L 10 U 1718/23

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
10.
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 10 U 3412/21
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 U 1718/23
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

1. Ein noch während des Klageverfahrens erlassener Bescheid über die Weitergewährung von Verletztenrente auf nunmher unbestimmte Zeit statt als vorläufige Entschädigung wird nach § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des Rechtsstreits.
2. Zur MdE-Bemessung eines Schulterschadens. Dabei führt ein unversicherter sog. Nachschaden an der anderen Schulter nicht zu einer MdE-Erhöhung (Anschluss u.a. an BSG 12.07.2022, B 2 U 11/22 B).
3. Die gerichtliche Kostenentscheidung umfasst auch die Kosten des Vorverfahrens, wenn sich im Anschluss an eine Teilabhilfe ein Klageverfahren anschließt. Ebenfalls Gegenstand der gerichtlichen Kostenentscheidung sind die Kosten für ein überflüssiges Vorverfahren, nachdem der in Rede stehende Bescheid nach § 96 Abs. 1 SGG Klagegegenstand geworden ist.

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 10.05.2023 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger seine notwendigen außergerichtlichen Kosten für das Widerspruchsverfahren gegen den Bescheid vom 22.10.2020 zur Hälfte und für das Widerspruchsverfahren gegen den Bescheid vom 07.12.2021 in vollem Umfang zu erstatten; im Übrigen haben die Beteiligten einander keine Kosten zu erstatten.



Tatbestand

Der Kläger begehrt eine höhere Verletztenrente nach einer höheren Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 05.02.2019.

Der 1951 geborene Kläger (Rechtshänder), italienischer Staatsbürger, war als Regelaltersrentner zum Zeitpunkt des angeschuldigten Ereignisses als Waschstraßenbetreuer bei der L1 GmbH in W1 auf Stundenbasis mit Anspruch auf Entgeltfortzahlung bis zur Dauer von sechs Wochen beschäftigt (vgl. S. 120, 152, 270, 284 VerwA-I). Nach eigenen Angaben (S. 70 VerwA-I) stolperte er am Abend des 05.02.2019 kurz vor Beendigung seiner Schicht beim Reinigen der (Kfz-)Waschbahn mit einem Dampfstrahlgerät über einen dort am Boden liegenden Schlauch und stürzte nach vorne über auf den Betonboden, wo er mit nach vorne angewinkeltem (rechten) Arm auf die rechte Schulter und auf das Kinn aufschlug. Er wurde mittels RTW in das Klinikum S1, Krankenhaus C1, verbracht, wo der D-Arzt H1 eine schmerzhafte Bewegungseinschränkung der rechten Schulter bei Verdacht auf (V.a.) leere Gelenkpfanne bei federnd fixierter Schulter befundete. Er diagnostizierte eine Luxation der rechten Schulter, eine nicht dislozierte Fraktur des Tuberculum majus rechts sowie eine Glenoidfraktur rechts (S. 76 VerwA-I); eine Nervenschädigung schloss er aus (S. 92 VerwA-I). Der niedergelassene D-Arzt F1 bescheinigte am Folgetag Arbeitsunfähigkeit bis voraussichtlich 31.03.2019 (S. 11 VerwA-I), später mehrmals verlängert, zuletzt bis einschließlich 02.09.2019 (S. 385 VerwA-I); die Beklagte zahlte via Generalauftrag über die Krankenkasse Verletztengeld (VzG) vom 20.03.2019 bis einschließlich 02.09.2019 (S. 288, 331, 386 VerwA-I).

Nach Reluxation stellte sich der Kläger am 08.02.2019 in der Klinik des Klinikums S1 vor, wo operativ eine Frakturstabilisierung mittels Schraubenosteosynthese und eine Refixation der Rotatorenmanschette durchgeführt wurde (s. im Einzelnen Entlassungsbericht über die stationäre Behandlung vom 08. bis 14.02.2019, S. 154 ff. VerwA-I sowie CT-Bericht rechte Schulter vom 08.02.2019, S. 124 f. VerwA-I und Operationsberichte vom 08.02.2019, S. 126 f. VerwA-I und vom 11.02.2019, S. 128 f. VerwA-I).

In der Folge klagte der Kläger über fortbestehende Belastungs- und Bewegungsschmerzen im Bereich der rechten Schulter - weswegen bei ihm bis Mitte August 2019 (S. 382 VerwA-I) eine erweiterte ambulante Physiotherapie (EAP) durchgeführt wurde - und machte bei der Beklagten Anfang Juni 2019 geltend, dass er bei dem Unfall auch auf das Kinn gestürzt sei und nun in zahnärztlicher Behandlung stehe; zwar habe er „Vorerkrankungen an den Zähnen“, frage aber gleichwohl, ob die Kosten übernommen werden könnten (S. 250 VerwA-I). Die Beklagte veranlasste hinsichtlich der Schulter eine Untersuchung des Klägers in der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik T1 (BGU), wegen der diesbezüglichen Einzelheiten wird auf den Befundbericht mit fachärztlicher Stellungnahme vom 09.07.2019 Bezug genommen (S. 313 ff. VerwA-I; dort u.a. erstmals Behauptung des Klägers, beim Unfall seien vier Zähne „ausgebrochen“, S. 314 VerwA-I), und befragte die behandelnde Zahnärztin G1. Diese teilte mit (S. 372 VerwA-I), der Kläger leide unfallvorbestehend an einem paradontösen Vorzustand des Gebisses, der eine komplette Sanierung des Unterkiefers notwendig mache. Mitte Februar 2019 sei ihm zwar eine Klammer abgebrochen, ein Zusammenhang mit dem Unfall sei indes unerheblich, weil die Reparatur weder dem Kläger noch der Krankenkasse in Rechnung gestellt werde. Im Übrigen finde die gesamte Behandlung zu Lasten der Krankenkasse statt, was dem Kläger auch bereits mehrmals mitgeteilt worden sei. Mit Schreiben vom 19.08.2019 (S. 373 VerwA-I) lehnte die Beklagte sodann dem Kläger gegenüber eine Kostenübernahme der zahnärztlichen Behandlung ab.

