L 6 SB 2864/23

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6.
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 20 SB 5152/20
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 SB 2864/23
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 14. September 2023 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.



Tatbestand

Der Kläger begehrt – im Berufungsverfahren noch – die höhere Neufeststellung des Grades der Behinderung (GdB) mit mehr als 40.

Er ist 1966 in der Türkei geboren und lebt seit 1972 in der Bundesrepublik Deutschland. Nach seinem Hauptschulabschluss hat er eine Ausbildung zum Kfz-Mechatroniker abgeschlossen und arbeitet seit 1990 bei M1. Der Kläger ist verheiratet, hat zwei volljährige Kinder, die nicht mehr in seinem Haushalt leben, und bewohnt eine noch nicht abbezahlte Eigentumswohnung. Daneben ist er im Besitz eines Hauses in der Türkei, wo er jährlich seinen Urlaub verbringt und beabsichtigt, nach Renteneintritt hinzuziehen (vgl. Anamnese K1).

Am 28. August 2017 beantragte er bei dem Landratsamt B1 (LRA) erstmals die Feststellung des GdB, welches den Befundschein des G1 einholte. Dieser beschrieb eine Lumboischialgie bei deutlicher Osteochondrose und kleinem Bandscheibenvorfall L5/S1 rechts, ein Cervikalsyndrom bei Steilstellung sowie leichte Herberden und Bouchard Arthrosen beidseits. Es zeige sich eine eingeschränkte Beweglichkeit der Wirbelsäule, deutliche Muskelverspannungen, aber keine neurologischen Ausfälle. Das Zeichen nach Lasèque sei beidseits negativ. Der Faustschluss sei möglich, eine Streckhemmung bestehe keine. Ergänzend legte er den Bericht über die Kernspintomographie (MRT) der Lendenwirbelsäule (LWS) vom 13. April 2017 (Radiologe F2) vor (kleiner Bandscheibenvorfall L5/S1 ohne neuroforaminale oder spinale Enge).

Der V1 bewertete die degenerative Veränderungen der Wirbelsäule mit einem Teil-GdB von 20, der dem Gesamt-GdB entspreche.

Mit Bescheid vom 16. Oktober 2017 stellte das LRA einen GdB von 20 seit dem 28. August 2017 fest.

Im Widerspruchsverfahren gelangte der Entlassungsbericht der Rehabilitationsklinik S1 über die stationäre Behandlung vom 12. Dezember bis 9. Januar 2018 zur Akte. Danach wurde das Leistungsvermögen für die bisherige berufliche Tätigkeit als Bandarbeiter in der Automobilherstellung als vollschichtig beurteilt. Psychisch sei der Kläger bewusstseinsklar, allseits orientiert, freundlich zugewandt und kontaktfähig. Aufmerksamkeit und Gedächtnis seien in Ordnung, formale oder inhaltliche Denkstörungen bestünden keine.

Es seien keine Hilfsmittel gebraucht worden. Das An- und Ausziehen gelinge selbstständig ohne fremde Hilfe bei harmonischem Gangbild. Der Einbeinstand sei beidseits sicher, das Einnehmen der Hocke gelinge vollständig. An der Wirbelsäule zeige sich ein seitengleiches Muskelrelief. Die gesamte Wirbelsäule sei im Lot, es habe kein Druck- und Klopfschmerz bestanden. Der Finger-Boden-Abstand (FBA) liege bei 0 cm.

An den oberen Extremitäten bestünden keine Auffälligkeiten, die Schultern seien altersentsprechend frei beweglich. Der Faustschluss sei beidseits vollständig möglich, es zeige sich keine Kraftminderung und keine wesentliche Schwellung im Bereich der Hände und Finger. Sensible Defizite und Paresen hätten sich keine gezeigt.

An den unteren Extremitäten bestehe eine freie Beweglichkeit der beiden Hüft-, Knie- und Sprunggelenke. Es zeigten sich keine Paresen, keine Kraftminderung und das Zeichen nach Lasèque sei beidseits negativ.

Im Rahmen der multimodalen Therapie der chronischen Schmerzen sei eine kombinierte medikamentöse Analgesie etabliert worden. Unterstützt worden sei die Schmerzbehandlung durch begleitende passive Anwendungen, die eine Detonisierung verspannter Muskulatur förderten und das allgemeine Wohlbefinden verbesserten, um dem Kläger die aktive Therapie zu ermöglichen und zu erleichtern. Durch Bewegungs- und Kraftübungen im schmerzfreien Raum sei versucht worden, chronische Schmerzbilder durch positive Bewegungserfahrungen zu überlagern. Bewegungs- und Trainingstherapie seien im Sinne einer Verhaltenstherapie eingesetzt worden, um den Kläger besser aus seiner externalisierten Erlebensrolle zu lösen und eine normalisierte Körperwahrnehmung zu fördern. In der Schmerzbewältigungsgruppe sei die kognitive Verarbeitung gefördert und es seien Strategien wie Übungen zur Schmerzbewältigung vermittelt und eingeübt worden. Aufgrund der angegebenen Beschwerden der kleinen Gelenke sei zusätzlich eine Labordiagnostik mit Bestimmung der Rheumaserologie durchgeführt worden, allerdings mit unauffälligem Befund. Aktuell bestünden keine Hinweise auf entzündliche Prozesse. Die Entlassung sei arbeitsfähig erfolgt.

S2 hielt versorgungsärztlich an der bisherigen Bewertung fest. Allgemein klinisch, internistisch, psychisch und neuro-orthopädisch seien keine nennenswerten Funktionseinschränkungen feststellbar.

Im Widerspruchsverfahren wurde der Befundbericht des S3 aufgrund ambulanter Untersuchung vom 5. April 2018 vorgelegt. Danach habe der Kläger angegeben, seit der Einnahme von Mirtazapin besser zu schlafen, allerdings nicht jede Nacht. Die Rehabilitation habe keine Besserung erbracht, er habe einen Termin in der Rheumatologie. Der Kläger berichte weiterhin von großem Stress in der Familie, er fühle sich etwas verlangsamt, sei morgens nicht gut drauf. Bei M1 habe er jetzt einen neuen Arbeitsplatz. Im Gespräch habe der Kläger weniger depressiv gewirkt. Die Einnahme von 45 mg Mirtazapin sei empfohlen, das psychosomatische Konzept sei dem Kläger ausführlich erläutert worden.

Im vorangegangenen Bericht vom 22. Mai 2017 beschrieb dieser, dass im Vordergrund des Beschwerdebildes derzeit berufliche Probleme stünden. Der Kläger komme mit dem Zweischichtbetrieb nicht zurecht. Zusätzlich bestünden massive Konflikte in der Familie. Seine Ehefrau komme mit der Schwiegermutter nicht klar, seine Eltern seien Rentner und lebten gewöhnlich ein halbes Jahr in der Türkei. In der Untersuchungssituation sei der Kläger gedrückt affektlabil und ängstlich gewesen. Er habe sehr detailliert über seine Beschwerden berichtet und sich ungehalten gezeigt, dass man die Umstände, die zu seinen Symptomen führten, nicht abschaffen könne. Desgleichen könnten seine Gelenkschmerzen nicht optimal behandelt werden. Zeichen einer akuten Psychose hätten nicht bestanden, auch keine solchen eines organischen Psychosyndroms. Der Kläger sei allerdings deutlich depressiv gewesen, eine thymoleptische Behandlung mit Mirtazapin sei begonnen worden.

Weiter gelangte der Befundbericht des R1 aufgrund ambulanter Untersuchung vom 12. April 2018 zu den Akten. Danach habe ergometrisch eine Koronare Herzerkrankung (KHK) ausgeschlossen werden können. Die durchgeführten Untersuchungen hätten keine richtungsweisenden Befunde für die geschilderten Beschwerden ergeben.

Der P1 legte aufgrund ambulanter Untersuchung vom 25. Oktober 2017 dar, dass er ausführlich versucht habe, den Kläger über die Problematik einer somatoformen Schmerzstörung aufzuklären. Es falle diesem schwer, hier Zusammenhänge für sich zu erkennen. Er berichte immer wieder, dass im Prinzip sämtliche Fachrichtungen aufgesucht worden seien, ohne dass eine fassbare Diagnose habe gestellt werden können. Bevor nun weitere frustrane Therapieversuche unternommen würden, erscheine es vorrangig wichtig, eine psychosomatische Exploration durchzuführen.

Im Befundbericht des B2 (ambulante Untersuchung vom 19. Oktober 2017) wurden neurologisch konstante Befunde zur Voruntersuchung von Oktober 2009 beschrieben. Am Nervus tibialis bestünden Normalbefunde beidseits, es zeige sich kein herdneurologisches Defizit.

Der G1 gab an (ambulante Untersuchung vom 9. Oktober 2017), dass die Beweglichkeit der Halswirbelsäule (HWS) leicht eingeschränkt gewesen sei. Im Bereich der Lendenwirbelsäule (LWS) bestehe eine paravertebrale Muskelverspannung ohne neurologische Ausfälle bei endgradiger Bewegungseinschränkung.

M2 bewertete versorgungsärztlich nunmehr die degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule und die seelische Störung je mit einem Teil-GdB von 20, sodass sich ein Gesamt-GdB von 30 ergebe. Mit Teil-Abhilfebescheid vom 8. Oktober 2018 stellte das LRA einen GdB von 30 seit dem 28. August 2017 fest.

Den Widerspruch wies das Regierungspräsidium S4 – Landesversorgungsamt – mit Widerspruchsbescheid vom 21. November 2018 zurück. Die vorliegenden Funktionsbeeinträchtigungen seien in vollem Umfang erfasst und angemessen bewertet worden. Bei angeborenen und erworbenen Wirbelsäulenschäden ergäbe sich der GdB primär aus dem Ausmaß der Bewegungseinschränkung, der Wirbelsäulenverformung und der Zahl der betroffenen Wirbelsäulenabschnitte. Die seelische Störung sei bereits an der Obergrenze des Ermessensspielraums bewertet worden, eine stärker behindernde Störung mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit liege nicht vor.

Am 29. April 2019 beantragte der Kläger die Neufeststellung des GdB. Vorgelegt wurde der Entlassungsbericht des Universitätsklinikums T1 über die stationäre Behandlung vom 17. Oktober bis 27. November 2018. Darin wurden als Diagnosen eine chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren, eine schwergradige depressive Episode sowie eine Hypothyreose beschrieben.

Der Kläger habe angegeben, seit 1990 bei D1 am Band zu arbeiten. Aufgrund seiner körperlichen Beschwerden sei es zu Konflikten am Arbeitsplatz gekommen. Vor wenigen Wochen sei er in eine andere Abteilung versetzt worden. Hier habe er nur eine Woche gearbeitet. Aktuell sei er seit einer Woche arbeitsunfähig.

