L 3 AL 4/21

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 9 AL 175/17
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 3 AL 4/21
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

1. § 26 Abs. 2b SGB III dient dem Zweck, dass Personen, die zuvor in der Arbeitslosenversicherung versichert waren, durch die Aufnahme der Pflegetätigkeit dieses Schutzes nicht verlustig gehen sollen.
2. Im Rahmen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs lässt sich eine tatsächlich ausgeübte Pflegetätigkeit im Umfange von 11 Stunden/Woche nicht dahingehend ersetzen, dass von einer nach § 28a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB III a. F. erforderlichen Pflegetätigkeit im Umfang von "wenigstens 14 Stunden wöchentlich" auszugehen wäre.
3. Es besteht von Verfassung wegen kein Anspruch darauf, sozialpolitisch wünschenswerte Tätigkeiten wie die Pflege von Angehörigen voraussetzungslos in das Recht der Arbeitslosenversicherung einzubeziehen.

 

I.    Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichtes Dresden vom 10. Dezember 2020 wird zurückgewiesen. Die Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 13. Dezember 2023 wird abgewiesen.
II.    Außergerichtliche Kosten des Klägers sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
III.    Die Revision wird nicht zugelassen.


Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen einen Gerichtsbescheid, mit dem seine auf das Bestehen eines Versicherungspflichtverhältnisses in der Arbeitslosenversicherung gerichtete Klage abgewiesen wurde.

Der 1965 geborene Kläger pflegte seit dem 7. Januar 2014 seine Mutter Y.... im Umfange von 11 Stunden/Woche. Vom 1. April 2014 bis zum 10. September 2015 pflegte er zusätzlich seine Tante X.... im Umfange von drei Stunden/Woche. Für diesen Zeitraum der sogenannten Additionspflege leisteten die Pflegekassen der zu Pflegenden für den Kläger Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung. Vom 11. September 2015 bis zum 23. Juni 2017 pflegte der Kläger wieder nur seine Mutter im Umfange von 11 Stunden/Woche. Seit dem 1. Januar 2019 pflegt er seinen Schwiegervater W..... Vor Aufnahme der erstmaligen Pflegetätigkeit stand der Kläger weder in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis noch bezog er Leistungen von der Beklagten. In Bezug auf die Versicherungspflicht wegen der Pflege ab dem 1. Januar 2019 ist ein weiterer Rechtsstreit beim Sozialgericht Dresden anhängig (Az.: S 9 AL 199/20).

Am 30. November 2015 stellte der Kläger bei der Beklagten einen Antrag auf Begründung eines Versicherungsverhältnisses in der Arbeitslosenversicherung, ohne das ihm von der Beklagten überreichte Formular auszufüllen. Am 6. März 2017 gab er das nunmehr ausgefüllte Formular bei der Beklagten ab. Unter Nummer 2 (Angaben zum Versicherungspflichtverhältnis) gab der Kläger wörtlich an: „Das Versicherungspflichtverhältnis beginnt frühestens mit dem Tag, an dem erstmals die Voraussetzungen erfüllt sind; es beginnt am 01.01.2017 (01.04.2014). Ich bin als Pflegeperson tätig und pflege eine Angehörige/einen Angehörigen der Pflegestufe I bis III mit einem zeitlichen Umfang von wenigstens 11 Stunden wöchentlich (siehe auch Nr. 5)“. Unter Nr. 3 (Zeiten der Vollbeschäftigung/des Leistungsbezugs) gab der Kläger an: „Innerhalb der letzten 24 Monate vor Aufnahme der Tätigkeit/Beschäftigung (vgl. Nr. 2) war ich mindestens 12 Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis: von 01.04.14 bis 10.09.15 bei V.... Additionspflege 14 h, von 11.09.15 bis 31.12.16 bei U.... 11 h“. Unter Nr. 5 (Bestätigung der Pflegekasse) bestätigte die U...., datiert auf den 16. Februar 2017, dass die Pflegetätigkeit wenigstens 11 Stunden wöchentlich umfasst.

Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 7. März 2017 den Antrag ab. Der Kläger habe die nach § 28a Abs. 2 Nrn. 1 bis 3 des Sozialgesetzbuches Drittes Buch – Arbeitsförderung – (SGB III) erforderlichen Vorversicherungszeiten nicht erfüllt. Er habe innerhalb der letzten 24 Monate vor Aufnahme der Tätigkeit/Beschäftigung keine 12 Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden, habe nicht unmittelbar vor Aufnahme der Tätigkeit/Beschäftigung eine Entgeltersatzleistung nach dem SGB III bezogen und sei auch nicht in einer als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme geförderten Beschäftigung gewesen. Ferner sei der Antrag auch nicht innerhalb der Ausschlussfrist des § 28a Abs. 3 SGB III von drei Monaten nach Aufnahme der Pflegetätigkeit gestellt worden. Schließlich sei die Antragspflichtversicherung nach § 28a SGB III für Pflegepersonen ab dem 1. Januar 2017 ausgeschlossen.

Der Kläger legte am 23. März 2017 Widerspruch ein. Die Versicherungspflicht leite sich aus § 26 Abs. 2 Nr. 2b SGB III ab, nachdem die Anspruchsvoraussetzungen zwar zum Zeitpunkt der erstmaligen Antragstellung nicht erfüllt gewesen seien, ab 1. Januar 2017 jedoch 10 Stunden Pflegetätigkeit pro Woche ausreichten.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 30. März 2017 zurück. Nach der Gesetzesänderung sei eine Antragspflichtversicherung zum 1. Januar 2017 ausgeschlossen.

Der Kläger hat am 25. April 2017 Klage erhoben und begehrt, ab dem 1. Januar 2017 als Pflegeperson in ein Pflichtversicherungsverhältnis in die Arbeitslosenversicherung und „eventuell“ auch noch nachträglich in die freiwillige Arbeitslosenversicherung auf Antrag ab dem 30. November 2015 aufgenommen zu werden. Er habe während der Zeit der Additionspflege ab dem 1. April 2014 bis zur Heimaufnahme seiner Tante die Voraussetzungen in § 3 Satz 1 Nr. 1a des Sozialgesetzbuches Sechstes Buch – Gesetzliche Rentenversicherung – (SGB VI) erfüllt und sei in den Schutz der gesetzlichen Rentenversicherung einbezogen worden. Zum Zeitpunkt der Antragstellung am 30. November 2015 habe er zwar die Anwartschaftszeit erfüllt, aber keine Pflegetätigkeit von mindestens 14 Stunden wöchentlich mehr ausgeübt. Pflegende Angehörige leisteten einen wichtigen Beitrag zur Entlastung der Pflegekassen und würden im Verhältnis zu Arbeitnehmern, die ihre Berufstätigkeit für die Pflegetätigkeit aufgäben oder bei Pflegediensten geringfügig angestellt seien, unbillig benachteiligt, wodurch gegen den Gleichheitsgrundsatz verstoßen werde.

