Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 8. Januar 2024 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
Streitig ist die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) für die Zeit vom 01.12.2020 bis 31.08.2021.
Die 1982 geborene Klägerin ist bulgarische Staatsbürgerin. Sie zog am 15.09.2017 aus Bulgarien zu ihrem 1977 geborenen Lebensgefährten, Herrn R1, der Kläger des Verfahrens L 9 AS 493/24 ist, in dessen 50 m² große Wohnung ein, für welche dieser ab der Anmietung zum 01.09.2017 monatlich eine Kaltmiete in Höhe von 500 € und Betriebskostenvorauszahlungen in Höhe von 135 € zu zahlen hatte. Seit ihrer Einreise hat die Klägerin keine Erwerbstätigkeit ausgeübt, sondern war nach eigenen Angaben Hausfrau. Die Klägerin und Herr R1, der die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt, haben zwei gemeinsame, 2022 geborene Kinder.
Nach unselbstständiger Erwerbstätigkeit im Bundesgebiet zwischen 01/2012 und 08/2019 war Herr R1 ab 08/2019 arbeitslos und bezog von 09/2019 bis 08/2020 Arbeitslosengeld I.
Am 10.12.2020 beantragten die Klägerin und Herr R1 Arbeitslosengeld II beim Beklagten, welches dieser mit Bescheid vom 23.12.2020 ablehnte, weil die Hilfebedürftigkeit nicht nachgewiesen sei. Auf den Widerspruch vom 08.01.2021 hob der Beklagte die Leistungsablehnung mit Abhilfebescheid vom 21.01.2021 auf.
Mit weiterem Bescheid vom 21.01.2021 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 30.07.2021 bewilligte der Beklagte Herrn R1 Arbeitslosengeld II für die Zeit vom 1.12.2020 bis 30.11.2021 in Höhe von 706,50 € für Dezember 2020 und ab Januar 2021 monatlich 718,50 €. Er berücksichtigte hierbei den Regelbedarf für Partner (Regelbedarfsstufe 2) in Höhe von 389,00 € (Dezember 2020) und 401,00 € (ab Januar 2021) sowie hälftige Unterkunftskosten in Höhe von 317,50 €. Die von Herrn R1 dagegen erhobene Klage hat das Sozialgericht Stuttgart (SG) mit Gerichtsbescheid vom 08.01.2024 (S 20 AS 3888/21) abgewiesen. Die dagegen erhobene Berufung ist beim Landessozialgericht Baden-Württemberg anhängig (L 9 AS 493/24).
Mit weiterem Bescheid vom 21.01.2021 lehnte der Beklagte die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II an die Klägerin ab mit der Begründung, diese sei von Grundsicherungsleistungen gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II ausgeschlossen, da sie sich nur auf ein Aufenthaltsrecht zur Arbeitssuche berufen könne. Dagegen legte die Klägerin am 15.02.2021, vertreten durch ihren Lebensgefährten, Widerspruch ein mit der Begründung, die bewilligten Leistungen reichten für sie und ihren Partner nicht aus. Es liege eine Familienzusammenführung vor. Es seien daher höhere Leistungen zu gewähren.
Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 30.07.2021 zurück. Die Klägerin sei nach § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen. Sie sei bulgarische Staatsangehörige und bis zum Zeitpunkt der Antragstellung in der Bundesrepublik weder abhängig beschäftigt noch selbstständig tätig gewesen. Sie sei mit ihrem Lebensgefährten nicht verheiratet oder in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft und habe auch kein Daueraufenthaltsrecht, sodass sich ihr Aufenthaltsrecht gemäß § 3 Freizügigkeitsgesetz (FreizügG/EU) lediglich aus dem Zweck der Arbeitssuche ergebe. Es bestehe daher ein Leistungsschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II.
Mit Bescheid vom 12.10.2021 wurden die Herrn R1 für 09/2021 gewährten Leistungen nach Aufnahme einer neuen Beschäftigung ab 01.10.2021 nach § 48 SBB X aufgehoben, da der Kläger nach Wiederaufnahme einer Beschäftigung ab 02.08.2021 Einkommen erzielt; dieses betrug ab 08/2021 1.735,89 € netto monatlich. Mit weiterem Bescheid vom 12.10.2021 wurden auch die für 09/2021 bewilligten Leistungen aufgehoben und Leistungen in Höhe von 718,50 € zurückgefordert. Die beiden Bescheide wurden bestandskräftig.
