Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 22. Februar 2021 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.
Die im September 1962 geborene Klägerin, die keine Berufsausbildung durchlaufen hat, war nach ihrer Übersiedlung in die Bundesrepublik Deutschland im April 1992 zuletzt als Versandarbeiterin versicherungspflichtig beschäftigt.
Einen ersten Antrag der Klägerin auf die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung vom 3. August 2016 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 30. Dezember 2016 (Widerspruchsbescheid vom 20. März 2017), gestützt auf ein Gutachten der H1 vom 20. Dezember 2016, in dem diese unter den Diagnosen eines metabolischen Syndroms mit Adipositas kombiniert mit einem behandelten, mäßig eingestelltem Diabetes mellitus Typ 2 mit Polyneuropathie, einer Fettstoffwechselstörung und Bluthochdruck, einem abgeheilten Ulcus an der 4. Zehe rechts, einer Weichteilreizung der rechten Schulter mit endgradiger Funktionsminderung und Schwindel unklarer Ursache die Einschätzung vertreten hat, die Klägerin sei für leichte körperliche Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt täglich sechs Stunden und mehr leistungsfähig, ab.
Vom 13. Februar - 6. März 2018 durchlief die Klägerin eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme in der Rehaklinik T1 in M1 (Rehabilitationsentlassungsbericht vom 15. März 2018), anlässlich derer bei der Klägerin eine Diabetes mellitus Typ 2- Erkrankung, arterielle Hypertonie und Adipositas Grad 2 diagnostiziert worden sind. Aufgrund polyneuropathischen Beschwerden an den Füßen sei im zuletzt ausgeübten Beruf als Lagerarbeiterin ein Leistungsvermögen von unter drei Stunden gegeben. Perspektivisch könne die Klägerin leichte Tätigkeiten im Sitzen vollschichtig verrichten.
Am 26. Juli 2018 beantragte die Klägerin abermals bei der Beklagten die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Die Beklagte veranlasste eine Begutachtung der Klägerin durch ihren sozialmedizinischen Dienst. Die B1 diagnostizierte in ihrem Gutachten vom 9. Oktober 2018 bei der Klägerin einen kombiniert behandelte Diabetes mellitus mit einer Beeinträchtigung der Nervenfunktion an den Beinen (Polyneuropathie) und einer hierdurch bedingten rezidivierenden depressiven Episode (aktuell unter medikamentöser Therapie mittelgradig ausgeprägt) sowie einen Schwindel unklarer Genese. Ferner bestünden Bluthochdruck, Übergewicht, eine Fettstoffwechselstörung, Schulterschmerzen rechts mit endgradiger Bewegungseinschränkung, anamnestisch eine degenerative Veränderung des rechten Kniegelenks (aktuell ohne funktionelle Beeinträchtigung), anamnestisch einen Bandscheibenvorfall HWS und LWS (aktuell ohne funktionelle Beeinträchtigung) sowie eine Schilddrüsenunterfunktion (medikamentös behandelt). Die zuletzt ausgeübte Tätigkeit könne sie nur unter drei Stunden täglich ausüben, leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt könne sie jedoch noch täglich sechs Stunden und mehr ausüben.
Gestützt hierauf lehnte die Beklagte den Antrag mit Bescheid vom 19. Oktober 2018 ab, weil, so die Beklagte, die Einschränkungen, die sich aus vorliegenden Krankheiten ergäben, nicht zu einem Anspruch auf eine Rente wegen Erwerbsminderung führten, weil die Klägerin noch mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein könne.
Unter der Begründung, B1 habe die gesundheitlichen Einschränkungen nicht ihrer tatsächlichen Art und Schwere entsprechend berücksichtigt, sie sei auch nicht mehr fahrtauglich, weswegen der geltend gemachte Anspruch auch unter dem Aspekt der fehlenden Wegefähigkeit begründet sei, erhob die Klägerin hiergegen am 2. November 2018 Widerspruch, den die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 11. Oktober 2019 zurückwies. Unter Berücksichtigung aller Gesundheitsstörungen und der sich daraus ergebenden funktionellen Einschränkungen seien, so die Beklagte begründend, keine Auswirkungen ersichtlich, die das Leistungsvermögen der Klägerin für Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zeitlich einschränkten.
Hiergegen hat die Klägerin am 14. November 2019 Klage zum Sozialgericht Heilbronn (SG) erhoben. Zu deren Begründung hat sie vorgetragen, ihr sei eine Tätigkeit von wirtschaftlichem Wert nicht mehr möglich. Aufgrund der bestehenden Diabetes- Erkrankung und der damit einhergehenden Polyneuropathie habe sie kein Gefühl mehr in den Füßen, sie sei nicht wegefähig. Autofahren sei ihr gleichfalls nicht mehr möglich. Ergänzend hat sie eine Aussage der behandelnden Ärztin F1 vom 19. Oktober 2020 vorgelegt, in der diese ausgeführt hat, bei der Klägerin liege eine Depression, eine Diabetes- Erkrankung, ein chronisches Schmerzsyndrom und eine Schlafapnoe vor. Die Klägerin sei in ihrer beruflichen Leistungsfähigkeit stark eingeschränkt. Ihre Gehstrecke sei auf unter 500 m limitiert. Die Klägerin hat ferner mitgeteilt, dass ihr ein Rollator bewilligt worden sei und bei ihr seit dem 1. November 2020 der Pflegegrad 2 anerkannt worden sei. Zuletzt hat sie ein ärztliches Attest der. F1 vom 9. Februar 2021 vorgelegt, wonach bei ihr, der Klägerin, ein schwankendes Gangbild bestehe und sie nur mit Rollator oder Stöcken gehen könne.
Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat hierzu auf ihren Widerspruchsbescheid vom 11. Oktober 2019 verwiesen. Sie hat betont, dass die Klägerin gegenüber B1 angegeben habe, nach dem Frühstück mit ihrem Ehemann bis zu einer Stunde spazieren zu gehen. Dies spreche gegen eine Wegeunfähigkeit.
Das SG hat die behandelnden Ärzte der Klägerin schriftlich als sachverständige Zeugen schriftlich einvernommen. Der M2 hat mit seinem Schreiben vom 17. März 2020 ausgeführt, die Klägerin leide auf orthopädischem Fachgebiet an einem Innenmeniskushinterhornriss, Retropatellararthrose links, einem HWS Syndrom, einem Bandscheibenvorfall C6/C7 sowie Pseudospondylolisthese L4/L5. Die Klägerin sei noch in der Lage, leichte Tätigkeiten täglich sechs Stunden und mehr verrichten zu können. Die Klägerin sei auch in der Lage, nach der geplanten Arthroskopie eine Wegstrecke von 500 Metern zurückzulegen. Der M3 hat mit seinem Schreiben vom 2. März 2020 ausgesagt, die Klägerin leide an Schwindel unklarer Genese, einem Polyneuropathiesyndrom von gemischtem Typ, arterieller Hypertonie, Hypercholesterinämie, einem depressiven Syndrom, Insomnie und angeborener nicht progressiver Ataxie. Leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt seien in einem Umfang von sechs Stunden täglich sitzend möglich. Einschränkungen der Wegstrecke seien ihm gegenüber nie geklagt worden. Nach dem neurologischen Befund sollte die Klägerin in der Lage sein, öffentliche Verkehrsmittel zu nutzen und Wegstrecken von über 500 Metern zurückzulegen. Die O1 hat mit Schreiben vom 11. September 2020 mitgeteilt, die Klägerin befinde sich seit November 2019 bei ihr in Behandlung, seitdem sei sie etwa alle sechs bis acht Wochen bei ihr gewesen. Sie habe bei der Klägerin eine Depression und eine diabetische Neuropathie diagnostiziert. Sie habe eine Parästhesie beider Beine, eine Gangunsicherheit sowie ein breitbasiges Gehen befundet. Die Klägerin sei psychophysisch nicht belastbar. Sie könne keine Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verrichten. Bei Belastungen sei eine Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes zu befürchten. Wegen der Gangstörung betrage die Gehstrecke unter 500 Meter.
Das SG hat ferner bei R1 die Patientenkartei der Klägerin beigezogen.
Das SG hat sodann den M4 zum gerichtlichen Sachverständigen ernannt und mit der Erstattung eines Sachverständigengutachtens zur Leistungsfähigkeit der Klägerin beauftragt. In seinem freien nervenärztlichen Gutachten vom 9. November 2020 hat der Facharzt bei der Klägerin eine diabetische Polyneuropathie, ein depressives Syndrom - am ehesten im Sinne einer leichten depressiven Episode, kooperationsbedingt eingeschränkt beurteilbar - diagnostiziert. Die Klägerin habe ihm gegenüber zudem einen Schwankschwindel angegeben. Der Facharzt hat darüber hinaus den Verdacht auf ein chronisches Schmerzsyndrom geäußert. Fachfremd lägen noch Adipositas, degenerative Kniegelenksveränderungen, Diabetes mellitus Typ II b und eine arterielle Hypertonie vor. Der Gutachter hat die Einschätzung vertreten, die Klägerin sei jedoch noch in der Lage, täglich sechs Stunden und mehr eine körperlich leichte Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu verrichten. Der Klägerin sollten keine Schichtarbeiten, keine Arbeiten auf Leitern und Gerüsten sowie auf nichtrutschfestem Untergrund zugemutet werden. Auch Tätigkeiten überwiegend im Freien unter Einfluss von Nässe und Kälte oder mit häufigem Aufsuchen von Kühlräumen könnten nicht mehr zugemutet werden. Schließlich sei auch das Heben und Tragen von Lasten über 15 kg nicht mehr verrichtbar. Neurologische Erkrankungen oder psychische Störungen, die der Wegefähigkeit entgegenstünden, lägen nicht vor. Der Klägerin sei es, so der Facharzt M4, möglich, eine Wegstrecke von 500 m in deutlich weniger als 20 Minuten zurückzulegen.
Die Klägerin ist der gutachterlichen Einschätzung des Facharztes M4 entgegengetreten, woraufhin der Facharzt M4 (undatiert) ergänzend Stellung genommen und seine diagnostische Einordnung und seine gutachterliche Einschätzung der Leistungsfähigkeit der Klägerin bestätigt hat.
