S 18 KR 10/22

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG Nürnberg (FSB)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
18.
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 18 KR 10/22
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 20 KR 265/23
Datum
-
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

I. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 2.565,05 € nebst Zinsen in Höhe von vier Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit dem 10.12.2020 zu zahlen.

II. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

III. Der Streitwert wird auf 2.565,05 € festgesetzt.

IV. Die Sprungrevision wird zugelassen.


T a t b e s t a n d :

Die Beteiligten streiten um die Kosten einer stationären Krankenhausbehandlung iHv 2.565,05 €.

Die Klägerin betreibt ein Krankenhaus, welches im Krankenhausplan des Freistaates B. eingetragen ist. Die Beklagte ist eine gesetzliche Krankenversicherung.
Die bei der Beklagten krankenversicherte Patientin F. (Fall-Nr.: xxxxxxxx) wurde im Zeitraum vom 11.05. bis 18.05.2020 vollstationär in dem von der Klägerin betriebenen Krankenhaus behandelt.
Unter Zugrundelegung insbesondere der DRG I44C (= Bestimmte Endoprotheseneingriffe am Kniegelenk ohne äußerst schwere CC, ohne bestimmten Wechsel von Endoprothesen oder Prothesenkomponenten, ohne Implantation einer patientenindividuell angefertigten Endoprothese am Kniegelenk) liquidierte die Klägerin mit Rechnung vom 19.05.2020 gegenüber der Beklagten einen Gesamtbetrag in Höhe von 10.434,41 €.

Die Beklagte beglich die Rechnung vollständig, legte den Vorgang aber dem Medizinischen Dienst (MD) zur Prüfung vor mit der Frage, ob die Prozedur: ZE 2013-25 "knöcherne Defektsituation" vorliege (zu prüfende OPS: 5-829.k1).
Der MD bejahte dies in seinem Gutachten vom 04.12.2020, teilte aber mit, dass die Kniegelenksprothese (Typ P. der Fa.  Z.) keine Modularität aufweise. Die Prozedur 5-829.k1 mit dem damit verbundenen Zusatzentgelt könne daher nicht kodiert werden. Über den elektronischen Datenaustausch teilte die Beklagte der Klägerin am 10.12.2020 folgendes mit: "die wesentlichen Gründe für unsere Entscheidung entnehmen Sie bitte dem Ihnen vorliegenden MDK-Gutachten. Wir machen unseren Erstattungsanspruch geltend: 2.5657,05 €. Die von uns bereits bezahlte Rechnung wird mit heutigem Datum gem. § 10 PrüfvV entsprechend aufgerechnet."
Bereits am 08.12.2020 hat die Beklagte eine Kürzung der Forderungen der Klägerin vorgenommen. Im Zahlungsavis vom 08.12.2020 mit einer Gesamtsumme iHv 133.780,33 € finden sich unter anderem folgende Einzelzahlungen:
Belegnummer     Verwendungszweck         Buchungsdatum        Zahlbetrag
860005741495     19.05.2020 0090690793 (...)    08.12.2020             6.918,41
860005741495     19.05.2020 0090690793 (...)    08.12.2020            950,95
893200379654    19.05.2020 0090690793 (...)    08.12.2020            -9.483,46
893200379654     19.05.2020 0090690793 (...)    08.12.2020             -950,95
Aus den Erläuterungen in dem Sammelavis ergibt sich, dass die Verrechnung mit dem Anspruch der Klägerin vom 03.12.2020 Behandlungsfall: 0090707313 erfolgt ist.
Mit Schreiben vom 10.01.2022 erhob die Klägerin Klage zum Sozialgericht Nürnberg. Die Klägerin ist der Ansicht, dass die von der Beklagten durchgeführte Aufrechnung bereits rechtswidrig sei, da sie gegen das gesetzliche Aufrechnungsverbot verstoße. Im Übrigen habe die Beklagte auch materiell-rechtlich keinen Erstattungsanspruch, denn der OPS 5-829.k1 sei zurecht kodiert worden.
Die Beklagte hält die Aufrechnung unter Verweis auf die Übergangs-PrüfvV für zulässig. 