Die Beklagte hat auf die Gesetzesänderung zum 1. Januar 2017 verwiesen, wonach Pflegepersonen ab dem 1. Januar 2017 in der Arbeitslosenversicherung kein Versicherungspflichtverhältnis auf Antrag mehr begründen können. Die Prüfung der Voraussetzungen nach § 26 Abs. 2 Nr. 2b SGB III werde bei Stellung eines Antrags auf Arbeitslosengeld vorgenommen. Zur Feststellung der Versicherungspflicht nach § 26 Abs. 2 Nr. 2b SGB III solle sich der Kläger entsprechend des Gemeinsamen Rundschreibens des GKV-Spitzenverbandes, der Deutschen Rentenversicherung Bund, der Bundesagentur für Arbeit und des Verbandes der privaten Pflegversicherung e. V. vom 1. August 2016 (im Folgenden: Rundschreiben vom 1. August 2016) zunächst an die Pflegekasse seiner Mutter wenden.

Die vom Sozialgericht durch Beschluss vom 27. September 2017 beigeladene Pflegekasse der Mutter des Klägers, die Pflegekasse bei der U...., hat mit Schreiben vom 13. September 2018 dem Kläger mitgeteilt, dass nach ihrer Feststellung aufgrund der Pflegetätigkeit für seine Mutter ab dem 1. Januar 2017 keine Versicherungspflicht in der Arbeitslosenversicherung bestanden habe, da er unmittelbar vor Beginn der Pflegetätigkeit nicht arbeitslosenversicherungspflichtig gewesen sei. Für den Fall, dass er mit dieser Einschätzung nicht einverstanden sei, werde er gebeten, seine abweichende Sicht mit konkreten Angaben und Nachweisen zu belegen. Sofern keine Einigung erzielt werden könne, werde die Beigeladene das Anliegen an die Beklagte weiterleiten. Diese entscheide abschließend und rechtsverbindlich über die Versicherungspflicht als Pflegeperson in der Arbeitslosenversicherung. Der Kläger hat auf dieses Schreiben nicht reagiert.

Das Sozialgericht hat nach Anhörung der Beteiligten die Klage mit Gerichtsbescheid vom 10. Dezember 2020 abgewiesen. Die Beklagte habe die begehrte Begründung eines Versicherungspflichtverhältnisses auf Antrag unter Hinweis auf die normativen Vorgaben in § 28a Abs. 2 SGB III a. F. und die versäumte Ausschlussfrist aus § 28a Abs. 3 Satz 1 SGB III a. F. für den Zeitraum bis zum 31. Dezember 2016 zutreffend verneint. Die freiwillige Versicherung für Pflegepersonen komme nach § 28a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB III a. F. allenfalls für die Zeit vom 1. April 2014 bis zum 10. September 2015 in Betracht, weil das Gesetz wenigstens eine wöchentliche Pflegezeit von 14 Stunden verlange. Hier könne aber die Unmittelbarkeit zum vorangegangen Leistungsbezug nicht hergestellt werden, und es liege kein Fortsetzungsfall gemäß § 446 Abs. 2 SGB III vor. Für die Zeit ab dem 1. Januar 2017 komme für Pflegende ein Versicherungspflichtverhältnis auf Antrag nicht mehr in Betracht. Stattdessen seien Personen, die einen Pflegebedürftigen mit zumindest Pflegegrad 2 wenigstens 10 Stunden wöchentlich an mindestens zwei Tagen in häuslicher Umgebung pflegen würden, kraft Gesetzes versicherungspflichtig, wenn sie unmittelbar vor Beginn der Pflege versicherungspflichtig gewesen seien oder Anspruch auf eine Entgeltersatzleistung nach dem SGB III gehabt hätten. Die dafür anfallenden Beiträge zahle nach § 44 Abs. 2b Satz 2 des Sozialgesetzbuches Elftes Buch – Soziale Pflegeversicherung – (SGB XI) in Verbindung mit § 347 Nr. 10 SGB III die Pflegekasse, die die begünstigte Pflegeperson auch bei der Bundesagentur für Arbeit anmelden müsse (vgl. § 44 Abs. 3 SGB XI). Nach der durch das Rundschreiben vom 1. August 2016 abgestimmten Verfahrensweise beurteile die Pflegekasse ab dem 1. Januar 2017 die Versicherungsberechtigung nach § 26 Abs. 2b SGB III und nehme bei unstreitigem Sachverhalt die Beitragszahlung auf. Ansonsten leite die Pflegekasse den Vorgang der Beklagten zu, die zur Versicherungs- und Beitragspflicht der Pflegeperson einen Bescheid erteilte. Diese Prüfung sei bislang noch nicht abgeschlossen, so dass die Klage hinsichtlich ihres Hauptantrags wegen Fehlens des vorherigen Verwaltungs- und Vorverfahrens als unzulässig abzuweisen sei. Der vom Kläger gerügte Verstoß gegen das in Artikel 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) verankerte Gleichbehandlungsgebot liege nicht vor, nachdem der Normgeber einen bestimmen Mindestpflegeaufwand vorgeschrieben habe und die entscheidungserhebliche Regelung keine – voraussetzungslose – freiwillige Versicherungsberechtigung konstituiere, sondern nur die freiwillige Weiterversicherung ermöglicht habe.

Gegen den ihm am 23. Dezember 2020 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 18. Januar 2021 Berufung eingelegt. Er sei über die Möglichkeit, sich gegen eine eventuelle Arbeitslosigkeit mit einer Antragspflichtversicherung abzusichern, erstmalig von der Beigeladenen mit Schreiben vom 23. Dezember 2014 informiert worden, so dass der Vorwurf verspäteten Antragstellung nicht gerechtfertigt sei. Als er sich am 30. November 2015 erstmals an die Beklagte gewandt habe, seien die Voraussetzungen nach geltendem Recht erfüllt gewesen. Er habe jetzt keine Chance mehr, ein Arbeitslosenversicherungsverhältnis zu erlangen.