Mit Gerichtsbescheid vom 22. Februar 2021 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung seiner Entscheidung hat es ausgeführt, die Klägerin habe keinen Anspruch auf die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung, weil sie in der Lage sei, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes minds. sechs Stunden täglich erwerbstätig sein zu können. Die bei der Klägerin bestehenden Gesundheitsstörungen führten, so das SG, nur zu qualitativen Einschränkungen. Der Klägerin seien keine Schichtarbeiten und keine Arbeiten auf Leitern und Gerüsten sowie keine Arbeiten auf nichtrutschfestem Untergrund mehr möglich. Auch Tätigkeiten überwiegend im Freien unter Einfluss von Nässe und Kälte oder mit häufigem Aufsuchen von Kühlräumen oder das Heben und Tragen von Lasten über 15 kg seien nicht mehr möglich. Eine quantitative Leistungseinschränkung liege jedoch nicht vor. Das SG hat sich hierbei auf das Gutachten des Facharztes M4 sowie das von der H1 erstattete Verwaltungsgutachten gestützt. Auch aufgrund der Erkrankungen auf orthopädischem Fachgebiet sei keine quantitative Leistungsreduzierung bedingt. Dies habe bereits der behandelnde M2 bekundet. Eine rentenbegründende Wegeunfähigkeit bestehe, so das SG weiter, nicht. Objektive Störungen bestünden insofern nicht. Auch die Eigenangaben der Klägerin gegenüber B1 und gegenüber dem Facharzt M4 sprächen gegen eine Wegeunfähigkeit. Bei beiden Ärzten habe die Klägerin angegeben, dass sie spazieren gehe und auch ihren Sohn zu Fuß besuche. Hinzu komme, wie sich aus der Patientenkarte des R1 ergebe, dass dieser der Klägerin neben Gewichtsreduktion auch ausdrücklich Bewegung empfohlen habe. Zwar seien in der medizinischen Vorgeschichte immer wieder Gangunsicherheiten und Beeinträchtigungen des Gehvermögens berichtet worden, jedoch habe die B1 bei der Klägerin anlässlich der Untersuchung im Oktober 2018 Befunde erhoben, die zumindest dafürsprächen, dass die Klägerin in der Lage sei, die üblichen Wege von der Arbeitsstelle zurückzulegen. Der Facharzt M4 habe bei seiner Untersuchung keine Befunde erhoben, die auf eine körperliche Ursache eines Schwindels oder Einschränkungen der Gangsicherheit und des Gehvermögens hindeuten konnten. In Anbetracht dieser Befundlage sei die Einschätzung des Facharztes M4, dass die Gangunsicherheit und das Gehvermögen auf einer willentlichen Steuerung der Klägerin beruhten, nachvollziehbar.
Gegen den ihr am 4. März 2021 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 30. März 2021 Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg eingelegt. Zu deren Begründung bringt sie vor, anders als vom SG angenommen, führten die bei ihr vorliegenden Gesundheitsstörungen nicht nur zu qualitativen Leistungseinschränkungen, vielmehr sei ihr Leistungsvermögen rentenrelevant (zeitlich) eingeschränkt. Die Klägerin hat hierzu auf ihr bisheriges Vorbringen verwiesen und weiter angeführt, dass sie im März 2021 einen Herzinfarkt erlitten habe. Im Anschluss hieran habe sie eine Rehabilitationsmaßnahme durchlaufen, aus der sie mit einem Leistungsvermögen von drei bis unter sechs Stunden täglich entlassen worden sei.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 22. Februar 2021 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 19. Oktober 2018 In der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Oktober 2019 zu verurteilen, ihr eine Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung ab dem 1. Juli 2018 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Begründung ihres Antrages verweist die Beklagte auf ihr erstinstanzliches Vorbringen und die aus ihrer Sicht zutreffenden Ausführungen des SG im angefochtenen Gerichtsbescheid. Ergänzend hat sie sozialmedizinische Stellungnahmen von B3 vom 16. Februar 2022 und vom 3. August 2022 vorgelegt.
Die Beklagte hat den Entlassungsbericht der vom 25. März – 22. April 2022 von der Klägerin durchlaufenen stationären Rehabilitationsmaßnahme im S1 Gesundheitszentrum W1 vom 29. März 2022 vorgelegt. Unter den Diagnosen eines chronisches Koronarsyndroms (KHK 2-GE), eines Nicht-ST-Hebungsinfarkts am 10. März 2021, PTCA/1x DES RCA am 11.März 2021, Diabetes mellitus, Typ 2, mit diabetischem Fußsyndrom und Polyneuropathie, arterieller Hypertonie sowie gemischter Hyperlipidämie, Übergewicht, chronischem Schmerz, Radikulopathie, einer rezidivierenden depressiven Störung, gegenwärtig leichte Episode, Gonarthrose bds. sowie eines Impingement-Syndroms der Schulter ist die Klägerin aus dieser Maßnahme aus internistischer und orthopädischer Sicht als fähig entlassen worden, eine leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt im Umfang von drei bis sechs Stunden in sitzender Position ausüben zu können.
Der Senat hat beim C1 Centrum L2 B2 einen Befundbericht über die dortige Behandlung der Klägerin eingeholt.
Der Senat hat sodann G1, schriftlich als sachverständigen Zeugen einvernommen. Dieser hat in seiner Stellungnahme vom 10. April 2022 ausgeführt, die Klägerin habe sich wegen Belastungsschmerzen des linken Kniegelenks bei ihm vorgestellt. Im Laufe der Behandlung sei es unter der NSAR Medikation zu einem Rückgang der Beschwerdesymptomatik gekommen. Die Klägerin habe jedoch weiterhin über eine Minderbelastbarkeit und Schmerzen im linken Kniegelenk geklagt, wobei aus unfallchirurgisch/orthopädischer Sicht die Klägerin nicht auf die konstante Benutzung des Rollators wegen der Kniegelenksproblematik links angewiesen sei.
Die Klägerin hat insofern geltend gemacht, dass ihr der Rollator nicht aus orthopädischen, sondern aus neurologischen Gründen verordnet worden sei.