Im August 2019 zog sich der Kläger eine Schulterluxation links zu, die zu Lasten der Krankenkasse operativ versorgt wurde (s. S. 385 VerwA-I); die Heilbehandlung wegen der rechten Schulter schloss der D-Arzt F1 am 02.09.2019 mit Arbeitsfähigkeit ab dem Folgetag ab (a.a.O.) und schätzte die MdE auf unter 20 v.H. ein (S. 388 VerwA-I).

Anfang Dezember 2019 wurde der Kläger erneut beim D-Arzt vorstellig und klagte wiederum über belastungsabhängige Schulterbeschwerden rechts (S. 407 f. VerwA-I), woraufhin ihm - bei fortbestehender Arbeitsfähigkeit - Krankengymnastik verordnet wurde, so auch am 01.04.2020, 30.04.2020 und am 28.05.2020 (S. 418 f., 444 f., 448 f. VerwA-I); der D-Arzt F1 schätzte die MdE weiterhin auf unter 20 v.H. ein (S. 409 VerwA-I), auch bei Abschluss der (Wieder-)Behandlung am 29.06.2020 (S. 2 VerwA-II).

Die Prozessbevollmächtigte des Klägers beantragte bei der Beklagten am 31.03.2020 die Gewährung von Verletztenrente und begehrte VzG bis 20.03.2020 (S. 421 f. VerwA-I). Auf Hinweis der Beklagten, dass keine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen über den 02.09.2019 hinaus vorlägen, legte die Prozessbevollmächtigte insoweit Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen betreffend die linke Schulter des Klägers vor.

Die Beklagte holte bei A1 (Ärztlichen Direktor der Klinik für Unfall-, Wiederherstellungschirurgie und Orthopädie des Klinikums L2) das Erste Rentengutachten vom 31.08.2020 (S. 14 ff. VerwA-II) ein, der nach Untersuchung des Klägers am 16.07.2020 als verbliebene Folge des Unfalls vom 05.02.2019 eine schmerzhafte Bewegungseinschränkung des rechten Schultergelenks (seit-/körperwärts: 90/0/30°, rück-/vorwärts: 40/0/100°, aus-/einwärts drehen bei anliegendem Oberarm: 20/0/70°, aus-/einwärts drehen bei 90° seitwärts abgehobenem Oberarm: 40/0/60°; im Übrigen namentlich beidseits freie Beweglichkeit der Ellenbogen- und Handgelenke, grobe Kraft der Hände und Faustschluss seitengleich kräftig, Nackengriff rechts zu 3/4 durchführbar, Schürzengriff ebenso bis zum Gesäß, keine Schulterinstabilität rechts) bei Zustand nach (Z.n.) Schulterluxation rechts mit osteosynthetisch versorgter Glenoidfraktur i.S. einer knöchernen Bankart-Läsion und Supraspinatussehnennaht beschrieb sowie - ohne Begründung - von einem Z.n. „vier ausgebrochenen Zähnen infolge des Sturzes“ ausging. Der Z.n. Schulterluxation links mit operativer Revision im August 2019 und bei Humeruskopfnekrose sei unfallunabhängig. Der Gutachter schätzte die MdE für die unfallverletzte rechte Schulter vom Zeitpunkt der Wiedererlangung der Arbeitsfähigkeit am 03.09.2019 bis auf weiteres auf 20 v.H. ein.

Darauf gestützt bewilligte die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 22.10.2020 (S. 42 ff. VerwA-II) wegen „der Folgen des Arbeitsunfalls“ vom 05.02.2019 ab dem 03.09.2019 eine Rente „als vorläufige Entschädigung“ nach einer MdE von 20 v.H. und einem Jahresarbeitsverdienst (JAV) von rund 22.000 €.

Mit seinem Widerspruch vom 25.11.2020 (S. 50, 56 f. VerwA-II) machte der Kläger geltend, dass die von A1 dokumentierten Bewegungsmaße der rechten Schulter eine MdE von mindestens 30 v.H. rechtfertigten, zumal auch die Kraftminderung nicht berücksichtigt worden sei. Der D-Arzt F1 blieb weiterhin bei seiner Einschätzung, dass die MdE unter 20 v.H. liege (S. 54 VerwA-II).

Die Beklagte zog bildgebendes Material bei und holte die beratungsärztliche Stellungnahme des Facharztes für Unfall-/Chirurgie und Orthopädie N1 vom 08.03.2021 (S. 83 f. VerwA-II) ein, der darauf hinwies, dass eine MdE von 30 v.H. (und mehr) nach den MdE-Erfahrungssätzen erst bei einem Funktionszustand in Betracht komme, der einer Schultergelenksversteifung in 30° Abduktion entspreche, wovon der Kläger - da deutlich bessergestellt - weit entfernt sei. Die MdE für die rechte Schulter betrage 20 v.H. Indes liege im Bereich der linken Schulter eine deutliche Bewegungseinschränkung vor, die wegen der „Wechselwirkung“ in der „Gesamtschau“ zu berücksichtigen sei, sodass die Verletztenrente mit einer MdE von 25 v.H. zu veranschlagen sei.

