Nach dem derzeitigen wissenschaftlichen Erkenntnisstand bedarf es bei der BK Nr. 1318 der Anl. 1 der BKV für die Annahme eines Kausalzusammenhanges zwischen einer akuten myeloischen Leukämie (AML) bzw. einem myelodysplastischen Syndrom (MDS) und der Exposition gegenüber Benzol nach wie vor einer Exposition im Umfang von mindestens 8 ppm-Jahren.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 03. November 2021 wird zurückgewiesen.
Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist die Anerkennung einer Leukämie-Erkrankung des am 18. April 1962 geborenen und am 27. Februar 2020 während des laufenden Klageverfahrens verstorbenen M S St (Versicherter) als Berufskrankheit (BK) nach Nr. 1318 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) - Erkrankungen des Blutes, des blutbildenden und des lymphatischen Systems durch Benzol (BK Nr. 1318). Die Klägerin ist die Witwe und alleinige Erbin des Versicherten.
Der Versicherte war gelernter Raumausstatter. Bis zur Aufnahme einer nicht in der Gesetzlichen Unfallversicherung versicherten selbständigen Tätigkeit als Fußbodenleger im Juli 2003 war der Versicherte bei verschiedenen Firmen beschäftigt und übte nach seinen Angaben gegenüber der Beklagten (vgl. Fragebögen vom 23. April 2016) sowie den ihn befragenden Präventionsdiensten der Beklagten (Hausbesuch vom 03. Juni 2016), der Berufsgenossenschaft Rohstoffe und chemische Industrie (BG RCI) und der Berufsgenossenschaft Handel und Warenlogistik (BGHW) (Telefonat vom 04. Juli 2016, schriftliche Bestätigung des Versicherten vom 12. Juli 2016) folgende Tätigkeiten aus:
- Von September 1978 bis August 1981 absolvierte er bei der Fa. H R, einem Mitgliedsunternehmen der BG RCI, die Lehre zum Raumausstatter und arbeitete dort in diesem Beruf bis zum 12. Februar 1982. Zu ca. 90 % war er mit Polsterarbeiten, zu ca. 10 % mit Fußbodenlegearbeiten beschäftigt.
Der Präventionsdienst der BG RCI ermittelte für diese Beschäftigung (einschließlich Ausbildungszeit) nach einer Befragung des Versicherten eine Benzolbelastung durch Hautkontakt (dermal) und Dämpfe (oral) bei der Verwendung von Klebern sowie Nitroverdünnern (u.a. zum Reinigen der Hände) mit einer Expositionshöhe von insgesamt 0,70 ppm-Benzoljahren (Stellungnahme vom 08. Juli 2016).
- Vom 15. Februar 1982 bis zum 03. März 1985 und vom 15. April 1985 bis zum 31. Januar 1986 arbeitete der Versicherte als Fußbodenleger bei heute nicht mehr existenten Mitgliedsunternehmen der Beklagten, wobei er von April 1984 bis zum 03. März 1985 als Bauleiter eingesetzt wurde und nur zu ca. 50 % Fußbodenlegearbeiten ausführte.
Der Präventionsdienst der Beklagten ermittelte zu diesen Tätigkeiten nach einer Befragung des Versicherten orale und dermale Benzolbelastungen bei Fußbodenlegearbeiten durch das Verwenden von Klebern, Spachtelmasse und Nitroverdünner mit einer Expositionshöhe von 2,7 ppm-Jahren (02/82 - 03/85) und 0,8 ppm-Jahren (04/85 - 01/86) (Stellungnahme vom 15. Juni 2016).
- Vom 01. Februar 1986 bis zum 31. Juli 1986 war der Versicherte bei der nicht mehr existenten H Profilverlegungs-GmbH ebenfalls im Zuständigkeitsbereich der Beklagten als Monteur für Wandsockelleisten tätig.
Der Präventionsdienst der Beklagten ermittelte hierzu orale und dermale Benzolbelastungen durch das Verwenden von Klebern und benzolhaltigen Lösemitteln mit einer Expositionshöhe von 0,5 ppm-Jahren. (Stellungnahme vom 15. Juni 2016).