Der Kläger beantragt

unter Aufhebung des Gerichtsbescheides des Sozialgerichtes Dresden vom 10. Dezember 2020 und des Bescheides der Beklagten vom 7. März 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. März 2017 sowie des Bescheides vom 13. Dezember 2023 festzustellen,
dass er ab dem 1. Januar 2017 in der Arbeitslosenversicherung pflichtversichert ist,
hilfsweise,
dass er ab dem 30. November 2015 in der Arbeitslosenversicherung auf Antrag versichert war.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen und die Klage abzuweisen.

Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend. Sie vertritt die Ansicht, dass ausschließlich die Begründung eines Versicherungspflichtverhältnisses auf Antrag nach § 28a SGB III in der bis zum 31. Dezember 2017 geltenden Fassung zulässiger Streitgegenstand sei. Darüber, ob der Kläger der seit dem 1. Januar 2017 geltenden gesetzlichen Versicherungspflicht nach § 26 Abs. 2b SGB III unterliege, habe sie keine Entscheidung getroffen.

Mit Bescheid vom 13. Dezember 2023 hat die Beklagte über die Versicherungspflicht des Klägers als Pflegeperson in der Arbeitslosenversicherung nach § 26 Abs. 2b SGB III entschieden. Die Prüfung habe ergeben, dass für den Kläger keine Versicherungspflicht bestehe, da unmittelbar zuvor kein Anspruch auf eine Entgeltersatzleistung nach dem SGB Ill und auch keine Versicherungspflicht bestanden habe.

In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger angegeben, dass er letztmalig im Jahr 2005 Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung bezogen hat.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitverhältnisses wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Instanzen sowie der Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen. Das Schreiben des Klägers vom 29. Januar 2024 ist nach Verkündung des Urteils am 18. Januar 2024 eingegangen und konnte deshalb bei der Entscheidungsfindung an diesem Tag nicht berücksichtigt werden.


Entscheidungsgründe

I. Der Gegenstand des Berufungsverfahrens bedarf der Auslegung.

1. Streitgegenstand ist zunächst der Bescheid vom 7. März 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30. März 2017. Entgegen der Ansicht der Beklagten enthält der Bescheid vom 7. März 2017 nicht nur eine Entscheidung über eine Pflichtversicherung auf Antrag nach § 28a SGB III in der bis zum 31. Dezember 2016 geltenden Fassung (im Folgenden: a. F.), sondern auch darüber, ob ab 1. Januar 2017 ein kraft Gesetzes bestehendes Pflichtversicherungsverhältnis nach § 26 Abs. 2b SGB III in der seit 1. Januar 2017 geltenden Fassung besteht.

Ob und mit welchem Inhalt eine Behörde einen Verwaltungsakt erlassen hat, richtet sich nicht danach, von welcher Vorstellung die Behörde ausgegangen ist. Maßgebend ist vielmehr in Anwendung der Grundsätze, die für die Auslegung von Willenserklärungen maßgebend sind (vgl. §§ 133, 157 des Bürgerlichen Gesetzbuches [BGB]), der objektive Sinngehalt ihrer Erklärung, das heißt wie der Empfänger die Erklärung bei verständiger Würdigung nach den Umständen des Einzelfalls objektiv verstehen musste (ständ. Rspr. des BSG, vgl. z. B. BSG, Urteil vom 25. Juli 2002 – B 10 LW 7/02 R – juris Rdnr. 20; BSG, Urteil vom 23. Februar 2017 – B 4 AS 57/15 R – SozR 4-1300 § 44 Nr. 34 – juris Rdnr. 12, m. w. N.; BSG, Urteil vom 19. Mai 2021 – B 14 AS 57/19 R – SozR 4-4200 § 22 Nr. 115 – juris Rdnr. 12, m. w. N.; Engelmann in: Schütze, SGB X [9. Aufl. 2020], § 31 Rdnr. 43, m. w. N.).

Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben ist der Bescheid vom 7. März 2017 dahin auszulegen, dass die Beklagte nicht nur über das Bestehen einer Pflichtversicherung auf Antrag nach § 28a SGB III a. F. entschieden hat, sondern auch darüber, ob bei dem Kläger ein kraft Gesetzes bestehendes Pflichtversicherungsverhältnis nach § 26 Abs. 2b SGB III besteht. Denn der Kläger hatte gerade die Gesetzesänderung zum 1. Januar 2017 zum Anlass genommen, das am 30. November 2015 erhaltene Antragsformular auszufüllen, am 6. März 2017 abzugeben und auf diesem auch den Beginn des gewünschten Versicherungspflichtverhältnisses mit dem „01.01.2017“ zu vermerken. Darüber hinaus hatte er die Bestätigung der Pflegekasse am 16. Februar 2017 eingeholt und die „Zeiten der Vorbeschäftigung/des Leistungsbezugs“ bis zum 31. Dezember 2016 aufgeführt. Der Kläger machte damit deutlich, dass er nicht nur eine Entscheidung über das Bestehen einer Versicherungspflicht für den Zeitraum bis zum 31. Dezember 2016, sondern auch eine Entscheidung über das Bestehen eines Pflichtversicherungsverhältnisses ab dem 1. Januar 2017 begehrte.

Aus dem Umstand, dass er das am 30. November 2015 überreichte Antragsformular zur alten Rechtslage benutzte, kann nicht darauf geschlossen werden, dass er seinen Antrag auf die Pflichtversicherung nach Antrag nach § 28a SGB III a. F. beschränken wollte. Vielmehr ist der Tatsache, dass der Kläger offensichtlich die Gesetzesänderung zum 1. Januar 2017 zum Anlass nahm, den Antrag am 7. März 2017 einzureichen, zu entnehmen, dass er eine Entscheidung auch zu der neuen Rechtslage begehrte.

Im Übrigen brachte der Kläger auch in seinem Widerspruch vom 23. März 2017 klar zum Ausdruck, dass sich die Versicherungspflicht seiner Ansicht nach aus § 26 Abs. 2b SGB III ableite. In seinem Widerspruchsschreiben bezog er sich auch auf die Gesetzesänderung zum 1. Januar 2017, wonach die Versicherungspflicht schon mit 10 Stunden in der Woche erfüllt sei, wohingegen zum Zeitpunkt der ursprünglichen Antragstellung, am 30. November 2015, die Anspruchsvoraussetzungen (u. a. eine Pflegetätigkeit im Umfange von 14 Stunden wöchentlich) nicht erfüllt gewesen seien.