Unter Zugrundelegung dessen half die Beklagte dem Widerspruch des Klägers - unter der Annahme, am linken Schultergelenk läge ein „Vorschaden“ vor, der „nicht mehr durch die Gegenseite kompensiert werden“ könne - mit Widerspruchsbescheid vom 29.07.2021 (S. 6 ff. SG-Akte) dahingehend ab, dass sie den Bescheid vom 22.10.2020 abänderte und dem Kläger die bewilligte Rente von Beginn an nach einer MdE von 25 v.H. gewährte; im Übrigen wies sie den Widerspruch zurück, weil eine höhere MdE die einer Schultergelenksversteifung entspreche, was beim Kläger nicht vorliege. Die notwendigen Aufwendungen des Klägers für das Widerspruchsverfahren würden zur Hälfte erstattet, was gemessen am Teilerfolg des Widerspruchs angemessen sei.

Hiergegen hat der Kläger am 01.09.2021 beim Sozialgericht Stuttgart (SG) mit dem Begehren der Gewährung der Rente ab dem 03.09.2019 nach einer MdE von mindestens 30 v.H. Klage erhoben und sein Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren wiederholt.

Während des Klageverfahrens hat die Beklagte außergerichtlich das Zweite Rentengutachten des A1 vom 10.11.2021 (S. 170 ff. VerwA-II) eingeholt, der nach Untersuchung des Klägers am 04.11.2021 bei seiner Einschätzung im Ersten Rentengutachten verblieben ist (zum klinischen Befund s. im Einzelnen S. 173 f., 178 VerwA-II, namentlich Bewegungsmaße des rechten Schultergelenks: seit-/körperwärts 140/0/30°, rück-/vorwärts 40/0/130°, aus-/einwärts drehen bei anliegendem Oberarm 40/0/70°, aus-/einwärts drehen bei 90° seitwärts abgehobenem Oberarm 50/0/60°). Die MdE hinsichtlich des rechten Schultergelenks betrage 20 v.H., wegen der „funktionellen Wechselwirkung“ aufgrund der deutlichen Funktionseinschränkung auch im Bereich des linken Schultergelenks sei die „Gesamt-MdE“ mit 25 v.H. (s. auch den entsprechenden Hinweis der Beklagten im Gutachtensauftrag S. 143 VerwA-II) zu bemessen.

Darauf gestützt verlautbarte die Beklagte mit Bescheid vom 07.12.2021 (S. 182 ff. VerwA-II) „über Rente auf unbestimmte Zeit“, dass an Stelle der bisherigen Rente als vorläufige Entschädigung „eine Rente auf unbestimmte Zeit in gleicher Höhe weitergezahlt“ werde; der Bescheid ist mit einer Belehrung über den Rechtsbehelf des Widerspruchs versehen worden. Hiergegen hat der Kläger am 05.01.2022 Widerspruch erhoben (S. 199 f. VerwA-II); die Rente sei entsprechend dem Klagebegehren nach einer MdE von mindestens 30 v.H. zu gewähren. Mit Widerspruchsbescheid vom 31.01.2022 (S. 202 ff. VerwA-II) wies die Beklagte den Widerspruch zurück; Kosten seien nicht zu erstatten. Der Widerspruch sei zulässig, aber nicht begründet (Hinweis auf das Gutachten des A1); der Widerspruchsbescheid werde gemäß § 96 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Gegenstand des anhängigen Klageverfahrens. Der Kläger hat seine Klage später ausdrücklich auch auf diese Bescheide erstreckt (s. S. 73 SG-Akte).

Das SG hat von Amts wegen das Sachverständigengutachten des D1 vom 27.04.2022 eingeholt (S. 36 ff. SG-Akte), der den Kläger am 18.03.2022 untersucht hat. Als Unfallfolge sei bei Z.n. vorderer Schulterluxation rechts mit operierter Supraspinatussehne und operierter Glenoidfraktur eine Bewegungseinschränkung der rechten Schulter verblieben. Auf der Grundlage der aktenkundig ärztlich dokumentierten - vom Sachverständigen in Bezug genommenen - und der von ihm (D1) erhobenen Funktionsbewegungsmaße (aktiv seit-/körperwärts 130/0/20°, aktiv geführt 145/0/20°; aktiv rück-/vorwärts 45/0/120°, aktiv geführt 45/0/140°; aktiv aus-/einwärts drehen bei anliegendem Oberarm 25/0/80°; aus-/einwärts drehen bei 90° seitwärts abgehobenem Oberarm: 35/0/60°; im Übrigen: kein erkennbarer Seitenunterschied in der Ausprägung der Schultergürtelmuskulatur, Umfangmessung nur geringfügig unterschiedlich rechts gegenüber links, Kraftgrade allseits seitengleich, Beweglichkeit der Ellbogen-, Hand- und Fingergelenke seitengleich vollständig, Faustschluss beidseits vollständig, problemloser Spitz-, Schlüssel-, Haken- und Pinzettengriff beidseits) - ausgenommen die von A1 im Ersten Rentengutachten mitgeteilten Werte, die freilich gegenüber den zeitlich zuvor und zeitlich danach dokumentierten Parametern nicht plausibel seien und ohnehin jedenfalls auch keine höhere MdE als 20 v.H. bedingten - sei eine rentenberechtigende MdE von wenigstens 20 v.H. unter Zugrundelegung der unfallmedizinischen Erfahrungswerte (Hinweis auf Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Aufl. 2017, S. 560) nicht erreicht. Es sei auch nicht ersichtlich, warum die am 15.08.2019 im häuslichen Umfeld (s. Angaben des Klägers S. 38 SG-Akte) erlittene Verletzung der linken Schulter (Mehrfachbruch des Tuberculum maius mit Abriss der Supraspinatussehne) zu einer höheren MdE für die (zeitlich vorangegangene) versicherte Verletzung der rechten Schulter führen sollte.