- Vom 09. Februar 1987 bis zum 30. September 1987 arbeitete der Versicherte im Verkaufslager der Fa. K & Söhne GmbH, einem Mitgliedsunternehmen der BGHW, als Sachbearbeiter für Fußboden- und Möbeldekorationsstoffe. Zu ca. 30 % seiner Arbeitszeit führte der Versicherte Bodenlegearbeiten aus. Benzolbelastungen während dieser Tätigkeit verneinte der Präventionsdienst der BGHW zunächst, bejahte diese dann später hinsichtlich der Fußbodenlegearbeiten mit einer Expositionshöhe von 0,2 ppm-Jahren (Stellungnahmen vom 27. Juli 2016 und 26. Juni 2018).
- Ab dem 01.Oktober 1987 war der Versicherte bis zum 30. Juni 2002 bei der Fa. Linoleum S GmbH, einem nicht mehr existierenden Mitgliedsunternehmen der Beklagten, beschäftigt, zunächst bis Dezember 1993 als Bauleiter auf Großbaustellen für den Großhandel, danach als Bauleiter und Prokurist bei der Verlegerei.
Der Präventionsdienst der Beklagten stellte für die Zeit bis Dezember 1990 eine orale Benzolbelastung des Versicherten über die Atemluft als Bystander bei der Arbeit auf Großbaustellen fest mit einer Expositionshöhe von 0,6 ppm-Jahren. Für die Zeit ab 1991 könne eine relevante Benzolbelastung nicht mehr angenommen werden. Der Benzolgehalt bei den verwendeten Lösemitteln und Klebern habe seitdem unterhalb der Nachweisgrenze gelegen (Stellungnahmen vom 15. Juni 2016 und 30. August 2016).
Wegen seit Mai 2015 zunehmender Atemprobleme des Versicherten wurde von behandelnden Ärzten im Spätsommer 2015 zunächst bei diagnostizierter chronisch-obstruktiver Lungenerkrankung (COPD Grad III) mit Lungenemphysem und Nikotinabusus (35 pack-years), mehrerer radiologisch nachweisbarer Herdbefunde der Lunge und vergrößerten Lymphknoten der Verdacht einer malignen Lungenerkrankung geäußert, der sich bei einer Bronchoskopie aber nicht bestätigte (siehe Bericht über den Erkrankungs- und Behandlungsverlauf der behandelnden Pneumologin Dr. P vom 29. September 2023, Bronchoskopiebefund der C Campus V-Klinikum vom 11. Juni 2015, CT-Thorax Befund vom 08. Februar 2016).
Im Dezember 2015 traten dann vermehrt Hautveränderungen auf, die nach histologischen Untersuchungen zunächst als "Pseudolymphom" gedeutet wurden, bis im Rahmen eines stationären Aufenthalts des Versicherten im V Klinikum N ab dem 30. März 2016 die Diagnose einer akuten Leukämie gestellt wurde in der Sonderform einer mit einem Myelodisplastischen Syndrom assoziierten (MDS-assoziierten) akuten myeloischen Leukämie (AML) des komplex aberranten Karyotyps 49, XY, +13, +14, +21(18). Eine sofort eingeleitete Induktions-Chemotherapie führte nicht zum erhofften Ergebnis, woraufhin am 22. Juni 2016 eine Stammzellentherapie erfolgte, die bei schweren Nebenwirkungen zunächst zu einer hämatologischen Regeneration führte. Spätere Rezidive machten eine erneute Stammzellentransplantation am 21. Februar 2017 erforderlich (vgl. Berichte des CCentrums für Innere Medizin und Dermatologie vom 23. Dezember 2015, des V Klinikums N vom 28. April 2016 und 07. Oktober 2019, des CCentrums für Tumormedizin vom 28. Juli 2016, 23. März 2017, 15. Januar 2019 und 31. Mai 2019). Im Februar 2020 verstarb der Versicherte an den Folgen der Erkrankung.
Unter dem 12. April 2016 zeigten Dr. M / Prof. Dr. de W als behandelnde Ärztinnen des V Klinikums N wegen der beim Versicherten diagnostizierten Leukämieerkrankung den Verdacht einer BK Nr. 1318 an und wiesen auf eine jahrelange berufliche Exposition des Versicherten durch Lacke, Lösungsmittel und Klebstoffe hin.
