I. Der Bescheid vom 07.03.2022 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 17.03.2022 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.06.2023 wird nach § 131 Abs. 5 SGG aufgehoben.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 105.122,81 € festgesetzt.
T a t b e s t a n d :
Zwischen den Beteiligten ist die Verpflichtung des Klägers zur (teilweisen) Rückerstattung vorläufig erstatteter, infolge des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 angefallener außerordentlicher Aufwendungen im Streit.
Mit Bescheiden vom 07.05.2020, 04.06.2020, 06.08.2020, 09.09.2020, 04.11.2020, 24.11.2020, 16.12.2020, 25.01.2021 und 15.04.2021 entsprach die Beklagte Anträgen des Klägers auf Erstattung der infolge des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 angefallener außerordentlicher Aufwendungen sowie Mindereinnahmen im Rahmen seiner Leistungserbringung für den Zeitraum von März 2020 bis Dezember 2020 in Höhe eines Gesamtbetrages von 385.319,10 €. Hierbei wies die Beklagte den Kläger jeweils darauf hin, dass die Beträge unter dem Vorbehalt bewilligt würden, dass der Kläger die geltend gemachten Mehraufwendungen und Mindereinnahmen sowie staatliche Unterstützungsleistungen nachweisen könne. Das sei geregelt in Ziffer 5 "Nachweisverfahren" der Kostenerstattungs-Festlegungen des GKV-Spitzenverbands, § 150 Abs. 3 SGB XI und § 150 Abs. 2 SGB XI. Die Nachweise müsse der Kläger später in einem nachgelagerten Verfahren auf Verlangen vorlegen. Sobald das Nachweisverfahren abgeschlossen sei, werde der Erstattungsbetrag abschließend berechnet (gemäß § 150 Abs. 2 SGB XI). Sollte sich eine Überzahlung ergeben, müsse der Kläger den zu viel erhaltenen Betrag zurückerstatten (gemäß § 150 Abs. 3 SGB XI i.V.m. Ziff. 5. (3) der Kostenerstattungs-Festlegungen des GKV-Spitzenverbands). Bei einer Unterzahlung werde die Beklagte den zu wenig gezahlten Betrag nachzahlen.
Nachdem der Kläger auf Verlangen der Beklagten die von ihm geltend gemachten SARS-CoV-2 bedingten Mehraufwendungen sowie Mindereinnahmen nach § 150 Abs. 2 SGB XI für den Zeitraum von März 2020 bis Dezember 2020 nachgewiesen hatte (hinsichtlich der Einzelheiten der erbrachten Nachweise wird auf die Beklagtenakte verwiesen), teilte die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 07.03.2022 mit, dass sie bei ihrer Prüfung festgestellt habe, dass er 108.176,41 € zu viel erhalten und diesen Betrag zu erstatten habe. Der Bescheid sei endgültig und hebe die Vorläufigkeit der bisherigen Bescheide - auch der Korrekturbescheide - für 2020 auf. Der Bescheid beinhaltete eine Auflistung derjenigen vorläufig erstatteten Sachmittel-Mehraufwendungen, die - nach Auffassung der Beklagten - nicht erstattungsfähig nach § 150 SGB XI sind; nähere Ausführungen der Beklagten hierzu erfolgten nicht.
