L 8 R 3280/23

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
8.
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 4 R 169/23
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 R 3280/23
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 16.08.2023 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.



Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung für die Zeit seit dem 01.03.2022.

Die 1970 geborene Klägerin erlernte den Beruf der Bäckereifachverkäuferin und legte im Zeitraum vom 01.01.2011 bis 30.06.2021 Pflichtbeitragszeiten für eine Tätigkeit als Mitarbeiterin im Gastronomiebetrieb ihres Ehemannes zurück.

Am 23.03.2022 beantragte sie bei der Beklagten die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Zur Begründung führte sie aus, sie halte sich seit Juni 2021 wegen einer Spondylolisthesis im Wirbelgelenk L5/S1 für erwerbsgemindert. Sie leide an Dauerschmerzen hauptsächlich im linken Bein. Es sei ihr nicht möglich, länger als drei bis vier Stunden zu gehen oder zu stehen. Ferner leide sie an einer Immunthrombozytopenie, die eine erhöhte Blutungsneigung zur Folge habe. Zur weiteren Begründung des Rentenantrags legte sie die Arztbriefe des S1 vom 16.09.2021 (kein Bandscheibenvorfall, keine Spinalkanalstenose, leichte Hyperlordosierung des lumbosakralen Übergangs, linkskonvexe Lendenwirbelsäulenskoliose, links aktivierte Osteochondrose L5/S1, Spondylolisthesis vera L5/S1 Grad 1-2 nach Meyerding, konsekutive höhergradige Forameneinengung links mehr als rechts, Osteochondrose L4/L5 mit zirkumferenzieller Bandscheibenprotrusion), des D1 vom 28.09.2021, 17.01.2022 (Vibrationsempfinden über dem linken Innenknöchel leicht gemindert, Achillessehnenreflexe beidseits fehlend, keine weiteren neurologischen Auffälligkeiten) und 25.04.2022 (Hypästhesie im Dermatom 5 links, keine weiteren neurologischen Auffälligkeiten), des B1 vom 24.01.2022 (weitgehend unauffällige Darstellung des Beckens ohne Anhalt für einen neurokompressiven Prozess im Verlauf des Plexus lumbalis), des T1 vom 05.02.2020 und 18.05.2022 (keine sensomotorischen Defizite, die Lendenwirbelsäule soweit unauffällig, jedoch typische Ischiasschmerzen gluteal mit radikulärer Ausstrahlung) vor.

Die Beklagte veranlasste die Untersuchung der Klägerin durch den L1 am 23.08.2022, der in seinem Gutachten vom selben Tage zu dem Ergebnis gelangte, dass bei der Klägerin ein Lendenwirbelsäulensyndrom bei Spondylolisthesis L5/S1 mit deutlicher Bewegungseinschränkung und rezidivierender Gefühlsstörung des linken Beines sowie Adipositas mit Einschränkung der Beweglichkeit und Belastbarkeit bestehe. Nicht mehr leidensgerecht seien deshalb Tätigkeiten in Wirbelsäulenzwangshaltungen, auf Leitern und Gerüsten sowie in Nässe und Kälte, das Gehen auf unebenen Böden und Vibrationsbelastungen. Leichte körperliche Tätigkeiten überwiegend im Stehen, überwiegend im Gehen oder überwiegend im Sitzen mit der Möglichkeit zum selbständigen Haltungswechsel könnten jedoch täglich mindestens 6 Stunden verrichtet werden. Dieser Einschätzung stimmte der G1 in seiner sozialmedizinischen Stellungnahme vom 29.08.2022 zu.

Mit Bescheid vom 10.10.2022 lehnte die Beklagte den Rentenantrag der Klägerin ab, weil sie die medizinischen Voraussetzungen nicht erfülle. Die Klägerin sei nicht erwerbsgemindert, da sie noch mindestens 6 Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig sein könne.

Hiergegen erhob die Klägerin am 09.11.2022 Widerspruch. Es sei ihr nicht mehr möglich, 6 Stunden täglich zu stehen, zu gehen oder zu sitzen. Sie leide infolge der Spondylolisthesis nicht nur an einer Bewegungseinschränkung und an Gefühlsstörungen im linken Bein, sondern auch an starken Schmerzen, die sie mit Ibuprofen 600 mg und Tilidin 50 mg behandle, und könne keine Nacht mehr durchschlafen. Zur weiteren Widerspruchsbegründung legte sie den Arztbrief des G2 vom 13.10.2022 (degenerative Veränderung der Lendenwirbelsäule mit Osteochondrose, Bandscheibenprotrusionen, neuroforaminalen Engen und Facettengelenksarthrosen, Verdacht auf Ventrolisthesis vera des Lendenwirbelkörpers 5 gemäß Grad 1-2 nach Meyerding) vor. Der G1 führte hierzu in seiner sozialmedizinischen Stellungnahme vom 11.11.2022 aus, dass der Gutachter L1  das Rückenleiden der Klägerin bei der Erstellung des Leistungsbildes bereits angemessen berücksichtigt habe.

