1. Zur Berechnung der Blockfristen i.S.d. § 48 Abs. 2 SGB V.
2. Hat während der letzten drei Jahre vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit wegen der ihr zugrundeliegenden Krankheit keine Arbeitsunfähigkeit bestanden, kann sich eine wegen dieser Krankheit bereits in Gang gesetzte Blockfrist nur zum Vorteil der versicherten Person verlängern, nicht aber verkürzen.
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 30.01.2023 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.06.2023 verurteilt, der Klägerin über den 09.04.2023 hinaus Krankengeld in gesetzlicher Höhe zu bewilligen.
Die Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin dem Grunde nach zu erstatten.
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Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Bewilligung von Krankengeld nach dem Fünften Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) über den 09.04.2023 hinaus.
Die 1967 geborene, bei der Beklagten seit dem 01.03.2021 gesetzlich krankenversicherte Klägerin war erstmals ab dem 18.07.2013 wegen einer psychosomatischen Erkrankung (ICD-10-GM F34.1 - Dysthymia) arbeitsunfähig. Aufgrund einer seit dem 11.10.2021 wegen derselben, zuvor letztmals bis zum 04.05.2018 diagnostizierten Erkrankung bestehenden Arbeitsunfähigkeit bezog sie ab dem 11.10.2021 laufend Krankengeld.
Mit angegriffenem Bescheid vom 30.01.2023 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass der Anspruch auf Krankengeld mit Ablauf des 09.04.2023 ende. Die für sie maßgebende Rahmenfrist von drei Jahren verlaufe vom 11.10.2021 bis zum 10.10.2024; in diesem Zeitraum sei der auf 78 Wochen begrenzte Anspruch auf Krankengeld am 09.04.2023 erschöpft. Den hiergegen mit Schreiben vom 06.02.2023 erhobenen Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 08.06.2023 als unbegründet zurück.
Mit Schriftsatz vom 04.07.2023, eingegangen beim Gericht am selben Tag, hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht Freiburg erhoben.
Sie meint, die Beklagte habe die maßgebenden Blockfristen nicht korrekt berechnet.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 30.01.2023 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.06.2023 zu verurteilen, ihr über den 09.04.2023 hinaus Krankengeld in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie geht von der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung aus.
Mit Schriftsätzen vom 23.11.2023 (Beklagte) und 01.12.2023 (Klägerin) haben sich die Beteiligten mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Die Entscheidung konnte gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung durch Urteil ergehen, da die Beteiligten ihr Einverständnis mit dieser Verfahrensweise erklärt haben.
Die zulässige Klage ist vollumfänglich begründet. Der Bescheid vom 30.01.2023 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.06.2023 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Bewilligung von Krankengeld in gesetzlicher Höhe über den 09.04.2023 hinaus.
Nach § 44 Abs. 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankengeld, wenn die Krankheit sie arbeitsunfähig macht oder sie auf Kosten der Krankenkasse stationär in einem Krankenhaus, einer Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtung behandelt werden. Dass die Klägerin vorliegend auch über den 09.04.2023 hinausgehend arbeitsunfähig war, wird von der Beklagten nicht ernsthaft bestritten und ergibt sich im Übrigen hinreichend aus den medizinischen Befunden.
Streitig ist zwischen den Beteiligten allein die Dauer des geltend gemachten Anspruchs. Nach § 48 Abs. 1 S. 1 SGB V erhalten Versicherte Krankengeld ohne zeitliche Begrenzung, für den Fall der Arbeitsunfähigkeit wegen derselben Krankheit jedoch für längstens 78 Wochen innerhalb von je drei Jahren, gerechnet vom Tage des Beginns der Arbeitsunfähigkeit an. Für Versicherte, die im letzten Dreijahreszeitraum wegen derselben Krankheit für 78 Wochen Krankengeld bezogen haben, besteht nach Beginn eines neuen Dreijahreszeitraums ein neuer Anspruch auf Krankengeld wegen derselben Krankheit, wenn sie bei Eintritt der erneuten Arbeitsunfähigkeit mit Anspruch auf Krankengeld versichert sind und in der Zwischenzeit mindestens sechs Monate nicht wegen dieser Krankheit arbeitsunfähig waren und erwerbstätig waren oder der Arbeitsvermittlung zur Verfügung standen (§ 48 Abs. 2 SGB V).
