L 7 R 14/23

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
7.
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 4 R 698/21
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 R 14/23
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 29. November 2022 wird aufgehoben und die Klage insgesamt abgewiesen. Die Anschlussberufung des Klägers wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.



Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung streitig.

Der 1967 geborene Kläger kam im Jahr 1980 aus der Türkei in die Bundesrepublik Deutschland. Er hat keine Berufsausbildung absolviert. Ab dem 20. August 1984 war er mit Unterbrechungen versicherungspflichtig beschäftigt, zuletzt bis zum Jahr 1997 als Lager- bzw. Produktionsmitarbeiter. Am 8. Mai 1997 erlitt er einen Arbeitsunfall, als er von einer Laderampe stürzte und sich hierbei Kopfverletzungen zuzog. Wegen des Arbeitsunfalls bezieht der Kläger eine Unfallrente nach einer MdE von 20. In der Folgezeit bezog der Kläger zunächst Verletztengeld sowie Arbeitslosengeld und sodann vom 1. Januar 2005 bis zum 31. Mai 2007 und ab dem 1. Dezember 2007 durchgehend Arbeitslosengeld II. Seit dem 1. Januar 2023 bezieht der Kläger Bürgergeld. Der Kläger ist schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung von 50.

Am 4. Dezember 2019 stellte der Kläger bei der Beklagten den Antrag auf Gewährung einer Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung. Die Beklagte bewilligte dem Kläger zunächst eine medizinische Rehabilitationsmaßnahme, die in der Zeit vom 21. Juli 2020 bis zum 1. September 2021 in der Rehaklinik K1 durchgeführt wurde. Im Entlassungsbericht vom 10. September 2020 werden die Diagnosen rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig schwere Episode ohne psychotische Symptome, Somatisierungsstörung, essenzielle Hypertonie, nicht näher bezeichnet, ohne Angabe einer hypertensiven Krise, bösartige Neubildung der Niere, ausgenommen Nierenbecken, obstruktives Schlafapnoe-Syndrom sowie gemischte Hyperlipidämie genannt. Die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Produktionshelfer in der Metallindustrie könne nur noch unter drei Stunden, leichte körperliche Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes in Tagesschicht und mit der Möglichkeit eines Wechsels von Stehen, Gehen und Sitzen könnten noch sechs Stunden und mehr ausgeübt werden. Ein Angebot der Beklagten zur Gewährung von Rehabilitationsleistungen in Form von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben lehnte der Kläger ab (Schreiben vom 8. Oktober 2020).

Mit Bescheid vom 24. September 2020 lehnte die Beklagte den Antrag auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung ab. Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 3. Februar 2021 zurück.

Hiergegen hat der Kläger am 2. März 2021 Klage zum Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben. Das SG hat die behandelnden Ärzte des Klägers als sachverständige Zeugen gehört und ein internistisches Gutachten bei H1 sowie ein psychiatrisches Gutachten bei E1 eingeholt. Der S1 hat unter dem 27. August 2021 mitgeteilt, dem Kläger lediglich am 2. September 2020 und am 11. Juni 2021 Wiederholungsrezepte hinsichtlich seiner Dauermedikation mit L-Thyroxin und Ramipril als Urlaubsvertretung des behandelnden K2 ausgestellt zu haben. Weitere Informationen zu dem Kläger lägen ihm nicht vor. Der K2 hat in der sachverständigen Zeugenaussage vom 5. August 2021 mitgeteilt, beim Kläger bestehe ein Zustand nach Nephrektomie rechts bei Nierenzellkarzinom, ein Zustand nach Leistenhernienoperation links 11/2019, ein TUR-P mit Trokarzystostomie bei benigner Prostatahyperplasie, eine Hypothyreose sowie eine Depression mit Somatisierungsstörung. Das maßgebliche Leiden liege eindeutig im psychisch-psychiatrischen Fachbereich. Der Kläger sei depressiv verstimmt, ängstlich mit wechselnder Beschwerdesymptomatik. Aus seiner Sicht sei der Kläger auch für leichtere berufliche Tätigkeiten von sechs Stunden arbeitstäglich nicht belastbar.  V1 Universitätsklinikum F1, teilte unter dem 9. Dezember 2021 mit, beim Kläger sei im Februar 2018 eine Tumornephrektomie bei klarzelligem Nierenzellkarzinom sowie im März 2020 eine transuretrale Prostataresektion (TUR-P) bei BPH durchgeführt worden. Bei der nachfolgenden ambulanten Vorstellung am 15. April 2020 habe der Kläger anhaltende Schmerzen im Bereich v.a. der linken Flanke sowie Polakisurie, Dysurbie und Nikturie nach TUR Anfang März angegeben. Bei der ambulanten Vorstellung am 18. Februar 2021 habe er eine allgemeine Schwäche genannt, bei kürzeren Gehstrecken sowie bei einem Wetterumschwung komme es zu Flankenschmerzen im Bereich der Narbe. Weiterhin bestehe eine Gefühlsstörung im Narbenbereich. Die Beschwerden schlössen eine Berufstätigkeit mit schwerer körperlicher Belastung aus, eine Bürotätigkeit o.Ä. ohne relevante körperliche Belastung erscheine möglich. Die Beklagte hat hierzu die sozialmedizinische Stellungnahme der B1 vom 2. März 2022 vorgelegt, auf die Bezug genommen wird.

