L 5 AS 554/19 B

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
5.
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 167 AS 4291/14
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 5 AS 554/19 B
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze

Ist ein Kostenerstattungsanspruch nach § 63 SGB X entstanden und als Freistellungsanspruch anerkannt, setzt die aus diesem Anspruch resultierende Verpflichtung voraus, dass der Gläubiger auch tatsächlich einer Forderung ausgesetzt ist. Andernfalls geht die Freistellungsverpflichtung mangels „Kosten" ins Leere. Eine Einforderung entstandener Gebühren setzt nach § 10 Abs. 1 Satz 1 RVG die Mitteilung einer schriftlichen Berechnung an den Auftraggebervoraus.

Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 21. Februar 2019 wird zurückgewiesen.

 

Außergerichtliche Kosten sind für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe

 

I.

Der Kläger (Beschwerdeführer) begehrt im Wege der Zwangsvollstreckung die Auszahlung von 154,70 € von dem Beklagten (Beschwerdegegner).

 

Der Kläger, der unter dem 16. Dezember 2009 seinem jetzigen Prozessbevollmächtigten wegen „Widerspruch/Klage/Kosten“ zum Aktenzeichen  eine Vollmacht, die auch für Kostenfestsetzungs- und Zwangsvollstreckungssachen gilt, erteilt hat, führte ein Widerspruchsverfahren bei dem Beklagten.

 

Mit Bescheid vom 23. Dezember 2013 lehnte der Beklagte den Kostenfestsetzungsantrag für dieses Widerspruchsverfahren ab. Den dagegen erhobenen Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 27. Januar 2014 zurück.

 

Daraufhin erhob der Kläger am 20. Februar 2014 Klage zum Sozialgericht Berlin (S 91 AS 4291/14, später S 131 AS 4291/14), mit der er die Verpflichtung des Beklagten zur Festsetzung der Kosten des Widerspruchsverfahrens in Höhe von 154,70 Euro begehrte.

 

Nachdem der Kläger über seinen Prozessbevollmächtigten mitgeteilt hatte, dass keine Beratungshilfe nach dem Beratungshilfegesetz – BerhG – in Anspruch genommen worden sei, verfügte der Beklagte mit einem an den Kläger adressierten Schreiben vom 29. April 2016, dass dieser von den Kosten des Widerspruchsverfahrens in Höhe von 154,70 Euro freigestellt werde.

 

Gegenüber dem Sozialgericht führte der Beklagte aus (Schriftsatz vom 28. Juni 2016), dass die notwendigen Kosten antragsgemäß festgesetzt worden seien und der Kläger in Höhe dieser Kosten freigestellt werde.

 

Unter dem 25. Juli 2016 nahm der Kläger das Teilanerkenntnis an und begehrte weiter die Verpflichtung des Beklagten zur entsprechenden Zahlung.

 

Am 24. Februar 2017 erklärte der Kläger den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt und beantragte eine Entscheidung über die Kosten. Ferner beantragte er die Erteilung einer vollstreckbaren Ausfertigung des Anerkenntnisses des Beklagten sowie die Zustellung der vollstreckbaren Ausfertigung.

 

Mit Beschluss des Soziaalgerichts vom 31. März 2017 wurde der Beklagte verpflichtet, die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers zu tragen.

 

Das Sozialgericht hat mit Beschluss vom 11. Mai 2017 festgestellt, dass der Rechtsstreit durch das am 29. April 2016 erklärte Teilanerkenntnis dahingehend, den Kläger von den notwendigen Kosten des Widerspruchsverfahrens i.H.v. 154,70 Euro freizustellen und der Annahme dieses Teilanerkenntnisses in Verbindung mit der Erledigungserklärung vom 24. Februar 2014 erledigt sei.

 

Am 10. Juli 2017 hat der Kläger beim Sozialgericht Berlin beantragt,

 

den Gläubiger zu ermächtigen, die dem Schuldner nach dem Beschluss des Sozialgerichts Berlin obliegende Verpflichtung auf Freistellung von den Kosten des Widerspruchsverfahrens i.H.v. 154,70 € auf Kosten des Schuldners im Wege der Ersatzvornahme durch den Gläubiger durchzuführen und den Schuldner hinsichtlich der erteilten Ermächtigung zur Vorauszahlung der Kosten zu verurteilen.

 

Der Beklagte habe trotz Aufforderung die Verpflichtung nicht erfüllt. Die geschuldete Verpflichtung zur Freistellung stelle eine vertretbare Handlung nach § 887 Zivilprozessordnung - ZPO - dar. Die durch den Gläubiger beabsichtigte Ersatzvornahme verursache Kosten i.H.v. 154,70 €. Es werde nicht die Vollstreckung eines Zahlungsanspruches begehrt, sondern allein die Vollstreckung des bereits titulierten Freistellungsanspruchs.

 

Mit Beschluss vom 21. Februar 2019 hat das Sozialgericht den Zwangsvollstreckungsantrag zur Durchführung der Ersatzvornahme zurückgewiesen. Es liege eine ordnungsgemäße Bevollmächtigung des Prozessbevollmächtigten durch den Kläger vor. Es seien keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Kläger dem Prozessbevollmächtigten die Vollmacht zwischenzeitlich entzogen habe.