Die Klägerin beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 2.565,05 € nebst Zinsen in Höhe von vier Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 10.12.2020 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,
        die Klage abzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Akten der Beteiligten Bezug genommen.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

Die Klage ist zulässig. Die Klägerin hat mit der erhobenen (echten) Leistungsklage nach § 54 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) die richtige Klageart gewählt (ständige Rechtsprechung u.a. BSG 14.10.2014, B 1 KR 25/13, juris; BSG 14.10.2014, B 1 KR 26/13 R, SozR 4-2500 § 301 Nr. 3). Es handelt sich um einen sogenannten Parteienstreit im Gleichordnungsverhältnis, in dem eine Regelung durch Verwaltungsakt nicht in Betracht kommt, kein Vorverfahren durchzuführen und eine Klagefrist nicht zu beachten ist (BSG 28.11.2013, B 3 KR 33/12 R, SozR 4-5562 § 9 Nr. 5).

Die Klage ist zudem vollumfänglich begründet, denn die Klägerin hat Anspruch auf Zahlung der Vergütung in beantragter Höhe und dementsprechend auch auf die Zahlung von Zinsen.

1.
Gegenstand der Klage ist der (unstreitige) aus dem Sammelavis vom 08.12.2020 ersichtliche Vergütungsanspruch der Klägerin. Mit dieser unstreitigen Forderung hat die Beklagte mit dem behaupteten Erstattungsanspruch aus dem Behandlungsfall F. am 10.12.2020 die Aufrechnung erklärt.
Der Streitgegenstand der Leistungsklage ist der prozessuale Anspruch, nämlich der von der Klägerin auf Grund eines bestimmten Sachverhalts an das Gericht gerichtete Begehren der im Klageantrag bezeichneten Entscheidung (vgl. MKLS/B. Schmidt, 13. Aufl. 2020, SGG § 95 Rn. 5 mit weiteren Nachweisen (mwN)). Der Streitgegenstand wird damit ganz wesentlich durch die gestellten Anträge sowie die Klagebegründung und dem ermittelten Lebenssachverhalt bestimmt (vgl. Eschner in Jansen, Sozialgerichtsgesetz, Kommentar, SGG, § 94 Rn. 13 mwN). Überträgt man diese Grundsätze auf das vorliegende Verfahren, leitet die Klägerin ihren geltend gemachten Zahlungsanspruch aus der unstreitigen Forderung her, mit welchem die Beklagte ihren behaupteten Erstattungsanspruch aufgerechnet hat. Nach ständiger Rechtsprechung des BSG bedarf es hinsichtlich der unstreitigen Forderung auf Vergütung der Krankenhausbehandlung, mit welchem die Beklagte aufgerechnet hat, keiner näheren Prüfung durch das Gericht, so dass es hierzu auch keines weiteren Sachvortrags durch die Klägerin bedarf (BSG, Urteil vom 21.04.2015 - B 1 KR 8/15 R -, juris m.w.N.). 