Schließlich liegt es auch nahe, dass eine Entscheidung über eine bestimmte Frage immer auch nach dem geltenden Recht beansprucht wird und nicht nur nach ausgelaufenen Recht. Abweichendes lässt sich aus den Äußerungen und Stellungnahmen des Klägers nicht entnehmen.

Den Bescheid vom 7. März 2017 musste ein objektiver Empfänger unter diesen Umständen daher so verstehen, dass die Beklagte über den so verstandenen Antrag und nicht nur eine Entscheidung über eine Antragspflichtversicherung nach § 28a SGB III a. F., sondern auch eine Entscheidung über die Versicherungspflicht des Klägers auch nach der aktuellen maßgebenden gesetzlichen Grundlage, also nach dem ab dem 1. Januar 2017 geltenden Recht, getroffen hatte.

2. Der Bescheid vom 13. Dezember 2023, mit dem die Beklagte das Bestehen der Versicherungspflicht nach § 26 Abs. 2b SGB III verneint hat, ist gemäß § 96 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) Gegenstand des Berufungsverfahrens geworden. Nach dieser Regelung wird ein neuer Verwaltungsakt, der nach Klageerhebung erlassen wird, dann Gegenstand des Klageverfahrens, wenn er den angefochtenen Verwaltungsakt abändert oder ersetzt. Geändert oder ersetzt wird ein Bescheid immer dann, wenn der neue Bescheid denselben Streitgegenstand wie der Ursprungsbescheid betrifft und in dessen Regelung so eingreift, dass die Beschwerde des Betroffenen vermehrt oder vermindert wird (vgl. BSG, Urteil vom 16. Juni 2015 – B 4 AS 37/14 R – SozR 4-4200 § 27 Nr. 2 = juris Rdnr. 13 m. w. N.). Dem steht es gleich, wenn die Verwaltung – wie hier – die von ihr vorgenommene Regelung zum Streitgegenstand überprüft, daraufhin neu entscheidet, in der Sache aber an ihrer Regelung festhält. Formal ist in einem solchem Fall zwar keine Änderung der Beschwer eingetreten. Doch rechtfertigt es die vorgenommene neue Sachprüfung, auch eine solche Entscheidung wie eine Änderung oder Ersetzung im Sinne von § 96 Abs. 1 SGG zu behandeln mit der Folge der unmittelbaren Anwendung dieser Regelung (vgl. BSG, a. a. O., m. w. N.).

Da der Bescheid erst im Berufungsverfahren ergangen ist, entscheidet der Senat diesbezüglich erstinstanzlich auf Klage (BSG, Urteil vom 25. Februar 2010 – B 13 R 61/09 RSozR 4-5050 § 22 Nr. 10 = juris Rdnr. 15; BSG, Beschluss vom 23. September 2020 – B 5 RE 7/20 B – juris Rdnr. 6).

3. Dagegen ist der Bescheid vom 11. März 2020, mit dem die Beklagte über die Versicherungspflicht wegen der Pflege des Schwiegervaters ab 2019 entschieden hat, nicht Gegenstand des vorliegenden Berufungsverfahrens geworden. Der Bescheid vom 11. März 2020 hat den mit der Klage angefochtenen Bescheid vom 7. März 2017 weder abgeändert noch ersetzt. Nachdem der Kläger die vorangegangene Pflege seiner Mutter am 23. Juni 2017 beendet hatte, hat die Beklagte mit Bescheid vom 11. März 2020 aufgrund eines erneuten Antrags über einen neuen Lebenssachverhalt entschieden. Der neue Lebenssachverhalt ergibt sich zudem daraus, dass der Kläger in dem dem Ablehnungsbescheid zugrunde liegenden Formular für ein "Versicherungspflichtverhältnisse auf Antrag – selbstständige Tätigkeit –" angegeben hatte, die selbstständige Tätigkeit als "Pfleger/Seniorenhelfer" am 1. Januar 2020 aufgenommen zu haben. Den Weg über die selbstständigen Tätigkeit habe er, wie der Kläger in der mündlichen Verhandlung angegeben hat, beschritten, weil bisher die Erlangung eines Versicherungsschutzes bei der Beklagten über § 28a SGB III a. F. und § 26 Abs. 2b SGB III erfolglos geblieben seien.

II. Die zulässige Berufung ist unbegründet, weil die ihr zugrunde liegende Klage jedenfalls zum Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung unzulässig ist. Ebenfalls ist die Klage gegen den Bescheid vom 13. Dezember 2023 unzulässig.

Beide Klagen sind zum Zeitpunkt der Entscheidung am 18. Januar 2024 unzulässig. Ihnen fehlt das Rechtschutzbedürfnis, da der Kläger auch bei Bejahung der Versicherungspflicht in den streitbefangenen Zeiträumen keinen Vorteil mehr aus einer positiven Entscheidung erlangen könnte.

Das Rechtsschutzbedürfnis ist eine allgemeine Sachurteilsvoraussetzung, die bei jeder Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung gegeben sein muss. Der Begriff des Rechtsschutzbedürfnisses bedeutet, dass nur derjenige, der mit dem von ihm angestrengten gerichtlichen Rechtsschutzverfahren ein rechtsschutzwürdiges Interesse verfolgt, einen Anspruch auf eine gerichtliche Sachentscheidung hat (vgl. Sächs. LSG, Urteil vom 17. Oktober 2019 – L 3 AS 330/17 – juris Rdnr. 24, m. w. N.; Sächs. LSG, Beschluss vom 4. Januar 2024 – L 3 AL 81/22 B ER – juris Rdnr. 17, m. w. N.). Es fehlt deshalb unter anderem am Rechtsschutzbedürfnis, wenn eine Klage selbst im Falle ihres Erfolgs für den Kläger keinerlei rechtliche oder tatsächliche Vorteile bringen kann, also wenn die begehrte gerichtliche Entscheidung weder gegenwärtig noch zukünftig die Stellung des Klägers verbessern würde (vgl. BSG, Urteil vom 22. März 2012 – B 8 SO 24/10 R – juris Rdnr. 10 m. w. N.; BSG, Urteil vom 14. Mai 2020 – B 14 AS 7/19 RBSGE 130, 132 ff. = SozR 4-7645 Art 17 Nr. 2 = juris, jeweils Rdnr. 10, m. w. N.). Die Sachurteilsvoraussetzungen müssen noch zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vorliegen (vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG [14. Aufl., 2023], Vor § 51 Rdnr. 20).

