L 3 R 319/22

Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Rentenversicherung
1. Instanz
SG Magdeburg (SAN)
Aktenzeichen
S 46 R 131/21
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
L 3 R 319/22
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

1. Bei der Beurteilung der groben Fahrlässigkeit, die ein gesteigertes Verschulden voraussetzt, ist kein objektiver Maßstab anzulegen, sondern auf die persönliche Urteils- und Kritikfähigkeit, das Einsichtsvermögen und das Verhalten des Betroffenen sowie die besonderen Umstände des Falles abzustellen (subjektiver Fahrlässigkeitsbegriff: stdge Rspr des BSG, Urt v 8. Februar 2001, B 11 AL 21/00 R, juris).
2. Der Umstand, dass vorhandenes bzw nicht vorhandenes Einkommen die Höhe seiner Witwerrente maßgeblich bestimmt, ist dem Kläger von Beginn des Bezugs der Witwerrente an bewusst gewesen. In den nachfolgenden Jahren wechselten sich der Bezug der Witwerrente aufgrund fehlenden Einkommens sowie das Ruhen der Witwerrente aufgrund die Einkommensgrenzen übersteigender Einkünfte ab. Dem Kläger war bekannt, dass die Zuerkennung weiterer Beitragszeiten und Entgelte und die entsprechende Berücksichtigung im Versicherungsverlauf der Versicherten zu einer Steigerung seiner eigenen Witwerrente führen würde. Insofern ist der Senat davon überzeugt, dass sich der Kläger eingehend mit den Anspruchsvoraussetzungen für den Bezug der Witwerrente und den Anrechnungsvorschriften auseinandergesetzt hatte und ihm bewusst sein musste, dass sich der Bezug der Altersrente anspruchsmindernd auswirken musste.

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Magdeburg vom 24. Oktober 2022 wird zurückgewiesen.

Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist umstritten, ob der Kläger die Überzahlung von Witwerrente für den Zeitraum vom 1. September 2007 bis zum 31. Oktober 2020 i.H.v. 10.788,90 € zu erstatten hat.

Der 1944 geborene Kläger war mit der 1955 geborenen Versicherten von 1983 bis zu ihrem Unfalltod am 18. Januar 1987 verheiratet. Die Versicherte war zunächst als Lehrerin versicherungspflichtig beschäftigt und zuletzt als Sachbearbeiterin tätig. Auf den vom Kläger 1996 gestellten Antrag wurden für die Versicherte im Rahmen der Rehabilitierung nach dem Beruflichen Rehabilitierungsgesetz (BerRehaG) Zeiten und Entgelte nach Maßgabe des Zusatzversorgungsrechts und des Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes (AAÜG) für den als Verfolgungszeit anerkannten Zeitraum vom 16. März 1982 bis zum 28. Januar 1987 festgestellt.

Der Kläger, der die Berufsbezeichnung Diplom-Ingenieur führt, war ab dem 1. Oktober 1990 als Bezirksleiter der L...O. L. AG (im Weiteren: L..) und Mitunternehmer der S.. GbR tätig und erzielte Einkünfte aus Gewerbebetrieb.

Mit Bescheid vom 7. März 1994 bewilligte die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (im Weiteren: BfA), deren Rechtsnachfolger die Beklagte ist, dem Kläger auf dessen Antrag vom 30. Juli 1992 ab dem 1. Januar 1992 große Witwerrente, die ab dem 1. Juli 1993 wegen der Höhe des zu berücksichtigenden Einkommens nicht gezahlt wurde. Unter „Hinweise“ auf Seite 2 des Bescheides heißt es: Trifft eine Witwenrente oder Witwerrente mit Erwerbs- oder Erwerbsersatzeinkommen des Berechtigten zusammen, so ist auf die Rente Einkommen i.H.v. 40 v.H. des Betrages anzurechnen, um den das monatliche Einkommen einen dynamischen Freibetrag übersteigt. Wegen der Einzelheiten des Bescheides wird auf Blatt 101 bis 118 der Verwaltungsakte Bezug genommen.

Zum 30. Juni 1996 wurde der zwischen dem Kläger und der L. geschlossene Handelsvertretervertrag aufgehoben. Ebenfalls zum 30. Juni 1996 meldete der Kläger sein Gewerbe als B.vertreter ab. Zum 1. Juli 1996 nahm er die Tätigkeit eines Maklers auf, aus der er nach seinen Angaben zunächst keine Einkünfte habe generieren können. Daraufhin nahm die Beklagte die Zahlung der großen Witwerrente mit Bescheid vom 29. Januar 1998 zum 1. Juli 1994 mit einer Nachzahlung von 13.821,08 DM und einer monatlichen Zahlung i.H.v. 713,11 DM ab dem 1. März 1998 wieder auf.

Nachdem die große Witwerrente ab dem 1. Juli 1999 von der BfA erneut wegen zu berücksichtigenden Einkommens nicht gezahlt wurde (Bescheid vom 4. Mai 1999), beantragte der Kläger im Januar 2001 die Wiederaufnahme der Rentenzahlung zum 1. Januar 1999. Dem entsprach die Beklagte nach Beiziehung der Einkommensteuerbescheide für die Jahre 1997 bis 1999 mit den Bescheiden vom 2. November 2001 und vom 29. Januar 2002 für den Zeitraum vom 1. Juli 1999 bis zum 28. Februar 2002 mit Nachzahlungsbeträgen i.H.v. 8.155,44 DM bzw. 3.109,49 €. Nach Vorlage weiterer Einkommensteuerbescheide und der Berücksichtigung von Beitragszeiten für die Versicherte zunächst vom 1. August 1976 bis zum 31. Juli 1978 berechnete sie die große Witwerrente neu, zahlte 2.156,50 € nach und stellte sodann wegen der Höhe des zu berücksichtigenden Einkommens die Zahlung der Witwerrente ab dem 1. Juli 2002 ein (Bescheid vom 29. August 2002). Nach der Anerkennung weiterer Zeiten und Entgelte auch für den Zeitraum vom 16. März 1982 bis zum 28. Januar 1987 aufgrund der Rehabilitierungsbescheinigung vom 15. März 2002 und der nachfolgend vom Versorgungsträger mit Bescheid vom 25. Juni 2002 mitgeteilten Entgelte erfolgten weitere Neuberechnungen der großen Witwerrente für den Zeitraum vom 1. Januar 1992 bis zum 30. November 2002 mit Nachzahlungsbeträgen i.H.v. 3.581,97 € und i.H.v. 7.179,71 € (Bescheide vom 23. September und 14. Oktober 2002) und die neuerliche Einstellung der Zahlung ab dem 1. Juli 2002.

