L 3 SB 3164/23

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Schwerbehindertenrecht
Abteilung
3.
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 8 SB 771/22
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 SB 3164/23
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

1. Die in den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen (VG) zur Bestimmung des Grades der Behinderung (GdB) für einen Morbus Crohn aufgeführten Auswirkungen stellen lediglich Regelbeispiele dar, die weder kumulativ vorliegen müssen noch abschließend sind (Anschluss an LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 13.06.2014 - L 13 SB 371/13 und Sächsisches LSG, Urteil vom 25.05.2005, L 6 SB 55/04). Auch in den Regelbeispielen nicht explizit aufgeführte Beeinträchtigungen durch den Morbus Crohn können bei der Bemessung des GdB berücksichtigt werden.
2. Kann bei Vorliegen eines Morbus Crohn eine Beeinträchtigung des Kräfte- und Ernährungszustandes nicht festgestellt werden, führt dies nicht ausnahmslos dazu, dass maximal ein GdB von 40 angenommen werden kann (Anschluss an Bayerisches LSG, Urteil vom 25.04.2018, L 2 SB 199/17) .

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 27.09.2023 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte hat dem Kläger auch seine außergerichtlichen Kosten für das Berufungsverfahren zu erstatten.



Tatbestand

Der Kläger begehrt eine höhere Bemessung des Grades der Behinderung (GdB) im Wege der Erstfeststellung.

Der im Jahre 1979 geborene Kläger beantragte am 16.02.2021 erstmals die Feststellung des GdB wegen einer chronisch-entzündlichen Darmerkrankung (Morbus Crohn). Zur Begründung seines Antrags führte der Kläger insbesondere an, er leide unter einer eingeschränkten Leistungsfähigkeit mit Tagesmüdigkeit und einer generell gestörten Verdauung mit mindestens dreimal wässrigem Durchfall am Tag verbunden mit akutem Stuhldrang sowie Krämpfen und Bauchschmerzen. Zudem würden bei ihm rezidivierend Stenosen vorliegen, aufgrund derer er sich im Oktober 2010 und April 2019 bereits Operationen unterzogen habe. Wegen der Stenosen sowie der bei ihm vorhandenen Subileus-Zuständen sei er in der Auswahl der Lebensmittel sehr eingeschränkt und müsse auf ballaststoffreiche, faserhaltige Lebensmittel verzichten. Ca. einmal im Jahr führe er eine Cortisonstoßtherapie über einen Zeitraum von drei Monaten durch, um die Erkrankung einigermaßen im Griff zu halten. Die klassische Medikation bei chronisch entzündlichen Darmerkrankungen sei ohne Wirkung gewesen oder er habe sie nicht vertragen. Seinem Antrag fügte der Kläger einen Arztbrief des V1 aus Januar 2017, des Assistenzarztes H1 (Universitätsklinikum T1 – Abteilung Innere Medizin) aus Mai 2018 über einen notfallmäßigen stationären Aufenthalt in der Zeit vom 03.05.2018 bis zum 04.05.2018 sowie einen Arztbrief des Assistenzarztes I1 (T2-krankenhaus und H2-Klinik GmbH) aus April 2019 über einen stationären Aufenthalt in der Zeit vom 03.04.2019 bis zum 10.04.2019 mit am 04.04.2019 durchgeführter Operation (laparoskopisch assistierte
Neo-Ileocoecalresektion, dreimalige Strukturplastik und Adhäsiolyse) bei.

Zur Ermittlung des medizinischen Sachverhalts bat das Landratsamt T1 S1 um Befundangabe zur Darmerkrankung, der daraufhin die ihm vorliegenden Befundunterlagen übersandte. Anschließend bat das Landratsamt T1 M1 um Befundangabe. Dieser teilte im Juni 2018 unter Einreichung der bei ihm vorliegenden Befundberichte mit, bei dem Kläger sei im Oktober 2010 eine Ileozökalresektion und im April 2019 eine Ileozökalresektion und Ileumsegmentresektion durchgeführt worden. Bei dem Kläger liege ein chronisch-entzündlicher stenosierender Verlauf vor. Es seien alle gängigen Präparate ausprobiert worden mit nicht ausreichender Wirkung oder Unverträglichkeit. Wegen der nächtlichen Darmbeschwerden sei der Schlaf gestört, es liege eine geringe psychische Belastbarkeit, besonders unter Cortison vor. Die Verdauung sei gestört mit mindestens dreimal täglich wässrigem Durchfall mit imperativem Stuhlgang. Eine Toilette müsse immer erreichbar sein. Die Auswahl an Lebensmitteln sei begrenzt wegen Durchfallbeschleunigung bzw. Stenose-Gefahr.

Mit Bescheid vom 02.08.2021 stellte das Landratsamt T1 bei dem Kläger einen GdB von 40 seit dem 01.01.2019 fest. Die Funktionseinschränkungen Morbus Crohn und Teilverlust des Dünndarms seien mit dem GdB von 40 angemessen bewertet. Die Gesundheitsstörungen Hypothyreose und Osteopenie würden keine Funktionsbeeinträchtigung bzw. keinen Einzel-GdB von 10 bedingen und daher keine Behinderungen im Sinne des SGB IX darstellen.

Gegen den vorgenannten Bescheid legte der Kläger am 27.08.2021 Widerspruch ein, den er mit Schreiben vom 13.09.2021 näher begründete. Durch das Landratsamt T1 sei nicht ausreichend berücksichtigt worden, dass eine dauerhaft hohe entzündliche Krankheitsaktivität bestehe. Die anhaltende Schwere der Erkrankung zeige sich auch daran, dass ärztlicherseits erfolgte Therapieeskalationen zu keinem zufriedenstellenden Ergebnis geführt hätten. Es liege ein stenosierender Verlauf der Erkrankung vor. Aufgrund weiterhin bestehender Engstellen im Dünndarm komme es vor allem nachts zu ausgeprägten, schlafstörenden Darmgeräuschen, Blähungen, Bauchdruck bzw. Völlegefühl und abhängig von der Ernährung zu schmerzhaften Krämpfen. Zur Vermeidung der Bauchkrämpfe sei eine sehr eingeschränkte Ernährung (Schonkost) notwendig. Aufgrund der nächtlichen Probleme, der bestehenden chronisch-entzündlichen Aktivität und des eingeschränkten Ernährungszustandes bestehe eine erhebliche Einschränkung im Vergleich zu einer gesunden Alterskohorte. Schließlich leide er unter imperativem Stuhlgang drei- bis fünfmal täglich.

Den Widerspruch wies der Beklagte nach Einholung einer versorgungsärztlichen Stellungnahme mit dem Widerspruchsbescheid vom 08.04.2022 zurück. Der GdB für den Morbus Crohn berücksichtige bereits eine mittelschwere Auswirkung (häufig rezidivierende oder länger andauernde Beschwerden, eine geringe bis mittelschwere Beeinträchtigung des Kräfte- und Ernährungszustandes, häufige Durchfälle). Schwere Auswirkungen (anhaltende und häufig rezidivierende erhebliche Beschwerden, eine erhebliche Beeinträchtigung des Kräfte- und Ernährungszustandes sowie häufige, auch nächtliche Durchfälle) seien nicht dokumentiert. Auch habe der Gastroenterologe S1 nur ältere Berichte aus den Jahren 2017 und 2018 übersandt. Die von M1 überlassenen Fremdbefunde würden auch bereits aus dem Jahr 2019 stammen. Eine aktuelle fachärztliche Behandlung sei somit nicht dokumentiert.

