L 5 KR 239/22

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 12 KR 150/20
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 5 KR 239/22
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Köln vom 07.03.2022 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander auch im Berufungsverfahren außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten steht die Kostenerstattung für eine in der Schweiz durchgeführte stationäre Krankenhausbehandlung (Knie-TEP-Operation) im Streit.

Der am 00.00.0000 geborene Kläger ist bei der Beklagten gegen das Risiko Krankheit freiwillig versichert. In der Schweiz unterhält er einen Zweitwohnsitz.

Am 08.07.2016 informierte der Kläger die Beklagte (Telefonvermerk vom 08.07.2016) darüber, dass er plane, eine Knie-TEP-Operation beim Arzt seines Vertrauens in der Schweiz durchführen zu lassen. Einen schriftlichen Antrag werde er noch stellen. Die Beklagte lehnte dieses Begehren ab (Bescheid vom 12.07.2016) und teilte dem Kläger mit, dass sie die Kosten für die Implantation einer Knie-TEP nur in ihrem Geschäftsgebiet übernehmen könne. Im Wohnumfeld des Klägers böten zahlreiche Krankenhäuser und Universitätskliniken die geplante stationäre Leistung an. Der Kläger führte dazu aus („Widerspruchsschreiben“ vom 20.07.2016), die von ihm in Betracht gezogene Klinik liege nur wenige Kilometer von seinem Zweitwohnsitz entfernt. Die Versorgung in der Schweiz gehöre zu den Besten. Da er Schmerzen habe und sein Knie bei ihm in der Region „kaputt operiert“ worden sei, sei die Schweiz für die geplante Operation „definitiv der richtige Ort“. Er habe in Deutschland mit mehreren „so genannten“ Spezialisten gesprochen und festgestellt, dass meistens in der Ausbildung befindliche Ärzte operierten. In der Schweiz operiere der behandelnde Arzt. Zusätzlich werde man in Schweizer Krankenhäusern optimal versorgt. Sein letzter Krankenhausaufenthalt in Deutschland sei so erschreckend gewesen, dass er durch Zuzahlung auf die Privatstation ausgewichen sei. Zudem gebe es im rheinischen und oberbergischen Raum viele Krankenhauskeime. Die Zustände in deutschen Krankenhäusern hätten jüngst zu einem Todesfall in der Familie geführt. Daher erbitte er die Genehmigung für eine Operation in der Schweiz. Eventuelle Mehrkosten werde er übernehmen. Der Kläger reichte u.a. einen Kostenvoranschlag vom 06.10.2016 für einen zehntägigen stationären Aufenthalt in der R. Klinik in A. (Schweiz) zu CHF 42.410 ein (Schreiben vom 25.10.2016). Der Medizinische Dienst der Krankenversicherung Z. (MDK) führte hierzu nach Aktenlage aus, es gebe keine Hinweise auf eine außergewöhnliche medizinische Befundsituation. Eine Knie-TEP könne in allen entsprechend operativ tätigen orthopädischen Krankenhausabteilungen in Wohnortnähe, z.B. in M. oder X., eingesetzt werden (Sozialmedizinische Fallberatung vom 27.10.2016). Dem folgend lehnte die Beklagte den Antrag auf Zustimmung zu der begehrten stationären Krankenhausbehandlung in der Schweiz mit (weiterem) Bescheid vom 10.11.2016 ab. Die Zustimmung könne verweigert werden, wenn der Versicherte die Behandlung auch in Deutschland erhalten könne. Nach den Ermittlungen des MDK könne eine Knie-TEP in Vertragskrankenhäusern in K., F., C. oder M. eingesetzt werden.

Der Kläger ließ die geplante Operation während eines stationären Krankenhausaufenthaltes vom 14.11.2016 bis zum 25.11.2016 in der R. Klinik in A. durchführen.