2.
Diese Forderung aus dem unstreitigen Behandlungsfall ist durch die Aufrechnung mit einem öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch wegen Überzahlung der Vergütung für die Krankenhausbehandlung der Versicherten F. nicht analog § 387 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) erloschen (zur entsprechenden Anwendung auf überzahlte KH-Vergütung vgl. z.B. BSG, Urteil vom 08.11.2011 - B 1 KR 8/11 R -, SozR 4-5560 § 17b Nr. 2 m.w.N.), da der ordnungsgemäßen Aufrechnung ein gesetzliches Aufrechnungsverbot entgegensteht und auch nicht durch eine Ausnahme hiervon gerechtfertigt ist.
Unter Anwendung der Normen des BGB kann gem. § 387 BGB jeder Schuldner seine Forderung gegen die Forderung des anderen Teils aufrechnen, wenn sich zwei Personen einander Leistungen schulden, die ihrem Gegenstand nach gleichartig sind, sobald die Person die ihm gebührende Leistung fordern und die ihm obliegende Leistung bewirken kann (BSG, Urteil vom 25. Oktober 2016 - B 1 KR 9/16 R -, SozR 4-5562 § 11 Nr. 2, SozR 4-5560 § 18 Nr. 2, SozR 4-7610 § 271 Nr. 1, SozR 4-7610 § 387 Nr. 4, Rn. 10).
Eine solche Aufrechnung ist entsprechend wirksam, wenn bei bestehender Aufrechnungslage (§ 387 BGB) die Aufrechnung erklärt wird (§ 388 BGB) und keine Aufrechnungsverbote entgegenstehen (vgl. dazu im Einzelnen etwa BSG, Urteil vom 30.07.2019 -B 1 KR 31/18 R Rn. 11 ff.).

3.
Der Aufrechnung durch die Beklagte steht nach Ansicht der Kammer ein gesetzliches Aufrechnungsverbot entgegen, das auch nicht durch eine vertragliche Ausnahme ausgenommen worden ist. Im Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung im Dezember 2020 existierte das gesetzliche Aufrechnungsverbot des § 109 Abs. 6 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V).

a.
Durch das Gesetz für bessere und unabhängigere Prüfungen (MDK Reformgesetz) vom 14.12.2019 (BGBl. I S. 2789) hat der Gesetzgeber mit Wirkung zum 01.01.2020 in § 109 Abs. 6 Satz 1 SGB V ein gesetzliches Aufrechnungsverbot normiert. Danach können Krankenkassen gegen Forderungen von Krankenhäusern, die aufgrund der Versorgung von ab dem 1. Januar 2020 aufgenommenen Patientinnen und Patienten entstanden sind, nicht mit Ansprüchen auf Rückforderung geleisteter Vergütungen aufrechnen. 
Zur Begründung des gesetzlichen Aufrechnungsverbots hat sich der Gesetzgeber wie folgt geäußert:
"In der Vergangenheit haben Krankenkassen Rückforderungsansprüche gegen Krankenhäuser wegen überzahlter Vergütungen in der Regel nicht durch Klage vor dem Sozialgericht geltend gemacht, sondern mit Rückforderungsansprüchen gegen unbestrittene Forderungen des Krankenhauses auf Vergütung erbrachter Leistungen aufgerechnet. Dies hat zu erheblichen Liquiditätsengpässen auf Seiten der Krankenhäuser geführt, da mit Erklärung der Aufrechnung die Krankenkassen die Möglichkeit haben, ihre Forderungen sofort zu befriedigen, während gleichzeitig die Vergütungsforderung des Krankenhauses erlischt. Durch die Aufrechnung wird außerdem das Prozessrisiko, Vergütungsansprüche im Wege der Klage durchsetzen zu müssen, auf die Krankenhäuser verlagert,
da das Krankenhaus die Krankenkasse auf Zahlung der ungeschmälerten Vergütung verklagen muss, wenn es das Bestehen eines Rückforderungsanspruchs bestreitet. Um diese negativen Folgen von Aufrechnungen zu begrenzen, wird die Möglichkeit der Krankenkassen, mit Rückforderungsansprüchen gegen Vergütungsansprüche der
Krankenhäuser aufzurechnen, ausgeschlossen. Erfasst sind alle nach § 108 zur Krankenhausbehandlung zugelassenen Krankenhäuser, mit denen ein Versorgungsvertrag abgeschlossen worden ist oder bei denen das Vorliegen eines Versorgungsvertrags fingiert wird. In der Vergangenheit waren die Sozialgerichte mit Klagen der Krankenhäuser zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit von Aufrechnungen der Krankenkassen konfrontiert. Diese Klagen entfallen künftig. Sofern Krankenkassen in der Zukunft verstärkt den Klageweg beschreiten werden, um ihre Forderungen durchzusetzen, dürfte die Zahl streitiger Abrechnungsfälle durch die Umkehr des Prozessrisikos für sich allein nicht spürbar vergrößert werden. Der Ausschluss der Aufrechnungsmöglichkeit gilt nur für Vergütungsansprüche der Krankenhäuser, die nach dem Inkrafttreten der Regelung entstanden sind. Andernfalls wäre nicht auszuschließen, dass Krankenkassen bis zum Inkrafttreten verstärkt von der noch bestehenden Aufrechnungsmöglichkeit Gebrauch machen würden, verbunden mit entsprechenden Folgen für die Liquidität der Krankenhäuser." (BT-Drs. 19/13397, 54).
Es entspricht mithin dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers, dass eine Aufrechnung in der Regel nicht zulässig ist, was entsprechend in § 109 Abs. 6 Satz 1 SGB V deutlich zum Ausdruck kommt. § 109 Abs. 6 Satz 1 SGB V ist vorliegend auch anwendbar. Nach dem Wortlaut kann "gegen Forderungen von Krankenhäuser, die aufgrund der Versorgung von ab dem 01.01.2020 aufgenommenen Patientinnen und Patienten entstanden sind," nicht mit Rückforderungsansprüchen aufgerechnet werden. Die Hauptforderung der Klägerin, die hier letztlich streitig ist, ist aufgrund der Behandlung eines Patienten entstanden, welcher im Jahr 2020 bei der Klägerin behandelt worden ist. 

