L 8 P 40/24 ER B

Land
Schleswig-Holstein
Sozialgericht
Schleswig-Holsteinisches LSG
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
8.
1. Instanz
SG Itzehoe (SHS)
Aktenzeichen
S 27 P 14/23 ER
Datum
2. Instanz
Schleswig-Holsteinisches LSG
Aktenzeichen
L 8 P 40/24 B ER
Datum
-
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze

Die teilstationäre Pflege bildet mit der Beförderung dorthin eine leistungsrechtliche Einheit.
Eine Teilkündigung des Tagespflegevertrages nur bezüglich der Beförderung durch die Einrichtung ist wegen der leistungsrechtlichen Einheit von Pflege, Versorgung und Beförderung unwirksam.

Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Itzehoe vom 22. März 2022 aufgehoben und der Antrag auf Übernahme weiterer Kosten durch die Antragsgegnerin für die Fahrten der Antragstellerin zur Tagespflege bei der Beigeladenen abgelehnt.

 

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe:

I.

Die Antragsgegnerin wendet sich mit ihrer Beschwerde gegen die vom Sozialgericht ausgesprochene Verpflichtung, an zwei Tagen pro Woche die Antragstellerin von ihrer Wohnung zur Tagespflegeeinrichtung zu befördern.

 

Die 1933 geborene Antragstellerin besucht mehrjährig die Einrichtung der Tagespflege der Beigeladenen. Seit dem 1. Januar 2017 bezieht sie Pflegeleistungen im Umfang des Pflegegrades 5 von der Antragsgegnerin. Zwischen der Beigeladenen und zahlreichen Pflegekassen, darunter die Antragsgegnerin, besteht eine Vergütungsvereinbarung gem. §§ 84, 85 und 87 Sozialgesetzbuch (SGB) - Elftes Buch (XI) - Soziale Pflegeversicherung (SGB XI) über die Tagespflege. Seit dem 1. Januar 2024 sind gestaffelte Tagespflegesätze gemäß § 84 SGB XI vereinbart. Weiterhin ist ein Ausbildungszuschlag nach dem Pflegeberufegesetz (PfIBG) in Höhe von 3,20 EURO auf die Pflegesätze der Pflegegrade 1 bis 5 vereinbart. Gemäß Ziffer 1.2 gilt für Fahrkosten eine Tagespauschale von 17,86 EURO. Die Beförderung der Pflegebedürftigen ist der Pflegekasse im Einzelfall mit den Abrechnungsunterlagen nachzuweisen.

 

Die Antragstellerin und die Beigeladene haben 2017 einen Vertrag über die Tagespflege geschlossen. Das genaue Datum ist auf dem übersandten Vertrag nicht lesbar. In § 9 des Vertrags steht „(1) Die Einrichtung ermöglicht die Beförderung des Tagespflegegastes von der Wohnung zur Einrichtung und zurück, soweit diese nicht durch Angehörige erfolgt. Die Einrichtung behält sich vor unter bestimmten Voraussetzungen die Beförderung des Tagesgastes einzustellen, wie bereits in der vorvertraglichen Information aufgeführt.“

 

In den vorvertraglichen Informationen ist die Kündigung der Tagespflege geregelt:

„3.9 Kündigung durch die Tagespflege

Die Tagespflege kann den Tagespflegevertrag nur aus wichtigem Grund kündigen. Ein wichtiger Grund liegt insbesondere vor, wenn
1. der Betrieb der Tagespflege eingestellt, wesentlich eingeschränkt oder in ihrer Art verändert wird und die Fortsetzung des Tagespflegevertrags für die Tagespflege eine unzumutbare Härte bedeuten würde,

2. der Gesundheitszustand des Tagesgastes sich so verändert hat, dass die Betreuung in der Tagespflege, oder Beförderung im Bus, nicht mehr möglich ist.