Der Kläger hat am 25.04.2022 gegen den Bescheid vom 02.08.2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.04.2022 Klage zum Sozialgericht (SG) Reutlingen erhoben und begehrt, den Beklagten zu verpflichten, bei ihm einen GdB von mindestens 50 ab dem 01.01.2019 festzustellen. Bei ihm sei das Krankheitsbild des Morbus Crohn seit dem Jahr 2002 gesichert. Es habe mehrfache Stenosen mit operativen Revisionen gegeben und verschiedene medikamentöse Behandlungen seien durchgeführt worden, die allerdings zu keiner vollständigen Remission geführt hätten. Das Krankheitsbild stelle sich als chronisch entzündliche Darmerkrankung dar und verlaufe in Schüben. Daher würden einzelne erhobene Befunde oftmals nicht das tatsächliche Ausmaß des Leidenszustands zum Zeitpunkt der Untersuchung berücksichtigen. Nach den versorgungsmedizinischen Grundsätzen (VG) sei für eine chronisch entzündliche Darmerkrankung mit schweren Auswirkungen ein Einzel-GdB von 50 bis 60 anzusetzen, wobei umstritten sei, ob die benannten Beispiele alternativ oder kumulativ zu verstehen seien. Eine durch das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 13.06.2014 – L 13 SB 371/13) eingeholte Stellungnahme des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) habe allerdings empfohlen, keine kumulative Bewertung durchzuführen. Der Kläger hat die Epikrise des S1 vom 15.12.2021 zu den Akten gereicht und zum Gegenstand des Vortrags gemacht. Die jüngste Verschlechterung des Gesundheitszustands des Klägers sei hiervon allerdings noch nicht umfasst.

Das SG Reutlingen hat sodann zunächst die den Kläger behandelnden Ärzte schriftlich als sachverständige Zeugen vernommen.

Im August 2022 hat S1 unter Beifügung der ihm vorliegenden Befundunterlagen ausgesagt, bei dem Kläger bestehe eine chronische stenosierende, entzündliche Darmerkrankung insbesondere im Dünndarmbereich sowie eine chronische Eisenmangelanämie und dadurch bedingte starke Tagesmüdigkeit. Des Weiteren liege eine rezidivierende Subileussymptomatik und seit Monaten ein zunehmendes Cushing-Syndrom unter wechselnder Steroidtherapie vor. Der Kläger leide hauptsächlich unter den chronisch abdominellen Schmerzen vor allem auch nachts bei rezidivierender Subileussymptomatik sowie unter einer Tagesmüdigkeit bei Anämie. Darüber hinaus bestehe eine Konzentrationsschwierigkeit bei wechselnder Steroidtherapie und aufgrund eines imperativen Stuhldranges. Der Ernährungszustand sei eingeschränkt mit einem Body-Maß-Index (BMI) 21,5. Der Stuhlgang liege bei drei- bis fünfmal täglich von überwiegend flüssiger Konsistenz. Der Gesamtzustand habe sich insgesamt verschlechtert. Insbesondere aufgrund des Nichtansprechens auf verschiedene Therapien, der fehlenden Therapieoptionen sowie der langfristigen Steroidtheraphie sei es zu entsprechenden Nebenwirkungen und zu einem beginnenden Cushing-Syndrom gekommen. Hierunter sei der Kläger auch stark psychisch belastet. Der Kläger sei auf eine dauerhafte intravenöse Eisensubstitution (derzeit ca. alle sechs Wochen) sowie die intravenöse Gabe von verschiedenen Vitaminen angewiesen, um eine einigermaßen akzeptable Lebensqualität zu erreichen.

M1 hat im August 2022 erklärt, der Kläger leide unter einem schweren bis sehr schweren Mobus Crohn. Des Weiteren bestünden eine mittelschwere reaktive Depression, ein mittelschwerer Eisenmangel, eine geringfügige Hypothyreose sowie ständig erhöhte Entzündungswerte. Die versorgungsärztliche Einschätzung entspreche nicht dem Leidensdruck, der von Seiten des Klägers geschildert werde. Es lägen eine generell eingeschränkte Leistungsfähigkeit mit Unkonzentriertheit, Tagesmüdigkeit mitbedingt durch nächtliche Darmbeschwerden (Krämpfe, Blähungen) sowie eine Stenose-Neigung bzw. Subileussymptomatik und Bauchkrämpfe trotz Einschränkung der Nahrung vor. Ein Verzicht auf faserhaltiges Obst und Gemüse sei notwendig. Die Verdauung sei durchgehend gestört mit starken Blähungen und mit täglichem (teils auch nächtlichem) wässrigen Durchfall drei- bis fünfmal täglich mit akutem, imperativem Stuhldrang.

Das SG Reutlingen hat sodann den Arzt K1 zum gerichtlichen Sachverständigen ernannt. Dieser ist in seinem Gutachten vom 11.10.2022 zu der Einschätzung gelangt, dass der GdB des Klägers mit 40 angemessen bewertet sei. Die aktuellen Laborbefunde zeigten nur geringfügige entzündliche Abweichungen, was allerdings unter Cortison-Dauertherapie nur unter Vorbehalt zu werten sei. Insofern bestehe eine deutliche Diskrepanz zwischen Röntgenbefund und Laborbefund. Des Weiteren zeige sich im Labor ein latenter Eisenmangel ohne damit einhergehende Blutarmut (Anämie). Durch die erhöhte Stuhlfrequenz von vier bis sieben Stühlen pro Tag (normal seien bis zu drei Stühle täglich) und die wässrige Stuhlkonsistenz sowie den (gelegentlichen) imperativen Stuhldrang mit der Notwendigkeit, möglichst rasch eine Toilette aufzusuchen, ergebe sich eine mittelgradige Beeinträchtigung der Teilhabe im sozialen Leben. Die Ausübung des Berufs (Bürotätigkeit, zurzeit im Home-Office) sei nicht betroffen. Der Kräfte- und Ernährungszustand sei bei einem BMI von 22 nicht beeinträchtigt. Die vom Kläger angegebene rasche Ermüdbarkeit und gegenüber früher schlechterer Leistungsfähigkeit gehöre zum typischen Symptomenkomplex des Morbus Crohn. Sie sei in erster Linie durch die chronische Entzündung bedingt. Nach den Vorgaben der VG sei der bisher gewährte GdB von 40 sach- und leidensgerecht. Die für einen GdB von 50 geforderte erhebliche Beeinträchtigung des Kräfte- und Ernährungszustandes liege bei einem BMI von 22 nicht vor. Ebenso würden sich keine extraintestinalen Manifestationen des Morbus Crohn finden. Über nächtliche Durchfälle werde nicht geklagt, imperativer Stuhldrang trete nur „hin und wieder" auf.

Auf Antrag und Kostenrisiko des Klägers hat das SG Reutlingen im Folgenden F1 zum gerichtlichen Sachverständigen ernannt. Dieser hat in seinem Gutachten vom 31.07.2023 die Auffassung vertreten, dass der GdB 40 seit dem 01.01.2019 betrage. Der Kläger leide seit 1999 an einem Morbus Crohn des Dünndarms mit stenosierendem und fistulierendem Verlauf, der bereits zweimalig operativ habe angegangen werden müssen. Aufgrund fortbestehender entzündlicher Aktivität trotz medikamentöser Erhaltungstherapie bestehe keine Remission. Hieraus erkläre sich das Beschwerdebild des Klägers bestehend aus Bauchschmerzen, Durchfall und Abgeschlagenheit. Es resultierten eine verminderte Leistungsfähigkeit und Erschöpfungszustände. Aufgrund seiner Unpässlichkeiten sei der Kläger in seiner sozialen Interaktion beeinträchtigt, aber noch im Stande, seiner Arbeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter nachzugehen. Eine Malnutrition könne ebenso wenig wie eine Eisenmangelanämie oder ein Vitamin D-Mangel unter Substitution ausgemacht werden. Laborchemisch würden bis auf eine diskrete Entzündungskonstellation keine Abweichungen von der Norm vorliegen. Sonographisch lasse sich der Morbus Crohn wie auch schon im MRT belegen. Des Weiteren liege bei dem Kläger eine reaktive Depression vor, für die ein Einzel-GdB von 10 anzusetzen sei.

