L 13 R 443/21

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 11 R 843/19
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 13 R 443/21
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 26. November 2021 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.



Tatbestand

Der Kläger begehrt die Erstattung von Kosten, die ihm durch die Teilnahme an einer beruflichen Weiterbildung zum Bildhauer entstanden sind.

Der im Jahr 1989 geborene Kläger hat den Beruf des Zimmermanns erlernt und war in diesem Beruf zunächst berufstätig. Im August 2020 erlitt der Kläger der Kläger einen schweren Verkehrsunfall, bei dem er sich schwere, polytraumatische Verletzungen zuzog; u.a. musste ihm noch am Unfallort der rechte Unterschenkel amputiert werden. Ab September 2011 ist der Kläger auf Kostenlast der Beklagten über die Dauer von 24 Monaten zum Bauzeichner umgeschult worden (Bescheid vom 12. Mai 2011). In diesem Beruf war er nach dem erfolgreichen Abschluss der Umschulung sodann erwerbstätig. Nachdem eine berufliche Integration in das Erwerbsleben in diesem Beruf nicht dauerhaft möglich gewesen ist, war der Kläger im weiteren Fortgang als Produktionsmitarbeiter in der Pharmaindustrie tätig.

Im April/Mai 2018 befand sich der Kläger in stationärer Behandlung in der Psychosomatischen Abteilung der B1- Klinik. Dort sind u.a. eine posttraumatische Belastungsstörung sowie eine schwere depressive Episode diagnostiziert worden. Die Ärzte der Rehabilitationseinrichtung haben im Entlassungsbericht vom 8. Juni 2018 die Einschätzung vertreten, dass dem Kläger die Ausübung der von ihm zuletzt ausgeübten Tätigkeit in einem zeitlichen Umfang von drei bis unter sechs Stunden täglich zumutbar sei. Auch eine Tätigkeit als Bauzeichner sei aufgrund der erforderlichen Zwangshaltungen nicht mehr leidensgerecht. Es werde deswegen die Prüfung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben empfohlen.

Am 30. Mai 2018 beantragte der Kläger die Bewilligung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben. Er gab u.a. an, die bisher verrichtete Tätigkeit wegen psychischen Ängsten und körperlichen Beschwerden nicht mehr verrichten zu können. Eine Leistung zur Wiederteilnahme am Berufsleben (Umschulung) könnte, so der Kläger in der förmlichen Anlage zum Rehabilitationsantrag, helfen.

Mit Bescheid vom 10. Juli 2018 bewilligte die Beklagte dem Kläger dem Grunde nach Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben. Um über Art und Umfang der Leistungen entscheiden zu können, sei zunächst, so die Beklagte, ein Beratungsgespräch mit dem Reha-Berater der Beklagten erforderlich. Anlässlich des Gesprächs mit dem Reha-Berater am 21. August 2018 hat der Kläger den Wunsch geäußert, eine dreijährige Umschulung zum Holzbildhauer am Berufskolleg für Holzdesign machen zu wollen. Der Kläger hat hierbei mitgeteilt, die Weiterbildung würde im September 2018 beginnen. Er habe vom Bildungsträger bereits eine Zusage erhalten, eine andere Tätigkeit käme für ihn nicht in Frage. Auch eine Arbeitsplatzerprobung komme nicht in Betracht.

Die Reha-Beraterin kam zu der Einschätzung, dass die erstrebte Tätigkeit im Berufsbild des Holzbildhauers nicht leidensgerecht sei, woraufhin die Beklagte den Antrag des Klägers, die Kosten für eine Umschulung zum Holzbildhauer/Holzdesign zu übernehmen, mit Bescheid vom 11. September 2018 ablehnte. Begründend führte sie aus, aufgrund der bestehenden gesundheitlichen Einschränkungen sei zwar die Erwerbsfähigkeit im Beruf des Klägers als Produktionsmitarbeiter erheblich gefährdet, aus den vorliegenden ärztlichen Befunden ergebe sich jedoch, dass die angestrebte Tätigkeit als Holzbildhauer oder Holzdesigner ebenfalls nicht leidensgerecht sei.

Zur Begründung seines hiergegen am 8. Oktober 2018 eingelegten Widerspruchs brachte der Kläger vor, die Beklagte habe sich bei ihrer Entscheidung nicht ausreichend mit den Anforderungen im angestrebten Beruf auseinandergesetzt. Entgegen der Einschätzung der Beklagten sei er durchaus in der Lage, diesen gesundheitlich auszuüben.