b.
Die von der Beklagten erklärte Aufrechnung ist auch nicht von der gesetzlichen Ausnahme des § 109 Abs. 6 Satz 2 SGB V gedeckt. Danach ist die Aufrechnung abweichend von Satz 1 möglich, wenn die Forderung der Krankenkasse vom Krankenhaus nicht bestritten wird oder rechtskräftig festgestellt wurde. Nach Satz 3 können in der Vereinbarung nach § 17c Absatz 2 Satz 1 des KHG abweichende Regelungen vorgesehen werden. Während die ursprüngliche Gesetzesfassung lediglich eine Ausnahme von Satz ein durch eine Vereinbarung nach § 17c KHG vorsah und als Beispiele für eine mögliche Ausnahme "etwa bei unbestrittenen oder rechtskräftig festgestellten Vergütungsforderungen" (BT-Drs. 19/13397, 54) in der Gesetzesbegründung nannte, sind durch die Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit (14. Ausschuss) zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung - Drucksachen 19/13397, 19/13547 - die vormals nur in der Gesetzesbegründung genannten Ausnahmen explizit in Satz 2 mit in das Gesetz aufgenommen worden.
Jedoch ist die Erstattungsforderung der Beklagten weder unbestritten, noch rechtskräftig festgestellt, so dass die gesetzliche Ausnahme von gesetzlichen Aufrechnungsverbot vorliegend nicht greift.