Auf die Mitteilung des Klägers im Mai 2003, dass er seine Tätigkeit als Makler eingestellt und das entsprechende Gewerbe zum 8. Februar 2002 abgemeldet sowie seine Ersparnisse aufgebraucht habe, zahlte die BfA ab dem 1. August 2003 die große Witwerrente i.H.v. monatlich 521,86 € und errechnete eine Nachzahlung für die Zeit vom 1. März 2002 bis zum 31. Juli 2003 i.H.v. insgesamt 4.550,84 €. In den Bescheiden vom 10. und 18. Juni 2003 heißt es jeweils auf Seite 1 der Anlage 1 zur „Berechnung der Monatsrente“: […] Für die Zeit „ab 01.03.2003“ bzw. „ab 01.03.2002 - trifft die Rente nicht mehr mit Einkommen zusammen“. Auf Seite 3 beider Bescheide heißt es:

Mitteilungs- und Mitwirkungspflichten

Erwerbseinkommen und Erwerbsersatzeinkommen können […] Einfluss auf die Rentenhöhe haben. Daher besteht die gesetzliche Verpflichtung, uns den Bezug, das Hinzutreten oder die Veränderung von Erwerbseinkommen, das sind

Arbeitsentgelt,

Arbeitseinkommen […]

vergleichbares Einkommen,

oder von Erwerbsersatzeinkommen unverzüglich mitzuteilen.

Erwerbsersatzeinkommen sind, auch als Kapitalleistung oder Abfindung, folgende Leistungen:

[…]

Versichertenrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung,

[…].

Auf den nachfolgenden Hinweis des Klägers, einer Pressemitteilung entnommen zu haben, dass die Entschädigungsleistungen für politisch verfolgte SED-Opfer nochmals angehoben worden sein sollen, verwies die BfA unter dem 17. Dezember 2003 auf die erfolgte Neufeststellung in den Bescheiden vom 23. September und 14. Oktober 2002.

Am 8. Mai 2007 beantragte der Kläger die Bewilligung von Altersrente für langjährig Versicherte bei der Beklagten. Dabei gab er im Antragsvordruck den Bezug der Witwerrente ab dem 1. Januar 1992, den Versicherungsträger und die diesbezügliche Versicherungsnummer an.

Nachdem die Beklagte über das maschinelle Benachrichtigungsverfahren am 12. Februar 2009 die Mitteilung erhalten hatte, dass der Kläger in den Monaten Juni bis August 2001 Einkommen aus einer abhängigen Beschäftigung neben der selbstständigen Tätigkeit erzielt habe, übersandte der Kläger am 30. März 2009 aufforderungsentsprechend hierzu Unterlagen, die die Beklagte dahingehend auswertete, dass sie ihm mit Schreiben vom 6. April 2009 mitteilte, die Überprüfung seiner Einkünfte habe ergeben, dass sich aus dem Bezug des Insolvenzgeldes und den Einkünften aus selbstständiger Tätigkeit keine Einkommensminderung ergebe. Eine erneute Berechnung für die Zeit ab dem 1. Juni 2001 sei somit nicht erforderlich. Es verbleibe bei den bisher gezahlten Beträgen.

Mit Bescheid vom 16. Juli 2011 bewilligte die Beklagte dem Kläger Altersrente für langjährig Versicherte ab dem 1. September 2007.

Auf ein Schreiben des Klägers vom 16. Mai 2020 und ein hierzu geführtes Telefonat teilte die Beklagte ihm unter dem 10. Juni 2020 mit, dass ihm bei Wiederheirat eine Rentenabfindung zustehe. Bei der Überprüfung des Zahlbetrages der Witwerrente sei aufgefallen, dass er seit dem 1. März 2002 keine Veränderung der Einkommensverhältnisse gemeldet habe. Er werde deshalb gebeten, den Vordruck R0660 ausgefüllt zurückzusenden. Der Vordruck ist unter Punkt 7 mit dem Titel „Dauerhaftes Erwerbsersatzeinkommen“ überschrieben und fährt mit der Frage fort: „Beziehen oder bezogen Sie seit Beginn der Rente wegen Todes eine der nachstehend genannten Leistungen oder haben Sie eine dieser Leistungen beantragt? Anzugeben sind nur „eigene Einkünfte, keine Leistungen an Hinterbliebene bzw. Todesfallleistungen. Soweit erforderlich werde gebeten, die Bescheinigung der zahlenden Stelle beizufügen“. Sodann ist unter Punkt 7.1 aufgeführt: „Rente aus eigener Versicherung aus der gesetzlichen Rentenversicherung […].“ Die Wahlmöglichkeit „nein“ ist angekreuzt und die Felder zur Angabe der zahlenden Stelle, der Versicherungsnummer und des Leistungsbeginns/Rentenbeginns (Kalenderjahr) sind nicht ausgefüllt. Der Vordruck ist mit der Unterschrift des Klägers und dem Datum 18. Juni 2020 versehen.