Hierzu gehört: der Verlust der Körperspannung so dass der Gast während der Beförderung nicht in der Lage ist, sich in einer Kurvenlage bzw. bei einem Bremsvorgang selber korrigieren und halten zu können. das Nichteinhalten der Sicherheitsvorkehrungen während der Beförderung, wie z.B. das Abschnallen. eine entstehende Hinlauftendenz, z.B. Verlassen des Busses bzw. der Einrichtung eine entstehende Aggressivität gegenüber Tagespflegegästen sowie Pflegepersonal entstehende Schluckstörung die eine permanente Gefahr der Aspiration darstellt eine entstehende Bettlägerigkeit

3. der Tagespflegegast seine vertraglichen Pflichten schuldhaft so gröblich verletzt, dass der Tagespflege die Fortsetzung des Tagespflegevertrags nicht mehr zugemutet werden kann, oder (…)“

 

Die bevollmächtigte Tochter der Klägerin wandte sich mit Schreiben vom 27. Juni 2023 an die Antragsgegnerin. Die Antragstellerin werde nicht mehr durch  den Fahrdienst der Beigeladenen befördert, da sie andere Fahrgäste geschlagen hätte und bei ihrer Beförderung auf dem Beifahrersitz ins Lenkrad gegriffen hätte. Eine Beförderung durch die Familie komme wegen beruflicher Tätigkeiten nicht in Betracht. Die Antragstellerin sei auf die Beförderung angewiesen, da sie die Tagespflege benötige, um in der eigenen Häuslichkeit bleiben zu können. Der vertraute Rahmen sei für die an Demenz und bipolarer Störung erkrankte Antragstellerin erforderlich.

 

Mit Bescheid vom 19. Juli 2023 lehnte die Antragsgegnerin den Antrag mit der Begründung ab, dass die Beigeladene für die Beförderung zuständig sei.

Hiergegen legte die Antragstellerin am 28. Juli 2023 Widerspruch ein. Die Ablehnung komme der Ablehnung der Tagespflege gleich. Die Begründung im Bescheid gehe nicht auf die gesundheitliche Situation der Antragstellerin ein.

 

Die Antragsgegnerin hat den Widerspruch am 30. November 2023 zurückgewiesen. Der Gesetzgeber habe sich bei der Ausgestaltung des neuen Pflegerechts dafür entschieden, dass die Fahrkosten zu einer teilstationären Pflegeeinrichtung Bestandteil des Leistungsumfangs nach § 41 SGB Xl seien. Eine Steigerung des gesetzlich normierten Höchstbetrages für Leistungen der Tages- und Nachtpflege solle dadurch nicht erfolgen. Ein Ermessenspielraum sei nicht vorgesehen. Dementsprechend sei die Organisation und Sicherstellung des Transportes Bestandteil der durch die Pflegeeinrichtung zu erbringenden Leistungen.

 

Die Antragstellerin hat am 13. Dezember 2023 einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt. Sie beanspruche nicht finanzielle Mittel für einen Transport zur Einrichtung, sondern die Beförderung durch die Antragsgegnerin. Eine Beförderung mit dem Taxi sei ungeeignet, da eine Abholung in der Wohnung erforderlich sei. Ein eigenständiger Zugang fremder Menschen zur Wohnung löse bei der Antragstellerin Ängste aus. Der Beförderungsanspruch aus § 41 SGB XI bestehe gegen die Antragsgegnerin. Wie diese ihn sicherstelle, bleibe ihr überlassen. Selbstverständlich stehe es der Antragsgegnerin frei, einen gesonderten Fahrdienst für die Antragstellerin zu organisieren. Die Antragstellerin habe nur den Wunsch, gemäß § 41 Abs. 1 Satz 2 SGB XI zur Tagespflege bei der Beigeladenen gebracht zu werden, damit sie dort die teilstationäre Pflege in Anspruch nehmen könne. Hieraus ergebe sich auch der Anordnungsgrund; wenn die Antragstellerin nicht zur Pflegeeinrichtung kommen könne, gehe ihr Anspruch auf teilstationäre Pflege unwiederbringlich verloren.

 

Die Antragsgegnerin verneint einen Anordnungsanspruch. Die Beförderung sei ein Teil der teilstationären Pflege.

 

Das Sozialgericht hat die Trägerin der Tagespflege, die L GmbH, mit Beschluss vom 11. Januar 2024 nach § 75 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beigeladen.

 

Die Beigeladene trägt vor, dass sie zur Kündigung des Pflegevertrages mit der Antragstellerin berechtigt gewesen wäre. Als milderes Mittel habe man die Beförderung eingestellt.

