Ein im Wege eines öffentlich-rechtlichen Vertrags unterschriebenes „Anerkenntnis der Zahlung von Eigenanteilen“ zur Beteiligung an den Kosten der Unterbringung für geflüchtete Menschen mit Einkommen ist nichtig, wenn mangels entsprechender Gebührenordnung kein Verwaltungsakt gleichen Inhalts hätte erlassen werden können.
Sozialgericht Berlin |
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Im Namen des Volkes
Urteil
In dem Rechtsstreit
…
- Kläger -
Proz.-Bev.:
Rechtsanwalt …
gegen
das Land Berlin vertreten durch das Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten Berlin,
Darwinstr. 14-18, 10589 Berlin,
…
- Beklagter -
hat die 90. Kammer des Sozialgerichts Berlin ohne mündliche Verhandlung am 18. März 2024 durch den Richter am Sozialgericht … sowie die ehrenamtlichen Richter … und … für Recht erkannt:
Es wird festgestellt, dass das vom Kläger unterschriebene „Anerkenntnis der Zahlung von Eigenanteilen“ vom 25. März 2021 nichtig ist und der Beklagte daraus gegen den Kläger keine Rechte ableiten kann.
Der Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers.
Tatbestand
Der Kläger macht die Nichtigkeit eines von ihm unterschriebenen Schuldanerkenntnisses geltend.
Der Kläger ist Inhaber einer Aufenthaltsgestattung und Leistungsberechtigt nach § 2 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG). Er bezieht Einkommen aus Erwerbstätigkeit, welches den Regelbedarf übersteigt.
Unter dem 25. März 2021 unterschrieb der Kläger ein „Anerkenntnis der Zahlung von Eigenanteilen“. Dieses lautete wie folgt: „Ich (…) erkenne zur selbständigen Begründung der Zahlungsverpflichtung an, dass ich einen Eigenanteil für die Unterbringungskosten monatlich in Höhe von derzeit 344,- Euro für die Zeit vom 01.03.2021 bis 30.09.2021 dem Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) schulde. Der Eigenanteil verändert sich bei gleichbleibendem Einkommen nicht und wird ggf. gesondert beschieden. Die Verpflichtung zur monatlichen Erstattung des Eigenanteils endet mit Ablauf der in der Kostenübernahmeerklärung genannten Zuweisungszeit, soweit diese nicht verlängert wird. Hiermit wird ein von einem etwaig zu Grunde liegenden Rechtsverhältnis/ Nutzungsverhältnis durch die erfolgte Unterbringung getrenntes und selbständiges Schuldverhältnis begründet Der Eigenanteil ist jeweils bis zum 15 nach Bezug der Unterkunft und in der Folgezeit bis zum 15 eines jeden Monats im Voraus zu entrichten.“ Es folgten die Überweisungsdaten des Landes Berlin. Unterschrieben wurde die Erklärung allein vom Kläger.
Mit eidesstattlicher Erklärung vom 9. April 2021 erklärte der Kläger, dass er am 25. März 2021 einen Termin beim Beklagten gehabt habe. Es sei dabei um die Verlängerung der Kostenübernahme für die Gemeinschaftsunterkunft gegangen, in der er lebe. Während des Gesprächs habe die Sachbearbeiterin ihm ein Dokument gegeben. Er habe nicht verstehen können, was in dem Dokument stehe. Darum habe er nach einem Dolmetscher gefragt. Sie habe gesagt, dass er keinen Dolmetscher brauche, weil er gut Deutsch verstehe. Sie habe gesagt, dass er jetzt viel Geld verdiene und dass er jeden Monat 344 Euro für die Miete zahlen solle und dass er das Dokument unterschreiben müsse. Er habe nicht gewusst, ob das richtig oder falsch sei. Er habe unterschrieben, weil die Frau dies gesagt habe.