Nachdem die Beklagte den Kläger aufgefordert hatte, sämtliche Steuerbescheide ab 2003 vorzulegen, übersandte der Kläger - nur - Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2013 bis 2018, da weitere Bescheide aufgrund eines Hochwasserschadens nicht mehr zur Verfügung stünden. Den vorgelegten Einkommensteuerbescheiden sind jeweils Einkünfte aus selbstständiger Arbeit, aus Vermietung und Verpachtung und aus zwei Leibrenten zu entnehmen. Wegen der Einzelheiten wird auf Blatt 586 bis 603 der Verwaltungsakte Bezug genommen. Daraufhin wandte sich die Beklagte - jeweils unter dem 14. September 2020 - an das Finanzamt M. und die Steuerberaterin des Klägers und bat um Übersendung der Einkommensteuerbescheide der Jahre 2003 bis 2012.

Mit Bescheid vom 18. September berechnete die Beklagte die große Witwerrente des Klägers ab dem 1. September 2007 neu. Für die Zeit vom 1. September 2007 bis zum 31. Oktober 2020 ergebe sich eine Überzahlung i.H.v. 10.788,90 €, die zu erstatten sei. Der monatliche Zahlbetrag der Rente betrage ab dem 1. November 2020 688,07 €. Der Rentenbescheid vom 18. Juni 2003 werde i.V.m. den Rentenbescheiden vom 24. September 2014 und 9. Mai 2019 hinsichtlich der Rentenhöhe mit Wirkung ab dem 1. September 2007 bzw. ab dem 1. Juli 2014 sowie ab dem 1. Juli 2019 nach § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - SGB X) aufgehoben. Das auf die Witwerrente gemäß § 97 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (Gesetzliche Rentenversicherung - SGB VI) anzurechnende Einkommen habe sich geändert. Denn seit dem 1. September 2007 beziehe der Kläger eine Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung. Hierüber habe er sie - die Beklagte - nicht informiert. Auch im Fragebogen zu den Einkünften habe er die Frage nach dem Bezug einer Rente aus eigener Versicherung aus der gesetzlichen Rentenversicherung am 18. Juni 2020 „ausdrücklich und vehement verneint“. Den Einkommensteuerbescheiden seien jedoch Angaben zum Rentenbezug zu entnehmen, sodass entsprechende Ermittlungen eingeleitet worden seien. Als Ergebnis sei der Rentenbezug ab dem 1. September 2007 bekannt geworden. Damit sei in den tatsächlichen Verhältnissen, die beim Erlass der Bescheide vom 18. Juni 2003, vom 24. September 2014 sowie ab 1. Juli 2019 vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten. Sofern sich die Verhältnisse wesentlich geändert hätten, sei der Bescheid nach § 48 Abs. 1 S. 1 SGB X für die Zukunft aufzuheben. Bereits für die Vergangenheit, d.h. ab dem Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse, solle der Bescheid aufgehoben werden, wenn die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGB X gegeben seien. Danach sei eine rückwirkende Aufhebung zulässig, wenn nach Erlass des Bescheides Einkommen erzielt worden sei, das zur Minderung der Rentenhöhe führe. Die ihr - der Beklagten - bekannten Umstände, die der Aufhebung des Bescheides entgegenstehen könnten, seien bei der Prüfung der genannten Voraussetzungen beachtet worden. Diese seien jedoch nicht geeignet, von der Aufhebung des Bescheides für die Zukunft abzusehen, da in Fällen einer wesentlichen Änderung in den Verhältnissen die Aufhebung des Bescheides für die Zukunft zwingend vorzunehmen sei. Soweit es um die Aufhebung des Bescheides für die Vergangenheit gehe, seien die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGB X gegeben. Von der Durchführung einer formalen Anhörung sei im Hinblick auf den bisherigen Schriftwechsel, den eindeutigen Sachverhalt und zur Vermeidung einer noch höheren Überzahlung abgesehen worden. Der Kläger werde darauf hingewiesen, dass weitere Ermittlungen zum Erhalt der Einkommensteuerbescheide der Jahre 2003 bis 2012 eingeleitet worden seien und gegebenenfalls eine weitere Neuberechnung für die Vergangenheit erfolge.

Am 30. September 2020 legte der Kläger gegen den vorgenannten Bescheid Widerspruch ein. Er verwies darauf, dass er seinen Antrag auf Altersrente für langjährig Versicherte im Wege eines Formantrages gestellt habe, sodass die Beklagte vom Tag seiner Antragstellung für die Altersrente an von der Hinterbliebenenrente Kenntnis gehabt habe. Weiterhin sei es eine böswillige Unterstellung/Anschuldigung, dass er auf dem Fragebogen zu seinen Einkünften die Hinterbliebenenrente „ausdrücklich“ und „vehement“ verneint habe. Auf dem Fragebogen sei von ihm das Kreuz versehentlich an der falschen Stelle gemacht worden. Sofern ihm ein Fehler unterlaufen sei, hätte ihn die Beklagte anschreiben oder anrufen können, um den Fragebogen bezüglich seines Kreuzes zu überprüfen. Schließlich verstehe er überhaupt nicht, mit welcher Begründung die Hinterbliebenenrente gekürzt worden sei, da sich sein für die Rente zu berücksichtigendes Einkommen seit der Zahlung der Altersrente nicht geändert habe. Wegen der Einzelheiten des Vorbringens des Klägers und der beigefügten Unterlagen wird auf Blatt 655 bis 667 der Verwaltungsakte verwiesen.

Am 30. Oktober 2020 übersandte der Kläger sodann die Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2003 bis 2012, die aus Datenschutzgründen nicht unmittelbar vom Finanzamt an die Beklagte, sondern an den Kläger zur Weiterleitung an diese übersandt worden waren. Diesen Einkommensteuerbescheiden sind von 2003 an jeweils Einkünfte aus selbstständiger Arbeit, aus Vermietung und Verpachtung und aus einer Leibrente sowie ab 2012 aus zwei Leibrenten zu entnehmen. Wegen der Einzelheiten wird auf Blatt 669 bis 694 der Verwaltungsakte Bezug genommen.