Am 31.08.2021 hat die Klägerin Klage beim SG erhoben. Sie lebe seit Jahren mit ihrem Partner in einer eheähnlichen Gemeinschaft und sei als Teil seiner Bedarfsgemeinschaft leistungsberechtigt. Sie sei nach dem Freizügigkeitsgesetz aufenthaltsberechtigt. Sie halte sich hauptsächlich nicht zur Arbeitsuche, sondern zur Familienzusammenführung mit ihrem Lebensgefährten in Deutschland auf. Sie habe daher Anspruch auf Leistungen. Seit August 2021 habe ihr Lebensgefährte wieder eine Beschäftigung.
Das SG hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 08.01.2024 abgewiesen und hierzu ausgeführt, die zulässige Anfechtungs- und Leistungsklage sei unbegründet. Der angefochtene Bescheid vom 21.01.2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.7.2021 sei rechtmäßig und verletze die Klägerin nicht in ihren Rechten. Der Beklagte habe die Leistungsgewährung zu Recht abgelehnt, da die Klägerin gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II (in der Fassung vom 09.12.2020) von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen gewesen sei. Hierauf werde verwiesen. Ergänzend sei auszuführen, dass die Klägerin auch keine Leistungen nach dem Europäischen Fürsorgeabkommen verlangen könne, da ihr Heimatsstaat nicht Unterzeichnerstaat dieses Abkommens ist. Der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II sei auch mit dem Grundgesetz und dem Recht der Europäischen Union vereinbar (Bundessozialgericht <BSG>, Urteil vom 06.06.2023 - B 4 AS 4/22 R -, zitiert nach juris, Rn. 26 bis 28). Es könne daher auch dahinstehen, ob das Einkommen des Lebensgefährten für die im August 2021 begonnene Beschäftigung für das gemeinsame Bestreiten des Lebensunterhalts ausreiche.
Gegen den am 16.01.2024 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 14.02.2024 Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingelegt. Die Leistungsablehnung verstoße gegen ihre Rechte. Sie sei als Lebenspartnerin nach Deutschland eingereist mit dem Wunsch nach einer Familienzusammenführung und eigenen Nachkommen, was bei einer großen Entfernung nicht realisierbar sei. Deshalb könne sie sich nicht nur auf ein Aufenthaltsrecht zur Arbeitssuche berufen, wie der Beklagte behaupte und der Richter beim Sozialgericht Stuttgart dies so einfach übernommen habe. Ihre Familie habe inzwischen Nachwuchs bekommen; einen besseren Nachweis für ihre Behauptungen könne sie nicht vorlegen. Die gemeinsamen2022 geborenen Kinder hätten die deutsche Staatsangehörigkeit.
Auf Nachfrage des Gerichts hat die Klägerin ergänzend mitgeteilt, Herr R1 habe noch ein im Jahr 2004 geborenes Kind aus erster Ehe, das in den Ferien zu Besuch gekommen und dann im Rahmen einer temporären Bedarfsgemeinschaft betreut worden sei.
Der Vorsitzende des Senats hat am 05.04.2024 einen Termin zur Erörterung des Sach- und Streitstandes mit den Beteiligten der Verfahren L 9 AS 492/24 und L 9 AS 493/24 durchgeführt. In dem Termin haben die Kläger jeweils erklärt, dass die begehrte (weitere) Leistungsgewährung auf die Zeit von Dezember 2020 bis August 2021 begrenzt wird. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die gefertigte Niederschrift wird verwiesen.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 8. Januar 2024 sowie den Bescheid des Beklagten vom 21. Januar 2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Juli 2021 und der Bescheide vom 30.09.2021 und 12.10.2021 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihr für die Zeit vom 1. Dezember 2020 bis 31. August 2021 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Mit Beschluss vom 09.04.2024 hat der Senat den Rechtsstreit auf den Vorsitzenden Richter übertragen, der mit den ehrenamtlichen Richtern entschieden hat (§ 153 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz <SGG>).