c.
Die Beklagte kann sich auch nicht auf eine zulässige vertragliche Ausnahme von dem gesetzlichen Aufrechnungsverbot stützen.
aa.
Gem. § 109 Abs. 6 Satz 3 SGB V können in der Vereinbarung nach § 17c Absatz 2 Satz 1 des KHG abweichende Regelungen vom gesetzlichen Aufrechnungsverbot des Satzes 1 vorgesehen werden. § 17c Abs. 2 Satz 1 KHG lautet:
"Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen und die Deutsche Krankenhausgesellschaft regeln das Nähere zum Prüfverfahren nach § 275c Absatz 1 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch; in der Vereinbarung sind abweichende Regelungen zu § 275c Absatz 1 Satz 1 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch möglich."
Auf dieser Basis vereinbart der GKV- Spitzenverband mit der Deutschen Krankenhausgesellschaft eine Prüfverfahrensvereinbarung. In der Prüfverfahrensvereinbarung (PrüfvV) vom 03.02.2016 ist in § 10 Satz 1 geregelt, das die Krankenkasse einen nach Beendigung des Vorverfahrens einvernehmlich als bestehend festgestellten oder nach § 8 mitgeteilten Erstattungsanspruch mit einem unstreitigen Leistungsanspruch des Krankenhauses aufrechnen kann. Im Hinblick auf das MDK-Reformgesetz haben die Vertragspartner am 10.12.2019 eine Übergangsvereinbarung beschlossen. In der Präambel steht:
"Dabei besteht Einvernehmen zwischen den Vereinbarungspartnern, insbesondere die bisher bestehenden Möglichkeiten der Korrektur von Datensätzen und ggf. Rechnungen sowie die Aufrechnungsregeln zunächst unverändert aufrecht zu erhalten."
In Art 1 heißt es weiter:
"() Für die Überprüfung bei Patienten, die ab dem 01.01.2020 in ein Krankenhaus 
aufgenommen werden, gilt die PrüfvV vom 03.02.2016 mit den Maßgaben nach Nr. 1 
bis 7 dieser Übergangsvereinbarung und im Übrigen unverändert fort. Damit finden 
insbesondere die Regelungen zur Korrektur von Datensätzen nach § 5 Absatz 1 und 
§ 7 Absatz 5 PrüfvV sowie die Aufrechnungsregeln nach § 10 PrüfvV weiterhin 
Anwendung. 
Außerhalb eines Prüfverfahrens vorgenommene, nach Maßgabe der geltenden 
Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes zulässige Rechnungskorrekturen sind 
weiterhin zulässig. Außerhalb eines Prüfverfahrens vorgenommene, nach Maßgabe 
der geltenden Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zulässige Aufrechnungen 
von Erstattungsansprüchen der gesetzlichen Krankenkassen gegen 
Vergütungsansprüche der Krankenhäuser sind ebenfalls weiterhin möglich". 

Unter Anwendung dieser Übergangsvorschriften der PrüfvV wäre eine Aufrechnung zulässig, jedoch ist die Regelung einer vollständigen Aushebelung des gesetzlichen Aufrechnungsverbots nicht von der Ermächtigungsgrundlage des § 17c KHG gedeckt. 
Die PrüfvV ist ein untergesetzlicher Normvertrag der gemeinsamen Selbstverwaltungen der Krankenhäuser und Krankenkassen. Für diesen bedarf es einer gesetzlichen Rechtsgrundlage, wie sie in § 17c KHG gegeben ist. Jedoch muss der vereinbarte Normvertrag auch von der Reichweite der gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage für den Abschluss des Normvertrags gedeckt sein. 


bb.
Unerheblich ist es nach Ansicht der Kammer, dass die Vertragsparteien bereits die "Verlängerung" der Aufrechnungsmöglichkeit (nämlich am 10.12.2019) vereinbart haben, noch bevor das gesetzliche Aufrechnungsverbot bzw. die Ermächtigungsgrundlage zur Regelung von Ausnahmen zum gesetzlichen Aufrechnungsverbot in Kraft getreten ist (01.01.2020). Das partielle Fehlen einer wirksamen gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage im Zeitpunkt des Vertragsschlusses auf schuldrechtlicher Ebene schließt nach der Rechtsprechung des BSG die spätere Wirksamkeit des intendierten Normvertrags in Gänze ab 2020 ohne erneuten, bestätigenden Vertragsschluss nicht aus (BSG, Urteil vom 10. November 2021 - B 1 KR 36/20 R -, BSGE 133, 126, SozR 4-2500 § 275 Nr. 36, Rn. 16).