Mit Urteil vom 27.09.2023, dem Beklagten ausweislich des Empfangsbekenntnisses zugestellt am 16.10.2023, hat das SG Reutlingen den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 02.08.2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.04.2022 verurteilt, bei dem Kläger einen GdB von 50 seit dem 01.01.2019 festzustellen. Den eingeholten Gutachten des K1 und F1 sei zu entnehmen, dass der Kläger unter anhaltenden Beschwerden leide und dass es trotz Medikation nicht zu einer Remission gekommen sei. K1 erkläre den eher geringen Entzündungswert im Blut nachvollziehbar damit, dass der Kläger Cortison einnehme. Der Kläger leide sowohl durch die Entzündung als auch durch die bei ihm vorliegenden Stenosen, die bereits operativ sanierungsbedürftig gewesen seien, unter teilweise sehr starken Bauchschmerzen auch nachts. Der Kläger habe in der mündlichen Verhandlung hierzu mitgeteilt, dass die nächtlichen Bauchschmerzen den Schlaf störten und er durch diese erwache. Weiter sei ihm von dem Arzt, der die Stenosen bisher operativ behandelt habe, mitgeteilt worden, dass von einer weiteren Operation zunächst Abstand genommen werden sollte, da dann an anderer Stelle Stenosen auftreten würden und wegen der nicht regulierbaren Entzündung kein durchgreifender Heilungserfolg erzielt werden könne. Den Gutachten sei zu entnehmen, dass der Kläger tagsüber und nachts unter Durchfällen leide. Der Kläger habe hierzu nachvollziehbar mitgeteilt, dass die Anzahl der Durchfälle von der Tagesform abhänge und zwischen drei- bis achtmal pro Tag schwanke. Jedoch habe er immer imperativen Stuhldrang. Nächtliche Durchfälle träten ca. einmal pro Woche auf. K1 habe in seinem Gutachten entgegen der sachverständigen Zeugenaussage von S1 bei dem Kläger zwar einen Eisenmangel aber keine Anämie feststellen können. Bei dem Kläger liege nach dem Gutachten von K1 ein BMI von 22 und damit Normalgewicht vor. K1 habe in seinem Gutachten weiter ausgeführt, dass die vom Kläger geschilderte rasche Ermüdbarkeit und schlechte Leistungsfähigkeit durch die chronische Entzündung bedingt sei. Eine extraintestinale Manifestation (z.B. Crohn-assoziierte Arthritis) liege nicht vor. Das Gericht schließe sich dem Gutachten des K1 insoweit an, als dass in der Gesamtschau mittelgradige Beeinträchtigungen durch den Morbus Crohn vorliegen würden. Allerdings sei weiter in die Bewertung einzustellen, dass der Kläger durch die bei ihm vorliegenden aktuell nicht zu operierenden Stenosen und die dadurch bedingten Bauchkrämpfe, die deshalb erforderliche Diät und die in gewissen Abständen aufkommende Subileussymptomatik zusätzlich belastet sei, was nach den VG Einfluss in die GdB-Bewertung finden müsse. Zwar liege bei dem Kläger eine erhebliche Beeinträchtigung des Kräfte- und Ernährungszustandes nicht vor, aber auf der anderen Seite sei der Verlauf bei dem Kläger nicht schubförmig, sondern es liege trotz Medikation eine dauerhafte Entzündung vor, was eigentlich schweren Einschränkungen entspreche. Die Gutachter K1 sowie F1 hätten zudem in ihrer Bewertung die Stenosen nicht ausreichend zusätzlich berücksichtigt. Insgesamt seien die Einschränkungen des Klägers mit einem GdB von 50 zu bewerten.

Gegen das Urteil des SG Reutlingen vom 27.09.2023 hat der Beklagte am 14.11.2023 Berufung beim LSG Baden-Württemberg eingelegt. Aus der Sicht des Beklagten seien die internistischen Gutachten des K1 und des F1 in sich schlüssig. Beide würden den GdB hinsichtlich des Morbus Crohn mit 40 bewerten. Schwere Auswirkungen nach den VG Teil B Nr. 10.2.2 würden nicht vorliegen. Der BMI des Klägers liege bei 22, so dass dieser normalgewichtig sei. Zudem sei es dem Kläger möglich, seiner Arbeit vollumfänglich nachzugehen. Lediglich außergewöhnliche Ereignisse müssten ausgeschlagen werden. Die etwa zweimal im Monat auftretenden Subileussymptome seien bisher durch die Einnahme einer Cortison-Stoßdosis kontrollierbar. Somit ergebe sich auch hieraus keine weitere GdB-Erhöhung. Auch eine notwendige Diät könne für einen GdB von 50 nicht als Begründung herangezogen werden. Als Vergleich sei angeführt, dass ein diätetisch eingestellter Diabetes mellitus einen GdB von 0 ergebe.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 27.09.2023 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung des Beklagten zurückzuweisen.

Das angefochtene Urteil des SG Reutlingen sei nicht zu beanstanden. Der Beklagte verkenne, dass es aufgrund der langjährigen Cortisontherapie nicht entscheidend auf den Ernährungszustand ankommen könne, da Übergewicht und Wassereinlagerungen bei einer Cortisoneinnahme typisch seien, so dass letztlich die Bezugnahme auf den BMI keinerlei Aussagekraft habe.

Am 15.01.2024 hat sich der Kläger einer laparoskopischen Anastomosenresektion und Re-Strikturoplastik im Ileum mit ausgedehnter laparoskopischer Adhäsiolyse im T2-krankenhaus M2 mit stationärem Aufenthalt in der Zeit vom 14.01.2024 bis zum 23.01.2024 unterzogen. In dem Entlassungsbrief aus Januar 2024 führt S2 aus, der Kläger habe zuletzt über rezidivierende SubiIeusbeschwerden geklagt. Im letzten MRT-S3 habe sich der Verdacht auf eine Stenose des distalen Jejunums mit prästenotischer Dilatation gezeigt, sodass die explorative Laparoskopie indiziert gewesen sei. Intraoperativ hätten sich ausgeprägte intraabdominelle Adhäsionen gezeigt, sodass zunächst eine laparoskopische Adhäsiolyse notwendig gewesen sei. Sodann habe sich eine Anastomosenstenose im distalen Jejunum und zusätzlich eine stenotische Strikturoplastik im Ileum gezeigt. In dem vom Kläger am 12.06.2024 eingereichten Operationsbericht über die am 15.01.2024 erfolgte Operation führt der A1 aus, bei dem Kläger habe bei Zustand nach Ileozökalresektion und Neo-IC-Resektion und Resektion eines proximalen Dünndarmsegments und Strikturoplastiken (2019, in domo) ein Rezidiv mit proximalen Dünndarmstenosen mit prästenotischer Dilatation bestanden. 