In dem daraufhin eingeleiteten Verfahren zur Feststellung einer BK Nr. 1318 holte die Beklagte vom Versicherten Informationen und Unterlagen zu seinen beruflichen Tätigkeiten ein, forderte Berichte und Informationen der Krankenkasse und behandelnder Ärzte und Kliniken an, und beauftragte ihren Präventionsdienst mit Stellungnahmen zu den beruflichen Benzolbelastungen des Versicherten. Nachdem diese Stellungnahmen vom 15. Juni 2016 und 30. August 2016 sowie auch die weiteren Stellungnahmen der Präventionsdienste der BG RCI vom 08. Juli 2016 und der BGHW vom 27. Juli 2016 zu Benzolbelastungen des Versicherten während Beschäftigungszeiten in ihrem Zuständigkeitsbereich vorlagen, wandte sich die Beklagte mit Schreiben vom 31. August 2016 an den Landesgewerbearzt und informierte diesen darüber, dass man beabsichtige, die Anerkennung einer BK Nr. 1318 abzulehnen. Die festgestellte berufliche Benzolbelastung von insgesamt 5,3 ppm-Jahren sei nicht ausreichend, um eine AML zu verursachen und diese als BK Nr. 1318 anzuerkennen.
Der Landesgewerbearzt schloss sich dem in seiner Stellungnahme vom 10. Oktober 2016 an. Die Anerkennung einer BK Nr. 1318 könne nicht vorgeschlagen werden, weil die arbeitstechnischen Voraussetzungen nicht erfüllt seien.
Hierauf lehnte es die Beklagte mit Bescheid vom 18. Oktober 2016 ab, die beim Versicherten festgestellte akute myeloische Leukämie als BK Nr.1318 anzuerkennen. Der Versicherte habe bei seiner in der Gesetzlichen Unfallversicherung versicherten Tätigkeit als Raumausstatter, Fußbodenleger und Monteur zwar Kontakt zu benzolhaltigen Stoffen gehabt, aber nicht in einem Umfang, der nach dem Stand der medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse ausreiche, um als hinreichend wahrscheinliche Ursache der Erkrankung bewertet zu werden.
Den am 08. November 2016 eingelegten Widerspruch des Versicherten, mit dem er geltend machte, als Raumausstatter und Fußbodenleger über viele Jahre massiven Belastungen durch benzol- und lösungsmittelhaltige Stoffe ausgesetzt gewesen zu sein, was auch nach Auffassung der ihn behandelnden Ärzte ausschlaggebend für seine Leukämieerkrankung sei, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 15. Dezember 2016 zurück. In den Gründen führte sie aus, dass für die beim Versicherten festgestellte Erkrankung eine berufliche Verursachung durch Benzolbelastungen im Sinne des BK-Tatbestandes Nr. 1318 nach den Empfehlungen des Medizinischen Sachverständigenbeirats mindestens eine Benzolexposition von 8 ppm-Jahren voraussetze. Das sei eine untere Grenze. Für die berufliche Tätigkeit des Versicherten bis 1990 habe nur eine Benzolexposition von 5,3 ppm-Jahren festgestellt werden können. Der Benzolgehalt der nach 1990 noch verwendeten Lösungsmittel und Kleber habe unter der Nachweisgrenze gelegen. Eine Benzolexposition nach 1990 sei deshalb nicht mehr anzunehmen.