Mit Widerspruchsbescheid vom 30. Januar 2019 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. Zwar habe der Kläger, so die Beklagte begründend, dem Grunde nach Anspruch auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben, die begehrte Umschulung sei aber nicht geeignet, ihn auf Dauer beruflich einzugliedern. Ziel von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben sei es, die Versicherten dauerhaft in das Erwerbsleben einzugliedern. Insofern sei prognostisch zu beurteilen, ob die begehrte Leistung geeignet sei, dies zu gewährleisten. Im Berufsfeld eines Holzbildhauers oder Holzdesigners fielen jedoch Tätigkeiten an, die mit den gesundheitlichen Einschränkungen nicht in vollem Umfang vereinbar seien. Der Kläger müsse aufgrund seiner gesundheitlichen Situation häufiges Bücken, Zwangshaltungen, Überkopfarbeiten sowie Tätigkeiten in Nässe, Kälte, Zugluft und Temperaturschwankungen meiden. Das erstrebte Berufsbild entspräche jedoch diesem (negativen) Leistungsbild nicht.

Hiergegen hat der Kläger am 21. Februar 2019 Klage zum Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben. Zu deren Begründung hat er vorgetragen, die Annahme der Beklagten, das angestrebte Berufsbild entspreche nicht seinem Leistungsvermögen, sei nicht nachvollziehbar. Vielmehr stünden der Ausübung des Berufs des Holzbildhauers nach den Anforderungen der Bundesagentur für Arbeit nur eine Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit der Arme und Hände, der Feinmotorik der Hände und Finger, eine nicht korrigierbare Sehschwäche, chronische oder allergische Hauterkrankungen und chronische oder allergische Atemwegs- und Lungenerkrankungen entgegen. Derartige Beeinträchtigungen lägen bei ihm nicht vor. Er leide vielmehr unter den Folgen der Beinamputation. Der Kläger hat hierzu u.a. eine Aufstellung des Anforderungsprofils für das 3-jährige Berufskolleg Holzdesign der F1 W1 Gewerbeschule, F2, vorgelegt. Ferner hat er eine Stellungnahme des Fachlehrers für Gestaltung R1 des Berufskollegs vom 6. Juni 2019 beigebracht, in der u.a. ausgeführt ist, dass im dortigen Berufsalltag nicht ersichtlich sei, dass die Behinderung des Klägers seine Leistungsfähigkeit in irgendeiner Form beeinträchtige.

Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Die Tätigkeit eines Holzbildhauers gehe mit einer nicht unerheblichen körperlichen und psychischen Belastung einher. Diese sei mit den Leistungseinschränkungen des Klägers nicht vereinbar. Insb. sei eine Tätigkeit an Maschinen, die eine erhöhe Unfallgefahr bergen, wegen der psychischen Beeinträchtigung nicht möglich.

Das SG hat die den Kläger behandelnde L1 schriftlich als sachverständige Zeugin befragt. In Ihrer Stellungnahme vom 30. Oktober 2019 hat sie ausgeführt, dass beim Kläger bereits im Jahr 2017 latente Beschwerden einer Depression aufgetreten seien. Im 1. Quartal 2018 habe sich dann gezeigt, dass die bisherige Tätigkeit als Bauzeichner nicht (mehr) leidensgerecht sei. Nach der Durchführung der psychosomatischen Kurmaßnahme habe der Kläger seine erneute Ausbildung mit viel Motivation begonnen.

Das SG hat sodann S1, zum gerichtlichen Sachverständigen ernannt und mit der Erstattung eines Sachverständigengutachtens zur Leistungsfähigkeit des Klägers beauftragt. In seinem fachorthopädisch-chirurgischen Gutachten vom 27. Januar 2019 (richtig: 27. Januar 2020) hat S1 u.a. ausgeführt, dass als wesentliche Folge des Verkehrsunfalls nur noch die im Kniegelenk erfolgte Amputation des rechten Unterschenkels verbleibe, die jedoch sehr gut prothesenversorgt sei. Die weiteren Verletzungen seien ohne Beeinträchtigungen ausgeheilt. Der Kläger sei in der Lage, einer mittelschweren Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt minds. sechs Stunden täglich nachzugehen. Auch sei er mit großer Wahrscheinlichkeit in der Lage, dem im Beruf des Holzbildhauers geforderten Profil dauerhaft gerecht zu werden.