 

Mit Beschluss vom 22. März 2024 hat das Sozialgericht Itzehoe die Antragsgegnerin verpflichtet, die Antragstellerin vorläufig mittwochs und donnerstags in die Tagespflegeeinrichtung der Beigeladenen zu befördern. Nach der Gesetzesbegründung liege der Regelung des § 41 SGB XI die Vorstellung zugrunde, die Einrichtung habe die tägliche Hin- und Rückfahrt organisatorisch sicherzustellen (vgl. BT-Drs. 12/5262, 114). Dieser Anspruch werde derzeit jedoch durch die beigeladene Tagespflegeeinrichtung nicht erfüllt. Zwar habe die Antragsgegnerin mit der Beigeladenen entsprechende (Vergütungs-)Vereinbarungen geschlossen, die auch die Beförderung der Versicherten, hier der Antragstellerin, umfassen. Halte sich die Einrichtung, wie hier, jedoch nicht an diese Vereinbarungen, könne die Antragsgegnerin dies der Antragstellerin nicht entgegenhalten. Dahinstehen könne, ob die Nichtbeförderung durch die Einrichtung zu Recht oder zu Unrecht erfolge. Jedenfalls könne die Antragstellerin nicht darauf verwiesen werden, sich mit der Einrichtung auseinanderzusetzen. Vielmehr richte sich der Anspruch grundsätzlich gegen die Pflegekasse. Kämen ihre Vertragspartner ihren Verpflichtungen nicht nach, sei dies in dem Verhältnis von Pflegekasse zur Einrichtung zu klären, nicht zwischen Versicherter und Einrichtung.

 

Die Antragsgegnerin hat gegen den am 26. März 2024 zugestellten Beschluss am 19. April 2024 Beschwerde eingelegt. Entsprechend den gesetzlichen Regelungen seien die Fahrtkosten Bestandteil der mit der teilstationären Pflegeeinrichtung vereinbarten Pflegesätze. Die Einrichtung müsse die tägliche Hin- und Rückfahrt des Pflegebedürftigen organisatorisch sicherstellen. Es sei also die Aufgabe der Pflegeeinrichtung, sich um die Einzelheiten der Beförderung zu kümmern. Die Beförderungskosten seien Bestandteil der mit der teilstationären Pflegeeinrichtung geschlossenen Pflegesatzvereinbarung. Die Einschaltung selbstständiger Fahrdienste auf Kosten der Antragsgegnerin sei nicht vorgesehen. Es ergebe sich aus § 41 Absatz 1 SGB XI kein Anspruch auf die Organisation der notwendigen Beförderung durch die Antragsgegnerin. Die Antragsgegnerin komme ihrer grundsätzlichen Pflicht im Sinne des § 41 Abs. 1 S.2 SGB XI mithin dann nach, wenn diese den entsprechenden Betrag, welcher in der Pflegesatzvereinbarung festgelegt ist, an die Tagespflegeeinrichtung zahle. Weitergehende Pflichten, insbesondere dahingehende Pflichten, welche die tatsächliche Beförderung einer pflegebedürftigen Person betreffen, ergäben sich für die Antragsgegnerin nicht. Eine Eilbedürftigkeit liege nicht vor.

Die von dem Bevollmächtigten vorgeschlagene Firma „H“ sei von der Antragsgegnerin kontaktiert worden. Die Firma sei nicht geeignet, die Beförderung der Antragstellerin zu übernehmen, da für diesen Pflegedienst nur die Zulassung nach SGB XI für Sachleistungen, Verhinderungspflege und Entlastungsbetrag vorliege. Eine Zulassung als Fahrdienst sei nicht gegeben und daher sei für die Antragsgegnerin keine Abrechnung möglich. Außerdem bestünden erhebliche Bedenken, da die Beförderung des Pflegebedürftigen mit den Privatfahrzeugen der jeweiligen Angestellten erfolge. Dies sei aufgrund von haftungsrechtlichen Aspekten sehr problematisch. Eine Beauftragung durch die Antragsgegnerin könne daher nicht erfolgen.

 

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Beschluss des SG Itzehoe aufzuheben und den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zurückzuweisen.

 

Die Antragstellerin beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

 

Das Sozialgericht habe zu Recht entschieden, dass sich im Dreieck Versicherter-Pflegekasse-Leistungserbringer der Anspruch des Versicherten gegen die Antragsgegnerin richte. Denn im Recht der Pflegeversicherung bestehe das Sachleistungsprinzip. Der Versicherte könne von der Antragsgegnerin nicht auf eine Auseinandersetzung mit dem Leistungserbringer verwiesen werden.