 

Soweit der Kläger meine, aus dem erfolgten Anerkenntnis ohne vorherige Rechnungslegung einen Zahlungsanspruch gegen den Beklagten zu haben, sei § 887 Abs. 1 ZPO bereits nicht einschlägig. Bei der Freistellung von einem Anspruch handele es sich hingegen um eine vertretbare Handlung. Den Anspruch auf Freistellung von den Kosten des Widerspruchsverfahrens habe der Beklagte vollständig erfüllt. Das Ziel, eine entsprechende Zahlung zu erhalten, können nur dann erreicht werden, wenn dem Kläger auch ein entsprechender Schaden entstanden sei. Ohne Rechnungslegung durch den Prozessbevollmächtigten fehle es jedoch an einem solchen Schaden.

 

Gegen den am 12. März 2019 zugestellten Beschluss richtet sich die am 21. März 2019 eingelegte Beschwerde, mit der der Kläger sein Begehren weiterverfolgt.

 

Der Beklagte habe den Kläger von den notwendigen Kosten des Widerspruchsverfahrens i.H.v. 154,70 € freigestellt. Der Beschluss des Sozialgerichts vom 11. Mai 2017 sei bestandskräftig und vollstreckbar. Das Sozialgericht habe am 2. Juni 2017 eine vollstreckbare Ausfertigung des Beschlusses erteilt. Soweit der Beklagte die Ansicht vertrete, dass er aus dem Beschluss zu nichts verpflichtet sei, sei dies nicht der Fall. Der Beklagte sei unbedingt und bestandskräftig zur Freistellung verpflichtet.

 

Der Kläger beantragt:

 

  1. Unter Aufhebung des Beschlusses des Sozialgerichts Berlin vom 21. Februar 2019 wird der Beschwerdeführer dazu ermächtigt, die der Beschwerdegegnerin nach dem Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 11. Mai 2017 obliegende Verpflichtung auf Freistellung von den Kosten des Widerspruchsverfahrens i.H.v. 154,70 € auf Kosten der Beschwerdegegnerin im Wege der Ersatzvornahme durch den Beschwerdeführer durchzuführen (§ 887 Abs. 1 ZPO).

 

  1. Unter Aufhebung des Beschlusses des Sozialgerichts Berlin vom 21. Februar 2019 wird der Schuldner hinsichtlich der zu 1. erteilten Ermächtigung zur Vorauszahlung der Kosten verurteilt (§ 887 Abs. 2 ZPO).

 

Der Beklagte beantragt,

 

die Beschwerde zurückzuweisen.

 

Die Rechtsverfolgung sei missbräuchlich und die Entscheidung des Sozialgerichts zutreffend. Der Kläger habe im Klageverfahren nach dem Anerkenntnis die verfolgte Zahlungsklage aufgegeben. Der Kläger müsse sich an der Rücknahme der Klage hinsichtlich des Zahlungsanspruchs festhalten lassen und könne nicht auf Umwegen nunmehr den Zahlbetrag geltend machen. Zudem rügt der Beklagte eine mangelnde Bevollmächtigung des Prozessbevollmächtigten. Diese erfasse weder die Beschwerde noch den Zwangsvollstreckungsantrag zur Durchführung der Ersatzvornahme.

 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte Bezug genommen, der vorgelegen hat und Gegenstand der Beratung gewesen ist.

 

 

II.

Gegen die Entscheidungen der Sozialgerichte mit Ausnahme der Urteile und gegen Entscheidungen der Vorsitzenden dieser Gerichte findet die Beschwerde an das Landessozialgericht statt (§ 172 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Gegenstand der Beschwerde ist die Ablehnung einer Maßnahme zur Vollstreckung. In derartigen Angelegenheiten ist die Beschwerde nicht ausgeschlossen (§ 172 Abs. 3 SGG).

 

Die Beschwerde ist nicht begründet. 

 

Zu Recht hat das Sozialgericht den auf Ersatzvornahme gerichteten Vollstreckungsantrag zurückgewiesen.

 

Der Prozessbevollmächtigte des Klägers geht zutreffend davon aus, dass sich die Zwangsvollstreckung aus dem angenommenen Anerkenntnis „Freistellung von den Kosten des Widerspruchsverfahrens in Höhe von 154,70 Euro“ nach § 198 Abs. 1 SGG i.V.m. § 887 Abs. 1 Zivilprozessordnung bemisst. Der zu vollstreckende Titel ist nicht auf eine Geldleistung (§§ 802a ff. ZPO), sondern auf eine Handlung, nämlich die Freistellung von Kosten gerichtet. Der Kläger macht nicht geltend, ihm seien schon Kosten entstanden. Er macht sinngemäß geltend, dass er sich einer Forderung seines Prozessbevollmächtigten ausgesetzt sieht.

 

Nach § 887 Abs. 1 ZPO ist der Gläubiger auf Antrag zu ermächtigen, auf Kosten des Schuldners die geschuldete Handlung vorzunehmen, wenn dieser die Verpflichtung zur Vornahme einer Handlung nicht erfüllt, deren Vornahme grundsätzlich durch einen Dritten erfolgen kann.