Unter dem 31.03.2022 hat der D-Arzt F1 der Beklagten erneut mitgeteilt, dass die MdE seiner Einschätzung nach unter 20 v.H. betrage (S. 224 VerwA-II).

Die Klägerseite hat Einwände gegen die Begutachtung des Sachverständigen erhoben (s. Anwaltsschriftsatz vom 31.03.2022, S. 25 SG-Akte) und eingewandt, dass die bei der Exploration anwesende Tochter des Klägers „ein Kommunikationsproblem“ zwischen ihrem Vater und dem Sachverständigen „festgestellt“ habe; sie habe den „Eindruck“ gehabt, dass der Sachverständige den Kläger „nicht gut verstanden“ habe - dieser „höre nicht gut“ - und als sie dies habe „klarstellen“ wollen, habe es „ihr gegenüber geheißen“, sie solle „jetzt den Mund halten“. Sie (die Tochter) habe auch den „Eindruck“ gehabt, D1 höre selbst nicht gut. Auch habe der Sachverständige „noch Bilder anfertigen“ wollen, da die Begutachtung für den Kläger jedoch „sehr unangenehm“ gewesen sei, habe er keine Bilder von sich anfertigen lassen wollen (s. dazu auch die Ausführungen des Sachverständigen im Gutachten S. 39 SG-Akte). Die Klägerseite hat zudem „Ergänzungsfragen“ an den Sachverständigen zur Verständigung mit dem Kläger und zu den im Gutachten dokumentierten Messwerten gerichtet (s. im Einzelnen S. 63 SG-Akte).

Das SG hat die Klägerseite darauf hingewiesen, dass sich die Frage zu den Bewegungsmesswerten aus dem Gutachten selbst beantworten lasse und dass sich aus dem Vorbringen in Ansehung der Darlegungen im Gutachten überhaupt nicht ergebe, was konkret D1 nicht verstanden haben soll.

Nach Anhörung der Beteiligten hat das SG die Klage mit Gerichtsbescheid vom 10.05.2023 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass der Bescheid der Beklagten vom 07.12.2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 31.01.2022 nach § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des Klageverfahrens geworden sei und dass der Kläger keinen Anspruch darauf habe, dass die ihm - zunächst als vorläufige Entschädigung, sodann auf unbestimmte Zeit - bewilligte Verletztenrente nach einer höheren MdE als 25 v.H. geleistet werde. In der Sache hat es sich dabei maßgeblich auf die (urkundsbeweislich verwertete) beratungsärztliche Stellungnahme des N1 und die Gutachten des A1 gestützt; der Sachverständige D1 habe deren MdE-Bewertung auf der Grundlage der unfallmedizinischen Literatur bestätigt, sodass die gegen ihn vom Kläger erhobenen Vorwürfe ins Leere gingen. Keiner der mit der Unfallsache des Klägers befassten Ärzte habe eine höhere MdE als bereits festgestellt angenommen.

Gegen den seinen Prozessbevollmächtigten am 15.05.2023 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 15.06.2023 Berufung eingelegt, mit der er die Gewährung der Rente nach einer MdE von 30 v.H. begehrt. Zur Begründung hat er sein Vorbringen aus dem Klageverfahren wiederholt.

Der Kläger beantragt (teilweise sinngemäß),

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 10.05.2023 aufzuheben, den Bescheid der Beklagten vom 22.10.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29.07.2021 sowie deren Bescheid vom 07.12.2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 31.01.2022 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, die Rente wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 05.02.2019 ab dem 03.09.2019 nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 30 v.H. statt 25 v.H. zu gewähren.

Die Beklagte beantragt (sinngemäß),

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend.

Der Senat hat bei D1 eine ergänzende Stellungnahme zu den Einwänden/„Ergänzungsfragen“ der Klägerseite eingeholt. Der Sachverständige hat die gegen ihn erhobenen Vorwürfe zurückgewiesen und insbesondere darauf aufmerksam gemacht, dass er die im Gutachten dokumentierten und erläuterten Beweglichkeitsmaße mit einem Winkelmesser bzw. die Umfangmaße mit einem Maßband gemessen und die Werte unmittelbar protokolliert habe; die behaupteten „erheblichen Kommunikationsprobleme“ habe es nicht gegeben, zumal die Angaben des Klägers teilweise gar in wörtlicher Rede im Gutachten ausgewiesen seien; wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Stellungnahme vom 03.10.2023 (S. 31 f. Senats-Akte) Bezug genommen.

Die Beteiligten haben sich sodann mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt. 


Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten sowie die Prozessakten erster und zweiter Instanz verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die gemäß § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte und gemäß den §§ 143, 144 SGG statthafte Berufung des Klägers, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung durch Urteil gemäß § 153 Abs. 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 SGG entscheidet, ist zulässig, jedoch unbegründet.