Mit Widerspruchsbescheid vom 04.01.2023 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück. Die Klägerin sei nicht erwerbsgemindert. Bei ihr bestünden vor allem ein Lendenwirbelsäulensyndrom bei Spondylolisthesis L5/S1 mit deutlicher Bewegungseinschränkung und rezidivierender Gefühlsstörung des linken Beines sowie eine Adipositas mit eingeschränkter Beweglichkeit und Belastbarkeit. Unter Berücksichtigung aller Gesundheitsstörungen und der sich daraus ergebenden funktionellen Einschränkungen bei der Ausübung von Erwerbstätigkeiten seien keine Auswirkungen ersichtlich, die das Leistungsvermögen der Klägerin für Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zeitlich einschränkten. Der Klägerin seien leichte Tätigkeiten überwiegend im Stehen, überwiegend im Gehen, überwiegend im Sitzen, in Tagesschicht, in Frühschicht/Spätschicht und in Nachtschicht, ohne längere Wirbelsäulenzwangshaltungen, ohne häufiges Klettern und Steigen und ohne besondere Belastung durch Kälte, Nässe und Vibrationen täglich 6 Stunden und mehr zumutbar.

Am 23.01.2024 hat die Klägerin beim Sozialgericht Heilbronn (SG) Klage erhoben und beantragt, den Bescheid vom 10.10.2022 in der Gestalt des Widerspruchbescheids vom 04.01.2023 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr eine Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung zu gewähren. Zur Begründung hat sie im Wesentlichen ausgeführt, dass ihre „Erwerbsunfähigkeit“ nicht durch die Adipositas, sondern durch die Spondylolisthesis hervorgerufen werde. Es liege nicht nur eine Spondylolisthesis des Grades 1-2 nach Meyerding, sondern auch eine konsekutive höhergradige Forameneinengung links mehr als rechts mit Osteochondrose L4/L5 mit zirkumferenzieller Bandscheibenprotrusion vor. Die Bewegungseinschränkungen und Gefühlstörungen des linken Beines führten zu einer Minderung des Leistungsvermögens. Im Vordergrund stünden aber die sehr starken Schmerzen durch das Wirbelgleiten. Die tägliche Einnahme von Ibuprofen 600 mg sowie Tilidin 50 mg weise auf eine hohe Schmerzhaftigkeit hin. Die Schmerzen führten zu Schlafstörungen.

Zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts hat das SG die schriftliche Beantwortung von Beweisfragen durch sachverständige Zeugen angeordnet. Der D1 hat in seiner schriftlichen Antwort vom 28.04.2023 mitgeteilt, dass die Klägerin insgesamt 3 Behandlungstermine am 28.09.2021 wegen ischialgieformer Schmerzen links, am 17.01.2022 wegen unverändert fortdauernder Schmerzen und am 25.04.2022 zur Verlaufskontrolle aufgrund der Dysästhesien an der Außenseite des linken Beins wahrgenommen habe.

Die H1 hat in ihrer schriftlichen Antwort vom 10.05.2023 ausgeführt, dass sie die Klägerin einmalig am 11.04.2023 behandelt habe. Das für die Beurteilung der beruflichen Leistungsfähigkeit im Vordergrund stehende Leiden liege auf orthopädischem und internistischem Fachgebiet. Bei der Klägerin bestehe eine Lumboischialgie links, eine Spondylolisthesis L5/S1 mit Neuroforamenstenose L5/S1 links, Adipositas, ein auffälliges Hautkolorit bei jahrelangem Nikotinabusus, ein allergisches Asthma, eine Schlafstörung und ein Morbus Werlhof (d.h. Immunthrombozytopenie). Der Klägerin seien deshalb nur leichte körperliche Belastungen im Wechsel von Sitzen und Stehen zumutbar. Die Frage, ob die Klägerin imstande sei, ohne Gefährdung ihrer Gesundheit eine leichte körperliche Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch 6 Stunden täglich zu verrichten, könne nicht beantwortet werden.