Diese gesetzlichen Vorgaben berücksichtigend hat die Klägerin Anspruch auf Krankengeld in gesetzlicher Höhe über den 09.04.2023 hinaus. Bei der Berechnung des Dreijahreszeitraums i.S.d. § 48 Abs. 1 S. 1 SGB V ist nach dem Grundsatz der starren Blockfrist vorzugehen; der - erstmalige - Eintritt der Arbeitsunfähigkeit setzt für die ihr zugrundeliegende Krankheit eine Kette aufeinanderfolgender Blockfristen in Gang, innerhalb derer - unter den in § 48 Abs. 2 SGB V genannten weiteren Voraussetzungen - wegen derselben Krankheit jeweils bis zu 78 Wochen Krankengeld bezogen werden kann (BSG, Urt. v. 21.06.2011 - B 1 KR 15/10 R, juris Rn. 12; Gerlach, in: Hauck/Noftz, SGB V, § 48 Rn. 33; Gemeinsame Verlautbarung zur Dauer des Anspruchs auf Krankengeld nach § 48 SGB V vom 26.09.2012 - Gemeinsame Verlautbarung -, Ziffer 2.1.2). Der Blockfristbeginn richtet sich dabei ausschließlich nach dem Beginn der Arbeitsunfähigkeit und nicht nach dem Krankengeldanspruch oder der Krankengeldzahlung (Gemeinsame Verlautbarung, Ziffer 2.2.1). Für die hiernach zu bildende Kette nacheinander folgender Blockfristen ist es unerheblich, ob dieselbe Krankheit zwischen den Arbeitsunfähigkeitszeiten in der Blockfrist fortlaufend behandlungsbedürftig war (BSG, Urt. v. 07.12.2004 - B 1 KR 10/03 R; Gemeinsame Verlautbarung, Ziffer 2.2.2). Insbesondere müssen die jeweiligen Arbeitsunfähigkeitszeiten nicht zusammenhängend verlaufen; die Dauer der Unterbrechungszeiten ist unerheblich (Gerlach, a.a.O. Rn. 39).
Die im Falle der Klägerin maßgebenden Blockfristen in Gestalt nahtloser Dreijahreszeiträume erstrecken sich hiernach (1.) vom 18.07.2013 (erstmalige Arbeitsunfähigkeit wegen Dysthymia) bis 17.07.2016, (2.) vom 18.07.2016 bis 17.07.2019, (3.) vom 18.07.2019 bis 17.07.2022 und (4.) vom 18.07.2022 bis 17.07.2025. Unstreitig bestand bei der Klägerin in sämtlichen hiernach gebildeten Blockfristen zumindest zeitweise eine Arbeitsunfähigkeit aufgrund Dysthymia. Insoweit ist der Auffassung der Beklagten, wonach sich die hier maßgebende Blockfrist vom 11.10.2021 bis 10.10.2024 erstrecke, nicht zu folgen, weil sie entgegen der genannten Vorgaben nicht den Zeitpunkt des erstmaligen Eintritts der Arbeitsunfähigkeit aufgrund derselben Erkrankung berücksichtigt. Der genannten Blockfristbildung steht auch nicht der Umstand entgegen, dass vorliegend zwischen dem 05.05.2018 und dem 11.10.2021 und damit für einen Zeitraum von mehr als drei Jahren keine Arbeitsunfähigkeit aufgrund der psychosomatischen Grunderkrankung bestand. Nach den Vorgaben der Spitzenverbände der Krankenkassen ist nämlich auf die Ermittlung, ob bereits eine Blockfrist wegen derselben Krankheit läuft, zu verzichten, wenn - wie hier der Fall - während der letzten drei Jahre vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit wegen der ihr zugrundeliegenden Krankheit keine Arbeitsunfähigkeit bestanden hat (Gemeinsame Verlautbarung, Ziffer 2.2.3). Durch eine wegen dieser Krankheit bereits in Gang gesetzten Blockfirst kann sich die Leistungsdauer danach nur zum Vorteil des Versicherten verlängern, niemals verkürzen (vgl. Gerlach, a.a.O. Rn. 34 sowie Greiner, in: Berchtold/Huster/Rehborn, Gesundheitsrecht, § 48 SGB V Rn. 13). Die Klägerin kann hiernach innerhalb der dritten Blockfirst Krankengeld vom 11.10.2021 bis 17.07.2022 (= 279 Tage) und, da die Arbeitsunfähigkeit ununterbrochen fortbesteht, mit Beginn der vierten Blockfrist am 18.07.2022 - vorbehaltlich des nachgewiesenen Fortbestehens der Arbeitsunfähigkeit - für weitere 78 Wochen (= 546 Tage), insgesamt also zusammenhängend für maximal 825 Tage beanspruchen (so auch die Beispielsrechnung bei Gerlach, a.a.O. Rn. 35).
Der Anspruch scheitert auch nicht an der Vorgabe des § 48 Abs. 2 SGB V, dessen erschwerte Voraussetzungen nur dann zur Beurteilung eines neuen Krankengeldanspruchs maßgebend sind, wenn in der abgelaufenen Blockfrist für dieselbe Krankheit 78 Wochen Anspruch auf Krankengeld bestand (Gemeinsame Verlautbarung, Ziffer 4.1.2). Dies ist bei der Klägerin nicht der Fall, da sie zum Zeitpunkt des Beginns der letzten Arbeitsunfähigkeit am 11.10.2021 im laufenden Dreijahreszeitraum (18.07.2019 bis 17.07.2022) keinen Anspruch auf Krankengeld für 78 Wochen (mehr) hatte.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.