Am 03. Januar 2017 hat der Versicherte hiergegen Klage vor dem Sozialgericht Berlin (SG) erhoben und die Anerkennung der bei ihm diagnostizierten Leukämieerkrankung als BK Nr. 1318 geltend gemacht. Zur Begründung hat der Versicherte vorgetragen (vgl. Schriftsätze vom 15. Februar 2017, 23. Juni 2017, 23. Oktober 2017, 15. Januar 2018, 25. Juli 2018, 09. April 2019), dass die Berechnungen zur Benzolexposition, auf die die Beklagte sich stütze, nicht überzeugen könnten, teilweise unzutreffend seien, wegen der Bezugnahme auf nicht veröffentlichte bzw. nicht zugängliche Berechnungsgrundlagen insgesamt nicht nachvollziehbar seien und insgesamt eine zu niedrige Benzolbelastung feststellten. Nicht berücksichtigt worden seien die von ihm in erheblichem Umfang geleisteten Überstunden. Die Aussage, dass nach 1990 keine benzolhaltigen Produkte mehr verwendet wurden, sei unzutreffend. So sei z. B. der besonders benzolhaltige Neoprene-Vorstrich RA7 der Fa. Thomsit, den er insbesondere von 1978 bis 1986 verwendet habe, erst nach 1992 vom Markt genommen worden. Für dieses Produkt, aber auch für andere Produkte sei außerdem von einem höheren Benzolanteil auszugehen als von der Beklagten angenommen. Bei der Berechnung der dermalen Benzolexposition sei insbesondere vom Präventionsdienst der BG RCI von einer zu geringen betroffenen Hautfläche ausgegangen worden. Auch die von der Beklagten im Klageverfahren eingereichten ergänzenden Stellungnahmen der Präventionsdienste könnten nicht überzeugen. Dies habe eine von ihm veranlasste summarische Bewertung ergeben. Sollte das Gericht nicht von einer ausreichenden Benzolbelastung ausgehen, müsse es eine externe sachverständige Prüfung der Berechnungen der Präventionsdienste veranlassen. Unabhängig davon, dass von einer deutlich höheren Benzolexposition als 5,3 bzw. 5,5 ppm-Jahren auszugehen sei, sei es aber auch nicht richtig, ohne Berücksichtigung der besonderen Umstände des vorliegenden Falles starr an der 8 ppm-Jahresgrenze festzuhalten. Ausweislich der Stellungnahmen von Dr. M und Prof. Dr. de W vom 12. Oktober 2017 und 04. April 2019 gebe es vorliegend Besonderheiten, die eine berufliche Verursachung durch Benzolbelastungen belegten.
Der Versicherte hat eine von ihm eingeholte Auskunft der Henkel & Co. KGaA vom 28. April 2018 zu den Lösemittelanteilen in den Thomsit Neoprene-Produkten in den Jahren 1976 bis 1991 sowie Stellungnahmen der behandelnden Ärztinnen vom V Klinikum Neukölln, Dr. M und Prof. Dr. de W, vom 12. Oktober 2017 und 04. April 2019 zur Gerichtsakte gereicht. Dr. M und Prof. Dr. de W führten in ihren Stellungnahmen aus, dass die Diagnose einer akuten myeloischen Leukämie beim Versicherten erst nach einer längeren Vorgeschichte einer unklaren Hauterkrankung mit unter der Chemotherapie verschwindenden Hauterscheinungen (CMMOL-/MDS-Erkrankung) gestellt worden sei. Dies, der komplexe Karyotyp und das Rezidiv der MDS-assoziierten AML mit mehrfach erforderlichen Stammzellentransplantationen ließen es wahrscheinlich erscheinen, dass es sich bei der Leukämie-Erkrankung des Versicherten um eine sekundäre Leukämie nach einer zunächst durch berufliche Noxe verursachten MDS/CMMOL-Erkrankung handele. Der Versicherte sei über Jahrzehnte hinweg bei seiner 5 bis 6 Tage pro Woche über 10 bis 12 Stunden täglich im Akkord ausgeübten beruflichen Tätigkeit Belastungen durch Lösungsmittel, Verdünnungslösungen und Kleber ausgesetzt gewesen, insbesondere über die Haut durch stundenlang anhaftenden Kleber sowie das Abwaschen der Arme. Dort habe es auch die ersten, retrospektiv als Infiltrate der AML zu bewertenden Veränderungen gegeben. Es sei unter Berücksichtigung der vom Versicherten geleisteten Überstunden von einer Belastung von 8,6 Jahren auszugehen und kaum vorstellbar, dass die zytogenetisch nachgewiesenen Aberrationen nicht durch die intensive und wiederholte Exposition zum Auftreten der Leukämie geführt haben sollen.