Nach Anhörung der Beteiligten hat das SG durch Gerichtsbescheid vom 16.08.2023 die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat sich das SG die Begründung des Widerspruchsbescheids zu eigen gemacht und ergänzend ausgeführt, dass die Klägerin noch in der Lage sei, eine leichte körperliche Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ohne Gefährdung ihrer Gesundheit mindestens 6 Stunden täglich zu verrichten, wenn qualitative Leistungseinschränkungen beachtet werden. Anhand der von L1 und von den sachverständigen Zeugen D1 und H1 dokumentierten körperlichen Erkrankungen lasse sich eine quantitative Einschränkung des Leistungsvermögens für eine leichte körperliche Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht begründen. Der Gerichtsbescheid des SG ist der Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 16.08.2023 zugestellt worden.

Am 01.09.2023 hat die Klägerin beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg „Widerspruch gegen den Ablehnungsbescheid vom 16.08.2023 des Sozialgerichts Heilbronn bezüglich meines Antrags auf Erwerbsminderungsrente“ eingelegt. Zur Begründung hat sie im Wesentlichen ausgeführt, sie sei seit Juni 2021 durch die Spondylolisthesis, Foramenstenose und leichte Skoliose nicht mehr schmerzfrei und in ihrer Bewegung eingeschränkt. Es sei ihr nicht möglich, länger als eine, maximal zwei Stunden am Stück zu stehen, zu gehen oder zu sitzen. Ihr linkes Bein und der linke Fuß seien fast dauerhaft angeschwollen. Sie leide oft unter einem Taubheitsgefühl in Bein und Fuß und unter Bewegungsunfähigkeit in den Zehen.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 16.08.2023 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 10.10.2022 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 04.01.2023 zu verurteilen, ihr eine Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung seit dem 01.03.2022 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtenen Entscheidungen für zutreffend und hat zur weiteren Berufungserwiderung die sozialmedizinische Stellungnahme der B2 vom 11.03.2024 vorgelegt.

Auf Anforderung des Senats hat die W1 einen Auszug aus der für die Klägerin geführten Patientenkarteikarte des MVZ Radiologie und Diagnosticum M1/T2 sowie ihre Arztbriefe vom 05. und 17.05.2023 (technisch erfolgreiche, komplikationslose CT-gesteuerte periradikuläre Schmerztherapie), den Arztbrief der H1 vom 11.04.2023 (Zehen- und Hackengang linksseitig demonstrierbar, Druckschmerz über der unteren Lendenwirbelsäule und dem Iliosakralgelenk, Lasègue beidseitig negativ, beide Hüftgelenke unauffällig) und den Arztbrief des G2 vom 10.03.2023 (deutlich zurückgebildete Aktivitätszeichen der leichtgradigen Osteochondrose L5/S1, konstante Spondylolisthesis vera des Lendenwirbelkörpers 5 gemäß Grad 1 bis 2 nach Meyerding, unveränderte hochgradige linksseitige und mäßiggradige rechtsseitige Foramenstenose L5/S1, unveränderte Extrusion L4/5 ohne wesentliche neurokompressive Wirkung, keine neu aufgetretene Bandscheibenpathologie, konstant leicht abgeflachte Lordose und leichte linkskonvexe Skoliose der Lendenwirbelsäule, reizlose Iliosakralgelenke) vorgelegt.

Im Erörterungstermin am 21.03.2024 haben sich die Klägerin und die Beklagte mit einer Entscheidung des Rechtsstreits durch Urteil ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz einverstanden erklärt.

Zu den weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.


Entscheidungsgründe


Die nach § 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten nach § 124 Abs. 2 SGG durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist gemäß § 105 Abs. 2 Satz 1, § 143 SGG statthaft und zulässig. Das dem LSG am 01.09.2023 zugegangene Schreiben der Klägerin vom 27.08.2023 ist eine Berufungsschrift. Für den Inhalt einer Berufungsschrift genügt das deutlich erkennbare Begehren nach einer Überprüfung des Urteils der ersten Instanz im Rechtsmittelweg; der Begriff „Berufung“ braucht nicht unbedingt verwendet zu werden (BSG, Urteil vom 24.04.1991 – 9a RV 9/90 – juris, Rn. 12). Im vorliegenden Fall hat die Klägerin in ihrem Schreiben vom 27.08.2023 nicht ausdrücklich erklärt, dass Berufung eingelegt wird. Jedoch bringt die Bezeichnung als „Widerspruch gegen den Ablehnungsbescheid vom 16.08.2023 des Sozialgerichts Heilbronn“ im Wege der Auslegung nach dem objektiven Erklärungswert und im Lichte des Grundrechts auf effektiven Rechtsschutz hinreichend klar zum Ausdruck, dass der Gerichtsbescheid des SG vom 16.08.2023 durch das LSG als Empfänger des Schreibens der Klägerin überprüft werden soll (vgl. allgemein zur Auslegung von Prozesserklärungen Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Auflage 2023, § 151 Rn. 11 und vor § 143 Rn. 15b m.w.N.)