Unter dem 5. November 2020 wies die Beklagte den Kläger im Hinblick auf sein Widerspruchsvorbringen darauf hin, dass die Angabe des Bezuges einer Witwerrente bei der Beantragung der Altersrente nicht ausreichend und er deshalb seiner Mitteilungspflicht nicht nachgekommen sei. Es sei durch mehrere Urteile von Landessozialgerichten bestätigt worden, dass die Rentenversicherungsträger nicht generell zu einer Kontenverknüpfung verpflichtet seien. Diese erfolge erst, wenn Einkommen mitgeteilt worden sei. Offensichtlich habe der Kläger die deutlichen Hinweise in einer Reihe von zur Witwerrente im Zusammenhang mit der Einkommensanrechnung im Zeitraum von 1994 bis 2007 erteilten Rentenbescheide nicht sorgfältig gelesen und zur Kenntnis genommen, obwohl er hierzu verpflichtet gewesen sei. Dass Versichertenrenten als Einkommen auf Hinterbliebenenrenten anzurechnen seien, sei allgemein bekannt und auch den Hinweisen in Rentenbescheiden klar zu entnehmen. Dem Kläger hätte bei Erhalt seiner Altersrente klar sein müssen, dass diese auf die Witwerrente als Einkommen anzurechnen und diese demzufolge neu zu berechnen gewesen wäre. Im Zweifel hätte er sich beim Rentenversicherungsträger erkundigen müssen, ob ihm die Witwerrente trotz des Bezuges der Versichertenrente noch in unveränderter Höhe zustehe. Er habe die ihm auferlegten Mitteilungs- und Sorgfaltspflichten grob fahrlässig verletzt. Die Voraussetzungen für eine Bescheidaufhebung nach § 48 Abs. 1 S. 2 Nrn. 2 bis 4 SGB X lägen vor mit der Folge, dass die überzahlten Rentenbeträge nach § 50 Abs. 1 SGB X zu erstatten seien. Der Kläger möge innerhalb der nächsten drei Wochen mitteilen, ob er nach diesen Ausführungen seinen Widerspruch zurücknehme.

Nachdem der Kläger - nunmehr in anwaltlicher Vertretung - an seinem Widerspruch festhielt, wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 3. Februar 2021 als unbegründet zurück. Zum einen wiederholte sie die Ausführungen im angefochtenen Bescheid und im Schreiben vom 5. November 2020. Zum anderen wies sie auf die mit den Rentenbescheiden vom 10. und 18. Juni 2003 gegebenen Informationen hin, wonach der Bezug von Erwerbseinkommen und Erwerbsersatzeinkommen - unter anderem die Versichertenrente - Einfluss auf die Rentenhöhe haben könne. Beide Rentenbescheide hätten unter der Rubrik „Mitteilungs- und Mitwirkungspflichten“ den eindeutigen Hinweis enthalten, dass das Hinzutreten oder die Veränderung von Erwerbsersatzeinkommen unverzüglich mitzuteilen sei. Die Frist zur Aufhebung eines Verwaltungsaktes für die Vergangenheit zuungunsten des Berechtigten gemäß § 48 Abs. 1 S. 2 SGB X i.V.m. § 48 Abs. 4 SGB X sei eingehalten. Im Rahmen des nach § 48 SGB X i.V.m. § 39 Abs. 1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (Allgemeiner Teil - SGB I) eingeräumten Ermessens sei zu prüfen, ob von der dem Grunde nach vorliegenden Aufhebungsmöglichkeit zugunsten des Betroffenen ganz oder teilweise Abstand zu nehmen sei. Dies könne aber nur in Ausnahmefällen in Betracht kommen, so z.B., wenn den Versicherungsträger ein Verschulden treffe oder Umstände vorlägen, die die Aufhebung für die Vergangenheit als unbilligen Eingriff in die persönlichen, sozialen oder wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen erscheinen ließen. Bei einem Mitverschulden des Rentenversicherungsträgers am Entstehen der Überzahlung komme eine Reduzierung der Forderung gegenüber dem Leistungsempfänger in Betracht. Ein Behördenverschulden am Zustandekommen der Überzahlung sei nicht zu erkennen. Besonders zu wertende Umstände, z.B. eine unbillige Härte, die eine Ermessensausübung zugunsten des Klägers als vertretbar erscheinen ließe, lägen nach Aktenlage nicht vor und seien vom Kläger auch im Widerspruchsverfahren nicht nachgewiesen worden. Von einer unbilligen Härte wäre beispielsweise auszugehen gewesen, wenn der Kläger bei richtig berechneter Witwerrente andere Sozialleistungen hätte beanspruchen können, die jetzt nachträglich nicht mehr erzielbar seien. Der Kläger habe aber nicht nachgewiesen, dass er in der Zeit vom 1. September 2007 bis zum 31. Oktober 2020 durch die rückwirkende Bescheidkorrektur sozialhilfebedürftig geworden wäre. Auch habe er nach Bescheidkorrektur noch über monatliche Einkünfte aus beiden Renten i.H.v. anfänglich über 1.270,00 € bis zuletzt über 1.750,00 € verfügt. Allein der Umstand, dass er die Rentenzahlungen verbraucht habe, könne nicht dazu führen, dass im Rahmen der Ermessensausübung von der Bescheidaufhebung abzusehen sei. Bei der Ermessensentscheidung sei auch zu berücksichtigen, dass Gründe sozialer Billigkeit nicht einseitig auf den einzelnen Rentenempfänger bezogen werden könnten, sondern auch immer im Zusammenhang mit der Versichertengemeinschaft gesehen werden müssten, deren Sachwalter der Versicherungsträger sei. Bei einem Verzicht auf die Bescheidkorrektur würde die Versichertengemeinschaft unangemessen belastet. Für die Solidargemeinschaft der Versicherten sei es grundsätzlich nicht tragbar, dass derjenige, der eine unrechtmäßige Leistung erhalten habe, von der Rückforderung der Überzahlung verschont bleiben solle. Es sei mit dem Prinzip der Sozialversicherung unvereinbar, dass derjenige, der infolge Außerachtlassung zumutbarer Sorgfalt unrechtmäßige Leistungen bezogen habe, diese behalten dürfe und besser gestellt werde als derjenige, der die Leistung nicht annehme oder im Zweifel beim Versicherungsträger nachfrage (Hinweis auf Urteil des Bundessozialgerichts [BSG] vom 31. Oktober 1978 - 4 RJ 115/77 -, juris). Der Kläger sei daher nach § 50 Abs. 1 SGB X verpflichtet, den ohne Rechtsgrund erhaltenen Betrag i.H.v. 10.788,90 € zu erstatten.