H1 hat im internistischen Gutachten vom 9. Juni 2022 die Diagnosen eines chronischen Schmerzsyndroms als Nachwirkung eines Arbeitsunfalls, eine Nephrektomie wegen Nierenkarzinom rechts, eine Prostataresektion, eine Leistenbruchoperation sowie eine medikamentös adäquat therapierte arterielle Hypertonie sowie Hypothyreose genannt. Eine wesentliche Beeinträchtigung körperlicher Funktionen sei durch die Gesundheitsstörungen auf internistischem Gebiet nicht erkennbar. Unter Abstraktion von dem psychiatrischen Krankheitsbild seien dem Kläger leichte körperliche Arbeiten im Wechsel von Gehen, Sitzen und Stehen, ohne häufiges Bücken und unter Vermeidung von Arbeiten auf Leitern und Gerüsten oder an laufenden Maschinen sowie von Akkord-, Fließband-, Schicht- und Nachtarbeit noch zumutbar. Die Beurteilung der zeitlichen Leistungsfähigkeit müsse einer psychiatrischen Stellungnahme vorbehalten bleiben.

E1 hat im psychiatrischen Gutachten vom 10. August 2022 die Diagnose einer depressiven Episode mit somatischem Syndrom (schwere depressive Episode) genannt. Der Kläger könne regelmäßig einer Erwerbstätigkeit nachgehen, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt seien jedoch nur noch leichte körperliche Arbeiten ohne jede geistige Beanspruchung weniger als drei Stunden möglich. Besondere Arbeitsbedingungen seien nicht unerlässlich, auch ergäben sich bezüglich des Weges zur Arbeitsstelle seitens des psychiatrischen Fachgebietes keine Einschränkungen. Die Einschränkungen bestünden seit Antragstellung. Es seien noch keine adäquaten therapeutischen Versuche übernommen worden, weshalb davon ausgegangen werden könne, dass bei adäquater Therapie eine wesentliche Besserung zu erwarten sei.

Hierauf gestützt hat das SG mit Urteil vom 29. November 2022 die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 24. September 2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Februar 2021 verurteilt, dem Kläger Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit vom 1. Februar 2023 bis 31. Januar 2024 zu gewähren und auszuzahlen. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen.

Gegen das ihr am 1. Dezember 2022 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 2. Januar 2023 Berufung zum Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt. Sie trägt unter Bezugnahme auf die sozialmedizinische Stellungnahme der D1 vom 20. Oktober 2022 vor, weder aus den Stellungnahmen der behandelnden Ärzte noch aufgrund des von E1 erstatteten Gutachtens lasse sich ein unter sechsstündiges Leistungsvermögen begründen. Die Ausführungen im Gutachten von E1 seien nicht geeignet, eine ausreichende Konsistenz- und Plausibilitätsprüfung hinsichtlich der Unterscheidung von motivationalen Aspekten und möglicherweise vorliegenden Krankheitssymptomen des Klägers zu ermöglichen. Ausweislich des Gutachtens nehme der Kläger trotz der von E1 postulierten schweren depressiven Episode aktuell nur 7,5 mg Mirtazapin als Psychopharmakon ein, somit im Umfang einer Dosierung, die weit unterhalb des therapeutisch anzunehmenden Wirkbereichs hinsichtlich einer Depression liege und allenfalls eine positive Wirkung zur Schlafinduktion erzielen könne.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 29. November 2022 aufzuheben und die Klage abzuweisen sowie die Anschlussberufung des Klägers zurückzuweisen.

Der Kläger hat am 13. April 2023 Anschlussberufung eingelegt.

Er beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 29. November 2022 abzuändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 24. September 2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 3. Februar 2021 zu verurteilen, ihm Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung ab dem 1. Dezember 2019 auf Dauer zu gewähren,
hilfsweise, D2 zur mündlichen Verhandlung zur Erläuterung seines Gutachtens zu laden.