Die Berufung der Klägerin ist nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 Var. 2, Abs. 4, §§ 56, 130 Abs. 1 Satz 1 SGG) zulässige Klage ist nicht begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 10.10.2022 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 04.01.2023 (§ 95 SGG) ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung für die Zeit seit dem 01.03.2022.

Ob dem Grunde nach Anspruch auf eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit besteht, richtet sich nach § 43 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) in der bis 31.12.2023 geltenden Normfassung des RV-Altersgrenzenanpassungsgesetzes vom 20.04.2007 (BGBl. I S. 554, 555) und der ab 01.01.2024 geltenden Normfassung des Gesetzes zur Anpassung des Zwölften und des Vierzehnten Buches Sozialgesetzbuch und weiterer Gesetze vom 22.12.2023 (BGBl. I, Nr. 408, S. 8). Versicherte haben bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser oder voller Erwerbsminderung, wenn sie teilweise oder voll erwerbsgemindert sind, in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (§ 43 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 SGB VI). Erwerbsgemindert ist nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 SGB VI). Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI). Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI). Über den Wortlaut des § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI hinaus ist voll erwerbsgemindert, wer zwar noch 3 bis unter 6 Stunden unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes tätig sein kann, aber nicht über einen entsprechenden leidensgerechten Arbeitsplatz verfügt (zur sog. Arbeitsmarktrente wegen Verschlossenheit des Teilzeitarbeitsmarkts vgl. BSG, Beschluss des Großen Senats vom 10.12.1976 – GS 2/75, GS 3/75, GS 4/75, GS 3/76 – juris, Rn. 72 f., 79; BSG, Urteil vom 11.12.2019 – B 13 R 7/18 R – juris, Rn. 22). Auf nicht absehbare Zeit besteht eine Einschränkung, wenn sie sich voraussichtlich über einen Zeitraum von mindestens 6 Monaten erstreckt (zu § 1247 Abs. 2 Satz 1 RVO vgl. BSG, Urteil vom 23.03.1977 – 4 RJ 49/76 – juris, Rn. 16 a.E.).

Der Eintritt der Erwerbsminderung unterliegt dem Vollbeweis. Für den Vollbeweis muss sich das Gericht die volle Überzeugung vom Vorhandensein oder Nichtvorhandensein einer Tatsache verschaffen (BSG, Urteil vom 15.12.2016 – B 9 V 3/15 R – juris, Rn. 26, dazu auch im Folgenden). Allerdings verlangt auch der Vollbeweis keine absolute Gewissheit, sondern lässt eine an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit ausreichen. Dies bedeutet, dass auch dem Vollbeweis gewisse Zweifel innewohnen können und verbleibende Restzweifel bei der Überzeugungsbildung unschädlich sind, solange sie sich nicht zu gewichtigen Zweifeln verdichten. Eine Tatsache ist bewiesen, wenn sie in so hohem Grade wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung zu begründen (BSG, a.a.O., m.w.N.). Kann sich das Gericht nicht davon überzeugen, dass zu einem bestimmten Zeitpunkt Erwerbsminderung eingetreten ist, hat derjenige, der daraus Ansprüche ableitet, das Risiko der Nichterweislichkeit der anspruchsbegründenden Tatsache im Sinne einer objektiven Beweislast zu tragen.

Nach diesen Maßstäben steht für den Senat aufgrund der im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren durchgeführten Beweisaufnahme fest, dass die Klägerin in der Lage ist, zumindest leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes wenigstens 6 Stunden täglich zu verrichten. Zwar liegen bei ihr gesundheitliche und daraus resultierende funktionelle Einschränkungen vor. Diese mindern ihre berufliche Leistungsfähigkeit jedoch nur in qualitativer Hinsicht, schränken ihr Restleistungsvermögen aber nicht auch quantitativ auf weniger als 6 Stunden täglich ein. Diese Überzeugung stützt der Senat auf das Gutachten des L1 vom 23.08.2022, das im Wege des Urkundenbeweises verwertet werden konnte (vgl. etwa BSG, Beschluss vom 16.11.2022 – B 5 R 112/22 B – juris, Rn. 13; BSG, Beschluss vom 05.08.2020 – B 5 R 78/20 B – juris, Rn. 6), und auf die sozialmedizinischen Stellungnahmen des G1  vom 29.08.2022 und 11.11.2022. Der L1 hat gestützt auf die Ergebnisse seiner eigenen Untersuchung der Klägerin schlüssig und nachvollziehbar dargelegt, dass jene nicht erwerbsgemindert ist. Hiervon abweichende ärztliche Einschätzungen des zeitlichen Leistungsvermögens der Klägerin liegen nicht vor.