Mit anwaltlichem Schreiben vom 15. April 2021 teilte der Kläger mit, dass er das Anerkenntnis widerrufe und anfechte. Die Vereinbarung sei mindestens sittenwidrig. Er sei dazu gedrängt worden, die Unterschrift zu leisten, ohne dass es irgendwelche Verhandlungen auf Augenhöhe gegeben habe oder dass er auch nur ansatzweise die Vereinbarung habe mitgestalten können. Er sei nicht einmal in der Lage gewesen, den Inhalt der Vereinbarung zu verstehen.
Der Kläger hat Klage erhoben.
Mit Beschluss vom 5. November 2021 hat das Gericht auf die Rechtswegrüge des Beklagten den Rechtsweg zu den Sozialgerichten für zulässig erklärt.
Der Kläger behauptet, bei Unterzeichnung des Schuldanerkenntnisses sei seine Bitte um einen Dolmetscher ignoriert worden. Ihm sei erklärt worden, er sei zur Unterschrift verpflichtet.
Der Kläger ist der Ansicht, das Schuldanerkenntnis sei nichtig. Der zuständige Senat für Integration, Arbeit und Soziales von Berlin (im Folgenden SenIAS) habe bis heute eine erforderliche Nutzungsgebührensatzung oder -verordnung für Nutzungsgebühren für Aufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünfte i.S.d. AsylG nicht erlassen. Stattdessen habe SenIAS eine „Übergangsregelung“ etabliert. Da nicht transparent sei, was diese „Übergangsregelung“ umfasse, sei auf Nachfrage, bspw. des Flüchtlingsrates Berlin auf eine Power-PointPräsentation Bezug genommen worden, woraus sich alles ergeben würde und weitere Fragen entbehrlich würden. Ob und welche Kalkulationen dieser „Übergangslösung“ zugrunde lägen, sei bis heute unbekannt. Gegenüber der taz habe die Senatorin am 3. August 2021 sogar von einer Übergangsverordnung gesprochen.
Der Kläger ist der Ansicht, das Schuldanerkenntnis sei bereits wegen Sittenwidrigkeit nach § 58 Abs. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) i.V.m. § 138 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) nichtig. Nichtig sei demnach insbesondere ein Rechtsgeschäft, durch das jemand unter Ausbeutung der Zwangslage, der Unerfahrenheit, des Mangels an Urteilsvermögen oder der erheblichen Willensschwäche eines anderen sich oder einem Dritten für eine Leistung Vermögensvorteile versprechen oder gewähren lasse, die in einem auffälligen Missverhältnis zu der Leistung stünden. Die Sittenwidrigkeit könne sich zudem aus dem Inhalt, Zweck oder Beweggrund der vertraglichen Vereinbarungen ebenso ergeben, wie aus der Art ihres Zustandekommens, z.B. wenn die Behörde den Vertragspartner aufgrund ihres „Übergewichts“ zu Leistungen zwinge, die von ihm rechtlich nicht geschuldet würden (HessVGH vom 21. Juni 2018 – 3 A 2410/16, Rn. 49 m.w.N.; Hissnauer in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, 2. Auflage, § 58 SGB X, Stand: 11. Januar 2021, Rn. 8). Hier habe der Beklagte die Zwangslage des Klägers ausgenutzt. Dem Kläger sei vermittelt worden, er müsse das „Schuldanerkenntnis“ unterzeichnen – er habe keine Wahl bzw. sei dazu verpflichtet. Zudem sei ausgenutzt worden, dass der Kläger der deutschen (Schrift)Sprache nicht ausreichend mächtig sei, um zu verstehen, was er dort habe unterschreiben sollen. Treuwidrig sei ein Dolmetscher nicht hinzugezogen worden. Schließlich sei auch ausgenutzt worden, dass der Kläger das deutsche Rechtssystem kaum kenne. Der Beklagte habe sich durch die Ausnutzung der strukturellen Schwäche des Klägers einen Vermögensvorteil verschaffen wollen, von welchem er wisse, dass es keine Rechtsgrundlage gebe. Die „Übergangslösung“ des SenIAS basiere weder auf einer Rechtsgrundlage, noch auf einer irgendwie nachvollziehbaren Kalkulation. Um diese fehlende rechtliche Grundlage zu umgehen, sollte das „Anerkenntnis“ eine Rechtsgrundlage schaffen und dabei auch jede Möglichkeit von sozialrechtlichen Rechtsbehelfen ausschalten (jedenfalls nach der Vorstellung des Beklagten). Diese Konstellation könne nur als sittenwidrig bezeichnet werden. Die Forderung einer Geldsumme für die Nutzung einer öffentlich-rechtlichen Einrichtung stelle eine Nutzungsgebühr dar, für deren Erhebung es einer Gebührenverordnung bedürfe (§§ 3, 6 Berliner Gebühren- und Beitragsgesetzes (GebBeitrG)). In Berlin existiere eine solche Gebührenverordnung jedoch nicht.