Das SG hat ferner C1, zum gerichtlichen Sachverständigen ernannt und mit der Erstattung eines Sachverständigengutachtens zur Leistungsfähigkeit des Klägers beauftragt. In seinem neurologischen Gutachten vom 13. Mai 2020 hat C1 beim Kläger einen Zustand nach einer schweren depressiven Episode (folgenlos ausgeheilt) diagnostiziert. Er hat ausgeführt, dass seitens des neurologischen Fachgebiets keine Funktionsbeeinträchtigungen bestünden. Der Kläger sei in der Lage, einer mittelschweren Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt minds. sechs Stunden täglich nachzugehen. Aus neurologischer Sicht bestünden keine Einschränkungen betr. die Anforderungen an eine Tätigkeit als Holzbildhauer.

Die Beklagte hat nach der gerichtlichen Beweisaufnahme ausgeführt, diese habe gezeigt, dass der Kläger vollständig genesen sei und ihm deswegen auch eine weitere Tätigkeit als Produktionsmitarbeiter zumutbar möglich sei und deswegen die Aufhebung des Bescheides vom 10. Juli 2018 geprüft werde. Dem ist der Kläger unter Vorlage eines ärztlichen Attestes der Fachärztin L1 vom 6. Juli 2020 entgegengetreten, in dem diese u.a. ausgeführt hat, dass gerade die durchgeführte Umschulung zu einer Stabilisierung geführt habe.

Mit Bescheid vom 27. Juli 2020 hat die Beklagte entschieden, dass der Antrag auf Übernahme der Kosten für die Umschulung zum Holzbildhauer abgelehnt werde. Zur Begründung hat sie ausgeführt, unter Berücksichtigung der im gerichtlichen Verfahren eingeholten Sachverständigengutachten lägen die persönlichen Voraussetzungen (§ 10 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch [SGB VI] für die begehrte Förderung nicht vor.

Das SG hat daraufhin mitgeteilt, dass der Bescheid vom 27. Juli 2020 nach § 96 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Gegenstand des Verfahrens werde. Klägerseits ist daraufhin geltend gemacht worden, dass er, der Kläger, einen Erstattungsanspruch betr. die verauslagten Kosten habe. Die Beklage habe nicht binnen zwei Monaten über den Antrag des Klägers vom 30. Mai 2018 entschieden. Vielmehr sei erst mit Bescheid vom 11. September 2018 entschieden worden. Dieser Bescheid sei dem Kläger am 13. September 2018 bekanntgegeben worden. Er habe die Ausbildung jedoch bereits am 11. September 2018 begonnen und werde diese (voraussichtlich) am 26. Juli 2021 beenden. Da der Kläger einen Anspruch auf Kostenübernahme gehabt habe, habe er nunmehr einen Anspruch auf Kostenerstattung. Im Übrigen habe er auf den Bewilligungsbescheid vom 10. Juli 2018 vertrauen dürfe.

Die Beklagte ist auch dem Erstattungsbegehren entgegengetreten. Dem ursprünglichen Antrag vom 30. Mai 2018 sei mit Bescheid vom 10. Juli 2018 dem Grunde nach entsprochen worden. Der konkrete Wunsch, sich zum Holzbildhauer umschulen zu lassen, sei erstmals anlässlich des Beratungsgespräche vom 22. August 2018 erfolgt. Jedoch sei der Kläger bereits zu diesem Zeitpunkt auf diese Umschulung festgelegt gewesen.

