1.) Die formal in einem Bescheid zusammengefassten Widerlegungsentscheidungen verschiedener Krankenkassen verstoßen nicht gegen das verfassungsrechtliche Verbot einer Mischverwaltung.
2.) Ein einheitliches Anschreiben durch den federführenden Verband mit der Möglichkeit der Äußerung durch den Krankenhausträger genügt dem Anhörungserfordernis aus § 24 Abs 1 SGB 10.
3.) Die Auswirkungen der Corona-Pandemie sind nicht geeignet, eine berechtigte mengenmäßige Erwartung für das jeweils nächste Kalenderjahr zu begründen, wenn der Krankenhausträger bereits in den Jahren vor der Pandemie nicht die für das jeweilige Kalenderjahr gültige Mindestmenge erreicht hat.
Tenor: |
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin.
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Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Widerlegung einer Mindestmengenprognose für das Jahr 2024.
Die Klägerin ist Trägerin eines zur Behandlung von Versicherten der gesetzlichen Krankenkassen zugelassenen Krankenhauses. In diesem wurden 2022 insgesamt sechs, in den letzten beiden Quartalen des Jahres 2022 und in den ersten beiden Quartalen des Jahres 2023 ebenfalls jeweils sechs komplexe Eingriffe am Organsystem Pankreas für Erwachsene durchgeführt.
Mit Schreiben vom 03.08.2023 übermittelte die Klägerin den Beklagten unter Bezugnahme auf die 2022 und im ersten Halbjahr 2023 durchgeführten Eingriffe die Prognose zur Erreichung der vom gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) festgesetzten jährlichen Mindestmenge von 15 komplexen Eingriffen am Organsystem Pankreas für Erwachsene für das Jahr 2024.
Mit Anhörungsschreiben vom 24.08.2023, in dessen Briefkopf alle Beklagten aufgeführt waren, wurde gegenüber der Klägerin ausgeführt, die bislang durchgeführte Anzahl an Eingriffen entspreche nicht den Vorgaben der Mindestmengenregelung des G-BA, welche mindestens 15 solcher Behandlungen pro Jahr vorsehe. Wörtlich heißt es in dem Schreiben weiter: „Die Landesverbände der Krankenkassen und der Verband der Ersatzkassen beabsichtigen auf der Basis der bisher vorliegenden Informationen, die Leistung im Jahr 2024 nicht mehr zu vergüten. […] Die Landesverbände der Krankenkassen und der Verband der Ersatzkassen geben Ihnen hiermit die Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 13.09.2023.“ Die erste Seite des Schreibens enthielt oben links die Namen und Anschriften der Beklagten zu 1) bis 6), wobei angegeben wurde, dass die Beklagte zu 2) durch die Beklagte zu 3) vertreten werde. Als Gesprächspartner/in war eine Mitarbeiterin der Beklagten zu 1) angegeben. Die zweite Seite enthielt am Ende eine Grußformel sowie den Zusatz „ohne Unterschrift gültig“ und unter Nennung der Beklagten zu 1) sowie 3) bis 6) jeweils eine Namenswiedergabe mit dem vorangestellten Zusatz „gez.“.
Mit Schreiben vom 04.09.2023 teilte die Klägerin der Beklagten zu 1) mit, ein weiterer relevanter Faktor für die Fallzahlen im Jahr 2022 seien Covid-bedingte Verzögerungen und Engpässe, welche dazu geführt hätten, dass Patienten erst in fortgeschrittenen Stadien des Pankreaskarzinoms zur Vorstellung gekommen seien, bei denen keine kurativen Behandlungen mehr möglich gewesen seien. Zudem habe durch einen Weggang zweier Kollegen eine personelle Unterbesetzung im Jahr 2022 bestanden, welche durch eine Neubesetzung von zwei Stellen im April 2023 habe beseitigt werden können. Im Jahr 2023 seien bis dato neun komplexe Eingriffe durchgeführt worden, weshalb eine Erfüllung der Mindestmenge von 15 bis zum Jahresende zu erwarten sei.
