S 17 R 610/18

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG Augsburg (FSB)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
17
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 17 R 610/18
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 6 R 554/20
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Gerichtsbescheid

I. Die Klage gegen den Bescheid vom 27.03.2018 und Widerspruchsbescheid vom 23.07.2018 mit Abänderungsbescheid vom 20.03.2020 wird abgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

T a t b e s t a n d :
Der Kläger begehrt die Gewährung einer höheren Altersrente im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens nach § 44 Sozialgesetzbuch, Zehntes Buch (SGB X).
Der 1949 geborene Kläger ist marokkanischer Staatsangehöriger und hat von März 1980 bis Oktober 1993 Versicherungszeiten zum deutschen Rentenversicherungssystem zurückgelegt. In Marokko war der Kläger nicht versicherungspflichtig beschäftigt gewesen. Mehrfach hatte der Kläger beim Beklagten auch nach gerichtlicher Überprüfung erfolglos eine Rente wegen Erwerbsminderung beantragt, bevor die Beklagte auf entsprechenden Antrag vom März 2014 mit Bescheid vom 08.05.2015 Regelaltersrente beginnend zum 01.05.2014 leistete. Dabei errechnete die Beklagte aus den im Zeitraum vom März 1980 bis Oktober 1993 in Deutschland zurückgelegten Versicherungszeiten 8,8703 persönliche Entgeltpunkte (pEP) als Grundlage der geleisteten Rentenhöhe. Die vom Kläger in Frankreich von 1972-1979 zurückgelegten Versicherungszeiten blieben dabei bei damaligem Wohnsitz des Klägers in Marokko mangels Geltung der europäischen Wanderarbeitnehmerverordnungen ohne Berücksichtigung.
Der Kläger beschritt anschließend hinsichtlich der Höhe der gewährten Regelaltersrente den Klageweg zum Sozialgericht Augsburg, Az. 9 R 1082/15. Mit rechtskräftigem Urteil vom 29.09.2016 bestätigte das Sozialgericht die Rechtmäßigkeit der Rentengewährung und die Richtigkeit der bewilligten Rentenhöhe.
Mit Schreiben vom 23. 03. 2018 bat die Klägerbevollmächtigte die Beklagte um Überprüfung der Rentenhöhe und Übersendung diverser Verdienstbescheinigungen und Sozialversicherungsausweise.
Mit Bescheid vom 27.03.2018 lehnte die Beklagte die Zuerkennung weiterer rentenrechtlicher Zeiten und die Gewährung einer höheren Altersrente ab. Mit Widerspruch vom 27.04.2018 machte die Klägerbevollmächtigte konkret eine weitere Rentenversicherungszeit vom 21.07.1989 bis 18.08.1989 (Aufenthalt in einer Rehabilitation) und für Juni 1986 eine Beitragszeit durch Bezug von Krankengeld geltend.
Mit Widerspruchsbescheid vom 23.07.2018 lehnte die Beklagte eine Abänderung der Rentenberechnung gemäß Bescheid vom 08.05.2015 ab. Sämtliche rentenrechtlich relevante Zeiten seien bei der Rentenberechnung berücksichtigt worden, neue Sachverhalte hätten sich nicht ergeben. Die Voraussetzungen des § 44 SGB X für eine Abänderung der bestandskräftigen Entscheidung lägen nicht vor.