Der Beigeladenen sei vertraglich das Recht eingeräumt worden, die Beförderung der Antragsteller einzustellen. Die Antragstellerin sei deswegen gehalten, ihren Anspruch gegen die Antragsgegnerin aus § 41 Abs. 1 Satz 2 SGB XI geltend zu machen. Es sei Aufgabe der Antragsgegnerin, die L GmbH zur Beförderung der Antragstellerin anzuhalten oder für eine andere Art der Beförderung zu sorgen. Die Behauptung, eine gesonderte Einschaltung von Fahrdiensten stünde der gesetzlichen Vorschrift entgegen, sei falsch. Ein Anordnungsgrund sei gegeben. Die Antragsgegnerin habe entgegen der Verpflichtung aus dem angefochtenen Beschluss noch keinen Fahrdienst organisiert. Ob eine Teilkündigung des Vertrages durch die Einrichtung möglich sei, sei zweifelhaft. Sie sei auch weder schriftlich noch mündlich erfolgt. Es sei lediglich der vertretungsberechtigten Tochter mitgeteilt worden, man werde die Antragstellerin künftig nicht mehr befördern. Die Klausel zur Möglichkeit der Einstellung der Beförderung unter bestimmten Voraussetzungen sei gem. § 307 Abs. 1 S. 2 BGB wegen des Verstoßes gegen das Transparenzgebots unwirksam und stelle zudem eine unangemessene Benachteiligung dar. Ein Einrichtungswechsel komme wegen des hohen Alters der Antragstellerin und der Art der Erkrankung nicht in Betracht. Im Übrigen habe die Tochter der Antragstellerin am 8. Mai 2024 Rücksprache mit den E Einrichtungen „Tagespflege G“ und „Tagespflege B“ gehalten. In der „Tagespflege G“ seien keine Plätze frei. Es lägen mehrere vorrangige Anträge auf Erhöhung des Pflegekontingents vor. Es stünden mehr als 20 Personen auf der Warteliste. In der „Tagespflege B“ gebe es kein gerontopsychiatrisches Pflegepersonal für Menschen mit einer Demenzerkrankung. Des Weiteren habe die Tochter der Antragstellerin Kontakt zum Arbeiter-Samariter-Bund (ASB) und der Johanniter-Unfall-Hilfe e.V. aufgenommen. Beide Einrichtungen könnten die Beförderung grundsätzlich durchführen. Sie hätten aber momentan keine Kapazität. Eine Beförderung durch die Firma „H“ sei möglich.

 

Wegen der weiteren Einzelheiten und des weiteren Vortrags wird auf die Schrift­sätze der Beteiligten und die beigezogene Verwaltungsakte der Antragsgegnerin sowie die beigezogene Gerichtsakte des Sozialgerichts Bezug genommen.

 

II.

Die zulässige Beschwerde gem. § 172 SGG hat in der Sache Erfolg.

1. Die Beschwerde ist zulässig. Sie ist in der gesetzlichen Form nach § 65d SGG elektronisch über den sicheren Übermittlungsweg nach § 65a SGG eingereicht und von der verantwortenden Person signiert worden. Die Wiedergabe des Namens des Verantwortenden im Beschwerdeschriftsatz der Antragsgegnerin stellt eine einfache Signatur im Sinne des § 65a Abs. 3 SGG dar. Die Beschwerde ist auch fristgerecht binnen eines Monats nach Bekanntgabe des Beschlusses gem. § 173 SGG eingereicht.

 

2. Die Beschwerde ist auch begründet. Die Antragstellerin hat keinen Anspruch auf Erlass einer einstweiligen Anordnung. Die einstweilige Anordnung nach § 86b Abs. 2 SGG setzt einen Anordnungsgrund und einen –anspruch voraus.