Fernmündlich erklärte der Kläger gegenüber der Beklagten, mit der Ablehnung nicht einverstanden zu sein (Telefonvermerk vom 19.12.2016). Mit E-Mail vom 09.01.2017 legte er Widerspruch auch gegen den Bescheid vom 10.11.2016 ein und übersandte u.a. eine Rechnung der R. Klinik vom 09.12.2016 über 42.396 CHF. Ihm gehe es nur um die Kosten, die bei einer vergleichbaren Operation in Deutschland entstanden seien. Der Kläger legte weitere Unterlagen, u.a. einen „Austrittsbericht“ der Orthopädie P., E. vom 25.11.2016 vor. Mit Widerspruchsbescheid vom 15.06.2017 wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten den Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 12.07.2016 als unbegründet zurück. Nach der EG-Verordnung Nr. 883/2004 vom 29.04.2004 könnten Versicherte Krankenhausleistungen nur nach vorheriger Zustimmung der Krankenkasse in Anspruch nehmen. Eine solche könne nur erteilt werden, wenn die Behandlung medizinisch notwendig sei und die gleiche oder eine für den Versicherten ebenso wirksame, dem allgemeinen Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlung nicht in einem Vertragskrankenhaus in Deutschland erbracht werden könne. Da die Operation auch im Inland habe durchgeführt werden können, habe man die Zustimmung nicht geben können. Dass in der Schweiz eine optimalere Versorgung mit besseren Gegebenheiten vorhanden seien solle, führe zu keiner anderen Entscheidung. Eine Wahlfreiheit gelte aufgrund des europäischen Rechts nur für ambulante Leistungen.

Mit seiner am 30.06.2017 vor dem Sozialgericht Köln (Az.: S 9 KR 776/17) erhobenen Klage verfolgte der Kläger sein Begehren weiter. Er habe bis 1987 Handball in höheren Klassen gespielt. 1988 sei er wegen eines Meniskusrisses bei einem Sportunfall viermal operiert worden. Dabei seien ein Tupfer und ein nicht aufgelöster Faden im Knie vergessen worden, so dass er erneut habe operiert werden müssen. Seitdem sei sein Knie nie wieder belastbar gewesen und er habe ständig Schmerzen gehabt. Der Zustand habe sich trotz intensiver medizinischer Maßnahmen immer weiter verschlechtert. Seine in einer Zahnarztpraxis in F. tätige Schwester habe ihm mitgeteilt, dass es in der von der Beklagten empfohlenen Klinik in F. Probleme mit resistenten Krankenhauskeimen gebe. Da deswegen kurz zuvor ein Familienmitglied verstorben sei, und er sich bereits einmal in der Schweiz wegen einer Fußverletzung habe behandeln lassen und zu diesem Zeitpunkt die Voruntersuchungen in der Schweiz bereits abgeschlossen gewesen seien, habe er sich für die Schweiz entschieden. Die Beklagte habe keine Ermessensentscheidung getroffen, da sie das Wort „Ermessen“ noch nicht einmal erwähne, sondern davon spreche, dass keine Wahlfreiheit bestehe. Jedenfalls liege ein Ermessensfehlgebrauch vor, da seine Argumente nicht gewürdigt worden seien. Vielmehr habe man allein auf die theoretische Möglichkeit einer Operation in Deutschland abgestellt. Seine persönlichen Erfahrungen mit Knieoperationen in Deutschland, der Todesfall in der Familie, seine besondere Situation nach vier Operationen und jahrelanger Schmerztherapie, die fehlende Spezialisierung der von der Beklagten benannten Kliniken, die Spezialisierung der Klinik in der         Schweiz, seine Vorbehandlungen in der Schweiz, die Belastung der Kliniken vor Ort mit Krankenhauskeimen und das Vorhandensein einer barrierefreien Wohnung in der Schweiz seien nicht gewürdigt worden. Vor seinem Antrag habe eine Mitarbeiterin der Beklagten ihm gesagt, dass eine OP in der Schweiz wohl kein Problem sein werde. Bei Anrufen in den Kliniken in C. bis nach M. habe er von Wartezeiten von mindestens einem halben Jahr erfahren. Das Sozialgericht wies die Klage mit Urteil vom 30.05.2018 als unbegründet ab. Gegen das ihm am 29.06.2018 zugestellte Urteil legte der Kläger am 13.07.2018 Berufung (Az.: L 5 KR 450/18) ein und wiederholte sein Vorbringen. Auch ein durch das Regel- Ausnahmeverhältnis eingeschränkter Spielraum sei ein Ermessensspielraum, den die Beklagte habe ausfüllen müssen. Mit Urteil vom 14.02.2019 änderte der Senat das Urteil des Sozialgerichts M. vom 30.05.2018 und verurteilte die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 12.07.2016, des Bescheides vom 10.11.2016 und des Widerspruchsbescheids vom 15.06.2017, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden. Der Senat führte u.a. aus, es stehe außer Frage, dass das Knie des Klägers ebenso wirksam und dem anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechend in einem Vertragskrankenhaus im Inland mit einer Knie-TEP habe versorgt werden können. Die Beklagte habe bei der Versagung ihrer Zustimmung jedoch eine fehlerhafte Ermessensentscheidung getroffen. Sie habe sich nicht mit den zahlreichen, vom Kläger schon im Widerspruchsverfahren vorgetragenen und aus seiner Sicht für eine zwingende Operation in der Schweiz sprechenden Gründe auseinandergesetzt.

