L 5 R 3524/21

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
5.
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 1 R 4067/19
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 5 R 3524/21
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 07.10.2021 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.



Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.

Die 1961 geborene Klägerin hat nach ihren Angaben den Beruf einer Einzelhandelskauffrau erlernt. Sie war von August 1977 bis Dezember 2017 – mit Unterbrechungen durch Zeiten des Mutterschutzes und der Kindererziehung sowie Zeiten der Arbeitslosigkeit und Krankheit – in verschiedenen Bereichen als Verkäuferin, Dekorateurin, Familienhelferin, Hauswirtschaftsangestellte und Pflegehelferin versicherungspflichtig beschäftigt. Am 18.12.2017 erkrankte sie arbeitsunfähig und bezog nach Beendigung der Lohnfortzahlung zunächst Krankengeld und Übergangsgeld und sodann bis Januar 2021 Leistungen nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch (SGB III). Im Anschluss daran war sie bis 31.12.2021 ohne Leistungsbezug arbeitslos gemeldet. Für die Zeit von August 2020 bis 31.12.2022 sind im Versicherungsverlauf vom 17.08.2023 außerdem Beitragszeiten mit Pflichtbeiträgen für Pflegetätigkeit enthalten. Bei der Klägerin ist seit 28.01.2019 ein Grad der Behinderung (GdB) von 50 anerkannt. Seit 01.07.2023 bezieht die Klägerin Altersrente für schwerbehinderte Menschen (Bescheid der Beklagten vom 17.08.2023).

Am 23.03.2018 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. In der Zeit vom 28.03.2018 bis 25.04.2018 hielt sich die Klägerin anlässlich einer von der Beklagten gewährten stationären medizinischen Rehabilitationsmaßnahme in der R1 auf. L1/ S1 stellten im Entlassungsbericht fest, die Klägerin leide an einer mittelgradigen Episode einer rezidivierenden Depression, teilremittiert, einer Lumbalgie, Schmerz fortbestehend, einem Zervikobrachial-Syndrom, Beweglichkeit gebessert, einer Achillodynie beidseits, schmerzfrei, einer Prurigo, psychogen bedingt, Problemen am Arbeitsplatz, einer Radikulopathie im Lumbalbereich sowie einer chronisch venösen Insuffizienz mit Varizen der unteren Extremität beidseits. Im Ergebnis könne die Klägerin ihren Beruf als Altenpflegehelferin lediglich unter drei Stunden täglich ausüben. Leichte bis mittelschwere Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt überwiegend im Stehen, Gehen oder ständig im Sitzen bei Beachtung qualitativer Einschränkungen (Vermeidung von häufigem Heben, Tragen und Bewegen von Lasten über 15 kg vor dem Körper bzw. mit ausgestreckten Armen über zehn Kilogramm, Vermeidung von Zwangshaltungen, häufigem Bücken, fixiertem Stehen sowie häufigen Stoß- und Erschütterungsbelastungen, Vermeiden von lang anhaltendem Sitzen in fixierter Haltung mit ständig vorgebeugtem Kopf oder vorgehaltenen Armen, häufigem Überkopfarbeiten, häufigen endgradigen Kopfdrehungen und häufigen Vibrationsbelastungen, keine Arbeiten in größeren Gruppen, Vermeidung von Multitasking und ständigen Schichtwechseln, keine Nachtschicht) könne sie demgegenüber noch vollschichtig ausüben. In einem ergänzend im Auftrag der Beklagten erstatteten Gutachten vom 19.12.2018 beschrieb die B1 rezidivierende depressive Episoden, gegenwärtig geringe bis leichte Episode sowie eine Lumbalgie. Die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Altenpflegehelferin sei nicht mehr leidensgerecht, leichte bis zeitweilig mittelschwere körperliche Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes in wechselnder Körperhaltung ohne längere Zwangshaltungen, ohne Nachtschichten und ohne besondere Anforderungen an die psychomentale Belastbarkeit (Konfliktfähigkeit, Verantwortung von Menschen, Arbeiten unter Zeitdruck) seien der Klägerin sechs Stunden und mehr arbeitstäglich zumutbar.

Mit Bescheid vom 30.01.2019 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin ab. Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies sie nach Einholung von Befundberichten der die Klägerin behandelnden Ärzte und einer Stellungnahme der E1 vom sozialmedizinischen Dienst mit Widerspruchsbescheid vom 09.12.2019 zurück.

Die Klägerin hat am 19.12.2019 Klage zum Sozialgericht Heilbronn (SG) erhoben. Zur Begründung hat sie ausgeführt, sie traue sich auch eine leichte Tätigkeit in einem Umfang von sechs Stunden nicht mehr zu. Mit allem sei sie völlig überfordert. Sie sei depressiv und habe Angst, sei verwirrt und nicht belastbar. Zudem habe sie massive Rückenschmerzen und starke Schmerzen nach vier Unterleibsoperationen. Auch leide sie an einem sehr belastenden Tinnitus.

Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten.

Das SG hat zunächst Beweis erhoben durch Einholung schriftlicher sachverständiger Zeugenaussagen der die Klägerin behandelnden L2, der M1, der K1 sowie des S2. Ergänzend hat das SG den Entlassungsbericht über eine stationäre Behandlung der Klägerin im Krankenhaus M2 vom 22.05.2020 bis 29.05.2020 wegen einer Weber-B-Fraktur des oberen Sprunggelenkes links beigezogen und anschließend von Amts wegen ein Gutachten von der E2 unter Hinzuziehung des klinischen S3 eingeholt. Abschließend hat das Gericht S2 wegen der erlittenen Sprunggelenksfraktur erneut schriftlich als sachverständigen Zeugen gehört.

S2 hat unter dem 01.07.2020 und unter dem 20.08.2021 über Behandlungen wegen Beschwerden an der Wirbelsäule sowie wegen der erlittenen Fraktur des linken oberen Sprunggelenks berichtet. Leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt im Umfang von sechs Stunden täglich seien der Klägerin zumutbar und die Wegefähigkeit erhalten. Nach Ausheilung der Sprunggelenkfraktur würden sich insoweit keine Änderungen ergeben. M1 (Auskunft vom 29.06.2020) hat über Behandlungen wegen einer akuten Otitis externa, dem Ausschluss einer Hörstörung, einem akuten Tinnitus, einem Bruxismus und einer Kiefergelenksstörung, einer akuten Sinusitis maxillaris, einer chronischen Sinusitis ethmoidalis/maxillaris sowie dem Ausschluss einer Neubildung im Unterkiefer berichtet. Aus rein HNO-ärztlicher Sicht bestehe keine Einschränkung bei Ausübung einer beruflichen Tätigkeit. K1 hat unter dem 01.07.2020 ausgeführt, die Gesundheitsstörungen der Klägerin lägen eher nicht im gynäkologischen Bereich. Sie sehe gynäkologischerseits keinen Grund, warum die Klägerin nicht für sechs Stunden am Tag leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verrichten könne. L2 hat dargelegt (Auskunft vom 03.07.2020), die Klägerin befinde sich meist in vierteljährlichen Abständen mit der Diagnose einer rezidivierenden depressiven Störung, mittelgradige Episode, in ihrer Behandlung. Die Leistungsfähigkeit der Klägerin schätze sie auf unter drei Stunden täglich ein.

E2 hat in ihrem Sachverständigengutachten vom 28.06.2021 (Untersuchung am 02.12.2020; neuropsychologisches Zusatzgutachten von Mag. rer. nat. S3 vom 22.06.2021 aufgrund einer Untersuchung am 08.05.2021) eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig leichtgradige Episode, einen Tinnitus rechts, ein chronisch rezidivierendes Schmerzsyndrom der LWS bei degenerativen Veränderungen und Multisegmentprotrusionen ohne neurologische Ausfälle sowie fachfremd einen Zustand nach Weber-B-Fraktur des oberen Sprunggelenks links und nach viermaliger gynäkologischer OP beschrieben. Bei Beachtung qualitativer Einschränkungen (kein häufiges Bücken, keine Tätigkeiten auf Leitern und Gerüsten, keine Arbeiten an gefährdenden Maschinen, keine Akkord- und Fließbandarbeit, keine Tätigkeiten unter ungünstigen klimatischen Verhältnissen, insbesondere Kälte und Nässe, keine Nachtschichttätigkeit, keine Tätigkeiten unter erhöhter Lärmbelastung, keine Tätigkeiten mit der Übernahme besonderer Verantwortung, keine besondere geistige Beanspruchung hinsichtlich Konzentration und Daueraufmerksamkeit, keine Tätigkeiten, die besondere mathematische Kenntnisse erfordern) sei die Klägerin noch in der Lage, leichte körperliche Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mit Heben und Tragen von Lasten bis fünf, kurzzeitig zehn Kilogramm, im Wechsel zwischen Sitzen, Gehen und Stehen oder überwiegend sitzend mindestens sechs Stunden täglich auszuüben. Die Wegefähigkeit sei erhalten.

Die Klägerin hat abschließend einen Befundbericht der F1 (Verdacht auf Sinusitis maxillaris chronica, Verdacht auf Trigeminusneuralgie; vom 03.09.2021) vorgelegt und darauf verwiesen, dass E2 auf Blatt 26 ihres Gutachtens mitgeteilt habe, wie ausgeprägt ihre qualitative Leistungsfähigkeit eingeschränkt sei. Sie habe circa 30 Absagen über Bewerbungen gesammelt und fühle sich von den Gutachtern nicht gehört.