Er trägt vor, eine rentenrelevante Leistungsminderung habe bereits im Zeitpunkt der Antragstellung vorgelegen. So sei im ärztlichen Entlassungsbericht der Rehaklinik K1 vom 10. September 2020 bereits eine rezidivierende depressive Störung mit gegenwärtig schwerer Episode ohne psychotische Symptome festgehalten worden. Der Umstand, dass er nicht bereits früher eine adäquate psychiatrische Behandlung aufgenommen habe, sei maßgeblich seinen sprachlichen Problemen geschuldet. Der Kläger hat den Arztbrief des B2 vom 30. März 2023 vorgelegt, auf den Bezug genommen wird.

Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung eines psychiatrischen Gutachtens durch den D2. Im Gutachten vom 26. Dezember 2023 hat der Sachverständige nach gutachterlicher Untersuchung des Klägers am 26. Oktober 2023 unter Hinzuziehung eines Dolmetschers auf psychiatrischem Gebiet eine Dysthymia sowie somatoforme Störungen, u.a. mit Verdacht auf anhaltende somatoforme Schmerzstörung gestellt. Eine höhergradige und (länger andauernde) depressive Episode vom Schweregrad zumindest „mittelgradig“ liege nicht vor. Auch bestehe auf neurologischem Fachgebiet keine relevante Gesundheitsstörung. Hinweise auf eine Simulation von Beschwerden und Beeinträchtigungen hätten nicht vorgelegen. Es hätten sich aber klare Hinweise für eine Ausgestaltung, Überzeichnung und Überbetonung von Beschwerden und Beeinträchtigungen kongruent zum Krankheitsverständnis des Klägers gezeigt. Dieser beziehe sämtliche Beschwerden auf einen 1997 stattgehabten Arbeitsunfall. Zumindest teilweise seien auch Verdeutlichungsbestrebungen und eine Aggravation zu unterstellen, so wenn der Kläger beispielsweise auf die Frage nach der aktuellen Schmerzstärke einen Grad von 10 von 10, also stärksten vorstellbaren Schmerz, angegeben habe, was zu diesem Zeitpunkt überhaupt nicht plausibel und nachvollziehbar erschienen sei. Es spreche zwar nichts dafür, dass der Kläger bei aller zumutbarer Willensanspannung diesen Zustand überwinden könne, da seine Überzeugungen zu festgefahren und ich-synton seien. Dies bedeute aber nicht, dass er deshalb keiner Erwerbstätigkeit in einem auch quantitativ relevanten Umfang nachkommen könne, wenn er denn wolle. Auszuschließen seien Tätigkeiten mit hohem Zeitdruck, insbesondere Akkordarbeiten, Tätigkeiten in Nachtschicht sowie mit hoher Verantwortung, insbesondere für Menschen und Maschinen. Unter Berücksichtigung dieser Einschränkungen sei der Kläger noch in der Lage, leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich auszuüben. Auch bestünden keine Einschränkungen hinsichtlich des Arbeitsweges. Anders als von E1 beschrieben, könne die Auffassungsgabe des Klägers nicht als verlangsamt und die Konzentration nicht als reduziert bewertet werden. Der Kläger habe nur pauschal Konzentrations- und Gedächtnisstörungen angegeben. Sein Affekt bei der Untersuchung sei jedoch eher dysphorisch als ausgeprägt deprimiert oder depressiv gewesen. Auch sei die affektive Schwingungsfähigkeit nicht aufgehoben, ebenso sei das Durchhaltevermögen und der Antrieb bei der mehrstündigen Untersuchung gut gewesen. Es spreche überhaupt nichts dafür, dass der Kläger nach mehr als 25 Jahren Karenzzeit noch einmal den Weg ins Erwerbsleben zurückfinden werde. Diese Entscheidung sei aber nicht überwiegend Ausdruck einer psychiatrischen Erkrankung, sondern Ausdruck seiner persönlichen Entscheidung, die er genügend frei, also nicht von Krankheit bestimmt, gefällt habe.

Der Kläger hat hierzu unter Vorlage eines fachchirurgischen Gutachtens des W1 vom 13. April 2005, eines nervenärztlich-psychosomatischen Gutachtens des K3 vom 22. April 2004, eines Hals-Nasen-Ohren-fachärztlichen Gutachtens des S2 vom 14. Januar 2002 sowie eines Abschlussberichts der s3 GmbH vom „1. September 2022“ über ein Sozialcoaching vom 19. Juli 2023 bis zum 18. Oktober 2023 vorgetragen, die Begutachtung sei nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden, da ihn der Gutachter nach Verabschiedung der Dolmetscherin gefragt habe, ob er verheiratet sei, ob er Erektionsprobleme habe und ob er schwul sei. Auch widerspreche die Beurteilung des Gutachters den vorliegenden ärztlichen Berichten. Bereits im Jahr 2005 sei die Diagnose einer Depression gestellt worden.