Hiergegen hat der Kläger am 3. März 2021 Klage beim Sozialgericht Magdeburg erhoben und zur Begründung daran festgehalten, seinen Pflichten zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse weder vorsätzlich noch grob fahrlässig nicht nachgekommen zu sein. Er habe darauf vertraut, dass die Beklagte seine Versicherungsnummer in den „RV Dialog“ übernommen habe. Davon habe er auch ausgehen dürfen. Er bestreite, dass die Bescheide vom 10. und 18. Juni 2003 Mitteilungen dazu enthielten, dass eine Veränderung von Erwerbsersatzeinkommen auch dann explizit der Beklagten mitzuteilen gewesen sei. Er habe davon ausgehen dürfen, dass die Beklagte die Daten zu seinem Antrag auf Altersrente mit den Daten zu seiner Witwerrente verknüpfe. Er habe zu keinem Zeitpunkt die Absicht gehabt, etwas zu verschleiern. Wenn er diese Absicht gehabt hätte, hätte er nicht die schriftliche Anfrage zu den Möglichkeiten einer Auszahlung der Witwerrente bei Eheschließung gefertigt. Erst diese Anfrage habe die Ermittlungen der Beklagten in Gang gesetzt. Die Beklagte habe dann vorsätzlich auf eine Anhörung verzichtet. Anhand der Aktenlage sei somit keine Argumentation dahingehend gerechtfertigt, dass von der Verjährungsregel des § 50 Abs. 4 SGB X abgewichen werden könne. Insgesamt betrachtet sei ihm sicher eine leichte Fahrlässigkeit vorzuwerfen. Dies rechtfertige jedoch keinesfalls das Vorgehen der Beklagten. Der Bescheid sei aufzuheben. Nachfolgend hat der Kläger ergänzt, er sei davon ausgegangen, dass im Hinblick darauf, dass er seine Witwerrente bereits seit dem 1. Januar 1992 erhalte, bei ihm das „alte Recht“ Anwendung gefunden habe, wonach nur Einkommen aus einer selbstständigen Tätigkeit anzurechnen gewesen sei. Zudem habe die Beklagte kein Ermessen im Hinblick darauf ausgeübt, dass er die Rechtswidrigkeit des zurückgenommenen Verwaltungsaktes weder gekannt noch infolge grober Fahrlässigkeit nicht gekannt habe (Hinweis auf Urteil des BSG vom 30. Oktober 2013 - B 12 R 14/11 R -, juris).

Die Beklagte verwies zur Stützung ihrer Auffassung, dass eine Kontoverknüpfung mit dem eigenen Versichertenkonto durch sie nicht vorzunehmen gewesen wäre, auf die Entscheidungen des Landessozialgerichts (LSG) Baden-Württemberg L 13 R 481/13 vom 6. Mai 2014, LSG Sachsen-Anhalt L 1 R 34/12 vom 22. Mai 2014 und des Sächsischen LSG L 4 R 231/10 vom 24. Juni 2013. Die vorab nicht erfolgte Anhörung werde nachgeholt; insoweit sei auf das an den Kläger gerichtete Anhörungsschreiben vom 10. November 2021 zu verweisen, das gemäß § 96 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Gegenstand des anhängigen Klageverfahrens werde. Wegen der Einzelheiten wird auf Blatt 31 und 32 der Gerichtsakte verwiesen.

Das Sozialgericht hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 24. Oktober 2022 abgewiesen. Der angefochtene Bescheid sei rechtmäßig und verletze den Kläger nicht in seinen Rechten. Rechtsgrundlage für die Rücknahme auch mit Wirkung für die Vergangenheit sei § 48 Abs. 1 S. 2 Nrn. 2 und 3 SGB X, dessen Voraussetzungen hier erfüllt seien. Das Einkommen des Klägers hinsichtlich der nach § 97 SGB VI anzurechnenden Altersrente habe sich durch den (nachträglichen) Bezug derselben erhöht, sodass die Hinterbliebenenrente ab dem 1. September 2007 zu ändern gewesen sei. Aufgrund der eindeutigen Mitteilungen in dem Bewilligungsbescheid vom 18. Juni 2003 habe der Kläger auch wissen müssen, dass ein Bezug von Altersrente anzuzeigen sei. Dies habe der Kläger unterlassen. Die Beklagte sei auch berechtigt gewesen, den Witwerrentenbescheid mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse an nach § 48 Abs. 1 S. 2 SGB X aufzuheben. Ein sogenannter atypischer Fall im Sinne von § 48 Abs. 1 S. 2 SGB X, der eine Ermessensausübung erforderlich gemacht hätte, habe entgegen der Auffassung des Klägers nicht vorgelegen. Hier habe der typische Fall vorgelegen, dass ein Versicherter eine Sozialleistung erhalten habe, auf die er (in der bewilligten Höhe) wegen eigenen Einkommens keinen Anspruch gehabt habe. Die Beklagte habe ihren Bescheid auch auf § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGB X gestützt. Bezogen auf diese Tatbestandsalternative sei ein atypischer Fall ausnahmsweise dann anzunehmen, wenn die Behörde durch falsche Angaben in Merkblättern einen besonderen Vertrauenstatbestand geschaffen habe, der Betroffene die Leistung gutgläubig verbraucht habe und ohne die entfallene Sozialleistung im Nachhinein vermehrt sozialhilfebedürftig geworden wäre. Eine solche Situation sei vom Kläger weder vorgetragen worden noch nach Aktenlage ersichtlich. Insbesondere liege ein Mitverschulden der Beklagten nicht vor. Die primäre Verpflichtung zur Einkommensanzeige obliege dem Kläger. Die Mitwirkungsverpflichtung des Leistungsberechtigten, dessen Versäumnisse Nachteile zur Folge habe, verdeutliche, dass vom Bürger eigenverantwortliches Handeln gefordert werde. Dadurch werde grundsätzlich eine überwachende und nachforschende Verwaltung entbehrlich. Unterlasse die Verwaltung eine regelmäßige Kontrolle, könne ihr kein Fehlverhalten durch Unterlassen vorgeworfen werden (Hinweis auf Urteil des BSG vom 3. Juli 1991 - 9b RAr 2/90 -, juris).