Mit Bescheid vom 05.06.2019 lehnte die Beklagte sodann (erneut) die Übernahme der Kosten für die in der Schweiz durchgeführte Behandlung ab. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, alle von dem Kläger geäußerten Bedenken – auf die Bezug genommen werde – hätten nicht zur Erteilung einer Zustimmung führen können. Es würden regelmäßige Qualitätsprüfungen gemäß § 135c SGB V durchgeführt. Der Umstand eines Zweitwohnsitzes in der Schweiz sei zwar nachvollziehbar, aber nicht entscheidend für die Leistungsentscheidung. Für die Aussage, dass Operationen ausschließlich durch Assistenzärzte durchgeführt würden, fehle es an belastbaren Anhaltspunkten. Die Behauptung von desolaten Zuständen in Kliniken und Hygienemängeln sei nicht generell auf alle Vertragskrankenhäuser übertragbar. Dass bisher durchgeführte Operationen nicht das erhoffte Ergebnis gebracht hätten, sei ebenfalls nicht zu verallgemeinern. Insgesamt hätte die notwendige Knie-TEP-Operation rechtzeitig bei einem Vertragspartner im Inland erbracht werden können.

Den dagegen am 11.06.2019 eingelegten und mit Schreiben vom 10.07.2019 begründeten Widerspruch wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten mit Widerspruchsbescheid vom 16.01.2020 zurück. Es bestehe kein Anlass, die Kompetenz der inländischen Vertragskrankenhäuser anzuzweifeln. Ein besonderes Vertrauen zu der Klinik in der Schweiz sei gegenüber dem Interesse der Solidargemeinschaft zurückzustellen. Durch eine Zustimmung wären erhebliche zusätzliche Kosten entstanden, die vorliegend nicht zu rechtfertigen wären. Zudem führte die Kostenübernahme stationärer Krankenhausbehandlungen außerhalb Deutschlands ohne zwingende medizinische Notwendigkeit zu einer erheblichen Gefährdung des finanziellen Gleichgewichts des Systems der sozialen Sicherheit und damit der Gewähr einer ausgewogenen und allen zugänglichen ärztlichen und klinischen Versorgung. Die Zahl der Krankenhäuser, ihre geographische Verteilung, ihr Auswahl und die Einrichtungen, über die sie verfügten oder auch die Art der medizinischen Leistungen, die sie anbieten könnten, müssten planbar sein. Durch diese Planung werde gewährleistet, dass in dem betreffenden Staat ein ausgewogenes Angebot qualitativ hochwertiger Krankenhausversorgung ständig in ausreichendem Maße zugänglich sei. Nachweise für einen Behandlungsfehler durch ein inländisches Krankenhaus seien nicht vorgelegt worden. Unabhängig davon sei die erste Operation am Knie bereits vor über 30 Jahren erfolgt und eine Knie-TEP habe bei dem Kläger in einem anderen inländischen Krankenhaus erfolgen können, zumal mehrere Behandlungsmöglichkeiten genannt worden seien. Ebenfalls sei kein Nachweis für einen resistenten Krankenhauskeim in einer der dem Kläger unter anderem vorgeschlagenen Klinik erbracht worden. Die zugelassenen Krankenhäuser unterlägen regelmäßigen Qualitätsprüfungen. Auch wenn es nachvollziehbar sei, dass ein eigener Krankenhausaufenthalt kurz nach dem Tod eines Angehörigen während eines