S 18 R 187/20

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Detmold (NRW)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
18.
1. Instanz
SG Detmold (NRW)
Aktenzeichen
S 18 R 187/20
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 4 R 339/22
Datum
-
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Klage wird abgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

 

Tatbestand:

Der Kläger begehrt eine Rente wegen Erwerbsminderung nach dem Sozialgesetzbuch Sechstes Buch- Gesetzliche Rentenversicherung (SGB VI).

Der am 00.00.0000 geborene Kläger verfügt über keine abgeschlossene Berufsausbildung. Er war bis 2016 in der Warenlogistik als Kommissionierer tätig.

Der Kläger stellte am 14.03.2018 einen Antrag auf Bewilligung einer Rente wegen Erwerbsminderung.

Zur Feststellung des Leistungsvermögens zog die Beklagte Befundberichte der behandelnden Ärzte bei und beauftragte ein Gutachten durch Dr. med. von W., Facharzt für Neurochirurgie (Gutachten vom 13.03.2019). Der Sachverständige stellte die Diagnosen chronische Lumbalgien und cervicales Wurzelreizsyndrom. Hinsichtlich des sozialmedizinischen Leistungsvermögens stellte er fest, dass der Kläger in der Lage sei, leichte bis mittelschwere Tätigkeiten mit weiteren qualitativen Einschränkungen vollschichtig auszuführen.

Die Beklagte lehnte den Antrag sodann mit Bescheid vom 24.06.2019 ab. Zur Begründung führte sie aus, dass die Einschränkungen, die sich aus den Erkrankungen ergäben, nicht zu einem Anspruch auf eine Rente wegen Erwerbsminderung führen würden. Nach der medizinischen Beurteilung könne der Kläger noch mindestens sechs Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes tätig sein.

Gegen den ablehnenden Bescheid legte der Kläger am 17.07.2019 Widerspruch ein und begründete diesen damit, dass seine gesundheitlichen Einschränkungen nicht hinreichend berücksichtigt und der Sachverhalt nicht vollständig aufgeklärt worden sei. Er würde an folgenden Erkrankungen leiden: Spondylarthrose LWS-Bereich, chronische Schmerzstörung, lumbale und sonstige Bandscheibenschäden. Diese Diagnosen sowie die Einschätzung eines unter dreistündigen Leistungsvermögens würden sich aus dem Attest von Dr. V., Facharzt für Allgemeinmedizin, vom 28.02.2018 ergeben. Die von der Beklagten eingeholten Befundberichte würden die genannten Erkrankungen bestätigen. Insbesondere die Bandscheibenvorfälle seien nicht ausreichend berücksichtigt worden.

Im Widerspruchsverfahren holte die Beklagte eine Stellungnahme der Abteilung Sozialmedizin ein.

Daraufhin wurde der Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 09.10.2020 zurückgewiesen. Zur Begründung führte die Beklagte aus, dass das Vorbringen zum Widerspruch zu keiner Änderung der bisherigen Feststellungen führen würde, denn die medizinischen Unterlagen enthielten nach Auffassung der Abteilung Sozialmedizin keine neuen Befunde, die zu einer anderen Leistungsbeurteilung führen würden. Weitere medizinische Ermittlungen seien nicht erforderlich, weil bereits ein ausführliches Fachgutachten erstellt worden sei.

Hiergegen hat der Kläger am 17.01.2020 Klage erhoben. Zur Begründung wiederholt er das Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren

Der Kläger beantragt,

den Bescheid vom 24.06.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.10.2020 und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger eine Rente wegen Erwerbsminderung ab Antragstellung nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

              die Klage abzuweisen.

Die Beklagte verteidigt die angefochtenen Bescheide, die sie für rechtmäßig hält. Der Kläger habe keinen Anspruch auf eine Rente wegen Erwerbsminderung, da er die medizinischen Voraussetzungen nicht erfülle.

Das Gericht hat Befundberichte der behandelnden Ärzte beigezogen und Beweis erhoben durch Einholung eines orthopädischen Gutachtens von Herrn Dr. med. L. F., Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie (Gutachten vom 24.08.2021)

Der Sachverständige hat die Diagnosen myostatische Haltungsinsuffizienz sowie muskulär-statische Lendenbeckeninsuffizienz bei ausgeprägter Übergewichtigkeit, multisegmentale degenerative Veränderungen von Bandscheiben und Zwischenwirbelgelenken an Halswirbelsäule und Lendenwirbelsäule und chronisches myofasziales Schmerzsyndrom lumbal gestellt.