 

a) Ausgehend von diesen Grundsätzen ergibt sich, dass die Antragstellerin einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht hat. Den Anordnungsgrund definiert § 86 b Abs. 2 SGG für die Sicherungsanordnung einerseits und Regelungsanordnung andererseits jeweils eigenständig. Die Sicherungsanordnung setzt die Gefahr voraus, dass durch die Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts der Antragstellerin vereitelt oder wesentlich erschwert wird (§ 86 b Abs. 2 Satz 1 SGG); hingegen verlangt die Regelungsanordnung, dass die Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (§ 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG). Hierunter fallen die praktisch häufigen Fälle eines Verpflichtungs- oder Leistungsbegehrens (vgl. Düring in Berliner Kommentare, SGG, 2. Auflage, 2006, § 86 b Rdn. 11). Die Abgrenzung der Sicherungs- von der Regelungsanordnung ist gelegentlich unsicher. Sie ist letztlich unerheblich; denn beide Fälle unterliegen derselben Behandlung (hierzu Hartmann in Baumbach/Lauterbach/Albers/ Hartmann, ZPO, 65. Auflage, 2007, § 940 Rdn. 1). Ein striktes „Entweder/ Oder“ zwischen Regelungs- und Sicherungsanordnung besteht demgemäß nicht (LSG NRW, Beschluss vom 14. Dezember 2006 - L 10 B 21/06 KA ER -; OVG Münster, Beschluss vom 2. Mai 1979 - XV B 578/79 -, jeweils zitiert nach juris). Gemeinsam ist beiden Alternativen eine Dringlichkeit einer gerichtlichen Entscheidung. In der ersten Konstellation – der Sicherungsanordnung – gilt es, eine Veränderung des Ist-Zustands unter dem Blickwinkel des effektiven Rechtschutzes und der Vermeidung von erheblichen Nachteilen gerichtlich zu bewerten. In der zweiten Variante – der Regelungsanordnung – ist ebenfalls eine Dringlichkeit erforderlich. Es bedarf der Entscheidung, ob zeitnah eine Regelung zu gesetzlichen Ansprüchen ergehen muss, um Nachteile zu vermeiden.

Im vorliegenden Fall besteht offenkundig eine Eilbedürftigkeit. Das Gericht muss aktuell klären, ob die Antragstellerin einen Anspruch auf den Fahrdienst gegenüber der Antragstellerin besitzt. Die Antragsgegnerin kann nicht damit gehört werden, dass es in der Vergangenheit auch geklappt habe. Die zeitlichen Kapazitäten der Familie stehen zur Überzeugung des Gerichts nicht mehr uneingeschränkt zur Verfügung. Es ist aufgrund der eidesstattlichen Versicherung der Tochter der Antragstellerin glaubhaft, dass eine Beförderung durch sie zu den Zeiten möglich gewesen sei, in denen sie keiner Erwerbstätigkeit nachgegangen ist. Dies hat sich geändert. Insofern steht die tagespflegerische Betreuung der Antragstellerin zur Disposition. Bestünde ein Anspruch gegen die Antragsgegnerin, würde die tagespflegerische Betreuung gegenwärtig zu Unrecht verwehrt. Die rückwirkende Befriedigung eines Anspruchs nach Durchführung eines mehrjährigen Verfahrens ist nicht möglich. Anders wäre dies, wenn ein Dritter den Transport vorfinanzieren würde und dies auch könnte. In dem Fall wäre die Tagespflege nicht gefährdet. Eine solche Vorfinanzierung findet indes derzeit nicht statt, so dass die Tagespflege der Antragstellerin derzeit aktuell gefährdet ist.

 

b) Ein Anordnungsanspruch, d.h. einen Anspruch in der Sache, besteht jedoch nicht. Neben der Eilbedürftigkeit – dem Anordnungsgrund – muss als zweite Voraussetzung ein Anspruch auf die begehrte Leistung bestehen. Diesen Anspruch hat das Sozialgericht auf § 41 Abs. 1 S. 2 SGB XI gestützt. Danach umfasst die teilstationäre Pflege auch die notwendige Beförderung des Pflegebedürftigen von der Wohnung zur Einrichtung der Tagespflege oder der Nachtpflege und zurück. Die teilstationäre Pflege ist, worauf die Antragstellerin zutreffend hinweist, ein Sachleistungsanspruch des Pflegebedürftigen gegen die Pflegekasse. Tagespflege wird in Einrichtungen erbracht, die über entsprechende Vergütungsvereinbarungen gem. §§ 72 ff. und 84 ff. SGB XI verfügen. Sie wird Pflegebedürftigen der Pflegegrade 2 bis 5 nach § 41 Abs. 1 S. 1 SGB XI erbracht, deren häusliche Pflege nicht in ausreichendem Umfang sichergestellt werden kann oder wenn dies zur Ergänzung oder Stärkung der häuslichen Pflege erforderlich ist.

