Die Klage wird abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Kostenübernahme bzw. die Kostenerstattung für postbariatrische Wiederherstellungsoperationen in den Bereichen der Oberschenkel beidseits, der Oberarme beidseits, der Brust und der Bauchdecke.
Die 1977 geborene Klägerin beantragte unter dem 28. Februar 2018 bei der Beklagten die Übernahme der oben genannten Wiederherstellungsoperationen. Aufgrund orthopädischer Beschwerden und Schmerzen habe sie sich im August 2016 in der Türkei einer Schlauchmagenoperation unterzogen, Ernährungsberatungen in Anspruch genommen, ihre Ernährung umgestellt, verschiedene Abnehmprodukte eingenommen sowie vermehrt Sport getrieben und hierdurch ihr Gewicht von 118kg auf 75kg reduziert. Sie habe nunmehr bei einer Körpergröße von 158cm einen Body-Mass-Index von 30. Trotz entsprechender täglicher Pflege leide sie allerdings unter dermatologischen Problemen im Bereich der Hautfalten und der Fettschürze. Ihr soziales Leben sei hierdurch eingeschränkt. Im Februar 2018 habe sie sich in einem Krankenhaus über operative Möglichkeiten beraten lassen. Die nun beantragten Operationen seien ihr dort ärztlicherseits dringend angeraten worden. Zum Nachweis fügte sie ein Attest der Ärzte Prof. C. und Dr. H., G. Krankenhaus, Frankfurt am Main, bei, aus dem hervorgeht, dass die Operationen „befürwortet“ würden. Auch der Dermatologe Dr. D., A-Stadt, attestiert rezidivierende Entzündungen in den Hautfalten unter der Bauchschürze. Diese führten zu starkem Juckreiz und zeitweise zu blutenden erosiven Hautläsionen. Eine endgültige Lösung des Problems sei nur durch eine operative Bauchdeckenstraffung zu erreichen, die er daher empfiehlt.
Die Beklagte beauftragte ein Gutachten des Medizinischen Dienstes, das unter dem 16. April 2018 erstattet wurde. Es bestehe keine oder nur eine geringgradige Bewegungseinschränkung durch die Hautüberschüsse. Die tägliche Intimpflege oder die Mobilität seien nicht eingeschränkt. Zwar werde von dermatologischen Problemen berichtet. Eine fachdermatologische Behandlung über einen längeren Zeitraum sei aber nicht dokumentiert. Entstellung liege im Sinne der hierzu ergangenen Rechtsprechung nicht vor. Der Body-Mass-Index betrage noch 30. Ein weiterer Rückgang des Gewebes sei zu erwarten, wenn eine weitere Gewichtsreduktion vorgenommen werde.
Mit Bescheid vom 20. April 2018 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin gestützt auf das Gutachten des Medizinischen Dienstes ab. Hiergegen legte die Klägerin am 25. April 2018 Widerspruch ein, den sie anwaltlich vertreten begründete. Die Beklagte holte darauf ein weiteres Gutachten des Medizinischen Dienstes ein. Dieser bestätigte unter dem 23. Oktober 2018 das Ergebnis des vorherigen Gutachtens. Hinweise auf höhergradig abgelaufene Entzündungen der Haut seien in Kenntnis der von der Klägerin vorgelegten Fotodokumentation nicht erkennbar. Durch tragen eines BHs in üblicher Größe sei ferner eine gute und zumutbare Haltung der Brust zu erreichen. Im Mai 2018 sei in einer Klinik in Groß-Umstadt die abdominale Straffung bereits selbstfinanziert durchgeführt worden.
Mit Widerspruchsbescheid vom 13. Dezember 2018 wies die Beklagte gestützt auf das Gutachten des Medizinischen Dienstes den Widerspruch der Klägerin zurück.
Dagegen hat die Klägerin am 10. Januar 2019 Klage vor dem Sozialgericht Darmstadt erhoben. Sie meint, die beantragten Operationen seien medizinisch notwendig.
Sie beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 20. April 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Dezember 2018 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin drei postbariatrischen Wiederherstellungsoperationen (Oberschenkelstraffung beidseits, Oberarmstraffung beidseits, Bruststraffung) unter vollstationären Bedienungen als Sachleistung zu gewähren und der Klägerin die Kosten für eine selbstbeschaffte postbariatrische Wiederherstellungsoperation (Bauchdeckenstraffung) in Höhe von 5.000,00 € zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie bezieht sich zur Klageerwiderung auf die Gründe ihrer Verwaltungsentscheidungen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg.
Der Bescheid der Beklagten vom 20. April 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Dezember 2018 ist nicht zu beanstanden. Die Klägerin hat keinen Anspruch gegen die Beklagten auf Kostenübernahme für drei postbariatrischen Wiederherstellungsoperationen (Oberschenkelstraffung beidseits, Oberarmstraffung beidseits, Bruststraffung) unter vollstationären Bedienungen und auf Erstattung der Kosten für eine selbstbeschaffte postbariatrische Wiederherstellungsoperation (Bauchdeckenstraffung) in Höhe von 5.000,00 € zu erstatten.