Mit gleichlautenden Bescheiden vom 04.10.2023 widerlegten die Beklagten die Mindestmengenprognose der Klägerin für 2024. Für das Kalenderjahr 2024 gelte übergangsweise eine Mindestmenge von 15 Leistungen pro Standort eines Krankenhauses. Der Regelfall einer berechtigten mengenmäßigen Erwartung nach § 136 b Abs. 4 SGB V liege bei der Prognose für die Klägerin eindeutig nicht vor. Die weiteren von der Klägerin angeführten Gründe führten nicht zu einer positiven Prognose. Die Klägerin habe keine konkrete quantitative Darstellung zu den von ihr angeführten Nachwirkungen der Covid-Pandemie vorgenommen. Zudem führten die von der Klägerin angeführten personellen Veränderungen nicht zu einer Erreichung der Mindestmenge. Die Klägerin berücksichtige nicht, dass die Mindestmenge von 15 Eingriffen für 2024 eine Übergangsmindestmenge sei und die Mindestmenge ab dem Jahr 2025 20 Eingriffe betrage. Die nach Angaben der Klägerin in den maßgeblichen Zeiträumen durchgeführten Eingriffe (jeweils insgesamt sechs Eingriffe im Jahr 2022 sowie in den letzten beiden Quartalen 2022 und den ersten beiden Quartalen 2023) liege weit unter der geforderten Anzahl der Mindestmenge von 15 Eingriffen. Es verblieben begründete erhebliche Zweifel, dass die geforderte Zahl der mindestmengenrelevanten Eingriffe im Krankenhaus der Klägerin im Kalenderjahr 2024 erreicht werde.
Dagegen hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin am 03.11.2023 Klage zum Sozialgericht Heilbronn (SG) erhoben sowie einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gestellt (S 15 KR 2249/23 ER). Zur Begründung trägt er im Wesentlichen vor, durch den Wegfall der Covid-bedingten Verzögerungen und Engpässe sowie durch die Neubesetzung von zwei fehlenden Facharztstellen habe sich die Fallzahl nochmals deutlich verstärkt, was unter anderem durch die im Einzugsgebiet der Klägerin bestehende Unterversorgung im Fachbereich Gastroenterologie im niedergelassenen Bereich bedingt sei. Seit Klageerhebung seien im Jahr 2023 inzwischen 17 mindestmengenrelevante Operationen am Organsystem Pankreas durchgeführt worden. Ferner hätten die Beklagten unzulässigerweise die Mindestmenge des Jahres 2025 berücksichtigt. Auch unbesetzte Planstellen in der Pflege sowie Covid-bedingte Ausfälle hätten sich negativ auf die Anzahl möglicher Operationen ausgewirkt, was aber beginnend im Mai 2023 durch zusätzliches Pflegepersonal habe behoben werden können. Schließlich führten die Zertifizierung der Klägerin sowie ihr Einzugsbereich bzw. Standortvorteil zur Erfüllung der positiven Mindestmengenprognose. Ergänzend und vertiefend trägt die Klägerin zuletzt vor, die Widerlegungsentscheidung sei mangels ordnungsgemäßer Anhörung und Einleitung eines eigenen Verwaltungsverfahrens durch die Beklagten zu 2) bis 6) formell rechtswidrig. Zudem habe die Klägerin insbesondere personelle (Wiederbesetzung von zwei für die mindestmengenbetroffene Leistung im besonderen maßgebliche Arztstellen und besondere Qualifikation der beiden nachbesetzen Ärzte aufgrund der Tatsache, dass diese am Universitätsklinikum W. spezialisiert Pankreaserkrankungen behandelt und eine Pankreassprechstunde betrieben haben) und strukturelle Tatsachen (Wiederbetreiben der gastroenterologischen Ambulanz, in welcher sodann vermehrt Patienten mit Erkrankungen des Pankreas identifiziert werden) in ihrer Prognose berücksichtigt. Demgegenüber seien dem angefochtenen Bescheid keine diesbezüglichen Erwägungen des Beklagten zu den Umständen nach § 4 Abs. 2 S. 2 Nr. 3 und 4 sowie S. 3 MmR zu entnehmen.
Die Klägerin beantragt,
das mit Schreiben der Beklagten vom 04.10.2023 ausgesprochene Leistungserbringungsverbot gem. § 136b Abs. 5 Satz 1 i. V. m. Abs. 5 Satz 6 SGB V für komplexe Eingriffe am Organsystem Pankreas für Erwachsene im Jahr 2024 aufzuheben.
Die Beklagte zu 1) beantragt federführend für sämtliche Beklagten,
die Klage abzuweisen.