Nach Klageerhebung vom 09.08.2018 zeigte der Klägerbevollmächtigte am 11.10.2018 einen neuen Wohnsitz des Klägers in Frankreich an. Auf entsprechende gerichtliche Rückfragen bestätigte die Klägerseite eine dauerhafte Wohnsitznahme in Frankreich bereits vor Erteilung des Widerspruchsbescheids vom 23.07. 2018
Die Beklagte verwies darauf hin auf einen Wechsel der Zuständigkeit zur zwischenstaatlichen Rentenberechnung auf die deutsche Rentenversicherung Rheinland-Pfalz und beantragte deren Beiladung.
Mit Beschluss vom 24.05.2019 wurde die deutsche Rentenversicherung Rheinland-Pfalz zum Verfahren beigeladen.
Mit Schriftsatz vom 18.06.2019 beantragte die Klägerseite das Ruhen des Verfahrens bis zum Vorliegen einer zwischenstaatlichen Rentenberechnung durch die Beigeladene. Nach entsprechender Zustimmung durch die Beklagte und die Beigeladene ordnete das Gericht mit weiterem Beschluss vom 12.07.2019 das vorläufige Ruhen des Rechtsstreits an. Außerdem bewilligte das Gericht mit Beschluss vom 11.11.2019 im Hinblick auf den Streitgegenstand der Höhe der Rentenleistung insgesamt dem Kläger Prozesskostenhilfe unter Beiordnung der Bevollmächtigten.
Mit Bescheid vom 20.03.2020 stellte die Beigeladene die bewilligte Rente unter Berücksichtigung ausländischer Versicherungszeiten vom 01.01.1972 bis 31.12.1979 neu fest und übernahm zum 01.04.2020 die laufende Rentenzahlung. Es ergab sich eine Erhöhung der pEP auf 9,0283 Entgeltpunkte. Der Bescheid vom 20.03.2020 werde gegebenenfalls nach § 96 SGG Gegenstand des Klageverfahrens.
Nach Fortsetzung des Verfahrens teilte die Klägerbevollmächtigte mit, dass der Kläger die Klage aufrechterhalte. Er sei auch unter Berücksichtigung der nunmehr vorliegenden zwischenstaatlichen Berechnung der Ansicht, dass nicht alle von ihm zurückgelegten Beitragszeiten bei der Berechnung seiner persönlichen Entgeltpunkte richtig bewertet worden seien. Auch könne er nicht nachvollziehen, weshalb die französischen Beitragszeiten nur mit dem Faktor 0,622242 Berücksichtigung gefunden hätten. Die Rente reiche nicht zur Sicherung des Lebensunterhalts aus.
Das Gericht hörte die Beteiligten nachfolgend zur beabsichtigten Entscheidung durch Gerichtsbescheid nach § 105 SGG an. Einwendungen hiergegen wurden nicht erhoben.
Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten sowie die beigezogenen Verwaltungsakten Bezug genommen.


E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
Das Gericht konnte durch Gerichtsbescheid ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da der Sachverhalt geklärt ist, keine besonderen Schwierigkeiten aufweist und die Beteiligten zuvor gehört wurden, § 105 SGG.
Dabei ist die Klage nach zulässiger Erstreckung des Klagegegenstandes auf die Höhe der Rente unter Einbeziehung der französischen Versicherungszeiten insgesamt zulässig.
Zwar hatte die Klägerseite zunächst nur die von der Beklagten vorgenommene innerdeutsche Rentenberechnung gemäß Rentenbescheid vom 08.05.2015 erneut durch Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X beanstandet und dabei nicht die Nichtberücksichtigung ausländischer Versicherungszeiten geltend gemacht; das Ziel der am 09.08.2018 erhobenen Klage war jedoch letztlich eine Überprüfung der mit Bescheid vom 08.05.2015 ausgesprochenen Rentenhöhe insgesamt.
Soweit die Beantragung der Durchführung der zwischenstaatlichen Berechnung im Schriftsatz vom 18.06.2019 über das ursprüngliche Klageziel hinaus als Klageerweiterung aufgefasst wird, haben die Beklagte und die Beigeladene dieser zugestimmt im Sinne des § 99 Abs. 1 SGG, die Erstreckung der Klage auf die Rentenhöhe insgesamt mit zwischenstaatlicher Berechnung erscheint aus Gründen der Meistbegünstigung des Klägers und der Prozessökonomie auch sachdienlich.
Damit ist auch der nachgeschobene Bescheid vom 20.03.2020 zulässiger Klagegegenstand geworden, da er nach Erlass des Widerspruchbescheides vom 23.07. 2018 ergangen ist und den angefochtenen Überprüfungsbescheid vom 27.03. 2018 durch die neue Rentenberechnung abändert, § 96 Abs. 1 SGG.