Der Kläger sei sichtlich schmerzgeplagt, im Kontakt offen und zugewandt. Der Leidensdruck sei spürbar, Konzentrationsfähigkeit und Gedächtnis seien subjektiv reduziert, im Gespräch nicht objektivierbar. Formalgedanklich sei er auf die Schmerzsymptomatik fokussiert. Der Affekt sei reduziert, Schwingungsfähigkeit bestehe keine.

Die Testergebnisse zu Beginn der Behandlung stimmten mit dem klinischen Bild einer chronischen Schmerzstörung überein und hätten sich im Verlauf abnehmend gezeigt. Die depressive Komponente sei im Verlauf gleich geblieben. Der klinische Eindruck habe eine leichte Verbesserung der Symptomatik gezeigt. Am Bewegungsapparat habe eine physiologische Körperhaltung bestanden, mit geradem Aufbau der Wirbelsäule. Fehlstellungen der Extremitäten zeigten sich keine, die Beweglichkeit sei grobkursorisch durch Schmerzen reduziert. Die grobe Kraft der oberen und unteren Extremitäten sei unauffällig. Ein Anhalt für eine schlafbezogene Atemstörung bestehe keiner.

Innerhalb der Therapie sei deutlich geworden, dass der Kläger traurig und teilweise gekränkt darüber sei, dass ihm sein aktueller Arbeitgeber nicht die Möglichkeit gebe, an eine entsprechende Arbeitsstelle versetzt zu werden, wo er die Möglichkeit habe, aufgrund seiner Schmerzen kurze Pausen zu machen. Bei Aufbau positiver Aktivitäten habe der Kläger Schwierigkeiten gezeigt, sich aber im Laufe der Therapie teilweise darauf einlassen können. Die Dringlichkeit einer ambulanten Psychotherapie nach Entlassung sei besprochen worden.

Das LRA holte den Befundschein des B3 ein, der im Mai 2019 über eine letzte Vorstellung des Klägers im Dezember 2018 berichtete. Dieser habe über Kreuzschmerzen und Schulterprobleme berichtet, zum Untersuchungszeitpunkt sei eine Wiedereingliederung geplant gewesen. Der Zustand habe sich im Vergleich zu 2017 verschlimmert.

U1 bewertete versorgungsärztlich die seelische Störung, die Depression und das chronische Schmerzsyndrom mit einem Teil-GdB von 30 sowie die degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule mit einem Teil-GdB von 20. Der Gesamt-GdB betrage 30, da eine vollständige Überschneidung vorliege.

Mit Bescheid vom 7. August 2019 lehnte das LRA den Neufeststellungsantrag ab. Eine wesentliche Änderung sei nicht eingetreten.

Im Widerspruchsverfahren holte das LRA Befundscheine der behandelnden Ärzte ein.

Die S5 teilte mit, dass sich der Kläger mit einer chronischen Schmerzstörung und einer chronischen Depression vorgestellt habe. Es sei eine Vorbehandlung mit Mirtazapin, Amitruptylin und Quetiapin angegeben worden. Psychopathologisch habe sich der Kläger absprachefähig gezeigt, in allen Qualitäten orientiert und soweit beurteilbar kognitiv und mnestisch unauffällig. Die Antriebslage sei reduziert, psychomotorisch sei der Kläger ruhig gewesen, eine Einengung der affektiven Schwingungsfähigkeit habe sich nicht übersehen lassen. Formalgedanklich sei er geordnet, ohne optische oder akustische Halluzinationen. Ergänzend legte sie den Arztbrief über die ambulante Untersuchung vom 1. August 2019 vor, in dem als Diagnosen eine chronische Schmerzstörung und eine chronische mittelgradige Depression beschrieben wurden.

Der G1 führte aus, dass sich bei dem Kläger eine zunehmende Beschwerdesymptomatik mit erheblicher Einschränkung der Wirbelsäule und der Gelenke zeige. Die rechte Schulter sei in Abduktion und Retroversion eingeschränkt, die Bemuskelung normal. Die Wirbelsäulenbeweglichkeit und die Beweglichkeit der Halswirbelsäule (HWS) seien zunehmend eingeschränkt, ohne neurologische Ausfälle. Grob neurologisch sei der Befund unauffällig. Die Fingergelenke seien eingeschränkt mobil, der Faustschluss wäre möglich.

Im Befundbericht des J1 aufgrund ambulanter Untersuchung vom 3. Mai 2018 wurde ein sicherer Hinweis auf ein entzündlich-rheumatisches Krankheitsbild verneint.

Die Koronarangiographie im Universitätsklinikum T1 am 17. Januar 2019 zeigte eine Koronarsklerose. Interventionsbedürfte Stenosen hätten ausgeschlossen werden können, der weitere postinterventionelle Verlauf sei komplikationslos gewesen. Die Entlassung sei in kardiopulmonal stabilem Zustand erfolgt.

Die Kernspintomographie (MRT) der Lendenwirbelsäule (LWS) beschrieb einen kleinen rechts paramedianer Bandscheibenvorfall bei L5/S1 ohne neuroforaminale oder spinale Enge.

S2 legte versorgungsärztlich dar, dass die somatoformen Befindlichkeitsstörungen ambulant mit den üblichen Mitteln behandelbar seien. Psychotherapie werde empfohlen, die Bewertung sei bereits großzügig. Leitlinienkonform messbare Bewegungseinschränkungen seien keine dokumentiert. Neurologisch liege ein unauffälliger Befund vor, die normale Bemuskelung spreche gegen langanhaltende Funktionseinschränkungen.

Zur Akte gelangte weiter der Befundbericht des G1 aufgrund ambulanter Untersuchung vom 4. Juni 2020. Danach sei die Knielenkbeweglichkeit beidseits leicht eingeschränkt, die Bänder seien stabil und ohne Erguss. Die Hüftgelenksbeweglichkeit beidseits sei frei. Im Röntgen habe sich eine leichte Hüftdysplasie rechts gezeigt.

Weiter holte das LRA den Befundschein des R2 ein. Dieser führte aus, dass der Kläger über eine langjährige Schmerzsymptomatik berichte. Depressive Tendenzen hätten sich schon 2003 gezeigt. Höchst pessimistische und bisweilen katastrophisierende Kognitionen dominierten seine Weltsicht. Die logische Folge sei ein weitgehender Rückzug aus sozialen Bezügen. Er sehe sich oft ungerecht behandelt, in seinem Wollen für andere Menschen missverstanden und nicht akzeptiert. Nach jetzt acht Therapiesitzungen in zwei- bis dreiwöchiger Frequenz müsse bei dem einerseits kooperativen, aber andererseits sehr rigide fixiertem Patienten von einer eher mäßigen Prognose ausgegangen werden. Die Behandlung erfolge mit Antidepressiva und Analgetika.

Der P1 beschrieb generalisierte Schmerzen bei weit fortgeschrittener Schmerzstörung mit psychischen und somatischen Faktoren.

Die B4 führte aus, dass bezüglich des Hüftleidens eine freie Beweglichkeit angegeben werde, die Kniebeweglichkeit sei nur leicht eingeschränkt. Der Gesamt-GdB von 30 sei weiter leidensgerecht.

Den Widerspruch wies das Regierungspräsidium S4 – Landesversorgungsamt – mit Widerspruchsbescheid vom 30. November 2020 zurück. Die Auswertung der Befundunterlagen habe ergeben, dass sich eine Verschlimmerung, die eine Erhöhung des GdB rechtfertige, nicht feststellen lasse. Hinsichtlich der psychischen Erkrankung und den damit verbundenen Beschwerden sei bereits von einer stärker behindernden Störung mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit ausgegangen worden.

Am 14. Dezember 2020 hat der Kläger Klage beim Sozialgericht Stuttgart (SG) erhoben, welches zur weiteren Sachaufklärung sachverständige Zeugenauskünfte eingeholt hat.

Der G1 hat bekundet, dass der Kläger Schmerzen im Bereich der Hände und Füße beidseits berichte. Ebenso würden Schmerzen im Bereich der rechten Schulter mit Einschränkung der Beweglichkeit und Belastbarkeit angegeben. Die Beschwerden an der HWS seien für das Lebensalter fortgeschritten. Die Bewegungseinschränkungen an der HWS und LWS seien mittel- bis schwergradig. Im Bereich der Hände und Schultergelenke seien die Gesundheitsstörungen leichtgradig. Die Funktionsbehinderungen der Wirbelsäule führten zu einem GdB von 30.

Der F1 hat angegeben, dass rezidivierende depressive Episoden mit mittelschwerem bis schwerem Ausmaß bestünden, ebenso eine chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren. Weiter lägen Veränderungen der HWS und LWS, eine Schultereckgelenkarthrose, Arthroseveränderungen in beiden Kniegelenken sowie am linken Hüftgelenk vor. Die rezidivierende depressive Störung mit kontinuierlicher Einnahme von Antidepressiva und der Notwendigkeit einer langfristigen begleitenden Psychotherapie führe zu einem GdB von 40. Zusammen mit der chronischen Schmerzstörung sei ein GdB von 50 angemessen. Die Veränderungen der Wirbelsäule seien mit einem GdB von 20 adäquat bewertet.

Ergänzend hat er – neben aktenkundigen Berichten – den Befundbericht des S3 aufgrund ambulanter Untersuchung vom 6. Dezember 2018 vorgelegt. Danach sei der Kläger vom 17. Oktober bis 27. November 2018 in T1 stationär behandelt worden. Dort sei ihm die Einnahme von Mirtazapin, Amitriptylin und Novalgin empfohlen worden. Er habe Kreuzschmerzen und Schmerzen in der rechten Schulter beschrieben. Bei der Untersuchung sei er klagsam und gedrückt gewesen, hinsichtlich der dringend empfohlenen Psychotherapie sei eine Therapeutenliste mitgegeben worden.
Im Befundbericht des P1 aufgrund ambulanter Untersuchung vom 7. Februar 2019 ist angegeben, dass der Kläger zwischenzeitlich eingegliedert worden sei und wieder vollschichtig arbeite. Es seien weiterhin Muskel- und Gelenk- sowie Fersenschmerzen und Sodbrennen beschrieben worden. Eine kardiologische Kontrolluntersuchung sei ohne wegweisenden pathologischen Befund gewesen. Unter Amitryptylin und Mirtazapin sei der Schlaf ordentlich. Nach einer psychotherapeutischen Anbindung werde gesucht.

Im Bericht der Fachärztin für F2 über das Röntgen des Thorax vom 9. Oktober 2019 ist ein altersentsprechend unauffälliger Herz-/Lungenbefund beschrieben.

Die S5 hat mitgeteilt, den Kläger wegen einer mittelgradigen und im Verlauf schwergradigen depressiven Episode ohne psychotische Symptome behandelt zu haben. Daneben sei er wegen einer chronischen Schmerzstörung, Spannungskopfschmerzen und einem HWS-Syndrom vorstellig geworden. Es sei von einer Chronifizierung der depressiven Symptomatik und der chronischen Schmerzen auszugehen.