Die für die Beurteilung des beruflichen Leistungsvermögens der Klägerin maßgeblichen Erkrankungen liegen auf orthopädischem Fachgebiet. Dies ergibt sich aus den eigenen Angaben der Klägerin in der Berufungsbegründung und wird durch die schriftliche Antwort der sachverständigen Zeugin und H1 vom 10.05.2023 bestätigt.

Bei der Klägerin bestehen im Bereich der Lendenwirbelsäule eine Lumboischialgie links, eine Spondylolisthesis vera des fünften Lendenwirbelkörpers im Grad 1 bis 2 nach Meyerding (d.h. eine Verschiebung des gleitenden Wirbelkörpers L5 um etwa 25 Prozent zum darunterliegenden Wirbelkörper S1, vgl. Pschyrembel online, Stichwort: Spondylolisthesis, Stand Juni 2016), eine Neuroforamenstenose (d.h. Nervenkanalverengung) L5/S1 links mehr als rechts, eine Extrusion der Bandscheibe L4/5 (d.h. Austritt des inneren Gallertkerns einer Bandscheibe durch den äußeren Faserring) ohne wesentliche neurokompressive Wirkung, eine leichtgradige Osteochondrose im Wirbelgelenk L5/S1, deren Aktivitätszeichen sich im Zeitraum zwischen Oktober 2022 und März 2023 deutlich zurückgebildet haben, sowie eine leicht abgeflachte Lordose und leichte linkskonvexe Skoliose der Lendenwirbelsäule. Diese Überzeugung stützt der Senat auf den Arztbrief des G2 vom 10.03.2023 und die schriftliche Antwort der sachverständigen Zeugin H1 vom 10.05.2023. Das Gutachten des L1 vom 23.08.2022 bestätigt das Vorliegen eines Lendenwirbelsäulensyndroms bei Spondylolisthesis L5/S1.

Die daraus folgenden funktionellen Einschränkungen zeigen sich in einer deutlichen Einschränkung der Beweglichkeit der Lendenwirbelsäule. Dies folgt zur Überzeugung des Senats aus dem Gutachten des L1 vom 23.08.2022. Darin wird befundgestützt dargelegt, dass die Entfaltbarkeit der Lendenwirbelsäule bei der Neigung nach vorne etwa hälftig eingeschränkt ist (Schober-Zeichen 10/12 cm bei unterem Normwert von 10/14 cm, vgl. Pschyrembel online, Stichwort: Schober-Zeichen), sodass der Finger-Boden-Abstand bei durchgestreckten Knien 45 cm beträgt. Auch die Rotation und Seitneigung der Lendenwirbelsäule sind jeweils bis etwa 15 Grad möglich und bleiben damit hälftig hinter dem unteren Normbereich der Referenzwerte für Erwachsene mit durchschnittlicher Beweglichkeit von jeweils 30 Grad zurück (vgl. Pschyrembel online, Stichwort Neutral-Null-Methode, Stand November 2022). Diese Bewegungseinschränkungen führen jedoch nicht zu Auffälligkeiten beim Anziehen und Ausziehen von Kleidung oder bei Haltungswechseln. Dies ergibt sich aus dem überzeugenden Gutachten des L1 vom 23.08.2022.