Die Berichterstatterin hat das Sach- und Streitverhältnis mit den Beteiligten in nichtöffentlicher Sitzung am 08.05.2024 erörtert. Der Kläger hat im Termin u.a. ausgeführt, seine Beeinträchtigungen seien sehr von der Ernährung abhängig. Wenn er den Tag über wenig esse oder sehr darauf achte, nur verträgliche Lebensmittel zu sich zu nehmen, also ballaststoffarme Lebensmittel, habe er nachts dennoch mindestens ein erhebliches Druckgefühl. Es sei zwar richtig, dass er acht Stunden unter der Woche schlafen würde und am Wochenende auch einmal länger. Es handele sich dabei aber um einen gestückelten Schlaf. Acht Stunden schlafe er nicht durch, sondern wache aufgrund der Darmstörungen immer wieder auf. Die Anfang des Jahres 2024 durchgeführte erneute Stenose-Operation habe keine Besserung gebracht. Tagsüber esse er ausgesprochen wenig, damit sich gerade auf der Arbeit eine Durchfall- und eine etwaige Schmerzproblematik nicht so intensiv ergebe. Er versuche dort einfach zu funktionieren. Er koche sich dann meistens erst abends etwas zu essen, so dass er zuhause öfter auf die Toilette gehen könne. Dann ergebe sich aber wiederum das Problem, dass er in der Nacht häufig auf die Toilette gehen müsse, was auch dazu führe, dass er nicht früh schlafen gehen und nicht durchschlafen könne. Die bei ihm etwa einmal im Monat auftretende Subileussymptomatik führe auch dazu, dass er auf seinen Körper gerichtet immer sehr wachsam sei, ob sich vielleicht gerade ein Darmverschluss anbahnen könnte. Dies könne auch bereits dann passieren, wenn er unbeabsichtigt etwas mit Körnern esse, z.B. bei Verzehr eines Weißbrötchens aus der Bäckerei, wenn an diesem versehentlich ein Korn klebe.

In der mündlichen Verhandlung am 26.06.2024 hat der Kläger zu dem Umstand, dass er relativ wenige Arbeitsunfähigkeitszeiten habe, darauf hingewiesen, dass er bis vor kurzem jeweils immer nur befristete Arbeitsverträge als wissenschaftlicher Mitarbeiter in einem außeruniversitären Forschungsinstitut in T1 gehabt habe, weshalb er extrem bemüht gewesen sei, sein gesamtes Leben so einzurichten, dass Arbeitsunfähigkeitszeiten nicht auftreten würden. Vor kurzem habe er eine Stelle als Mitarbeiter in der Universitätsverwaltung angenommen, habe allerdings eine 80 %-Stelle gewählt, da er kräftemäßig nicht in der Lage sei, Vollzeit zu arbeiten. In seinem vorherigen Beruf als wissenschaftlicher Mitarbeiter habe er extrem flexibel arbeiten können. Ein besonderes Problem, das bisher noch nicht näher angesprochen worden sei, stellten die sich über Tag aufstauenden Blähungen dar. Dies führe auch dazu, dass nachts oft, wenn Luft abgehe, auch ein bisschen wässriger Stuhl mit entleert werde, was beim Aufwachen dann von ihm bemerkt werden würde aufgrund der Geruchsbelästigung, die damit einhergehe. Ein bis zweimal wöchentlich habe er nachts auch imperativen Stuhldrang.

Im Übrigen wird auf die jeweiligen Protokolle verwiesen.


Entscheidungsgründe

I. Die gemäß § 143 und § 144 SGG statthafte und nach § 151 SGG form- und fristgerechte sowie auch im Übrigen zulässige Berufung des Beklagten ist nicht begründet.

1. Gegenstand des Berufungsverfahrens ist die Aufhebung des Urteils des SG Reutlingen vom 27.09.2023, mit dem der Beklagte unter
Abänderung des Bescheides vom 02.08.2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.04.2022 verurteilt worden ist, bei dem Kläger einen GdB von 50 seit dem 01.01.2019 festzustellen.

Das SG Reutlingen hat den Beklagten mit dem Urteil vom 27.09.2023
auf die kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage des Klägers (§ 54 Abs. 1 Satz 1 SGG) zu Recht verurteilt, bei ihm einen GdB von 50 seit dem 01.01.2019 festzustellen. Der Bescheid vom 02.08.2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.04.2022, mit dem der Beklagte bei dem Kläger lediglich einen GdB von 40 seit dem 01.01.2019 festgestellt hat, ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten.

Maßgebender Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist bei der vorliegenden Klageart der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in den Tatsacheninstanzen (vgl. Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 02.09.2009 – B 6 KA 34/08 R, juris, Rn 26; Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Auflage 2023, § 54 Rn. 34), ohne eine mündliche Verhandlung derjenige der Entscheidung (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 10.08.2023 – L 6 SB 1549/21, juris Rn. 57).

2.
Rechtsgrundlage für die Feststellung des GdB ist § 2 Abs. 1 SGB IX i.V.m. § 152 Abs. 1 und 3 SGB IX. Nach § 2 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 SGB IX sind Menschen mit Behinderungen Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können, wobei eine Beeinträchtigung in diesem Sinne vorliegt, wenn der Körper- und Gesundheitszustand von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht.

Gemäß § 152 Abs. 1 SGB IX sind auf Antrag des behinderten Menschen von den für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und der Grad der Behinderung zum Zeitpunkt der Antragstellung festzustellen. Liegen mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, so wird der Grad der Behinderung nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt (§ 152 Abs. 3 Satz 1 SGB IX). Dabei werden gemäß § 152 Abs. 1 Satz 4 SGB IX die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft als Grad der Behinderung nach Zehnergraden abgestuft festgestellt.

Nach § 70 Abs. 2 SGB IX in der bis zum 29.12.2016 geltenden Fassung wird das Bundesministerium für Arbeit und Soziales ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die Grundsätze aufzustellen, die für die medizinische Bewertung des GdB und die medizinischen Voraussetzungen für die Vergabe von Merkzeichen maßgebend sind, die nach Bundesrecht im Schwerbehindertenausweis einzutragen sind. Nach § 70 Abs. 2 SGB IX in der bis zum 31.12.2017 geltenden Fassung beziehungsweise nach § 153 Abs. 2 SGB IX in der ab dem 01.01.2018 geltenden Fassung gilt diese Ermächtigung für die allgemeine – also nicht nur für die medizinische – Bewertung des GdB und die Voraussetzungen für die Vergabe von Merkzeichen sowie auch für die Kriterien für die Bewertung der Hilflosigkeit. Zwar ist von dieser Ermächtigung noch kein Gebrauch gemacht worden. Indes bestimmt § 159 Abs. 7 SGB IX in der bis zum 31.12.2017 geltenden Fassung beziehungsweise § 241 Abs. 5 SGB IX in der ab dem 01.01.2018 geltenden Fassung, dass – soweit eine solche Verordnung nicht erlassen ist – die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 BVG und der auf Grund des § 30 Abs. 17 BVG in der bis zum 30.06.2011 geltenden Fassung beziehungsweise § 30 Abs. 16 BVG in der ab dem 01.07.2011 geltenden Fassung erlassenen Rechtsverordnungen entsprechend gelten. Mithin ist für die konkrete Bewertung von Funktionsbeeinträchtigungen die ab dem 01.01.2009 an die Stelle der „Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehinderten-gesetz“ (AHP) getretene Anlage „Versorgungsmedizinische Grundsätze“ (VG) zu § 2 Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG (VersMedV) vom 10.12.2008 (BGBl. I S. 2412), die durch die Verordnungen vom 01.03.2010 (BGBl. I S. 249), 14.07.2010 (BGBl. I S. 928), 17.12.2010 (BGBl. I S. 2124), 28.10.2011 (BGBl. I S. 2153) 11.10.2012 (BGBl. I S. 2122),
durch die Gesetze vom 23.12.2016 (BGBl. I S. 3234) und vom 12.12.2019 (BGBl. I S. 2652) sowie die Verordnung vom 19.06.2023 (BGBl. I Nr. 158) mit Wirkung ab dem 01.01.2024 geändert worden ist, heranzuziehen. In den VG sind unter anderem die Grundsätze für die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen (GdS) im Sinne des § 30 Abs. 1 BVG festgelegt worden. Diese sind nach den VG Teil A Nr. 2 auch für die Feststellung des GdB maßgebend. Die VG stellen ihrem Inhalt nach antizipierte Sachverständigengutachten dar. Dabei beruht das für die Auswirkungen von Gesundheitsstörungen auf die Teilhabe an der Gesellschaft relevante Maß nicht allein auf der Anwendung medizinischen Wissens. Vielmehr ist die Bewertung des GdB auch unter Beachtung der rechtlichen Vorgaben sowie unter Heranziehung des Sachverstandes anderer Wissenszweige zu entwickeln (BSG, Urteil vom 17.04.2013 – B 9 SB 3/12 R, juris).

