zahlungen nach dem Erörterungstermin seien lediglich zum Zwecke der Demonstration nach außen hin erfolgt, ohne dass mehr Indizien dafür vorgetragen werden als der zeitliche Zusammenhang, nicht mehr als eine Vermutung ins Blaue hinein dar.
Die vom Antragsgegner ebenfalls nur aus einem zeitlichen Zusammenhang, zwischen Mietvertragsschluss und Antragstellung nach dem SGB II, abgeleitete Vermutung eines Scheingeschäfts erscheint dem Senat gleichfalls nicht haltbar. Selbstverständlich dürfen sich Betroffene gerade in einer Situation, in der sich ihre Hilfebedürftigkeit erhöht, an den Grundsicherungsträger mit einem Antrag wenden, ohne dass ihnen dies nachteilig ausgelegt wird. Dieser Annahme hätte der Antragsgegner mit Ermittlungen von Amts wegen nachgehen müssen. Als Beweiswürdigung ist sie nicht schlüssig.
Der Mietvertrag ist nicht wirksam gekündigt. Dabei kann der Senat offen lassen, ob das Schreiben vom 10. November 2023 überhaupt eine wirksame Kündigung darstellt. Wäre dies der Fall, wäre der Kündigungszeitpunkt noch nicht eingetreten, weil nach den Äußerungen von Antragsteller und Zeugin der Kündigungszeitpunkt nicht vor Abschluss des erst durch diesen unanfechtbaren Beschluss abgeschlossenen Eilverfahrens liegen konnte. Dies bestätigt sich bei Auslegung des Schreibens aus Adressatensicht. Erst recht nicht beendet ist das Mietverhältnis, hielte man das Schreiben als Kündigung für unwirksam.
Da der Antragsgegner nach seinen Angaben im Erörterungstermin ein Kostensenkungsverfahren noch nicht eingeleitet hat, können die Unterkunftskosten derzeit nicht als unangemessen angesehen werden. Insofern kommt es mithin nicht darauf an, dass sowohl die Zeugin wie auch der Antragsteller angegeben haben, jeweils vergleichbare Mietangebote zur Grundlage der vereinbarten Miete gemacht zu haben. Darauf, von wem die Initiative für die Vergleiche ausgegangen ist, kommt es nicht an. Dass es insofern eine Abweichung in den Aussagen gab (sowohl der Antragsteller als auch die Zeugin haben für sich in Anspruch genommen, den Vergleich mit entsprechenden Inseraten vorgenommen zu haben), spricht dafür, dass keine Absprache in den Aussagen vorlag. Die gemachten Angaben bestärken in dieser im Ergebnis irrelevanten Frage eher die Glaubhaftigkeit, zumal nicht ausgeschlossen ist, dass tatsächlich beide entsprechende Recherchen anstellten.
Mithin steht für den Senat fest, dass die vereinbarte Bruttokaltmiete ernsthaft geschuldet ist und damit einen existenzsichernden Bedarf des Antragstellers darstellt. Neben den bereits gewährten, nicht mit einer Kostensenkungsaufforderung behafteten Heizungskosten besteht mithin ein Unterkunftsbedarf des Antragstellers in Höhe von monatlich 400 Euro. Dieser ist wegen § 19 Abs. 1 Satz 3 SGB II als Leistung des Antragsgegners an den Antragsteller für den noch verbleibenden Monat März 2024 anteilig zu erbringen, dem entsprechend 333,33 Euro (25/30 von 400 Euro).
In Höhe des titulierten Bedarfs besteht ein Anordnungsgrund, weil der Antragsteller dieser Mittel für sein menschenwürdiges Existenzminimum bedarf. Der Unterkunftsbedarf ist insbesondere mit der damit verbundenen Teilhabekomponente nicht aufschiebbar. Da der Senat von einem Anspruch überzeugt ist, der Anordnungsanspruch also besonders stark ist, sind die Anforderungen an den Anordnungsgrund – jedenfalls für die Zukunft – sehr gering. Allein die drohende ordentliche Kündigung wegen der noch bestehenden Mietschulden genügt im Hinblick auf die vom BVerfG gesehene besondere grundrechtliche Bedeutung der Unterkunftssicherung (BVerfG, Beschluss vom 10.10.2017, 1 BvR 617/14 RdNr. 19 m.w.N.) als drohender wesentlicher Nachteil. Auf eine Räumungssituation kann es noch weniger ankommen. Insofern ist es irrelevant, welche finanziellen Mittel dem Antragsteller für den restlichen Monat des Streitzeitraumes zur Verfügung stehen. Noch weniger kommt es auf die Annahme einer „Selbstwiderlegung“ an. Diese verkennt die verfassungsrechtlichen Vorgaben des BVerfG, wonach auch bei schwersten Verfehlungen der Anspruch auf Gewährleistung des menschenwürdigen Existenzminimums nicht verloren geht (BVerfG, Urteil vom 05.11.2019, 1 BvL 7/16 RdNr. 120). Lediglich, wenn unmittelbar eine konkret vorhandene zumutbare Erwerbsmöglichkeit abgelehnt wird, kann Hilfebedürftigkeit verneint werden (BVerfG ebd. RdNr. 209). Fehlt es daran, mangelt es ggf. an den Ressourcen für die Realisierung der Teilhabebedarfe, die mit dem menschenwürdigen Existenzminimum vermittelt werden, wozu auch die Unterkunft als wesentliches Moment der Teilhaberealisierung zählt. Ein Anordnungsgrund kann deshalb wegen unzureichender Erwerbsbemühungen nur in dem vom BVerfG angenommenen Ausnahmefall ausscheiden. Dazu ist vom Antragsgegner nichts vorgetragen oder auch sonst nur ersichtlich.
Die Kostenentscheidung für das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes beruht auf der entsprechenden Anwendung von § 193 SGG. Sie berücksichtigt den überwiegenden Erfolg der Rechtsverfolgung und die Veranlassung des Verfahrens durch den Antragsgegner, der bereits seit mehreren Bewilligungszeiträumen die erforderlichen Ermittlungen von Amts wegen unterlassen hat, welche der Senat nunmehr im Eilverfahren nachgeholt hat.
Gegen diesen Beschluss gibt es kein Rechtsmittel (§ 177 SGG).