Sie trägt vor, die Festlegung von Mindestmengen diene der Qualitätssicherung. Die von der Klägerin angeführte Zertifizierung bzw. aus ihrer Sicht nicht sichergestellte Versorgung in ihrem Einzugsgebiet seien für die positive Prognose im Hinblick auf eine mindestmengenrelevante Leistung nicht relevant. Ausnahme sei § 136b Abs. 5a SGB V bei einer Gefährdung einer flächendeckenden Versorgung der Bevölkerung. Einen diesbezüglichen Antrag habe die Klägerin aber nicht gestellt. Nach den tragenden Gründen des GBA werde konkret für den Prognosezeitraum 2024 dargestellt, dass für die Prognose die in § 4 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 und 2 der Mindestmengenrichtlinie definierten Zeiträume heranzuziehen seien, obwohl in diesem Zeitraum noch eine jährliche Mindestmenge von 10 gegolten habe. Es müsse also eine Leistungsmenge von 15 Operationen je Standort des Krankenhauses erreicht werden, was hier nicht der Fall sei. Die Ausführungen der Klägerin im Hinblick auf einen Covid-bedingten Einfluss seien nicht plausibel, da die Klägerin bereits vor der Pandemie in den Jahren 2017 bis 2019 lediglich zwischen 5 und 12 solcher Eingriffe durchgeführt habe und es infolge der Pandemie zu keinem Leistungsabfall gekommen sei. Auch über das Jahr 2019 habe die Klägerin weiterhin zwischen 10 und 11 derartiger Eingriffe durchgeführt. Schließlich müssten aufgrund der für die Prognose maßgeblichen Zeiträume die Monate ab Juli 2023 unberücksichtigt bleiben.
Das SG hat im Verfahren S 15 KR 2249/23 ER den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage mit Beschluss vom 30.11.2023 abgelehnt und zur Begründung ausgeführt, dass keine ernsthaften Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Widerlegungsbescheids vom 04.10.2023 bestünden. Die dagegen von der Klägerin zum Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) erhobene Beschwerde hat das LSG mit Beschluss vom 29.02.2024 (L 5 KR 1/24 ER-B) zurückgewiesen.
Das Gericht hat die Beteiligten mit Schreiben vom 15.04.2024 auf seine Absicht, den Rechtsstreit durch Gerichtsbescheid zu entscheiden hingewiesen und ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakte im vorliegenden Verfahren sowie in dem Verfahren S 15 KR 2249/23 ER verwiesen.
Entscheidungsgründe
Das Gericht konnte nach § 105 Abs. 1 S. 1 SGG durch Gerichtsbescheid entscheiden, da die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist, der Sachverhalt ausreichend aufgeklärt ist und die Beteiligten zu einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört worden sind. Eines Einverständnisses der Beteiligten mit einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid bedarf es hingegen nicht.
Die Widerlegung der Mindestmengenprognose der Klägerin durch die formal in einem Bescheid vom 04.10.2023 zusammengefassten gleichlautenden Entscheidungen der Beklagten ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.
Die Beklagten haben formell gesehen jeweils für sich in getrennten Verwaltungsakten über die Widerlegung der Prognose der Klägerin entschieden. Dies stellt neben formal in einem Bescheid zusammengefassten gleichlautenden Entscheidungen nach der im Hinblick auf das verfassungsrechtliche Verbot einer Mischverwaltung gebotenen verfassungskonformen Auslegung des § 136b Abs. 4 Satz 6 SGB V eine nicht zu beanstandende Vorgehensweise dar (BSG, Urteil vom 25.03.2021 - B 1 KR 16/20 R -, in juris Rn. 10 bis 14).
Nicht zu beanstanden ist ferner, dass ein Vorverfahren nach § 78 SGG nicht durchgeführt wurde. Eines solchen bedarf es gem. § 136b Abs. 4 Satz 11 SGB V nicht.
Weiter sind die Widerlegungsbescheide vom 04.10.2023 in formeller Hinsicht rechtmäßig. Sämtliche Beklagte haben jeweils ein Verwaltungsverfahren eingeleitet und insbesondere die Klägerin nach § 24 Abs. 1 SGB X ordnungsgemäß angehört.
Nach § 24 SGB X ist einem Beteiligten, bevor ein Verwaltungsakt erlassen wird, der – wie hier – in seine Rechte eingreift, grundsätzlich Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern. Die Vorschrift dient der Wahrung rechtlichen Gehörs und soll den Adressatzen einer Verwaltungsentscheidung insbesondere vor Überraschungsentscheidungen schützen sowie sicherstellen, dass die an einem Verwaltungsverfahren Beteiligten alle für sie günstigen Umstände vorbringen können. Hierzu ist es insbesondere erforderlich, dass die jeweilige Behörde die entscheidungserheblichen Tatsachen dem Betroffenen in einer Weise unterbreitet, dass er sie als solche erkennen und sich zu ihnen – ggf. nach einer ergänzenden Anfrage bei der Behörde – sachgerecht äußern kann (BSG, Urteil vom 25.03.2021 - B 1 KR 16/20 R -, in juris Rn. 26 m.w.N).