In der ergänzenden Stellungnahme vom 24. März 2024 hat D2 ausgeführt, die Exploration sei über die Dolmetscherin erfolgt, obwohl sich bei der Untersuchung gezeigt habe, dass der Kläger ordentlich deutsch spreche und verstehe. Die Dolmetscherin sei vor Durchführung der körperlichen und neurologischen Untersuchung entlassen worden, nicht zuletzt im Hinblick auf die Intimsphäre des Klägers. Dies sei im Gutachten auch so kenntlich gemacht worden. Die Sexualanamnese gehöre zur psychiatrischen Anamnese obligat dazu. Auch hätten bei der gutachterlichen Untersuchung – anders als im Gutachten des K3 – keine erheblichen Konzentrationsstörungen, wohl aber Klagen über Konzentrationsstörungen festgestellt werden können. Das bei der gutachterlichen Untersuchung gezeigte Verhalten und der erhobene psychopathologische Befund sprächen gegen relevante Konzentrationsstörungen. Im Übrigen habe auch K3 eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung diagnostiziert und das depressive Syndrom lediglich als Dysthymia eingestuft. Soweit K3 als dritte Diagnose eine beginnende andauernde Persönlichkeitsänderung genannt habe, habe es sich um eine leichtgradige Veränderung gehandelt.

Der Kläger hat hierzu vorgetragen, der Gutachter D2 habe ihm bezüglich der Frage nach der Sexualität mitgeteilt, seine Antwort auf die Frage nach seinem Intimleben „bleibe unter uns“, er würde die Antwort nicht in das Gutachten schreiben.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Beklagtenakten sowie der Gerichtsakten beider Rechtszüge, welche Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, ergänzend Bezug genommen.


Entscheidungsgründe

Die gemäß § 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte und gemäß §§ 143, 144 SGG statthafte Berufung der Beklagten ist zulässig und begründet. Die Anschlussberufung des Klägers ist zulässig, jedoch nicht begründet.


Gegenstand des Rechtsstreits ist der Bescheid vom 24. September 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Februar 2021 (§ 95 SGG), mit dem die Beklagte den Antrag des Klägers vom 4. Dezember 2019 auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung abgelehnt hat, sowie das Urteil des SG vom 29. November 2022, mit dem die Beklagte unter Klageabweisung im Übrigen verurteilt worden ist, dem Kläger eine Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit vom 1. Februar 2023 bis zum 31. Januar 2024 zu bewilligen. Gegen das Urteil des SG wendet sich die Beklagte statthaft mit ihrer Berufung und der Kläger mit der Anschlussberufung, mit der er die Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung bereits ab dem 1. Dezember 2019 und auf Dauer geltend macht. Eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit macht der Kläger zu Recht nicht geltend, weil er nicht vor dem 2. Januar 1961 geboren ist und damit von vornherein nicht zum Kreis der Anspruchsberechtigten dieser Rente gehört (§ 240 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch [SGB VI]).

Die Berufung der Beklagten ist begründet. Der Bescheid vom 24. September 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 3. Februar 2021 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Denn der Kläger ist zur Überzeugung des Senats weder voll noch teilweise erwerbsgemindert, weswegen ihm eine Rente wegen Erwerbsminderung nicht zusteht.

Nach § 43 Abs. 2 Satz 1 SGB VI in der ab 1. Januar 2008 geltenden Fassung (Gesetz vom 20. April 2007, BGBl. I, S. 554) haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie voll erwerbsgemindert sind (Nr. 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Nr. 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Nr. 3). Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI). Voll erwerbsgemindert sind auch Versicherte nach § 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VI, die wegen Art oder Schwere der Behinderung nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein können, und Versicherte, die bereits vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit voll erwerbsgemindert waren, in der Zeit einer nicht erfolgreichen Eingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt (§ 43 Abs. 2 Satz 3 SGB VI). Versicherte haben nach § 43 Abs. 1 Satz 1 SGB VI bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn neben den oben genannten versicherungsrechtlichen Voraussetzungen eine teilweise Erwerbsminderung vorliegt. Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI). Erwerbsgemindert ist nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 SGB VI).

Der Kläger hat die Regelaltersgrenze noch nicht erreicht, die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren (§ 50 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, § 51 Abs. 1 SGB VI) sowie die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Rente wegen voller Erwerbsminderung (§ 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, § 43 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB VI) sowohl im Zeitpunkt der Antragstellung als auch noch im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat erfüllt. Der Kläger hat jedoch keinen Anspruch auf die begehrte Rente, weil hierfür die erforderlichen medizinischen Voraussetzungen nicht vorliegen.