Ergänzend hat sie ihre Befundberichte und neben bereits aktenkundigen Befundberichte den Entlassungsbericht des Psychiatrischen Behandlungszentrums B1 über die stationäre Behandlung vom 11. bis 25. März 2020 vorgelegt. Der Kläger sei aufgrund einer depressiven Entwicklung mit Schlafstörungen bei einem bekannten chronischen Schmerzsyndrom aufgenommen worden. Es bestünden Schmerzen in allen Gelenken seit circa 20 Jahren. Seit zwei bis drei Jahren hätten sich starke Schlafstörungen entwickelt. Er empfinde Unruhe und Angst, vor allem vor der Zukunft. Weitere Belastungsfaktoren gebe es nicht. Medikamentös sei Amitryptylin wegen Schlafstörungen und vorhandenen Schmerzen erhöht worden. Bei Aufnahme sei der Kläger im Kontakt offen und freundlich, wach, bewusstseinsklar und zu allen Qualitäten orientiert gewesen. Es bestünden keine Störungen des formalen und inhaltlichen Denkens. Er sei depressiv verstimmt und affektiv verflacht, dabei antriebsarm bei unauffälliger Psychomotorik.

Neurologisch habe kein Anhalt für latente oder manifeste Paresen bestanden, die grobe Kraft sei seitengleich erhalten. Die Sensibilität sei unauffällig, das Gangbild sicher. Im stationären Setting habe sich eine gedrückte Stimmungslage gezeigt, die Schlafstörungen seien stark ausgeprägt. Es sei über Gelenkschmerzen geklagt und eine Schmerzmedikation benötigt worden. An dem Therapieprogramm sei motiviert teilgenommen worden, es sei nur langsam zu einer Stabilisierung gekommen. Die Stimmungslage und der Antrieb hätten sich gebessert, die Schlafstörungen seien rückläufig gewesen. Die Entlassung sei in stabilisiertem Zustand erfolgt.

Der R2 hat bekundet, den Kläger wegen einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung und einer rezidivierenden depressiven Störung zu behandeln. Der Kläger sei zu allen Qualitäten orientiert, auf Schmerz und Einschränkungen fokussiert. Die konzentrative Belastbarkeit und Vigilanz seien deutlich reduziert, ebenso Affekt und Schwingungsfähigkeit. Im Arbeitsleben werde er von den Kollegen eher gemieden, obwohl er für alles eine Lösung habe. Zu wenig Anerkennung führe zu Rückzug und verstärke damit die depressiven Tendenzen. Insgesamt sei er eher isoliert, dies gelte ebenso für das familiäre System. Besonders schmerzhaft sei für ihn, dass sich seine Söhne nicht mehr für ihn interessierten. Das Verhältnis zur Ehefrau sei permanent mehr oder weniger angespannt.

Zur Akte ist weiter der Entlassungsbericht des Universitätsklinikums T1 über die stationäre Behandlung vom 24. Juni bis 5. August 2021gelangt. Danach sei der Kläger wach, soweit beurteilbar bewusstseinsklar, allseits orientiert, im Kontakt freundlich und auskunftswillig gewesen. Formalgedanklich sei er geordnet. Es habe der hochgradige Verdacht auf inhaltliche Denkstörungen, vornehmend paranoid bestanden. Der Affekt sei leicht depressiv, die Schwingungsfähigkeit erhalten. Psychomotorik und Antrieb seien intakt. Es bestehe keine akute Eigen- und Fremdgefährdung.

Die Schmerzsymptomatik sei anhand der bereits erfolgten Diagnostik ausreichend abgeklärt. Laborchemisch bestehe kein Anhalt für ein entzündliches Geschehen. Es sei eine Medikation mit Quetiapin begonnen worden. Der Kläger habe in der Folge über starke Kopfschmerzen berichtet und eine starke Ambivalenz gegenüber dem Medikament gezeigt, sodass es wieder abgesetzt worden sei. Amitryptylin sei deshalb aufdosiert worden.

Der Beklagte hat vergleichsweise die Feststellung eines GdB von 40 seit dem 23. April 2019 angeboten und die versorgungsärztliche Stellungnahme des W1 vorgelegt. Danach könne der Teil-GdB auf psychiatrischem Gebiet von 30 auf 40 erhöht werden. Dieser umfasse dann auch die vorübergehend schweren depressiven Episoden. Eine anhaltend schwere Störung, könne aus den Unterlagen nicht abgeleitet werden. Ansonsten ergäben sich keine Gesamt-GdB relevanten Funktionseinschränkungen, auch nicht auf kardiologischem Gebiet. Der von G1 gesehene Teil-GdB von 30 für das Wirbelsäulenleiden sei ohne Mitteilung detaillierter Funktionsparameter nicht nachzuvollziehen. Es werde an der bisherigen Bewertung festgehalten. Auswirkungen auf den Gesamt-GdB ergäben sich nicht, da gegenseitige Überschneidungen durch das chronische Schmerzsyndrom bestünden.

Nach Ablehnung des Vergleichsangebotes hat das SG das orthopädische Sachverständigengutachten des K1 aufgrund ambulanter Untersuchung vom 19. Januar 2022 erhoben. Diesem gegenüber hat der Kläger angegeben, Tramal-Tabletten (100 mg 1-0-1) sowie Novaminsulfon täglich 1 bis 3 Tabletten einzunehmen. Er arbeite derzeit bei Mercedes in der Qualitätskontrolle, zuvor sei er am Band tätig gewesen. Seine jetzige Abteilung solle aufgelöst werden, wenn er wieder ans Band zurückmüsse, wolle er einen Rentenantrag stellen. Ein kleiner Freundes- und Bekanntenkreis sei vorhanden, man treffe sich vor allen Dingen zu Geburtstagen. Der letzte Urlaub habe im September letzten Jahres im Heimatland stattgefunden. Ihm gehöre dort ein eigenes Haus. Er plane nach Rentenerhalt dorthin umzuziehen. Derzeit passe sein Onkel auf das Haus auf.

Zum Tagesablauf habe der Kläger angegeben, bei Frühschicht um 4.50 Uhr aufzustehen, ansonsten gegen 8.30 Uhr. Nach der üblichen Morgenhygiene und dem Kaffee fahre er entweder zur Arbeit oder gehe spazieren. Wenn er Frühschicht habe, koche seine Frau zum Abendessen, bei Spätschicht esse er nur kalt. Am Wochenende gehe er spazieren oder zum Kaffeetrinken. Die Familie komme an besonderen Tagen zu Besuch.

Der Gang vom Warteraum zum Untersuchungszimmer sei flüssig und hinkfrei gewesen. Orthopädische Hilfsmittel seien keine getragen worden, sämtliche Transfers seien weitgehend flüssig erfolgt.

Die Wirbelsäule zeige einen Becken- und Schultergleichstand bei gering vermehrter BWS-Kyphose im oberen Abschnitt sowie eine etwas vermehrte LWS-Lordose und eine Rumpfmuskeldysbalance bei kräftiger Rückenstreckermuskulatur. Beim Vor- und Rückneigen glichen sich die Wirbelsäulenkrümmungen teilweise aus. Es bestehe keine deutliche Drehseitverbiegung der Wirbelsäule, kein Rippenbuckel und kein Lendenwulst. Die Beweglichkeit der HWS liege für die Rotation bei 60-0-70° und für die Seitneigung bei 40-0-40°, der Kinn-Brustbein-Abstand betrage 8/0 cm. Es bestünden hochgradige Verspannungen in Form von Hartspann.

Die Beweglichkeit der BWS/LWS liege für die Rotation und Seitneigung jeweils bei 20-0-20°, das Zeichen nach Schober sei mit 10:13 cm bestimmt worden, das Zeichen nach Ott mit 30:31,5 cm, der FBA mit 11 cm.

An den oberen Extremitäten bestehe eine seitengleich mittelkräftig ausgebildete Muskulatur von Ober- wie Unterarm beidseits. Die Schultern stünden gleich hoch. Die Beweglichkeit für Vor- und Rückhebung liege bei 170-0-40° beidseits. Im Bereich der Arme seien alle Bewegungen auch gegen aktiven Widerstand schmerzfrei möglich, es bestehe keine Druckschmerzhaftigkeit im Bereich der inneren und äußeren Oberarmknochen beidseits und eine regelrechte Konfiguration beider Ellenbogengelenke. Anhaltspunkte für eine Synovitis zeigten sich nicht, der Faustschluss sei an beiden Händen seitengleich kräftig möglich.

An den unteren Extremitäten zeige sich keine wesentliche Seitendifferenz in der Ausprägung der Muskulatur von Ober- und Unterschenkel. Der Einbeinstand sei seitengleich sicher möglich, es bestünden keine wesentlichen Unsicherheiten beim Gang zu ebener Erde. Die tiefe Hocke gelinge problemlos, die Beweglichkeit der Hüftgelenke für Streckung/Beugung betrage 0-0-130°. Die Kniegelenkskonturen seien beidseits unauffällig, die Bewegung nicht limitiert (Streckung/Beugung beidseits 0-0-140°). Es bestehe beidseits kein Anhalt für eine Synovitis oder Ergussbildung. Bei der Stabilitätsprüfung zeige sich eine leichtgradige Lockerung des Bandapparates. Am linken Sprunggelenk sei eine reizlose Narbe nach OP-Sanierung vor vielen Jahren zu erkennen.

Neurologisch seien Patellar- und Achillessehnenreflex beidseits seitengleich mittellebhaft auslösbar. Das Zeichen nach Lasèque sei beidseits negativ, Sensibilitätsstörungen im Bereich beider Beine würden nicht angegeben. Die Versuche nach Romberg und Unterberger seien problemlos möglich, auch ansonsten hätten sich keine Auffälligkeiten gezeigt.

Der Kläger habe sich in gutem Allgemein- und übermäßigem Ernährungszustand befunden. Es fänden sich hochgradige Verspannungsmuster in den einzelnen Wirbelsäulenabschnitten, die Beweglichkeit sei nur endgradig eingeschränkt. Radiologisch bestünden an der HWS in einigen Segmenten etwas deutlichere degenerative, im Bereich der BWS und LWS altersentsprechende Veränderungen. In der Zusammensicht sei eine Gesundheitsstörung des Achsorgans Wirbelsäule anzuerkennen. Es handele sich um geringe bis mittelgradige funktionelle Auswirkungen, die nicht ausgeprägt seien und zu keinen deutlichen Bewegungseinschränkungen führten. Instabilitäten oder Nervenwurzelreizzeichen bestünden keine.

Bei vorbeschriebenen Beschwerden im Bereich der Hüftgelenke habe sich ein völlig unauffälliger Untersuchungsbefund mit freier Gelenkbeweglichkeit und ohne Bewegungsschmerz beidseits ergeben. Ebenso zeigten sich an den Kniegelenken keine pathologischen Befunde.

An den Schultergelenken bestünden Hinweise für Reizzeichen und endgradige Bewegungseinschränkungen als Anhaltspunkte für eine Engesituation. Betrachte man nur die Bewegungseinschränkung, resultiere hieraus kein Teil-GdB. Bei jedoch deutlicher knöcherner Engesituation seien wiederkehrende Beschwerden und Reizzustände bei Armhebungen über 90° problemlos nachvollziehbar und verständlich, weshalb ein Teil-GdB empfohlen werde. Der Gesamt-GdB sei mit 40 zu bewerten.