Dabei kommt der Anhörung in dem Verwaltungsverfahren zur Widerlegung einer von einem Krankenhausträger abgegebenen Prognose zur möglichen Entwicklung einer Mindestmengenleistung nach § 136b Abs. 5 Satz 6 SGB V nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung eine besondere Bedeutung für das Recht auf ein faires Verfahren zu. Hintergrund ist, dass zum einen ein Vorverfahren nicht stattfindet (§ 136b Abs. 5 Satz 11 1. Hs. SGB V) und zum anderen – zumindest ab den Prognosen für das Jahr 2023 – den Klagen gegen die Widerlegungsentscheidungen der Krankenkassenverbände keine aufschiebende Wirkung mehr zukommt (§ 136b Abs. 5 Satz 11 2. Hs. SGB V). Daher ist einem Krankenhausträger ggf. bereits vor der Widerlegung seiner Prognose Gelegenheit zu geben, erkennbar unvollständige oder unplausible Angaben zu konkretisieren oder zu ergänzen (BSG, Urteil vom 25.03.2021 - B 1 KR 16/20 R -, in juris Rn. 29).
Diesen verfahrensrechtlichen Anforderungen sind sämtliche Beklagte und nicht nur die Beklagte zu 1) bei der Widerlegung der von der Klägerin für 2024 abgegebenen Prognose mindestmengenrelevanter komplexer Eingriffe am Organsystem Pankreas für Erwachsene gerecht geworden. Mit Schreiben vom 24.08.2023 ist ausdrücklich eine Anhörung der Klägerin i.S.v. § 24 Abs. 1 SGB X erfolgt. Dies ergibt sich daraus, dass das Schreiben vom 24.08.2023 im Briefkopf nicht nur die Beklagte zu 1), sondern auch die Beklagten zu 2) bis 6) aufführt und am Ende, wobei die Beklagte zu 2) durch die Beklagte zu 3) vertreten wurde, unter Nennung der Beklagten zu 1) sowie 3) bis 6), jeweils eine Namenswiedergabe mit dem vorangestellten Zusatz „gez.“ enthält. Darüber hinaus heißt es im Anhörungstext, dass die „Landesverbände der Krankenkassen und der Verband der Ersatzkassen“ beabsichtigen, die Leistung im Jahr 2024 nicht mehr zu vergüten bzw. dass dieselben der Klägerin Gelegenheit zur Stellungnahme einräumen. Daraus ergibt sich eindeutig, dass die Anhörung nicht nur durch die Beklagte zu 1) erfolgte. Sie erfolgte auch durch die Beklagten zu 2) bis 6). Die Tatsache, dass als Gesprächspartnerin nur eine Mitarbeiterin der Beklagten zu 1) mit einer Telefonnummer und E-Mail-Adresse angegeben war, ändert hieran nichts. Hieraus ist nicht zu folgern, dass die Anhörung nur von Seiten der Beklagten zu 1) erfolgte. Die Angabe der Mitarbeiterin als Gesprächspartnerin diente zum einen – auch im Interesse der Klägerin – der Verfahrensvereinfachung. Die Klägerin konnte sich damit in einem Schreiben äußern und musste sich nicht an alle Beklagten gesondert wenden. Zum anderen ist das einheitliche Vorgehen der Beklagten aber auch der Tatsache geschuldet, dass die Beklagten bei ihrer Entscheidung gemäß § 136b Abs. 5 Satz 9 SGB V gemeinsam und einheitlich zu handeln zu haben. Als federführenden Verband haben die Beklagten insoweit die Beklagte zu 1) bestimmt.
Die danach auch durch die Beklagten zu 2) bis 6) erfolgte Anhörung war auch ausreichend. In dem der jeweiligen Beklagten zuzuordnenden einzelnen Verwaltungsakt wurde auch jeweils ein Bezug zu dem Anhörungsschreiben hergestellt; auf die Anhörung wurde ausdrücklich verwiesen und die Beklagten setzten sich auch mit der unter dem 04.09.2023 erfolgten Stellungnahme der Klägerin auseinander.