Der Kläger ist der Ansicht, auch § 58 Abs. 2 Nr. 1 SGB X greife, da ein Verwaltungsakt mit dem Inhalt, dass der Kläger sich einer rechtsgrundlosen Forderung, ohne sozialrechtliche Rechtsschutzmöglichkeiten, unterwerfe, an einem besonders schwerwiegenden Fehler leiden würde und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände auch offensichtlich wäre. Zudem sei der Vertrag nach § 58 Abs. 2 Nr. 2 und 4 SGB X nichtig.
Der Kläger ist zudem der Ansicht, das Schuldanerkenntnis sei wirksam angefochten worden. Als er das Schuldanerkenntnis unterschrieben habe, habe der Kläger nicht gewusst, dass er eine rechtsgeschäftliche Erklärung unterschrieben habe. Ihm habe mithin bereits das Erklärungsbewusstsein gefehlt, was nach der Rechtsprechung wie ein Erklärungsirrtum nach § 119 Abs. 1 Var. 2 BGB wirke (vgl. MüKo BGB/Armbrüster, § 119 Rn. 96 ff.). Es habe somit ein Anfechtungsgrund bestanden. Darüber hinaus könne die Aussage das Beklagten, der Kläger müsse das Schuldanerkenntnis unterschreiben, auch als Drohung oder Täuschung i.S.d. § 123 Abs. 1 BGB gewertet werden. Die Anfechtung sei auch im Sinne von § 143 Abs. 1 BGB ausdrücklich erklärt worden. Aus der Erklärung sei auch die zur Anfechtung berechtigenden tatsächlichen Umstände erkennbar gewesen. Schließlich sei die Anfechtung gem. § 121 Abs. 1 S. 1 BGB unverzüglich, d.h. ohne schuldhaftes Zögern, erfolgt. Zwar seien zwischen der Unterschrift unter das Schuldanerkenntnis und der Anfechtungserklärung mehrere Wochen vergangen, dies dürfte jedoch nicht als schuldhaftes Zögern zu werten sein, da dem Kläger als Rechtsunkundigen nicht als schuldhaft vorgeworfen werden könne, zunächst einen Rechtsanwalt aufgesucht zu haben. Da hier zudem eine Drohung oder arglistige Täuschung i.S.d. § 121 BGB vorliege, komme es auf die Unverzüglichkeit ohnehin nicht an.
Der Kläger ist der Ansicht, dass, wenn der Beklagte meint, nach § 2 AsylbLG i.V.m. § 19 Abs. 5 SGB XII vorgehen zu müssen, er dies schlicht hätte tun müssen. Dazu hätte eine vorläufige Leistungsbewilligung gehört, nachdem das entsprechende Einverständnis des Klägers hätte eingeholt werden müssen und in der Folge hätte ein entsprechender Erstattungsbescheid ergehen müssen. Dies sei aber nicht geschehen.