Gegenstand des Rechtsstreits ist der Bescheid der Beklagten
vom 22.10.2020 in der Gestalt (§ 95 SGG) des Widerspruchsbescheids vom 29.07.2021 über die Gewährung von Verletztenrente als vorläufige Entschädigung nach einer MdE von 25 v.H. ab dem 03.09.2019 sowie - wie vom SG zutreffend erkannt - der während des Klageverfahrens ergangene Bescheid der Beklagten vom 07.12.2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 31.01.2022 über die (Weiter-)Gewährung dieser Rente auf unbestimmte Zeit (s. dazu § 62 Abs. 2 Satz 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch [SGB VII]) nach einer MdE in gleicher Höhe, der den Bescheid vom 22.10.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29.07.2021 insoweit für die Zukunft ersetzt und daher nach § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des Klageverfahrens geworden ist (s. dazu nur Senatsurteil vom 15.10.2020, L 10 U 421/17, www.sozialgerichtsbarkeit.de und vom 20.10.2011, L 10 U 4346/08, in juris, Rn. 22; Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Aufl. 2023, § 96 Rn. 9c; Padé in jurisPK-SGB VII, 3. Aufl., § 62 Rn. 36, Stand 15.01.2022), allerdings nur insoweit, als der Kläger die Gewährung höherer Verletztenrente nach einer höheren MdE - nämlich 30 v.H. statt 25 v.H. (so ausdrücklich das Berufungsbegehren, S. 2 Senats-Akte) - begehrt hat. Soweit ihm die Rente nach einer MdE von 25 v.H. bewilligt worden ist, hat er sich dagegen - weil ihm insoweit günstig - nicht gewandt. Nämliches gilt hinsichtlich der im Bescheid vom 22.10.2020 der Sache nach (vgl. dazu nur Bundessozialgericht [BSG] 28.06.2022, B 2 U 9/20 R, in juris, Rn. 16: „wegen der Folgen des Arbeitsunfalls“; Senatsurteil vom 22.02.2024, L 10 U 1953/21, in juris, Rn. 46) verfügten Anerkennung des Ereignisses vom 05.02.2019 als Arbeitsunfall i.S. des § 7 Abs. 1 Alt. 1 i.V.m. § 8 Abs. 1 SGB VII. Nicht Gegenstand des Rechtsstreits ist zudem der konkrete Rentenzahlbetrag, denn auch dagegen hat sich der Kläger zu keinem Zeitpunkt gewandt.

Unter Zugrundelegung dessen hat das SG die als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 und Abs. 4, § 56 SGG) statthafte und auch im Übrigen zulässige Klage zu Recht abgewiesen. Denn der
Bescheid der Beklagten vom 22.10.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29.07.2021 und der Bescheid vom 07.12.2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 31.01.2022 ist - soweit Gegenstand des Verfahrens (s.o.) - rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Er hat keinen Anspruch auf Gewährung der ihm ab 03.09.2019 (vgl. § 72 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII) zunächst als vorläufige Entschädigung und sodann auf unbestimmte Zeit nach einer MdE von 25 v.H. bewilligten Verletztenrente nach einer höheren MdE und zwar weder im Hinblick auf die Rente als vorläufige Entschädigung, noch bezüglich deren (Weiter-)Gewährung auf unbestimmte Zeit.

Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v.H. gemindert ist, haben nach § 56 Abs. 1 Satz 1 SGB VII Anspruch auf eine Rente. Ist die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Versicherungsfälle gemindert und erreichen die Vomhundertsätze zusammen wenigstens die Zahl 20, besteht für jeden, auch für einen früheren Versicherungsfall, Anspruch auf Rente (§ 56 Abs. 1 Satz 2 SGB VII). Die Folgen eines Versicherungsfalls sind nach § 56 Abs. 1 Satz 3 SGB VII nur zu berücksichtigen, wenn sie die Erwerbsfähigkeit um wenigstens 10 v.H. mindern. Während der ersten drei Jahre nach dem Versicherungsfall soll der Unfallversicherungsträger nach § 62 Abs. 1 Satz 1 SGB VII die Verletztenrente als vorläufige Entschädigung festsetzen, wenn der Umfang der MdE noch nicht abschließend festgestellt werden kann. Spätestens mit Ablauf von drei Jahren nach dem Versicherungsfall wird die vorläufige Entschädigung nach § 62 Abs. 2 Satz 1 SGB VII als Rente auf unbestimmte Zeit geleistet.

Die MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII). Die Bemessung der MdE hängt also von zwei Faktoren ab (vgl. nur BSG 22.06.2004, B 2 U 14/03 R, in juris, Rn. 12): Den verbliebenen Beeinträchtigungen des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens und dem Umfang der dadurch verschlossenen Arbeitsmöglichkeiten. Entscheidend ist nicht der Gesundheitsschaden als solcher, sondern vielmehr der Funktionsverlust unter medizinischen, juristischen, sozialen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Ärztliche Meinungsäußerungen darüber, inwieweit derartige Beeinträchtigungen sich auf die Erwerbsfähigkeit auswirken, haben keine verbindliche Wirkung, sie sind aber eine wichtige und vielfach unentbehrliche Grundlage für die richterliche Schätzung der MdE, vor allem soweit sie sich darauf beziehen, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt sind. Erst aus der Anwendung medizinischer und sonstiger Erfahrungssätze über die Auswirkungen bestimmter körperlicher und seelischer Beeinträchtigungen auf die verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten des Betroffenen auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens und unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Einzelfalles kann die Höhe der MdE im jeweiligen Einzelfall geschätzt werden. Diese zumeist in jahrzehntelanger Entwicklung von der Rechtsprechung sowie dem versicherungsrechtlichen und versicherungsmedizinischen Schrifttum herausgearbeiteten Erfahrungssätze sind bei der Beurteilung der MdE zu beachten; sie sind zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend, bilden aber die Grundlage für eine gleiche, gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis und unterliegen einem ständigen Wandel.

Als Folgen der vom Kläger am
05.02.2019 erlittenen und Mitte Februar 2019 erfolgreich mittels Schraubenosteosynthese sowie Refixation operativ revidierten Schulterluxation rechts mit Supraspinatussehnenläsion, nicht dislozierter Fraktur des Tuberculum majus und Glenoidfraktur ist über den 02.09.2019 hinaus eine Einschränkung der Schulterbeweglichkeit (s. dazu im Einzelnen die oben im Tatbestand dargestellten ärztlich-gutachtlich dokumentierten Bewegungsmaße sowie ergänzend die des D-Arztes F1 vom 02.09.2019, 04.11.2020, 20.01.2021, 05.05.2021 und 18.02.2022, S. 384 VerwA-I, S. 46, 62, 94, 208 VerwA-II) mit vom Kläger angegebenen belastungsabhängigen Schmerzen sowie eine reizlose Operationsnarbe verblieben. In diesem Sinne haben sich sämtliche der mit der Unfallsache des Klägers befassten Ärzte - der D-Arzt F1, der Gutachter A1 (dessen Gutachten urkundsbeweislich verwertbar sind), der Beratungsarzt der Beklagten N1 (dessen beratungsärztliche Stellungnahme vom 08.03.2021 ebenfalls urkundsbeweislich verwertbar ist) sowie der Sachverständige D1 - im streitigen Zeitraum ab 03.09.2019 geäußert.