Als Rechtsgrundlage für einen Kostenerstattungsanspruch kommt vorliegend allein § 13 Abs. 3 SGB V in Betracht. Konnte die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen oder hat sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbst beschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war (§ 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V).
Der Anspruch auf Kostenerstattung reicht insoweit nicht weiter als der Sachleistungsanspruch, den er ersetzt. Nicht als Sachleistung geschuldete Leistungen können also auch auf dem Erstattungswege nicht verlangt werden (BSG v. 9.7.2009 - B 1 KR 18/09 R; Müller, in OK-SGB V, Stand: 1.1.2021, § 13 Rn. 13).
Gem. § 27 Abs. 1 Nr. 1, 5 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst u.a. ärztliche Behandlungen und Krankenhausbehandlungen. Diese Rechtsgrundlage ist ferner für die Anträge auf Kostenübernahme für die noch nicht durchgeführten Wiederherstellungsoperationen einschlägig.
Im vorliegenden Fall steht zur Überzeugung der Kammer aber fest, dass eine Behandlung der Hautfalten der Klägerin durch eine Straffungsoperation keine notwendige Krankenbehandlung darstellt. Notwendig ist eine Leistung, die zur Erreichung des Leistungszwecks nach Art, Umfang und Qualität unentbehrlich ist. Der Begriff der Notwendigkeit begrenzt den Leistungsanspruch des Versicherten daher nach oben. Die notwendige Leistung ist die Maximalleistung. Die logische Konsequenz dieser Begrenzung ist, dass die Krankenkasse nicht zwingend die Optimalversorgung schuldet, es sei denn, diese wäre notwendig, bspw. weil Behandlungsalternativen nicht existieren (Müller, in OK-SGB V, Stand 1.1.2021, § 12 Rn. 7).
Die Hautfalten der Klägerin an sich haben zur Überzeugung der Kammer bereits keinen Krankheitswert im krankenversicherungsrechtlichen Sinne. Krankheit im Sinne der gesetzlichen Krankenversicherung ist ein regelwidriger körperlicher oder geistiger Zustand, der entweder Behandlungsbedürftigkeit oder Arbeitsunfähigkeit oder beides zur Folge hat (KassKomm/Höfler, § 27 SGB V, Rn. 9). Der krankenversicherungsrechtliche Begriff der Krankheit unterscheidet sich von dem medizinischen Krankheitsbegriff, wonach die Krankheit eine Erkrankung mit bestimmten Symptomen und Ursachen ist. Er ist ferner abzugrenzen von dem Begriff der Behinderung, mit dem eine Abweichung von der normalen körperlichen, geistigen oder seelischen Verfassung beschrieben wird (KassKomm/Höfler, aaO, Rn. 11). Für die Feststellung der Regelwidrigkeit ist vom Leitbild des gesunden Menschen auszugehen, der zur Ausübung normaler körperlicher oder psychischer Funktionen in der Lage ist. Eine Abweichung von dieser Norm führt zur Regelwidrigkeit des körperlichen, seelischen oder geistigen Zustandes. Es muss aber eine erhebliche Abweichung vorliegen, nur geringfügige Störungen, die keine wesentliche funktionelle Beeinträchtigung zur Folge haben, reichen zur Annahme eines regelwidrigen Körper- oder Geisteszustandes nicht aus. Demgemäß genügen auch nicht Abweichungen von einer morphologischen Idealnorm, die noch befriedigende körperliche und psychische Funktionen zulassen (KassKomm/Höfler, aaO, RdNr 12 mwN). Daher fallen körperliche Anomalien grundsätzlich nicht unter den Begriff der Krankheit oder Behinderung (BSG, Urteil vom 6. August 1987 - 3 RK 15/86).