Zur Begründung des hiergegen am 28.02.2023 erhobenen Widerspruchs führte der Bevollmächtigte des Klägers aus, dass dieser die Leistungen im schutzwürdigen Vertrauen auf den Bestand verbraucht habe und die Sachmittelaufwendungen erstattungsfähig seien. Sie hätten dem Zweck des § 150 Abs. 3 SGB XI entsprochen und auch das Wirtschaftlichkeitsgebot nach § 29 SGB XI beachtet, weil sie wirksam und auch wirtschaftlich gewesen seien und das Maß des Notwendigen nicht überstiegen hätten. Insbesondere seien die Maßnahmen nach Inhalt und Umfang der Leistung sowie hinsichtlich der entstehenden Kosten betrachtet und nach wirtschaftlichen Abwägungen ausgewählt worden. Frage 2b des "Fragen und Antworten zur Umsetzung der Kostenerstattungs-Festlegungen des GKV-Spitzenverbandes nach § 150 Abs. 3 SGB XI zum Ausgleich der SARS-CoV-2-bedingten finanziellen Belastungen der Pflegeeinrichtungen" (im Folgenden Q&A) sehe vor, dass zu den erstattungsfähigen Mehraufwendungen insbesondere außerordentliche Sachmittelaufwendungen aufgrund von infektionshygienischen Schutzmaßnahmen, z.B. Schutzmasken/Schutzkleidung oder Desinfektionsmittel, aber auch deren Reinigung und Entsorgung, Kosten für technische Ausstattungen wie Einrichtung von Schleusen innerhalb der bestehenden Einrichtung (temporäre Maßnahme) zählen. Die Sachgründe seien nicht als abschließend zu verstehen, so dass eine Begrenzung der ersetzbaren Mittel auf diese Aufzählung unsachgemäß wäre und nicht dem gesetzlichen Zweck des § 150 Abs. 3 SGB XI entspräche. Das Q&A beruhe auf den Festlegungen, denen kein rechtsverbindlicher Charakter zukomme. Die Ermächtigungsgrundlage in § 150 Abs. 3 Satz 1 SGB XI erteile lediglich die Ermächtigung "das Nähere für das Erstattungsverfahren und die erforderlichen Nachweise für seine Mitglieder" festzulegen und daher nur die Ermächtigung zu verfahrensrechtlichen Regelungen (vgl. SG Augsburg, Urteil vom 02.06.2022 - S 10 P 119/21). Darüber hinaus komme den Q&As - dies zeigten auch die notwendigen Überarbeitungen nach Anstößen aus dem Bundesministerium für Gesundheit - kein Regelungscharakter zu; sie gäben lediglich die rechtlich nicht verbindliche Auffassung einer Vertragspartei wieder. Die Widerspruchbegründung enthält zudem ausführlichen Sach- und Rechtsvortrag des Bevollmächtigten zur Frage der Erstattungsfähigkeit der einzelnen Sachmittel-Aufwendungen (vgl. Schriftsatz vom 28.02.2023).
Mit Änderungsbescheid vom 17.03.2023 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass sie die Positionen unter Berücksichtigung der Richtlinie und Ausführungen in den Festlegungen des GKV Spitzenverbandes, insbesondere des Frage-Antwort Kataloges (FAQ) des GKV-Spitzenverbandes erneut geprüft habe und nun zu einer Rückforderungssumme in Höhe von 105.122,81 € komme. Im Übrigen wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 26.06.2023 zurück.
Hiergegen richtet sich die am 26.07.2023 zum Sozialgericht Nürnberg erhobene Klage; auf die Begründung wird Bezug genommen.
Die Klägerbevollmächtigte beantragt,
den Bescheid bezüglich der Mehraufwendungen und Mindereinnahmen nach § 150 Abs. 2 und 3 SGB XI vom 07.03.2022 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.06.2023 aufzuheben,
hilfsweise,
die Beklagte zu verpflichten, unter Aufhebung des Bescheides für Mehraufwendungen und Mindereinnahmen nach § 150 Abs. 2 und 3 SGB XI vom 07.03.2022 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.06.2023 (Geschäftszeichen xxxxxxx) unter besonderer Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Beklagtenakte.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
Der vorliegende Rechtsstreit kann durch Gerichtsbescheid entschieden werden. Die Sache weist keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art auf, der Sachverhalt ist hinsichtlich der Voraussetzungen einer Zurückverweisung nach § 131 Abs. 5 SGG geklärt.