Nach dem auch vom Senat in ständiger Rechtsprechung zu Grunde gelegten unfallmedizinischen Standardwerk (Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., 9. Aufl. 2017, S. 436, 560) kommt bei einer unfallbedingten Verletzung des Schulterareals den Funktionseinschränkungen in Gestalt der noch vorhandenen Bewegungsmaße maßgebliche Bedeutung zu, wobei die Vorhebung (der verletzten Schulter bzw. des verletzten Arms, wobei rechts- und linksseitige Verletzungen gleich bewertet werden) das Hauptkriterium der Funktionsbewertung ist (Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., S. 560). Eine Armvorwärtshebung bis 120° bedingt dabei nach den unfallmedizinischen Erfahrungswerten eine MdE von 10 v.H., eine solche bis 90° eine MdE von 20 v.H. Bei einer Schultergelenkversteifung, die u.a. eine aktiv wie passiv gleichermaßen eingeschränkte Schulterbeweglichkeit voraussetzt (Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., S. 558), beträgt die MdE 30 v.H., wenn die Abduktion (nur) 30° beträgt. Ist die Vorwärts-/Seitwärts-Beweglichkeit bei Schultergelenkversteifung bis 90° möglich, ist die MdE mit 20 v.H. zu bemessen, andernfalls, bei einer Vorwärts-/Seitwärts-Beweglichkeit mit Schultergelenkversteifung bis 120°, mit 10 v.H. Führt die Schultergelenkversteifung zu einer konzentrischen Bewegungseinschränkung um die Hälfte, beträgt die MdE 25 v.H. (Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., S. 560, auch zum Nachfolgenden). Eine höhere MdE ist lediglich bei einer Versteifung von Schultergelenk und Schultergürtel in Funktionsstellung (30° Vorwärts- und Seitwärtsdrehung und 30° Innendrehung) vorgesehen (MdE 40 v.H.), bei einer Lähmung des Deltamuskels und des kleinen Rundmuskels (MdE 30 v.H.) bzw. bei einer Oberarmkopfprothese (gute Funktion) mit Bewegungseinschränkung und Kraftminderung (MdE 30 v.H.). Auch eine „schlimmste“ Schulterverletzung kann bei voll funktionsfähiger Hand nach der unfallmedizinischen Literatur jedenfalls nicht höher als maximal 40 v.H. bewertet werden, wobei bei Möglichkeit des Verbringens der Hand in Gebrauchsstellung auch lediglich eine MdE bis 10 v.H. angenommen wird (s. Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., m.w.N.).

Ausgehend von diesen Maßstäben lässt sich auf der Grundlage der im streitigen Zeitraum ab dem 03.09.2019 ärztlich-dokumentierten Bewegungsmaße der rechten Schulter nicht einmal ansatzweise eine höhere MdE als 25 v.H. begründen und auch keiner (sic!) der o.g. Ärzte hat eine solche angenommen, was bereits deshalb überzeugt, weil beim Kläger schon keine Schultergelenkversteifung rechts vorliegt und er mit den jeweils im streitigen Zeitraum dokumentierten Beweglichkeitsmaßen ohnehin deutlich bessergestellt ist. Allein wegen dieser ärztlich übereinstimmenden Beurteilungen gehen die Vorwürfe des Klägers gegen die Funktionsbeurteilung des Sachverständigen von vornherein ins Leere; ohnehin erschließt sich nicht, was irgendwelche „Verständigungsprobleme“ an den von D1 erhobenen und mit dem übrigen objektiv-klinischen Befund übereinstimmenden Funktionsparametern ändern sollten. Ungeachtet dessen sind die (nur pauschal gebliebenen) Vorwürfe der Klägerseite gegen den Sachverständigen in Ansehung seiner für den Senat in jeder Hinsicht überzeugenden, schon im Gutachten selbst erläuternden und sachlichen Ausführungen sowie seiner ergänzenden Stellungnahme widerlegt; die Klägerseite hat Letzterer auch nichts mehr entgegengehalten. Dabei spielt es auch keine entscheidende Rolle, ob die aktiven (vollends mitarbeitsabhängigen) Beweglichkeitsmaße der rechten Schulter oder die vom Sachverständigen (bis zur Schmerzgrenze) aktiv geführten Maße (s. dazu im Einzelnen S. 44 SG-Akte) zugrunde zu legen sind. Denn weder das eine noch das andere rechtfertigt eine MdE von mehr als 25 v.H. und zwar nicht einmal auch nur im Ansatz, worauf D1 zutreffend hingewiesen hat. Daran ändern wiederum auch die (pauschalen) Beschwerdeangaben und -behauptungen des Klägers nichts, denn diese sind für sich gesehen nicht maßgeblich für die MdE-Bewertung (zum Maßstab s. bereits oben) und ohnehin nicht in einem Ausmaß objektiviert, das auch nur in die Nähe einer MdE von mehr als 25 v.H. käme.