Der Kläger könnte zum maßgebenden Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung, dem 18. Januar 2024, auch bei einem Erfolg der Berufung und/oder der Klage gegen den Bescheid vom 13. Dezember 2023 keinen Arbeitslosengeldanspruch aus einer Versicherungspflicht in den streitbefangenen Zeiträumen geltend machen. Die Versicherungspflicht des Klägers wegen der Pflege seiner Mutter würde bei einem angenommenen Erfolg der Berufung am 23. Juni 2017 enden. Der Kläger könnte auch aus einer am 23. Juni 2017 endenden Versicherungspflicht keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld mehr herleiten. Denn diese Versicherungspflicht könnte zum jetzigen Zeitpunkt nicht mehr zur Erfüllung der nach § 137 Abs. 1 Nr. 3 SGB III für einen Anspruch auf Arbeitslosengeld bei Arbeitslosigkeit erforderlichen Anwartschaftszeit beitragen. Die Anwartschaftszeit hat gemäß § 142 Abs. 1 Satz 1 SGB III erfüllt, wer in der Rahmenfrist (§ 143 SGB III) mindestens zwölf Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden hat. Gemäß § 143 Abs. 1 SGB III beträgt die Rahmenfrist 30 Monate und beginnt mit dem Tag vor Erfüllung aller sonstigen Voraussetzungen für den Anspruch auf Arbeitslosengeld. Wenn sich der Kläger zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung, dem 18. Januar 2024, arbeitslos melden würde, würde die Rahmenfrist vom 18. Juli 2021 bis zum 17. Januar 2024 reichen, so dass der hier streitbefangene Zeitraum nicht in die Rahmenfrist fallen würde.

Die angenommene Versicherungspflicht würde auch nicht die Anspruchsdauer eines etwaigen Arbeitslosengeldanspruchs verlängern. Denn gemäß § 147 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB III richtet sich die Dauer des Anspruchs auf Arbeitslosengeld unter anderem nach der Dauer der Versicherungspflichtverhältnisse innerhalb der um 30 Monate erweiterten Rahmenfrist. Die erweiterte Rahmenfrist würde vom 18. Januar 2019 bis zum 17. Januar 2024 reichen und ebenfalls die hier streitbefangenen Zeiten nicht umfassen.

Die Feststellung einer etwaigen Versicherungspflicht in der Arbeitslosenversicherung würde dem Kläger auch keinen Vorteil in einem der anderen Sozialversicherungszweige, insbesondere nicht in der Rentenversicherung bringen. So knüpft § 3 Satz 1 Nr. 1a SGB VI für die Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung nicht an das Bestehen einer Arbeitslosenversicherungspflicht an. Maßgebend für die rentenrechtliche Versicherungspflicht ist danach vielmehr die Zeit, in der eine Person eine oder mehrere pflegebedürftige Personen mit mindestens Pflegegrad 2 wenigstens zehn Stunden wöchentlich, verteilt auf regelmäßig mindestens zwei Tage in der Woche, in ihrer häuslichen Umgebung nicht erwerbsmäßig pflegt (nicht erwerbsmäßig tätige Pflegepersonen), wenn der Pflegebedürftige Anspruch auf Leistungen aus der sozialen Pflegeversicherung oder einer privaten Pflege-Pflichtversicherung hat.

Entsprechendes gilt für die Bewertung als Beitragszeit gemäß § 55 Abs. 1 SGB VI. Nach § 55 Abs. 1 Satz 1 SGB VI sind Beitragszeiten Zeiten, für die nach Bundesrecht Pflichtbeiträge (Pflichtbeitragszeiten) oder freiwillige Beiträge gezahlt worden sind. Pflichtbeitragszeiten sind – mit anderen Worten – Zeiten, für die Beiträge entrichtet worden sind (formelle Wirksamkeit) und die gesetzliche Versicherungspflicht nach den §§ 1 bis 3 SGB VI oder die Versicherungspflicht auf Antrag nach den §§ 4, 229 Abs. 4, Abs. 5 SGB VI bestanden hat (materielle Wirksamkeit). Ohne Bedeutung ist, ob die versicherte Person selbst, der Arbeitgeber oder eine andere Stelle (vgl. § 168 SGB VI) die Zahlungen geleistet hat (vgl. Flecks, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VI [3. Aufl., 2021], § 55 SGB VI Rdnr. 23). Für Zeiten, in denen ein Angehöriger gepflegt wird, erbringt die Pflegekasse die Beitragszahlungen an die gesetzliche Rentenversicherung, sofern und soweit die Voraussetzungen für eine Beitragszahlung vorliegen. Ein Anspruch auf Beitragszahlung gegenüber der Arbeitslosenversicherung besteht hingegen nicht. Nach § 55 Abs. 1 Satz 2 SGB VI sind Pflichtbeitragszeiten auch Zeiten, für die Pflichtbeiträge nach besonderen Vorschriften als gezahlt gelten. In Bezug auf die Pflege von Angehörigen kommt als besondere Vorschrift in diesem Sinne § 3 Satz 1 Nr. 1a SGB VI in Betracht. Die Versicherungspflicht nach dieser Regelung setzt aber, wie bereits dargestellt wurde, keine Versicherungspflicht in der Arbeitslosenversicherung voraus. Schließlich gelten nach § 55 Abs. 1 Satz 3 SGB VI als Beitragszeiten auch Zeiten, für die Entgeltpunkte (vgl. § 70 Abs. 3a Satz 2 Buchst. b SGB VI) gutgeschrieben worden sind, weil gleichzeitig Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung oder Zeiten der Pflege eines pflegebedürftigen Kindes für mehrere Kinder vorliegen. Der Anwendungsbereich dieser Regelung ist jedoch auf die Erziehung oder Pflege von Kindern beschränkt und umfasst nicht die Pflege von Eltern oder sonstigen Angehörigen.

III. Unabhängig davon wären die Berufung und die Klage gegen den Bescheid vom 13. Dezember 2023 auch nicht begründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig. Die Beklagte hat zurecht festgestellt, dass für den Kläger weder für die Zeit ab dem 1. Januar 2017 (Hauptantrag) noch vor dem 1. Januar 2017 (Hilfsantrag) eine Versicherungspflicht in der Arbeitslosenversicherung bestand oder besteht.