Die Klage ist zulässig. Streitgegenständlich ist der Bescheid vom 07.03.2022 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 17.03.2022 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.06.2023. Mit diesem hat die Beklagte die vorläufig ergangenen Bewilligungsbescheide vom 07.05.2020, 04.06.2020, 06.08.2020, 09.09.2020, 04.11.2020, 24.11.2020, 16.12.2020, 25.01.2021 und 15.04.2021 ersetzt und die Erstattung der infolge des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 angefallenen außerordentlichen Aufwendungen sowie Mindereinnahmen im Rahmen der Leistungserbringung des Klägers für den Zeitraum von März 2020 bis Dezember 2020 endgültig festgesetzt. Hiergegen wendet sich der Kläger zutreffend mit der reinen Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 SGG).
Die Klage ist auch insofern begründet, als der Bescheid vom 07.03.2022 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 17.03.2022 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.06.2023 nach § 131 Abs. 5 SGG aufzuheben ist.
Nach § 131 Abs. 5 Satz 1 und 5 SGG kann das Gericht, hält es eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid innerhalb eines Zeitraums von sechs Monaten seit Eingang der Behördenakten aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist.
Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt.
Rechtsgrundlage der vorläufigen Bescheide der Beklagten vom 07.05.2020, 04.06.2020, 06.08.2020, 09.09.2020, 04.11.2020, 24.11.2020, 16.12.2020, 25.01.2021 und 15.04.2021 ist § 150 Abs. 2 SGB XI (in der ab 28.03.2020 jeweils geltenden Fassung). § 150 SGB XI wurde mit Wirkung vom 28.03.2020 neu eingefügt (Art. 4 Nr. 6 des Gesetzes zum Ausgleich COVID-19 bedingter finanzieller Belastungen der Krankenhäuser und weiterer Gesundheitseinrichtungen (COVID-19-Krankenhausentlastungsgesetz - COVKHEntlG) vom 27.03.2020, BGBl. I, S. 580) und durch Art. 5 Nr. 4 des Zweiten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 19.05.2020 (BGBl. I, S. 1018) u.a. um die Absätze 5a bis 5d ergänzt. Die zunächst bis 30.09.2020 befristete Regelung wurde durch Art. 5 Nr. 3 des Gesetzes für ein Zukunftsprogramm Krankenhäuser (Krankenhauszukunftsgesetz - KHZG) vom 23.10.2020 (BGBl. I, S. 2208) mit Wirkung vom 01.10.2020 bis zum 31.12.2020 verlängert. Sie normierte einen Anspruch zugelassener Pflegeeinrichtungen auf Erstattung der ihnen infolge des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 anfallenden, außerordentlichen Aufwendungen sowie Mindereinnahmen im Rahmen ihrer Leistungserbringung, die nicht anderweitig finanziert werden (Satz 1). Gemäß § 150 Abs. 2 Satz 4 SGB XI konnte die Auszahlung des Erstattungsbetrages vorläufig erfolgen (Satz 4).
Ziel der in § 150 Abs. 2 SGB XI (a.F.) getroffenen Regelung war es, wirtschaftlich schwierige Situationen zu verhindern, die zugelassenen Pflegeeinrichtungen durch die Pandemie im Rahmen ihrer Leistungserbringung einschließlich Leistungen für Unterkunft und Verpflegung entstanden sind. Positionen, die anderweitig finanziert wurden, wie z. B. Kurzarbeitergeld oder Entschädigungen nach dem IfSG, waren von der Erstattung ausgeschlossen, um Doppelfinanzierungen zu vermeiden. In der Gesetzesbegründung (vgl. BT-Drucks. 19/18112) wurden nicht abschließend Beispiele als außerordentliche Aufwendungen aufgezählt: Aufwendungen, die im Zusammenhang mit den infektionshygienischen Schutzvorkehrungen der Mitarbeitenden (Einmalmaterial, Desinfektionsmittel) oder zusätzliche Personalaufwendungen für Ersatzpersonal oder Mehrarbeitsstunden, wenn Ausfälle von krankheits- oder quarantänebedingt abwesendem Personal kompensiert werden müssen. Darüber hinaus war das Wirtschaftlichkeitsgebot des § 29 Abs. 1 SGB XI zu beachten, d.h. die außerordentlichen Aufwendungen mussten wirksam und wirtschaftlich sein; sie durften das Maß des Notwendigen nicht übersteigen.