Der Sachverständige hat, ergänzend gehört, an seiner Bewertung festgehalten und ausgeführt, dass – entgegen der Darlegungen des Klägers – ein Teil-GdB von 30 auf seinem Fachgebiet nicht nachvollziehbar sei. Selbst wenn der Beklagte für die fachfremde Diagnose „seelische Störung, chronisches Schmerzsydrom“ von einem Teil-GdB von 40 ausgehe, ergebe sich kein höherer Gesamt-GdB als 40.

Zur Akte gelangt sind sodann weitere, teils bereits aktenkundige, Befundberichte des G1 beginnend ab dem Jahr 2012.

Anschließend hat das SG das neurologisch-psychiatrische Sachverständigengutachten des M3 aufgrund ambulanter Untersuchung vom 14. Oktober 2022 erhoben, nachdem im Vorfeld der Begutachtung mitgeteilt worden ist, dass sich der Kläger vier Wochen im Urlaub befindet und nicht begutachten werden kann. Diesem gegenüber hat der Kläger dann aber behauptet, seinen letzten Urlaub im Sommer 2021 in I1 verbracht zu haben. Seine Zukunftsvorstellung sei, so schnell wie möglich aus dem Arbeitsleben zu kommen, da er es nicht mehr aushalte. Seine Ehefrau gehe seit 10 Jahren keiner Tätigkeit mehr nach. Sie sei in der Krise entlassen worden und habe nichts mehr gefunden.

Der Kläger habe angegeben, regelmäßig Tramadol, Novominsulfon, Mirtazipin und Promethazin einzunehmen.

Zum Tagesablauf habe er beschrieben, derzeit arbeitsunfähig zu sein. Ansonsten stehe er bei Frühschicht um 4.45 Uhr auf, bei Spätschicht zwischen 8.30 Uhr und 9.00 Uhr. Dann frühstücke er meist allein, er fahre mit dem Sohn zur Arbeit, sonst fahre seine Frau. Gestern seien sie einkaufen gewesen, sonst hätten sie wenig gemacht. Die Ehefrau koche zu Mittag, Abendessen sei gegen 17 Uhr. Abends sei man vor dem Fernseher, mit dem Computer mache er selten etwas.

Die neurologische Untersuchung habe einen muskulären Habitus bei Demonstration von schmerzhaften Bewegungseinschränkungen von Wirbelsäule, Hüft- und Kniegelenken samt Senk-Spreizfüße ergeben. Die Beweglichkeit der HWS sei endgradig eingeschränkt, an der LWS sei eine Bewegungseinschränkung demonstriert worden, der FBA habe bei 30 cm gelegen.

Motorisch habe an den Armen und Beinen ein regelrechter Muskeltonus und eine normgerechte passive Beweglichkeit bestanden. Bei Prüfung der groben Kraft bestünden keine Auffälligkeiten. Das Muskelrelief sei deutlich ausgeprägt, harmonisch und es bestünden keine Hinweise auf eine muskuläre Atrophie. Der Reflexstatus habe eine symmetrische Auslösbarkeit der Muskeleigenreflexe gezeigt. Das Gangbild sei sicher und flüssig, Fersen- und Zehenspitzengang seien möglich.

Der dynamische Gesamteindruck/die Psychomotorik habe zurückhaltend und gehemmt gewirkt. Das Benehmen habe gewandt, teils gleichgültig imponiert. Die Gangart sei zögerlich. Das Ausdrucksverhalten und die Mimik und Gestik seien sparsam gewesen. Eine psychomotorische Unruhe habe nicht bestanden. Der Kontakt sei verbal wie nonverbal sicher, aber zögerlich gewesen. Die Motivation zur Untersuchung sei eher niedrig gewesen, Hinweise auf eine Verdeutlichung von Beschwerden hätten sich klinisch eher körperlich ergeben. Aggravation sei im Rahmen der Untersuchung möglich gewesen, Hinweise auf Simulation hätten sich nicht eindeutig nachweisen lassen. Im Beschwerdevortrag habe der Kläger zur Überbetonung von körperlichen Beschwerden geneigt.

Der Kläger sei bewusstseinsklar, zu Ort, Zeit und Person sowie Situation orientiert. Eine Bewusstseinseinengung zeige sich nicht. Der Antrieb sei unauffällig und mäßig reduziert. Die Spontanität habe sich gering gezeigt, die Initiative sei abwartend gewesen. Ein Nachlassen der Initiative habe sich nicht beobachten lassen, das Erregungsniveau sei niedrig, eine vermehrte Wachsamkeit und eine Schreckhaftigkeit seien nicht nachweisbar. Die Affektivität/Emotionalität sei deutlich herabgestimmt, die Stimmung skeptisch, pessimistisch und moros. Die Primäraffekte seien eingeschränkt nachweisbar zum depressiven Pol verschoben. Das Affektverhalten sei teilnahmslos und flach. Eine Abstumpfung der Gefühle sei nachweisbar, eine Affektlabilität habe sich bei der Schilderung des Todes eines Kollegen gezeigt. Im Affektbereich bestehe ein kaum schwingungsfähiges Affektverhalten, eine vermehrte Ängstlichkeit sei nicht nachweisbar.

Das formale Denken und der Denkablauf seien Ichbezogen gewesen, eine Umstellungserschwernis bestehe. Der Gedankengang sei geordnet, Auffälligkeiten hätten sich keine ergeben. Zeichen von Verlangsamung im Denken bestünden nicht. Das inhaltliche Denken sei von leichten Auffälligkeiten geprägt. Der Kläger habe von Ufos berichtet und von seiner Überzeugung, „Gülen-Verschwörer“ zu erkennen. Andere Wahnwahrnehmungen oder Zwangsideen hätten nicht nachgewiesen werden können.

Im klinischen Befund hätten sich keine Hinweise auf eine mnestische Störung ergeben, die Auffassung habe sich als etwas begriffsstutzig dargestellt. Die Konzentration sei während der Untersuchung anhaltend gewesen, die Merkfähigkeit habe keine Auffälligkeiten gezeigt. Das Gedächtnis sei in Bezug auf das Alt- und Neugedächtnis ohne Befund, Lücken in der Erinnerung seien verneint worden. Die Reproduktionsfähigkeit sei mühsam, aber vollständig. Es habe ein sicheres Auffassungs- und gutes Durchhaltevermögen bestanden. Für eine Beeinträchtigung der Intelligenz habe sich kein Anhalt ergeben. Es seien aktuell eine mittelschwere Störung von Krankheitswert der Persönlichkeit und eine Depression nachweisbar.

Der beschriebene Tagesablauf am Vortrag sei strukturiert und ohne Auffälligkeiten. Die neurologische Untersuchung habe einen regelrechten Befund bei demonstrierten schmerzhaften Bewegungseinschränkungen gezeigt.

Die Fremdbeurteilung habe eine deutliche Beeinträchtigung durch Beschwerden entsprechend einem ambulanten Psychotherapieklientel ergeben, eine geringe Belastungen durch Angst und eine moderate Belastung durch Depression. Hinweise auf eine psychoreaktive Störung hätten nicht bestanden, ein organisches Psychosyndrom sei nicht nachzuweisen. Die Korrelation zwischen Selbst- und Fremdbeurteilung, dem klinischen Beschwerdevortrag, dem psychischen Befund sowie der Schilderung des Alltags sei geprägt von Inkonsistenzen.

Auf neurologischen Gebiet habe sich ein klinisch unauffälliger Befund gezeigt, in der Anamnese sei ein Karpaltunnelsyndrom und eine Migräne ohne Aura im Sinne eines Kombinationskopfschmerzes mit einer Frequenz von 8 bis 10 Tagen im Monat angegeben worden. Für letzteres sei ein GdB von 20 vorzuschlagen.

Auf psychiatrischem Fachgebiet habe die Untersuchung Hinweise auf paranoide Erlebnisweisen mit überwertigen Ideen im Sinne einer paranoiden Persönlichkeitsstruktur an der Grenze zur Persönlichkeitsstörung sowie eine wiederholte depressive Störung, aktuell leicht bis mittelgradig, sowie Schlafstörungen ergeben. Die Familienanamnese ergebe den Selbstmord zweier Onkel. Eine erstmalige depressive Episode sei 2003 sowie eindeutig 2020 dokumentiert, sodass am Vorliegen einer rezidivierenden depressiven Störung kein Zweifel bestehe. Daneben sei die Gedankenwelt geprägt von „alternativen Fakten“ im Sinne von überwertigen Ideen bei eindeutigen Hinweise auf eine paranoide Persönlichkeitsstruktur. Das Vollbild einer paranoid-halluzinatorischen Psychose lasse sich nicht nachweisen, der Kläger sei teilweise distanziert von seinen Vorstellungen. Die Störung sei „Ich-synton“, werde also nicht als Krankheit erkannt. Die Prognose sei unklar.

Ob und inwieweit Schmerzen über den somatischen Befund hinausgingen, erscheine angesichts der groben psychopathologischen Auffälligkeiten mit paranoider Persönlichkeitsstruktur und Depression schwierig zu entscheiden. Es sei auch möglich, dass eine Verstärkung der Schmerzen durch das depressive Erleben bedingt sei. Allerdings falle im Beschwerdevortrag eine deutliche Somatisierung auf, wobei körperliche Probleme überbetont und psychische Probleme unterbetont würden.

Aus gutachterlicher Sicht entspreche die paranoide Persönlichkeitsstruktur und die rezidivierende depressive Störung, aktuell leicht bis mittelgradig, einer stärker behindernden Störung mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit bzw. einer affektiven Psychose mit leichtgradigen sozialen Anpassungsstörungen. Dabei sei auf die Doppelerkrankung der Persönlichkeit und der augenscheinlich familiär nachweisbaren Depression im Sinne einer „Double-Symptomatik“ hinzuweisen, weshalb ein GdB von 40 vorgeschlagen werde. Es bestehe eine erhebliche Überlappung zu den Beschwerden auf orthopädischem Gebiet, da von einer Verstärkung der orthopädischen Beschwerden durch die Depression auszugehen sei.

Auf psychiatrischem Fachgebiet zeige sich eine erhebliche Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit mit durchgehenden leichten sozialen Anpassungsstörungen überwiegend durch die paranoide Persönlichkeitsstruktur bei aktuell eher leichtgradigen sozialen Problemen. Durch die inhaltlichen Denkstörungen und die vom Kläger als besonderes wahrgenommenen Fähigkeiten ergäben sich erhebliche Einschränkungen im sozialen Leben. Dabei würden die psychische Störung eher bagatellisiert und die körperliche Symptomatik überbetont. Hier deuteten sich auch berufliche Konflikte mit dem Ziel der Überforderung an.

Der Gesamt-GdB sei ab Mai 2020 mit 60, davor mit 40 zu bemessen.