Die beim Kläger bestehenden Gesundheitsstörungen liegen vorwiegend auf psychiatrischem Gebiet. Hier bestehen eine Dysthymie sowie eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung. Diese ist gem. ICD 10-F45.4 gekennzeichnet durch einen andauernden, schweren und quälenden Schmerz, der durch einen physiologischen Prozess oder eine körperliche Störung nicht vollständig erklärt werden kann und in Verbindung mit emotionalen Konflikten oder psychosozialen Belastungen auftritt. Eine höhergradige und über einen Zeitraum von mindestens sechs Monaten länger andauernde depressive Episode, die einen zumindest mittelgradigen Schweregrad erreicht, hat im streitigen Zeitraum nicht vorgelegen. Der Senat stützt sich hierbei auf das von D2 erstattete Gutachten vom 26. Dezember 2023 sowie dessen ergänzende Stellungnahme vom 24. März 2024. Bei der gutachterlichen Untersuchung am 26. Oktober 2023 war der Kläger bewusstseinsklar und voll orientiert, während der Untersuchung war die Konzentration gut, Anhaltspunkte für Gedächtnisstörungen fanden sich nicht, insbesondere konnte der Kläger auch biographische Eckdaten prompt und in Übereinstimmung mit den Akten mitteilen. Bei geordnetem Gedankengang lagen auch keine Anhaltspunkte für Wahn, Zwänge oder Sinnestäuschungen vor. Die affektive Schwingungsfähigkeit war allenfalls geringfügig eingeschränkt ohne Hinweis auf eine Antriebsminderung oder Antriebsvermehrung bei angemessenem Ausdrucksverhalten und lebendiger Psychomotorik. Anhaltspunkte für eine akute Suizidalität fanden sich entgegen den demonstrativ vorgetragenen Lebensüberdrussgedanken nicht. Ausweislich des erhobenen Medikamentenspiegels hat der Kläger zwar die verordneten Antidepressiva Sertralin und Amitriptylin eingenommen, jedoch in sehr geringer Dosierung. Ausweislich des Gutachtens ist der Alltag des Klägers noch strukturiert. Nach dem Aufstehen zwischen 8:00 Uhr und 9:00 Uhr frühstückt der Kläger und erledigt dann seine Einkäufe, wobei er beim Tragen schwerer Sachen von seinen Freunden unterstützt wird. Er macht sodann das Mittagessen und geht etwas spazieren. Auch die Putz- und Reinigungsarbeiten der Wohnung inklusive der Fenster werden von ihm selbst verrichtet. Nach seinen Angaben sieht er nicht fern, benutzt kein Smartphone und kein Internet und liest nur gelegentlich eine türkische Zeitung. Damit schildert der Kläger zwar einen wenig ereignisreichen Alltag, der dennoch einigermaßen strukturiert ist und in welchem auch soziale Kontakte gepflegt werden.

Eine mittelgradige oder gar schwergradige Depression, wie sie E1 im Gutachten vom 10. August 2022 sowie B2 im Arztbrief vom 30. März 2023 angegeben haben, liegt zur Überzeugung des Senats dagegen nicht vor. So lässt das Gutachten von E1 eine kritische Auseinandersetzung mit den Angaben des Klägers vermissen. Insoweit hat D2 – wie bereits D1 in der sozialmedizinischen Stellungnahme vom 20. Oktober 2022 – auch zutreffend angemerkt, dass die Verwendung von Selbstbeurteilungsbögen ohne eine testpsychologische Beschwerdevalidierung grundsätzlich nicht geeignet ist, um den objektiven Schweregrad einer Störung festzustellen, da diese nur die subjektive Sicht des Probanden wiedergeben. Auch die Angaben hinsichtlich einer verlangsamten Auffassungsgabe, einer reduzierten Konzentration, einer aufgehobenen affektiven Schwingungsfähigkeit und eines stark eingeschränkten Durchhaltevermögens des Klägers, wie sie E1 getroffen hat, beruhen allein auf den Angaben des Klägers und sind deshalb für den Nachweis einer entsprechenden Schwere der Erkrankung nicht ausreichend. Gleiches gilt für den Arztbrief des B2 vom 30. März 2023, der im Übrigen – wie auch D2 – keine Probleme in der sprachlichen Kommunikation mit dem Kläger angegeben hat. Diesem kann zudem entnommen werden, dass die bisherige Medikation mit Mirtazapin allenfalls schlafregulierend war und dass eine Erhöhung der Dosis sowie eine Behandlung mit Duloxetin verordnet wurde. Wie dem von D2 erhobenen Medikamentenspiegel entnommen werden kann, hat der Kläger diese Medikamente jedoch im Zeitpunkt der gutachterlichen Untersuchung wieder abgesetzt und weisen die nunmehr verordneten Medikamente weiterhin nur einen niedrigen Wirkspiegel auf, so dass auch weiterhin keine ausreichende Medikamenteneinnahme vorliegt.