Der Senat kann im Ergebnis offenlassen, ob die von der Beklagten der Rentenbewilligung zugrunde gelegte MdE von 25 v.H. zugunsten des Klägers nicht bereits (deutlich) überhöht ist, was in Ansehung der Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen (MdE unter 20 v.H.) mehr als naheliegt und auch der D-Arzt
F1 hat die MdE durchgehend als nicht rentenberechtigend eingestuft.

Jedenfalls ist die beim Kläger stattgehabte Verletzung der linken Schulter (erst) am 15.08.2019 mit Strukturschaden und verbliebener funktioneller Einschränkung vorliegend von vornherein ohne jegliche Bedeutung.

Entgegen der Beklagten und N1 - kraft „Vorgabe“ auch A1 im Zweiten Rentengutachten - ist die MdE für die verunfallte rechte Schulter nicht wegen der Schulterschädigung links von 20 auf 25 v.H. zu erhöhen gewesen. Dies liegt vollkommen neben der Sache, weil es sich bei der Verletzung der linken Schulter des Klägers klar und eindeutig um einen schädigungsunabhängigen, unversicherten sog. Nachschaden handelt, der im Rahmen der MdE-Bewertung der Folgen des zeitlich zuvor stattgehabten (versicherten) Unfalls vom 05.02.2019 von vornherein nicht - und zwar ausdrücklich auch nicht bei paarigen Organen - zu berücksichtigen ist, was in der (höchstrichterlichen) Rechtsprechung seit langem geklärt ist (s. statt vieler nur BSG 12.07.2022, B 2 U 11/22 B, in juris, Rn. 10 m.w.N.; 28.10.1980, 9 RV 21/79, in juris, Rn. 13; 10.12.1975, 9 RV 112/75, in juris, Rn. 14 ff.; 21.09.1967, 2 RU 65/66, in juris, Rn. 19 f. m.w.N., st. Rspr.; Senatsurteil vom 14.07.2011, L 10 U 1446/09, www.sozialgerichtsbarkeit.de; LSG Berlin-Brandenburg 15.02.2024, L 3 U 26/20, in juris, Rn. 50; Wagner in jurisPK-SGB VII, a.a.O., § 8 Rn. 173, Stand 20.06.2023, m.w.N., auch zu vereinzelten Gegenstimmen in der Literatur). Die nicht weiter begründete Auffassung der Beklagten, es handele sich bei dem Schulterschaden links um einen sog. Vorschaden (s. S. 87 VerwA-II), ist schlechterdings nicht nachvollziehbar und für die Bildung einer „Gesamt-MdE“ fehlt jegliche Grundlage, sodass auch die entsprechenden Ausführungen des A1 - die ihm ohnehin von der Beklagten insoweit als zutreffend vorgegeben worden sind (s. S. 143 VerwA-II) - ins Leere gehen.

Damit lässt sich wegen der verbliebenen Folgen des Arbeitsunfalls vom 05.02.2019 im Bereich der rechten Schulter nicht einmal ansatzweise eine höhere MdE als bereits im Rahmen der Rentenbewilligung (rückwirkend zum Rentenbeginn) zugrunde gelegt begründen; der Frage, ob diese MdE rechtswidrig zu hoch bemessen ist, muss vorliegend - wie oben schon aufgezeigt - nicht weiter nachgegangen werden, weil der Kläger insoweit nicht beschwert ist.

Abschließend merkt der Senat noch an, dass eine irgendwie geartete MdE-Erhöhung auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer (überdauernden) Primärverletzung im Dentalbereich in Betracht kommt. Die Behauptung des Klägers im Verwaltungsverfahren respektive gegenüber den Ärzten der BGU sowie A1, ihm seien „vier Zähne ausgebrochen“, ist auf der Grundlage der Auskunft der G1 (gegenüber der Beklagten, s. dazu oben im Tatbestand) als wahrheitswidrig widerlegt; ein dentaler Gesundheitserstschaden im Zuge des Unfalls vom 05.02.2019 ist nicht feststellbar.


Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 und Abs. 4 SGG. Sie umfasst nicht nur die außergerichtlichen Kosten in beiden Rechtszügen, sondern auch die Kosten des Vorverfahrens, soweit dieses eine zwingende Klagevoraussetzung ist (§ 78 SGG; s. dazu statt vieler nur BSG 19.10.2016, B 14 AS 50/15 R, in juris, Rn. 20 m.w.N.). Denn diese Kosten werden mit Klageerhebung als notwendige Vorbereitungskosten Teil der im gerichtlichen Verfahren angefallenen Kosten (arg. ex § 193 Abs. 2 SGG) und allein noch das Gericht ist berechtigt und auch verpflichtet (BSG 20.10.2010, B 13 R 15/10 R, in juris, Rn. 18 ff.), (auch) über diese Kosten als untrennbarer Teil der Kosten des Verfahrens nach § 193 SGG eine Kostenentscheidung zu treffen (BSG 22.09.2022, B 4 AS 60/21 R, in juris, Rn. 30; 20.10.2010, B 13 R 15/10 R, a.a.O.; 19.10.2016, B 14 AS 50/15 R, a.a.O.).

Dies gilt hinsichtlich des vorliegenden Vorverfahrens gegen den Bescheid vom 22.10.2020 ungeachtet des Umstands, dass die Beklagte dem Widerspruchsbegehren des Klägers teilweise abhalf und eine entsprechende Kostenentscheidung (mit Quotelung) traf. Denn mit Klagerhebung hat sich diese Kostenentscheidung nach § 39 Abs. 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) auf sonstige Weise erledigt und zwar wegen des Grundsatzes der Einheitlichkeit der Kostenentscheidung auch insoweit, wie sich wegen des abgeholfenen Teils des Verfahrensgegenstands (hier: Erhöhung der MdE von 20 auf 25 v.H.) kein Klageverfahren angeschlossen hat (BSG 19.10.2016, B 14 AS 50/15 R, a.a.O. Rn. 15, 20 ff. m.w.N.).