Der Senat kann sich nicht davon überzeugen, dass die von der Klägerin behaupteten Dauerschmerzen im Bereich der Lendenwirbelsäule vorliegen. Denn es sind keine Schmerzen bei der Bewegung der Lendenwirbelsäule ärztlich objektiviert. Das beidseits negative Lasègue-Zeichen zeigt, dass bei der Beugung der gestreckten Beine in den Hüftgelenken keine Dehnungsschmerzen im Bereich der Spinalnervenwurzeln der Rückenmarkssegmente L4-S2 und des Ischiasnervs ausgelöst werden können. Dies entnimmt der Senat dem Gutachten des L1 vom 23.08.2022 und dem Arztbrief der H1 vom 11.04.2023. Aus letzterem folgt auch, dass kein Druckschmerz über der Lendenwirbelsäule und kein Druckschmerz über dem Iliosakralgelenk ausgelöst werden kann. Die bei der Untersuchung durch L1 am 23.08.2022 aufgetretene diffuse Druckschmerzhaftigkeit der gesamten Lendenwirbelsäule bestand zum Zeitpunkt der Untersuchung durch H1 am 11.04.2023 nicht mehr. Gegen das Vorliegen wesentlicher Dauerschmerzen spricht, dass die Klägerin bei der Untersuchung durch L1 am 23.08.2022 lediglich eine Bedarfsmedikation mit Paracetamol und „sehr selten“ die Einnahme von Tilidin angegeben hat. Bei Paracetamol handelt es sich um ein nichtopioides Schmerzmittel, das nach Stufe 1 des Stufenschemas der Weltgesundheitsorganisation zur Linderung leichter bis mäßiger Schmerzen angewandt wird (vgl. Pschyrembel online, Stichwort WHO-Stufenschema, Stand Mai 2017). Gleiches gilt für die in der Widerspruchs- und Klagebegründung vorgetragene Einnahme von Ibuprofen. Soweit die Klägerin in der Klagebegründung vom 28.03.2023 die tägliche Einnahme des Opiats Tilidin 50 mg behauptet hat, steht dies in Widerspruch zu ihren früheren Angaben gegenüber L1 am 23.08.2022 und findet keine Grundlage in den erhobenen ärztlichen Befunden. Vielmehr haben sich die Aktivitätszeichen der leichtgradigen Osteochondrose im Wirbelgelenk L5/S1 im Zeitraum zwischen Oktober 2022 und März 2023 deutlich zurückgebildet, was sich zur Überzeugung des Senats aus dem Arztbrief des G2 vom 10.03.2023 ergibt. Gegen eine wesentliche dauerhafte Funktionseinschränkung durch Schmerzen spricht schließlich, dass die Klägerin seitdem von ihr behaupteten Leistungsfall im Juni 2021 trotz entsprechender ärztlicher Empfehlung durch H1 keine multimodale Schmerztherapie in Anspruch genommen hat und sich lediglich an zwei Tagen im Mai 2023 einer technisch erfolgreichen, komplikationslosen CT-gesteuerten periradikulären Schmerztherapie unterzogen hat. Dies entnimmt der Senat den Arztbriefen der W1 vom 05. und 17.05.2023.

Die bei der Klägerin bestehenden Gesundheitsstörungen im Bereich der Lendenwirbelsäule führen über die vorstehend dargelegten Bewegungseinschränkungen der Lendenwirbelsäule hinaus auch zu einer rezidivierenden Gefühlsstörung im linken Bein. Diese Überzeugung stützt der Senat auf das Gutachten des L1 vom 23.08.2022. Der Arztbrief des D1 vom 17.01.2022 bestätigt, dass bei der Klägerin das Vibrationsempfinden über dem linken Innenknöchel leicht gemindert ist und die Achillessehnenreflexe beidseitig ausgefallen sind. Aus dem Arztbrief der H1 folgt, dass bei der Klägerin eine Hypästhesie (d.h. eine herabgesetzte Druck- und Berührungsempfindung) im Dermatom S1 (d.h. dem Hautareal, das Teile der Außen- und Rückseite von Gesäß, Oberschenkel, Knie, Unterschenkel, den seitlichen Fußrand sowie die Kleinzehe umfasst) besteht. Ferner besteht eine Fußheber- und Fußsenkerschwäche mit dem Kraftgrad 4/5, d.h. aktive Bewegung gegen mäßigen Widerstand ist möglich. Das Gangbild der Klägerin wirkt schwerfällig ohne Hinken. Dies entnimmt der Senat dem Arztbrief der H1 vom 11.04.2023 und dem Gutachten des L1 vom 23.08.2022.

Die übrigen Gesundheitsstörungen der Klägerin liegen auf internistischem Fachgebiet. Dies ergibt sich aus der schriftlichen Antwort der sachverständigen Zeugin und H1 vom 10.05.2023. Bei der Klägerin bestehen eine Adipositas (106 kg bei 174 cm Körpergröße, BMI 34,7) und ein Morbus Werlhof, d.h. eine seltene, erworbene isolierte Thrombozytopenie infolge verkürzter Thrombozytenlebensdauer durch antithrombozytäre Autoantikörper mit der Folge einer erhöhten Blutungsneigung (vgl. Pschyrembel online, Stichwort Immunthrombozytopenie, Stand April 2023). Hiervon ist der Senat aufgrund der schriftlichen Antwort der sachverständigen Zeugin H1 vom 10.05.2023 und des Gutachtens des L1 vom 23.08.2022 überzeugt. Soweit die Klägerin zur Berufungsbegründung vorgetragen hat, dass auch psychische Auswirkungen zu beachten seien, ist seit Juni 2021 kein auffälliger psychopathologischer Befund erhoben und keine psychische Gesundheitsstörung festgestellt worden. Die Klägerin wirkt vielmehr räumlich, zeitlich, personell und situativ voll orientiert, zeigt keinen Hinweis auf Antriebslosigkeit, keinen Hinweis auf eine depressive Verstimmung und keinen Hinweis auf Störungen der Aufmerksamkeit, des Gedächtnisses und des formalen Denkens. Diese Überzeugung stützt der Senat auf das Gutachten des L1 vom 23.08.2022. Die Klägerin hat bisher auch keine ärztliche Behandlung auf psychiatrischem oder psychotherapeutischem Fachgebiet in Anspruch genommen. Gegenstand der drei Behandlungen der Klägerin durch den D1 am 28.09.2021, 17.01.2022 und 25.04.2022 sind jeweils Beschwerden auf neurologischem Fachgebiet gewesen. Dies zeigen die schriftliche Antwort des sachverständigen Zeugen D1 vom 28.04.2023 und seine beigefügten Arztbriefe.