Aufgrund dieser Erkrankungen seien noch körperlich leichte bis mittelschwere Arbeiten, mit häufigem Tragen und Heben von Lasten von 10kg bis max. 15kg, Arbeiten im Stehen, Gehen und Sitzen mit der Möglichkeit zum Haltungswechsel, Arbeiten in zeitweilig gebückter Haltung, mit zeitweiligem Bücken, gelegentlichem Knien und gelegentlichen Zwangshaltungen ohne Besteigen von Leitern und Gerüsten möglich. Keine Einschränkungen bestünden für Arbeiten im Freien, Arbeiten unter Einwirkung von Hitze, Staub, Gas, Dampf oder Rauch, für Arbeiten unter Zeitdruck oder sonstigen Stress oder Arbeiten mit häufigem Publikumsverkehr. Der Kläger könne eine Tätigkeit im Rahmen einer üblichen Arbeitswoche vollschichtig ausüben. Weiter stellte der Sachverständige fest, dass die Gehfähigkeit nicht deutlich eingeschränkt sei. Der Gehtest habe mit Pausen nach 18,03 Minuten mit einer Gehstrecke von 500m beendet werden können. Der Kläger gehe am Rollator, etwas langsam und kleinschrittig. Ein Hinweis auf Atemnot habe es aber nicht gegeben. Der Kläger habe sich problemlos beim Gehen unterhalten können.

Gegen das Gutachten wandte der Kläger hinsichtlich der Wegefähigkeit ein, dass Anstrengungen unzumutbar seien, die – auch unter  Verwendung von Hilfsmitteln - zu Schmerzen oder zu einer Gefährdung der Gesundheit führen würden. In diesem Zusammenhang verwies der Kläger auf Seite 5 des Gutachtens von Dr. med F., wo er beschrieb, dass er seit ca. 2013/2014 bestehende Schmerzen vornehmlich an der Lendenwirbelsäule habe, die beim längeren Sitzen, Stehen und Gehen auftreten würden. Als Schmerzmedikamentation sei bis zu zweimal täglich die Einnahme des Präparates Hydromorphon 8 mg angezeigt. Dieses Medikament sei ausschließlich bei starken Schmerzen indiziert. Weiter erschließe sich nicht, weshalb der Sachverständige einerseits „Schmerzauslösungen in Belastungssituationen wie der Vorbeuge“ beschreibe und andererseits Arbeiten in zeitweilig vorgebeugter Haltung empfehlen würden. Schließlich sei auch die Haltungsinsuffizienz als Funktionseinschränkung der Wirbelsäule im Gutachten nicht angemessen beurteilt worden.

Das Gericht hat sodann eine ergänzende Stellungnahme des Sachverständigen Dr. F. (ergänz. Stn vom 07.12.2021) eingeholt. Hier wies der Sachverständige darauf hin, dass reine Beschwerdeäußerungen des Klägers, der Hinweis auf die Einnahme von Schmerzmitteln bzw. auch der Hinwies auf einzelne Untersuchungsbefunde und Funktionstests nicht zu der Annahme einer Aufhebung des Leistungsvermögens führen würden. Bei der Begutachtung von Gesundheitsstörungen auf orthopädischem Fachgebiet stehe die Funktion im Vordergrund und müsse für einzelne Gelenke oder Bewegungsebenen bzw. für den gesamten Körper als Funktionseinheit beurteilt werden. Die Untersuchung setze sich immer aus Elementen, die der Mitwirkung des Klägers bedürfen, also einen geringeren Objektivitätsgrad besitzen und Elementen, die sich der Mitwirkung des Klägers entziehen würden, zusammen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der vorbezeichneten ergänzenden Stellungnahme vom 07.12.2021 verwiesen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet.

Der angefochtene Bescheid vom 24.06.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.10.2020 ist rechtmäßig und beschwert den Kläger nicht im Sinne von § 54 Abs. 2 S. 1 SGG. Der Kläger hat keinen Anspruch auf eine Rente wegen Erwerbsminderung.