Gegen den ihm am 26. Oktober 2022 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 28. November 2022, einem Montag, Berufung beim LSG Sachsen-Anhalt eingelegt. Mit der nach einer Betreibensaufforderung vorgelegten Berufungsbegründung hat er darauf hingewiesen, erst vier Jahre nach Erhalt des Bescheides zur Witwerrente eine Altersrente beantragt zu haben. Zudem habe er in seinem Rentenantrag zur Altersrente den Bezug der Witwerrente angegeben; insoweit könne man ihm unter Berücksichtigung dieser Angabe keinen Vorsatz unterstellen. Das Sozialgericht habe sich mit diesen Aspekten nicht auseinandergesetzt und sei deshalb zu dem Ergebnis gekommen, dass kein atypischer Fall gemäß § 48 Abs. 1 S. 2 SGB X vorliege. Ferner sei die Rückforderung für mehr als zehn Jahre rechtswidrig. Weder die Beklagte noch die erstinstanzliche Entscheidung hätten sich mit seinem individuellen Verständnishorizont auseinandergesetzt. Auf dessen Ermittlung dürfe auch dann nicht verzichtet werden, wenn die Belehrung durch ein verständliches Merkblatt festgehalten werde (Hinweis auf Urteil des BSG vom 24. April 1997 - 11 RAr 89/96 -, juris).

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Magdeburg vom 24. Oktober 2022 und den Bescheid der Beklagten vom 18. September 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Februar 2021 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Magdeburg vom 24. Oktober 2022 zurückzuweisen.

Sie hält den angefochtenen Gerichtsbescheid und ihren Bescheid für rechtmäßig. Die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 S. 2 Nrn. 2 bis 4 SGB X lägen vor. Die Bescheidaufhebung nach Ablauf der Frist von zehn Jahren sei deshalb ebenfalls zulässig. Wegen der weiteren Ausführungen und der Hinweise auf die Rechtsprechung des LSG und des BSG wird auf Blatt 101 bis 105 der Gerichtsakte verwiesen.

Die Beklagte hat auf Aufforderung des Senats die Rentenbescheide vom 24. September 2014 und 9. Mai 2019 übersandt, in denen die große Witwerrente des Klägers aufgrund der Zuschläge für Kindererziehung (sog. Mütterrente I und II) für die Zeit ab dem 1. Juli 2014 bzw. ab dem 1. Juli 2019 neu berechnet worden ist.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakten der Beklagten ergänzend verwiesen. Diese sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der anschließenden Beratung des Senats gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist unbegründet.

Zu Recht hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 18. September 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Februar 2021 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§§ 153 Abs. 1, 54 Abs. 2 S. 1 SGG). Die teilweise Aufhebung des Bescheides über die Bewilligung der Witwerrente vom 18. Juni 2003 und Verpflichtung des Klägers zur Erstattung von überzahlter Witwerrente i.H.v. 10.788,90 € ist nicht zu beanstanden.

Rechtsgrundlage für den Aufhebungsbescheid der Beklagten vom 18. September 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Februar 2021 ist § 48 Abs. 1 SGB X. Nach § 48 Abs. 1 S. 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung für die Zukunft aufzuheben, wenn in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Nach § 48 Abs. 1 S. 2 SGB X soll der Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderung der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist (Nr. 2), nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde (Nr. 3) oder der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist (Nr. 4).

Die Voraussetzungen für die teilweise Aufhebung des Bescheides vom 18. Juni 2003 und Rückforderung der bewilligten Witwerrente für die Zeit vom 1. September 2007 bis zum 31. Oktober 2020 liegen nach § 48 Abs. 1 SGB X vor. Soweit mit dem angefochtenen Bescheid vom 18. September 2020 auch die Rentenbescheide vom 24. September 2014 und 9. Mai 2019 mit Wirkung ab dem 1. Juli 2014 sowie ab dem 1. Juli 2019 nach § 48 SGB X aufgehoben worden sind, liegen die Voraussetzungen einer wesentlichen Änderung im Sinne von § 48 SGB X zwar nicht vor. Die vorgenannten Bescheide haben jedoch jeweils keine eigenständige Entscheidung über die Anrechnung von Einkommen auf die vom Kläger seit dem 1. März 2002 - anrechnungsfrei - bewilligte Witwerrente getroffen, sondern lediglich die gesetzlichen Regelungen zur sog. Mütterrente I und II im Rahmen sogenannter Folgebescheide (vgl. BSG, Urteil vom 28. August 2007 - B 7/7a AL 10/06 R -, juris RdNr. 10 m.w.N.) umgesetzt.