Der Kläger beantragt,
festzustellen, dass das „Anerkenntnis der Zahlung von Eigenanteilen“ (im Folgenden „Schuldanerkenntnis“) nichtig ist und der Beklagte daraus gegen den Kläger keine Rechte ableiten kann.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Kläger ist der Ansicht, dass, nachdem der Beklagte die Kosten der Unterkunft im Voraus in voller Höhe übernommen habe, der Kläger nach § 2 AsylbGL i.V.m. § 19 Abs. 5 SGB XII zur Erstattung derjenigen Kosten verpflichtet sei, in welchem Umfange ihm aus seinem Einkommen und Vermögen möglich und zumutbar sei. Aus sozialen Gesichtspunkten werde dieser Betrag nach einer Entscheidung der Senatsverwaltung auf 344 Euro monatlich begrenzt. Sonst würde ein Verwaltungsakt ergehen, welcher über 344 Euro lauten würde. Stattdessen sei ein öffentlich-rechtlicher Vertrag geschlossen worden. Andernfalls wären die vollen Unterkunftskosten anzusetzen und im Ergebnis von der untergebrachten Person zu tragen. Allein die Anwendung der in Rede stehenden Übergangslösung ermögliche eine einheitliche Deckelung der Unterbringungskosten. Mit dem Einzug in die Unterkunft des LAF werde faktisch ein öffentlich-rechtliches Unterbringungsverhältnis begründet und damit eine Zahlungspflicht des Untergebrachten. Die Einzelheiten sowie die Höhe des zu zahlenden Eigenanteils würden in der Kostenübernahmeerklärung des Jobcenters dokumentiert und dem Betroffenen zur Kenntnis gegeben. Mit dem Schuldanerkenntnis werde diese Zahlungspflicht bestätigt und der im Einzelfall auf Grundlage der Übergangslösung zu zahlende Eigenanteil dokumentiert. Das Land Berlin beabsichtige mittelfristig, die Höhe der zu zahlenden Unterkunftskosten bei öffentlich-rechtlicher Unterbringung in einer Gebührenordnung zu regeln. Bis dahin gelte die sog. Übergangslösung, mit der im Lichte des Sozialstaatsprinzips reduzierte Eigenanteile kalkuliert worden seien.
Der Beklagte behauptet, der Kalkulation liege ein Einheitsnutzungsentgelt für sämtliche Arten von vertragsgebundenen LAF-Unterkünften zugrunde. Abweichungen in den Qualitätsstandards seien dabei unvermeidbar und hinzunehmen, seien aufgrund der vertraglichen Bindung im Rahmen der Qualitätssicherung jedoch begrenzt. Die Erhebung eines Einheitsnutzungsentgelts sei grundsätzlich zulässig und gerechtfertigt, da die untergebrachte Person in eine Unterkunft zugewiesen werde und insoweit keine Wahlmöglichkeit habe. Unter Umständen seien aber sogar Unterkünfte mit schlechterem Standard tatsächlich aber kostenintensiver, zudem ergebe sich aber schon aus der Vertragsbindung sämtlicher Unterkünfte mit dem LAF eine Qualitätssicherung. Der durchschnittliche Kostensatz (= Tagessatz der Betreiber + Kosten für die Anmietung der Gebäude), gemessen an der durchschnittlichen Auslastung (95 %) betrage in den Unterkünften 26,56 Euro pro Person pro Tag, ohne Betreuungskosten. Dieser Kostensatz sei nach den in Literatur und Rechtsprechung entwickelten Kriterien nicht vollumfänglich auf die untergebrachten Personen umlegbar. Nach Abzug der nicht umlegbaren Kosten (für Leerstand, Überkapazitäten, Betreuung und Bewachung sowie für staatliche Bedienstete, denen der verwaltungsmäßige Vollzug und Betrieb der Unterkünfte obliege), betrage dieser umlegbare Kostensatz durchschnittlich 16,18 Euro pro Person pro Tag, sprich einem monatlichen Nutzungsentgelt von 491,82 Euro (das ohne Einkommen nach § 22 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) voll zu übernehmen wäre). Diese an sich gebotene kostendeckende Umlage, erscheine indes gemessen an der Art der Unterkunft vor allem aber im Lichte des Sozialstaatsprinzips und einer drohenden wirtschaftlichen Überforderung nicht verhältnismäßig, weshalb ein Abschlag von 30 % (für Qualitätsstandards) vorgenommen worden sei, mithin das Nutzungsentgelt in Höhe von 344 Euro festgelegt worden sei. Der so ermittelte Betrag trage nach sorgfältiger Prüfung dem Spannungsverhältnis zwischen Kostendeckungsprinzip einerseits und dem Äquivalenzprinzip sowie dem Sozialstaatsprinzip andererseits angemessen Rechnung.
