S 6 VG 6/15

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Münster (NRW)
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6.
1. Instanz
SG Münster (NRW)
Aktenzeichen
S 6 VG 6/15
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 13 VG 58/16
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

 

 

Die Klage wird abgewiesen.

 

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

 

Tatbestand:

 

Streitig ist ein Anspruch nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG).

 

Die am 00.00.1967 geborene Klägerin beantragte am 12. März 2010 bei dem M. die Gewährung von Leistungen nach dem OEG wegen eines in ihrer Kindheit erlittenen sexuellen Missbrauchs durch ihren Vater.

 

Durch den Bescheid vom 21. Januar 2011 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 29. November 2012 lehnte der M. nach Beiziehung ärztlicher Unterlagen und wiederholter Befragungen der Klägerin den Antrag ab, weil der Schädigungstatbestand nicht nachgewiesen sei. Die Klägerin habe keine näheren Angaben zum Tathergang gemacht. Hiergegen richtete sich die am 02 Januar 2013 unmittelbar beim Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen erhobene Klage (Az.: L 13 VG 00/15). Nachdem in Abstimmung mit dem Ministerium für Arbeit, Integration und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen im August 2013 – abweichend von der gesetzlichen Zuständigkeitsregelung – der M. S. (der Beklagte dieses Verfahrens) die Bearbeitung des Falles übernommen hat, hob der M. durch Bescheid vom 15. August 2013 seinen ablehnenden Bescheid vom 21. Januar 2011 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 29. November 2012 auf. Durch den Vorbehaltsbescheid vom 19. August 2013 bewilligte der Beklagte sodann für die Zeit ab 01. März 2010 eine Grundrente nach einem Grad der Schädigungsfolgen (GdS) von 30. Die Klägerin sei in der Zeit von 1973 bis mindestens 1977 fortlaufend Opfer eines sexuellen Missbrauchs geworden. Hiergegen erhob die Klägerin mit Schreiben vom 16. September 2013 Widerspruch. Gestützt auf eine Versorgungsärztliche Stellungnahme vom 21. Oktober 2013 erteilte der Beklagte den Abhilfebescheid vom 07. November 2013. Mit diesem Bescheid wurde eine „Psychoreaktive Störung nach sexuellem Missbrauch“ als Schädigungsfolge anerkannt. Zugleich bewilligte der Beklagte eine Grundrente nach einem GdS von 50, eine Ausgleichsrente und Berufsschadensausgleich, insgesamt Versorgungsbezüge in Höhe von 2690,-- Euro monatlich. Die Bewilligung erfolgte unter dem Vorbehalt, dass eine Erhöhung des GdS nur auf der Grundlage einer persönlichen Begutachtung der Klägerin erfolgen könne.

 

Nach Verweisung des beim Landessozialgerichts anhängig gewesenen Klageverfahrens durch Beschluss vom 02. Juli 2014 an das funktionell zuständige Sozialgericht wies das Sozialgericht Münster (Az.: S 8 VG 00/14) durch Urteil vom 11. Februar 2015 die Klage gegen den M. ab, weil die Beschwer der Klägerin nach Aufhebung der ablehnenden Bescheide weggefallen war.

 

Am 13. Februar 2015 erhob die Klägerin die gegen den M. S. gerichtete, hier streitige Klage. Sie verwies darauf, dass ein früherer Leistungsbeginn möglich und auch nötig sei. Sie klage auf „vollständige und richtige Erfüllung des OEG“.

 

In dem vom Sozialgericht anberaumten Erörterungstermin am 29. Januar 2016 ist die Klägerin nicht erschienen. In diesem Termin hat der Vorsitzende angeregt, dass der Beklagte das noch ausstehende Vorverfahren gemäß § 78 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) abschließt. Daraufhin hat der Beklagte durch den Widerspruchsbescheid vom 12. Februar 2016 den Widerspruch gegen den Bescheid vom 19. August 2013 in der Fassung des Abhilfebescheides vom 07. November 2013 zurückgewiesen. Der Vorbehalt in den angefochtenen Bescheiden werde aufgehoben, weil nicht erkennbar sei, wie ohne eine persönliche Begutachtung die Gewährung höherer Leistungen begründet werden könnte. Auch stünden der Klägerin keine Leistungen für eine Zeit vor der Antragstellung im März 2010 zu. Die Klägerin sei nicht ohne Verschulden gehindert gewesen, innerhalb der Jahresfrist des § 60 BVG einen Antrag nach dem OEG zu stellen.