Krankenhausaufenthaltes schwierig sein könne, sei auch insoweit festzustellen, dass der Kläger die Wahl gehabt hätte, ein anderes Krankenhaus im Inland aufzusuchen. Die Existenz von Wartelisten sei kein hinreichender Grund für die Erteilung einer Zustimmung zu einer Krankenhausbehandlung im Ausland. Ein Zweitwohnsitz in der Schweiz berechtige im Übrigen nicht dazu, dort auch regelhaft Leistungen in Anspruch zu nehmen. Soweit der Kläger geltend mache, dass die Krankenkasse zumindest eine Kostenerstattung entsprechend der deutschen Vertragssätze erwägen müsse, sei dem entgegenzuhalten, dass die begehrte Behandlung in der Schweiz insgesamt nicht rechtlich begründet sei und insoweit auch eine Kostenbeteiligung ausgeschlossen sei. Nach Abwägung des Interesses des Klägers und dem Interesse der Versichertengemeinschaft könne im Rahmen der Ermessensentscheidung eine Zustimmung bzw. eine nachträgliche Genehmigung für die stationäre Behandlung in der Schweiz nicht erteilt werden.

Mit seiner am 02.02.2020 vor dem Sozialgericht Köln erhobenen Klage hat der Kläger sein Begehren weiterverfolgt. Zur Begründung hat er im Wesentlichen sein bisheriges Vorbringen wiederholt (Schreiben vom 24.04.2020). Ergänzend hat er ausgeführt, der (teilweisen) Übernahme der Kosten der ebenfalls in der Schweiz durchgeführten Reha-Maßnahme lägen die gleichen Ermessenserwägungen zu Grunde, die auch für die Operation anzustellen seien, weshalb auch diese Kosten übernommen werden müssten (Schreiben vom 11.01.2021).

Der Kläger hat (schriftsätzlich) beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 05.06.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16.1.2020 zu verurteilen, dem Kläger Leistungen nach dem SGB V nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.

Die Beklagte hat (schriftsätzlich) beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die angefochtenen Bescheide für rechtmäßig gehalten. Hinsichtlich der Kostenübernahme für die Anschlussheilbehandlung hat sie auf die unterschiedlichen Voraussetzungen der Abs. 4 und 5 des § 13 SGB V hingewiesen (Schreiben vom 21.01.2021).

Das Sozialgericht hat die Beteiligten zu einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört (Schreiben vom 19.05.2021) und die Klage sodann abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 07.03.2022). Es hat ausgeführt, der Kläger habe eine dem allgemein anerkannten Standard der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlung seiner Krankheit rechtzeitig in einem nach § 108 SGB V zugelassenen Krankenhaus in Deutschland in Anspruch nehmen können. Die im Rahmen der stationären Behandlung durchgeführte Knie-TEP gehöre als medizinisches Standardverfahren zum Leistungsspektrum vieler Vertragskrankenhäuser im Geltungsbereich des SGB V. Das sei dem Kläger vor der Operation in der Schweiz auch bekannt gewesen. Ermessensfehler seien nicht erkennbar; die Beklagte habe sich erschöpfend mit den von der Klägerseite vorgebrachten Argumenten auseinandergesetzt.