Der Begriff des Funktionsdefizits kann insbesondere in den Körperbereichen, die normalerweise nicht von Kleidungsstücken bedeckt sind, nicht allein daran gemessen werden, ob die Ausübung körperlicher Funktionen in dem betroffenen Teilbereich noch möglich ist. Der einzelne Versicherte kann nämlich nicht nur für sich allein betrachtet werden, es müssen vielmehr auch seine Beziehungen zu seiner Umwelt, insbesondere den mit ihm verkehrenden Mitmenschen berücksichtigt werden. Der Versicherte als kommunikativ handelndes Wesen ist auf die Achtung und den Respekt durch seine Mitmenschen angewiesen. Daher können insbesondere Entstellungen im Gesichtsbereich trotz normaler körperlicher Funktionen ein Funktionsdefizit hervorrufen, das einen Anspruch auf Maßnahmen der Krankenbehandlung begründen kann. Dies bestätigen die im Schwerbehindertenrecht geltenden Grundsätze. Darin ist für eine abstoßend wirkende Entstellung des Gesichtes einen Grad der Behinderung (GdB) von 50 vorgesehen. Eine abstoßend wirkende Gesichtsentstellung liegt vor, wenn die Entstellung bei Menschen, die nur selten Umgang mit Behinderten haben, üblicherweise Missempfindungen wie Erschrecken oder Abscheu oder eine anhaltende Abneigung gegenüber dem Behinderten auszulösen vermag. Eine einfache, kosmetisch nur wenig störende Gesichtsentstellung wird mit einem GdB von 10 bewertet, ansonsten mit einem GdB von 20 bis 30 (siehe dazu ausführlich LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 2. Mai 2002 – L 5 KR 93/01). Ob und in welchem Grad Gesundheitsstörungen entstellend wirken, lässt sich regelmäßig nicht nach dem Eindruck eines Sachverständigen oder nach Fotografien beurteilen. Maßgebend ist der unmittelbare Eindruck des Gerichts, den es sich grundsätzlich durch Augenschein zu verschaffen hat (BSG, Urteil vom 26. Januar 1994 - 9 RV 25/93). Die Rechtsprechung hat eine Entstellung bei einer Frau ohne natürliches Kopfhaar, bei einer Wangenatrophie (LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 2. Mai 2002 – L 5 KR 93/01) oder bei Narben im Lippenbereich angenommen bzw. erörtert; im Urteil zum Fall eines Kindes mit einer angeborenen Gesichtsspalte ist zwar von einer Missbildung die Rede, gleichzeitig dürften aber Funktionsdefizite vorgelegen haben (vgl. zu den Fallbeispielen auch BSG, Urteil vom 19. Oktober 2004 - B 1 KR 9/04 R).
Die Kammer ist unter Berücksichtigung dieses Maßstabs davon überzeugt, dass nicht von einem entstellenden Zustand ausgegangen werden kann. Letzteres ist bei der Klägerin offensichtlich nicht der Fall. Die Hautfalten befinden sich unstreitig und ohne, dass es eines persönlichen Eindrucks der Kammer bedurft hätte, an Körperpartien, die im Alltagsleben regelmäßig durch Kleidung bedeckt werden können. Die Kammer kann sich insoweit auf die vorgelegte Fotodokumentation (Bl. 72 ff. der Gerichtsakte) und das Gutachten des MDK vom 23. Oktober 2018 stützen. Zwar hat das Bundessozialgericht mit Urteil vom 10. März 2022 – B 1 KR 3/21 R entschieden, dass über den bislang vertretenen Begriff der Entstellung hinaus auch körperlichen Anomalien ein Krankheitswert zugemessen werden kann, die sich in Bereichen befinden, die regelmäßig von Kleidung bedeckt sind. In diesen Bereichen müssen die Auffälligkeiten aber besonders schwerwiegend sein. Erforderlich ist, dass selbst die Offenbarung im privaten Bereich die Teilhabe an der Gesellschaft, etwa im Rahmen der Sexualität, nahezu ausschließen würde. Hierbei ist nicht das subjektive Empfinden des Betroffenen maßgeblich, sondern allein die objektiv zu erwartende Reaktion. Die Auffälligkeit muss evident abstoßend wirken. Diese Erheblichkeitsschwelle wird – so das Bundessozialgericht, dessen Entscheidung die Kammer nach eigener Überzeugung zustimmt – in aller Regel bei Hautüberschüssen nach bariatrischen Operationen nicht erreicht.
Die Kammer stellt insoweit keinesfalls in Abrede, dass das persönliche Empfinden der Klägerin diesbezüglich ein völlig anderes ist und sie sich trotz der Bedeckungsmöglichkeit im Alltag einer tief empfundenen Beeinträchtigung ausgesetzt sieht bzw. vor ihrer Operation sah, auch wenn sie faktisch die Möglichkeit hatte, die betroffenen Körperpartien vor der Öffentlichkeit zu verbergen.
Eine durch die die Hautfalten ausgelöste – und durch eine Straffung der Hautfalten zu behandelnde – dermatologische Erkrankung ist nicht zur Überzeugung der Kammer nachgewiesen. Die Gutachterin des MDK beschreibt den dermatologischen Befund in dem Gutachten vom 23. Oktober 2018 wie folgt: „An der Haut lassen sich keinerlei Hinweise auf höhergradige abgelaufene Entzüdungen nachweisen. […] Bezüglich der Brust und einer vorhandenen leichtgradigen Ptosis ist eine funktionelle Beeinträchtigung […] nicht zu diskutieren, auch hier lassen sich keinerli höhergradige abgelaufene oder aktuelle dermatologische Erkrankungen nachweisen.“ Eine konsequente fachdermatologische Behandlung wird weder vorgetragen, noch wäre eine solche aus der Akte ersichtlich. Das Gutachten des Medizinischen Dienstes ist schlüssig und widerspruchsfrei. Die erhobenen Befunde sind für die Kammer nachvollziehbar und wurden im weiteren Verfahren nicht substantiiert angegriffen. Die Kammer musste sich deshalb nicht zu weiteren Ermittlungen gedrängt sehen.
Die Klage konnte daher keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Verfahrens.