 

Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 24. Juni 2016 war die Klägerin weder anwesend noch durch einen Bevollmächtigten vertreten. Ausweislich der Postzustellungsurkunde vom 09. Juni 2016 ist die Terminsmitteilung der Klägerin ordnungsgemäß zugestellt worden.

 

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

 

            den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 19. August 2013 in der

            Fassung des Abhilfebescheides vom 07. November 2013 und des

            Widerspruchsbescheides vom 12. Februar 2016 zu verurteilen, die bewilligten

            Leistungen bereits für eine Zeit vor dem 01. März 2010 zu gewähren..

 

Der Beklagte beantragt,

 

            die Klage abzuweisen.

 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Streitakten, die Verwaltungsakten des M., die Verwaltungsakten des M. S. sowie auf die Vorprozessakten des Sozialgerichts Münster (Az.: S 8 VG 00/14, S 8 VG 00/13 ER).

 

 

Entscheidungsgründe:

 

Die Streitsache konnte gemäß § 126 SGG auch ohne Erscheinen der Klägerin oder eines Bevollmächtigten im Termin aufgrund einseitiger mündlicher Verhandlung mit dem Vertreter des Beklagten entschieden werden, weil die Klägerin mit dem Ladungsschreiben ordnungsgemäß vom Termin benachrichtigt worden ist und sie auf diese Möglichkeit hingewiesen worden ist.

 

Die Klage ist zulässig. Die zunächst mangels Durchführung des gemäß § 78 SGG erforderlichen Vorverfahrens unzulässig gewesene Klage ist nach Erteilung des Widerspruchsbescheides vom 12. Februar 2016 zulässig geworden.

 

Die Klage ist aber nicht begründet. Durch die angefochtenen Bescheide ist die Klägerin nicht beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 SGG.

 

Dabei kann dahinstehen, ob die durch den Bescheid vom 19. August 2013 in der Fassung des Abhilfebescheides vom 07. November 2013 und des Widerspruchsbescheides vom 12. Februar 2016 vorbehaltlos bewilligte Leistungsgewährung nach dem OEG (Grundrente nach einem GdS von 50, Ausgleichsrente, Berufsschadensausgleich) rechtmäßig ist. Immerhin könnten hieran Zweifel bestehen, weil möglicherweise der Schädigungstatbestand im Falle der Klägerin nicht hinreichend nachgewiesen ist. Auch ist die Klägerin nicht ärztlich begutachtet worden.

 

Diese Frage kann hier aber offen bleiben, weil jedenfalls die Klägerin durch die Leistungsgewährung erst ab Antragstellung im März 2010 nicht beschwert ist.

 

Die Versorgung nach dem OEG erfolgt gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG).  Nach § 60 Abs. 1 Satz 1 BVG beginnt die Beschädigtenversorgung mit dem Monat, in dem ihre Voraussetzungen erfüllt sind, frühestens mit dem Antragsmonat. Die Versorgung ist auch für Zeiträume vor der Antragstellung zu leisten, wenn der Antrag innerhalb eines Jahres nach Eintritt der Schädigung gestellt wird (Satz 2). War der Beschädigte ohne sein Verschulden an der Antragstellung verhindert, so verlängert sich diese Frist um den Zeitraum der Verhinderung (Satz 3 der Bestimmung).

 

Die im 00.1967 geborene Klägerin hat für einen bis 1977 anhaltenden Schädigungstatbestand am 12. März 2010 erstmals einen Leistungsantrag gestellt. Deshalb kann eine Leistungsgewährung für eine Zeit vor dem 01. März 2010 nicht in Betracht kommen. Zwar ist davon auszugehen, dass die Klägerin – als minderjähriges Opfer eines sexuellen Missbrauchs – bis zum Eintritt ihrer Volljährigkeit  im Jahre 1985 ohne ihr Verschulden  an der Antragstellung im Sinne des § 60 Abs. 1 Satz 3 BVG verhindert war (vgl. hierzu Urteil des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt vom 13. November 2003, Az.: L 7 (5) VG 22/02). Die Klägerin war aber nicht gehindert, in der anschließenden Zeit einen Antrag zu stellen. Insbesondere stand es der Klägerin frei, im Rahmen oder im Anschluss an die von 1996 bis 1999 durchgeführte ambulante Psychotherapie bei Frau von I. (C.) einen Antrag nach dem OEG zu stellen. Denn nach dem Bericht der Frau von I. vom 02. Juli 2010 an den M. wurde bereits während der damaligen Behandlung der sexuelle Missbrauch durch den Vater der Klägerin thematisiert.

 

Die Kostentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

 

 

 

 

 

Rechtskraft
Aus
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