Gegen den dem Kläger am 14.03.2022 zugestellten Gerichtsbescheid hat er am 01.04.2022 Berufung eingelegt. Zur Begründung nimmt er im Wesentlichen Bezug auf sein bisheriges Vorbringen. Vertiefend führt er aus, die Entscheidung der Beklagten sei weiterhin ermessensfehlerhaft. Die Beklagte habe es versäumt, die Anknüpfungstatsachen zu ermitteln. Es habe kein Standardfall einer Knie-OP vorgelegen; vielmehr sei eine Vielzahl von Vorerkrankungen zu berücksichtigen gewesen. Es sei auch nicht ermittelt, ob die Kliniken im Wohnumfeld des Klägers Kapazitäten gehabt hätten, den Kläger in absehbarer Zeit zu operieren. Überdies werbe die Beklagte damit, auch die Kosten von Privatkliniken bis zur Höhe der Kosten, die in einem zugelassenen Krankenhaus anfielen, zu übernehmen. Der Kläger habe Anspruch auf Gleichbehandlung nach Art. 3 GG, dies habe die Beklagte im Rahmen ihrer Ermessensausübung nicht berücksichtigt (Schreiben vom 19.02.2024).

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts M. vom 07.03.2022 abzuändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 05.06.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.01.2020 zu verurteilen, ihm für in der Zeit vom 14.11.2016 bis zum 25.11.2016 in der Berit Klinik in A. (Schweiz) durchgeführte stationäre Krankenhausbehandlung (Knie-TEP-OP) entstandenen Kosten in Höhe der Kosten einer vergleichbaren deutschen Vertragseinrichtung zu erstatten,

hilfsweise,

ihn unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Köln vom 07.03.2022 als unbegründet zurückzuweisen.

Sie hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend und nimmt im Wesentlichen darauf, sowie auf ihr bisheriges Vorbringen Bezug.

Der Senat hat Ermittlungen zu der Möglichkeit der stationären Krankenhausbehandlung im Jahr 2016 im Wohnumfeld des Klägers unter Berücksichtigung seiner auszugsweisen medizinischen Vorgeschichte durchgeführt (Schreiben vom 23.03.2023 und vom 30.03.2023). Auf die eingeholten Auskünfte der T. vom 03.04.2023, des B. vom 11.04.2023, des N. vom 11.04.2023, des S. vom 13.04.2023 und des W. vom 05.05.2023 wird wegen der Einzelheiten Bezug genommen.

Der Senat hat die Gerichtsakte S 9 KR 776/17 und die Verwaltungsvorgänge der Beklagten beigezogen. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Verwaltungsakte und die Gerichtsakten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

A. Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist nicht begründet.

I. Streitgegenständlich ist ausweislich des Vortrags des Klägers dessen Anspruch auf (teilweise) Erstattung der Kosten der in der Zeit vom 14.11.2016 bis zum 25.11.2016 in der R. Klinik in A. (Schweiz) durchgeführten stationären Krankenhausbehandlung (Knie-TEP-OP).

II. Das Sozialgericht Köln hat die Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG) des Klägers zu Recht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 05.06.2019, in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.01.2020, mit dem die Beklagte es abgelehnt hat, dem Kläger die beantragte (teilweise) Erstattung der Kosten der in der Zeit vom 14.11.2016 bis zum 25.11.2016 in der R. Klinik in A. (Schweiz) durchgeführten stationären Krankenhausbehandlung (Knie-TEP-OP) zu gewähren, ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten nach § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG.

1. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erstattung der Kosten der in der Schweiz durchgeführten stationären Behandlung zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung.

a) Der Kläger hat keinen Anspruch aus § 13 Abs. 5 SGB V.