Auf Antrag und Kostenrisiko der Klägerin hat der Senat den P1 L1 nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zum gerichtlichen Sachverständigen ernannt und mit der Erstattung eines Sachverständigengutachtens zur Leistungsfähigkeit der Klägerin beauftragt. In seinem fachpsychiatrischen Gutachten vom 4. März 2023 hat der Facharzt P1 L1 bei der Klägerin auf psychiatrischem Fachgebiet eine (anhaltende) schwere depressive Episode ohne psychotische Symptomatik und eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung diagnostiziert. Die Klägerin sei durch die Gesundheitsstörungen auf psychiatrischem Fachgebiet in allen privaten, sozialen und beruflichen Tätigkeiten und damit in ihrer gesellschaftlichen Teilhabe in erheblichem Umfang beeinträchtigt. Die Ausübung einer leichten Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sei, so der Gutachter, der Klägerin nicht mehr länger als drei Stunden täglich zumutbar.
Die Beklagte ist der gutachterlichen Einschätzung des Facharztes P1 L1 unter Vorlage einer sozialmedizinischen Stellungnahme von N1 vom 24. März 2023 entgegengetreten, woraufhin der Facharzt P1 L1 unter dem 24. November 2023 ergänzend Stellung genommen und seine gutachterliche und diagnostische Einschätzung bekräftigt hat.
Mit Schriftsatz vom 15. Februar 2024 hat die Beklagte, mit solchem vom 22. Februar 2024 die Klägerin das Einverständnis mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung erklärt.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes, insb. des Vorbringens der Beteiligten wird auf die (elektronisch geführten) Prozessakten beider Rechtszüge sowie die Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der Entscheidungsfindung geworden sind, verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die statthafte (vgl. § 143 SGG), form- und fristgerecht (vgl. § 151 Abs. 1 SGG) und auch im Übrigen zulässige Berufung der Klägerin, über die der Senat nach dem erklärten Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG), führt für diese inhaltlich nicht zum Erfolg. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen.
Streitgegenständlich ist der Bescheid der Beklagten vom 19. Oktober 2018 (Widerspruchsbescheid vom 11. Oktober 2019), mit dem die Beklagte den Antrag der Klägerin auf die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung abgelehnt hat. Dieser Bescheid ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten; sie hat keinen Anspruch auf die begehrte Erwerbsminderungsrente.
Nach § 43 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) in der ab dem 1. Januar 2008 geltenden Fassung des Gesetzes zur Anpassung der Regelaltersrente an die demografische Entwicklung und zur Stärkung der Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung vom 20. April 2007 (BGBl. I S. 554) haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung (§ 43 Abs. 2 Satz 1 SGB VI) oder Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung (§ 43 Abs. 1 Satz 1 SGB VI), wenn sie voll bzw. teilweise erwerbsgemindert sind (Nr. 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Nr. 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeinen Wartezeit erfüllt haben (Nr. 3). Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Teilweise erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein.
Gemäß § 43 Abs. 3 SGB VI ist nicht erwerbsgemindert, wer - unabhängig von der Arbeitsmarktlage - unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann. Hieraus folgt, dass grundsätzlich allein eine Einschränkung der beruflichen Leistungsfähigkeit in zeitlicher (quantitativer) Hinsicht eine Rente wegen Erwerbsminderung zu begründen vermag, hingegen der Umstand, dass bestimmte inhaltliche Anforderungen an eine Erwerbstätigkeit aufgrund der gesundheitlichen Situation nicht mehr verrichtet werden können, einen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung grundsätzlich nicht zu begründen vermag.
Bei dem tatbestandlichen Merkmal der Erwerbsminderung handelt es sich um ein positives, den Anspruch begründendes Element. Dies bedeutet, dass der Versicherte, vorliegend die Klägerin, die Folgen zu tragen hat, wenn trotz Ausschöpfung aller zur Verfügung stehenden Erkenntnismöglichkeiten eine rentenberechtigende Leistungsminderung nicht im Vollbeweis belegt ist. D.h. es muss mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststehen, dass das Leistungsvermögen in zeitlicher Hinsicht eingeschränkt ist. Bloße Zweifel genügen nicht (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 13. Mai 2020 - L 5 R 3680/17 -, in juris, dort Rn. 30).
Zwar bestehen bei der Klägerin Gesundheitsstörungen auf psychiatrischem Fachgebiet, namentlich nach P1 L1 in dessen fachpsychiatrischem Gutachten vom 4. März 2023 eine (anhaltende) schwere depressive Episode ohne psychotische Symptomatik und eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung, nach den Bekundungen des im erstinstanzlichen Verfahren gutachterlich gehörten Facharztes M4 in dessen freien nervenärztlichen Gutachten vom 9. November 2020 ein depressives Syndrom im Sinne einer leichten depressiven Episode. Welche konkrete Gesundheitsstörung bei der Klägerin tatsächlich zu diagnostizieren ist, ob insb., worüber die Beklagte und der Gutachter P1 L1 zuletzt schriftsätzlich unterschiedliche Ansichten vertreten haben, eine schwere depressive Episode besteht, kann der Senat offenlassen, da es im Kontext der Frage des Vorliegens einer Erwerbsminderung nicht maßgebend ist, ob und welche Gesundheitsstörung in welcher Graduierung vorliegt, entscheidend ist vielmehr einzig, ob Leistungseinschränkungen bestehen, die der Ausübung einer Tätigkeit in einem zeitlichen Umfang von sechs Stunden täglich entgegenstehen. I.d.S. kommt es (bei Rentenbegutachtungen) weniger auf die Diagnosestellung, als auf bestehende Leistungseinschränkungen an (vgl. Thüringer LSG, Urteil vom 30. Juni 2015 - L 6 R 166/08 ZVW -, in juris), ob diese gesichert bestehen und ggf. überwunden werden können.