1. Maßgebend für die arbeitsförderungsrechtliche Beurteilung der Pflegetätigkeit des Klägers ist ab dem 1. Januar 2017 die zu diesem Zeitpunkt in Kraft getretene Regelung in § 26 Abs. 2b SGB III mit der Versicherungspflicht kraft Gesetzes (vgl. Artikel 3 Nr. 5, Artikel. 8 Abs. 2 des Gesetzes vom 21. Dezember 2015 [BGBl. I S. 2424]). Die zuvor geltende Regelung über ein Versicherungspflichtverhältnis auf Antrag in § 28a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB III a. F. ist mit Wirkung zum 31. Dezember 2016 außer Kraft getreten (vgl. Artikel 3 Nr. 6 Buchst. a Doppelbuchst. aa des Gesetzes vom 21. Dezember 2015 [a. a. O.]).

Nach § 26 Abs. 2b Satz 1 sind SGB III versicherungspflichtig Personen in der Zeit, in der sie als Pflegeperson einen Pflegebedürftigen mit mindestens Pflegegrad 2 im Sinne des Elften Buches, der Leistungen aus der Pflegeversicherung nach dem Elften Buch oder Hilfe zur Pflege nach dem Zwölften Buch oder gleichartige Leistungen nach anderen Vorschriften bezieht, nicht erwerbsmäßig wenigstens zehn Stunden wöchentlich, verteilt auf regelmäßig mindestens zwei Tage in der Woche, in seiner häuslichen Umgebung pflegen, wenn sie unmittelbar vor Beginn der Pflegetätigkeit versicherungspflichtig waren oder Anspruch auf eine laufende Entgeltersatzleistung nach diesem Buch hatten.

Diese Voraussetzungen liegen für den Zeitraum ab dem 1. Januar 2017 nicht vor, da der Kläger unmittelbar vor Beginn der Leistung im Sinne von § 26 Abs. 2b SGB III weder versicherungspflichtig war noch Anspruch auf eine laufende Entgeltersatzleistung nach dem SGB III hatte. Dabei stellt die Regelung nach ihrem Wortlaut allein darauf ab, ob “unmittelbar vor Beginn der Pflegetätigkeit“ Versicherungspflicht oder ein Anspruch auf eine Entgeltersatzleistung nach dem SGB III bestand, ohne dies auf Fälle zu begrenzen, in denen die Pflegetätigkeit am oder nach dem 1. Januar 2017 aufgenommen worden ist (vgl. BSG, Urteil vom 6. Juni 2023 – – juris Rdnr. 18). Der Wortlaut der Regelung fordert auch nicht, dass die Versicherten unmittelbar vor dem Inkrafttreten der Neuregelung am 1. Januar 2017 bereits zu dem durch die Arbeitslosenversicherung geschützten Personenkreis gehört haben müssen. Vielmehr reicht ein Unmittelbarkeitszusammenhang zwischen Versicherungspflicht und einer entsprechenden Pflegetätigkeit aus (vgl. BSG, a. a. O.).

Die Bedeutung der in § 26 Abs. 2b SGB III ebenso wie in § 26 Abs. 2 SGB III bezeichneten Voraussetzung, unmittelbar vor dem Ausscheiden aus dem Kreis der Versicherungspflichtigen versicherungspflichtig gewesen zu sein oder Leistungen nach dem SGB III bezogen zu haben, liegt darin sicherzustellen, dass von dieser Begünstigung (nur) dem Kreis der Versicherungspflichtigen trotz Nichtbeschäftigung (noch) zuzurechnende Personen erfasst werden, also solche, die bereits zuvor einen hinreichenden Bezug zum System der Arbeitslosenversicherung hatten (vgl. zum Ganzen: BSG, Urteil vom 23. Februar 2017 – B 11 AL 3/16 RBSGE 122, 279 ff. = SozR 4-4300 § 26 Nr. 8 = juris Rdnr. 22, m. w. N. [zu § 26 Abs. 2 SGB III]).

Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger vor Aufnahme der Pflegetätigkeit ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis oder einen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB III hatte. Der Kläger hat – auch auf gerichtliche Nachfrage – kein Beschäftigungsverhältnis vor der Aufnahme der Pflegetätigkeit oder den Bezug einer Leistung nach SGB III angegeben. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung erklärt, dass er im Jahr 2005 das letzte Mal Arbeitslosengeld bezogen habe. Aus dem Schreiben der Beigeladenen vom 23. März 2017 ergibt sich, dass die „Vorrangversicherung“ des Klägers nach eigener Angabe bereits im Jahr 2004 geendet hat und seitdem eine Familienversicherung besteht. Auch hieraus kann gefolgert werden, dass für den Kläger vor der Aufnahme der Pflegetätigkeit kein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis bestanden hat. Dies gilt im Übrigen auch, wenn auf den Zeitpunkt unmittelbar vor dem Inkrafttreten der Neuregelung zum 1. Januar 2017 als maßgebenden Zeitpunkt abgestellt würde. Denn auch zu diesem Zeitpunkt war der Kläger weder versicherungspflichtig noch hatte er Anspruch auf eine laufende Entgeltersatzleistung.

Aus dem Urteil des Bundessozialgerichts vom 6. Juni 2023 (Az. ) folgt für den Kläger kein günstigeres Ergebnis. Das Bundessozialgericht hat unter anderem aus Sinn und Zweck des § 26 Abs. 2b SGB III gefolgert, dass der Versicherungspflicht nicht entgegensteht, wenn die Pflegetätigkeit vor der Gesetzesänderung zum 1. Januar 2017 aufgenommen worden ist (vgl. BSG, Urteil vom 6. Juni 2023 – – juris Rdnr. 23). Dagegen hat das Bundessozialgericht keine Bedenken gegen die gesetzliche Voraussetzung der versicherungspflichtigen Beschäftigung oder eines Leistungsbezugs vor der Aufnahme der Pflegetätigkeit geäußert. Es hat betont, dass § 26 Abs. 2b SGB III dem Schutz von Personen dient, die durch die Pflege anderer an einer Beschäftigung "mit Verbleib in der Versichertengemeinschaft" gehindert seien. Um eine verbesserte Absicherung von Pflegepersonen in der Arbeitslosenversicherung zu erreichen, sei es deswegen konsequent, § 26 Abs. 2b SGB III ab seinem Inkrafttreten auch auf Pflegetätigkeiten anzuwenden, deren "Anbindung an die Arbeitslosenversicherung" vor dem Inkrafttreten der Norm erfolgt sei, die aber nach der bis zum 31. Dezember 2016 geltenden Rechtslage nicht versicherungspflichtig gewesen seien (vgl. BSG, Urteil vom 6. Juni 2023, a. a. O.). Nur Personen, die zuvor in der Arbeitslosenversicherung versichert waren, sollen durch die Aufnahme der Pflegetätigkeit dieses Schutzes nicht verlustig gehen. Dies ist beim Kläger aber nicht der Fall.