aa) Nach § 13 Abs. 4 SGB V sind Versicherte berechtigt, auch Leistungserbringer in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union, einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz anstelle der Sach- oder Dienstleistung im Wege der Kostenerstattung in Anspruch zu nehmen, es sei denn, Behandlungen für diesen Personenkreis im anderen Staat sind auf der Grundlage eines Pauschbetrages zu erstatten oder unterliegen auf Grund eines vereinbarten Erstattungsverzichts nicht der Erstattung. Es dürfen nur solche Leistungserbringer in Anspruch genommen werden, bei denen die Bedingungen des Zugangs und der Ausübung des Berufes Gegenstand einer Richtlinie der Europäischen Gemeinschaft sind oder die im jeweiligen nationalen System der Krankenversicherung des Aufenthaltsstaates zur Versorgung der Versicherten berechtigt sind. Der Anspruch auf Erstattung besteht höchstens in Höhe der Vergütung, die die Krankenkasse bei Erbringung als Sachleistung im Inland zu tragen hätte. Die Satzung hat das Verfahren der Kostenerstattung zu regeln. Sie hat dabei ausreichende Abschläge vom Erstattungsbetrag für Verwaltungskosten und fehlende Wirtschaftlichkeitsprüfungen vorzusehen sowie vorgesehene Zuzahlungen in Abzug zu bringen. Ist eine dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlung einer Krankheit nur in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum möglich, kann die Krankenkasse die Kosten der erforderlichen Behandlung auch ganz übernehmen.

Abweichend von § 13 Abs. 4 SGB V können nach § 13 Abs. 5 SGB V in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union, einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz Krankenhausleistungen nach § 39 nur nach vorheriger Zustimmung durch die Krankenkassen in Anspruch genommen werden. Die Zustimmung darf nur versagt werden, wenn die gleiche oder eine für den Versicherten ebenso wirksame, dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlung einer Krankheit rechtzeitig bei einem Vertragspartner der Krankenkasse im Inland erlangt werden kann.

bb) Die Beklagte hat die Erteilung der begehrten Zustimmung nach § 13 Abs. 5 SGB V zu Recht versagt.

(1) Die durch den Kläger begehrte Zustimmung ist erforderlich, weil er eine Krankenhausbehandlung begehrt. Wegen der ausdrücklichen Inbezugnahme von § 39 SGB V sind alle Formen der Krankenhausbehandlung zustimmungspflichtig (vgl. § 39 Abs. 1 Satz 1 SGB V). Dazu zählt unproblematisch auch die durch den Kläger begehrte vollstationäre Behandlung in einem Krankenhaus.

(2) Die Beklagte hat die Zustimmung auch zu Recht versagt. § 13 Abs. 5 Satz 2 SGB V normiert Gründe für deren Versagung. Versagungsgrund ist zunächst, dass die gleiche Behandlung rechtzeitig bei einem Vertragsbehandler im Inland erlangt werden kann. Versagt werden darf die Zustimmung auch, wenn eine für den Versicherten ebenso wirksame, dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlung rechtzeitig bei einem Vertragspartner der Krankenkasse erhalten werden kann. Bei gleicher bzw. gleichwertiger Behandlungsmöglichkeit besteht somit ein Vorrang zu Gunsten inländischer Leistungserbringer (vgl. BT-Drucks. 15/1525, S. 82). Ob eine derartige Behandlungsmöglichkeit gegeben ist, haben die Krankenkassen in entsprechender Anwendung von § 275 Abs. 2 Nr. 3 SGB V (in der hier noch einschlägigen Fassung) durch den Medizinischen Dienst (hier: Medizinischen Dienst der Krankenversicherung) prüfen zu lassen. Dem ist die Beklagte gerecht geworden. Sie hat eine Fallberatung des MDK eingeholt. Dieser hat nach Aktenlage ausgeführt, es gebe keine Hinweise auf eine außergewöhnliche medizinische Befundsituation. Eine Knie-TEP könne in allen entsprechend operativ tätigen orthopädischen Krankenhausabteilungen in Wohnortnähe, z.B. in M. oder X., eingesetzt werden (Sozialmedizinische Fallberatung vom 27.10.2016). Soweit der Kläger meint, die Beklagte habe seine besondere Bedarfssituation nicht hinreichend berücksichtigt, lässt sich aus dem Kostenvoranschlag vom 06.10.2016 keine besondere medizinische Bedarfssituation ableiten. Auch aufgrund der durch den Kläger im Hinblick auf die rechtzeitige Erreichbarkeit der begehrten Behandlung erstmals im gerichtlichen Verfahren (S 9 KR 776/17; Sitzungsniederschrift vom 30.05.2018) vorgebrachten Ausführungen, wonach er „die normalen Krankenhäuser“ in seiner Umgebung „im Vorfeld telefonisch erfragt“ habe und überall die Auskunft erhalten habe, „dass dort lange Wartezeiten seien“, musste sich die Beklagte nicht zu weitergehenden Ermittlungen veranlasst sehen. Diese Ausführungen des Klägers sind völlig unsubstantiiert und vor dem Hintergrund, dass der Kläger stets zu erkennen gegeben hat, sich aus anderen Gründen jedenfalls in der Schweiz operieren lassen zu wollen, auch nicht glaubhaft. Ausweislich der Sozialmedizinischen Fallberatung vom 27.10.2016 hätte der Kläger eine dem allgemein anerkannten Standard der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlung seiner Krankheit rechtzeitig in einem nach § 108 SGB V zugelassenen Krankenhaus in Deutschland in Anspruch nehmen können. Dies wird auch bestätigt durch die seitens des Senats eingeholten Stellungnahmen des Krankenhauses Y., des O.-Krankenhauses, der Sportklinik J., des Evangelischen Krankenhauses U. und des Krankenhauses M.-H., auf deren Inhalt wegen weiterer Einzelheiten Bezug genommen wird.