Mit Gerichtsbescheid vom 07.10.2021 hat das SG die Klage abgewiesen. Die Klägerin habe gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung. Die Klägerin sei nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme im gerichtlichen Verfahren weiterhin in der Lage, leichte körperliche Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt bei Beachtung der bereits im Tatbestand dargestellten qualitativen Einschränkungen in einem Umfang von mindestens sechs Stunden täglich zu verrichten. Volle bzw. teilweise Erwerbsminderung liege damit nicht vor. Die gerichtliche Sachverständige E2 habe aufgrund einer Untersuchung der Klägerin mit neuropsychologischer Zusatzuntersuchung durch Mag. rer. nat. S3 in diagnostischer Hinsicht eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig leichtgradige Episode, einen Tinnitus rechts sowie ein chronisch rezidivierendes Schmerzsyndrom der LWS bei degenerativen Veränderungen und Multisegmentprotrusionen ohne neurologische Ausfälle beschrieben. Unter zusätzlicher Berücksichtigung der Gesundheitsstörungen auf anderen Fachgebieten (Zustand nach Weber-B-Fraktur des oberen Sprunggelenks links sowie Zustand nach viermaliger gynäkologischer OP) habe E2 die Klägerin weiterhin für in der Lage gesehen, leichte bis mittelschwere Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mindestens sechs Stunden täglich auszuüben. Diese Einschätzung habe E2 in ihrem Gutachten schlüssig und nachvollziehbar begründet, weshalb das SG sich auf die Einschätzung der gerichtlichen Sachverständigen stütze. Wie E2 dargelegt habe, hätten sich anlässlich der durchgeführten klinisch-neurologischen Untersuchung keine Auffälligkeiten finden lassen. Psychopathologisch habe E2 die Klägerin als leicht gereizt und in mäßig gepflegtem Zustand beschrieben. Die Klägerin habe im Verhalten teils hektisch, teilweise fordernd, im Zeitverlauf unkonzentrierter und in der Auffassung reduziert gewirkt, dies habe sich allerdings nach einer Pause gebessert. Weiter habe E2 beschrieben, dass die Klägerin leicht erschöpft gewirkt habe, die affektive Schwingungsfähigkeit sei erhalten gewesen, eine Antriebstörung habe sich nicht objektivieren lassen. Die Klägerin selbst habe sich in einer Selbstbeurteilungsskala zur Beurteilung des Schweregrades der Depression mit einem Punktwert von 30 als schwer depressiv beschrieben. Insoweit stimmten – so E2 – subjektives Erleben und objektiv zu erhebender Befund nicht überein. Die diagnostischen Kriterien für eine Zwangsstörung seien – so E2 – nicht erfüllt. Zudem habe E2 dargelegt, dass die durchgeführte psychiatrische Behandlung mit nur seltenen Vorstellungen und Medikation und unter Low-Dose-Therapie gegen das Vorliegen eines schwerwiegend psychiatrischen Krankheitsbildes spreche. Im Hinblick auf die von der Klägerin geltend gemachten ausgeprägten Einschränkungen von Konzentration, Merkfähigkeit und Aufmerksamkeit sowie insoweit bei der Begutachtung festgestellte leichte Auffälligkeiten habe E2 eine neuropsychologische Zusatzuntersuchung durch Mag. rer. nat. S3 veranlasst. Hierbei habe sich von neuropsychologischer Seite eine leichte Auffälligkeit im formalen Gedankengang und der Auffassungsgabe gezeigt, ansonsten jedoch kein Anhalt für eine kognitive Störung. Wie E2 dargelegt habe, habe testpsychologisch auf Grund deutlicher Hinweise auf ein verzerrtes Antwortverhalten keine kognitive Störung objektiviert werden können. Die anamnestisch erhobene Alltagsaktivität spreche – so E2 – gegen eine gravierende neuropsychologische Störung. Insgesamt habe E2 in Übereinstimmung mit der im Verwaltungsverfahren gehörten Gutachterin B1 die Klägerin damit weiterhin in der Lage gesehen, leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt bei Beachtung der bereits genannten qualitativen Einschränkungen noch mindestens sechs Stunden täglich auszuüben. Auch unter Berücksichtigung der schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage der behandelnden L2 bestehe kein Anlass, an der Schlüssigkeit des Gutachtens von E2 zu zweifeln. Denn wie E2 zutreffend ausgeführt habe, begründe die behandelnde L2 ihre Einschätzung ausschließlich an Hand von subjektiven Angaben der Klägerin, die dann als objektive Gegebenheiten zu Grunde gelegt würden, ohne diese einer kritischen Prüfung zu unterziehen. Die Gesundheitsstörungen auf orthopädischem, HNO-ärztlichem und gynäkologischen Fachgebiet führten, wie sich aus den im gerichtlichen Verfahren eingeholten schriftlichen sachverständigen Zeugenaussagen der behandelnden Ärzte S2, M1 und K1 ergebe, ebenfalls nicht zu einer rentenrechtlich relevanten Minderung des beruflichen Leistungsvermögens. Denn die genannten behandelnden Ärztinnen bzw. Ärzte hätten die Klägerin übereinstimmend in der Lage gesehen, jedenfalls leichte körperliche Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch mindestens sechs Stunden täglich zu verrichten. Dies gelte insbesondere auch für die Folgen der während des Klageverfahrens stattgehabten Fraktur des linken oberen Sprunggelenks. Wie sich aus der schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage des behandelnden S2 vom 20.08.2021 ergebe, sehe dieser nach Ausheilung der Sprunggelenkfraktur keine wesentlichen Änderungen des beruflichen Leistungsvermögens gegenüber seiner ursprünglichen Beurteilung (Leistungsvermögen von mindestens sechs Stunden täglich). Auch die Wegefähigkeit habe S2 weiterhin als erhalten beschrieben. Aus dem von der Klägerin vorgelegten Befundbericht der F1 ergäben sich ebenfalls keine Befunde, die auf ein quantitativ gemindertes Leistungsvermögen schließen ließen. Insgesamt könne die Klägerin daher zumindest noch leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes unter Beachtung der oben genannten qualitativen Einschränkungen mindestens sechs Stunden täglich ausüben. Sie sei daher nicht erwerbsgemindert. Dabei sei es unerheblich, ob ein dem Leistungsvermögen entsprechender Arbeitsplatz vermittelt werden könne, weil nach § 43 Abs. 3 zweiter Halbsatz Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen sei. Vor diesem Hintergrund könne auch der Vortrag der Klägerin, dass sie circa 30 Absagen über Bewerbungen gesammelt habe, den begehrten Rentenanspruch nicht begründen. Soweit die Klägerin habe vortragen lassen, sie fühle sich von den Gutachtern nicht gehört, sei zu berücksichtigen, dass es Aufgabe eines Sachverständigen im gerichtlichen Verfahren sei, den Sachverhalt objektiv zu bewerten. Wie aus dem Gutachten der gerichtlichen Sachverständigen E2 deutlich werde, hätten sich die von der Klägerin subjektiv stärker empfundenen Beschwerden auf Grund der Untersuchung gerade nicht hinreichend objektvieren lassen. Soweit die Klägerin angemerkt habe, E2 habe mitgeteilt, wie ausgeprägt die qualitative Leistungsfähigkeit eingeschränkt sei, sei dies ebenfalls nicht geeignet, den begehrten Rentenanspruch zu begründen. Bei Vorliegen eines Leistungsvermögens von mindestens sechs Stunden täglich für leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sei die Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit regelmäßig nicht erforderlich (unter Hinweis auf Bundessozialgericht <BSG>, Urteil vom 14.09.1995 - 5 RJ 50/94 -, in juris, auch zum Nachfolgenden). Der Umstand, dass bei der Klägerin die Schwerbehinderteneigenschaft und darüber hinaus ein Grad der Behinderung von 50 anerkannt sei, sei für das vorliegende Verfahren auf Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung ohne entscheidende Bedeutung. Denn die Beurteilung nach dem Schwerbehindertenrecht besitze für die Beurteilung der Erwerbsfähigkeit im Rahmen eines Anspruchs auf Rente wegen Erwerbsminderung keine anspruchsbegründende Bedeutung (unter Hinweis auf BSG, Beschluss vom 09.12.1987 - 5b BJ 156/87 -, in juris) und die Voraussetzungen für die Beurteilung des Grades der Behinderung unterschieden sich maßgeblich von jenen für die Beurteilung einer Erwerbsminderung.