Der Bescheid vom 04.10.2023 ist auch materiell rechtmäßig.
Rechtsgrundlage für den Bescheid vom 04.10.2023 ist § 136b Abs. 5 S. 6 SGB V. Danach müssen die Landesverbände der Krankenkassen und die Ersatzkassen für Krankenhausstandorte in ihrer Zuständigkeit ab der Prognose für das Kalenderjahr 2023 bei begründeten erheblichen Zweifeln an der Richtigkeit die vom Krankenhausträger getroffene Prognose durch einen Bescheid widerlegen; dabei obliegt es außerdem dem Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA), mit Wirkung zum 1. Januar 2022 Regelbeispiele für i.d.S. begründete erhebliche Zweifel zu beschließen.
Diesem gesetzgeberischen Auftrag ist der G-BA vorliegend allerdings erst durch die Änderung der sogenannten Mindestmengenregelung (Mm-R) mit Wirkung zum 16. Juli 2022 nachgekommen. § 4 Mm-R in der hier maßgeblichen Fassung vom 16.06.2021, gültig ab 16.07.2022 lautet:
(1) Für die Zulässigkeit der Leistungserbringung gemäß § 136b Absatz 5 Satz 3 SGB V muss der Krankenhausträger gegenüber den Landesverbänden der Krankenkassen und den Ersatzkassen jährlich darlegen, dass die in der Anlage festgelegte Mindestmenge im jeweils nächsten Kalenderjahr auf Grund berechtigter mengenmäßiger Erwartungen voraussichtlich erreicht wird (Prognose). Eine berechtigte mengenmäßige Erwartung liegt gemäß § 136b Absatz 5 Satz 4 SGB V in der Regel vor, wenn das Krankenhaus im vorausgegangenen Kalenderjahr die maßgebliche Mindestmenge je Arzt oder Standort eines Krankenhauses oder je Arzt und Standort eines Krankenhauses erreicht hat.
(2) Der gegenüber den Landesverbänden der Krankenkassen und den Ersatzkassen jährlich darzulegenden Prognose sind die im Katalog planbarer Leistungen jeweils spezifisch bestimmten Leistungen zu Grunde zu legen. Die voraussichtliche Leistungsentwicklung nach Absatz 1 ist vom Krankenhausträger unter Berücksichtigung
1. der Leistungsmenge gemäß § 3 Absatz 1 des vorausgegangenen Kalenderjahres,
2. der Leistungsmenge gemäß § 3 Absatz 1 in den letzten zwei Quartalen des vorausgegangenen Kalenderjahres und den ersten zwei Quartalen des laufenden Kalenderjahres,
3. personeller Veränderungen und
4. struktureller Veränderungen zu begründen.
Der Krankenhausträger kann weitere Umstände zur Begründung der berechtigten mengenmäßigen Erwartung heranziehen. Ein weiterer Umstand nach Satz 3 ist auch die COVID-19-Pandemie; § 4 Absatz 3 findet insoweit keine Anwendung.
(3) Personelle, strukturelle und gegebenenfalls weitere Veränderungen, die das Erreichen der Mindestmengenzahl in den in Absatz 2 in Nummer 1 und 2 genannten Zeiträumen verhindert haben, können kein weiteres Mal in Folge als alleiniger Umstand zur Begründung der Prognose herangezogen werden.
(4) Die Landesverbände der Krankenkassen und die Ersatzkassen müssen für Krankenhausstandorte in ihrer Zuständigkeit ab der Prognose für das Kalenderjahr 2023 bei begründeten erheblichen Zweifeln an der Richtigkeit die vom Krankenhausträger getroffene Prognose gemäß § 136b Absatz 5 Satz 6 erster Halbsatz SGB V durch Bescheid widerlegen (Entscheidung). Begründete erhebliche Zweifel an der Richtigkeit der vom Krankenhausträger getroffenen Prognose liegen in der Regel vor, wenn beispielsweise
a.) die maßgebliche Mindestmenge im vorausgegangenen Kalenderjahr nach Absatz 2 Satz 2 Nummer 1 nicht erreicht wurde und auch unter Berücksichtigung aller weiteren Kriterien gemäß Absatz 2 Satz 2 bis 4 konkrete, objektive Umstände der Richtigkeit der getroffenen Prognose widersprechen.
b) die maßgebliche Mindestmenge im vorausgegangenen Kalenderjahr nach Absatz 2 Satz 2 Nummer 1 nicht erreicht wurde, sich die vom Krankenhausträger getroffene Prognose ausschließlich auf die erreichte Leistungsmenge im Zeitraum gemäß Absatz 2 Satz 2 Nummer 2 stützt und unter Berücksichtigung aller weiteren Kriterien gemäß Absatz 2 Satz 2 Nummer 3 und 4 und Satz 3 konkrete, objektive Umstände der Richtigkeit der getroffenen Prognose widersprechen.
Die Regelbeispiele für begründete erhebliche Zweifel nach Satz 2 finden ab den Prognosen für das Kalenderjahr 2024 Anwendung.
(5) Wird die Mindestmenge voraussichtlich nicht erreicht und sind gemäß § 136b Absatz 3 Satz 3 SGB V keine festgelegten Übergangsregelungen oder Regelungen für die erstmalige und für die auf eine Unterbrechung folgende erneute Erbringung einer Leistung nach § 6 erfüllt, dürfen gemäß § 136b Absatz 5 Satz 1 SGB V entsprechende Leistungen nicht bewirkt werden. Einem Krankenhaus, das die Leistungen dennoch bewirkt, steht gemäß § 136b Absatz 5 Satz 2 SGB V kein Vergütungsanspruch zu. Satz 2 gilt nicht, wenn diese Leistung im Notfall erbracht wurde oder eine Verlegung der Patientin oder des Patienten in ein Krankenhaus, das die Mindestmenge erfüllt, medizinisch nicht vertretbar war.
Die Prognose wiederum beruht auf § 136b Abs. 5 Satz 3 SGB V. Danach muss der Krankenhausträger für die Zulässigkeit der Leistungserbringung gegenüber den Landesverbänden der Krankenkassen und den Ersatzkassen jährlich darlegen, dass die erforderliche Mindestmenge im jeweils nächsten Kalenderjahr auf Grund berechtigter mengenmäßiger Erwartungen voraussichtlich erreicht wird (Prognose). Eine berechtigte mengenmäßige Erwartung liegt in der Regel vor, wenn das Krankenhaus im vorausgegangenen Kalenderjahr die maßgebliche Mindestmenge je Arzt oder Standort eines Krankenhauses oder je Arzt und Standort eines Krankenhauses erreicht hat (§ 136 Abs. 5 Satz 4 SGB V). Für den Leistungsbereich „Komplexe Eingriffe am Organsystem Pankreas für Erwachsene“ sind in Nr. 4 der Anlage der Mm-R Mindestmengen i.S. vom § 136b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB V festgesetzt worden. Diese betragen 20 Leistungen pro Standort eines Krankenhauses. Für die Jahre 2022 und 2023 gilt übergangsweise eine Mindestmenge von 10 Leistungen und im Jahr 2024 von 15 Leistungen pro Standort eines Krankenhauses
Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe ist der Widerlegungsbescheid vom 04.10.2023 materiell rechtmäßig. Eine berechtigte mengenmäßige Erwartung liegt nach § 136b Abs. 5 Satz 4 SGB V nicht vor.
Vorausgegangenes Kalenderjahr im Sinne des § 136b Abs. 5 Satz 4 SGB V ist das Kalenderjahr vor dem Jahr, in dem die Prognose gestellt wird (vgl. hierzu Beschluss des LSG Nordrhein-Westfalen vom 05.06.2023 - L 10 KR 119/23 B ER -, in juris Rn. 25 m.w.N.). In dem vorliegend damit heranzuziehenden Kalenderjahr 2022 hat das Krankenhaus der Klägerin lediglich sechs relevante Eingriffe vorgenommen und verfehlte damit die erforderliche Zahl von 15 Leistungen bei weitem. Dies gilt auch – was zwischen den Beteiligten unstreitig ist – unter Zugrundelegung der Leistungsmengen im Zeitraum vom 01.07.2022 bis 30.06.2023 (vgl. § 4 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 Mm-R). In den letzten zwei Quartalen des Jahres 2022 hat das Krankenhaus der Klägerin nach den übermittelten Daten nur am 15.08.2022 eine Leistung erbracht und in den ersten beiden Quartalen des Jahres 2023 fünf Leistungen, mithin ebenfalls nur sechs Leistungen. Eine auf die Leistungsmenge gestützte Prognose mit Blick auf die insoweit maßgeblichen Quartale ist damit nicht tragfähig. Dies sieht die Klägerin auch selbst so.
Aber auch die von der Klägerin angeführten Gründe dafür, dass die Mindestmenge trotz des deutlichen Unterschreitens der Leistungszahlen im Kalenderjahr 2022 bzw. in den letzten zwei Quartalen des Jahres 2022 und den ersten beiden des Jahres 2023 im Jahr 2024 erreicht werde, greifen nicht durch. Die dargelegten Gründe erlauben keine positive Prognose. Sie sind von den Beklagten im Bescheid vom 04.10.2023 schlüssig widerlegt worden.
Nicht maßgeblich sind zunächst die vom Krankenhaus der Klägerin im Jahr 2023 insgesamt durchgeführten mindestmengenrelevanten Operationen. Denn die im dritten und vierten Quartal 2023 erbrachten Leistungen sind nach § 4 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 und 2 Mm-R nicht zu berücksichtigen.
Gegen die Maßgeblichkeit der von der Klägerin angeführten Auswirkungen der Corona-Pandemie, die nach § 4 Abs. 2 Satz 4 Mm-R Berücksichtigung finden kann und die dazu geführt habe, dass sich Patienten zu spät vorgestellt hätten und deshalb eine kurative Resektion nicht mehr möglich gewesen sei, sprechen – worauf die Beklagten in ihren Beschlüssen zu Recht hingewiesen haben – die vor der Pandemie erreichten Fallzahlen. Auch vor der Pandemie wurde die nunmehr relevante Mindestmenge von 15 Eingriffen nicht erreicht. In den Jahren 2017 bis 2019 wurden – dies wird von der Klägerin auch nicht bestritten – nur zwischen fünf und 12 derartiger Eingriffe durchgeführt. Dass die Pandemie für die nunmehrigen Fallzahlen ausschlaggebend war und es nach Wegfall der Pandemie nun zum Erreichen der Mindestmenge kommt, ist nicht zu erwarten.
Auch die von der Klägerin dargelegten personellen Änderungen tragen die Erwartung eines deutlichen Anstiegs der Eingriffe nicht. Das Gericht verkennt insoweit nicht, dass nachdem im November 2021 und im November 2022 jeweils ein Facharzt das Krankenhaus der Klägerin verlassen hat und diese Stellen erst im Frühjahr wiederbesetzt werden konnten, es für das Krankenhaus der Klägerin im letzten Quartal 2022 und im ersten Quartal 2023 schwierig war, die maßgeblichen Eingriffe vorzunehmen. Aus den übermittelten Daten geht in diesem Zusammenhang hervor, dass am 15.08.2022 der letzte Eingriff im Jahr 2022 stattfand und weitere Eingriffe dann erst wieder am 10.01.2023, 02.03.2023 und am 20. sowie 21.04.2023 erfolgten. Nicht außer Acht zu lassen ist insoweit aber, dass die Zahl der Fachärzte nicht erhöht wurde, zwei Fachärzte wurden durch zwei Fachärzte ersetzt. Außerdem drängen sich dem Gericht auch Zweifel auf, ob es sich bei dem im Frühjahr 2023 als Sektionsleiter eingestellten Dr. R., bei dem es sich, was das Gericht nicht verkennt, um einen Experten handelt, tatsächlich um einen Arzt handelt, der insbesondere operativ tätig wird. Nach dem Vortrag der Klägerin hat er als langjähriger Oberarzt der Gastroenterologie und Endoskopieleiter des Universitätsklinikums W. viele Patienten mit Erkrankungen des Pankreas ambulant, stationär und interventionell betreut/behandelt. Seit dem Beginn der Tätigkeit der neu eingestellten Ärzte habe – so der Vortrag weiter – der Leistungsumfang der Gastroenterologie wieder erhöht und insbesondere eine tägliche gastroenterologische Ambulanz wieder angeboten werden können. Das damit in der Vergangenheit und auch heute beschriebene Tätigkeitsbild des Dr. R. dürfte damit nicht maßgeblich auf die Durchführung von Operationen gerichtet sein. Damit im Einklang steht auch, dass nach den Ausführungen des Kaufmännischen Direktors der Klägerin K. vom 30.11.2023 im Vergleich der Jahre 2023 und 2022 im Zeitraum 02.02. bis 30.09. die Anzahl an ambulanten Untersuchungen und Kontakte um 50 % stieg, während der Anstieg an stationären Patienten nur um 5 % anstieg. Dass aufgrund der personellen Veränderung ohne Erhöhung der Anzahl der tätig werdenden Ärzte künftig mehr Operationen als in der Vergangenheit durchgeführt werden, dürfte damit nicht belegt sein. Auch die Tatsache, dass im Jahr 2023 bis zum 30.11.2023 15 Patienten im Krankenhaus der Klägerin am Pankreas operiert wurden, belegt angesichts der ausgeführten personellen Struktur nicht, dass dauerhaft ein Anstieg der Leistungen gegenüber den Jahren vor der Corona-Pandemie zu erwarten ist.
Im Übrigen haben die Beklagten entgegen der Klagebegründung nicht die Mindestmenge des Jahres 2025 zugrunde gelegt. Die Beklagten haben in ihren Bescheiden vom 04.10.2023 insoweit nur begründend ausgeführt, dass die Klägerin nicht berücksichtige, dass die Mindestmenge von 15 Eingriffen im Jahr 2024 eine Übergangsmindestmenge sei und ab dem Jahr 2025 20 Eingriffe betrage. Abgestellt wurde hinsichtlich der Prognose aber auf die (für das Jahr 2024) geforderte Anzahl der Mindestmenge von 15 Eingriffen.
Soweit die Klägerin noch auf ihre Zertifizierung als Onkologisches Zentrum T. mit Organzentren Darm, Mamma, Hämatologie und Prostata bzw. die aus ihrer Sicht nicht sichergestellte Versorgung in ihrem Einzugsgebiet hinweist, handelt es sich um Aspekte, die für die positive Prognose im Hinblick auf eine mindestmengenrelevante Leistung bei Erkrankungen des Pankreas nicht relevant sind. Diese Punkte stellen weder zu berücksichtigende personelle noch strukturelle Veränderungen dar. Eine Zertifizierung als Zentrum für Chirurgische Erkrankungen des Pankreas, was als strukturelle Veränderung gewertet werden könnte (vgl. hierzu LSG für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 09.11.2023 - L 16 KR 357/23 B ER -, in juris Rn. 30), liegt noch nicht vor. Hinreichend konkretisierte Pläne bzgl. der Zertifizierung auf diesem Fachgebiet, deren Verwirklichung bei realitätsnaher Betrachtung so zeitnah zu erwarten ist, dass die Veränderungen sich auf die Leistungsmengenentwicklung im Jahr 2024 auswirken, wurden nicht dargelegt; es wurde nur vorgetragen, dass dies angestrebt werde.
Schließlich führt auch das Wiederbetreiben der gastroenterologischen Ambulanz nach Neubesetzung der Arztstellen im Frühjahr 2023 nicht zu einer strukturellen Veränderung, die für einen deutlichen Anstieg der Leistungen streitet. Die Klägerin führt insoweit selbst aus, dass die Ambulanz „wieder“ betrieben werde. Auch in der Vergangenheit, als die Ambulanz noch mit den früheren Ärzten betrieben wurde, wurde die notwendige Leistungsmenge indessen – wie schon ausgeführt – nicht erreicht. Eine Wiedereröffnung vermag deshalb nicht zu begründen, dass prognostisch nun die notwendigen Leistungen erbracht werden.
Nach alledem sind die Widerlegungsentscheidungen der Beklagten vom 04.10.2023 rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten.
Dieses Ergebnis entspricht schließlich dem Zweck der Mindestmengenregelung, nämlich der Qualitätssicherung und dem Patientenschutz. Die Vorschrift des § 136 b Abs. 5 SGB V soll nicht eine bestehende Rechtsposition eines Krankenhauses schützen, sondern die Förderung der Mindestmengen dient als Qualitätssicherungsmaßnahme zur Gewährleistung eines Mindestmaßes an Qualität, insbesondere zur Verhinderung gravierender patientensicherheitsrelevanter Endpunkte, wie Mortalität oder schwerer Komplikationen. Die in den Regelungen erfolgten erforderlichen Ergänzungen und Klarstellungen sollen insbesondere die rechtssichere Umsetzung der Prognoseentscheidungen unterstützen (BTDrucks 19/26822, S. 89f.). Etwaige wirtschaftliche Einbußen der Klägerin, welche auch nur punktuell für bestimmte Leistungsbereiche aufgrund des Erbringungsverbotes zu erwarten sind und den Status eines zugelassenen Krankenhauses als solchem nicht verändern, müssen im Hinblick auf die Patientensicherheit hingenommen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 S. 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 VwGO.