Für weitergehende Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Leistungsakte des Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage hat Erfolg.
I. Das Gericht konnte nach § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten hiermit ihr Einverständnis erklärt haben.
II. Die Klage ist zulässig.
Sie ist als Feststellungsklage im Sinne von § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG statthaft, da das Bestehen oder Nichtbestehen einer Rechtsbeziehung zwischen Beklagtem und Kläger streitig ist.
Der Kläger hat auch das erforderliche Feststellungsinteresse im Sinne von § 55 Abs. 1 SGG, da der Beklagte dem Kläger Forderungen stellt, welche sich auf das Schuldanerkenntnis berufen.
III. Die Klage ist auch begründet. Das vom Kläger unterschriebene „Anerkenntnis der Zahlung von Eigenanteilen“ ist nichtig.
Bei diesem Schuldanerkenntnis handelt es sich um einen öffentlich-rechtlichen Vertrag im Sinne von § 55 Abs. 1 SGB X i.V.m. § 61 S. 2 SGB X, § 781 BGB.
Der Wirksamkeit dieses Vertrags steht zunächst nicht entgegen, dass dieses nur vom Kläger unterschrieben wurde. Denn nach § 781 BGB bedarf nur die Erklärung des Schuldners der Schriftform.
Allerdings ist das Schuldanerkenntnis nichtig nach § 58 Abs. 2 Nr. 1 SGB X. Danach ist ein öffentlich-rechtlicher Vertrag nichtig, wenn ein Verwaltungsakt mit entsprechendem Inhalt nichtig wäre. Die Nichtigkeit von Verwaltungsakten richtet sich nach § 40 SGB X.
Es liegt zunächst keiner der in § 40 Abs. 2 SGB X genannten absoluten Nichtigkeitsgründe vor.
Zur Überzeugung der Kammer besteht aber Nichtigkeit nach § 40 Abs. 1 SGB X. Danach ist ein Verwaltungsakt nichtig, soweit er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offensichtlich ist.
Ein besonders schwerwiegender Fehler in diesem Sinne liegt nur vor, wenn der Verwaltungsakt in einem so schwerwiegenden Widerspruch zur geltenden Rechtsordnung und den ihr zugrundeliegenden Wertvorstellungen und tragenden Verfassungsprinzipien steht, dass es unerträglich wäre, wenn die beabsichtigten Rechtswirkungen eintreten würden (BSG, Urteil vom 20. August 2019 – B 2 U 35/17 R m.w.N.). Materielle Fehler führen vor diesem Hintergrund nur ausnahmsweise zur Nichtigkeit, wenn sich die Behörde gegenüber dem Bürger Herrschaftsmacht (Eingriffshoheit) beimisst, obwohl das Grundgesetz sie ihr grundsätzlich abspricht oder nur zuspricht, soweit verfassungsgemäße Akte der gesetzgebenden Gewalt sie ihr für umschriebene Lebensbereiche übertragen (BSG a.a.O.). Bloße Rechtswidrigkeit und keine Nichtigkeit begründet die Gesetzwidrigkeit des Verwaltungsaktes oder das Fehlen einer gesetzlichen Grundlage (Gesetzlosigkeit) (vgl. BSG, Urteil vom 9. Juni 1999 – B 6 KA 76/97 R) oder ein Erlass eines Verwaltungsaktes im Vorgriff auf eine zukünftige gesetzliche Grundlage (BSG, Urteil vom 23. Juni 1994 – 12 RK 82/92), soweit nicht weitere schwerwiegende und offensichtliche Nichtigkeitsgründe hinzutreten („absolute Gesetzlosigkeit“) (BSG, Urteil vom 23. Juni 1994 – 12 RK 82/92).