cc.
Die in einer Prüfverfahrensvereinbarung regelungsfähigen Inhalte sind in § 17c KHG abschließend geregelt. Nach § 17c Abs. 2 Satz 1 KHG regeln die dort genannten Vertragspartner "das Nähere zum Prüfverfahren nach § 275c Abs. 1 SGB V". Nach § 17 Abs. 2 Satz 2 Nr. 7 KHG haben sie auch Regelungen zur Abwicklung von Rückforderungen zu treffen. Die Vertragspartner können daher - jedenfalls sobald eine Rückforderung nach Abschluss eines Prüfverfahrens unstreitig besteht - zu deren Rückabwicklung eine Vereinbarung treffen. "Das Nähere zum Prüfverfahren" kann Regelungen ab der Einleitung bis zum Ende des Prüfverfahrens und mithin auch bis zur Rückabwicklung eines Erstattungsanspruchs der Krankenkasse umfassen (vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung eines Gesetzes zur Beseitigung sozialer Überforderung bei Beitragsschulden in der Krankenversicherung, BT-Drucks 17/13947 S 38; BSG, Urteil vom 30. Juli 2019 - B 1 KR 31/18 R -, BSGE 129, 1-10, SozR 4-7610 § 366 Nr. 2, SozR 4-2500 § 109 Nr. 79, SozR 4-5560 § 17c Nr. 4, Rn. 12 - 13). 
Nicht mit § 109 Abs. 6 Satz 1 SGB V vereinbar ist dagegen nach Ansicht der Kammer eine vertragliche Vereinbarung, die das ab 01.01.2020 bestehende gesetzliche Aufrechnungsverbot des § 109 Abs. 6 SGB V generell aushebelt und damit ins Leere laufen lässt. Es ist für die Beurteilung der vorliegenden Sachlage daher unerheblich, dass nach dem eindeutigen Wortlaut der Übergangs-PrüfvV eine generelle Aufrechnung weiterhin über den 01.01.2020 zulässig sein soll. Zwar unterliegt nach der Rechtsprechung des BSG die Anwendung der normenvertraglichen Bestimmungen der PrüfvV den allgemeinen für Gesetze geltenden Auslegungsmethoden der Rechtswissenschaft. Es ist mithin nicht auf den subjektiven Willen der Beteiligten, sondern auf die objektive Erklärungsbedeutung abzustellen (BSG, Urteil vom 18. Mai 2021 - B 1 KR 34/20 R -, BSGE 132, 152-162, SozR 4-2500 § 301 Nr 10). Nach dem ausdrücklichen Wortlaut der PrüfvV ist trotz gesetzlichem Aufrechnungsverbot weiterhin jede Forderung aufrechenbar mit Gegenforderungen, unabhängig von der Tatsache, ob bei der Gegenforderung auch ein Prüfverfahren eingeleitet worden ist. Diese Regelung ist nach Ansicht der Kammer mangels entsprechender Ermächtigungsgrundlage, das gesetzliche Aufrechnungsverbot vollständig abzubedingen, unwirksam, eine darauf gestützte Aufrechnungserklärung geht ist leere und verstößt gegen das gesetzliche Aufrechnungsverbot des § 109 Abs. 6 Satz 1 SGB V
Dies ergibt sich aus folgenden Gesichtspunkten:
Nach § 109 Abs. 6 Satz 3 SGB V können in der Vereinbarung nach § 17c Absatz 2 Satz 1 KHG abweichende Regelungen vorgesehen werden. Satz 3 schließt sich an Satz 2 an, welcher ausdrücklich zwei Ausnahmen vom gesetzlichen Aufrechnungsverbot enthält, nämlich bei unbestrittenen oder rechtskräftig festgestellten Forderungen. Der Satz 2 des Absatzes 6 wurde erst im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens explizit eingefügt, in der Vorfassung waren die nunmehr in Satz 2 explizit geregelten Ausnahmen zum Aufrechnungsverbot als Beispiel für die nun in Satz 3 enthaltenen "abweichenden Regelungen" zum Aufrechnungsverbot genannt. Der Gesetzgeber wollte mithin die Vertragsparteien ermächtigen, über die in Satz 2 explizit genannten Ausnahmen weitere (sinnvolle) Ausnahmen vom Verbot zu regeln. Das gesetzliche Aufrechnungsverbot wird jedoch durch Satz 3 nicht vollständig in die Dispositionsbefugnis der Vertragsparteien gestellt (so wohl auch Dr. Frank Bockholdt in: Hauck/Noftz SGB V, § 109 Abschluss von Versorgungsverträgen mit Krankenhäusern, Rn. 221g). Nach dem reinen Wortlaut "abweichende Regelungen" bleibt offen, ob das gesetzliche Aufrechnungsverbot vollständig dispositiv ist. Der Begriff abweichende Regelungen könnte einen kompletten Ausschluss enthalten, oder aber dahingehend zu verstehen sein, dass lediglich einzelne Ausnahmen geregelt werden dürfen. Ausnahmevorschriften wie § 109 Abs. 6 Satz 3 SGB V sind aber grundsätzlich eng auszulegen (exceptio est strictissimae interpretationis). Systematisch Schließt sich Satz 3 an Satz 2 an, welcher explizite Ausnahmen zum Aufrechnungsverbot regelt, so dass nach der Stellung im Gesetz und Gefüge davon ausgegangen werden kann, das Satz 3 ermächtigt, weitere Ausnahmen zu Satz 1 zu vereinbaren, die über die in Satz 2 genannten hinausgehen, nicht jedoch Satz 1 vollständig abzubedingen. Gleiches gilt im Übrigen für § 17c Abs. 2 Satz 1 KHG, der den Vertragsparteien "abweichende Regelungen" von § 275c SGB V gestattet, nicht aber die vollständige Abbedingung desselben. Gestützt wird die systematische Auslegung zudem durch die historische, in den Bundestagsdrucksachen kommt klar zum Ausdruck, das Satz 3 (vormals im Entwurf Satz 2) die Parteien lediglich zur Regelung konkreter einzelner Ausnahmen ermächtigen soll. 