Mit Urteil vom 26. November 2021 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung seiner Entscheidung hat es ausgeführt, Gegenstand des Verfahrens sei der Bescheid der Beklagten vom 27. Juli 2020, der nach § 96 SGG Gegenstand des Verfahrens geworden sei. Der Bescheid der Beklagten vom 27. Juli 2020 habe nochmals über den Antrag auf Gewährung einer Umschulung zum Holzbildhauer entschieden, die Beklagte habe nochmals eine vollständig neue Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen vorgenommen und sei zu der Einschätzung gelangt, dass die persönlichen Leistungsvoraussetzungen nicht vorlägen. Dieser Bescheid habe den ursprünglichen Bescheid vom 11. September 2018 (Widerspruchsbescheid vom 30. Januar 2019) ersetzt, der sich somit erledigt habe. Eine Aufhebung des Bescheids vom 10. Juli 2018 über die Gewährung einer Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben dem Grunde nach lasse sich dem Bescheid vom 27. Juli 2020 nicht entnehmen. Der Bescheid vom 27. Juli 2020 sei rechtmäßig; der Kläger habe keinen Anspruch auf Übernahme der Kosten der begonnenen Umschulung zum Holzbildhauer. Nach § 18 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) habe der Rehabilitationsträger dem Leistungsberechtigten, wenn über einen Antrag auf Leistungen zur Teilhabe nicht innerhalb einer Frist von zwei Monaten ab Antragseingang entschieden werden könne, die Gründe vor Ablauf der Frist schriftlich mittzuteilen. Erfolge keine begründete Mitteilung, gelte die beantragte Leistung nach Ablauf der Frist als genehmigt (§ 18 Abs. 3 Satz 1 SGB IX). Die beantragte Leistung gelte auch dann als genehmigt, wenn der in der Mitteilung bestimmte Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag ohne weitere begründete Mitteilung des Rehabilitationsträgers abgelaufen sei. Beschafften sich Leistungsberechtigte eine als genehmigt geltende Leistung selbst, sei der leistende Rehabilitationsträger zur Erstattung der Aufwendungen für selbstbeschaffte Leistungen verpflichtet (§ 18 Abs. 4 Satz 1 SGB IX). Vorliegend sei der Umschulungsantrag am 21. August 2018 gestellt worden. Die Beklagte habe hierüber mit Bescheid vom 11. September 2018 entschieden. Der Kläger habe jedoch bereits am 10. September 2018 die Umschulungsmaßnahme begonnen. Da der Kläger zum Zeitpunkt der Antragstellung überdies bereits eine Zusage seitens des Bildungsträgers gehabt habe, lägen die Voraussetzungen einer Genehmigungsfiktion und einer Kostenerstattung nicht vor.

Gegen das ihm am 19. Januar 2021 zugestellte Urteil hat der Kläger am 26. Januar 2021 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt. Zu deren Begründung bringt er vor, das SG habe zu Unrecht angenommen, er, der Kläger, sei (wieder) in der Lage, seiner zuletzt ausgeübten Tätigkeit nachzugehen. Entgegen dieser Annahme lägen in seiner Person die persönlichen Voraussetzungen der begehrten Leistung vor. Die erstinstanzliche Beweisaufnahme habe vielmehr gezeigt, dass er nicht weiter als Produktionsmitarbeiter arbeiten könne, jedoch dem Anforderungsprofil des Holzbildhauers gerecht werde. Hierzu hat er ein ärztliches Attest der Fachärztin L1 vom 17. Februar 2021 vorgelegt. Die Beklagte sei überdies bei der Auswahl der Teilhabeleistung verpflichtet gewesen, die berechtigten Wünschen der Leistungsberechtigten zu berücksichtigen. Im Hinblick auf seinen Gesundheitszustand und seine beruflichen Neigungen sei das Ermessen der Beklagten auf Null reduziert gewesen.

Im weiteren Fortgang hat der Kläger mitgeteilt, dass die Umschulung zwischenzeitlich erfolgreich abgeschlossen worden sei. Er hat hierzu u.a. eine Aufnahmebestätigung der F1 W1 Gewerbeschule, F2, vom 27. Juni 2018 vorgelegt, nach der dem Kläger bestätigt wird, dass er zum Schuljahr 2010/11 in das 3-jährige Berufskolleg Holzdesign/Holzbildhauerei aufgenommen werde und der Unterricht am 10. September 2018 beginne. Ferner hat der Kläger Rechnungen über Materialkosten (40,- €) die Anschaffung von Schnitzwerkzeug (530,- €) und Prüfungsgebühren (145,- €) vorgelegt.

Der Kläger beantragt (zweckdienlich gefasst),

das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 26. November 2021 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 27. Juli 2020 zu verurteilen, dem Kläger die ihm durch die Teilnahme an dem dreijährigen Berufskolleg Holzdesign/Holzbildhauerei an der F1 W1 Gewerbeschule, F2, entstandenen Kosten zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung ihres Antrages verweist die Beklagte auf die aus ihrer Sicht zutreffenden Ausführungen des SG im angefochtenen Urteil. Aus den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils ergebe sich, dass (zuletzt) die Kostenerstattung streitig gewesen sei. Hierzu habe sich der Kläger in der Berufungsbegründung nicht geäußert. Ein Kostenerstattungsanspruch für eine Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben setze einen entsprechenden Primäranspruch voraus. Hierbei sei wiederrum erforderlich, dass das ihr eingeräumte Ermessen auf Null reduziert sei. Dies sei vorliegend nicht der Fall.