Vorliegend wäre nach diesen Maßstäben ein Verwaltungsakt mit gleichen Inhalten nichtig gewesen, weil durch den offensichtlichen Mangel einer notwendigen Rechtsgrundlage bei gleichzeitig notwendiger Befriedigung eines existenznotwendigen Unterkunftsbedarfs eine absolute Gesetzlosigkeit vorliegt.
Ziel des Schuldanerkenntnisses ist es vorliegend, den Kläger an den Kosten für eine vom Beklagten vermittelte Unterkunft zu beteiligen.
Zwar ist es nach Ansicht der Kammer dem Grunde nach nachvollziehbar, dass Geflüchtete, die in vom Beklagten vermittelten Unterkünften untergebracht sind, mit einem Eigenanteil an den Kosten ihrer Unterbringung beteiligen, wenn sie Einkommen haben.
Wie aber auch das Land Berlin selbst erkannt hat (vgl. hierzu die vom Kläger im Rahmen der Klageschrift vorgelegte PowerPoint-Präsentation), sind dabei für öffentliche Einrichtungen, zu denen auch Wohnungslosenunterkünfte wie die Unterkünfte des Beklagten zählen, die Vorgaben des GebBeitrG zu beachten.
Nach § 3 Abs. 1 GebBeitrG werden als Gegenleistung für die Benutzung öffentlicher Einrichtungen sowie für damit in Zusammenhang stehende Leistungen Benutzungsgebühren erhoben. Nach § 6 Abs. 1 GebBeitrG erlässt der Senat durch Rechtsverordnung nach Maßgabe der Vorschriften dieses Gesetzes Gebühren- und Beitragsordnungen. § 7 Abs. 1 GebBeitrG definiert dabei formelle Anforderungen an das Erlassverfahren, insbesondere Auslegungsfristen. § 8 GebBeitrG wiederum definiert inhaltliche Grundsätze für die Bemessung von Gebühren und Beiträgen.
An einer solchen Gebühren- bzw. Nutzungsverordnung, welche eine Rechtsgrundlage für die vom Kläger geforderten Eigenanteile darstellen könnte, fehlt es hier.
Soweit das Land Berlin im Rahmen im Rahmen der vom Kläger übersandten PowerPoint-Präsentation bis zum (für das Jahr 2020 angestrebten) Erlass einer Nutzungsentgeltverordnung für Unterkünfte des Beklagten eine „Übergangslösung“ dahingehend praktiziert, dass unter Beteiligung diverser öffentlicher Stellung davon ausgegangen wird, dass die durchschnittlichen umlagefähigen Kosten „ca. 492 Euro“ im Monat je Bewohner betragen und vor diesem Hintergrund der maximal zu zahlende Eigenanteil wegen des Standards mit einem Abschlag von 30 % und anhand der Größe der Bedarfsgemeinschaft (10 %-Abschlag je haushaltsangehörender zweiter und dritter Person) zu berücksichtigen ist, woraus sich ein Betrag von 344 Euro für eine Person, 590 Euro für zwei Personen, 738 Euro für drei Personen etc. ergibt, so kann diese Berechnung bereits aus formellen Gründen nicht die erforderliche Rechtsverordnung ersetzen.
Diese „Übergangslösung“ genügt aber auch inhaltlich nicht den Anforderungen an eine Gebühren- oder Nutzungsverordnung.