Rechtsgrundlage der streitgegenständlichen abschließenden Entscheidung der Beklagten ist in verfahrensrechtlicher Hinsicht § 150 Abs. 3 SGB XI (in der ab 28.03.2020 jeweils geltenden Fassung), wonach der Spitzenverband Bund der Pflegekassen im Benehmen mit den Bundesvereinigungen der Träger stationärer und ambulanter Pflegeeinrichtungen unverzüglich das Nähere für das Erstattungsverfahren und die erforderlichen Nachweise für seine Mitglieder festzulegen hatte. Hierbei waren gemessen an der besonderen Herausforderung von allen Beteiligten pragmatische Lösungen in der Umsetzung vorzusehen (Satz 2). Die Festlegungen bedurften der Zustimmung des Bundesministeriums für Gesundheit (Satz 3). Auf dieser Grundlage haben die Parteien der Selbstverwaltung die sogenannten "Kostenerstattungs-Festlegungen" verabschiedet. Das Bundesministerium für Gesundheit hat den Kostenerstattungs-Festlegungen am 01.04.2020 die erforderliche Zustimmung erteilt. Als zusätzliche Auslegungs- und Anwendungshilfe hat der GKV-Spitzenverband erstmals am 04.05.2020 "Fragen und Antworten zur Umsetzung der Kostenerstattungs-Festlegungen (FAQ)" veröffentlicht, die inzwischen - ebenso wie die Kostenerstattungs-Festlegungen selbst - mehrfach ergänzt und konkretisiert wurden (vgl. "Fragen und Antworten zur Umsetzung der Kostenerstattungs-Festlegungen, Stand 13.04.2022 (PDF)", veröffentlicht unter https://www.gkvspitzenverband.de/ pflegeversicherung/ richtlinien_vereinbarungen_formulare/richtlinien_vereinbarungen_formulare.jsp). Zum Verfahren ist in den Kostenerstattungs-Festlegungen vorgesehen, dass die Pflegeeinrichtungen ihre Mehraufwendungen und Mindereinnahmen angeben können und die Richtigkeit der Angaben erklären. Auf dieser Grundlage zahlen die Pflegekassen die entsprechenden Erstattungsbeträge innerhalb von 14 Kalendertagen nach der Geltendmachung an die Pflegeeinrichtung aus (Ziffer 4 Abs. 1 Kostenerstattungs-Festlegungen). In einem im Rahmen der Antragstellung (antragsbezogenen) oder auch nachgelagert möglichen Nachweisverfahren lösen gegebenenfalls anderweitig erhaltene Finanzierungsmittel oder zu viel bezahlte Erstattungsbeträge Rückzahlungsverpflichtungen der Pflegeeinrichtungen und zu wenig bezahlte Erstattungsbeträge Nachzahlungsverpflichtungen der Pflegekassen aus (Ziffer 5 der Kostenerstattungs-Festlegungen i.V.m. der Anlage zu den Kostenerstattungs-Festlegungen nach § 150 Abs. 3 SGB XI, veröffentlicht unter: https://www.gkv-spitzenverband.de/media/dokumente/pflegeversicherung/richtlinien__ vereinbarungen__formulare/2022_05_11_Pflege_Corona_Anlage_Anpassung_FL_150_ Abs3_SGB_XI_nach_Zustimmung.pdf). Ziffer 3 der Kostenerstattungs-Festlegungen regelt die Geltendmachung des Erstattungsanspruchs. Die Absätze 2 bis 6 der Regelung enthalten Bestimmungen zur Form und zu den notwendigen Angaben im Kostenerstattungsantrag. Dass der Kläger diese Formerfordernisse erfüllt hat und sämtliche von der Beklagten geforderte Angaben gemacht hat, ist zwischen den Beteiligten nicht streitig.