Im Nachgang zur Akte gelangt ist der vorläufige Entlassbrief des zfp-N1 über die teilstationäre Behandlung vom 17. Februar bis 31. März 2023. Darin sind als Diagnosen angegeben, eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig schwere Episode ohne psychotische Symptome, psychische und Verhaltensstörungen durch Opioide und eigenanamnestisch ein Abhängigkeitssyndrom. Bei Aufnahme habe der Kläger berichtet, dass in der letzten Zeit viel Negatives passiert sei. Es habe viele Todesfälle in der Familie sowie viele „negative Stiche im Rücken“ von seinen Verwandten gegeben. Er fühle sich von seinem Arbeitgeber schikaniert, da alle seine Vorschläge nicht anerkannt worden seien. Er sei schwer enttäuscht.

Psychisch sei das Erscheinungsbild ausreichend gepflegt, im Kontaktverhalten sei der Kläger vertrauensvoll. Intoxikations- oder Entzugserscheinungen bestünden keine. Er sei wach und bewusstseinsklar, zu allen Qualitäten orientiert. Das Sprechverhalten sei unauffällig, der Kläger habe das Gespräch mit der Empfehlung angefangen, die Arbeit mehr zu modernisieren. Die Konzentration sei schwer auf seine Arbeitssituation eingeschränkt, das formale Denken umständlich. Er fühle sich von seiner Verwandtschaft ungerecht behandelt. Es bestehe der Verdacht auf überwertige Ideen. Der Kläger berichte von vielen Verbesserungsvorschlägen, die er seinem Arbeitgeber gemacht habe. Er habe dafür keine Belohnung erhalten, sondern sei versetzt worden. Der Kläger sei verzweifelt, bei überschießendem Affekt. Neuropsychologische Defizite hätten sich keine gezeigt.

Der Kläger sei in das multimodale Therapiekonzept integriert worden. Er habe an Sport-, Bewegungs-, Ergo- und Kunsttherapie teilgenommen. Ein Aufbau einer positiven Tagesstrukturierung als antidepressive Maßnahme und Strategien zur Antriebsverbesserung seien verhaltenstherapeutisch besprochen worden. Eine Stressvermeidung als Vorbeugung gegen depressive Stimmungen im beruflichen Umfeld sei ebenfalls aufgearbeitet worden. Der Schlaf und die Stimmung hätten sich leicht gebessert. Ein Leiden unter Schmerzsymptomatik sei im teilstationären Setting auffällig gewesen. Die Entlassung sei in stabilisiertem Zustand erfolgt.

Der Beklagte hat sein Vergleichsangebot auf Feststellung eines GdB von 40 weiter aufrechterhalten und die versorgungsärztliche Stellungnahme des. B5 vorgelegt. Soweit M3 eine paranoide Persönlichkeitsstruktur diagnostiziere, sei diese zwar nachvollziehbar, jedoch handele es sich noch nicht um eine manifeste Persönlichkeitsstörung. Eine wiederkehrende depressive Störung könne mit paranoiden Phasen einhergehen, ohne dass schon von überwertiger Gedankenbildung im Sinne einer Schizophrenie gesprochen werden könne. Symptome einer endogenen Psychose seien nicht zu verifizieren.

Beurteilungsgrundlage für die Einschätzung des GdB seien nicht vom Betroffenen angegebene Befindlichkeitsstörungen jeder Art, Geschichten und Erzählungen – wie z.B. das dreimalige Sehen von UFO’s – Krankheitsdiagnosen oder Krankheitsverdachtsdiagnosen, sondern das tatsächlich objektivierte Funktionsdefizit in allen Lebenslagen. Weiter stelle der Sachverständige Inkonsistenzen fest, berichte über eine Aggravation und beschreibe die Motivation zur Untersuchung als gering.

Für die genannten Beeinträchtigungen komme im Durchschnitt als höchster Rahmenwert nur ein Teil-GdB von 40 in Betracht, das Begutachtungskriterium „mittelgradige soziale Anpassungsschwierigkeiten“ erfülle der Kläger auch nach den Ausführungen des Sachverständigen nicht. Wenn die Funktionseinschränkungen mindestens mittelschwer seien, betrage der Teil-GdB 40. Das von dem Sachverständigen aus Angaben des Klägers beschriebene Karpaltunnelsyndrom und die Migräne erreichten noch nicht das Ausmaß einer Behinderung und hätten keinen Einfluss auf die Höhe des Gesamt-GdB.

Der Kläger hat das Vergleichsangebot erneut abgelehnt und den Entlassungsbericht des psychiatrischen Behandlungszentrums B1 über die stationäre Behandlung vom 30. Dezember 2022 bis 16. Februar 2023 vorgelegt. Darin wurde als Diagnose eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig schwere Episode ohne psychotische Symptome beschrieben. Bei Aufnahme sei das Erscheinungsbild gepflegt gewesen, der Kläger im Kontaktverhalten offen und freundlich. Er sei wach und bewusstseinsklar, zu allen Qualitäten orientiert. Es bestünden keine Sprach- und Sprechstörungen, keine Störung der kognitiven Funktionen und keine Störung des formalen sowie inhaltlichen Denkens. Befürchtungen und Zwänge seien nicht vorhanden, Sinnestäuschungen nicht zu eruieren. Der Kläger sei depressiv verstimmt, affektverflacht und antriebsarm bei unauffälliger Psychomotorik. Körperlich sei die Wirbelsäule frei beweglich ohne Klopfschmerz, neurologisch bestehe kein Hinweis auf manifeste oder latente Paresen. Die grobe Kraft sei beidseits seitengleich erhalten, das Gangbild sicher.

Im stationären Setting habe sich eine gedrückte Stimmungslage gezeigt. Die Schlafstörungen seien stark ausgeprägt gewesen. An dem Therapieprogramm habe der Kläger motiviert teilgenommen, es hätten regelmäßige stützende und motivierende Gespräche stattgefunden. Eine psychosomatische Rehabilitation sei beantragt worden, eine anschließende teilstationäre Behandlung vorgesehen.

Mit Urteil aufgrund mündlicher Verhandlung vom 14. September 2023 hat das SG den Bescheid vom 7. August 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. November 2020 aufgehoben und den Beklagten verpflichtet, einen Grad der Behinderung von 40 seit dem 23. April 2019 festzustellen. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen.

Die Klage sei begründet, soweit kein GdB von 40 festgestellt worden sei. Ein solcher von 50 könne nicht beansprucht werden. Der Kläger leide an einer depressiven Störung unterschiedlichen Schweregrades und einem chronifizierten Schmerzsyndrom. Wegen beider Erkrankungen seien bisher mehrere ambulante, teilstationäre und stationäre Behandlungen erfolgt. Die wesentliche Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit sei, in Übereinstimmung mit den versorgungsärztlichen Einschätzungen, mit einem Teil-GdB von 40 zu bewerten. Denn trotz der vielfach dokumentierten Einschränkungen sei der Kläger in der Lage, seinen aktuellen Beruf im Schichtbetrieb auszuüben. Es finde auch kein vollständiger sozialer Rückzug statt, denn es bestünden noch Kontakte innerhalb der Familie. Ebenso liege kein vollständiger Rückzug von angenehmen Unternehmungen vor, so sei der Kläger immer noch in der Lage, regelmäßig seinen Jahresurlaub in der Türkei zu verbringen und Spaziergänge mit seiner Ehefrau zu unternehmen. Von dem Teil-GdB von 40 sei die von M3 beschriebene Störung der paranoiden Persönlichkeitsstruktur umfasst. Wie B5 (versorgungsärztlich) erachte auch die Kammer die Ausführungen des Sachverständigen für nicht schlüssig. Denn trotz der paranoiden Persönlichkeitsstruktur sei es dem Kläger über Jahrzehnte möglich gewesen, seinen Beruf auszuüben und dauerhafte Symptome einer Psychose seien, so B5, nicht gegeben. Zudem habe M3 selbst angegeben, dass aktuell eher leichtgradige soziale Probleme bestünden. Der Teil-GdB von 40 umfasse weiter die beklagte Migräne.

Im Funktionssystem „Rumpf“ sei ein Teil-GdB von 20 angemessen, da im Bereich der HWS von mittelschweren Beeinträchtigungen auszugehen sei. Der von dem behandelnden G1 angenommene Teil-GdB von 30 entspreche nicht den Bewertungsvorgaben, sodass dem nicht gefolgt werden könne. Durch den Teil-GdB von 20 werde der Teil-GdB im Funktionssystem „Gehirn einschließlich Psyche“ nicht erhöht.

Am 10. Oktober 2023 hat der Kläger Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingelegt. Der Teil-GdB im Funktionssystem „Rumpf“ müsse jedenfalls erhöhend wirken. M3 habe Nervendehnungszeichen beschrieben und K1 Bewegungseinschränkungen in mehreren Wirbelsäulenabschnitten befundet. Die Migräne müsse zusätzlich erhöhend berücksichtigt werden.




Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 14. September 2023 abzuändern und den Beklagten zu verpflichten, unter Aufhebung des Bescheides vom 7. August 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. November 2020 sowie unter weiterer Rücknahme des Bescheides vom 8. Oktober 2018 einen Grad der Behinderung von mindestens 50 seit dem 23. April 2019, hilfsweise seit Mai 2020 festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

            die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Er verweist auf die angefochtene Entscheidung.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Verwaltungs- und Gerichtsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die form- und fristgerecht (§ 151 Sozialgerichtsgesetz [SGG]) eingelegte Berufung des Klägers, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 124 Abs. 2 SGG), ist statthaft (§§ 143, 144 SGG) und auch im Übrigen zulässig, aber unbegründet.


Streitgegenstand des Berufungsverfahrens ist das Urteil des SG vom 14. September 2023, soweit damit die kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1 SGG) auf Feststellung eines höheren GdB als 40 unter Aufhebung des Bescheides vom 7. August 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides (§ 95 SGG) vom 30. November 2020 sowie unter teilweiser weiterer Rücknahme des Bescheides vom 8. Oktober 2018 abgewiesen hat. Soweit das SG den Beklagten zur Feststellung eines GdB von 40 seit dem 23. April 2019 verpflichtet hat, ist weder Berufung- noch Anschlussberufung eingelegt worden, sodass das Urteil insoweit rechtskräftig geworden ist.

Maßgebender Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist bei dieser Klageart grundsätzlich der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in den Tatsacheninstanzen (vgl. BSG, Urteil vom 2. September 2009 – B 6 KA 34/08 –, juris, Rz. 26; Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, Kommentar zum SGG, 14. Aufl. 2023, § 54 Rz. 34), ohne eine solche derjenige der Entscheidung.

Die Unbegründetheit der Berufung folgt aus der Unbegründetheit der Klage im streitigen Umfang. Der Bescheid vom 7. August 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. November 2020 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 54 Abs. 1 Satz 2 SGG). Auch zur Überzeugung des Senats kann der Kläger die höhere Neufeststellung des GdB mit mehr als 40, wie sie sich aus der Entscheidung des SG bereits ergibt, nicht beanspruchen. Das SG hat die Klage daher zu Recht im Übrigen abgewiesen.