Mit Schriftsatz vom 22. Juli 2022 hat die Beklagte, mit solchem vom 22. August 2023 der Kläger das Einverständnis mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung erklärt.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes, insb. des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten beider Rechtszüge sowie die Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der Entscheidungsfindung geworden sind, verwiesen.



Entscheidungsgründe

Die form- und fristgerecht (vgl. § 151 Abs. 1 SGG) und auch im Übrigen zulässige Berufung des Klägers, über die der Senat nach dem erklärten Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG), ist zulässig, insb. statthaft i.S.d. § 143 SGG. Der Senat ist davon überzeugt, dass dem Kläger - obschon lediglich Belege über Kosten i.H.v. insg. 715,- € beigebracht worden sind - Kosten i.H.v. mehr als 750,- € (vgl. § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG) entstanden sind.

Streitgegenständlich ist einzig der Bescheid der Beklagten vom 27. Juli 2020. Mit diesem Bescheid hat die Beklagte - wie schon zuvor durch den Bescheid vom 11. September 2018 (Widerspruchsbescheid vom 30. Januar 2019) - erneut den Antrag des Klägers, die Kosten für eine Umschulung zum Holzbildhauer zu übernehmen, abgelehnt. Sie hat hiermit eine neue sachliche Entscheidung im Sinne eines sogenannten Zweitbescheides erteilt, der den Klageweg (neu) eröffnet hat (Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 23. März 1999 - B 2 U 8/98 R -, in juris). Dieser ersetzende Bescheid ist nach § 96 SGG Gegenstand des erstinstanzlichen Verfahrens geworden. Der initial angefochtene Bescheid vom 11. September 2018 (Widerspruchsbescheid vom 30. Januar 2019) ist nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens; dieser hat sich i.S.d. § 39 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) auf andere Weise erledigt.


Nach dem der Kläger die erstrebte Umschulung begonnen und während des laufenden Rechtsmittelverfahrens abgeschlossen hat, geht das Begehren des Klägers - sachgerecht -  dahin, die von ihm verauslagten Kosten der Weiterbildung erstattet zu erhalten. Die Umstellung des Antrages stellt insofern keine Klageänderung i.S.d. § 99 Abs. 1 (i.V.m. § 153 Abs. 1) SGG dar (vgl. § 99 Abs. 3 Nr. 3 SGG; vgl. BSG, Urteil vom 20. März 2007 - B 2 U 38/05 R -, in juris, dort Rn. 12).

Das SG hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen; der Kläger hat keinen Anspruch auf Erstattung der für die Teilnahme am drei
jährige Berufskolleg Holzdesign/Holzbildhauerei der F1 W1 Gewerbeschule entstandenen Kosten.

Nach § 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VI erbringen die Träger der Rentenversicherung u.a. Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben um den Auswirkungen einer Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung auf die Erwerbsfähigkeit der Versicherten vorzubeugen, entgegenzuwirken oder sie zu überwinden (Nr. 1) und dadurch Beeinträchtigungen der Erwerbsfähigkeit der Versicherten oder ihr vorzeitiges Ausscheiden aus dem Erwerbsleben zu verhindern oder sie möglichst dauerhaft in das Erwerbsleben wiedereinzugliedern (Nr. 2). Diese Leistungen sind nach § 9 Abs. 2 SGB VI zu erbringen, wenn die persönlichen und versicherungsrechtlichen Voraussetzungen (§§ 10, 11 SGB VI) dafür erfüllt sind.

Die §§ 9 ff. SGB VI sind Teil des Rehabilitationsrechtes und als solche im Zusammenhang mit den Regelungen des SGB IX zu sehen. Die Beklagte, die nach § 6 Abs. 1 Nr. 4 SGB IX zum Kreis der Rehabilitationsträger zählt, ist vorliegend als erstangegangener Rehabilitationsträger i.S.d. § 14 SGB IX für die Gewährung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (§ 5 Nr. 2 SGB IX) zuständig. Die Zuständigkeit der Beklagten als Rehabilitationsträger erstreckt sich nach § 14 Abs. 1 und 2 SGB IX im Verhältnis zu dem behinderten Menschen auf alle Rechtsgrundlagen, die überhaupt in dieser Bedarfssituation vorgesehen sind (vgl. BSG, Urteil vom 24. Februar 2016 - B 8 SO 18/14 R -, in juris).