Strittig ist zwischen den Beteiligten allein, ob der Kläger zur (teilweisen) Rückerstattung von vorläufig erstatteten Aufwendungen verpflichtet ist, weil diese keine infolge des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 angefallenen außerordentlichen Aufwendungen im Sinne von § 150 Abs. 2 (a.F.) darstellen oder weil es sich zwar um entsprechende Aufwendungen handelt, diese aber das Maß des Notwendigen übersteigen.
Zur Klärung dieser Frage hat sich die Beklagte darauf beschränkt, die Angaben des Klägers im Rahmen des Nachweisverfahrens sowie des Widerspruchsverfahrens mit den "Kostenerstattungs-Festlegungen" sowie den "Fragen und Antworten zur Umsetzung der Kostenerstattungs-Festlegungen (FAQ)" abzugleichen. Norminterpretierende Verwaltungsanweisungen, die die gleichmäßige Auslegung und Anwendung des Rechts sichern sollen, können im Allgemeinen jedoch weder eine - einer Rechtsverordnung vergleichbare - Bindung aller Rechtsanwender noch eine Bindung nach dem Grundsatz von Treu und Glauben herbeiführen. Eine von den Gerichten zu beachtende Selbstbindung der Verwaltung besteht lediglich ausnahmsweise in dem Bereich der ihr vom Gesetz eingeräumten Entscheidungsfreiheit. Vorliegend räumt § 150 Abs. 2 und 3 SGB XI (a.F.) den Pflegekassen keinerlei Ermessen ein. Die Erstattungsfähigkeit pandemiebedingter Aufwendungen nach § 150 Abs. 2 SGB XI (a.F.) ist daher allein durch Auslegung anhand der allgemein anerkannten juristischen Regeln und Methoden (Wortlaut, Zusammenhang, Historie, Zweck) zu bestimmen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Wortlaut der Norm ausweislich der Gesetzesbegründung bewusst offen formuliert worden ist, um der Vielzahl der Lebenssachverhalte und den enormen Herausforderungen der Sicherstellung der pflegerischen Versorgung in der durch das Coronavirus verursachten Pandemie Rechnung zu tragen. § 150 Abs. 2 SGB XI (a.F.) schließt keinerlei finanzielle Aufwendungsart von vornherein von der Erstattungsfähigkeit aus. Ausgenommen sind ausweislich der Gesetzesbegründung (vgl. BT-Drucks. 19/18112) lediglich Positionen, die bereits anderweitig finanziert werden, um Doppelfinanzierungen auszuschließen (s.o.).
Dies zugrunde gelegt, kann die Frage, welche Aufwendungen zugelassene Pflegeeinrichtungen infolge des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 tätigen mussten nicht pauschal, sondern ausschließlich einzelfallbezogen beantwortet werden. Ausschlaggebend sind die jeweiligen Verhältnisse vor Ort insbesondere in Bezug auf die vorhandenen Räumlichkeiten, die Sach- und Personalausstattung, die Zahl der Pflegebedürftigen sowie den Grad ihrer Pflegebedürftigkeit. Stehen Mehraufwendungen im Streit bedarf es zudem eines Abgleiches mit den Verhältnissen vor Beginn der Pandemie, weshalb Ziffer 3 der Anlage zu den Kostenerstattungs-Festlegungen nach § 150 Abs. 3 SGB XI folgerichtig vorsieht, dass zur Darlegung von Mehraufwendungen - insbesondere für übliche Verbrauchsmittel - Vergleichsrechnungen aus dem Geschäftsjahr 2019 angefordert werden können. Dadurch, dass sich die Beklagte auf den vorgenannten "Abgleich" mit den "Kostenerstattungs-Festlegungen" sowie den "Fragen und Antworten zur Umsetzung der Kostenerstattungs-Festlegungen (FAQ)" beschränkt und nicht einmal diejenigen Ermittlungen durchgeführt hat, die sich aufgrund dieses "Abgleichs" aufgedrängt hätten, hat sie ihre Pflicht, zur Ermittlung aller für den Einzelfall bedeutsamen Umstände (§ 