Liegen mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, so wird der GdB nach § 152 Abs. 3 Satz 1 SGB IX nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt. Zur Feststellung des GdB werden in einem ersten Schritt die einzelnen nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen im Sinne von regelwidrigen (von der Norm abweichenden) Zuständen nach § 2 Abs. 1 SGB IX und die sich daraus ableitenden, für eine Teilhabebeeinträchtigung bedeutsamen Umstände festgestellt. In einem zweiten Schritt sind diese dann den in den VG genannten Funktionssystemen zuzuordnen und mit einem Einzel-GdB zu bewerten. In einem dritten Schritt ist dann in einer Gesamtschau unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen der einzelnen Beeinträchtigungen der Gesamt-GdB zu bilden. Dabei können die Auswirkungen der einzelnen Beeinträchtigungen ineinander aufgehen (sich decken), sich überschneiden, sich verstärken oder beziehungslos nebeneinanderstehen (BSG, Urteil vom 17.04.2013 – B 9 SB 3/12 R, juris Rn. 29). Nach den VG Teil A Nr. 3 Buchst. c) ist bei der Bildung des Gesamt-GdB in der Regel von der Beeinträchtigung mit dem höchsten Einzel-GdB auszugehen und sodann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob der Ausgangswert also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen um 10, 20 oder mehr Punkte zu erhöhen ist, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Insoweit führen nach den VG Teil A Nr. 3 Buchst. d) von Ausnahmefällen abgesehen, zusätzliche leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, die bei der Gesamtbeurteilung berücksichtigt werden könnte, auch dann nicht, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen. Auch bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB von 20 ist es danach vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen. Außerdem sind nach den VG Teil A Nr. 3 Buchst. b) bei der Gesamtwürdigung die Auswirkungen mit denjenigen zu vergleichen, für die in der GdB-Tabelle der VG feste Grade angegeben sind.

Die Bemessung des GdB ist grundsätzlich tatrichterliche Aufgabe. Dabei hat insbesondere die Feststellung der nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen unter Heranziehung ärztlichen Fachwissens zu erfolgen (BSG, Urteil vom 17.04.2013 – B 9 SB 3/12 R, juris Rn. 30 m.w.N.).
Bei der rechtlichen Bewertung dieser Auswirkungen sind die Gerichte an die Vorschläge der von ihnen gehörten Sachverständigen nicht gebunden (BSG, Beschluss vom 20.04.2015 – B 9 SB 98/14 B, juris Rn. 6 m.w.N.).

3. Unter Beachtung dieser Grundsätze ist bei dem Kläger ab dem 01.01.2019 die Annahme eines GdB von 50 im Funktionssystem „Verdauung“ wegen der Funktionsstörungen durch den bei dem Kläger bestehenden Morbus Crohn gerechtfertigt.

a. Die VG bestimmen zunächst in Teil B Nr. 10.2 allgemein für die Beurteilung von Magen- und Darmkrankheiten, dass bei organischen und funktionellen Krankheiten des Magen-Darmkanals der GdB nach dem Grad der Beeinträchtigung des Allgemeinzustandes, der Schwere der Organstörung und nach der Notwendigkeit besonderer Diätkost zu beurteilen ist. Bei allergisch bedingten Krankheiten ist auch die Vermeidbarkeit der Allergene von Bedeutung.

Zur Bestimmung des GdB bei Vorliegen einer
Crohn-Krankheit (Enteritis regionalis) ist in den VG Teil B Nr. 10.2.2 weiter konkretisiert, dass bei geringen Auswirkungen (geringe Beschwerden, keine oder geringe Beeinträchtigung des Kräfte- und Ernährungszustandes, seltenen Durchfällen) der GdB 10 bis 20 beträgt und mit mittelschweren Auswirkungen (häufig rezidivierenden oder länger anhaltenden Beschwerden, geringer bis mittelschwerer Beeinträchtigung des Kräfte- und Ernährungszustandes, häufigen Durchfällen) ein GdB von 30 bis 40 anzunehmen ist. Bei schweren Auswirkungen (anhaltenden oder häufig rezidivierenden erheblichen Beschwerden, erheblicher Beeinträchtigung des Kräfte- und Ernährungszustandes, häufigen, täglichen, auch nächtlichen Durchfällen) soll der GdB 50 bis 60 betragen. Im Falle schwerster Auswirkung (häufig rezidivierende oder anhaltende schwere Beschwerden, schwere Beeinträchtigung des Kräfte- und Ernährungszustandes, ausgeprägte Anämie) ist der GdB mit 70 bis 80 zu bemessen.

Fisteln, Stenosen, postoperative Folgezustände (z.B. Kurzdarmsyndrom, Stomakomplikationen), extraintestinale Manifestationen (z.B. Arthritiden), bei Kindern auch Wachstums- und Entwicklungsstörungen, sind zusätzlich zu bewerten.


b. Der Senat gelangt unter Heranziehung der vorgenannten Grundsätze ebenso wie zuvor das SG Reutlingen in dem angefochtenen Urteil vom 27.09.2023 zu der Auffassung, dass die Funktionsstörungen des Klägers aufgrund des Morbus Crohn mit einem GdB von nur 40 nicht ausreichend berücksichtigt sind und vielmehr ein GdB von 50 seit dem 01.01.2019 angemessen ist.

aa. Bei dem Kläger liegt ein Morbus Crohn mit Erstmanifestation im Jahr 1999 und Erstdiagnose im Jahr 2002 vor, was der Senat übereinstimmend den vorliegenden medizinischen Befundunterlagen sowie den Feststellungen des gerichtlichen Sachverständigen K1 in seinem Gutachten vom 11.10.2022 und des auf Antrag und Kostenrisiko beauftragten gerichtlichen Sachverständigen F1 in seinem Gutachten vom 31.07.2023 entnimmt. Die Gutachten hat der Senat jeweils im Wege des Sachverständigenbeweises nach § 118 Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. §§ 402 ff. ZPO verwertet.

bb. Die bei dem Kläger aus dem Morbus Crohn resultierenden Beschwerden und Funktionseinschränkungen sind unter Heranziehung der beschriebenen Vorgaben der VG Teil B
Nr. 10.2 und 10.2.2 mit einem GdB von 50 seit dem 01.01.2019 zu bemessen.