Rechtsgrundlage des angefochtenen Bescheides ist § 48 Abs. 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X). Danach ist, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Gemäß § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X soll der Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit die Änderung zugunsten der Betroffenen erfolgt (§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB X). Dabei liegt eine wesentliche Änderung vor, soweit der Verwaltungsakt nach den nunmehr eingetretenen tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen nicht mehr so erlassen werden dürfte, wie er ergangen war. Die Änderung muss sich nach dem zugrundeliegenden materiellen Recht auf den Regelungsgehalt des Verwaltungsaktes auswirken. Das ist bei einer tatsächlichen Änderung nur dann der Fall, wenn diese so erheblich ist, dass sie rechtlich zu einer anderen Bewertung führt. Von einer wesentlichen Änderung im Gesundheitszustand ist auszugehen, wenn diese einen um wenigstens 10 veränderten Gesamt-GdB rechtfertigt (vgl. BSG, Urteil vom 11. November 2004 – B 9 SB 1/03 R –, juris, Rz. 12). Im Falle einer solchen Änderung ist der Verwaltungsakt – teilweise – aufzuheben und durch die zutreffende Bewertung zu ersetzen (vgl. BSG, Urteil vom 22. Oktober 1986 – 9a RVs 55/85 –, juris, Rz. 11 m. w. N.). Die Feststellung einer wesentlichen Änderung setzt einen Vergleich der Sach- und Rechtslage bei Erlass des – teilweise – aufzuhebenden Verwaltungsaktes und zum Zeitpunkt der Überprüfung voraus (vgl. BSG, Urteil vom 2. Dezember 2010 – B 9 V 2/10 R –, SozR 4-3100 § 35 Nr. 5, Rz. 38 m. w. N.).

Diese Voraussetzungen sind auch zur Überzeugung des Senats nicht weitergehend erfüllt, als vom SG bereits berücksichtigt. Eine weitere Änderung gegenüber dem maßgebenden Vergleichsbescheid vom 8. Oktober 2018, die eine noch höhere Neufeststellung des GdB rechtfertigt, liegt nicht vor.

Der Anspruch richtet sich nach § 152 Abs. 1 und 3 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) in der aktuellen, seit 1. Januar 2018 geltenden Fassung durch Art. 1 und 26 Abs. 1 des Gesetzes zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen (Bundesteilhabegesetz - BTHG) vom 23. Dezember 2016 (BGBl I S. 3234). Danach stellen auf Antrag des Menschen mit Behinderung die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den GdB zum Zeitpunkt der Antragstellung fest (§ 152 Abs. 1 Satz 1 SGB IX). Auf Antrag kann festgestellt werden, dass ein GdB bereits zu einem früheren Zeitpunkt vorgelegen hat (§ 152 Abs. 1 Satz 2 SGB IX). Menschen mit Behinderungen sind nach § 2 Abs. 1 Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können (Satz 1). Eine Beeinträchtigung nach Satz 1 liegt vor, wenn der Körper- und Gesundheitszustand von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht (Satz 2). Menschen sind im Sinne des Teils 3 des SGB IX schwerbehindert, wenn bei ihnen ein GdB von wenigstens 50 vorliegt und sie ihren Wohnsitz, ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder ihre Beschäftigung auf einem Arbeitsplatz im Sinne des § 156 SGB IX rechtmäßig im Geltungsbereich dieses Gesetzbuches haben. Die Auswirkungen der Behinderung auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als GdB nach Zehnergraden abgestuft festgestellt (§ 152 Abs. 1 Satz 5 SGB IX). Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die Grundsätze aufzustellen, die für die Bewertung des GdB maßgebend sind, die nach Bundesrecht im Schwerbehindertenausweis einzutragen sind (§ 153 Abs. 2 SGB IX). Nachdem noch keine Verordnung nach § 153 Abs. 2 SGB IX erlassen ist, gelten die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 BVG und der aufgrund des § 30 Abs. 16 BVG erlassenen Rechtsverordnungen, somit die am 1. Januar 2009 in Kraft getretene Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, des § 30 Abs. 1 und des § 35 Abs. 1 BVG (Versorgungsmedizin-Verordnung – VersMedV) vom 10. Dezember 2008 (BGBl I S. 2412), entsprechend (§ 241 Abs. 5 SGB IX). Die zugleich in Kraft getretene, auf der Grundlage des aktuellen Standes der medizinischen Wissenschaft unter Anwendung der Grundsätze der evidenzbasierten Medizin erstellte und fortentwickelte Anlage „Versorgungsmedizinische Grundsätze“ (VG) zu § 2 VersMedV ist an die Stelle der bis zum 31. Dezember 2008 heranzuziehenden „Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im Sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht“ (AHP) getreten. In den VG wird der medizinische Kenntnisstand für die Beurteilung von Behinderungen wiedergegeben (BSG, Urteil vom 1. September 1999 – B 9 V 25/98 R –, SozR 3-3100 § 30 Nr. 22). Hierdurch wird eine für den Menschen mit Behinderung nachvollziehbare, dem medizinischen Kenntnisstand entsprechende Festsetzung des GdB ermöglicht.

Allgemein gilt, dass der GdB auf alle Gesundheitsstörungen, unabhängig ihrer Ursache, final bezogen ist. Der GdB ist ein Maß für die körperlichen, geistigen, seelischen und sozialen Auswirkungen einer Funktionsbeeinträchtigung aufgrund eines Gesundheitsschadens. Ein GdB setzt stets eine Regelwidrigkeit gegenüber dem für das Lebensalter typischen Zustand voraus. Dies ist insbesondere bei Kindern und älteren Menschen zu beachten. Physiologische Veränderungen im Alter sind bei der Beurteilung des GdB nicht zu berücksichtigen. Als solche Veränderungen sind die körperlichen und psychischen Leistungseinschränkungen anzusehen, die sich im Alter regelhaft entwickeln, also für das Alter nach ihrer Art und ihrem Umfang typisch sind. Demgegenüber sind pathologische Veränderungen, also Gesundheitsstörungen, die nicht regelmäßig und nicht nur im Alter beobachtet werden können, bei der Beurteilung des GdB auch dann zu berücksichtigen, wenn sie erstmalig im höheren Alter auftreten oder als „Alterskrankheiten“ (etwa „Altersdiabetes“ oder „Altersstar“) bezeichnet werden (VG, Teil A, Nr. 2 c). Erfasst werden die Auswirkungen in allen Lebensbereichen und nicht nur die Einschränkungen im allgemeinen Erwerbsleben. Da der GdB seiner Natur nach nur annähernd bestimmt werden kann, sind beim GdB nur Zehnerwerte anzugeben. Dabei sollen im Allgemeinen Funktionssysteme zusammenfassend beurteilt werden (VG, Teil A, Nr. 2 e). Liegen mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, so wird nach § 152 Abs. 3 SGB IX der GdB nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt. Bei mehreren Funktionsbeeinträchtigungen sind zwar zunächst Teil-GdB anzugeben; bei der Ermittlung des Gesamt-GdB durch alle Funktionsbeeinträchtigungen dürfen jedoch die einzelnen Werte nicht addiert werden. Auch andere Rechenmethoden sind für die Bildung eines Gesamt-GdB ungeeignet. Bei der Beurteilung des Gesamt-GdB ist in der Regel von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Teil-GdB bedingt und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Die Beziehungen der Funktionsbeeinträchtigungen zueinander können unterschiedlich sein. Die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen können voneinander unabhängig sein und damit ganz verschiedene Bereiche im Ablauf des täglichen Lebens betreffen. Eine Funktionsbeeinträchtigung kann sich auf eine andere besonders nachteilig auswirken, vor allem dann, wenn Funktionsbeeinträchtigungen paarige Gliedmaßen oder Organe betreffen. Funktionsbeeinträchtigungen können sich überschneiden. Eine hinzutretende Gesundheitsstörung muss die Auswirkung einer Funktionsbeeinträchtigung aber nicht zwingend verstärken. Von Ausnahmefällen abgesehen, führen leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung. Dies gilt auch dann, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen. Auch bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen.

Der Gesamt-GdB ist nicht nach starren Beweisregeln, sondern aufgrund richterlicher Erfahrung, gegebenenfalls unter Hinzuziehung von Sachverständigengutachten, in freier richterlicher Beweiswürdigung festzulegen (vgl. BSG, Urteil vom 11. November 2004 – B 9 SB 1/03 R –, juris, Rz. 17 m. w. N.). Dabei ist zu berücksichtigen, dass die auf der ersten Prüfungsstufe zu ermittelnden nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen und die sich daraus abzuleitenden Teilhabebeeinträchtigungen ausschließlich auf der Grundlage ärztlichen Fachwissens festzustellen sind. Bei den auf zweiter und dritter Stufe festzustellenden Teil- und Gesamt-GdB sind über die medizinisch zu beurteilenden Verhältnisse hinaus weitere Umstände auf gesamtgesellschaftlichem Gebiet zu berücksichtigen (vgl. BSG, Beschluss vom 9. Dezember 2010 – B 9 SB 35/10 B –, juris, Rz. 5).

Eine rechtsverbindliche Entscheidung nach § 152 Abs. 1 Satz 1 SGB IX umfasst nur die Feststellung einer unbenannten Behinderung und des Gesamt-GdB. Die dieser Feststellung im Einzelfall zugrundeliegenden Gesundheitsstörungen, die daraus folgenden Funktionsbeeinträchtigungen und ihre Auswirkungen dienen lediglich der Begründung des Verwaltungsaktes und werden nicht bindend festgestellt (BSGE 82, 176 [177 f.]). Der Teil-GdB ist somit keiner eigenen Feststellung zugänglich. Er erscheint nicht im Verfügungssatz des Verwaltungsaktes und ist nicht isoliert anfechtbar. Es ist somit auch nicht entscheidungserheblich, ob von Seiten des Beklagten oder der Vorinstanz Teil-GdB-Werte in anderer Höhe als im Berufungsverfahren vergeben worden sind, wenn der Gesamt-GdB hierdurch nicht beeinflusst wird.

In Anwendung dieser durch den Gesetz- und Verordnungsgeber vorgegebenen Grundsätze sowie unter Beachtung der höchstrichterlichen Rechtsprechung steht zur Überzeugung des Senats fest, dass der GdB nicht mehr als 40 beträgt.

Die einzig bewertungsrelevanten Funktionseinschränkungen liegen bei dem Kläger im Funktionssystem „Gehirn einschließlich Psyche“, das mit dem vom Beklagten gesehenen Teil-GdB von 40 bereits maximal bewertet ist.