20 SGB X) grob verletzt. Es liegt praktisch ein "Totalausfall" der Ermittlungen vor. Ergänzend sei der mehrfache Hinweis der Beklagten im Änderungsbescheid vom 17.03.2023 erwähnt, dass Aufwendungen "nicht zu den infektionshygienischen Schutzmaßnahmen im Sinne des § 150 Abs. 3 SGB XI gehören und somit nicht erstattungsfähig sind". Diese Begründung und die insoweit unterbliebene Sachverhaltsaufklärung ist schlicht nicht nachvollziehbar, da selbst den - von der Beklagten als allein maßgeblich erachteten - "Kostenerstattungs-Festlegungen" unmissverständlich zu entnehmen ist, dass der Erstattungsanspruch erhöhte Sachmittelaufwendungen insbesondere aufgrund von infektionshygienischen Schutzmaßnahmen umfasst, sonstige Sachmittelaufwendungen mithin nicht per se von der Erstattung ausgeschlossen sind.
Weitere Folge des Ermittlungsausfalls der Beklagten ist, dass die für die Erstattungsfähigkeit jeder einzelnen strittigen Position im Zeitraum von März 2020 bis Dezember 2020 bedeutsamen Umstände erstmalig aufklären wären, bevor eine Entscheidung in der Sache ergehen könnte. Diese Aufklärung dürfte sich nicht auf den Nachweis von Art und Höhe der tatsächlich angefallenen Aufwendungen beschränken, vielmehr wäre in Erfahrung zu bringen, welche konkreten Maßnahmen mit diesen Aufwendungen finanziert worden sind. Es wäre m.a.W. aufzuklären, welche Maßnahmen vor Beginn der Pandemie regelhaft durchgeführt worden sind, welche Maßnahmen pandemiebedingt darüber hinaus im Zeitraum von März 2020 bis Dezember 2020 ergriffen worden sind und ob diese Maßnahmen im Hinblick auf die konkreten Verhältnisse vor Ort wirksam, wirtschaftlich und notwendig waren. Hierbei würde es nach Auffassung der Kammer ausscheiden, die Notwendigkeit der Maßnahmen anhand des wissenschaftlichen Kenntnisstandes zum Risiko einer Übertragung des Coronavirus zum Zeitpunkt der endgültigen Entscheidung der Beklagten zu beurteilen. Maßgeblich wäre vielmehr der jeweilige Kenntnisstand im Zeitraum von März 2020 bis Dezember 2020. Beispielhaft bezogen auf einzelne Positionen würde dies u.a. bedeuten: Im Hinblick auf die strittigen Aufwendungen für Desinfektions-, Reinigungs- und Hygienemaßnahmen wäre insbesondere aufzuklären, ob der Kläger sie im vorgenannten Zeitraum für erforderlich halten konnte und durfte. Für die Frage der Erstattungsfähigkeit der Aufwendungen für IT und Elektronik wäre in Erfahrung zu bringen, welche Ausstattung bei Pandemiebeginn bereits vorhanden war, in welcher Art und Weise die neu angeschaffte Ausstattung zum Einsatz kam und ob dieser Einsatz wirksam, wirtschaftlich und notwendig war. Entsprechendes würde bezüglich der strittigen Aufwendungen für Warmhaltegeräte, Serviertabletts und Servierwagen gelten. Soweit Aufwendungen für den Objektschutzdienst im Streit stehen wäre aufzuklären, wie die Zugangsüberwachung und Kontrolle durch den Sicherheitsdienst im Einzelnen durchgeführt worden ist und inwieweit die Gegebenheiten vor Ort eine Aufteilung der Kosten zwischen der Pflegeeinrichtung einerseits und dem betreuten Wohnen andererseits ermöglichen. Hinsichtlich der strittigen Aufwendungen für Balkongymnastik und Trainingsvideos wäre in erster Linie maßgeblich, ob der diesbezügliche Beschäftigungsaufwand den in den Pflegesätzen bzw. Pflegevergütungen berücksichtigten Beschäftigungsaufwand pandemiebedingt überstiegen hat, da eine Erstattungsfähigkeit nach § 150 Abs. 2 SGB XI nicht von vornherein ausscheidet (s.o.).