Die Beklagte ist dem entgegengetreten und hat das für die Berechnung der Benzolexposition des Versicherten herangezogene "IFA-Ringbuch Nr. 9105 (Anwendungshinweise des Instituts für Arbeitsschutz [IFA] zur retrospektiven Beurteilung der Benzolexposition, Stand 26. April 2016) mit einem Exemplar für den Versicherten eingereicht. Sie hat unter Bezugnahme auf von ihr eingeholte weitere Stellungnahmen ihres Präventionsdienstes vom 04. August 2017, 27. Februar 2018 und 31. Juli 2020 , des Präventionsdienstes der BG RCI vom 21. Juli 2017 und 05. Februar 2018, des Präventionsdienstes der BGHW vom 26. Juni 2018 sowie einer Stellungnahme ihres Beratungsarztes Dr. K vom 18. Juni 2020 ausgeführt, dass die vom Versicherten und der Klägerin vorgebrachten Einwände gegen die durchgeführten Berechnungen der Benzolexposition mit Ausnahme einer zusätzlich für die Tätigkeit im Zuständigkeitsbereich der BGHW zu berücksichtigenden 0,2 ppm-Jahre nicht berechtigt seien. Geltend gemachte Überstunden seien nicht nachgewiesen und könnten der Berechnung der Benzol-Exposition deshalb nicht zugrunde gelegt werden. Auf welcher Grundlage die behandelnden Ärztinnen Dr. M / Prof. Dr. de W eine Belastung von 8,8 ppm-Jahren annähmen, sei in keiner Weise nachvollziehbar. Soweit der Versicherte sich auf von ihm beschaffte Unterlagen zur Zusammensetzung verwendeter Arbeitsmittel und Produkte beziehe, folge hieraus keinesfalls eine Erhöhung der berechneten Benzol-Exposition. Dies gelte insbesondere für den vom Versicherten in den Vordergrund gestellten und als besonders schädlich und gefährlich bewerteten Neoprene-Vorstrich der Fa.Thomsit. Nach den vom Versicherten vorgelegten Produktinformationen habe er einen Benzolgehalt von nur 0,04 % gehabt. Den durchgeführten Berechnungen habe man aber für dieses Produkt wie auch für andere verwendete Arbeitsmittel für die Zeit bis 1990 im Sinne einer "worst-case"-Betrachtung einen Benzolgehalt von 0,1 % zugrunde gelegt. Auch hinsichtlich der sonstigen Faktoren der Berechnungen zur Benzol-Exposition, insbesondere den berücksichtigten Expositionszeiten durch Hautkontakt und die Atemluft habe man "worst-case"-Szenarien zugrunde gelegt. Nicht nachvollziehbar seien Darstellungen zum Umfang der Belastungen durch spritzende Arbeitsmaterialien und umfassende Verschmutzungen durch Kleber und Lösungsmittel an der Kleidung, den gesamten Armen und den Händen sowie im Klageverfahren teilweise angegebene Zeiten für das Reinigen der Hände / Unterarme. Hätte der Versicherte so unvorsichtig und unsauber mit den verwendeten Produkten hantiert wie zur Klagebegründung geltend gemacht, wären auch die verklebten Teppichböden derartig verschmutzt worden, dass man sie nicht mehr hätte verwenden können. Teilweise würden für das Reinigen der Arme und Hände Zeiten angegeben, die ungefähr der Hälfte der kompletten Zeit der verrichteten Fußbodenverlegarbeiten entsprächen.
Nachdem das SG wiederholt den Versicherten darauf hingewiesen hatte, dass die Anerkennung seiner Leukämie-Erkrankung als BK Nr.1318 den Nachweis einer Benzolbelastung von mindestens 8 bis 10 ppm-Jahren voraussetze und keine konkreten Einwände gegen die Berechnungen der Präventionsdienste zu erkennen seien, hat der Versicherte zunächst beantragt, nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ein arbeitsmedizinisch-internistisches Gutachten von Dr. Sch einzuholen und diesen zu ermächtigten, ein ergänzendes Zusatzgutachten zur Berechnung der Benzolbelastung bei Dr. B (Fachchemiker der Medizin) zu beauftragen (Schriftsatz vom 27. August 2018). Nach der Anforderung eines Kostenvorschusses in Höhe von 5.000,00 € durch das Gericht hat der Versicherte den Antrag mit Schriftsatz vom 08. Februar 2019 zurückgenommen. Er könne diesen Betrag nicht aufbringen. Das Gericht sei aber im Rahmen der Amtsermittlung gehalten, die Berechnungen der Beklagten zur Benzolbelastung durch einen Sachverständigen überprüfen zu lassen.