Die Anbindung der §§ 9 ff. SGB VI an das Rehabilitationsrecht führt dazu, dass auch die begehrte Kostenerstattung dem Regime des SGB IX unterfällt.

§ 18 Abs. 4 SGB IX in der ab dem 1. Januar 2018 geltenden Fassung des Gesetzes zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen (Bundesteilhabegesetz) vom 23. Dezember 2016 (BGBl. I S. 3234) normiert diesbezüglich zunächst einen Erstattungsanspruch beim Ausbleiben einer Entscheidung bis Fristablauf (Abs. 1 – 3 a.a.O.). Da die Beklagte jedoch über den Antrag vom 30. Mai 2018 bereits mit Bescheid vom
10. Juli 2018 und damit innerhalb der Frist von zwei Monaten (§ 18 Abs. 1 Satz 1 SGB IX) entschieden hat, scheidet ein hierauf gestützter Erstattungsanspruch aus. Dies gilt auch im Hinblick auf den konkreten Antrag des Klägers vom 21. August 2018, die Kosten der Weiterbildung zum Holzbildhauer am Berufskolleg zu übernehmen. Auch insofern hat die Beklagte binnen zweier Monate, mit Bescheid vom 11. September 2018 entschieden.

§ 18 Abs. 6 Satz 1 SGB XI bestimmt sodann in diesem Zusammenhang, dass, wenn der Rehabilitationsträger eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen (Alt. 1) oder hat er eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat (Alt. 2) und dadurch Leistungsberechtigten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden sind, diese vom Rehabilitationsträger in der entstandenen Höhe zu erstatten sind, soweit die Leistung notwendig war.

Die Kostenerstattung nach § 18 Abs. 6 SGB IX ist akzessorisch zu dem durch Zweckerreichung erloschenen originären Sachleistungsanspruch, weshalb insoweit die Voraussetzungen des ursprünglichen Primäranspruchs erfüllt sein müssen. Die Kostenerstattung setzt daher voraus, dass die selbst beschaffte Reha-Leistung zu den Leistungen gehört, welche die Reha-Träger systemkonform allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben. Der Erstattung Begehrende muss also nach der materiellen Rechtslage (einschließlich ggf. zu erfüllender Mitwirkungspflichten nach den §§ 60 ff. SGB I) im Hinblick auf den Primäranspruch leistungsberechtigt gewesen sein. Ebenso muss er alles Zumutbare und Erforderliche getan haben, um sich die Sachleistung zu verschaffen, wozu grundsätzlich auch die Antragstellung beim Träger zählt (BSG, Urteil vom 22. März 2005 - B 1 KR 3/04 R -, juris, dort Rn. 12). Zwischen der rechtswidrigen Leistungsablehnung und der Kostenlast des Leistungsberechtigten muss überdies ein Ursachenzusammenhang bestehen (§ 18 Abs. 6 Satz 1 SGB IX: „dadurch“).

Dieser Ursachenzusammenhang fehlt, wenn der Leistungsträger vor Inanspruchnahme bzw. Beschaffung der Leistung mit dem Leistungsbegehren nicht befasst wurde, obwohl dies möglich gewesen wäre (BSG, Urteil vom 30. Juni 2009, - B 1 KR 5/09 R -, in juris). Das mit einer Entscheidung des Leistungsträgers abzuschließende Verwaltungsverfahren stellt weder einen „Formalismus“ in dem Sinne dar, dass es ganz entbehrlich ist, noch in dem Sinne, dass es zwar durchlaufen werden muss, aber der Leistungsbegehrende nicht gehalten ist, die Entscheidung des Leistungsträgers in seine eigene Entscheidung inhaltlich einzubeziehen. Nach dem Gedanken des § 13 Abs. 3 Satz 1 2. Alt. SGB V soll dem Leistungsbegehrenden einerseits die Möglichkeit eröffnet werden, sich eine vom Leistungsträger geschuldete, aber als Sachleistung nicht erhältliche Leistung selbst zu beschaffen, andererseits jedoch die Befolgung des Sachleistungsgrundsatzes dadurch absichern, dass eine Kostenerstattung nur erfolgt, wenn tatsächlich eine Leistungsverpflichtung festgestellt wird. Diese Feststellung zu treffen, ist nicht Sache des Leistungsbegehrenden, sondern des Leistungsträgers. Nur dieser hat in der Regel einen vollständigen Überblick über die rechtlichen Rahmenbedingungen und die vorhandenen Leistungsmöglichkeiten und kann mit Hilfe dieser Informationen zuverlässig beurteilen, ob die begehrte Leistung überhaupt zu den zu beanspruchenden gehört und wenn ja, wie sie konkret realisiert werden kann. Eine vorherige Prüfung durch den Leistungsträger, verbunden mit der Möglichkeit einer Beratung, ist sachgerecht; sie liegt gerade auch im eigenen Interesse des Leistungsbegehrenden, weil sie ihn von dem Risiko entlastet, die entstehenden Kosten ggf. selbst tragen zu müssen, wenn ein zur Erstattungspflicht führender Ausnahmetatbestand nicht vorliegt (so: BSG, Urteil vom 8. September 2015, - B 1 KR 14/14 R - m.w.N., in juris).