Die aus den festgestellten Gesundheitsstörungen der Klägerin folgenden Einschränkungen mindern ihr berufliches Leistungsvermögen in qualitativer Hinsicht. Die orthopädischen Gesundheitsstörungen im Bereich der Lendenwirbelsäule schränken deren Belastbarkeit und die Funktionsfähigkeit des linken Beines ein. Nicht mehr zumutbar sind der Klägerin mittelschwere oder schwere körperliche Arbeiten in ständigem Stehen, ständigem Gehen oder ständigem Sitzen sowie Tätigkeiten in Wirbelsäulenzwangshaltungen oder auf Leitern und Gerüsten. Nicht mehr leidensgerecht sind ferner Tätigkeiten im Gehen auf unebenen Böden, Tätigkeiten mit Vibrationsbelastungen und Tätigkeiten unter Exposition gegenüber Kälte und Nässe. Diese Überzeugung stützt der Senat auf das Gutachten des L1 vom 23.08.2022 und die sozialmedizinischen Stellungnahmen des G1 vom 29.08.2022 und 11.11.2022. Es ist der Klägerin demnach möglich, leichte körperliche Tätigkeiten mit der Möglichkeit zum selbstständigen Haltungswechsel zwischen Stehen, Gehen und Sitzen oder überwiegend im Gehen, überwiegend im Stehen und überwiegend im Sitzen zu verrichten. Dies folgt ebenfalls aus dem Gutachten des L1 vom 23.08.2022 und wird durch die schriftliche Antwort der sachverständigen Zeugin und H1 vom 10.05.2023 bestätigt.

Die funktionellen Einschränkungen hindern die Klägerin aber nicht, leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts täglich mindestens 6 Stunden lang zu verrichten. Diese Überzeugung stützt der Senat auf das Gutachten des L1 vom 23.08.2022 und die sozialmedizinischen Stellungnahmen des G1 vom 29.08.2022 und 11.11.2022. Deren Einschätzung überzeugt den Senat, weil sie auf Grundlage der erhobenen Befunde schlüssig und nachvollziehbar ist. Bei den Erkrankungen auf orthopädischem Fachgebiet handelt es sich um Gesundheitsstörungen, die lediglich im Bereich der Lendenwirbelsäule zu Bewegungseinschränkungen führen, während alle übrigen Wirbelsäulenabschnitte frei beweglich und weder verformt noch instabil sind. Beide Arme und Hände sind frei beweglich und uneingeschränkt belastbar. Auch beide Beine sind frei beweglich, wobei die Belastbarkeit des linken Beins durch die Gefühlsstörung eingeschränkt ist. Eine Erwerbsminderung kommt allerdings auch aufgrund der eigenen Angaben der Klägerin im Berufungsverfahren nicht in Betracht. Soweit die Klägerin in der Berufungsschrift vom 27.08.2023 ausgeführt hat, es sei ihr nicht möglich, „länger als eine, maximal zwei Stunden am Stück zu stehen, [zu] gehen oder [zu] sitzen“, steht dies der täglich 6-stündigen Verrichtung leichter körperlicher Tätigkeiten in Wechselhaltung, d.h. mit einem selbstbestimmten Wechsel von stehender, sitzender oder gehender Tätigkeit nicht entgegen.

Ob der Klägerin ein Arbeitsplatz vermittelt werden kann oder nicht, ist für den geltend gemachten Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung nicht erheblich. Denn die jeweilige Arbeitsmarktlage ist gemäß § 43 Abs. 3 Halbsatz 2 SGB VI nicht zu berücksichtigen. Das Bundessozialgericht geht weiterhin vom Grundsatz des offenen Arbeitsmarktes aus (BSG, Urteil vom 11.12.2019 – B 13 R 7/18 R – juris, Rn. 26). Es hält daran fest, dass Versicherte, die nur noch körperlich leichte und geistig einfache Tätigkeiten – wenn auch mit qualitativen Einschränkungen – wenigstens 6 Stunden täglich verrichten können, regelmäßig in der Lage sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts erwerbstätig zu sein (vgl. BSG, a.a.O.; BSG, Urteil vom 19.10.2010 – B 13 R 78/09 R – juris, Rn. 31). Im vorliegenden Fall ist die Klägerin, wie vorstehend dargelegt, mit dem ihr verbliebenen Restleistungsvermögen trotz qualitativer Einschränkungen in der Lage, körperlich leichte Tätigkeiten arbeitstäglich für mindestens 6 Stunden zu verrichten.

Der Arbeitsmarkt gilt der Klägerin auch nicht trotz ihres vorhandenen 6-stündigen Leistungsvermögens ausnahmsweise als verschlossen.

Die Einsatzfähigkeit der Klägerin unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes ist ausnahmsweise nicht gegeben, wenn der Versicherte die Vollzeittätigkeit nicht unter den in den Betrieben üblichen Bedingungen ausüben kann (sog. Katalogfall 1), wenn das Vermögen des Versicherten, eine Arbeitsstelle aufzusuchen (Wegefähigkeit), relevant eingeschränkt ist (sog. Katalogfall 2) oder wenn eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen
oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung gegeben ist (vgl. BSG, Urteil vom 11.12.2019 – B 13 R 7/18 R – juris, Rn. 29 m.w.N.). Keiner dieser Ausnahmefälle ist hier erfüllt.

Eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung liegen bei der Klägerin nicht vor. Ihre qualitativen Leistungseinschränkungen sind nicht als ungewöhnlich zu bezeichnen. Eine schwere spezifische Leistungsbehinderung liegt nur vor, wenn bereits eine erhebliche (krankheitsbedingte) Behinderung ein weites Feld von Verweisungstätigkeiten versperrt. Hierzu können – unter besonderer Berücksichtigung der jeweiligen Einzelfallumstände – beispielsweise Einäugigkeit, Einarmigkeit und Einschränkungen der Arm- und Handbeweglichkeit sowie besondere Schwierigkeiten hinsichtlich der Gewöhnung und Anpassung an einen neuen Arbeitsplatz zählen (vgl. BSG, Urteil vom 09.05.2012 – B 5 R 68/11 R – juris, Rn. 28 m.w.N.; bestätigt durch BSG, Urteil vom 11.12.2019 – B 13 R 7/18 R – juris, Rn. 34). Keine dieser Fallkonstellationen ist bei der Klägerin vorhanden. Die bei ihr vorliegenden Funktionseinschränkungen auf orthopädischem Fachgebiet betreffen im Wesentlichen nur die Motilität in einem von drei Wirbelsäulenabschnitten, bedingen keine besonderen Schmerzzustände und keine wesentliche Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit des linken Beins (s.o.).

Auch die Wegefähigkeit der Klägerin ist gegeben. Das Bundessozialgericht hat das Vermögen, eine Arbeitsstelle aufzusuchen, nur dann für gegeben erachtet, wenn es dem Versicherten möglich ist, Entfernungen von über 500 m zu Fuß zurückzulegen, weil davon auszugehen ist, dass derartige Wegstrecken üblicherweise erforderlich sind, um Arbeitsstellen oder Haltestellen eines öffentlichen Verkehrsmittels zu erreichen (vgl. BSG, Urteil vom 21.03.2006 – B 5 RJ 51/04 R – juris, Rn. 15 m.w.N.; bestätigt durch BSG, Urteil vom 11.12.2019 – B 13 R 7/18 R – juris, Rn. 29). Im vorliegenden Fall ist die Klägerin in der Lage, täglich viermal eine Wegstrecke von 500 m in weniger als 20 Minuten zu Fuß zurückzulegen. Dies ergibt sich zur Überzeugung des Senats aus dem Gutachten des L1 vom 23.08.2022. Diese Einschätzung ist schlüssig und nachvollziehbar, da das Gangbild der Klägerin zwar schwerfällig wirkt, aber kein Hinken und keine Ataxie, d.h. keine Störung der Koordination von Bewegungsabläufen zeigt.

Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit gemäß § 240 SGB VI, da sie nicht vor dem 02.01.1961, sondern im Jahr 1970 geboren ist.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe hierfür (vgl. § 160 Abs. 2 SGG) nicht vorliegen.
 

 

Rechtskraft
Aus
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