Nach dem Tod des Versicherten am 27. Februar 2020 hat die Klägerin als Witwe und alleinige Erbin des Versicherten den Rechtsstreit mit dem gleichen Klagebegehren unter Vorlage der Sterbeurkunde vom 09. März 2020 und des vom Amtsgericht T-K ausgestellten Erbscheins vom 07. September 2020 fortgeführt. Sie hat eine schriftliche Erklärung des Zeugen G H vom 17. August 2020 zur Gerichtsakte gereicht, in der dieser die Tätigkeiten eines Bodenlegers und die mit diversen Tätigkeiten verbundenen Ausdünstungen von Lösemitteln und Klebern beschreibt und angibt, dass der Versicherte sein Bauleiter bei der Fa. Linoleum Sc gewesen sei und er ab 2004 für den Versicherten als geringfügig Beschäftigter gearbeitet habe.
Das SG hat zuletzt gemäß Beweisanordnung vom 18. September 2020 ein internistisch‑hämatologisches ärztliches Sachverständigengutachten nach Aktenlage eingeholt. Der beauftragte Sachverständige Dr. P hat in seinem Gutachten vom 07. Oktober 2020 ausgeführt, dass die beim Versicherten diagnostizierte akute myeloische Leukämie bei der Prüfung einer BK Nr. 1318 zu den Krankheiten der Kategorie A gehöre, für die es hinreichende wissenschaftliche Erkenntnisse für die Annahme einer bestimmten Expositionsdosis gebe, ab der mit einer Wahrscheinlichkeit von mehr als 50 % von einer Verursachung durch die Benzol- Exposition ausgegangen werden könne. Eine solche sei bei einer kumulativen Dosis von 10 ppm-Jahren anzunehmen. Bei einer kumulativen Dosis von weniger als 10 ppm-Jahren, aber mindestens 8 ppm-Jahren könne im begründeten Einzelfall von einer wahrscheinlichen Verursachung ausgegangen werden. Für die berufliche Tätigkeit des Versicherten habe nur eine deutlich geringere Benzolbelastung von insgesamt 5,5 ppm-Jahren festgestellt werden können. Eine Verursachung seiner Leukämie-Erkrankung durch berufliche Benzolbelastungen sei deshalb nicht hinreichend wahrscheinlich. Belastungen des Versicherten durch andere Schadstoffe oder Chemikalien seien im Rahmen der Prüfung einer BK Nr. 1318 nicht zu berücksichtigen. Eine mögliche andere Ursache der beim Versicherten festgestellten AML sei Zigarettenkonsum. Beim Versicherten sei ein Tabakkonsum dokumentiert und 2015 ein Lungenemphysem nachgewiesen worden.
Nachdem die Beteiligten ihr Einverständnis zu einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung nach § 124 Abs. 2 SGG erklärt hatten, hat das SG durch Urteil vom 03. November 2021 die Klage abgewiesen. Die Klage sei als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage im Sinne von § 54 Absatz 1 Satz 1 SGG, gerichtet auf die Aufhebung des Bescheides der Beklagten vom 18. Oktober 2016 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 15. Dezember 2016, mit dem diese es abgelehnt habe, die beim Versicherten diagnostizierte akute myeloische Leukämie als BK Nr. 1318 anzuerkennen, und auf die Verpflichtung der Beklagten, eben dies zu tun, also einen feststellenden Verwaltungsakt zur Anerkennung einer BK Nr. 1318 zu erlassen, zulässig. Dass der angefochtene Bescheid und Widerspruchsbescheid nicht an die Klägerin, sondern an den während des laufenden Klageverfahrens am 27. Februar 2020 verstorbenen Versicherten gerichtet gewesen sei, stehe der Zulässigkeit der Klage nicht im Wege. Die Klägerin sei die Witwe und alleinige Erbin des Versicherten und als solche berechtigt, den Rechtsstreit zu der noch vom Versicherten erhobenen Klage weiterzuführen. Ihre Klagebefugnis im Sinne von § 54 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 1 SGG folge zum einen daraus, dass sie als Rechtsnachfolgerin des Versicherten die diesem im Fall des Erfolgs der Klage bis zu seinem Tod zugewachsenen Geldleistungsansprüche aus der Gesetzlichen Unfallversicherung wie z.B. einen Anspruch auf Versichertenrente nach § 56 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB VII) geltend machen könnte. Zum anderen beruhe ihre Klagebefugnis darauf, dass ihr bei einem Erfolg der Klage aus eigenem Recht Hinterbliebenenansprüche nach §§ 63 ff SGB VII zustünden, da nach allen vorliegenden Unterlagen davon auszugehen sei, dass der Tod des Versicherten eine Folge seiner Leukämie-Erkrankung gewesen sei.