Die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse, die dem Rentenbescheid vom 18. Juni 2003 zugrunde gelegen haben, haben sich zum 1. September 2007 wesentlich geändert. Nach den aktenkundigen Unterlagen war der Bescheid vom 18. Juni 2003 zunächst insoweit rechtmäßig, als die Beklagte ab dem 1. März 2002 kein Einkommen mehr angerechnet und dem Kläger anrechnungsfreie Witwerrente bewilligt hatte. Mit der Bewilligung der Altersrente für langjährig Versicherte ab dem 1. September 2007 war diese bei der Berechnung der Witwerrente als Einkommen anzurechnen. Dies ergibt sich aus § 97 Abs. 1 S. 1 SGB VI. Danach wird Einkommen gemäß § 18a des Vierten Buches Sozialgesetzbuch (Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung - SGB IV), das mit u.a. einer Witwerrente zusammentrifft, hierauf angerechnet. Renten der Rentenversicherung wegen Alters sind zu berücksichtigendes Erwerbsersatzeinkommen (§ 18a Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 Nr. 2 SGB IV).

Soweit die Beklagte mit dem angefochtenen Bescheid die Witwerrente für die Zukunft, d.h. ab dem 1. November 2020, unter Anrechnung der Altersrente neu berechnet hat, ist diese nach § 48 Abs. 1 S. 1 SGB X gebundene Entscheidung für die Zukunft bestandskräftig geworden, da der Kläger diese Regelung nicht angegriffen hat. Soweit die Beklagte für die Vergangenheit, d.h. vom 1. September 2007 bis zum 31. Oktober 2020, eine Neuberechnung vorgenommen und einen Erstattungsbetrag gefordert hat, konnte sie sich auf § 48 Abs. 1 S. 2 Nrn. 2 bis 4 SGB X stützen.

Der Kläger ist der durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse zur Überzeugung des Senats zumindest grob fahrlässig nicht nachgekommen (§ 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB X). Gemäß § 60 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB I hat derjenige, der Sozialleistungen erhält, Änderungen in den Verhältnissen, die für die Leistung erheblich sind oder über die im Zusammenhang mit der Leistung Erklärungen abgegeben worden sind, unverzüglich mitzuteilen. Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat (Legaldefinition in § 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 3 2. Halbs. SGB X). Der Begriff der groben Fahrlässigkeit setzt demnach ein gesteigertes Verschulden voraus. Das ist dann der Fall, wenn der Betroffene seine Mitwirkungspflicht aufgrund einfachster und naheliegender Überlegungen hätte erkennen können, wenn also nicht beachtet wird, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen (ständige Rechtsprechung des BSG, Urteil vom 8. Februar 2001 - B 11 AL 21/00 R -, juris RdNr. 23). Dabei ist kein objektiver Maßstab anzulegen, sondern auf die persönliche Urteils- und Kritikfähigkeit, das Einsichtsvermögen und das Verhalten des Betroffenen sowie die besonderen Umstände des Falles abzustellen (subjektiver Fahrlässigkeitsbegriff: BSG, Urteil vom 8. Februar 2001, a.a.O.). Auf die im Tatbestand wiedergegebenen Mitteilungs- und Mitwirkungspflichten ist der Kläger ausdrücklich mit den Bescheiden vom 10. und 18. Juni 2003 hingewiesen worden. Diese sind verständlich und nachvollziehbar formuliert. Der Umstand, dass vorhandenes bzw. nicht vorhandenes Einkommen die Höhe seiner Witwerrente maßgeblich bestimmt, ist dem Kläger von Beginn des Bezugs der Witwerrente ab dem 1. Juli 1992 an bewusst gewesen. In den nachfolgenden Jahren wechselten sich der Bezug der Witwerrente aufgrund fehlenden Einkommens sowie das Ruhen der Witwerrente aufgrund die Einkommensgrenzen übersteigender Einkünfte ab. Dem Kläger war bekannt, dass die Zuerkennung weiterer Beitragszeiten und Entgelte und die entsprechende Berücksichtigung im Versicherungsverlauf der Versicherten zu einer Steigerung seiner eigenen Witwerrente führen würde. So hat er 1996 den Antrag auf Rehabilitierung der Versicherten nach dem BerRehaG gestellt und sich 2003 bei der Beklagten erkundigt, ob auch nach der erfolgten Neufeststellung in den Bescheiden vom 23. September und 14. Oktober 2002 eine weitere Anhebung der zu berücksichtigenden Entgelte in Betracht komme. Insofern ist der Senat davon überzeugt, dass sich der Kläger eingehend mit den Anspruchsvoraussetzungen für den Bezug der Witwerrente und den Anrechnungsvorschriften auseinandergesetzt hatte und ihm bewusst sein musste, dass sich der Bezug der Altersrente ab dem 1. September 2007 anspruchsmindernd auswirken musste. Er hat deshalb seine Mitteilungspflichten nach Erhalt des Altersrentenbescheides im Juli 2011 zumindest grob fahrlässig verletzt. Der Senat lässt ausdrücklich offen, ob der Kläger vorsätzlich gehandelt hat. Dafür spricht, dass er auch noch im Vordruck R0660 unter dem 18. Juni 2020 den Witwerrentenbezug nicht angegeben hat. Das Vorbringen des Klägers hierzu, er habe beim Ausfüllen des Vordruckes versehentlich das Kreuz an der falschen Stelle angebracht, überzeugt nicht. Denn er hat nicht nur die Variante „ja“ nicht angekreuzt, sondern auch die vorgesehenen Angaben über die zahlende Stelle, die Versicherungsnummer und den Rentenbeginn nicht ausgefüllt. Dieses Verhalten des Klägers lässt Rückschlüsse auf den Zeitraum nach dem Bezug der eigenen Altersrente dergestalt zu, dass der Kläger keine zutreffenden Angaben zu diesen weiteren Einkünften neben den Einkünften aus Gewerbebetrieb, Vermietung und Verpachtung, die er der Beklagten gegenüber ebenfalls ab 2003 nicht mehr offengelegt hatte, machen wollte. Die Einlassung des Klägers, er habe seinen Mitteilungspflichten gegenüber der Beklagten durch die Angabe des Bezugs der Witwerrente bei der Stellung des Altersrentenantrags genügt, führt nicht zu einer anderen Beurteilung. Als ausgebildeter Diplom-Ingenieur, Bezirksleiter der L., Mitunternehmer einer W. GbR, Makler und Gewerbetreibender mit Einkünften aus Vermietung und Verpachtung verfügte er über die intellektuellen Möglichkeiten, die in der Vielzahl der erteilten Bescheide regelmäßig wiederholten Mitteilungs- und Mitwirkungspflichten zu verstehen und die sich für ihn hieraus ergebende Verpflichtung, den hinzugetretenen Rentenbezug gegenüber der ihm die Witwerrente gewährenden Behörde anzugeben, abzuleiten.