(1) Der Senat legt bei seiner Beurteilung folgendes Beschwerdebild des Klägers zugrunde, von dessen Vorliegen er aufgrund der Feststellungen der gerichtlichen Sachverständigen K1 und F1 sowie aufgrund der glaubhaften Angaben des Klägers im Termin zur Erörterung des Sachverhalts am 08.05.2024 sowie in der mündlichen Verhandlung vom 26.06.2024 und nach Auswertung der vorliegenden medizinischen Unterlagen überzeugt ist:

Der Kläger leidet unter einer erhöhten Stuhlfrequenz von vier bis sieben oder acht Stühlen pro Tag, wobei nach den nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen K1 bis zu drei Stühle am Tag als normal angesehen werden können. Zudem zeigt sich der Stuhl des Klägers täglich breiig bis wässrig mit teils imperativem Stuhlgang, was sich sowohl aus den Angaben des Klägers gegenüber den gerichtlichen Sachverständigen als auch den Aussagen des Facharztes S1 und des M3 gegenüber dem SG Reutlingen ergibt. Nächtlicher Durchfall tritt ein- bis zweimal in der Woche auf.

Darüber hinaus leidet der Kläger, wie er im Termin zur Erörterung des Sachverhalts am 08.05.2024 und in der mündlichen Verhandlung am 26.06.2024 überzeugend dargelegt hat, insbesondere in der Nacht entweder unter Bauchkrämpfen, mindestens aber unter einem erheblichen Druckgefühl. Ein bis zweimal im Monat tritt bei dem Kläger eine Subileussymptomatik mit starken Bauchkrämpfen auf. Der Kläger richtet seine Ernährung vollständig auf den Morbus Crohn aus sowohl hinsichtlich des Zeitpunktes der Nahrungsaufnahme als auch der Art der konsumierten Lebensmittel. Der Kläger isst nach seinen nachvollziehbaren Angaben so spät wie möglich am Tag und vermeidet dann ballaststoffreiche, faserhaltige Lebensmittel, was insbesondere den Verzicht auf Obst und Gemüse zur Folge hat. Zur Vermeidung einer Subileussymptomatik bzw. eines vollständigen Darmversschlusses verzichtet der Kläger des Weiteren vollständig auf Lebensmittel, die Nüsse und Körner enthalten. Durch die Auswahl der Lebensmittel lassen sich anschließende Bauchkrämpfe bzw. ein Druckgefühl allerdings nicht vermeiden. Die diesbezüglichen Angaben des Klägers stehen in Übereinstimmung mit der Aussage des M1 gegenüber dem SG Reutlingen, der ebenfalls erklärt hat, dass es bei dem Kläger trotzt Einschränkung der Nahrung und Verzicht auf beispielsweise faserhaltiges Obst und Gemüse auch zu nächtlichen Darmbeschwerden in Gestalt von Krämpfen und Blähungen und Subileus-Zuständen kommt. Wie der Klägerin in der mündlichen Verhandlung glaubhaft und konsistent geschildert hat, nehmen die Blähungen über den Tag zu. Der Kläger versucht diese insbesondere in seinem beruflichen Umfeld über den Tag so weit möglich zurückzuhalten, was dazu führt, dass er zum Abend hin einen geschwollenen Bauch hat und die Blähungen auch noch in der Nacht im Schlaf unkontrolliert abgehen und der Kläger dann oftmals auch wässrigen Stuhl mit verliert.

Der Kläger leidet infolge der Morbus Crohn-Erkrankung zudem unter einer raschen Ermüdbarkeit und schlechter Leistungsfähigkeit am Tag, was nach der nachvollziehbaren Einschätzung des K1 vor allem auf die chronische Entzündung zurückzuführen ist und zum typischen Systemkomplex des Morbus Crohn gehört. Wie der Sachverständige zudem darlegt, folgt aus den nur geringen entzündlichen Abweichungen im aktuellen Laborbefund nicht, dass bei dem Kläger keine chronische Entzündung vorliegt, vielmehr resultieren die im Laborbefund eher geringen Entzündungszeichen aus der Cortison-Dauertherapie bzw. der Einnahme von Prednisol 20 mg täglich zum Untersuchungszeitpunkt. Die am 14.09.2022 vorgenommene MRT-Untersuchung des Dünndarms hat eine erhebliche Entzündung mit Aufweitung von Dünndarmschlingen und sogenannter „Spiegelbildung“ als Zeichen einer relevanten Passagenbehinderung gezeigt. Die floride Entzündung ist, wie der Sachverständige zutreffend festgestellt hat, auch durch den von dem Sachverständigen ermittelten Crohn's Activity Index (CDAI-Index) mit einem Wert von 246 belegt. Hinzukommt, dass der Kläger aufgrund seiner Darmaktivitäten in der Nacht nicht am Stück schläft, sondern nach ein bis zwei Stunden aufwacht, weil er unter Blähungen, nächtlichem Durchfall oder jedenfalls unter Bauchschmerzen bzw. einem Druckgefühl leidet, was ebenfalls zu einer raschen Ermüdbarkeit und Reduzierung der Leistungsfähigkeit tagsüber beiträgt. Der Kläger hat hinsichtlich seiner nächtlichen Darmbeschwerden zudem glaubhaft dargestellt, dass er aufgrund der bei ihm bestehenden Subileussymptomatik, von deren Vorliegen der Senat aufgrund der Feststellungen des K1 sowie der Aussagen des S1 und M1 gegenüber dem SG Reutlingen überzeugt ist, nächtlichen Darmaktivitäten besondere Aufmerksamkeit widmet, da zu befürchten steht, dass sich ein Darmverschluss anbahnt, der einen akuten Notfall darstellen würde. Für den Kläger ist es daher dringend notwendig, stets aufmerksam zu prüfen, ob es sich bei seinen Beschwerden jeweils um die bei ihm üblicherweise vorliegenden Symptome des Morbus Crohn handelt oder ein Darmverschluss vorliegen könnte. Die Subileussymptomatik tritt nach den plausiblen Angaben des Klägers gegenüber dem Sachverständigen K1 und in der mündlichen Verhandlung am 26.06.2024 ein- bis zweimal im Monat auf. Bei Auftreten der Subileussymptomatik leidet der Kläger unter besonders starken Darmkrämpfen und nimmt in diesem Fall zur Behandlung zusätzlich zur Basistherapie weitere 30 bis 40 mg Prednisolon ein.