Dies gilt gleichermaßen, wenn sich der Leistungsbegehrende unabhängig davon, wie die Entscheidung des Leistungsträgers ausfällt, von vornherein auf eine bestimmte Leistung durch einen bestimmten Leistungserbringer festgelegt hat und fest entschlossen ist, sich die Leistung selbst dann zu beschaffen, wenn der Leistungsträger den Antrag ablehnen sollte. Hat der Leistungsbegehrende durch eine solche Vorfestlegung bereits vor der Entscheidung des Leistungsträgers eigenmächtig das Sachleistungsprinzip „verlassen“, liegt ein die Erstattung auslösendes „Fehlverhalten“ des Leistungsträgers nicht vor. So liegt der Fall vorliegend.


Der Kläger hatte ausweislich des Vermerks vom 22. August 2018 über das am 21. August 2018 durchgeführte Beratungsgespräch mit der Reha-Beraterin der Beklagten bereits zu diesem Zeitpunkt eine Zusage des Bildungsträgers inne, an dem im September 2018 beginnenden Berufskolleg teilnehmen zu können. Auch aus der im Berufungsverfahren vorgelegten Bestätigung der F1 W1 Gewerbeschule, in der dem Kläger unter dem 27. Juni 2018 bestätigt wird, dass er in das 3-jährige Berufskolleg Holzdesign/Holzbildhauerei aufgenommen werde und der Unterricht am 10. September 2018 beginne, wird deutlich, dass sich der Kläger bereits vor der Antragstellung verbindlich darauf festgelegt hat, das Berufskolleg zu absolvieren. Da dieser Zeitpunkt vor dem der maßgeblichen Antragstellung vom 21. August 2018 liegt, war er bereits zum Zeitpunkt der maßgeblichen Antragstellung darauf festgelegt, das Berufskolleg zu durchlaufen. Mithin fehlt es vorliegend bereits an dem erforderlichen Kausalzusammenhang zwischen der Leistungsablehnung und den beim Kläger entstandenen Kosten.

Maßgebend für die Beurteilung der Einhaltung des Beschaffungsweges ist insofern der auf ein konkretes Rehabilitationsbegehren gerichtete Antrag vom 21. Augst 2018, weswegen eine abweichende Beurteilung vorliegend auch nicht dadurch bedingt ist, dass der Kläger die Gewährung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben bereits am 30. Mai 2018 bei der Beklagten beantragt hat. Mit diesem Antrag hat der Kläger gegenüber der Beklagten sein Begehren nicht in dem Sinne konkretisiert und spezifiziert, als er ein konkretes Begehren nicht benannt hat. In diesem Sinne hat die Beklagte auf den Antrag hin, mit Bescheid vom 10. Juli 2018 auch (nur) Leistungen zur Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben dem Grunde nach bewilligt. Nachdem sie im Bescheid auch ausdrücklich ausgeführt hat, dass über Art und Umfang der Leistungen nicht entschieden werden könne, weil zunächst ein Beratungsgespräch mit dem Reha-Berater der Beklagten erforderlich sei, hat sie beim Kläger auch keinen (schützenswerten) Vertrauenstatbestand geschaffen, der es ihm gestattet hätte, selbst und ohne Rücksprache mit der Beklagten einen Umschulungsgang auswählen zu dürfen.