Hinsichtlich des Vorverfahrens gegen den Bescheid vom 07.12.2021 gilt nichts anderes. Zwar war dieses Widerspruchsverfahren überflüssig, weil der Bescheid mit seinem Erlass kraft Gesetzes gemäß § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des anhängigen Klageverfahrens geworden war (s.o.);
insoweit ist der Rechtsbehelf des Widerspruchs gerade nicht Klagevoraussetzung nach § 78 SGG (s. dazu BSG 20.10.2010, B 13 R 15/10 R, a.a.O. Rn. 27) und die entsprechende Rechtsbehelfsbelehrung im Bescheid unzutreffend (vgl. nur BSG 25.05.2011, B 4 AS 29/11 B, in juris, Rn. 7; 20.10.2010, B 13 R 15/10 R, a.a.O. Rn. 23) gewesen. Dies ändert freilich nichts daran, dass der Bescheid vom 07.12.2021 unmittelbar Klagegegenstand geworden ist, dass ein Widerspruchsverfahren gleichwohl tatsächlich durchgeführt worden ist und dass auch über die Kosten eines solchen objektiv unnötigen, überflüssigen Widerspruchsverfahrens allein im Rahmen der Prozessbeendigung und ausschließlich durch das Gericht gemäß § 193 Abs. 1 SGG zu entscheiden ist (BSG 25.05.2011, B 4 AS 29/11 B, a.a.O.; 20.10.2010, B 13 R 15/10 R, a.a.O. Rn. 18, 21, 23, 25, 27 m.w.N.; vgl. auch BSG 18.12.2001, B 12 KR 42/00 R, in juris, Rn. 12); auch insoweit ist die Kostenentscheidung im Widerspruchsbescheid vom 31.01.2022 nach § 39 Abs. 2 SGB X gegenstandslos, weil auch der Widerspruchsbescheid, der dem Bescheid vom 07.12.2021 seine Gestalt gegeben hat (§ 95 SGG), mit seinem Erlass „uno actu“ Gegenstand des Klageverfahrens geworden und der Beklagten damit eine inhaltliche Entscheidung über Vorverfahrenskosten verwehrt gewesen ist (vgl. BSG 20.10.2010, B 13 R 15/10 R, a.a.O. Rn. 18 f.).


Damit ist der Senat als Rechtsmittelgericht von Amts wegen ungeachtet der Erfolglosigkeit der Berufung des Klägers in der Hauptsache dazu berufen, die Kostenentscheidung des SG zu seinen Gunsten zu korrigieren (vgl. nur BSG 22.09.2022, B 4 AS 60/21 R, a.a.O. m.w.N.), wobei inhaltlich zwischen den Vorverfahren und den gerichtlichen Rechtszügen zu differenzieren ist, was dem Grundsatz der einheitlichen Kostenentscheidung nicht entgegensteht (s. nur Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, a.a.O., § 193 Rn. 5a, 12d m.w.N., auch zur Rspr. des BSG).

In der Sache richtet sich die gerichtliche Kostengrundentscheidung einheitlich nach § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG (und hinsichtlich der Vorverfahrenskosten nicht nach § 63 SGB X) und den dazu entwickelten Maßstäben richterlichen Ermessens unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, namentlich nach Erfolgsgesichtspunkten, aber auch nach dem Veranlassungsprinzip (s. zu allem nur BSG 22.09.2022, B 4 AS 60/21 R, a.a.O.; Schmidt a.a.O. Rn. 12 ff., beide m.w.N.).

Hinsichtlich der Kosten des Vorverfahrens gegen den Bescheid
vom 22.10.2020 entspricht es der Billigkeit, dass die Beklagte dem Kläger die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen zur Hälfte zu erstatten hat, denn die Beklagte hat dem Widerspruch teilweise abgeholfen und ist selbst von der Angemessenheit einer solchen Kostenquote ausgegangen, sodass der Senat keine Veranlassung zu einer abweichenden Quotelung im Rahmen der gerichtlichen Kostengrundentscheidung sieht.

Hinsichtlich der Kosten des Vorverfahrens gegen den Bescheid vom 07.12.2021 entspricht es unter dem Gesichtspunkt des Veranlassungsprinzips der Billigkeit, dass die Beklagte dem Kläger die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen in vollem Umfang zu erstatten hat, denn sie hat mit der - nicht offenkundig - falschen Rechtsbehelfsbelehrung im Bescheid vom 07.12.2021 Anlass zur Erhebung des Widerspruchs gegeben, obgleich ein solcher - wegen der automatischen Einbeziehung durch § 96 Abs. 1 SGG in das bereits anhängige Klageverfahren - nicht statthaft und damit unzulässig gewesen ist (s. dazu nur BSG 20.10.2010, B 13 R 15/10 R, a.a.O. Rn. 23, 26, 41; zum Veranlassungsprinzip bei Widerspruchserhebung auch BSG 22.09.2022, B 4 AS 60/21, a.a.O. m.w.N.); die Beklagte selbst hat erst mit Erlass des Widerspruchsbescheids (s. den Hinweis a.E. des Widerspruchsbescheids auf § 96 SGG) - also nach Beginn des Vorverfahrens (vgl. § 83 SGG) - nach außen erkennbar zum Ausdruck gebracht, dass sie (zwischenzeitlich) erkannt hatte, dass ein Fall des § 96 Abs. 1 SGG gegeben ist.

Außergerichtliche Kosten im gerichtlichen Verfahren sind hingegen nicht zu erstatten, denn der Kläger ist mit seinem Begehren in beiden Rechtszügen nicht durchgedrungen.


Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.



 

Rechtskraft
Aus
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