Darüber hinaus leidet der Kläger rezidivierend unter Stenosen, die wiederholt operationsbedürftig gewesen sind. Bereits im Jahr 2010 ist bei dem Kläger eine Ileozökalresektion mir zweifacher Dünndarmteilresektion im Universitätsklinikum M2 durchgeführt worden (vgl. Arztbrief der M4 und J1 vom 28.08.2018 und des H3 vom 23.01.2019). Im Jahr 2014 ist bei dem Kläger sodann eine hochgradige Anastomosenstenose festgestellt worden, was der Senat sowohl den Angaben des H3 in dem Arztbrief vom 23.01.2019 als auch den Angaben des Assistenzarztes H1 in dem Arztbrief vom 04.05.2018 entnimmt. Am 04.04.2019 hat sich der Kläger im T2-krankenhaus in M2 wegen der Anastomosenstenose erneut einer Ileozökalresektion mit Ilum-Segmentresektion unterzogen, was dem Arztbrief des Assistenzarztes I1 vom 10.04.2019 zu entnehmen ist. Wie sich aus dem Arztbrief des M5 und des F2 (Universitätsklinikum T1) vom 15.05.2019 sowie dem Rehaentlassungsbericht vom 13.05.2019 ergibt, hat die Operation zunächst zu einer erheblichen Besserung des Gesundheitszustands geführt. Im weiteren Verlauf haben sich jedoch die mit dem Morbus Crohn assoziierten Beschwerden wieder eingestellt. Schließlich ist am 15.01.2024 bei dem Kläger im T2-krankenhaus in M2 eine laparoskopische Anastomosenresektion und Re-Strikturoplastik im lleum mit ausgedehnter laparoskopischer Adhäsiolyse mit stationärem Aufenthalt vom 14.01.2024 bis zum 23.01.2024 erfolgt. Intraoperativ haben sich ausweislich des Arztbriefes des S2 vom 23.01.2024 ausgeprägte intraabdominelle Adhäsionen gezeigt, sodass zunächst eine laparoskopische Adhäsiolyse notwendig gewesen ist. Sodann hat sich eine Anastomosenstenose im distalen Jejunum und zusätzlich eine stenotische Strikturoplastik im lleum offenbart. Es ist anschließend die Anastomosenresektion mit primärer Anastomose und eine Re-Strikturoplastik im lleum erfolgt.

(2) Die bei dem Kläger vorliegenden Funktionseinschränkungen rechtfertigen zur Überzeugung des Senats im Funktionssystem „Darm“ unter Heranziehung der Vorgaben der VG Teil B
Nr. 10.2 und 10.2.2 die Zuerkennung eines GdB von 50 seit dem 01.01.2019.

(aa) Die in den VG Teil B Nr. 10.2.2 aufgeführten Auswirkungen stellen lediglich Regelbeispiele dar, die zudem auch nicht kumulativ vorliegen müssen (LSG für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 13.06.2014 – L 13 SB 371/13, juris Rn. 14 unter Bezugnahme auf die eingeholte Stellungnahme des BMAS zur Auslegung der VG Teil B Nr. 10.2.2, wonach die dort genannten Regelbeispiele nicht abschließend seien; Sächsisches LSG, Urteil vom 25.05.2005 – L 6 SB 55/04, juris Rn. 37). Insbesondere führt nicht allein das Fehlen einer Beeinträchtigung des Kräfte- und Ernährungszustandes ausnahmslos dazu, dass der GdB maximal 40 betragen kann (so Bayerisches LSG, Urteil vom 25.04.2018 – L 2 SB 199/17, juris Rn. 85 bei allerdings auch nur geringer Aktivität des Morbus Crohn). Des Weiteren können auch in den VG Teil B Nr. 10.2.2 nicht explizit aufgeführte Beeinträchtigungen bei der Bemessung des GdB berücksichtigt werden (Wendler/Schillings, Versorgungsmedizinische Grundsätze, 10. Auflage 2020, S. 265; SG Hannover, Urteil vom 24.07.2014 – S 25 SB 556/12 –, juris Rn. 44).

(bb) Das Beschwerdebild des Klägers zeigt Auswirkungen, die bei jeweils isolierter Betrachtung nach den VG Teil B Nr. 10.2.2 als gering, mittelschwer oder schwer einzuordnen sind. In der Gesamtschau der bei dem Kläger vorliegenden Beeinträchtigungen und unter zusätzlicher Berücksichtigung der bei dem Kläger rezidivierend auftretenden Stenosen ist die Zuerkennung eines GdB von 50 seit dem 01.01.2019 zur Überzeugung des Senats im konkreten Einzelfall gerechtfertigt.

Der Ernährungszustand des Klägers ist nach der plausiblen Feststellung des K1 bei einem BMI von 22 nicht beeinträchtigt, was jedoch, wie bereits ausgeführt, die Feststellung schwerer Auswirkungen des Morbus Crohn nach den VG Teil B Nr. 10.2.2 nicht ausschließt. Zudem sieht der Senat aufgrund der durch den Morbus Crohn bedingten chronischen Entzündung und ferner der Beeinträchtigung des Schlafs des Klägers dennoch den Kräftezustand als mittelschwer beeinträchtigt an. Hinzukommt, dass der Kläger nach seinen glaubhaften Angaben am Tag so spät wie möglich Nahrung zu sich nimmt, um den sich sodann anschließenden Stuhlgang möglichst weit hinaus zu zögern. Auch dies hat nachvollziehbar negative Auswirkungen auf den Kräfte-, wenn auch nicht auf den Ernährungszustand des Klägers. Dass es bei dem Kläger bisher nur zu wenigen Arbeitsunfähigkeitszeiten gekommen ist, spricht für den Senat nicht gegen eine Beeinträchtigung des Kräftezustands. Der Kläger hat seinen gesamten Alltag auf die Bewältigung seiner Erkrankung, die ihn wie er selbst in der mündlichen Verhandlung ausgeführt hat, nunmehr bereits die Hälfte seines Lebens begleitet, ausgerichtet, um im Rahmen seiner Möglichkeiten ein normales Leben zu führen und insbesondere berufstätig sein zu können. In dem von lediglich befristeten Arbeitsverträgen geprägten Forschungsbereich war es für den Kläger nachvollziehbar eine beruflich existenzielle Entscheidung, so wenig Arbeitsunfähigkeitszeiten wie möglich aufzubauen. Der Kläger hat für den Senat zudem überzeugend ausgeführt, dass er in seiner bisherigen Tätigkeit in einem außeruniversitären Forschungsinstitut in T1 extrem frei hat arbeiten können und die Arbeitszeit in beschwerdeärmere Zeiten hat verlegen können. Da er in seiner jetzigen Tätigkeit in der Universitätsverwaltung nicht mehr derart flexibel arbeiten kann, hat er nunmehr auf 80 % Arbeitstätigkeit reduziert, da er kräftemäßig nicht in der Lage ist Vollzeit zu arbeiten.

Die bestehenden Schmerzen ordnet der Senat als mittelschwer ein. Bei dem Kläger besteht täglich insbesondere in der Nacht entweder ein erhebliches Druckgefühl oder er leidet unter Bauchkrämpfen, die sich aufgrund der Subileussymptomatik ein- bis zweimal im Monat als sehr erheblich darstellen. Die bei dem Kläger bestehenden häufigen t
äglichen, auch nächtlichen Durchfälle sind nach den VG Teil B Nr. 10.2.2 als schwere Auswirkung einzuordnen. Auch die bei dem Kläger bestehenden massiven Blähungen mit oftmals auch nächtlichem Stuhlabgang stellen für den Senat schwere Auswirkungen des Morbus Crohn dar.

Bei dem Kläger liegen zudem rezidivierende und regelmäßig operationsbedürftige Stenosen vor, die nach den VG Teil B Nr. 10.2.2 ausdrücklich zusätzlich zu berücksichtigen sind. Auch wenn die Gerichte, wie bereits ausgeführt, ohnehin bei der Bemessung des GdB an die Vorschläge der von ihnen gehörten Sachverständigen nicht gebunden sind und die Bestimmung des GdB allein tatrichterliche Aufgabe ist, so ist dennoch festzustellen, dass sowohl der gerichtliche Sachverständige K1 als auch F1 die bei dem Kläger rezidivierend auftretenden Stenosen nicht in ihre Beurteilung eingestellt haben und dies auch obwohl sie diese ausweislich der Aktenauszüge zur Kenntnis genommen haben.

In der Gesamtschau der bei dem Kläger vorliegenden Funktionseinschränkungen unter Berücksichtigung der rezidivierend auftretenden Stenosen erachtet auch der Senat einen GdB von 50 seit dem 01.01.2019 im Funktionssystem „Verdauung“ als angemessen.