(3) Der angefochtene Bescheid der Beklagten war auch ermessensfehlerfrei. Die Beklagte hat sich mit Bescheid vom 05.06.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.01.2020 erschöpfend mit den vom Kläger vorgebrachten Gründen, die aus seiner Sicht für eine Behandlung in der Schweiz sprachen, auseinandergesetzt. Dabei ist zu beachten, dass der Ermessensspielraum der Krankenkassen bei der Erteilung der Zustimmung erheblich eingeschränkt ist (Senatsurteil vom 14.02.2019 – L 5 KR 450/18 m.w.N.) und sie die Zustimmung nur versagen dürfen, wenn die gleiche oder eine für den Versicherten ebenso wirksame, dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlung einer Krankheit rechtzeitig bei einem Vertragspartner der Krankenkasse im Inland erlangt werden kann.

Im Einzelnen hat die Beklagte zu dem Vortrag des Klägers, in Deutschland operierten nur Assistenzärzte, wohingegen dies in der Schweiz die behandelnden Ärzte täten, sein Knie sei bereits in Deutschland „kaputt operiert“ worden und er sich in der Vergangenheit wegen erschreckender Umstände in deutschen Kliniken bereits einmal habe auf die Privatstation verlegen lassen habe, ausgeführt, es bestehe kein Anlass, die Kompetenz der inländischen Vertragskrankenhäuser anzuzweifeln. Ein besonderes Vertrauen zu der Klinik in der Schweiz sei gegenüber dem Interesse der Solidargemeinschaft zurückzustellen. Die Kostenübernahme stationärer Krankenhausbehandlungen außerhalb Deutschlands ohne zwingende medizinische Notwendigkeit führe zu einer erheblichen Gefährdung des finanziellen Gleichgewichts des Systems der sozialen Sicherheit und damit der Gewähr einer ausgewogenen und allen zugänglichen ärztlichen und klinischen Versorgung. Die Zahl der Krankenhäuser, ihre geographische Verteilung, ihr Auswahl und die Einrichtungen, über die sie verfügen oder auch die Art der medizinischen Leistungen, die sie anbieten können, müssten planbar sein. Durch diese Planung werde gewährleistet, dass in dem betreffenden Staat ein ausgewogenes Angebot qualitativ hochwertiger Krankenhausversorgung ständig in ausreichendem Maße zugänglich sei. Nachweise für einen Behandlungsfehler durch ein inländisches Krankenhaus seien nicht vorgelegt worden. Unabhängig davon sei die erste Operation am Knie bereits vor über 30 Jahren erfolgt und eine Knie-TEP hätte bei dem Kläger in einem anderen inländischen Krankenhaus erfolgen können, zumal mehrere Behandlungsmöglichkeiten genannt worden seien.