Die Klage ist jedoch nicht begründet. Die durch die streitgegenständlichen Bescheide vom 27.03.2018 und 23.07.2018 abgelehnte Abänderung der Rentenberechnung im Bescheid vom 08.05.2015 und die zwischenzeitlich vorgenommene zwischenstaatliche Rentenberechnung verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.
Dabei hat das Überprüfungsverfahren hinsichtlich der ursprünglichen innerstaatlichen Rentenberechnung keine neuen Tatsachen auf weitere in Deutschland zurückgelegte rentenrechtliche Zeiten oder eine bisher unrichtige Rentenberechnung erbracht.
Der im Rentenbescheid vom 08.05.2015 gespeichertem Versicherungsverlauf war bereits Gegenstand der rechtskräftigen Überprüfung durch die neunte Kammer zum Aktenzeichen S 9 R 1082/15. Der klägerische Vortrag im Verwaltungsverfahren und im vorliegenden Gerichtsverfahren ergibt keine konkreten Hinweise auf bestehende Berechnungsfehler. Diese sind für das erneut befasste Gericht weiterhin nicht ersichtlich.
Soweit im Widerspruchsverfahren zwei konkrete Zeiträume (Beitragszahlung Juni 1986 für Krankengeldbezug, Beitragszahlung während Reha-Aufenthalt 21. Juli bis 18.08. 1989) bezeichnet wurden, die möglicherweise unzutreffend berücksichtigt worden seien, ergeben sich aus dem gespeichertem Versicherungsverlauf keine Lücken oder Beitragsausfälle, es liegen insoweit durchgehende Speicherungen von Zeiten der Versicherungspflicht mit Beitragszahlung vor, sodass von Zeiträumen mit Lohnfortzahlung bzw. Beitragsentrichtung auszugehen ist. Soweit vom Klägerbevollmächtigten mit Schriftsatz vom 15. 10. 2020 nochmals pauschal auf Zeiträume des Leistungsbezugs von Arbeitslosengeld in den achtziger Jahren hingewiesen wurde, ergeben sich nach dem der Rentengewährung zugrundegelegten Versicherungsverlauf mit Zeiten der Arbeitslosigkeit vom Januar bis März 1981, Dezember 1982 - Mai 1983, November 1983 bis Dezember 1983 und Februar 1987 bis Juni 1987 keine Hinweise auf eine fehlende Berücksichtigung rentenrechtlicher Zeiten.
Soweit im Nachgang zur Verbescheidung der zwischenstaatlichen Rente durch Bescheid vom 20.03.2020 darüber hinausgehende Zweifel an der Richtigkeit der Berechnung unter Berücksichtigung ausländischer Zeiten geltend gemacht werden, fehlen abgesehen von der angesprochenen Faktorisierung der französischen Zeiten konkrete Darlegungen, inwieweit eine Fehlerhaftigkeit der Berechnung zu befürchten sei.
Die vom französischen Versicherungsträger bescheinigten Versicherungszeiträume vom 01.01.1972 bis 31.12.1979 werden nicht bezweifelt. Insgesamt wurden damit 87 Monate Pflichtbeitragszeiten in Frankreich berücksichtigt.
Nach den europäischen Wanderarbeitnehmerverordnungen VO 883/2004 und VO 987/2009 berücksichtigt der zuständige Träger eines Mitgliedstaates die in anderen Mitgliedsstaaten zurückgelegten Versicherungszeiten für die Anspruchsprüfung (z.B. Wartezeiten) so, als ob es sich um eigene Zeiten handeln würde.
Dies gilt zur Vermeidung einer doppelten Entschädigung der zurückgelegten Zeiten durch mehrere Mitgliedsstaaten jedoch nicht für die rentenerhöhende Wirkung der ausländischen Versicherungszeiten bei der Rentenberechnung.