2. Eine Versicherungspflicht ab dem 1. Januar 2017 folgt auch nicht aus § 446 Abs. 2 Satz 1 SGB III in Verbindung mit § 28a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB III a. F.. Die Ausnahmeregelung hierzu in § 446 Abs. 2 Satz 2 SGB III ist vorliegend nicht entscheidungserheblich.

Nach der zum 1. Januar 2017 in Kraft getretenen Übergangsregelung des § 446 Abs. 2 Satz 1 SGB III (vgl. Artikel 3 Nr. 12 des Gesetzes vom 21. Dezember 2015 [a. a. O.]) wird für Pflegepersonen, die am 31. Dezember 2016 nach § 28a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB III in der am 31. Dezember 2016 geltenden Fassung versicherungspflichtig waren, ab dem 1. Januar 2017 das Versicherungspflichtverhältnis nach § 26 Abs. 2b SGB III fortgesetzt.

Bei dem Kläger lag zum 31. Dezember 2016 keine Versicherungspflicht vor, die nach dieser Regelung hätte fortgesetzt werden können.

a) Für den Kläger als Pflegeperson lagen die Voraussetzungen einer Versicherungspflicht auf Antrag nach § 28a Abs. 1 Nr. 1 SGB III a. F. nicht vor, da der Kläger die. erforderlichen Vorversicherungszeiten nicht erfüllt hatte.

Voraussetzung für die Versicherungspflicht war nach § 28a Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 SGB III a. F., dass die antragstellende Person
1.    innerhalb der letzten zwei Jahre vor der Aufnahme der Tätigkeit oder Beschäftigung oder dem Beginn der Elternzeit oder beruflichen Weiterbildung mindestens zwölf Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden hatte oder
2.    unmittelbar vor der Aufnahme der Tätigkeit oder der Beschäftigung oder dem Beginn der Elternzeit oder der beruflichen Weiterbildung Anspruch auf eine Entgeltersatzleistung nach dem SGB III hatte
und weder versicherungspflichtig (§§ 25, 26 SGB III) noch versicherungsfrei (§§ 27, 28 SGB III) war.

Diese Voraussetzungen erfüllte der Kläger weder nach seinen eigenen Angaben noch nach den vorliegenden Unterlagen.

b) Unabhängig hiervon erfüllte der Kläger am 31. Dezember 2016 auch die Voraussetzung zum zeitlichen Umfang der Pflegetätigkeit für eine Antragspflichtversicherung nach § 28a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB III a. F. nicht. Denn er verrichtete zu diesem Zeitpunkt eine Pflegetätigkeit im zeitlichen Umfang von nur 11 Stunden/Woche. Dieser Umfang war nicht ausreichend, da nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut eine Pflegetätigkeit im Umfang von "wenigstens 14 Stunden wöchentlich" gefordert war.

c) Schließlich versäumte der Kläger die dreimonatige Antragsfrist nach Aufnahme der Pflegetätigkeit (vgl. § 28a Abs. 2 Satz 1 SGB III).

Nach der vom 1. Januar 2011 bis zum 31. Juli 2016 geltenden Fassung (vgl. Artikel 1 Nr. 4 des Gesetzes vom 24. Oktober 2010 [BGBl. I S. 1417]) musste der Antrag spätestens innerhalb von drei Monaten nach Aufnahme der Tätigkeit oder Beschäftigung, die zur Begründung eines Versicherungspflichtverhältnisses auf Antrag berechtigt, gestellt werden. Nach der seit 1. August 2016 geltenden Fassung (vgl. Artikel 1 Nr. 4 Buchst. c Doppelbuchst. aa des Gesetzes vom 18. Juli 2016 [BGBl. I S. 1710]) muss der Antrag spätestens innerhalb von drei Monaten nach Aufnahme der Tätigkeit oder Beschäftigung oder dem Beginn der Elternzeit oder beruflichen Weiterbildung, die zur Begründung eines Versicherungspflichtverhältnisses auf Antrag berechtigt, gestellt werden. Der Kläger wahrte diese 3-Monatsfrist nicht, weil er sich erst am 30. November 2015 mit einem Antrag auf Begründung eines Versicherung Verhältnisses in der Arbeitslosenversicherung an die Beklagte wandte, seine Mutter aber bereits ab dem 7. Januar 2014, mithin fast 23 Monate zuvor, gepflegt hatte.

Über diesen Umstand der verspäteten Antragstellung vermag auch der richterrechtlich entwickelte sozialrechtliche Herstellungsanspruch nicht hinweg zu helfen. In der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ist geklärt, dass für die Anwendung des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs kein Raum verbleibt, wenn ein eingetretener Nachteil nicht durch eine zulässige Amtshandlung beseitigt werden kann (vgl. BSG, Urteil vom 30. März 1995 – 7 RAr 22/94BSGE 76, 84 ff. = SozR 3-8825 § 2 Nr. 3 = juris Rdnr. 35). Abgesehen vom Erfordernis der Pflichtverletzung im Sinne einer fehlenden, unvollständigen oder unrichtigen Beratung ist daher erforderlich, dass der dem Versicherten entstandene Nachteil mit verwaltungskonformen Mitteln im Rahmen der gesetzlichen Regelung, also durch eine vom Gesetz vorgesehene zulässige und rechtmäßige Amtshandlung, zu beseitigen ist (vgl. BSG, Urteil vom 11. März 2004 – B 13 RJ 16/03 RBSGE 92, 241 ff. = SozR 4-2600 § 58 Nr. 3 = juris Rdnr. 24). Begebenheiten tatsächlicher Art lassen sich daher auch in der Regel nicht durch einen Herstellungsanspruch ersetzen (vgl. Nachweise zur Rechtsprechung des BSG bei Hassel, in: Brand, SGB III [9. Aufl., 2021], § 323 Anh. Rdnr. 38; vgl. auch Sächs. LSG, Urteil vom 12. Juli 2018 – L 3 AL 210/16 – juris Rdnr. 38). Übertragen auf den Fall des Klägers bedeutet dies, dass sich seine tatsächlich ausgeübte Pflegetätigkeit für seine Mutter im Umfange von 11 Stunden/Woche nicht dahingehend ersetzen lässt, dass von einer Pflegetätigkeit im Umfang von "wenigstens 14 Stunden wöchentlich" auszugehen wäre.