So ist bereits bei der Bestimmung des Begriffs der „Bedarfsgemeinschaft“ zu beachten, dass dieser aus dem Bereich des SGB II, dort § 7 Abs. 3 SGB II, entstammt, und keine originäre Begrifflichkeit des Zwölften Buchs Sozialgesetzbuch (SGB XII) oder des AsylbLG darstellt. Das SGB XII kennt den Begriff der Haushaltsgemeinschaft, § 39 SGB XII und definiert in §§ 19 Abs. 4, 20 SGB XII zudem Zugehörigkeitskriterien. Diese Begriffe sind aber nicht zwingend deckungsgleich mit dem Begriff der Bedarfsgemeinschaft. Insbesondere wird in der o.g. Darstellung des Eigenanteils zum einen der Begriff der Bedarfsgemeinschaft verwendet, zum anderen aber ein Abschlag für „haushaltsangehörende“ Personen vorgenommen. Haushaltsangehörigkeit und Zugehörigkeit zu einer Bedarfsgemeinschaft sind aber bereits im SGB II nicht zwingend deckungsgleich.
Ungeachtet dessen aber ist nicht ersichtlich, dass die nach den o.g. Kriterien ermittelten Eigenanteile den gebührenrechtlichen Grundsätzen, welche sich wiederum am verfassungsrechtlichen Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) orientieren, ermittelt wäre. So darf die Höhe der Gebühr nicht nach anderen Maßstäben als – wie auch in § 8 Abs. 2 GebBeitrG niedergelegt – insbesondere dem Aufwand der in Anspruch genommenen Einrichtung (Kostendeckungsprinzip) sowie der Bedeutung der Leistung für den Benutzer (Äquivalenzprinzip und Grundsatz der Verhältnismäßigkeit) bemessen (BayVGH, Beschluss vom 14. April 2021 – 12 N 20.2529). Soweit bekannt, fehlen hierzu jegliche Feststellungen seitens des Beklagten über die in der o.g. PowerPoint-Präsentation genannten Eckdaten hinaus. So ist insbesondere auch die unterschiedliche Behandlung von Haushaltsgemeinschaften verschiedener Größe im Vergleich zu einem Ein-Personen-Haushalt nicht hinreichend begründet. Die unterschiedliche Behandlung von Alleinstehenden oder Haushaltsangehörigen dahingehend, dass ausgehend von einer für alle einheitlichen Grundgebühr ohne strikte Beachtung des Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) nach freiem Ermessen Abschläge gewährt werden könnten, ist dabei verfassungsrechtlich nicht gedeckt (vgl. zur Unwirksamkeit von § 23 Abs. 2 S. 5 der Bayerischen Asyldurchführungsverordnung (DVAsyl) im Rahmen eines Normenkontrollantrags ausführlich BayVGH, Beschluss vom 14. April 2021 – 12 N 20.2529).
In Folge fehlte einem (fiktiven) Verwaltungsakt dem Kläger gegenüber nicht nur eine Rechtsgrundlage. Auch die herangezogenen Erwägungen, die die Rechtsgrundlage ersetzen sollen, genügen nicht den gebührenrechtlichen und verfassungsrechtlichen Anforderungen. Bereits dies begründet nach Ansicht der Kammer die notwendigen schwerwiegenden Gründe, welche vorliegend zu einer absoluten Gesetzlosigkeit führen. Insbesondere ist dabei zu beachten, dass die vom Beklagten herangezogene Kostenregelung zwar im Vorgriff auf eine zukünftige Nutzungsentgeltverordnung entstehen soll, dass die Grundzüge dieser Verordnung aber weder bekannt noch ersichtlich waren. So kann beispielsweise bei Erlass eines Verwaltungsakts, dessen Rechtsgrundlage zwar durch wesentlichen Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens zustande gekommen war, deren Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt aber noch ausstand, angenommen werden, dass hier inhaltlich im Einklang mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben gehandelt wurde (BSG, Urteil vom 23. Juni 1994 – 12 RK 82/92). Wenn eine solche Rechtsgrundlage aber noch nicht einmal in ihren Grundzügen umrissen ist, kann von einer solchen zumindest inhaltlichen Übereinstimmung nicht ausgegangen werden, und zwar insbesondere dann nicht, wenn die Übergangslösung bereits den geltenden verfassungsrechtlichen und einfachgesetzlichen Vorgaben nicht genügt. Im Ergebnis stellen sich die vom Land Berlin errechneten und vom Beklagten herangezogenen Kostenansätze damit als willkürlich dar.