Nach den VG, Teil B, Nr. 3.7 begründen Neurosen, Persönlichkeitsstörungen, Folgen psychischer Traumen in Form leichterer psychovegetativer oder psychischer Störungen einen GdB von 0 bis 20, stärkere Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit (z. B. ausgeprägtere depressive, hypochondrische, asthenische oder phobische Störungen, Entwicklungen mit Krankheitswert, somatoforme Störungen) einen GdB von 30 bis 40, schwere Störungen (z. B. schwere Zwangskrankheit) mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten einen GdB von 50 bis 70 und mit schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten einen GdB von 80 bis 100. Die funktionellen Auswirkungen einer psychischen Erkrankung, insbesondere wenn es sich um eine affektive oder neurotische Störung nach F30.- oder F40.- ICD-10 GM handelt, manifestieren sich dabei im psychisch-emotionalen, körperlich-funktionellen und sozial-kommunikativen Bereich (vgl. Philipp, Vorschlag zur diagnoseunabhängigen Ermittlung der MdE bei unfallbedingten psychischen bzw. psychosomatischen Störungen, MedSach 6/2015, S. 255 ff.). Diese drei Leidensebenen hat auch das Bundessozialgericht in seiner Rechtsprechung angesprochen (vgl. BSG, Beschluss vom 10. Juli 2017 – B 9 V 12/17 B –, juris, Rz. 2). Dabei ist für die GdB-Bewertung, da diese die Einbußen in der Teilhabe am Leben in der (allgemeinen) Gesellschaft abbilden soll, vor allem die sozial-kommunikative Ebene maßgeblich (vgl. Senatsurteil vom 12. Januar 2017 – L 6 VH 2746/15 –, juris, Rz. 61). Bei dieser Beurteilung ist auch der Leidensdruck zu würdigen, dem sich der behinderte Mensch ausgesetzt sieht, denn eine „wesentliche Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit“ meint schon begrifflich eher Einschränkungen in der inneren Gefühlswelt, während Störungen im Umgang mit anderen Menschen eher unter den Begriff der „sozialen Anpassungsschwierigkeiten“ fallen, der ebenfalls in den VG genannt ist. Die Stärke des empfundenen Leidensdrucks äußert sich nach ständiger Rechtsprechung des Senats auch und maßgeblich in der Behandlung, die der Betroffene in Anspruch nimmt, um das Leiden zu heilen oder seine Auswirkungen zu lindern. Hiernach kann bei fehlender ärztlicher oder der gleichgestellten (§§ 27 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 28 Abs. 3 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch – Krankenversicherung) psychotherapeutischen Behandlung durch – bei gesetzlich Versicherten zugelassene – Psychologische Psychotherapeuten in der Regel nicht davon ausgegangen werden, dass ein diagnostiziertes seelisches Leiden über eine leichtere psychische Störung hinausgeht und bereits eine stärker behindernde Störung im Sinne der GdB-Bewertungsgrundsätze darstellt (Senatsurteil vom 22. Februar 2018 – L 6 SB 4718/16 –, juris, Rz. 42; vgl. auch LSG Baden- Württemberg, Urteil vom 17. Dezember 2010 – L 8 SB 1549/10 –, juris, Rz. 31).

Hiervon ausgehend ist mehr als eine stärker behindernde Störung mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit nicht objektiviert. Die Berücksichtigung der psychischen Einschränkungen am oberen Rahmen der Bewertungsvorgabe trägt dem Umstand, dass der Kläger medikamentös und psychotherapeutisch ambulant wie auch wiederholt stationär behandelt wird, ausreichend Rechnung. Angesichts der Tatsache, dass gerade im stationären Umfeld, aber auch durch die Sachverständigen ein im Weitesten normaler Status beschrieben wird, erweist sich die versorgungsärztlich gesehene Ausschöpfung des Bewertungsrahmens, die der Sachverständige M3 so bestätigt hat, schon als großzügig. Hierauf hat S2 versorgungsärztlich zutreffend bereits im Verwaltungsverfahren hingewiesen.

Der Sachverständige hat nämlich einen regelrechten Befund erhoben. So hat er den Kläger als bewusstseinsklar, zu Ort, Zeit und Person sowie Situation orientiert beschrieben. Es bestand keine Bewusstseinseinengung und ein nur mäßig reduzierter Antrieb. Den Gedankengang beschreibt er als geordnet, eine Verlangsamung des Denkens verneint er und im inhaltlichen Denken sieht er nur leichte Auffälligkeiten. Konzentration, Merkfähigkeit und Gedächtnis sieht er damit einhergehend als unbeeinträchtigt an. Passend hierzu weist er selbst darauf hin, dass der geschilderte Tagesablauf strukturiert und ohne Auffälligkeiten gewesen ist. Die Korrelation zwischen Selbst- und Fremdbeurteilung, dem klinischen Beschwerdevortrag und dem psychischen Befund sieht der Gutachter als von Inkonsistenten geprägt und die Motivation zur Untersuchung als niedrig an, was er bei seiner Bewertung indessen nicht würdigt.

Hierzu hätte aber schon deshalb Veranlassung bestanden, worauf das SG bereits zu Recht hingewiesen hat, als ein erhaltenes Interessenspektrum vorhanden ist. So hat der Kläger über regelmäßige Spaziergänge sowie jährliche Fernreisen in die Türkei berichtet, wo er über ein eigenes Haus verfügt. In diesem Zusammenhang ist der Aktenlage zu entnehmen, dass sich der Kläger unmittelbar im Vorfeld der Begutachtung wiederum über vier Wochen im Urlaub befunden hat und deshalb nicht hat begutachten werden können, ein Umstand, den M3 in keiner Weiser hinterfragt, sondern unkritisch die Behauptung des Klägers übernommen hat, dass er den letzten Urlaub im Sommer 2021 gemacht habe. Weiter hat der Kläger berichtet, regelmäßig fern zu sehen und gelegentlich den Computer zu benutzen, sodass eine Mediennutzung belegt ist, sowie einen Freundes- und Bekanntenkreis zu haben, sodass auch soziale Kontakte bestehen. Soweit der Kläger mangelnde Fürsorge durch seine Söhne beklagt hat, überzeugt dies schon deshalb nicht, weil er andererseits erzählt hat, von seinem Sohn zur Arbeit gefahren zu werden. Weiter sind familiäre Treffen im Rahmen von Feierlichkeiten angegeben worden sowie, dass der Kläger am Wochenende zum Kaffeetrinken geht.

Weiterhin sind der Aktenlage deutliche Anhaltspunkte dafür zu entnehmen, dass insbesondere die stationären Aufenthalte jeweils im unmittelbaren Zusammenhang mit einer Unzufriedenheit am Arbeitsplatz standen (vgl. den Befundbericht des S3, den Entlassungsbericht des Universitätsklinikums T1, das Sachverständigengutachten des M3, den Entlassungsbericht des zfp-N1), sodass aus diesen allein nicht auf die Schwere der Erkrankung geschlossen werden kann. Passend hierzu hat der Kläger auch mehrfach bekundet, bei einer erneuten Umsetzung am Arbeitsplatz einen Rentenantrag stellen zu wollen und das Ziel zu haben, schnellstmöglich aus dem Erwerbsleben auszuscheiden.

Aus dem letzten Entlassungsbericht über die stationäre Behandlung im psychiatrischen Zentrum B1 folgt nichts Anderes. Die dort angegebene Diagnose einer schweren Episode einer rezidivierenden depressiven Störung ist schon anhand des mitgeteilten Befundes nicht schlüssig. Ausgeführt wird nämlich, dass der Kläger von gepflegtem Erscheinungsbild war, sich keine Störungen der kognitiven Funktionen sowie des formalen und inhaltlichen Denkens zeigten. Bei depressiver Verstimmung (ICD-10 F 33.9), was diagnostisch vom Schweregrad etwas völlig Anderes darstellt als eine Störung mit schwerer Episode (ICD-10 F 33.2), wird angegeben, dass die Psychomotorik unauffällig war, der Kläger sich wach, bewusstseinsklar und zu allen Qualitäten orientiert, also normal zeigte.

Sinnestäuschungen werden verneint, soweit M3 Hinweise auf ein paranoides Erleben aufgrund der Schilderungen vermutet hat, sind die Angaben von ihm schon nicht ausreichend kritisch hinterfragt worden. Diesbezüglich hat B5, für den Senat überzeugend, versorgungsärztlich dargelegt, dass nicht von einer manifesten Persönlichkeitsstörung ausgegangen werden kann, sondern vielmehr wiederkehrende depressive Störungen mit paranoiden Phasen einhergehen können, ohne dass deshalb schon von einer überwertigen Gedankenbildung gesprochen werden kann. Im Übrigen weist B5 zu Recht darauf hin, dass bewertungsrelevant nicht angegebene Befindlichkeitsstörungen jeder Art sowie Geschichten und Erzählungen sind, sondern nur das tatsächlich objektivierbare Funktionsdefizit.

Korrespondierend zum klinischen Befund wird im Entlassungsbericht des psychiatrischen Zentrums B1 zum Verlauf berichtet, dass der Kläger am Therapieprogramm motiviert hat teilnehmen können, was ebenfalls gegen schwergradige Einschränkungen spricht. Angaben zu einer die Leistungsfähigkeit zusätzlich einschränkenden Migräne lassen sich dem Entlassungsbericht schon gar nicht entnehmen. Insoweit hat sich M3 ebenfalls nur auf die subjektiven Angaben des Klägers gestützt. Schlüssig hat B5 versorgungsärztlich dazu ausgeführt, dass anhand der dokumentierten Befunde das Ausmaß einer Behinderung durch die Migräne nicht erreicht wird.

Im Funktionssystem „Rumpf“ lässt sich ein Teil-GdB von 20 bereits nicht begründen, jedenfalls würde ein solcher aber aufgrund der versorgungsärztlich zu Recht gesehenen Überschneidungen (vgl. die versorgungsärztlichen Stellungnahmen der U1 und W1) nicht erhöhend wirken.

Nach den VG, Teil B, Nr. 18.1 wird der GdB für angeborene und erworbene Schäden an den Haltungs- und Bewegungsorganen entscheidend bestimmt durch die Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen (Bewegungsbehinderung und Minderbelastbarkeit) sowie die Mitbeteiligung anderer Organsysteme. Die üblicherweise auftretenden Beschwerden sind dabei mitberücksichtigt. Außergewöhnliche Schmerzen sind gegebenenfalls zusätzlich zu werten (vgl. VG, Teil A, Nr. 2 j). Schmerzhafte Bewegungseinschränkungen der Gelenke können schwerwiegender als eine Versteifung sein. Bei Haltungsschäden und/oder degenerativen Veränderungen an Gliedmaßengelenken und an der Wirbelsäule (z. B. Arthrose, Osteochondrose) sind auch Gelenkschwellungen, muskuläre Verspannungen, Kontrakturen oder Atrophien zu berücksichtigen. Mit bildgebenden Verfahren festgestellte Veränderungen (z. B. degenerativer Art) allein rechtfertigen noch nicht die Annahme eines GdB. Ebenso kann die Tatsache, dass eine Operation an einer Gliedmaße oder an der Wirbelsäule (z. B. Meniskusoperation, Bandscheibenoperation, Synovialektomie) durchgeführt wurde, für sich allein nicht die Annahme eines GdB begründen. Bei den entzündlich-rheumatischen Krankheiten sind unter Beachtung der Krankheitsentwicklung neben der strukturellen und funktionellen Einbuße die Aktivität mit ihren Auswirkungen auf den Allgemeinzustand und die Beteiligung weiterer Organe zu berücksichtigen.