Es kann deshalb dahinstehen, ob die Versäumung der dreimonatigen Antragsfrist überhaupt, wie der Kläger offenbar meint, auf ein Beratungsunterlassen der Beklagten oder einer anderen Stelle, deren Verhalten sich die Beklagte zurechnen lassen müsste, zurückzuführen ist.

3. Die Voraussetzungen einer Antragspflichtversicherung lagen auch im Zeitraum vom 1. April 2014 bis zum 10. September 2015 nicht vor. In diesem Zeitraum übte der Kläger zwar im Wege der Additionspflege eine Pflegetätigkeit im Umfange von insgesamt 14 Stunden wöchentlich aus und erfüllte damit die Voraussetzung des § 28a Abs. 1 Nr. 1 SGB III a. F.. Er erfüllte jedoch nicht die weitere Anspruchsvoraussetzung nach Vorversicherungszeiten im Sinne von § 28a Abs. 2 Satz 1 SGB III a. F. in der hier maßgebenden, vom 1. April 2012 bis zum 31. Juli 2016 geltenden Fassung (vgl. Artikel 2 Nr. 17 Buchst. a des Gesetzes vom 20. Dezember 2011 [BGBl. I S. 2854]). Danach war Voraussetzung für die Versicherungspflicht, dass die antragstellende Person
1.    innerhalb der letzten 24 Monate vor Aufnahme der Tätigkeit oder Beschäftigung mindestens zwölf Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden hatte,
2.    eine Entgeltersatzleistung nach dem SGB III unmittelbar vor Aufnahme der Tätigkeit oder Beschäftigung bezogen hatte oder
3.    eine als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme geförderte Beschäftigung, die ein Versicherungspflichtverhältnis nach den Vorschriften des Ersten Abschnitts oder den Bezug einer laufenden Entgeltersatzleistung nach dem SGB III unterbrochen hatte, unmittelbar vor Aufnahme der Tätigkeit oder Beschäftigung ausgeübt hatte
und weder versicherungspflichtig (§§ 25, 26 SGB III) noch versicherungsfrei (§§ 27, 28 SGB III) war; eine geringfügige Beschäftigung (§ 27 Abs. 2 SGB III) schloss die Versicherungspflicht nicht aus. Keine dieser Varianten ist im Falle des Klägers gegeben.

4. Die verfassungsrechtlichen Bedenken des Klägers werden nicht geteilt. Der Senat kann keinen Verstoß gegen den Gleichheitssatz nach Artikel 3 Abs. 1 GG darin erkennen, dass der Gesetzgeber die Versicherungspflicht für Pflegezeiten davon abhängig gemacht hat, dass für die pflegende Person vor der Aufnahme der Pflegetätigkeit Versicherungspflicht oder ein Anspruch auf eine Entgeltersatzleistung nach dem SGB III bestanden hat.

Der allgemeine Gleichheitssatz gebietet dem Gesetzgeber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln (ständ. Rspr. Des BVerfG's, vgl. z. B. BVerfG, Beschluss vom 18. Juli 2005 – 2 BvF 2/01BVerfGE 113, 167, 214 = juris Rdnr. 126 ff. m. w. N.; BVerfG, Beschluss vom 28. November 2023 – 2 BvL 8/13 – WM 2024, 272 ff. = DStR 2024, 155 ff. = juris Rdnr. 63; vgl. auch BSG, Urteil vom 4. Dezember 2014 – B 5 AL 1/14 R – SozR 4-4300 § 28a Nr. 9 = juris Rdnr. 27 ff.). Artikel 3 Abs. 1 GG ist jedenfalls dann verletzt, wenn sich ein vernünftiger, aus der Natur der Sache ergebender oder ein sonst sachlich einleuchtender Grund für die gesetzliche Differenzierung oder Gleichbehandlung nicht finden lässt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 18. Juli 2005 a. a. O.; BSG, Urteil vom 4. Dezember 2014, a. a. O.). Dabei ist im Bereich der Sozialversicherung einerseits die hohe Bedeutung ihrer Funktionsfähigkeit sowie ihrer finanziellen Stabilität für das gemeine Wohl und andererseits die diesbezüglich gegebene weitgehende sozialpolitische Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers zu beachten (vgl. BVerfG, a. a. O.; BSG, a. a. O.).

Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben lässt sich ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz durch die Begrenzung der Versicherungspflicht auf Personen, die unmittelbar vor Aufnahme der Tätigkeit der Versicherungspflicht unterlagen oder im Leistungsbezug standen, nicht feststellen. Eine Einbeziehung in die Arbeitslosenversicherung ist immer mit Risiken für die Arbeitslosenversicherung verbunden. Dass der in der sozialpolitischen Gestaltung weitgehend freie Gesetzgeber die Versicherungsberechtigung – oder ab dem 1. Januar 2017 die Versicherungspflicht – nur für Personen mit einer besonders engen Beziehung zur Arbeitslosenversicherung, manifestiert durch das Bestehen von Versicherungspflicht oder den Bezug von Entgeltersatzleistungen nach dem SGB III unmittelbar vor Aufnahme der Tätigkeit das Privileg einer Versicherungsberechtigung oder Versicherungspflicht, vorsieht, ist sachlich einleuchtend und verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (so zur nicht bestehenden allgemeinen Versicherungsberechtigung aller Selbständigen: vgl. BSG, Urteil vom 4. Dezember 2014 – B 5 AL 1/14 R – SozR 4-4300 § 28a Nr. 9 = juris Rdnr. 29; BSG, Urteil vom 7. April 2016 – B 5 AL 1/15 RNZS 2016, 714 ff. = juris Rdnr. 32). Es besteht von Verfassung wegen kein Anspruch darauf, sozialpolitisch wünschenswerte Tätigkeiten wie die Pflege von Angehörigen voraussetzungslos in das Recht der Arbeitslosenversicherung einzubeziehen.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 193, 183 SGG.

IV. Gründe für die Zulassung der Revision (vgl. § 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.

 

 

Rechtskraft
Aus
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