Der Senat konnte das von D2 erstattete Gutachten auch seiner Entscheidungsfindung zugrunde legen. Es liegen keine Verwertungshindernisse vor. Solche ergeben sich nicht aus dem Umstand, dass die Dolmetscherin vor Durchführung der körperlichen und neurologischen Untersuchung entlassen worden ist. Denn die Dolmetscherin war nicht anwesend als Vertrauensperson – als Bevollmächtigte oder Beistand – um bei der gutachterlichen Untersuchung dem Beteiligten die Möglichkeit zu geben, sich der für die Wahrnehmung prozessualer Rechte und Möglichkeiten erforderlichen sachkundigen Unterstützung zu bedienen (vgl. BSG, Urteil vom 27. Oktober 2022 – B 9 SB 1/20 R – juris Rdnr. 27). Sie war vielmehr hinzugezogen, weil der Kläger angegeben hatte, der deutschen Sprache nicht ausreichend mächtig zu sein. Sind die Sprachkenntnisse eines Probanden nicht ausreichend, ist ein vereidigter Dolmetscher – insbesondere bei psychiatrischen Gutachten – zur gutachterlichen Untersuchung hinzuzuziehen (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 23. September 2022 – L 8 R 2664/21 – juris Rdnr. 36; Roller, Die rechtliche Bewertung medizinischer Gutachten im Sozialrecht, WzS 2013, 332, 335).
Vorliegend hat der Sachverständige jedoch hierzu ausgeführt, im Rahmen der Exploration habe sich gezeigt, dass der Kläger recht ordentlich deutsch verstehe und spreche. Hierbei ist weiter zu berücksichtigen, dass der Kläger seit 1980 in Deutschland lebt, hier auch mehrere Jahre die Schule besucht und mehr als zehn Jahre gearbeitet hat sowie auch bei seinen sonstigen Arztbesuchen nicht auf die Hilfe eines Dolmetschers angewiesen ist. Er hat auf Nachfrage in der mündlichen Verhandlung zudem selbst angegeben, im Alltag über ausreichende Deutschkenntnisse zu verfügen. So hat auch der behandelnde B2 mitgeteilt, die Sprachkenntnisse des Klägers für den psychiatrischen Erstkontakt seien ausreichend. Der Kläger hat im Übrigen auch nicht vorgetragen, die Fragen des D2 bei der weiteren Untersuchung nicht verstanden zu haben. Soweit er im Schreiben vom 27. Februar 2024 mitgeteilt hat, er sei durch die Fragen des Gutachters aufgewühlt gewesen und habe deshalb gerade die Hilfe eines Dolmetschers benötigt, ist darauf hinzuweisen, dass es nicht dessen Aufgabe ist, dem Probanden eine über die bloße Übersetzung hinausgehende Unterstützung zu geben und dessen „Fürsprecher“ zu sein (vgl. Roller, a.a.O., S. 335). Da auch dem Vortrag des Klägers nicht entnommen werden kann, in welcher Weise hier die Mithilfe eines Dolmetschers erforderlich gewesen wäre, ist es deshalb nicht zu beanstanden, dass die abschließende Untersuchung ohne die Anwesenheit der Dolmetscherin durchgeführt worden ist. Für den Senat sind deshalb keine Anhaltspunkte ersichtlich, dass der Gutachter bei einer erneuten und vollständig von einem Dolmetscher unterstützten Begutachtung des Klägers zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre (vgl. BSG, Beschluss vom 29. August 2012 – B 13 R 133/12 B – juris Rdnr. 8).

Einer Verwertbarkeit des Gutachtens steht auch nicht entgegen, dass der Gutachter dem Kläger nach dessen Vortrag zugesichert habe, die Antworten auf die Fragen nach dem Intimleben des Klägers nicht in das Gutachten zu schreiben. Das Gutachten enthält insoweit folgende Angaben:
„Sexualität (befragt unter vier Augen): Er habe kein Sexualleben, sei doch alleinstehend. Auf Nachfrage: Heterosexuelle Orientierung“. Der Gutachter hat damit die von ihm erhobenen Angaben in neutraler Form wiedergegeben. Ausführungen zu Erektionsproblemen oder zu vom Kläger als beleidigend empfundenen Fragen einer homosexuellen Orientierung, die der Kläger in seiner Stellungnahme vom 27. Februar 2024 moniert, enthält das Gutachten gerade nicht. Da das Gutachten somit verwertbar und in sich schlüssig ist, war auch dem hilfsweise gestellten Antrag auf Ladung des Sachverständigen D2 zur mündlichen Verhandlung nicht stattzugeben.