Maßgebend für die Annahme einer rentenrechtlich relevanten Leistungseinschränkung ist hierbei, ob das in Ansehung der funktionellen Auswirkungen der psychischen Erkrankung verbleibende Fähigkeitsprofil des Versicherten, insb. im Hinblick auf Struktur, Teilhabe und Aktivität, eine Teilnahme am Erwerbsleben zu den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erlaubt. Grundlage dieses Abgleichs bildet der psychische Befund und die individuelle Ausprägung der verschiedenen psychischen Qualitäten (Bewusstsein, Orientierung, Auffassung/Aufmerksamkeit und Konzentrationsvermögen, Gedächtnis, formales und inhaltliches Denken, Wahrnehmung, Ich-Erleben, Affektivität, Antrieb, Flexibilität und subjektives Krankheitsverständnis und Krankheitserleben). Funktionsbeeinträchtigungen, in gegebenem Kontext insb. die geistig-psychische Belastbarkeit, sind im Recht der Erwerbsminderungsrenten nur dann relevant, wenn sie sich auf die Fähigkeit zur Teilhabe unter besonderer Berücksichtigung des Erwerbslebens quantitativ (im Gegensatz zur bloß qualitativen Einschränkungen) auswirken. Das verbleibende qualitative Leistungsvermögen (positiv wie negativ) hat i.d.R. keine prägende Bedeutung für die rentenrechtlich erforderliche Reduzierung des Leistungsvermögens in zeitlicher Hinsicht. Erst wenn die Beeinträchtigungen durch die psychische Störung so gravierend sind, dass die Lebensführung durch sie geprägt wird, ist von einem quantitativ geminderten Leistungsvermögen auszugehen. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass sich erhebliche gesundheitliche Beeinträchtigungen in der Regel nicht nur in der Teilhabe am Erwerbsleben manifestieren, sondern in allen Lebensbereichen mehr oder weniger starke Auswirkungen zeitigen. Hieraus folgt, dass von einer Minderung des Leistungsvermögens im Erwerbsleben auszugehen ist, wenn die psychische Störung die gesamte Lebensführung übernommen hat.
Bezugspunkt der für die Rentengewährung erforderlichen (quantitativen) Leistungsreduzierung ist hierbei der „allgemeine Arbeitsmarkt“. Der Arbeitsmarktbegriff des § 43 SGB VI erfasst alle denkbaren Tätigkeiten, für die es faktisch ein „Angebot“ und eine „Nachfrage“ gibt. „Allgemein“ grenzt hierbei den ersten Arbeitsmarkt von dem zweiten - öffentlich geförderten – Arbeitsmarkt sowie von Sonderbereichen, wie bspw. Werkstätten für behinderte Menschen und anderen geschützten Einrichtungen ab. Übliche Bedingungen umschreibt die Faktoren, die wesentliche Grundlagen des Arbeitsverhältnisses sind. Neben den gesetzlichen Regelungen (bspw. zur Dauer und Verteilung der Arbeitszeit) rechnen auch individuelle Umstände wie kognitive Grundfähigkeiten, die krankheitsbedingt herabgesetzt sein können, hierzu. Mithin ist für die Annahme einer quantitativen Leistungseinschränkung erforderlich, dass die für die Ausübung einer Tätigkeit allgemein vorausgesetzten Mindestanforderungen an Konzentrationsvermögen, geistige Beweglichkeit, Stressverträglichkeit und Frustrationstoleranz nicht (mehr) vorliegen (vgl. Freudenberg in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VI, 3. Aufl. [Stand 1. April 2021], § 43 SGB VI, Rn. 164 ff.).