Aufgrund der vorstehenden Ausführungen hätte der Kläger zur Überzeugung des Senats nachfolgend auch erkennen können und müssen, dass eine Prüfung der Einkommensanrechnung der Altersrente auf die Witwerrente durch die Beklagte nicht erfolgte und er die Witwerrente ungekürzt erhielt. Somit liegen auch die Voraussetzungen von § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 SGB X vor. Schließlich sind, worauf das Sozialgericht bereits zutreffend hingewiesen hat, auch die Voraussetzungen von § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 SGB X erfüllt.

Ein atypischer Fall ist zur Überzeugung des Senats nicht gegeben. Die eingetretene Überzahlung beruhte nicht auf einem mitwirkenden Fehlverhalten auf der Seite des Versicherungsträgers, der Beklagten, sondern fällt ausschließlich in den Verantwortungsbereich des Klägers. Es liegt gerade der typische Fall der Überzahlung vor, der auf der zumindest grob fahrlässigen Verletzung der Mitteilungspflichten durch den Kläger beruht. Anders als dieser meint, ist die Beklagte nicht zur regelmäßigen Überprüfung der Einkommenssituation des Klägers verpflichtet gewesen. Hierauf ist sowohl von der Beklagten als auch vom Sozialgericht unter Nennung einschlägiger höchstrichterlicher Rechtsprechung zutreffend hingewiesen worden.

Zudem stellt die mit der rückwirkenden Aufhebung verbundene Erstattungspflicht des Klägers keine besondere Härte dar. Für das Vorliegen von solchen besonderen Umständen bestehen vorliegend keine Anhaltspunkte und solche sind auch vom Kläger nicht vorgetragen worden.

Die Beklagte hat die Jahresfrist für die Aufhebung des Verwaltungsaktes seit Kenntnis der Tatsachen, welche die Aufhebung des Dauerverwaltungsaktes bei Änderung der Verhältnisse für die Vergangenheit rechtfertigten, eingehalten. Die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 S. 1 i.V.m. § 45 Abs. 4 S. 2 SGB X beginnt mit Kenntnis des Aufhebungsgrundes. Hierzu gehört jedenfalls die Kenntnis der Tatsachen, aus denen sich die wesentliche Änderung gegenüber den Verhältnissen bei Erlass des früheren Verwaltungsaktes ergeben. Insoweit kommt es auch auf den Umfang der Rechtswidrigkeit an, weil der Verwaltungsakt nur aufgehoben werden soll, „soweit" eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Bei der „entsprechenden" Anwendung der Jahresfristregelung auf die Aufhebungsvorschrift des § 48 Abs. 1 S. 2 SGB X muss das maßgebende Wissen der Behörde sämtliche Tatsachen und Umstände betreffen, die die wesentliche Änderung der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse bei Erlass des aufzuhebenden Verwaltungsaktes darstellen. Der Umstand, dass der Kläger eine Altersrente für langjährig Versicherte bereits seit September 2007 bezieht, ist der Beklagten als für die Witwerrente zuständige Behörde erst nach der anlässlich des Telefonats mit dem Kläger am 10. Juni 2020 veranlassten Einkommensüberprüfung und den vom Kläger übersandten Einkommensteuerbescheiden, aus denen sich dann ein weiterer Rentenbezug neben dem Witwerrentenbezug ergab, bekannt geworden. Danach hat sie weitere Ermittlungen veranlasst und zur Vermeidung weiterer Überzahlungen unverzüglich den angegriffenen Bescheid vom 18. September 2020 erlassen.

Die Beklagte war zudem gemäß § 48 Abs. 4 i.V.m. § 45 Abs. 3 S. 3 bis 5 SGB X berechtigt, über den Zeitraum von zehn Jahren hinaus die Bewilligung der Witwerrente teilweise aufzuheben. Denn auch nach Ablauf der Frist von zehn Jahren kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung zurückgenommen werden, wenn laufende Geldleistungen mindestens bis zum Beginn des Verwaltungsverfahrens über die Rücknahme gezahlt wurden, sofern die Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 2 und/oder 3 SGB X gegeben sind. Dies ist hier der Fall.

Soweit die Beklagte den Kläger vor Erlass des Aufhebungsbescheides nicht angehört hat, ist die Heilung des Anhörungsmangels während des Widerspruchsverfahrens erfolgt, da dem Kläger hinreichend Gelegenheit gegeben worden ist, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern (BSG, Urteil vom 11. Juni 2003 - B 5 RJ 28/02 -, juris, RdNr. 16).

Da die Beklagte berechtigt war, die Bewilligung von Witwerrente rückwirkend teilweise aufzuheben, ist der Kläger nach § 50 Abs. 1 SGB X zur Rückzahlung verpflichtet. Der Kläger hat der Beklagten die im Zeitraum vom 1. September 2007 bis zum 31. Oktober 2020 zu Unrecht gezahlte Rente in Höhe von 10.788,90 € zu erstatten. Gegen die Berechnung des Erstattungsbetrages bestehen keine Bedenken. Der Kläger hat hierzu auch keine Einwände vorgetragen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision im Sinne von § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung auf gesicherter Rechtsgrundlage, ohne dass der Senat von einer Entscheidung der in § 160 Abs. 2 Nr. 2 SGG genannten Gerichte abweicht.

Rechtskraft
Aus
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