Schließlich lassen sich auch dem Entlassbericht der Rehaklinik K1 vom 10. September 2020 keine Anhaltspunkte für eine schwerwiegendere Depression entnehmen. Soweit dort die Diagnose einer rezidivierenden depressiven Störung bei gegenwärtig schwerer Episode ohne psychotische Symptome genannt worden ist, steht dem entgegen, dass im Rahmen des psychopathologischen Befundes ein altersentsprechender unauffälliger Befund beschrieben worden ist und sich im Rahmen der Belastungserprobung gut ausgeprägte kognitive Merkmale gezeigt haben. Im Übrigen kann dem Entlassbericht auch eine von D2 festgestellte Tendenz zur Aggravation entnommen werden, indem eine lediglich mittelgradige Motivation des Klägers zur Mitwirkung an den Reha-Maßnahmen und eine fehlende Motivation bereits bei der Anamneseerhebung beschrieben sowie ausgeführt wurde, dass der Kläger außerhalb der Therapiezeiten deutlich gelöster und entspannter gewirkt habe. Soweit dies auf sprachliche Probleme zurückgeführt wurde, steht dem gleichfalls der von D2 erhobene Befund entgegen, dass die Deutschkenntnisse des Klägers besser sind als zunächst angegeben, wie insbesondere bei der ohne Zuziehung der Dolmetscherin erfolgten körperlichen Untersuchung festgestellt werden konnte.

Darüber hinaus besteht beim Kläger ein Zustand nach Operation eines Nierenzell-Karzinoms im Februar 2018, einer Leistenbruch-OP links im November 2019 sowie einer transurethralen Prostataresektion im März 2020, wie dem Gutachten des H1 entnommen werden kann.

Die beim Kläger vorhandenen Gesundheitsstörungen bewirken keine Einschränkung seines Leistungsvermögens in quantitativer Hinsicht; sie führen lediglich zur Beachtung qualitativer Einschränkungen. Zu dieser Überzeugung gelangt der Senat unter Würdigung des Gesamtergebnisses des Verfahrens einschließlich aller Beweismittel, zu deren Verwertung er im Rahmen der in freier richterlicher Beweiswürdigung zu treffenden Entscheidung verpflichtet ist (§ 128 Abs. 1 Satz 1 SGG). Der Senat folgt den schlüssigen und nachvollziehbaren Leistungsbeurteilungen der Sachverständigen H1 und D2.

Der Kläger ist danach nicht mehr in der Lage, Tätigkeiten unter hohem Zeitdruck, Tätigkeiten in Akkord-, Fließband-, Schicht- und Nachtarbeit, Tätigkeiten mit hoher Verantwortung für Menschen oder Maschinen oder an laufenden Maschinen sowie auf Leitern und Gerüsten auszuüben.
Unter Berücksichtigung dieser qualitativen Einschränkungen sind ihm jedoch noch leichte körperliche Arbeiten im Wechsel von Gehen, Sitzen und Stehen und ohne häufiges Bücken sechs Stunden und mehr arbeitstäglich zumutbar.

Steht das krankheits- bzw. behinderungsbedingte (Rest-)Leistungsvermögen fest, ist im nächsten Prüfungsschritt die Rechtsfrage zu klären, ob der Versicherte damit außerstande ist, „unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts“ tätig zu sein (dazu BSG, Urteil vom 9. Mai 2012 – B 5 R 68/11 R – juris Rdnr. 17 ff. m.w.N.). Diese Frage ist hier zu verneinen. „Bedingungen“ sind dabei alle Faktoren, die wesentliche Grundlage des Arbeitsverhältnisses sind. Hierzu gehört vor allem der rechtliche Normrahmen, wie etwa Dauer und Verteilung der Arbeitszeit, Pausen- und Urlaubsregelungen, Beachtung von Arbeitsschutzvorschriften sowie gesetzliche Bestimmungen und tarifvertragliche Vereinbarungen. Die Bedingungen sind „üblich“, wenn sie nicht nur in Einzel- oder Ausnahmefällen anzutreffen sind, sondern in nennenswertem Umfang und in beachtlicher Zahl. Der Arbeitsmarktbegriff erfasst alle denkbaren Tätigkeiten, für die es faktisch „Angebot“ und „Nachfrage“ gibt. Das Adjektiv „allgemein“ grenzt den ersten vom zweiten – öffentlich geförderten – Arbeitsmarkt, zu dem regelmäßig nur Leistungsempfänger nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) und dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) Zugang haben, sowie von Sonderbereichen ab, wie beispielsweise Werkstätten für behinderte Menschen und andere geschützte Einrichtungen.