Dem Grunde nach sind die Voraussetzungen für die Tagespflege der Antragstellerin gegeben. Sie erfüllt mit dem Pflegegrad 5 die formelle Voraussetzung nach § 41 Abs. 1 S. 1 SGB XI. Bei summarischer Prüfung des Sachverhalts geht der Senat auch davon aus, dass die Tagespflege der Antragstellerin sowohl als Ergänzung wie auch zur Stärkung der häuslichen Pflege erforderlich ist. Die Antragstellerin wäre an zwei Tagen in der Woche ohne pflegerische Unterstützung in ihrem Haushalt. Die Beigeladene verfügt über eine Vergütungsvereinbarung mit der Antragsgegnerin, so dass die formellen Rahmenbedingungen erfüllt sind.

 

Indes scheitert vorliegend der Anordnungsanspruch an den zugrundeliegenden Rechtsbeziehungen. Insbesondere besteht bei der Antragstellerin kein ungedeckter Bedarf. Mit der Bewilligung der Tagespflege ist der Anspruch der Antragstellerin erfüllt.

Dabei kann offen bleiben, ob eine Teilkündigung des Pflegevertrags durch die Beigeladene nach § 307 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) ausgeschlossen war.

 

a) Die Antragstellerin besitzt einen bestehenden vertraglichen Anspruch auch für die Beförderung gegen die Beigeladene. Eine wirksame Teilkündigung des Leistungsteils Beförderungsleistung ist nicht erfolgt. Zwar wurde der vertretungsberechtigten Tochter der Antragstellerin von der Beigeladenen mitgeteilt, man werde die Antragstellerin nicht mehr befördern. Als Willenserklärung ist dies als Teilkündigung zu verstehen: der geschlossene Vertrag sollte nicht mehr umfassend durchgeführt werden. So ist auch der Vortrag der Beigeladenen im Verfahren zu verstehen.

Diese faktisch erfolgte teilweise Kündigung des Vertrags über die Tagespflege ist indes nicht wirksam geworden. Sie ist nicht in der vereinbarten Form erfolgt. Nach § 19 Abs. 1 S. 2 des Vertrags bedarf die Kündigung der Schriftform und ist zu begründen. Damit haben sich die Parteien auf eine Form zur Beendigung des Vertrags geeinigt. Die Regelung bezieht sich zwar ausdrücklich auf den „Vertrag“. Sofern eine Kündbarkeit von Teilelementen des Vertrags zulässig sein sollte, ist diese Regelung indes auch auf diese anwendbar.

Insofern besitzt die Antragstellerin gegenwärtig einen Anspruch auf Beförderung. Dieser richtet sich gegen die Beigeladene, die die Beförderung der Antragstellerin zur Einrichtung sicherzustellen hat. Es ist der Antragstellerin zuzumuten, diesen Anspruch auf Beförderung kurzfristig durchzusetzen.

 

b) Ob eine Kündigung des Vertrags über die Tagespflege durch die Beigeladene möglich wäre, begegnet erheblichen Zweifeln. Der Senat wertet das Vorbringen der Beigeladenen bezüglich der Beförderung wie folgt: Die Antragstellerin könne während der Wartezeiten an den einzelnen Haltepunkten nicht unbeaufsichtigt gelassen werden. Während der Fahrzeugführer den nächsten Leistungsberechtigten aus der Wohnung abholt, bestehe das Risiko einer körperlichen Aggression durch die Antragstellerin gegenüber anderen zu befördernden Personen. Sitze die Antragstellerin auf dem Beifahrersitz, bestehe zudem die Gefahr, dass sie dem Fahrer in das Lenkrad greife Eine gesonderte Tour sei wegen der Anzahl der Fahrer und deren Beschäftigungsrahmenbedingungen als geringfügig Beschäftigte nicht möglich.