Der Senat weist abschließend darauf hin, dass sich der durch H4 in der versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 08.11.2023 angeregte Vergleich mit einer an Diabetes erkrankten Person verbietet. Unter Außerachtlassung dessen, dass die VG die Bemessung des GdB für eine Diabetes-Erkrankung (VG Teil B Nr. 15.1) und für die Auswirkungen eines Morbus Crohn (VG Teil B Nr. 10.2.2) aufgrund der ohnehin nicht vergleichbaren Art der Erkrankung an gänzlich unterschiedliche Voraussetzungen knüpfen, kann der Kläger selbst dann, wenn er nur ballaststoffarme Lebensmittel zu sich nimmt, die Beeinträchtigungen durch den Morbus Crohn in Gestalt von Blähungen, Druckgefühl, Schmerzen und Durchfall nicht mit Sicherheit unterbinden. Inwiefern die Beeinträchtigung des Klägers mit der eines rein diätisch eingestellten Diabetes vergleichbar sein soll, erschließt sich nicht.

c. Daneben ist im Funktionssystem „Verdauung“ kein weiterer gesonderter Einzel-GdB wegen der stattgehabten Teil-Darmresektion nach den VG Teil B Nr. 10.2.2 anzusetzen. Bei dem Kläger wurde zwar im Jahr 2010 wegen mehrerer Verengungen im Dünndarm eine minimalinvasive Ileozökalresektion durchgeführt, bei der das letzte Stück des Dünndarms und das erste Stück des Dickdarms entfernt worden sind (vgl. Arztbrief der M4 und J1 vom 28.08.2018 und des H3 vom 23.01.2019). Anhand der vorliegenden medizinischen Unterlagen und den Beurteilungen der Sachverständigen können aber keine Funktionseinschränkungen festgestellt werden, die neben den durch den Morbus Crohn verursachten Beeinträchtigungen isoliert zu bemessen und nicht bereits mitbeurteilt sind.

4. Im Funktionssystem „Gehirn einschließlich Psyche“ ist kein GdB, insbesondere nicht nach den VG Teil B Nr. 3.7 anzunehmen. Zwar ist der Sachverständige F1 in seinem Gutachten vom 31.07.2023 zu dem Ergebnis gekommen, dass bei dem Kläger eine reaktive Depression vorliege, die mit einem Einzel-GdB von 10 zu berücksichtigen sei. Nach Einschätzung des Sachverständigen würden die Auswirkungen des Morbus Crohn den Kläger sekundär auch psychosozial im Sinne einer Einschränkung der sozialen Teilhabe belasten. Des Weiteren hat auch M1 in seiner Aussage gegenüber dem SG Reutlingen aus August 2022 unter den bei dem Kläger vorliegenden Diagnosen eine reaktive mittelschwere Depression genannt. Für den Senat sind aber bei der Bemessung des GdB gesondert zu berücksichtigende Störungen im Funktionssystem „Gehirn einschließlich Psyche“ nicht nachgewiesen.

Nach den VG Teil A Nr. 2 Buchst. i) sind bei der Beurteilung des GdB auch seelische Begleiterscheinungen und Schmerzen zu beachten. Die in der GdB-Tabelle niedergelegten Sätze berücksichtigen aber bereits die üblichen seelischen Begleiterscheinungen. Sind die seelischen Begleiterscheinungen erheblich höher als aufgrund der organischen Veränderungen zu erwarten wäre, so ist ein höherer GdB gerechtfertigt. Vergleichsmaßstab ist nicht der behinderte Mensch, der überhaupt nicht oder kaum unter seinem Körperschaden leidet, sondern die allgemeine ärztliche Erfahrung hinsichtlich der regelhaften Auswirkungen. Außergewöhnliche seelische Begleiterscheinungen sind anzunehmen, wenn anhaltende psychoreaktive Störungen in einer solchen Ausprägung vorliegen, dass eine spezielle ärztliche Behandlung dieser Störungen – z.B. eine Psychotherapie – erforderlich ist.

Bei dem Kläger ist zum einen eine gesonderte Erkrankung auf psychiatrischem Fachgebiet nicht durch einen Facharzt diagnostiziert worden; bei der Diagnosestellung durch F1 handelt es sich um eine fachfremde Beurteilung. Der Kläger führt darüber hinaus auch bisher keine spezielle Therapie, sei es in Gestalt einer medikamentösen Therapie oder Psychotherapie durch. Die bei dem Kläger vorhandenen Beeinträchtigungen auf psychiatrischem Fachgebiet im Zusammenhang mit der Morbus Crohn Erkrankung betrachtet der Senat daher als im Einzel-GdB für die Funktionsbeeinträchtigungen aus dem Morbus Crohn mitbeurteilt.

5. Des Weiteren leidet der Kläger zwar im Funktionssystem „innere Sekretion und Stoffwechsel“ unter einer Hypothyreose, was der Senat den Feststellungen des Sachverständigen K1 sowie den weiteren medizinischen Unterlagen, etwa der Aussage des M1 aus August 2022 entnimmt, aus dieser resultiert aber keine mit einem GdB zu berücksichtigende Funktionseinschränkung. Nach den VG Teil B Nr. 15.6 sind Schilddrüsenfunktionsstörungen gut behandelbar, so dass in der Regel anhaltende Beeinträchtigungen nicht zu erwarten sind. Selten auftretende Organkomplikationen (z.B. Exophthalmus, Trachealstenose) sind gesondert zu beurteilen. Bei der nicht operativ behandelten Struma richtet sich der GdB nach den funktionellen Auswirkungen. Bei dem Kläger ist nach den plausiblen Ausführungen des Sachverständigen K1 die Hypothyreose medikamentös mit 110 μg L-Thorixin gut eingestellt. Etwas anderes ist auch durch den Kläger nicht vorgetragen worden.

Der bei dem Kläger vorliegende Eisenmangel führt nach der nachvollziehbaren Beurteilung des K1 nicht zu einer Anämie, so dass ein Einzel-GdB nach den VG Teil B Nr. 16.9 für eine Eisenmangelanämie im Funktionssystem „innere Sekretion und Stoffwechsel“ nicht in Betracht kommt.

6. Schließlich ist bei dem Kläger für die Osteopenie kein Einzel-GdB anzusetzen. Nach den VG Teil B Nr. 18.2 ist bei ausgeprägten osteopenischen Krankheiten (z.B. Osteoporose, Osteopenie bei hormonellen Störungen, gastrointestinalen Resorptionsstörungen, Nierenschäden) der GdB vor allem von der Funktionsbeeinträchtigung und den Schmerzen abhängig. Eine ausschließlich messtechnisch nachgewiesene Minderung des Knochenmineralgehalts rechtfertigt noch nicht die Annahme eines GdB. Bei dem Kläger liegt ausweislich des Arztbriefes des V1 eine präklinische Osteoporose vor. Daraus resultierende Schmerzen oder Funktionsbeeinträchtigungen teilt dieser jedoch nicht mit und sind damit nicht nachgewiesen.

Nach alledem hat das SG Reutlingen den Beklagten mit dem angefochtenen Urteil vom 27.09.2023 zu Recht unter Abänderung des Bescheides vom 02.08.2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.04.2022 verurteilt, bei dem Kläger einen GdB von 50 seit dem 01.01.2019 festzustellen.

Die Berufung des Beklagten ist daher zurückzuweisen gewesen.

II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.

III. Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.

 

Rechtskraft
Aus
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