Diese - nicht abschließende - Aufzählung der für eine Sachentscheidung im Einzelnen noch erforderlichen Ermittlungen lässt keinen anderen Schluss zu, als dass sich diese sowohl nach ihrer Art als auch nach ihrem Umfang als erheblich darstellen.
Darüber hinaus ist eine Zurückverweisung an die Beklagte im vorliegenden Fall auch sachdienlich. Die Sachdienlichkeit der Zurückweisung ist das zentrale Merkmal der Vorschrift des § 131 Abs. 5 SGG. Denn im Hinblick auf das Gebot des effektiven Rechtsschutzes wäre es nicht nachvollziehbar, wenn die Gerichte bei leicht nachzuholenden Ermittlungen befugt wären, es zu unterlassen, die Sache spruchreif zu machen. Eine Sachdienlichkeit ist nach der Rechtsprechung des BSG in der Regel nur gegeben, wenn die Behörde nach ihrer personellen und sachlichen Ausstattung die Ermittlungen besser durchführen kann als das Gericht und es unter übergeordneten Gesichtspunkten vernünftiger und sachgerechter ist, diese tätig werden zu lassen. Deshalb ist eine Zurückverweisung regelmäßig nur gerechtfertigt, wenn die begründete Möglichkeit besteht, dass die noch erforderlichen erheblichen Ermittlungen, insbesondere wegen der personellen und sachlichen Ausstattung der Behörde (etwa mit einem ärztlichen Dienst), inhaltlich besser oder schneller vonstattengehen als bei Gericht. Letzteres ist im Hinblick auf die Möglichkeit der Beklagten, den Medizinischen Dienst (MD) bei der weiteren Sachaufklärung heranzuziehen und diesen insbesondere mit einem Ortstermin bei dem Kläger zu beauftragen der Fall. Denn anders als dem Gericht ist es dem MD unschwer möglich, sich einen Eindruck von den Verhältnissen vor Ort zu verschaffen und die pandemiebedingte Ausnahmesituation mit dem Stiftsleiter, den Pflegekräften und Pflegebedürftigen im erforderlichen Umfang aufzuklären.
Auch bei der Ermessensentscheidung, ob von § 131 Abs. 5 SGG Gebrauch zu machen oder stattdessen die unterlassene Sachverhaltsaufklärung selbst nachzuholen und die Sache spruchreif zu machen ist, hat die Kammer berücksichtigt, dass sich die Beklagte mit Hilfe des MD zeitnah und ohne hohe Kostenlast einen Eindruck von den konkreten Verhältnissen vor Ort verschaffen kann. Darüber hinaus hat sie berücksichtigt, dass Ermittlungsdefizite in einem Ausmaß vorliegen, das im Interesse der Allgemeinheit an einer funktionierenden Sozialverwaltung nicht mehr hinnehmbar ist. Die Beklagte hat eine einzelfallbezogene Sachverhaltsermittlung in Gänze unterlassen mit der weiteren Folge, dass eine verwertbare Entscheidungsgrundlage nicht vorhanden ist. Würde die Kammer die unterlassene Sachverhaltsaufklärung selbst vornehmen, wäre der Kläger einer Ermittlungsebene unter Einbeziehung des Sachverstandes des MD beraubt. Dies ist ihm - auch angesichts der Höhe der streitgegenständlichen Erstattungsforderung - nicht zuzumuten.
Die Kostenentscheidung basiert auf § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Streitwertentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. §§ 40, 52 Abs. 1 und 3 GKG.