Nach § 43 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie - neben den allgemeinen und besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen des § 43 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 und 3 SGB VI - voll erwerbsgemindert sind. Gemäß § 43 Abs. 2 S 2 SGB VI sind Versicherte voll erwerbsgemindert, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Über die (gesetzliche) Definition des Versicherungsfalles der vollen Erwerbsminderung hinaus sind auch die Versicherten voll erwerbsgemindert, die noch einer Erwerbstätigkeit von drei bis unter sechs Stunden täglich nachgehen können - und damit den Tatbestand der teilweisen Erwerbsminderung nach § 43 Abs. 1 S. 2 SGB VI erfüllen -, ihnen der Teilzeitarbeitsmarkt jedoch verschlossen ist; denn wie nach der bis zum 31.12.2000 geltenden Rechtslage ist die konkrete Arbeitsmarktsituation auch im Rahmen des § 43 SGB VI zu berücksichtigen. Nicht erwerbsgemindert sind gemäß § 43 Abs. 3 SGB VI hingegen Versicherte, die unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein können.

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze und des Ergebnisses der Beweisaufnahme steht für die Kammer fest, dass der Kläger weder voll noch teilweise erwerbsgemindert im Sinne des § 43 Abs. 1 und 2 SGB VI ist; denn er war noch in der Lage, einer Erwerbstätigkeit mindestens sechs Stunden pro Tag nachzugehen. Die Kammer folgt insoweit insbesondere den schlüssigen und überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Dr. med. F.. Als Facharzt für Orthopädie ist der Sachverständige in der Lage, die bei dem Kläger bestehenden Gesundheitsstörungen und daraus resultierenden Auswirkungen auf das Leistungsvermögen zutreffend festzustellen. Der Sachverständige ist aufgrund eingehender Untersuchung des Klägers und sorgfältiger Anamnese- und Befunderhebung unter Berücksichtigung der übrigen im Untersuchungszeitpunkt vorliegenden medizinischen Unterlagen zu seiner Beurteilung gelangt. Die Einschätzung des Restleistungsvermögens des Klägers ist vor dem Hintergrund der erhobenen Befunde schlüssig, in sich widerspruchsfrei und überzeugend.

Der Sachverständige Dr. med. F. führte insofern hinsichtlich der Erkrankungen an der Wirbelsäule aus, dass sich in der klinischen Untersuchung eine muskuläre Schwäche der Rumpfmuskulatur, myofasziale Schmerzauslösungen der seitlich der Lendenwirbelsäule liegenden Muskulatur und Schmerzauslösungen in Belastungssituationen wie der Vorbeuge gezeigt hätten. Es hätten sich klinisch keine Anzeichen für Nervenengen ergeben. Wesentliche strukturelle segmentale Entfaltungsstörungen lägen nicht vor. Weiter bestünden keine wesentlichen Bewegungseinschränkungen der Halswirbelsäule. In der Bildgebung würden sich Verschleißerscheinungen der Bandscheiben und Zwischenwirbelgelenken im unteren Abschnitt von Halswirbelsäule und Lendenwirbelsäule mit degenerativ bedingter Skoliose der Lendenwirbelsäule zeigen. Es würden aber keine wesentlichen Anzeichen für Nervenengen bestehen. Aus diesen Ausführungen wird ersichtlich, dass der Sachverständige sowohl die bestehenden Bandscheibenvorfälle als auch das Schmerzsyndrom gesehen und berücksichtigt hat. Solche gesundheitliche Beeinträchtigung, die zu der Annahme eines unter sechs stündigen Leistungsvermögens führen würden, kann die Kammer hieraus aber auch nach eigener Prüfung nicht feststellen.