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten des Beklagten sowie die Prozessakten beider Rechtszüge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die gemäß § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG statthafte sowie nach § 151 SGG form- und fristgerecht erhobene und auch im Übrigen zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet.
Gegenstand des Berufungsverfahrens ist neben dem Gerichtsbescheid des SG vom 08.01.2024
2.11.2022 der Bescheid des Beklagten vom 21.01.2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.07.2021, mit dem der Leistungsantrag der Klägerin abgelehnt wurde.
Streitbefangen ist der Zeitraum vom 01.12.2020 bis 31.08.2021. Zwar ist bei der Ablehnung von SGB II-Leistungen in der Regel über den geltend gemachten Anspruch bis zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem LSG zu entscheiden (BSG, Urteil vom 16.05.2007 - B 11b AS 37/06 R -, juris Rn. 15). Jedoch hat der Beklagte nach Arbeitsaufnahme durch Herrn R1 im August 2021 durch Bescheide vom 30.09.2021 und 12.10.2021 die diesem bewilligten Leistungen ab 09/2021 aufgehoben und ausgezahlte Leistungen zurückgefordert mit Blick auf das ab 08/2021 erzielte, für zwei Personen bedarfsdeckendes Einkommen von 1.735,89 €. Die Bescheide sind bestandskräftig. Die für 09/2021 bewilligten Leistungen wurden von Herrn R1 zwischenzeitlich zurückgezahlt. Herr R1 und die Klägerin haben ihr prozessuales Begehren sachdienlich auf die Gewährung von (weiteren) Leistungen für den Zeitraum 12/2020 bis 08/2021 begrenzt.
Das SG hat die auf Aufhebung der streitgegenständlichen Bescheide in der Gestalt des Widerspruchsbescheides und Gewährung von Grundsicherungsleistungen an die Klägerin gerichtete, als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage gemäß § 54 Abs. 4 SGG statthafte Klage zu Recht abgewiesen. Die Bescheide sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten. Sie hat im Zeitraum vom 01.12.2020 bis 31.08.2021 keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in Form eines Anspruchs auf Regelleistung und anteilige Kosten der Unterkunft und Heizung.
Rechtsgrundlage des Leistungsanspruchs ist § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II in der im streitigen Zeitraum geltenden Fassung; denn in Rechtsstreitigkeiten über schon abgeschlossene Bewilligungsabschnitte ist das zum damaligen Zeitpunkt geltende Recht anzuwenden (Geltungszeitraumprinzip, vgl. BSG, Urteil vom 25.04.2018 - B 14 AS 15/17 R -, juris Rn. 13; BSG, Urteil vom 19.10.2016 - B 14 AS 53/15 R -, juris Rn. 15). Hiernach erhalten Leistungen nach dem SGB II Personen, die das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben, erwerbsfähig sind, hilfebedürftig sind und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Leistungsberechtigte). Nach § 9 Abs. 1 SGB II ist hilfebedürftig, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen, erhält. Nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II sind Ausländerinnen und Ausländer, a) die kein Aufenthaltsrecht haben oder b) deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche herleitet, von Leistungen ausgeschlossen.
Zwar war die Klägerin im streitigen Zeitraum erwerbsfähig und hilfebedürftig und hatte ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet. Sie konnte als dessen nichteheliche Lebensgefährtin (nicht Lebenspartnerin i.S.v.§ 7 Abs. 3 Nr. 3 b) im Sinne von § 7 Abs. 3 Nr. 3 c) auch zur Bedarfsgemeinschaft gehören. Denn die Zugehörigkeit zu einer Bedarfsgemeinschaft wird unabhängig davon bestimmt, ob die einbezogene Person ihrerseits leistungsberechtigt nach dem SGB II (BSG, Urteil vom 06.10.2011 - B 14 AS 171/10 R -= BSGE 109, 176 = SozR 4-4200 § 20 Nr. 16, Rz 17). Auch Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft können von (eigenen) Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen sein (LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 16.07.2020 - L 10 AS 886/19 - juris Rn. 60; Leopold in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 5. Aufl., Stand: 19.03.2024, § 7 Rn. 148), wenn ein Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II besteht, dieser steht der Einbeziehung in die Bedarfsgemeinschaft nicht entgegen (vgl. BSG, Urteil vom 15.02.2023 - B 4 AS 2/22 R - juris Rn. 22; Urteil vom 07.11.2006 - B 7b AS 8/06 R - BSGE 97, 217 = SozR 4-4200 § 22 Nr. 1, Rn. 11 und 15; Urteil vom 15.04.2008 - B 14/7b AS 58/06 R - SozR 4-4200 § 9 Nr. 5 Rn. 31).