Sind die Voraussetzungen für den Rentenanspruch bereits unter Berücksichtigung der deutschen rentenrechtlichen Zeiten erfüllt, ist neben der innerstaatlichen Berechnung auch eine zwischenstaatliche Rentenberechnung durchzuführen. Die höhere Rentenleistung aus beiden Berechnungen steht dem Berechtigten zu.
Auch bei der zwischenstaatlichen Berechnung erfolgt die Berechnung dabei zunächst nach dem deutschen Rentenrecht. Dabei werden alle mitgliedstaatlichen Zeiten so berücksichtigt, als wären sie in der Bundesrepublik Deutschland zurückgelegt worden. Da sich aus den ausländischen Beitragszeiten keine Entgeltpunkte nach § 70 SGB VI ermitteln lassen, erhalten sie den Durchschnitt an Entgeltpunkten aus den deutschen Beitragszeiten.
Diese für alle zurückgelegten Zeiten auf diese Weise insgesamt errechneten Entgeltpunkte ("theoretischer Betrag") dürfen nur in dem Verhältnis zur Auszahlung kommen, in dem die Entgeltpunkte für deutsche Zeiten zu allen Entgeltpunkten einschließlich der ausländischen Zeiten jeweils ohne Zurechnungszeit stehen. Dieses Verhältnis wird verkürzt "pro-rata-Verhältnis" genannt. Das pro-rata-Verhältnis wird auf sechs Dezimalstellen berechnet. Wird nun der "theoretische Betrag" mit dem pro-rata-Verhältnis multipliziert, erhält man als Ergebnis die zwischenstaatliche Rente.
Vorliegend ergeben sich unter einer entsprechenden Bewertung der französischen Zeiten mit dem Durchschnitt der Entgeltpunkte aus deutschen Beitragszeiten insgesamt 14,5093 Entgeltpunkten ("theoretischer Betrag") aus allen zurückgelegten Zeiten.
Der bei dieser Berechnung erhaltene Gesamtwert aus allen zurückgelegten Zeiten von 14,5093 EP darf also nach der pro-rata Berechnung nur in dem Verhältnis berücksichtigt werden, in welchem die Entgeltpunkte für deutsche Zeite (9,0283 EP) zur errechneten Summe aus deutschen und ausländischen Zeiten ("theoretischer Betrag", 14,5093 EP stehen: 9,0283 EP (deutsche Zeiten) :  14,5093 (gesamte Zeiten) = 0,622242.
Nach der zwischenstaatlichen Berechnung ergeben sich vorliegend damit 9,0283 pEP als korrekte Grundlage der Rentenberechnung.
Sonstige Hinweise auf eine Fehlerhaftigkeit der Berechnung sind für das Gericht nicht ersichtlich geworden. Soweit die Versicherungsleistung der gesetzlichen Rentenversicherung nicht zum Lebensunterhalt des Klägers ausreicht, ist er auf die im Wohnsitzstaat vorgesehenen Fürsorgeleistungen zu verweisen.
Die Klage konnte daher keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG.
Eine ganze oder teilweise Erstattung von außergerichtlichen Kosten des Klägers ist unter Abwägung aller Gesichtspunkte des Einzelfalles nicht angezeigt. Die ursprünglichen streitgegenständlichen Bescheide der Beklagten waren nicht zu beanstanden und verletzten den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger ist auch nicht durch den neuen Bescheid vom 20.03. 2020 in seinen Rechten verletzt. Alleine die erst nach Klageerhebung angezeigte Wohnsitzname in Frankreich führte zu neuen Gesichtspunkten hinsichtlich der Rentenberechnung (zwischenstaatliche Rente) und letztlich zum Änderungsbescheid vom 20.03.2020. Weder die Beklagte noch die Beigeladene haben damit Veranlassung zur Erhebung der Klage gegeben.

 

Rechtskraft
Aus
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