§ 109 Abs. 6 Satz 3 SGB V ermächtigt daher nach Ansicht der Kammer allenfalls zur Vereinbarung über die in Satz 2 explizit genannten Ausnahmen zum gesetzlichen Aufrechnungsverbot, Satz 1 ist steht aber nicht zur völligen Disposition. Das gesetzliche Aufrechnungsverbot darf nicht durch eine Vereinbarung nach Satz 3 vollständig ausgehebelt werden. 

dd.
Wie bereits unter cc. Ausgeführt sind die in einer Prüfverfahrensvereinbarung regelungsfähigen Inhalte in § 17c KHG abschließend geregelt. Nach § 17 Abs. 2 Satz 2 Nr. 7 KHG haben die Vertragspartner auch Regelungen zur Abwicklung von Rückforderungen zu treffen. Dies bedeutet aber gerade nicht, dass § 17c abs. 2 Satz 2 KHG die Vertragspartner befugt, eine allgemeine Aufrechnungsmöglichkeit über Forderungen zu regeln, welche nie Gegenstand eines Prüfverfahrens gewesen sind. Die hier geltend gemachte Hauptforderung (aus dem Sammelavis vom 08.12.2020) war zu keinem Zeitpunkt Gegenstand eines Prüfverfahrens gewesen. 

Die im Dezember 2020 erklärte Aufrechnung der Beklagten mit einer Forderung aus einem im Jahr 2020 entstandenen Behandlungsfalls verstößt mithin gegen das gesetzliche Aufrechnungsverbot des § 109 Abs. 6 Satz 1 SGB V und geht folglich ins Leere. 
Der Klage war mithin stattzugeben.
 
5.
Der Zinsanspruch ergibt sich aus der Pflegesatzvereinbarung der Beteiligten.

6.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG in Verbindung mit §§ 161 Abs. 1, 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

7.
Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit dem Gerichtskostengesetz (GKG). Da der Klageantrag auf eine bezifferte Geldleistung gerichtet war, ist deren Höhe maßgeblich (§ 52 Abs. 3 GKG).

8. 
Die Sprungrevision war von Amts wegen gem. §§ 160 Abs. 2 Nr. 1, 161 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 SGG zuzulassen.

Rechtskraft
Aus
Saved