Der Senat wertet diesen Vortrag dahingehend, dass eine Beförderung der Antragstellerin aus körperlichen Gründen weiterhin möglich ist. Er scheitert nicht an körperlichen Beeinträchtigungen der Antragstellerin. Insofern wäre eine Beförderung in dem Bus noch möglich. Insofern liegt kein Fall der Berechtigung zur Teilkündigung nach § 9 des Vertrages vor.

§ 9 des Vertrages nimmt auf die vorvertragliche Information Bezug. Dieser sieht eine Gesamtkündigung des Vertrages bei fehlender Transportmöglichkeit vor. Weder dargelegt noch glaubhaft gemacht ist, dass die Tour der Beigeladenen in einer anderen Reihenfolge nicht geeignet wäre, die möglichen Aggressionen durch die Antragstellerin zu begrenzen. Weiterhin ist nicht dargelegt, dass eine gesonderte Tour der Beigeladene zur Antragstellerin ausgeschlossen ist. Das Gericht vermag eine Begrenzung des vertraglichen Beförderungsanspruchs durch die konkrete vertragliche Ausgestaltung mit den Personen, die diese Leistung zu erbringen haben nicht zu erkennen. Es obliegt dem Verpflichteten, hier dem Beigeladenen, geeignete vertragliche Gestaltungen mit seinen Mitarbeitenden zu finden, dass der vertraglich vereinbarte Leistungsanspruch erfüllt werden kann. Der Verweis auf aktuelle vertragliche Gestaltungen mittels sozialversicherungsfreier Beschäftigungsverhältnisse und damit einhergehende zeitliche Begrenzungen der derzeit angestellten Mitarbeitenden kann dem vertraglichen Anspruch der Antragstellerin nicht entgegengehalten werden. Insofern verstieße eine Kündigung des Tagespflegevertrags einschließlich der Beförderung nach Würdigung des Senats gegen § 9 des Vertrags.

 

c) Die Antragstellerin hat auch keinen Anspruch aus § 41 Abs. 1 S. 2 SGB XI gegenüber der Antragsgegnerin. Danach umfasst die teilstationäre Pflege auch die notwendige Beförderung des Pflegebedürftigen von der Wohnung zur Einrichtung und zurück. Diese Vorschrift enthält einen subjektiv-rechtlichen Anspruch der Antragstellerin auf Tagespflege. Die teilstationäre Pflege nach § 41 Abs. 1 S. 1 SGB XI beschränkt sich nicht auf die pflegebedingten Aufwendungen, denen der Betreuung und ggf. der medizinischen Behandlungspflege nach § 41 Abs. 2 SGB XI. Sie umfasst als weiteren Sachleistungsanspruch, wie § 41 Abs. 1 S. 2 SGB XI regelt, die Beförderung zur Einrichtung. Die Pflegekassen haben insoweit einen Sicherstellungsauftrag für die notwendige Versorgung der Leistungsberechtigen. Dies erfolgt gem. § 69 SGB XI über den Abschluss von Versorgungsverträgen und Vergütungsvereinbarungen mit Trägern von Pflegeeinrichtungen. Der individuelle Sachleistungsanspruch der Antragstellerin wird daher durch den Abschluss von Versorgungsverträgen erfüllt. Neben dem Rechtsverhältnis zwischen Antragsgegnerin und Antragstellerin und dem zwischen Antragsgegnerin und der Beigeladenen existiert eine Vertragsbeziehung zwischen der Beigeladenen und der Antragstellerin. Zwischen der Leistungsempfängerin und der Einrichtung besteht ein zivilrechtlicher Vertrag. Dieses leistungsrechtliche Dreieck ist für die Bewertung maßgeblich, ob es einzelne Leistungen sind, die nebeneinander begehrt werden können oder ob es sich um eine nicht trennbare Gesamtleistung handelt. Die Vergütungsvereinbarung zwischen Beigeladener und Antragsgegnerin umfasst in Ziffer 1.1 die Tagespflegesätze, gestaffelt nach Pflegegraden. Im Fall der Antragstellerin sind dies 84,11 Euro zuzüglich einem Ausbildungszuschlag von 3,20 Euro täglich. Gemäß Ziffer 1.2 wird der zu vergütende Tagessatz in Höhe von 17,86 Euro für die Beförderung geregelt.