Dass diese Fähigkeiten bei der Klägerin nicht mehr vorhanden sind, ist für den Senat nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit belegt. Der Senat vermag sich hiervon insb. nicht durch das Gutachten des Facharztes P1 L1 vom 4 März 2023 zu überzeugen. Dieser hat zwar mitgeteilt, dass die Stimmung der Klägerin anlässlich der Untersuchung am 24. Januar 2023 sichtlich gedrückt, traurig, insg. affektarm und die emotionale Schwingungsfähigkeit aufgehoben gewesen sei. Auch sei anamnestisch eine Lebensüberdrüssigkeit zu Tage getreten, jedoch hat er im Übrigen keine gravierenden psychopathologischen Befunde erhoben. So hat er ausgeführt, dass die Auffassungsgabe der Klägerin intakt gewesen sei und die Konzentrationsfähigkeit und das Durchhaltevermögen nur leicht beeinträchtigt bzw. leicht reduziert seien. Zum Antrieb der Klägerin hat sich der Facharzt hingegen in seinem Gutachten vom 4. März 2023 nicht geäußert, er hat vielmehr erst in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 24. November 2023 hierzu ausgeführt, dass die Klägerin von einem erheblich reduzierten Antrieb berichtet habe; mithin hat er insofern die eigenanamnestischen Angaben der Klägerin zur Grundlage seiner Beschreibung gemacht. Überdies fällt auf, dass der Gutachter, worauf N1 für die Beklagte zutreffend hingewiesen hat, keine testpsychologische Validierung der Befunde durchgeführt hat. In Ansehung dessen, dass der Facharzt M4 anlässlich seiner Untersuchung der Klägerin und der dortigen testpsychologischen Validierungen zu der Einschätzung gelangt ist, dass (jedenfalls) eine Neigung zu einer aggravierenden Darstellung besteht, war dies jedoch erforderlich, um den (teilweise) eigenanamnestischen Angaben, die Grundlage der Befundung und dem folgend der Leistungseinschätzung geworden sind, zu verifizieren. Auch hat es der Gutachter unterlassen, die tatsächliche Einnahme der angeführten antidepressiven Medikation zu überprüfen. Hierzu hat jedenfalls in Ansehung der Ausführungen des Facharztes M4, der in seinem Gutachten ausgeführt hat, dass sich bei einer von ihm durchgeführten Serumspiegelbestimmung keines der von der Klägerin angegebenen Antidepressiva habe nachweisen lassen, Anlass bestanden. Der Facharzt P1 L1 hat sich trotz dessen jedoch darauf beschränkt, sich auf die Angaben des bei der Untersuchung anwesenden Sohnes zu verlassen, der dem Gutachter mitgeteilt hat, er sei sicher, dass seine Mutter, die Klägerin, die Medikamente regelmäßig und vollständig einnehme. Mithin verbleiben beim Senat jedenfalls Zweifel daran, dass die von der Klägerin geschilderten Einschränkungen der psychischen Leistungsfähigkeit tatsächlich bestehen. Korrelierend hierzu vermag auch der von der Klägerin geschilderte Tagesablauf nicht zu vermitteln, dass die psychische Erkrankung der Klägerin deren Lebensgestaltung im oben beschriebenen Sinne übernommen hat. So ist die Klägerin noch in der Lage, ihren Lebensvollzug in groben Zügen zu strukturieren und den Erfordernissen des täglichen Lebens, bspw. zum Aufsuchen von Ärzten, nachzukommen. Dass der Tagesablauf in der geschilderten Form keine konkreten bzw. individuellen Ereignisse beinhaltet, steht der Annahme einer erhaltenen Fähigkeit, das soziale Leben zu gestalten nicht entgegen. Dies ist vielmehr typisch für von äußeren Verpflichtungen entbundene Personen. In diesem Zusammenhang ist insb. auffällig, dass die Klägerin gegenüber dem Gutachter P1 L1, anders als noch gegenüber dem Facharzt M4, keine innerfamiliären Kontakte mehr aufführt. So hat sie noch gegenüber dem Facharzt M4 ausgeführt, dass ihr Sohn sie mit den Enkelkindern regelmäßig besuche, sie ihren Sohn auch zu Fuß aufsuche und der Kontakt insgesamt regelmäßig und gut sei. Dass diese Kontakte (aus medizinischen Gründen) nicht mehr durchgeführt werden können, hat die Klägerin gegenüber dem Gutachter P1 L1 nicht ausgeführt, weswegen nahe liegt, dass sie diesen Teil der Lebensgestaltung bewusst und zweckorientiert nicht mitgeteilt hat.
In Zusammenschau der psychopathologischen Befunde, wie sie in den beiden Gerichtsgutachten mitgeteilt worden sind und der geschilderten Lebensgestaltung einerseits und der fehlenden Beschwerdevalidierung und der fehlenden Überprüfung der Einnahme der verordneten Medikamente durch den Gutachter P1 L1, verbleiben beim Senat Zweifel daran, dass die berufliche Leistungsfähigkeit der Klägerin durch die bestehende Gesundheitsstörung auf psychiatrischem Fachgebiet in quantitativer Hinsicht eingeschränkt ist. Dies geht vorliegend zu Lasten der Klägerin.
Soweit die Klägerin auch an Gesundheitsstörungen auf anderen Fachgebieten leidet, begründen auch diese zur Überzeugung des Senats keine quantitative Leistungsreduzierung.
Nach dem Gutachten des Facharztes M4 leidet die Klägerin konkret an diabetischer Polyneuropathie. Ferner hat sie einen Schwankschwindel angeführt. Da der Gutachter jedoch insofern ausgeführt hat, dass in den Bereichen Motorik, Tonus, Trophik, Reflex, Sensibilität und Koordination ein Normalbefund erhoben worden sei, vermag der Senat eine maßgebliche funktionelle Beeinträchtigung nicht zu erkennen.
Auch auf orthopädischem Fachgebiet sind keine Befunde erhoben worden, die die Annahme einer quantitativen Leistungsreduzierung tragen könnten. Solche ergeben sich insb. nicht im Hinblick auf die bestehenden degenerativen Kniegelenksveränderungen aus der Stellungnahme des behandelnden G1 gegenüber dem Senat vom 10. April 2022.
Auch ist die berufliche Leistungsfähigkeit der Klägerin nicht durch die bestehende Herzerkrankung, namentlich ein chronisches Koronarsyndrom, in zeitlicher Hinsicht limitiert. Befunde, die dies rechtfertigen könnten, sind nicht mitgeteilt worden. Solche ergeben sich insb. nicht aus dem Entlassbericht über die Anschlussheilbehandlung der Klägerin in W1 im März/ April 2021. Soweit die Klägerin dort für fähig erachtet worden ist, aktuell (aus internistischer und orthopädischer Sicht) nur leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt im Umfang von drei - sechs Stunden täglich (in sitzender Position) ausüben zu können, ist seitens der Rehabilitationseinrichtung selbst ausgeführt worden, dass eine endgültige Beurteilung des Leistungsbildes erst nach Vorstellung beim niedergelassenen Psychiater/Psychotherapeuten erfolgen könne. Die Leistungseinschätzung gründet daher erkennbar auf einer Einschätzung betr. die psychische Belastbarkeit der Klägerin. Da diese jedoch, wie oben ausgeführt, gerade keine quantitative Leistungsreduzierung bedingt, vermag sich der Senat der Leistungseinschätzung der Ärzte der Rehabilitationseinrichtung nicht anzuschließen.
Mithin ist der Senat nicht davon überzeugt, dass die Leistungsfähigkeit der Klägerin durch die bestehenden Gesundheitsstörungen in quantitativer Hinsicht eingeschränkt ist. Die Klägerin ist daher weder teilweise, noch voll erwerbsgemindert.
Zwar wirkt, wie oben dargelegt, grundsätzlich nur eine Einschränkung der Leistungsfähigkeit in zeitlicher Hinsicht rentenbegründend, jedoch kann unter dem Gesichtspunkt des Vorliegens einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder einer spezifischen Leistungsbehinderung das Erfordernis resultieren, den Versicherten eine konkrete Verweisungstätigkeit zu benennen (vgl. BSG, Urteile vom 24. Februar 1999 - B 5 RJ 30/98 R - und vom 11. März 1999 - B 13 71/97 R -, jew. in juris). Grundlage der Benennungspflicht bildet in diesen Fällen der Umstand, dass von vornherein ernste Zweifel an einer Einsetzbarkeit in einem Betrieb aufkommen. Eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen ist in Betracht zu ziehen, wenn, neben einer qualitativen Leistungseinschränkung auf „leichte Tätigkeiten“, die Leistungsfähigkeit zusätzlich in erheblichem Umfang einschränkt ist (Niesel in Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht, Band 1, § 43 SGB VI, Rn. 47). In diesem Sinne ist unter der Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen eine Häufung von Leistungseinschränkungen zu verstehen, die insofern ungewöhnlich ist, als sie nicht regelmäßig bei einer Vielzahl von Personen bis zum Erreichen der Altersgrenze für die Regelaltersrente angetroffen wird. Zwar bestehen bei der Klägerin qualitative Leistungseinschränkungen, als sie keine Tätigkeiten, die mit erhöhten Anforderungen an die psychische Belastbarkeit einhergehen, Schichtarbeiten, keine Arbeiten auf Leitern und Gerüsten, Tätigkeiten die überwiegend im Freien unter Einfluss von Nässe und Kälte oder mit häufigem Aufsuchen von Kühlräumen ausgeübt werden und Tätigkeiten, die das Heben und Tragen von Lasten über 15 kg erfordern nicht mehr verrichten kann, diese Einschränkungen sind jedoch zur Überzeugung des Senats bereits dahingehend eingestellt, als sie vom Erfordernis einer „leichten Tätigkeit“ mit umfasst sind. Die vorliegenden qualitativen Leistungseinschränkungen liegen überdies zur Überzeugung des Senats bei einer Vielzahl von Personen vor, so dass nicht von einer „Ungewöhnlichkeit“ auszugehen ist. Eine schwere spezifische Leistungsbehinderung liegt dann vor, wenn es sich um eine auf eine spezielle Körperfunktion oder Erkrankung bezogene erhebliche Behinderung handelt, die sich entsprechend stark auf das Leistungsvermögen auswirkt. Hierunter fallen nach der Rechtsprechung des BSG insbesondere Einschränkungen der Wahrnehmungsfähigkeit und der Gliedmaßen. Jedoch sind Anhaltspunkte für eine derartig schwerwiegende Leistungseinschränkung nicht ersichtlich, weswegen vorliegend nicht das Erfordernis besteht, der Klägerin eine konkrete Verweisungstätigkeit zu benennen.
Eine solche ergibt sich ferner nicht unter dem Aspekt eines etwaig verschlossenen Arbeitsmarktes. Bei vollschichtiger Leistungsfähigkeit ist grundsätzlich davon auszugehen, dass es für eine Vollzeittätigkeit hinreichend Arbeitsplätze gibt. Mithin obliegt bei einer vollschichtigen Einsatzfähigkeit das Arbeitsplatzrisiko der Arbeitslosenversicherung bzw. dem Versicherten, nicht aber der Beklagten (vgl. insofern § 43 Abs. 3 letzter Halbsatz SGB VI, der bestimmt, dass die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen ist). Ausnahmsweise kann jedoch der Arbeitsmarkt als verschlossen gelten. Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass eine Verweisung auf die verbleibende Erwerbsfähigkeit nur möglich ist, wenn nicht nur die theoretische Möglichkeit besteht, einen Arbeitsplatz zu erhalten. Der Arbeitsmarkt gilt in Ermangelung einer praktischen Einsatzfähigkeit nach der Rechtsprechung des BSG abschließend als verschlossen, wenn der Versicherte nicht unter den in den Betrieben üblichen Bedingungen arbeiten kann, der Versicherte nur in Teilbereichen eines Tätigkeitsfeldes eingesetzt werden kann, die in Betracht kommenden Tätigkeiten auf Arbeitsplätzen ausgeübt werden, die als Schonarbeitsplätze nicht an Betriebsfremde vergeben werden, die in Betracht kommenden Tätigkeiten auf Arbeitsplätzen ausgeübt werden, die an Betriebsfremde nicht vergeben werden, die in Betracht kommenden Tätigkeiten auf Arbeitsplätzen ausgeübt werden, die als Aufstiegspositionen nicht an Betriebsfremde vergeben werden oder entsprechende Arbeitsplätze nur in ganz geringer Zahl vorkommen. Eine Fallkonstellation i.d.S. liegt vorliegend nicht vor. Neben der zeitlich ausreichenden Einsetzbarkeit des Versicherten am Arbeitsplatz gehört zur Erwerbsfähigkeit überdies auch das Vermögen, eine Arbeitsstelle aufzusuchen. Eine gesundheitliche Beeinträchtigung, die es dem Versicherten nicht erlaubt, täglich viermal eine Fußstrecke von mehr als 500 Metern in jeweils weniger als 20 Minuten zurückzulegen, stellt bei dem anzuwendenden generalisierenden Maßstab eine derart schwere Leistungseinschränkung dar, dass der Arbeitsmarkt trotz vorhandenen vollschichtigen Leistungsvermögen als verschlossen anzusehen ist (BSG, Beschluss vom 19. Dezember 1996 - GS 2/95 -, in juris). Hat der Versicherte keinen Arbeitsplatz und wird ihm ein solcher auch nicht konkret angeboten, bemessen sich die Wegstrecken, deren Zurücklegung ihm - auch in Anbetracht der Zumutbarkeit eines Umzugs - möglich sein muss, nach einem generalisierenden Maßstab, der zugleich den Bedürfnissen einer Massenverwaltung Rechnung trägt. Dabei wird angenommen, dass ein Versicherter für den Weg zur Arbeitsstelle öffentliche Verkehrsmittel benutzen und von seiner Wohnung zum Verkehrsmittel und vom Verkehrsmittel zur Arbeitsstelle und zurück Fußwege zurücklegen muss. Erwerbsfähigkeit setzt danach grundsätzlich die Fähigkeit des Versicherten voraus, vier Mal am Tag Wegstrecken von mehr als 500 Metern mit zumutbarem Zeitaufwand (ca. 20 Minuten) zu Fuß bewältigen und zwei Mal täglich während der Hauptverkehrszeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln bzw. einem vorhandenen Kraftfahrzeug fahren zu können. Körperliche Beeinträchtigungen, die dem Aufsuchen einer Arbeitsstätte entgegenstehen, bestehen bei der Klägerin nicht. Darüber hinaus ist die Wegefähigkeit (auch) nicht gegeben, wenn das Zurücklegen des Weges mit erheblichen Schmerzen verbunden ist, übermäßige körperliche Anstrengungen auftreten, die Gesundheit in besonderer Weise gefährdet wird oder wenn aufgrund psychischer Beeinträchtigungen bestehende Vermeidungsmuster der Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel entgegenstehen. Der Senat ist auch in Ansehung der bei der Klägerin bestehenden Gesundheitsstörungen auf psychiatrischem Fachgebiet nicht davon überzeugt, dass es ihr unmöglich ist, eine mögliche Arbeitsstelle aufsuchen zu können. Der Senat folgt insofern der nachvollziehbaren Einschätzung des Facharztes M4, der ausgeführt hat, dass neurologische Erkrankungen oder psychische Störungen, die der Wegefähigkeit entgegenstünden, nicht vorliegen und die Klägerin eine Wegstrecke von 500 m in deutlich weniger als 20 Minuten zurücklegen kann. Auch der behandelnde G1 hat in seiner Aussage i.d.S. mitgeteilt, dass die Klägerin aus unfallchirurgisch/orthopädischer fachärztlicher Sicht nicht auf die konstante Benutzung des Rollators wegen der Kniegelenksproblematik links angewiesen ist. Dass der Rollator nach den Bekundungen der Klägerin wegen der neurologischen Erkrankungen verordnet worden ist, bedingt insofern keine andere Beurteilung, da den Mitteilungen des G1 jedenfalls entnommen werden kann, dass das Gehvermögen nicht derart gravierend beeinträchtigt ist, dass die Klägerin wegeunfähig ist.
Da der Klägerin hiernach keine Verweisungstätigkeit zu benennen ist und ihr der Arbeitsmarkt nicht verschlossen ist, kann der geltend gemachte Anspruch auch nicht hierauf gestützt werden.
Die Klägerin hat mithin keinen Anspruch auf die Gewährung einer vollen oder einer teilweisen Rente wegen Erwerbsminderung.
Ein Anspruch auf die Gewährung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit) scheidet bereits deswegen aus, weil die Klägerin nicht vor dem 2. Januar 1961 geboren ist (vgl. § 240 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI).
Der Bescheid der Beklagten vom 19. Oktober 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Oktober 2019 erweist sich daher als rechtmäßig, weswegen die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des SG vom 22. Februar 2021 zurückzuweisen ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt im Rahmen der anzustellenden gerichtlichen Ermessensentscheidung (vgl. BSG, Beschluss vom 25. Mai 1957 - 6 RKa 16/54 -, in juris, dort Rn. 8), dass die Klägerin mit ihrem Begehren nicht durchgedrungen ist und die Beklagte keine Veranlassung für die Durchführung eines gerichtlichen Verfahrens gegeben hat.
Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung auf gesicherter Rechtsgrundlage, ohne dass der Senat von einer Entscheidung der in § 160 Abs. 2 Nr. 2 SGG genannten Gerichte abweicht