Der Senat verkennt ferner nicht, dass die Umschulungsmaßnahme eine länger andauernde Maßnahme war und bei laufenden oder sich über einen längeren Zeitraum erstreckenden Leistungen die ablehnende Entscheidung des Leistungserbringers im allgemeinen als Zäsur gesehen und die Kostenerstattung nur für diejenigen Leistungen ausgeschlossen, die bis zum Zeitpunkt der Entscheidung auf eigene Rechnung beschafft wurden; für spätere Leistungen hingegen der erforderliche Kausalzusammenhang bejaht werden kann (vgl. etwa Urteile des LSG Berlin vom 22. September 1998 - L 9 Kr 30/98 -; Urteil des LSG Niedersachsen vom 20. Januar 1999 - L 4 KR 171/98 -, jew. in juris). Das kann indes nur gelten, wenn die nachträglich getroffene Entscheidung des Leistungsträgers noch geeignet war, das weitere Leistungsgeschehen zu beeinflussen. War hingegen mit dem eigenmächtigen Beginn der Teilnahme das weitere Vorgehen bereits endgültig festgelegt, fehlt der erforderliche Ursachenzusammenhang zwischen der Ablehnung des Leistungsträgers und der Kostenbelastung des Leistungsbegehrenden auch für den Teil der Leistung, der zeitlich nach dem ablehnenden Bescheid liegt (BSG, Urteil vom 19. Juni 2001 - B 1 KR 23/00 R -; Urteil vom 24. September 1996 - 1 RK 33/95 -, jew. in juris). Nach diesen rechtlichen Maßstäben stellt sich die Teilnahme des Klägers am Berufskolleg als ein einheitlicher Vorgang dar, der hinsichtlich der Leistungsbewilligung nicht aufspaltbar ist.

Mithin hat der Kläger den Beschaffungsweg nicht eingehalten, weswegen ein auf eine unrechtmäßige Leistungsablehnung gestütztes Erstattungsbegehren nicht begründet ist.

Vor diesem Hintergrund ist es unbeachtlich, ob der Kläger einen Primärleistungsanspruch auf die Teilnahme am Berufskolleg hatte, ob er insb., was die Beteiligten im Berufungsverfahren maßgeblich thematisiert haben, die persönlichen Voraussetzungen der begehrten Leistung erfüllt.


Ein auf die Verweigerung einer unaufschiebbaren Leistung gerichteter Erstattungsanspruch, § 18 Abs. 6 Satz 1 Alt. 1 SGB XI, besteht gleichfalls nicht. Ob Unaufschiebbarkeit vorliegt, ist nach dem medizinisch und rehabilitationswissenschaftlich zu beurteilenden objektiven Bedarf zu bestimmen. Dem Betroffenen darf es nicht möglich oder zumutbar sein, vor der Beschaffung die Entscheidung des Trägers abzuwarten. Gründe i.d.S. sind vorliegend nicht ersichtlich. Insb. das Vorbringen, der nahende Beginn der Weiterbildungsmaßnahme habe zu einer Unaufschiebbarkeit geführt, geht fehl, weil der Kläger durch die Kontaktaufnahme zum Bildungsträger und der dortigen Teilnahmebewerbung zum September 2018 bei Unterlassung einer vorherigen Antragstellung bei der Beklagten bzw. einer früheren Mitteilung an diese die zeitliche Nähe der Antragstellung zum Maßnahmebeginn selbst verursacht hat.

Der Kläger hat mithin keinen Anspruch auf Erstattung der von ihm für die Teilnahme am Berufskolleg verauslagten Kosten.

Die Berufung des Klägers gegen das
Urteil des SG vom 26. November 2021 ist zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt im Rahmen der anzustellenden gerichtlichen Ermessensentscheidung (vgl. BSG, Beschluss vom 25. Mai 1957 - 6 RKa 16/54 -, in juris, dort Rn. 8), dass der Kläger auch in der Rechtsmittelinstanz mit seinem Begehren nicht durchgedrungen ist und der Beklagte keine Veranlassung für die Durchführung eines gerichtlichen Verfahrens gegeben hat.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung auf gesicherter Rechtsgrundlage, ohne dass der Senat von einer Entscheidung der in § 160 Abs. 2 Nr. 2 SGG genannten Gerichte abweicht.


 

Rechtskraft
Aus
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