Ermessensfehler sind insoweit nicht erkennbar; insbesondere hat sich die Beklagte auch nicht von sachfremden Erwägungen leiten lassen. Mit den Ausführungen des Klägers, er habe von einer Vertrauensperson erfahren, dass es in den Kliniken in der Umgebung Krankenhauskeime gebe und einer Krankenhausbehandlung in Deutschland stehe entgegen, dass es in der Familie auf Grund der schlechten Situation in den Krankenhäusern bereits einen Todesfall gegeben habe, hat sich die Beklagte ebenfalls befasst, indem sie ausgeführt hat, ein Nachweis für einen resistenten Krankenhauskeim in einer der dem Kläger unter anderem vorgeschlagenen Kliniken sei nicht erbracht worden. Die zugelassenen Krankenhäuser unterlägen regelmäßigen Qualitätsprüfungen. Auch wenn es nachvollziehbar sei, dass ein eigener Krankenhausaufenthalt kurz nach dem Tod eines Angehörigen während eines Krankenhausaufenthaltes schwierig sein könne, sei auch insoweit festzustellen, dass der Kläger die Wahl gehabt hätte, ein anderes Krankenhaus im Inland aufzusuchen. Auch dies begegnet keinen Bedenken. Zu dem Vorwurf, eine Behandlung in Deutschland sei mit Wartezeiten verbunden, hat sich die Beklagte geäußert und ausgeführt, die Existenz von Wartelisten sei kein hinreichender Grund für die Erteilung einer Zustimmung zu einer Krankenhausbehandlung im Ausland. Hierzu ist nichts zu erinnern. Soweit der Kläger geltend gemacht hat, die Operation solle in der Schweiz durchgeführt werden, weil er dort einen barrierefreien Zweitwohnsitz in der Nähe der Klinik unterhalte, hat die Beklagte ermessensfehlerfrei ausgeführt, ein Zweitwohnsitz in der Schweiz berechtige nicht dazu, dort auch regelhaft Leistungen in Anspruch zu nehmen.

cc) Ein Anspruch des Klägers auf Erteilung der nach § 13 Abs. 5 Satz 1 SGB V begehrten Zustimmung ergibt sich auch nicht aus der telefonischen Auskunft der Mitarbeiterin der Beklagten, Frau L.. Denn eine Zusicherung bedarf nach § 34 Abs. 1 Satz 1 SGB X der Schriftform. Abgesehen davon lässt die Auskunft nicht auf einen unbedingten Regelungswillen im Hinblick auf eine unmittelbare mündliche Leistungsbewilligung im Sinne des § 31 Satz 1 SGB X schließen. Für die Annahme eines unbedingten Regelungswillens ist die Aussage, „dass eine OP in der Schweiz wohl kein Problem sein werde“, viel zu allgemein gehalten.

b) Der Kläger kann einen Anspruch auch nicht aus § 13 Abs. 3a SGB V herleiten. Es mag dahinstehen, ob der Anspruch bereits daran scheitert, dass § 13 Abs. 3a SGB V auf Geldleistungsansprüche sachlich nicht anwendbar ist (für Ansprüche nach § 13 Abs. 4 SGB V vgl. BSG vom 26.05.2020 – B 1 KR 21/19 R Rn. 30 m.w.N., die Entscheidung lässt die Frage der Anwendbarkeit auf § 13 Abs. 5 SGB V offen). Dem Anspruch steht jedenfalls entgegen, dass die Beklagte den Antrag des Klägers vom 08.07.2016 innerhalb der Frist des § 13 Abs. 3a SGB V abgelehnt hat (Bescheid vom 12.07.2016).

2. Dringt der Kläger auch deshalb mit seinem Hauptantrag nicht durch, weil der Bescheid der Beklagten vom 05.06.2019, in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.01.2020 ermessensfehlerfrei ergangen ist (s.o. 1. a) bb) <3>), kann der Kläger auch mit seinem Hilfsantrag nicht durchdringen.

B. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183 Satz 1, 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.

C. Anlass, die Revision zuzulassen, besteht nicht (§ 160 Abs. 2 SGG).

Rechtskraft
Aus
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