 

Die Erfüllung der Freistellung von Kosten in Form einer Forderung kann grundsätzlich durch einen Dritten erfolgen, so dass die Durchführung der Zwangsvollstreckung sich nach § 887 ZPO richtet (Seibel in Zöller, ZPO, 33. Auflage 2020, § 887, Rn. 3; Schmidt in Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 78.Auflage 2020, § 887, Rn. 22; Bauer, Deckungsprozesse in der Rechtsschutzversicherung, NJW 2015, S. 1329 (1332). Die Ersatzvornahme nach § 887 Abs. 1 ZPO erfolgt durch Eintreten des Dritten in Höhe der Forderung, die Absicherung der dabei entstehen Kosten kann über § 887 Abs. 2 ZPO (Antrag des Gläubiger auf Verurteilung des Schuldners zur Vorauszahlung der Kosten) erfolgen.

 

Die Voraussetzungen für eine Verpflichtung nach § 887 Abs. 1 ZPO liegen jedoch nicht vor. § 887 Abs. 1 ZPO setzt nämlich voraus, dass der verpflichtete Schuldner der Handlungsverpflichtung aus dem Titel des Gläubigers nachkommen kann und nicht nachkommt, hier also der Beklagte den Kläger nicht von Kosten des Widerspruchsverfahrens in Form einer Geldforderung in Höhe von 154,70 Euro befreit.

 

Da der Kläger keiner Geldforderung ausgesetzt ist, sind ihm bisher keine Kosten des Widerspruchsverfahrens entstanden, von denen der Beklagte ihn freistellen könnte.

 

Zutreffend geht der Kläger davon aus, dass es für den von dem Beklagten anerkannten Anspruch aus § 63 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – SGB X – auf Erstattung der Kosten des Vorverfahrens nicht darauf ankommt, dass ihm gegenüber bereits die anwaltlichen Leistungen im abgeschlossenen Widerspruchsverfahren mit einer den Anforderungen des § 10 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz – RVG – entsprechenden Abrechnung in Rechnung gestellt sind (vgl. Bundessozialgericht (BSG) v. 02.12.2014 – B 14 AS 60/13 R – juris, Rn. 17; v. 12.12.2019 – B 14 AS 46/18 R – juris, Rn. 12; Bundesgerichtshof (BGH) v. 22.03.2011 – VI ZR 63/10 – juris). Dies allerdings betrifft die Entstehung des Kostenerstattungsanspruchs als Freistellungsanspruch dem Grunde nach, der hier anerkannt ist.

 

Die aus diesem Anspruch resultierende Verpflichtung des Beklagten als Schuldner setzt allerdings voraus, dass der Kläger auch tatsächlich einer Forderung ausgesetzt ist, eine solche geltend gemacht ist. Andernfalls geht die Freistellungsverpflichtung mangels „Kosten“ ins Leere.

 

Führt das BSG aus, § 10 RVG betreffe lediglich die Frage, wann eine bereits entstandene Gebühr von dem Mandanten „einforderbar“ sei und regele nicht das Außenverhältnis zu einem erstattungspflichtigen Dritten (BSG v. 02.12.2014 – B 14 AS 60/13 R – ja.a.O., Rn. 17), so setzt jedenfalls eine Ersetzung einer Freistellungsverpflichtung nach § 887 Abs. 1 ZPO voraus, dass der Gläubiger tatsächlich einer Forderung ausgesetzt ist. Einer Forderung ist der Kläger bisher jedoch nicht ausgesetzt, denn eine Einforderung entstandener Gebühren setzt nach § 10 Abs. 1 Satz 1 RVG die Mittelung einer schriftlichen Berechnung an den Auftraggeber voraus (Burhoff in Gerold/Schmidt, RVG, 24. Auflage 2019, § 10, Rn. 4f.).

 

Soweit der Prozessbevollmächtigte unter Hinweis auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofs – BGH – vom 9. Juli 2015 (I ZR 224/13) die Auffassung vertritt, dass es für die Vollstreckung eines Freistellungsanspruchs nicht auf eine Abrechnung der Anwaltsleistung ankommt, so befasst sich die Entscheidung nicht mit Fragen der Zwangsvollstreckung. Im Übrigen bezieht sich der BGH in den Entscheidungsgründen (Seite 5) auf eine „Honorarforderung seiner Prozessbevollmächtigten“, so dass wohl eine Abrechnung vorlag. Vorliegend mag mit dem Kostenfestsetzungsantrag, der Ausgangspunkt des Rechtsstreits war, eine ausreichende Bezifferung des Schadensersatzanspruchs als Grundlage für den Freistellungsanspruch vorgelegen haben (vgl. BGH v. 22.03.2011 – VI ZR 63/10 – juris, Rn. 18). Eine Mitteilung einer Abrechnung an den Kläger ist nicht ersichtlich und wird auch von dem Prozessbevollmächtigten des Klägers nicht angeführt.

 

Die Kostenentscheidung folgt aus der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

 

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden, § 177 SGG.

Rechtskraft
Aus
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