Der Kläger kann – wie dargelegt – an fünf Tagen in der Woche mindestens sechs Stunden arbeiten. Abgesehen davon, dass ihm Tätigkeiten in Nacht- und Wechselschicht nicht zumutbar sind, benötigt er im Hinblick auf Dauer und Verteilung der Arbeitszeit keine Sonderbehandlung, die auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unüblich wäre. Er hat auch keinen erhöhten, betriebsunüblichen Pausen- oder Urlaubsbedarf und ist in einem Betrieb, also außerhalb geschützter Einrichtungen, einsetzbar. Dabei ist der Senat der Auffassung, dass der Kläger über die für die Ausübung einer Erwerbstätigkeit notwendigen kognitiven Grundfähigkeiten verfügt. Nach der Rechtsprechung des BSG werden unter den Begriff der üblichen Bedingungen „auch tatsächliche Umstände“ verstanden, wie z.B. die für die Ausübung einer Verweisungstätigkeit allgemein vorausgesetzten Mindestanforderungen an Konzentrationsvermögen, geistige Beweglichkeit, Stressverträglichkeit und Frustrationstoleranz, mithin ausschließlich kognitive Grundfähigkeiten (BSG, Urteil vom 19. Oktober 2011 – B 13 R 78/09 R – juris Rdnr. 29). Wie dargelegt, liegt bei dem Kläger kein Leiden vor, das leichte körperliche Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ausschließt. Anderes folgt auch nicht aus den Ausführungen des Sachverständigen D2 im Gutachten vom 26. Dezember 2023, wonach nichts dafür spricht, dass der Kläger nach mehr als 25 Jahren seit seinem Arbeitsunfall noch einmal den Weg ins Erwerbsleben zurück finden werde. Denn D2 hat diese Beurteilung zutreffend darauf gestützt, dass dies nicht Ausdruck einer psychischen Erkrankung, sondern Ausdruck einer genügend freien persönlichen Entscheidung des Klägers im Sinne eines nicht-mehr-Wollens, nicht eines nicht-mehr-Könnens, ist.

Die gesundheitlichen Einschränkungen sind auch weder in ihrer Art noch in ihrer Summe geeignet, die Gefahr der Verschlossenheit des Arbeitsmarktes zu begründen (dazu BSG, a.a.O. Rdnr. 24 ff.). Im Regelfall kann davon ausgegangen werden, dass ein Versicherter, der nach seinem verbliebenen Restleistungsvermögen noch in der Lage ist, körperlich leichte und geistige einfache Tätigkeiten – wenn auch mit qualitativen Einschränkungen – mindestens sechs Stunden täglich zu verrichten, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter dessen üblichen Bedingungen erwerbstätig sein kann. Denn dem Versicherten ist es mit diesem Leistungsvermögen in der Regel möglich, diejenigen Verrichtungen auszuführen, die in ungelernten Tätigkeiten regelmäßig gefordert werden, wie z.B. Zureichen, Abnehmen, Transportieren, Reinigen, Bedienen von Maschinen, Kleben, Sortieren, Verpacken, Zusammensetzen von Teilen usw. (ständige Rechtsprechung des BSG, vgl. zuletzt Urteil vom 19. Oktober 2011 – B 13 R 79/09 RBSGE 109, 189; Urteil vom 11. Dezember 2019 – B 13 R 7/18 R – juris). Der Senat ist der Überzeugung, dass das Restleistungsvermögen des Klägers es diesem erlaubt, die oben genannten Verrichtungen oder Tätigkeiten, die in ungelernten Tätigkeiten üblicherweise gefordert werden, auszuüben. Es liegt weder eine spezifische Leistungsbehinderung noch eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen vor. Weiter ist der Senat davon überzeugt, dass bei dem Kläger die erforderliche Wegefähigkeit vorliegt (vgl. BSG, Urteil vom 12. Dezember 2011 – B 13 R 79/11 RBSGE 110, 1). Anhaltspunkte für eine eingeschränkte Wegefähigkeit, insbesondere Befunde, die den Kläger am Zurücklegen einer Wegstrecke von mehr als 500 Metern in weniger als 20 Minuten viermal täglich und der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel während der Hauptverkehrszeiten hindern würden, ergeben sich weder aus den Gutachten noch aus den sachverständigen Zeugenaussagen oder den vorliegenden medizinischen Unterlagen.

Auf die Berufung der Beklagten war deshalb das Urteil des Sozialgerichts Freiburg aufzuheben und die Klage insgesamt abzuweisen sowie die Anschlussberufung des Klägers zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.





 

Rechtskraft
Aus
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