Gegen den ihr am 18.10.2021 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 16.11.2021 Berufung zum Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg erhoben. Entgegen der Auffassung des SG sei ihr zeitliches Leistungsvermögen aufgrund der Gesundheitsstörungen auf psychiatrischem Fachgebiet rentenrelevant eingeschränkt. Die Leistungseinschätzung der Sachverständigen E2 sei nicht nachvollziehbar. Diese habe ihr Gutachten erst sieben Monate nach der Begutachtung abgesetzt. Zudem habe die Sachverständige die bei ihr aufgetretenen Auffälligkeiten in der Untersuchungssituation nicht ausreichend gewürdigt. Nicht nachvollziehbar sei, weshalb sie lediglich einen leichtgradig erschöpften Eindruck von ihr gewonnen habe. Die Leistungseinschätzung der L2 sei demgegenüber gut nachvollziehbar. Im Übrigen werde mit der Berufung geltend gemacht, dass sich ihr Gesundheitszustand nach der gutachterlichen Untersuchung durch E2 weiter verschlechtert habe. Dies ergebe sich aus der vorgelegten ärztlichen Bescheinigung der L2 vom 28.12.2021, wonach seit mindestens Juli 2021 eine weitere Verschlechterung der depressiven Symptomatik mit Verstärkung der Antriebsstörungen und Konzentrationsstörungen bestehe. Mittlerweile befinde sie sich in psychotherapeutischer Behandlung. Auch sei die Medikation von Fluoxetin verdoppelt worden (20 mg). Es werde gebeten, den Befundbericht des W1, vom 30.08.2022 sowie den Arztbrief des B2, vom 08.12.2022 und vom 02.03.2023 im laufenden Verfahren zu berücksichtigen. B2 habe u.a. eine rezidivierende depressive Störung mittelgradige Episode diagnostiziert. Die Beschwerden hätten sich über die Jahre verschlechtert. Die Medikation sei umgestellt worden. Ferner hat sie einen Arztbrief des W2 vom 11.01.2023, einen Arztbrief des S2 vom 07.02.2023, einen Notfallbericht des Krankenhauses B3 vom 10.03.2023, eine Kopie der ärztlichen Bescheinigung der A1 vom 17.03.2023 sowie eine Kopie des K1 vom 20.02.2023 mit der Bitte um Berücksichtigung bei der Entscheidungsfindung übergeben.

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 07.10.2021 aufzuheben sowie die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 30.01.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.12.2019 zu verurteilen, ihr für die Zeit vom 01.03.2018 bis 30.06.2023 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung, zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Aus der Berufungsbegründung ergäben sich keine neuen Gesichtspunkte, die eine Änderung ihres bisherigen Standpunktes zuließen. Zur Vermeidung von Wiederholungen werde auf den Vortrag im erstinstanzlichen Verfahren sowie auf die Ausführungen im angefochtenen Gerichtsbescheid verwiesen. Auch nach Auswertung der von der Klägerin im Berufungsverfahren vorgelegten Unterlagen durch E1 unter dem 25.04.2023 verbleibe es weiterhin bei der bisherigen Leistungseinschätzung. Es ergebe sich keine Änderung des bisherigen Standpunktes.

Die Berichterstatterin hat den Sachverhalt mit den Beteiligten am 06.05.2022 erörtert und darauf hingewiesen, dass die Berufung keine Aussicht auf Erfolg haben dürfte.

Zu den weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie auf die beigezogene Akte der Beklagten Bezug genommen.


Entscheidungsgründe

Die nach den §§ 143, 144, 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist statthaft und zulässig.

Gegenstand des Berufungsverfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom 30.01.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.12.2019, mit dem der Antrag der Klägerin auf Rente wegen Erwerbsminderung abgelehnt worden ist.

Streitgegenstand ist das Begehren der Klägerin auf Gewährung einer Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung, auch bei Berufsunfähigkeit, für die Zeit vom 01.03.2018 bis zum 30.06.2023, da die Klägerin ab 01.07.2023 eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen in Anspruch nimmt und ihren Antrag entsprechend beschränkt hat.

Die Berufung der Klägerin ist nicht begründet. Das SG hat die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage zu Recht abgewiesen. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung, auch nicht bei Berufsunfähigkeit, für die Zeit vom 01.03.2018 bis zum 30.06.2023.

Versicherte haben nach § 43 Abs. 2 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung und nach § 43 Abs. 1 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze (insoweit mit Wirkung zum 01.01.2008 geändert durch Artikel 1 Nr. 12 RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz vom 20.04.2007, BGBl. I, S. 554), wenn sie voll bzw. teilweise erwerbsgemindert sind (Nr. 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Nr. 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Nr. 3). Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Teilweise erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Sowohl für die Rente wegen teilweiser als auch für die Rente wegen voller Erwerbsminderung ist Voraussetzung, dass die Erwerbsfähigkeit durch Krankheit oder Behinderung gemindert sein muss. Entscheidend ist darauf abzustellen, in welchem Umfang ein Versicherter durch Krankheit oder Behinderung in seiner körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt wird und in welchem Umfang sich eine Leistungsminderung auf die Fähigkeit, erwerbstätig zu sein, auswirkt. Bei einem Leistungsvermögen, das dauerhaft eine Beschäftigung von mindestens sechs Stunden täglich bezogen auf eine Fünf-Tage-Woche ermöglicht, liegt keine Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Abs. 1 und Abs. 2 SGB VI vor. Wer noch sechs Stunden unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts arbeiten kann, ist nicht erwerbsgemindert; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 SGB VI).

In Anlegung dieser Maßstäbe ist der Senat davon überzeugt, dass die Klägerin in der streitgegenständlichen Zeit in der Lage war, einer leichten Tätigkeit in einem zeitlichen Umfang von sechs Stunden täglich und mehr nachgehen zu können. Die bei der Klägerin bestehenden Gesundheitsstörungen bedingen keine quantitative Leistungsreduzierung. Dies ergibt sich aus dem auch den Senat überzeugenden Gutachten von E2, das nicht nur im Einklang mit dem Gutachten von B1, das der Senat im Wege des Urkundenbeweises verwertet, sondern auch mit dem Entlassungsbericht über die von der Klägerin vom 28.03.2018 bis 25.04.2018 durchgeführte Rehabilitationsmaßnahme steht. Zweifel an dem Gutachten von E2 hat der Senat insbesondere auch nicht deshalb, weil E2 das Gutachten erst knapp sieben Monate nach der von ihr durchgeführten Untersuchung abgefasst hat. Die Verzögerung hatte ihre Ursache darin, dass E2 noch ein neuropsychologisches Zusatzgutachten für erforderlich hielt und es insoweit wegen Corona zu Verzögerungen kam. Es liegen keinerlei Anhaltspunkte dafür vor, dass der Gutachterin das Untersuchungsergebnis bei Abfassung des Gutachtens nicht mehr präsent gewesen ist. Der Senat sieht von einer weiteren eingehenden Darstellung der Entscheidungsgründe ab, weil er die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurückweist (§ 153 Abs. 2 SGG). Der Vortrag der Klägerin im Berufungsverfahren führt zu keinem anderen Ergebnis.

Der Senat sieht insbesondere keine Notwendigkeit ein weiteres Sachverständigengutachten einzuholen, weil der Sachverhalt mit dem Sachverständigengutachten von E2, dem bereits im Verwaltungsverfahren eingeholten Gutachten von B1 sowie dem Reha-Entlassungsbericht der R1 hinreichend aufgeklärt ist. Eine relevante Verschlechterung des Gesundheitszustandes ist zwischen den Gutachten und dem Ende des streitigen Zeitraums nicht eingetreten. Insbesondere ergibt sich eine solche auch nicht aus den zuletzt im Berufungsverfahren vorgelegten ärztlichen Befundberichten der die Klägerin behandelnden Ärzte.

Eine relevante Verschlechterung auf orthopädischem Fachgebiet ist mit dem zuletzt im Berufungsverfahren vorgelegten Arztbrief des S2 nicht zu begründen. S2 schildert in seinem Befundbericht vom 07.02.2023 das Vorliegen einer Spondylose mit Radikulopathie, einen Zustand nach Weber-B-Fraktur des oberen Sprunggelenks links sowie ein Schulter-Nacken-Arm-Syndrom. Er führt aus, es verbleibe bei den derzeitigen konservativen Therapiemaßnahmen, zur Stärkung und Harmonisierung der Wirbelsäulenmuskulatur seien physiotherapeutische Maßnahmen verordnet worden. Des Weiteren erfolge eine Akupunkturbehandlung. Insgesamt weicht der Befund beim Vergleich nicht von der bereits im Verfahren vor dem SG erfolgten Befragung ab. In den sachverständigen Zeugenauskünften vom 01.07.2020 und 20.08.2021 hatte S2 leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sechs Stunden und mehr täglich für zumutbar erachtet.

Soweit die B2 in ihrer Auskunft vom 02.03.2023 im Wesentlichen gestützt auf die Angaben der Klägerin mitteilt, bei der Klägerin liege eine rezidivierende depressive Störung, mittelgradiger Episode und eine Lumbalgie vor, weicht diese Diagnose ebenfalls nicht von derjenigen ab, die bereits die die Klägerin behandelnde Ärztin L2 gestellt hat. Insoweit hat E2 in ihrem Gutachten für den Senat nachvollziehbar eine abweichende Leistungseinschätzung getroffen.

Aus dem Notfallbericht der L3 vom 10.03.2023 geht hervor, dass die Klägerin am 10.03.2023 dort wegen Unterbauchschmerzen notfallmäßig behandelt wurde. Ausweislich des Berichts bestand laborchemisch keine Infektkonstellation, der Urinstatus war unauffällig, das Röntgen-LWS zeigte multisegmental degenerative Skelettveränderungen sowie eine Facettengelenkarthrose. Die Klägerin sei kreislaufstabil gewesen. Als Schmerztherapie habe die Klägerin 2,5 g Novaminsulfon ohne wesentliche Besserung erhalten. Die Klinik ging im Zusammenhang der gesamten Befundkonstellation von degenerativen Skelettveränderungen als Ursache für die Schmerzsymptomatik aus. Bei Progredienz der Schmerzsymptomatik sei die Durchführung eines MRT-LWS empfohlen worden. Der weitere Verlauf hat sich dann aber – so im Bericht weiter – komplikationslos gestaltet, so dass die Klägerin noch am gleichen Tag mit stabilem Kreislauf nach Hause entlassen werden konnte. Eine dauerhafte Leistungseinschränkung resultiert auch hieraus nicht.

Auch aus dem Befundbericht der K1 gehen keine Leistungseinschränkungen hervor, die zu einer quantitativen Leistungsminderung der Klägerin auf ein unter sechsstündiges Maß führen. Im Bericht vom 20.02.2023 werden als Diagnosen eine Karzinomvorsorge, eine atrophe Kolpitis, Hitzewallungen, Unterbauchschmerzen, eine Ovarialzyste, ein Lumbago sowie endogene Depressionen genannt. Es wird berichtet, dass am 20.02.2023 die Unterbauchschmerzen besser geworden seien, sie würden seit zwei Wochen kommen und gehen. Es bestehe kein Fieber, der Stuhlgang sei regelmäßig, es bestehe kein Erbrechen, Schmerzen beim Wasserlassen werden verneint, auch bestehe kein häufiger Harndrang, kein Juckreiz, eher brennende Schmerzen an den Schamlippen, es bestehe keine Ovulationen mehr, da die Versicherte postmenopausal sei. Es sei ein Mammographie-Screening diese Woche geplant. Die Gynäkologin konnte keine Ursache für die Unterbauchschmerzen feststellen. Im Hinblick auf die Schilderung der Klägerin, es sei eine Besserung eingetreten, ergaben sich auch diesbezüglich jedoch keine Hinweise für eine dauerhafte Leistungseinschränkung.

Soweit die Hausärztin der Klägerin, die A1, in ihrem Befundbericht vom 17.03.2023 ausführt, es bestehe eine depressive sowie eine Angststörung, welche durch Mobbingerfahrung im Bereich des Arbeitsplatzes verstärkt worden sei, die Klägerin befinde sich seit Jahren durchgehend in neurologisch-psychiatrischer Behandlung, auch von Seiten der Facharztkollegen sei sie als nicht mehr arbeitsfähig eingestuft, auf dem normalen Arbeitsmarkt nicht mehr vermittelbar, sie habe Rehabilitationsmaßnahmen durchlaufen, leider ohne anhaltende Besserung der Beschwerden, wegen chronischer Lumbalgien sei die Klägerin auch aus orthopädischer Sicht nicht mehr in der Lage, an den Arbeitsplatz zurückzukehren und es liege bei der Klägerin eine verminderte Stressresistenz sowie eine erhöhte Erschöpfbarkeit sowie verminderte Konzentrationsfähigkeit vor, äußert sie sich fachfremd. Ihrer Einschätzung ist im Hinblick auf die vorliegenden orthopädischen und neurologisch-psychiatrischen Leistungseinschätzungen keine ausschlaggebende Bedeutung beizumessen, die eine überdauernde quantitative Leistungsminderung begründen könnten.

Eine Leistungseinschränkung lässt sich schließlich auch nicht auf die Ausführungen des W1 stützen. Er berichtet über akute Diagnosen, aus denen keine dauerhafte Leistungseinschränkung resultiert.

Eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung lagen ebenfalls nicht vor. Zwar wirkt, wie oben dargelegt, grundsätzlich nur eine Einschränkung der Leistungsfähigkeit in zeitlicher Hinsicht rentenbegründend, jedoch kann unter dem Gesichtspunkt des Vorliegens einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder einer spezifischen Leistungsbehinderung das Erfordernis resultieren, den Versicherten eine konkrete Verweisungstätigkeit zu benennen (vgl. BSG, Urteile vom 11.12.2019 - B 13 R 7/18 R-, vom 24.02.1999 - B 5 RJ 30/98 R - und vom 11.05.1999 - B 13 RJ 71/97 R -, jeweils in juris). Abzustellen ist insoweit darauf, ob das Restleistungsvermögen dem Versicherten typische Verrichtungen wie z.B. Zureichen, Abnehmen, leichte Reinigungsarbeiten ohne Zwangshaltungen, Kleben, Sortieren, Verpacken und Zusammensetzen von Teilen ermöglicht (vgl. die Aufzählungen in dem Beschluss des Großen Senats des BSG vom 19.12.1996 - GS 2/795 -; in der Anwendbarkeit auf die aktuelle Rechtslage bestätigt im Urteil des BSG vom 19.10.2011 - B 13 R 78/09 R - und auch im Urteil vom 11.12.2019 - B 13 R 7/18 R -, alle in juris). Dieser Kern an typischen körperlichen Verrichtungen ist nach der Rechtsprechung des BSG nicht überholt. Die Aufzählung der Arbeitsfelder und Verrichtungen ist nicht abschließend; sie kann etwa um einfache Büro- oder Montagetätigkeiten und im Hinblick auf die zunehmende Automatisierung von Prozessen auch z.B. um Verrichtungen wie das Messen, Prüfen, Überwachen und die (Qualitäts-)Kontrolle von Produktionsvorgängen erweitert werden (BSG, Urteil vom 11.12.2019 – a.a.O.). Davon, dass die Klägerin solche Tätigkeiten nicht mehr verrichten kann, ist der Senat nicht überzeugt.

Der Senat ist darüber hinaus nicht davon überzeugt, dass ein Katalog- oder Seltenheitsfall, der zu einer Verschlossenheit des allgemeinen Arbeitsmarktes führen könnte, vorliegt. Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass eine Verweisung auf die verbleibende Erwerbsfähigkeit nur möglich ist, wenn nicht nur die theoretische Möglichkeit besteht, einen Arbeitsplatz zu erhalten. Der Arbeitsmarkt gilt in Ermangelung einer praktischen Einsatzfähigkeit nach der Rechtsprechung des BSG abschließend als verschlossen, wenn der Versicherte nicht unter den in den Betrieben üblichen Bedingungen arbeiten kann, der Versicherte entsprechende Arbeitsplätze aus gesundheitlichen Gründen nicht aufsuchen kann, der Versicherte nur in Teilbereichen eines Tätigkeitsfeldes eingesetzt werden kann, die in Betracht kommenden Tätigkeiten auf Arbeitsplätzen ausgeübt werden, die als Schonarbeitsplätze nicht an Betriebsfremde vergeben werden, die in Betracht kommenden Tätigkeiten auf Arbeitsplätzen ausgeübt werden, die an Betriebsfremde nicht vergeben werden, die in Betracht kommenden Tätigkeiten auf Arbeitsplätzen ausgeübt werden, die als Aufstiegspositionen nicht an Betriebsfremde vergeben werden oder entsprechende Arbeitsplätze nur in ganz geringer Zahl vorkommen.

Keine der genannten Fallkonstellationen ist hier gegeben.

Die Wegefähigkeit ist ebenfalls gegeben. Die Klägerin war jedenfalls im streitigen Zeitraum in der Lage, täglich viermal eine Wegstrecke von 500 Metern innerhalb von jeweils 20 Minuten zu Fuß zurückzulegen sowie öffentliche Verkehrsmittel zu Hauptverkehrszeiten zweimal am Tag zu benutzen. Dies geht nachvollziehbar aus den Gutachten hervor. Die dort erhobenen Befunde haben keine Einschränkung der Wegefähigkeit erbracht. Insbesondere hat der die Klägerin behandelnde S2 ausdrücklich die Wegefähigkeit bestätigt.

Aus der Anerkennung eines GdB folgt ebenfalls nicht, dass die Klägerin erwerbsgemindert wäre. Zwischen der Schwerbehinderung nach dem Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) und der Erwerbsminderung nach dem SGB VI besteht keine Wechselwirkung, da die gesetzlichen Voraussetzungen unterschiedlich sind (BSG, Beschluss vom 08.08.2001 - B 9 SB 5/01 B -, in juris, Rn. 5; BSG, Beschluss vom 09.12.1987 - 5b BJ 156/87 -, in juris, Rn. 3). Für die Erwerbsminderung nach § 43 SGB VI sind die Erwerbsmöglichkeiten des Betroffenen maßgeblich, während § 152 Abs. 1 Satz 5 SGB IX (in der seit 01.01.2018 geltenden Fassung des Art. 1 Gesetz zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen [BTHG] vom 23.12.2016 [BGBL. I, S. 3234]) auf die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft abstellt (zuvor § 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX in der bis zum 14.01.2015 geltenden Fassung und § 159 Abs. 7 SGB IX in der seit dem 15.01.2015 geltenden Fassung, eingefügt durch Art. 1a Nr. 3 Gesetz zum Vorschlag für einen Beschluss des Rates über einen Dreigliedrigen Sozialgipfel für Wachstum und Beschäftigung und zur Aufhebung des Beschlusses 2003/174/EG vom 07.01.2015 [BGBl. II, S. 15], die auf die abstrakten Maßstäbe des § 30 Abs. 1 Bundesversorgungsgesetz (BVG) verwiesen; vgl. BSG, Beschluss vom 08.08.2001 - B 9 SB 5/01 B -, in juris, Rn. 5; BSG, Beschluss vom 09.12.1987 - 5b BJ 156/87 -, in juris, Rn. 3).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG).




 

Rechtskraft
Aus
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