Die Leistungskomplexe sind in der Tagespflege in einer Weise verknüpft, dass die Leistungen nicht getrennt voneinander angeboten werden können. Die Einrichtung muss jedem Vertragspartner eine Beförderung anbieten. Die Fahrkosten sind immanenter Bestandteil der mit den teilstationären Pflegeeinrichtungen vereinbarten Pflegesätze. Sie werden lediglich getrennt in der Vergütungsvereinbarung ausgewiesen, da sie nicht bei denjenigen anfällt, die selbstständig oder durch Angehörige gebracht werden. Die getrennte Darstellung dient insofern lediglich der Vereinfachung der Abrechnung. Insofern muss die Einrichtung die tägliche Hin- und Rückfahrt organisatorisch als Teil des Angebots sicherstellen. Die Beförderungskosten sind nicht nur (nicht trennbarer) Bestandteil der mit den teilstationären Pflegeeinrichtungen geschlossenen Pflegesatzvereinbarungen (Luik in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XI, 3. Aufl., § 41 SGB XI (Stand: 01.10.2021), Rn. 89).
Die Kosten der Beförderung sind auch in dem Versorgungsvertrag über die Zulassung der Einrichtungen verankert. Hierbei ist auf den Rahmenvertrag über die teilstationäre pflegerische Versorgung gem. § 75 SGB XI für Schleswig-Holstein mit Geltung ab dem 1. Januar 2005 abzustellen. Nach § 1 des Rahmenvertrages übernehmen die Pflegeeinrichtungen nach Maßgabe des Vertrages die Versorgung von Versicherten der Pflegekassen und der Leistungsberechtigten nach dem BSHG/SGB XII. Er ist für die zugelassenen Pflegeeinrichtungen, um die es sich bei der Beigeladenen handelt, unmittelbar verbindlich. Neben den Regelungen über die Pflegeleistungen (§ 2), die sich gliedert in Grundpflege, soziale Betreuung, Behandlungspflege, Unterkunft und Verpflegung (§ 3), Zusatzleistungen (§ 4), Formen der Hilfe (§ 5), Pflegehilfsmittel und technische Hilfen (§ 6) und einer Vorschrift zur Abgrenzung einzelner Leistungen (§ 7) regelt der Versorgungsvertrag zudem in § 8 den Anspruch auf Beförderung. Danach stellt die Pflegeeinrichtung im Rahmen ihres Leistungsangebotes auch die notwendige und angemessene Beförderung der Pflegebedürftigen von der Häuslichkeit in die Pflegeeinrichtung und zurück sicher, soweit diese nicht von Angehörigen oder anderen nicht an der Pflege beteiligten Personen durchgeführt wird. In der Leistungs- und Qualitätsvereinbarung nach § 80a SGB XI ist festzulegen, in welchen Umkreis die Beförderung des Pflegebedürftigen sicherzustellen ist. Die Beförderungsdauer muss den Gesundheitszustand der Pflegebedürftigen berücksichtigen. Die Zeiten für die Beförderung sollten im Verhältnis zur Pflegezeit angemessen, wirtschaftlich und leistungsgerecht sein. Für die Beförderung erhält die teilstationäre Pflegeeinrichtung eine tägliche Pauschale, die einrichtungsindividuell zu kalkulieren ist. Damit setzt die Rahmenvereinbarung für Schleswig-Holstein die Regelung des § 41 SGB XI um, nach dem die einzelnen Leistungskomplexe eine leistungsrechtliche Einheit bilden. Sie ist nicht zu teilen. Die Antragstellerin hat ihr Wahlrecht in Bezug auf die Einrichtung der Beigeladenen nach § 10 Abs. 1 der Rahmenvereinbarung ausgeübt. Durch den Abschluss des privatrechtlichen Vertrags hat sich die Beigeladene verpflichtet, die geschuldeten Leistungen zu erbringen. Zu diesen gehört die Beförderung der Antragstellerin. Solange die Antragstellerin transportiert werden kann, besteht der Versorgungsauftrag nach § 15 Abs. 1 der Rahmenvereinbarung.

Die Antragsgegnerin hat hier den Anspruch der Antragstellerin auf Tagespflege einschließlich der Beförderung durch den Abschluss von bedarfsdeckenden Versorgungsverträgen gem. § 69 SGB XI erfüllt.

 

3. Die Regelung über die Kosten beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

 

4. Der Beschluss ist nicht anfechtbar, § 177 SGG.

 

Rechtskraft
Aus
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