Darüber hinaus führen die Einwände gegen die Wegefähigkeit nach Auffassung der Kammer nicht zu einer anderen Beurteilung derselben. Die Kammer ist davon – wie der Sachverständige Dr. med. F. - überzeugt, dass der Kläger in der Lage ist, vier Mal täglich eine Strecke von 500m zurückzulegen. Hier beschreibt der Sachverständige Dr. med. F. nämlich, dass das Gangbild am Rollator zwar kleinschrittig aber ohne wesentliches Hinken gewesen sei. In der dynamischen Fußdruckuntersuchung habe sich kein pathologischer Gangablauf gezeigt. Das Gleichgewichtsvermögen sei unter den gegebenen Umständen mit Gehen am Rollator klinisch wie messtechnisch noch als durchschnittlich zu bezeichnen. 500 m Gehstrecke habe der Kläger am Rollator mit Pausen in 18 Minuten absolviert können. Zudem weist der Sachverständige richtigerweise darauf hin, dass der Gehtest auch auf die Mitwirkung des Klägers angewiesen und nicht als objektives Testverfahren anzusehen sei. Insgesamt habe der Test gezeigt, dass der Kläger auf zwei Beinen, hier am Rollator, mobilisierungsfähig gewesen sei. Auch die Tatsache, dass Pausen hätten eingelegt werden müssen, spreche aus funktionellen Gesichtspunkten nicht gegen die Möglichkeit, die entsprechende Gehstrecke von 500m vier Mal am Tag zurückzulegen. Zur Überzeugung der Kammer steht auch nicht fest, dass das Absolvieren der Gehstrecke mit unzumutbaren Schmerzen für den Kläger verbunden ist. Hierzu führt der Sachverständige aus, dass sich aus dem Untersuchungsbefund an den Extremitäten und der Wirbelsäule, auch bei Vorliegen von degenerativen Veränderungen an der Wirbelsäule (ohne wesentliche strukturelle Gefügestörungen oder Versteifungen), die Schmerzen auslösen könnten, keine funktionellen Aspekte ergeben würden, die gegen die Gehfähigkeit sprechen würden. Auch führe die Absolvierung dieser Gehstrecke, selbst bei Schmerzauslösungen, zu keiner Gefährdung der Gesundheit des Klägers. Es bestünden keine strukturellen Veränderungen an Rumpf oder Extremitäten, die durch das Gehen oder die beschriebenen Belastungen im Rahmen des Leistungsvermögens Schaden nehmen würden. Es bestünden weder auffällige Muskelminderungen, Kontrakturen oder Instabilitäten sowie keine akuten Nervenreizzeichen oder Anzeichen für klinisch relevante Nervenengen.

Schließlich stimmt die Kammer mit dem Sachverständigen überein, als das reine Beschwerdeäußerungen, der Hinwies auf die Einnahme von Schmerzmitteln bzw. der Hinweis auf einzelne Untersuchungsbefunde und Funktionstest nicht zu einer Aufhebung des Leistungsvermögens führen können. Insofern verweist der Sachverständige nachvollziehbar und schlüssig darauf, dass bei der Begutachtung von Gesundheitsstörungen auf orthopädischem Fachgebiet die Funktion im Vordergrund stehe und diese für einzelne Gelenke oder Bewegungsebenen, schlussendlich aber für den gesamten Körper als Funktionseinheit beurteilt werden müsse. Die Untersuchung setze sich immer aus Elementen, die der Mitwirkung des Klägers bedürfen also einen geringeren Objektivitätsgrad besitze und Elementen, die sich der Mitwirkung des Klägers entziehen würden zusammen. Die reine Beschwerdeschilderung führe noch zu keiner Einschränkung des Leistungsvermögens. Auf die Einnahme von Schmerzmitteln führe im orthopädischen Fachgebiet auch bei der Einnahme von Opiaten in der Regel nicht zu einer Einschränkung des Leistungsvermögens.

Ausgehend von den in dem Gutachten aufgeführten Gesundheitsstörungen war der Kläger zur Überzeugung der Kammer folglich noch in der Lage, körperlich leichte bis mittelschwere Tätigkeiten mit den weiteren von dem Sachverständigen befürworteten qualitativen Einschränkungen mindestens sechs Stunden täglich an fünf Tagen in der Woche zu verrichten. Zweifel daran, dass der Kläger in der Lage ist, dieses Restleistungsvermögen unter den Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes zu verwerten, hat die Kammer nicht. Der Kläger ist damit weder voll noch teilweise erwerbsgemindert. Die Klage hat keinen Erfolg.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.

Rechtskraft
Aus
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