Selbst wenn aber eine Nichtigkeit nach § 58 Abs. 2 Nr. 1 SGB X in diesem Sinne noch nicht vorliegen sollte, ergibt sich eine solche nach Ansicht der Kammer jedenfalls aus § 58 Abs. 1 SGB X i.V.m. § 138 BGB. Danach ist ein öffentlich-rechtlicher Vertrag nichtig, wenn er nach § 138 BGB sittenwidrig ist. Die guten Sitten werden dabei als Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstanden (BGH, Urteil vom 21. September 1953 – III ZR 304/52).
Diese Sittenwidrigkeit ergibt sich zur Überzeugung der Kammer zusätzlich zu den o.g. Erwägungen zum Fehlen einer Rechtsgrundlage aus dem Kontext, in welchem das streitige Schuldanerkenntnis zustande gekommen ist.
Denn zwar mag es dem Grunde nach dem Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden entsprechen, auch geflüchtete Menschen, welche über entsprechende Geldmittel verfügen, zu den Kosten ihrer Unterbringung heranzuziehen, wobei auch dies nicht im rechtlich nicht begründbaren Raum erfolgen kann.
Allerdings ist dabei zu berücksichtigen, dass der Kläger als geflüchtete Person dem Beklagten nicht auf Augenhöhe begegnet, sondern der Beklagte im Gegenteil von der Unterzeichnung des Schuldanerkenntnisses den Erhalt einer Unterkunft abhängig macht. Dabei besteht ein Abhängigkeitsverhältnis des Klägers vom Beklagten. Denn ohne Hilfe des Beklagten wäre dieser gehalten, entweder eine Obdachlosenunterkunft aufzusuchen oder sich eine Wohnung auf dem Berliner Wohnungsmarkt ohne Hilfe zu suchen. Dabei ist zu beachten, dass sich der Wohnungsmarkt in Berlin in den vergangenen Jahren weitestgehend vom allgemeinen Marktgeschehen abgekoppelt hat (vgl. diesbezüglich LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 30. März 2023 – L 32 AS 1888/17), wie der Kammer auch aus zahlreichen weiteren Verfahren bekannt ist, weshalb die Aussichten für den Kläger, ohne Hilfe zügig eine Wohnung im niedrigen Preissegment auf dem freien Markt zu finden, als jedenfalls extrem ungünstig einzuschätzen waren. In dieser Situation aber muss der Kläger darauf vertrauen können, dass die vom Beklagten zugrunde gelegten Gebührensätze rechtlichen, insbesondere verfassungsrechtlichen Vorgaben genügen und er vom Beklagten als zuständiger Behörde nach den gesetzlichen Grundsätzen behandelt wird. Fußt aber die im Schuldanerkenntnis geforderte Zahlung für die Nutzung der Unterkunft nicht auf rechtlichen Grundlagen und genügt nicht verfassungsmäßigen Berechnungsanforderungen, wie dies hier der Fall ist (s.o.), stellt sich die Vorlage eines Schuldanerkenntnisses faktisch als Ausnutzung einer Zwangssituation dar. Dies aber kann nicht vom Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden, die in einer solchen Situation jedenfalls ein Handeln des Staats auf rechtlicher Grundlage bzw. jedenfalls äquivalenten Berechnungsgrundlagen erwarten dürfen und müssen, erfasst sein.
IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ergebnis der Hauptsache.
Die Berufung ist statthaft, da der Wert des Beschwerdegegenstandes 750 Euro übersteigt (§ 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGG).