L 8 SO 155/22

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Sozialhilfe
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 19 SO 104/21
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 8 SO 155/22
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

1. Ein zulässiges Rechtsschutzbegehren setzt voraus, dass im Verfahren auch die Anschrift des Rechtssuchenden - als Teil der Bezeichnung des Klägers - genannt wird. Dazu gehört die Angabe des Wohnsitzes bzw. Aufenthalts- oder Beschäftigunsortes des Rechtssuchenden. Die Anschrift "postlagernd" genügt grundsätzlich nicht.
2. Die Angabe kann ausnahmsweise entbehrlich sein, wenn besondere, dem Geicht mitgeteilte Gründe dies rechtfertigen.

 

I. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Augsburg vom 28. April 2022 wird verworfen.

II. Außergerichtliche Kosten für das Berufungsverfahren sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.


T a t b e s t a n d :

Die Klägerin begehrt verschiedene Feststellungen im Zusammenhang mit den vom Beklagten nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) anerkannten Kosten für Unterkunft und Heizung.

Die 1947 geborene Klägerin bezog in der Zeit vom 17.01.2006 bis 31.12.2012 Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) vom Jobcenter L. Seit Januar 2013 erhält sie eine Altersrente in Höhe von rund 500 € monatlich. Mit Bescheid vom 14.02.2013 bewilligte der Beklagte ergänzende Leistungen der Grundsicherung im Alter nach dem Vierten Kapitel des SGB XII für die Zeit vom 01.01.2013 bis zum 31.12.2013. Wegen der Höhe der bei der Leistungsberechnung jeweils anerkannten Aufwendungen für Unterkunft und Heizung für ihre Wohnung in L führte die Klägerin mehrere Rechtsstreite vor dem Sozialgericht Augsburg (SG) und dem Bayer. Landessozialgericht (LSG).

Zum 01.08.2013 zog die Klägerin nach S in den Landkreis L. Mit Schreiben vom 02.12.2013 wies der Beklagte die Klägerin auf das bevorstehende Ende des Bewilligungszeitraums hin und forderte sie auf, einen Vordruck zur Überprüfung der Hilfebedürftigkeit auszufüllen und mit verschiedenen Nachweisen vorzulegen. Der Aufforderung kam die Klägerin nicht nach, weil sie der Auffassung war, dass sie keinen Folgeantrag stellen müsse. Im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes erhielt die Klägerin noch für die Zeit vom 01.01.2014 bis zum 30.04.2014 Leistungen in der bisherigen Höhe (Beschluss des Senats vom 20.03.2014 - L 8 SO 35/14 B ER). Nachdem die Klägerin jedoch auch einer weiteren Aufforderung zur Vorlage des ausgefüllten Vordrucks zur Überprüfung der Hilfebedürftigkeit nicht nachgekommen war, versagte der Beklagte mit Bescheid vom 22.04.2014 die Gewährung von Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung für die Zeit ab 01.05.2014. Klage und Berufung gegen den Versagungsbescheid vom 22.04.2014 blieben ohne Erfolg (Urteil des Senats vom 21.02.2017 - L 8 SO 115/15). Einen Antrag auf Prozesskostenhilfe für eine Nichtzulassungsbeschwerde lehnte das Bundessozialgericht (BSG) mit Beschluss vom 25.07.2017 ab (B 8 SO 16/17 BH).

Nach der Zwangsräumung ihrer Wohnung in S wurde die Klägerin am 21.02.2018 von Amts wegen nach unbekannt abgemeldet. Eine neue Anschrift hat sie weder dem Beklagten noch der Gemeinde S mitgeteilt. Abfragen im Bayerischen Behördeninformationssystem (BayBis) - zuletzt am 28.11.2022 - ergaben ebenfalls keine weiteren Erkenntnisse. Nach ihren eigenen Angaben ist die Klägerin wohnungslos. Ihre Post erhält sie durch Postlagerung.

Mit Schreiben vom 19.05.2021 - in welchem sie erstmals die Anschrift in der A Straße in L angab - beantragte die Klägerin verschiedene Auskünfte zu den vom Beklagten anerkannten Kosten für Unterkunft und Heizung; die aufgeworfenen Fragen beantwortete der Beklagte mit einem Schreiben vom 15.06.2021.

Gegen diese Auskunft des Beklagten vom 15.06.2021 hat die Klägerin am 21.07.2021 Klage zum SG erhoben mit den Anträgen (1.) festzustellen, dass der Beklagte über kein schlüssiges Konzept verfüge, um hieraus die Angemessenheit der Kosten der Unterkunft bestimmen zu können, (2.) festzustellen, dass die vom Beklagten als angemessen festgelegte Mietobergrenze in Höhe von 480 € bzw. 400 € auf Grund eines fehlenden schlüssigen Konzepts unkorrekt ermittelt worden sei sowie (3.) den Beklagten zu verurteilen, ihr Kosten der Unterkunft auf der Grundlage der Wohngeldtabelle plus eines Sicherheitszuschlags von 10% zu gewähren. Das LSG habe bereits in einem Urteil vom 25.06.2015 (L 7 AS 852/12) festgestellt, dass das vom Beklagten genannte Konzept der Firma E nicht den Anforderungen des BSG zur Erstellung eines schlüssigen Konzepts entspreche. Da die festgelegten Mietobergrenzen rechtswidrig bestimmt worden und daher nicht anwendbar seien, sei ihr als Richtwert bei der Wohnungssuche der Tabellenwert der Wohngeldtabelle plus Sicherheitszuschlags von 10 % entsprechend der Rechtsprechung des BSG zu gewähren. Im Rahmen der so festgelegten Bruttokaltmiete könne sie in absehbarer Zeit voraussichtlich eine Unterkunft in L beziehen und dadurch ihre Wohnungslosigkeit beenden. Erst mit Bezug der Unterkunft würden die zwingenden Voraussetzungen für die Gewährung von Grundsicherung im Alter erfüllt.

Das SG hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 28.04.2022 als unzulässig verworfen. Für die Feststellung, dass der Beklagte derzeit kein schlüssiges Mietkonzept habe, fehle es am Rechtschutzbedürfnis unabhängig davon, ob man diese Klage als Normenkontrollklage oder als Feststellungsklage betrachte. Seit 28.03.2020 gelte für Bewilligungszeiträume mit Beginn zwischen dem 01.03.2020 und dem 31.12.2022 eine Übergangsregelung aus Anlass der COVID-19-Pandemie, wonach abweichend von § 35 und § 42a SGB XII für sechs Monate die tatsächlichen Kosten als angemessen gälten. Die Frage, ob ein schlüssiges Konzept vorliege, sei damit vorübergehend irrelevant. Es gebe also keinerlei Bedarf für eine diesbezügliche Feststellung. Daraus folge auch, dass für die von der Klägerin begehrte Feststellung, die vom Beklagten als angemessen festgelegten Mietobergrenzen seien aufgrund eines fehlenden Konzepts unkorrekt, kein Bedürfnis bestehe. Darüber hinaus habe die Klägerin keine konkrete Wohnung in Aussicht, für welche die von ihr begehrten Feststellungen getroffen werden könnten.

Dagegen hat die Klägerin Berufung beim Bayer. Landessozialgericht (LSG) eingelegt. Die Berufung sei unzulässig, weil der Streitwert unterhalb des Mindestbetrags von 750 € liege. Sie habe deshalb beim SG mündliche Verhandlung beantragt. Eine Nachfrage der Berichterstatterin, was genau sie mir ihrer Berufung erreichen wolle, ist unbeantwortet geblieben.

Die Klägerin ist zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 13.07.2023 nicht persönlich erschienen, sondern hat Herrn A gemäß § 202 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) i.V.m. § 141 Abs. 3 der Zivilprozessordnung (ZPO) bevollmächtigt. Dieser hat auf Nachfrage angegeben, dass sich die Klägerin in Deutschland aufhalte. Weitere Angaben wolle er nicht machen. Maßgeblich sei der letzte melderechtliche Wohnsitz der Klägerin in S.

Ein Antrag ist in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich nicht gestellt worden.

Der Beklagte beantragt,
   die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.

Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf die vorgelegten Behördenakten sowie die Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.


E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

Die Berufung ist unzulässig und deshalb zu verwerfen. Die Klägerin hat weder eine Wohnanschrift angegeben noch ist sie bereit, dem Gericht ihren tatsächlichen Aufenthaltsort mitzuteilen.

Nach § 153 Abs. 1, § 90 SGG ist eine Klage schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle bei dem zuständigen Gericht zu erheben. Das Ersuchen um Rechtsschutz soll gemäß § 92 Abs. 1 SGG u.a. die Beteiligten bezeichnen und vom Kläger oder einer zu seiner Vertretung befugten Person mit Orts- und Tagesangabe unterzeichnet sein. Ein zulässiges Rechtsschutzbegehren setzt voraus, dass im Verfahren auch die Anschrift des Rechtsuchenden - als Teil der Bezeichnung des Klägers - genannt wird (BSG vom 18.11.2003 - B 1 KR 1/02 S - juris). Der Angabe des Wohnsitzes bzw. Aufenthalts- oder Beschäftigungsortes des Rechtssuchenden bedarf es bereits deshalb, um die örtliche Zuständigkeit des Gerichts feststellen zu können und damit ein Tätigwerden des zuständigen gesetzlichen Richters zu gewährleisten, ferner, um die rechtswirksame Zustellung gerichtlicher Anordnungen und Entscheidungen bewirken zu können (LSG Berlin-Brandenburg vom 21.02.2013 - L 3 R 879/10 - juris Rn. 28). Ausnahmsweise kann wegen des Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz die Angabe entbehrlich sein, wenn besondere, dem Gericht mitgeteilte Gründe dies rechtfertigen, insbesondere Obdachlosigkeit oder ein schutzwürdiges Geheimhaltungsinteresse (BSG vom 18.11.2003, aaO., Rn. 8; Schmidt in Meyer-Ladewig/ Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl., § 92 Rn. 4 m.w.N.).

Das Gericht kann vorliegend nicht feststellen, wo die Klägerin seit der Klageerhebung wohnte oder wo sie sich derzeit aufhält. Die Anschrift "postlagernd" genügt nicht. Dies auch deshalb, weil aus den Gerichtsakten hervorgeht, dass die Klägerin Zustellungen per Einschreiben/Rückschein regelmäßig nicht selbst bei der Postfiliale abholt, sondern diese von A abgeholt werden.

Die Klägerin, die seit dem Verlust ihrer Wohnung in S nicht mehr amtlich gemeldet ist, hat gegenüber dem Gericht lediglich wiederholt vorgetragen, dass sie wohnsitzlos sei. Nähere Angaben zu ihrem tatsächlichen Aufenthalt und zu den Umständen ihrer Wohnungslosigkeit wollte und will die Klägerin nicht machen. An einer Obdachlosigkeit der Klägerin bestehen jedoch erhebliche Zweifel: Die Klägerin hat ihre Wohnung in S bereits im Februar 2018 verloren; seither hat sie weder beim Beklagten vorgesprochen noch ist sie in einem Obdachlosenhilfesystem im Landkreis L aufgetaucht. Zu den Umständen, wo und wie sie lebt, macht die Klägerin keine Angaben. Sie ist jedoch im Hinblick auf die Begründung einer Ausnahme vom Erfordernis der Angabe einer Wohnanschrift darlegungspflichtig. Allein die Angabe, wohnsitzlos zu sein, reicht dafür nicht aus. Zuletzt in der mündlichen Verhandlung hat der von der Klägerin entsandte und bevollmächtigte Vertreter Angaben zum tatsächlichen Aufenthalt der Klägerin ausdrücklich verweigert.

Daher kommt es nicht mehr darauf an, dass die Klägerin selbst davon ausgeht, dass die Berufung ohnehin nicht zulässig ist, weil der Beschwerdewert von 750 € (vgl. § 144 Abs. 1 Satz 1 SGG) nicht überschritten werde. Ausgehend von dem von der Klägerin beim SG gestellten Antrag wäre die Berufung auch ohne Zulassung statthaft. Gegenstand des erstinstanzlichen Verfahrens war die Feststellung der Angemessenheit der vom Beklagten festgelegten Mietobergrenzen sowie eine Zusicherung künftiger Leistungen für Unterkunft und Heizung. Gemäß § 3 ZPO wird der Wert des Streitgegenstandes vom Gericht nach freiem Ermessen festgesetzt, das unter Zuhilfenahme aller Anhaltspunkte und Erkenntnisquellen auszuüben ist (Littmann in Berchtold, SGG, 6. Aufl., § 144 Rn. 10). Maßgebend ist das wirtschaftliche Interesse der Klägerin an ihrer Klage. Dieses wirtschaftliche Interesse bezieht sich vorliegend auf die Berücksichtigung von Unterkunftskosten in bestimmter Höhe im Rahmen einer künftigen Bewilligung von Leistungen nach dem Vierten Kapitel des SGB XII. Da die Klägerin jedoch auf die Nachfrage des Gerichts nicht reagiert und auch in der mündlichen Verhandlung keinen Antrag gestellt hat, ist entsprechend ihrem schriftsätzlichen Vorbringen davon auszugehen, dass der Wert ihrer Beschwer 750 € nicht übersteigt.

Die Berufung ist deshalb als unzulässig zu verwerfen.

Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 183, 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.

 

Rechtskraft
Aus
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