Die Herstellung und Führung einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft ist, auch wenn die Betroffenen eine Bedarfsgemeinschaft im Sinne von § 7 Abs. 3 Nr. 3 c, Abs. 3a SGB II bilden, nicht geeignet, ein abgeleitetes Freizügigkeitsrecht für die Klägerin zu begründen. Insbesondere bestand für sie im streitigen Zeitraum als nichteheliche Partnerin des Herrn R1 kein solches Aufenthaltsrecht als Familienangehörige. Nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU haben freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger und ihre Familienangehörigen das Recht auf Einreise und Aufenthalt. Nach § 3 Abs. 1 FreizügG/EU haben Familienangehörige der in § 2 Abs. 2 Nr. 1 bis 5 genannten Unionsbürger das Recht nach § 2 Abs. 1, wenn sie den Unionsbürger begleiten oder nachziehen.
Die nichteheliche Lebensgefährtin eines Unionsbürgers gehört nicht zu dessen Familienangehörigen i.S. von § 2 Abs. 2 Nr. 6 FreizügG/EU. Ein Aufenthaltsrecht für die Klägerin ergibt sich auch nicht aus § 3a FreizügG/EU als nahestehende Person im Sinne des § 1 Abs. 2 Nr. 4 c) FreizügG/EU. Sie gehört zwar im Grundsatz zu dem von der Vorschrift erfassten Personenkreis. Ein Recht zu Einreise und Aufenthalt könnte ihr aber in diesem Fall aufgrund der Bezugnahme in § 11 Abs. 5 FreizügG/EU auf die entsprechenden Regelungen des Aufenthaltsrechts nur zustehen, wenn ihr Lebensunterhalt gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) gesichert wäre. Das setzt voraus, dass die Betroffene ihren Lebensunterhalt einschließlich ausreichenden Krankenversicherungsschutzes ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel bestreiten kann (§ 2 Abs. 3 Satz 1 AufenthG). Dies ist hier angesichts der Hilfebedürftigkeit, auf Grund derer die Kläger beider Verfahren die streitigen Leistungen gerade geltend machen, nicht der Fall (LSG Hessen, Urteil vom 26.04.2023 - L 6 AS 600/20 - juris Rn. 79).
Anderes folgt nicht daraus, dass sich die Klägerin darauf beruft, nicht (nur) zur Arbeitsuche, sondern zur „Familienzusammenführung“ mit ihrem nichtehelichen Partner nach Deutschland gekommen zu sein. Denn der Familiennachzug zum Zwecke der Führung einer nichtehelichen, eheähnlichen Lebensgemeinschaft wird von der Rechtsprechung nicht in den Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG einbezogen (vgl. auch BVerfGE 36, 146, 165; 87, 234; Schmitt-Kammler, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 6, Rn. 9, 43; BVerwGE 65, 174, 179 ff.; Hailbronner, Ausländerrecht, 5. Aufl. 2021, § 27 AufenthG Rn. 30) und führt daher weder zu einer aufenthaltsrechtlichen noch zu einer leistungsrechtlichen Privilegierung dieses Personenkreises. Denn wie ausgeführt muss beim Nachzug einer nahestehenden Person i.S.v. § 1 Abs. 2 Nr. 4 c) FreizügG/EU (unter anderem) der Lebensunterhalt gesichert sein, um eine (Ermessens-)Entscheidung der Ausländerbehörde auf Antrag über die Gewährung eines Aufenthaltstitels überhaupt erst zu ermöglichen.
Die Herstellung und Beibehaltung der nichtehelichen Lebensgemeinschaft stellt auch keinen begründeten Fall im Sinne des § 7 Abs. 1 Satz 3 AufenthG dar, in dem eine Aufenthaltserlaubnis auch für einen von diesem Gesetz nicht genannten Aufenthaltszweck erteilt werden könnte. Denn der Familiennachzug ist in §§ 27 ff. AufenthG abschließend geregelt. Nichteheliche Lebensgemeinschaften sind von den ausdrücklichen Regelungen für den Familiennachzug gerade nicht erfasst, so dass die Anwendung von § 7 Abs. 1 Satz 3 AufenthG grundsätzlich gesperrt ist (BSG, Urteil vom 30.01.2013 - B 4 AS 54/12 R - juris Rn. 33).
Die Klägerin konnte im streitigen Zeitraum ihr Aufenthaltsrecht daher allenfalls aus der Arbeitsuche herleiten. Unabhängig davon, dass nicht bekannt ist, ob und in welchem Umfang die Klägerin im streitigen Zeitraum überhaupt (noch) auf Arbeitsuche war, legt der Senat eine solche zugunsten der Klägerin zugrunde, wenngleich diese im Verfahren stets betont hat, Ziel der Einreise nach Deutschland sei hauptsächlich das Zusammenleben mit ihrem Lebensgefährten und die Gründung einer eigenen Familie gewesen. Lässt sich das Aufenthaltsrecht der Klägerin im genannten Zeitraum somit allenfalls aus einer Arbeitsuche ableiten, ist sie von den Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen (LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 16.11.2021 - L 2 AS 438/21 B ER -; LSG Hessen, Beschluss vom 14.07.2011 - L 7 AS 107/11 B ER -; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 11.03.2021 - L 19 AS 2043/19 -; Leopold in jurisPK-SGB II, 5. Aufl. 2020, § 7 Rn. 89; Valgolio in Hauck/Noftz, 2. Erg.lieferung 2024, § 7 Rn. 122).
Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist es mit dem Grundgesetz vereinbar, dass Ausländer, die über kein Aufenthaltsrecht oder nur ein Aufenthaltsrecht zum Zweck der Arbeitsuche verfügen und denen eine Ausreise aus der Bundesrepublik Deutschland möglich sowie zumutbar ist, von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende ausgeschlossen sind (BSG, Urteil vom 29.03.2022 - B 4 AS 2/21 R - SozR 4-7075 § 2 Nr. 4). Dies ist bei der Klägerin der Fall. Die Leistungsausschlüsse des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Buchst a und b SGB II sind auch europarechtskonform (BSG, Urteil vom 29.03.2022 - a.a.O.; Urteil vom 17.03.2016 - B 4 AS 32/15 R - juris Rn. 16 m.w.N.; Urteil vom 30.08.2017 - B 14 AS 31/16 R - BSGE 124, 81 = SozR 4-4200 § 7 Nr. 53, Rn. 27 m.w.N.), denn den EU-Mitgliedstaaten steht das Recht zu, die Gewährung von Geldleistungen i.S. des Art. 3 Abs. 3 i.V.m. Art. 70 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.04.2004 ("besondere beitragsunabhängige Geldleistungen") und Sozialhilfeleistungen i.S. von Art. 24 Abs. 2 Freizügigkeitsrichtlinie von einem bestehenden Aufenthaltsrecht, das nicht auf der Arbeitsuche beruht, abhängig zu machen (EuGH, Urteil vom 11.11.2014 - C-333/13 - Dano - SozR 4-6065 Art. 4 Nr. 3 - juris Rn. 69 ff.; Urteil vom 15.09.2015 - C-67/14 - Alimanovic - SozR 4-4200 § 7 Nr. 49 - juris Rn. 49 f., 57 f.; Urteil vom 25.02.2016 - C-299/14 - Garcίa-Nieto, juris Rn. 38 f.; vgl. auch EuGH, Urteil vom 15.07.2021 - C-709/20 - juris Rn. 74 ff).
Die Berufung ist daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision ist nicht zuzulassen, da keiner der Gründe des § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG gegeben ist.
Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
9
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 20 AS 3387/21
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 AS 492/24
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Rechtskraft
Aus
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