Nach den VG, Teil B, Nr. 18.9 ergibt sich der GdB bei angeborenen und erworbenen Wirbelsäulenschäden (einschließlich Bandscheibenschäden, Scheuermann-Krankheit, Spondylolisthesis, Spinalkanalstenose und dem so genannten „Postdiskotomiesyndrom“) primär aus dem Ausmaß der Bewegungseinschränkung, der Wirbelsäulenverformung und -instabilität sowie aus der Anzahl der betroffenen Wirbelsäulenabschnitte. Der Begriff Instabilität beinhaltet die abnorme Beweglichkeit zweier Wirbel gegeneinander unter physiologischer Belastung und die daraus resultierenden Weichteilveränderungen und Schmerzen. So genannte „Wirbelsäulensyndrome“ (wie Schulter-Arm-Syndrom, Lumbalsyndrom, Ischialgie sowie andere Nerven- und Muskelreizerscheinungen) können bei Instabilität und bei Einengungen des Spinalkanals oder der Zwischenwirbellöcher auftreten. Für die Bewertung von chronisch-rezidivierenden Bandscheibensyndromen sind aussagekräftige anamnestische Daten und klinische Untersuchungsbefunde über einen ausreichend langen Zeitraum von besonderer Bedeutung. Im beschwerdefreien Intervall können die objektiven Untersuchungsbefunde nur gering ausgeprägt sein.

Wirbelsäulenschäden ohne Bewegungseinschränkung oder Instabilität haben einen GdB von 0 zur Folge. Gehen diese mit geringen funktionellen Auswirkungen (Verformung, rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität geringen Grades, seltene und kurz-dauernd auftretende leichte Wirbelsäulensyndrome) einher, ist ein GdB von 10 gerechtfertigt. Ein GdB von 20 ist bei mittelgradigen funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität mittleren Grades, häufig rezidivierende und über Tage andauernde Wirbelsäulensyndrome) vorgesehen. Liegen schwere funktionelle Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt vor (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität schweren Grades, häufig rezidivierende und Wochen andauernde ausgeprägte Wirbelsäulensyndrome) ist ein Teil-GdB von 30 angemessen. Ein GdB-Rahmen von 30 bis 40 ist bei mittelgradigen bis schweren funktionellen Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten vorgesehen. Besonders schwere Auswirkungen (etwa Versteifung großer Teile der Wirbelsäule; anhaltende Ruhigstellung durch Rumpforthese, die drei Wirbelsäulenabschnitte umfasst [z.B. Milwaukee-Korsett]; schwere Skoliose [ab ca. 70° nach Cobb]) eröffnen einen GdB-Rahmen von 50 bis 70. Schließlich ist bei schwerster Belastungsinsuffizienz bis zur Geh- und Stehunfähigkeit ein GdB-Rahmen zwischen 80 und 100 vorgesehen. Anhaltende Funktionsstörungen infolge Wurzelkompression mit motorischen Ausfallerscheinungen - oder auch die intermittierenden Störungen bei der Spinalkanalstenose - sowie Auswirkungen auf die inneren Organe (etwa Atemfunktionsstörungen) sind zusätzlich zu berücksichtigen. Bei außergewöhnlichen Schmerzsyndromen kann auch ohne nachweisbare neurologische Ausfallerscheinungen (z. B. Postdiskotomiesyndrom) ein GdB über 30 in Betracht kommen.

Ausgehend von diesen Maßstäben sind wenigstens mittelgradige Funktionseinschränkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt bei dem Kläger nicht objektiviert. Bereits aus dem maßgebenden Vergleichsbefund des G1 ergibt sich nur eine eingeschränkte Beweglichkeit der Wirbelsäule aufgrund von Muskelverspannungen. Neurologische Ausfallerscheinungen wurden sowohl klinisch als auch radiologisch ausgeschlossen. Die MRT der LWS zeigte bei kleinem Bandscheibenvorfall L5/S1 weder eine neuroforaminale noch eine spinale Enge. Passend hierzu beschrieb die Klinik S1 im
Rehabilitationsentlassungsbericht einen FBA von 0 cm, was die fehlenden Bewegungseinschränkungen deutlich unterstreicht, und verneinte einen Druck- oder Klopfschmerz an der Wirbelsäule. Im Labor ergaben sich keine Hinweise auf entzündliche Prozesse, die Rheumaserologie war negativ.

Ebenso gab der G1 in seinem Befundschein nur endgradige Funktionseinschränkungen von BWS und LWS an. Eine wesentliche Änderung in diesem Befund ist zur Überzeugung des Senats nicht eingetreten. Das Universitätsklinikum T1 hat nämlich eine physiologische Körperhaltung mit geradem Aufbau der Wirbelsäule befundet und die grobe Kraft der oberen und unteren Extremitäten als unauffällig. Ebenso hat G1 zwar auf eine zunehmend eingeschränkte Beweglichkeit der Wirbelsäule verwiesen, ohne das indessen durch Funktionsbefunde zu belegen. Neurologische Ausfallerscheinungen hat er weiterhin verneint. Der J1 hat ebenso keine Hinweise auf ein entzündlich-rheumatisches Krankheitsbild objektivieren können. Überzeugend hat S2 daher versorgungsärztlich ausgeführt, dass keine messbaren Bewegungseinschränkungen dokumentiert sind und die normale Bemuskelung gegen langanhaltende Bewegungseinschränkungen spricht.

Soweit G1 demgegenüber in seiner sachverständigen Zeugenauskunft beim SG über mittel- bis schwergradige Einschränkungen der Wirbelsäulenbeweglichkeit berichtet hat, sind von ihm schon keine Bewegungsmaße mitgeteilt worden, die diese Einschätzung belegen und nachvollziehbar machen könnten. Hierauf hat W1 versorgungsärztlich zu Recht hingewiesen.

Die nur geringgradigen Einschränkungen haben sich durch das überzeugende Sachverständigengutachten des K1 bestätigt. Dieser hat an der HWS eine freie Beweglichkeit beschrieben. Hinsichtlich des BWS und LWS mit Zeichen nach Ott von 30:31,5 cm und Schober von 10:13 cm sowie einem FBA sind nur annähernd hälftige Bewegungseinschränkungen beschrieben. Das Zeichen nach Lasèque beschreibt er als negativ und Sensibilitätsstörungen werden von ihm verneint, sodass weiter keine Hinweise auf neurologische Ausfallerscheinungen bestehen. Schlüssig führt er deshalb zusammenfassend aus, dass die funktionellen Auswirkungen, auf die es für die Bewertung des GdB in erster Linie ankommt, nicht ausgeprägt sind und zu keinen deutlichen Bewegungseinschränkungen führen. Wenn er trotzdem meint, aus den geringen bis mittelgradigen Einschränkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten auf einen Teil-GdB von 20 schließen zu können, wird dies den Bewertungsvorgaben nicht gerecht, sodass dem nicht gefolgt werden kann. Dass der von G1 gesehene Teil-GdB von 30 nicht erreicht wird, ist von ihm bestätigt worden.
Nichts anderes folgt aus dem Sachverständigengutachten des M3. Dieser hat selbst auf demonstrierte Bewegungseinschränkungen, eine Aggravationsneigung und auf Inkonsistenten in den Angaben verwiesen, ohne dies entsprechend zu würdigen (vgl. bereits oben). Insbesondere hat er einen muskulären Habitus beschrieben und Hinweise auf eine muskuläre Atrophie verneint, sodass weiter – vgl. die versorgungsärztlichen Ausführungen – keine Zeichen eines relevanten Mindergebrauchs objektiviert sind. Dies ist zuletzt durch den Entlassungsbericht des psychiatrischen Zentrums B1 eindrücklich bestätigt worden, der eine frei bewegliche Wirbelsäule ohne Klopfschmerz und neurologisch ohne Hinweis auf manifeste oder latente Paresen beschreibt.

Bewertungsrelevante Funktionseinschränkungen in weiteren Funktionssystemen bestehen nicht. Soweit Kniebeschwerden geltend gemacht worden sind (Funktionssystem „Beine“, vgl. VG, Teil B, Nr. 18.14), hat K1 eine freie Beweglichkeit beider Kniegelenke für Extension/Flexion mit 0-0-140° befundet, es bestanden keine Anhaltspunkte für eine Synovitis oder Ergussbildung. Korrespondierend hierzu ergibt sich aus dem Entlassungsbericht des psychiatrischen Zentrums B1 ein freies Gangbild. Daneben hat K1 die Hüftgelenksbeweglichkeit (vgl. VG, Teil B, Nr. 18.14) als frei befundet (Streckung/Beugung bis 0-0-130°).


Im Funktionssystem „Arme“ ist kein Teil-GdB festzustellen, nachdem die Schulterbeweglichkeit von K1 für die Vor- und Rückhebung mit 170-040° angegeben worden und damit weit von einer nur möglichen Armvorhebung bis 120° (vgl. VG, Teil B, Nr. 18.13) entfernt ist. Seine anderweitige Einschätzung des GdB wird der vorliegenden Beweglichkeit nicht gerecht und korrespondiert nicht mit den Bewertungsvorgaben. Dies gilt auch deshalb, weil zeitweilige Einschränkungen mit einem Durchschnitts-GdB zu bewerten sind (vgl. VG, Teil B, Nr. 2f).

Letztlich ist kein Teil-GdB im Funktionssystem „Herz und Kreislauf“ (vgl. VG, Teil B, Nr. 9) begründet, nachdem keine pathologischen Befunde objektiviert sind. Der
R1 hat eine KHK vielmehr ausdrücklich ausgeschlossen, die Koronarangiographie im Universitätsklinikum T1 ergab keinen Interventionsbedarf und einen kardiopulmonal stabilen Zustand. Ebenso zeigte sich im Röntgen-Thorax (vgl. den Befundbericht der F2) ein altersentsprechend unauffälliger Befund. Dementsprechend hat W1 versorgungsärztlich überzeugend einen GdB-relevanten Befund verneint.

Der Teil-GdB im Funktionssystem „Gehirn einschließlich Psyche“ entspricht somit dem Gesamt-GdB. Die gegenteiligen Ausführungen des
M3 vermögen indessen nicht zu überzeugen, da diese weder den orthopädischen Funktionsbefund ausreichend würdigen, noch die Gesamt-GdB-Bildung nachvollziehbar ist. Hierauf kommt es aber schon deshalb nicht entscheidungserheblich an, da es sich bei der Bewertung des GdB um eine rechtliche und nicht um eine medizinische Frage handelt.
Die Berufung konnte daher keinen Erfolg haben und war zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht gegeben, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.


 

Rechtskraft
Aus
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