Die Klage sei aber unbegründet. Die von der Beklagten mit dem angefochtenen Bescheid getroffene Entscheidung, die beim Versicherten diagnostizierte AML in der Sonderform einer MDS-assoziierten AML des komplex aberranten Karyotyps 49, XY, +13, +14, +21(18) nicht als Berufskrankheit nach § 9 Absatz 1 SGB VII i.V.m. Nr.1318 der Anlage 1 zur BKV anzuerkennen, sei rechtmäßig und nicht zu beanstanden.
a) Zwar sei beim Versicherten nach einem nicht bestätigten Verdacht einer malignen Lungenerkrankung im September 2015 und im Dezember 2015 festgestellten auffälligen Hauterscheinungen, die als "Pseudolymphom" bewertet wurden, im Frühjahr 2016 eine Leukämie-Erkrankung in Gestalt einer MDS-assoziierten AML des komplex aberranten Karyotyps 49, XY, +13, +14, +21(18) festgestellt worden, also eine bösartige Erkrankung des blutbildenden Systems im Sinne des Tatbestandes der BK Nr. 1318 (vgl. zu den von der BK Nr. 1318 erfassten Krankheitsbildern: Schönberger / Mehrtens / Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Auflage 2017, Kap. 14.1 [S. 980/981]; Kap. III 4 des amtlichen Merkblatts zur BK Nr. 1318 [im Folgenden: Merkblatt zur BK Nr. 1318; Bek. des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales <BMAS> vom 30. Dezember 2009, GMBl. 2010, S. 94 ff]; ausführlich; Kap. 1.3.2.1 und 1.3.2.3 der "Wissenschaftlichen Begründung" des Sachverständigenbeirats "Berufskrankheiten" beim BMAS zur Berufskrankheit Nr.1318 [im Folgenden: Wissenschaftliche Begründung zur BK Nr. 1318; Bek. des BMAS vom 01. September 2007, GMBl. 2007, S. 974 ff]).
b) Der Versicherte sei bei seiner Berufsausbildung zum Raumausstatter und der anschließenden Tätigkeit als Polsterer und Fußbodenleger im Rahmen verschiedener Beschäftigungsverhältnisse bei der Verwendung von benzolhaltigen Klebern, Spachtelmasse und Nitroverdünnern unbestritten auch Benzolbelastungen über die Atemluft (oral) und durch Hautkontakt (dermal) ausgesetzt gewesen. Dass ein direkter Zusammenhang zwischen Benzolbelastungen und der Entstehung insbesondere von akuten Leukämien bestehe, sei gesichert (s. Schönberger u.a., a.a.O., Kap. 14.4.2 [S. 993]).
Gleichwohl könne die beim Versicherten festgestellte AML unabhängig von weiteren Fragen der individuellen Kausalitätsbeurteilung schon deshalb nicht als eine durch berufliche Benzolbelastungen verursachte Erkrankung des blutbildenden Systems im Sinne des Tatbestandes Nr. 1318 der Anlage 1 zur BKV anerkannt werden, weil das Ausmaß der Benzolbelastungen des Versicherten nicht ausreichend gewesen sei, um eine durch sie im Sinne der BK Nr. 1318 verursachte Erkrankung annehmen zu können.
Die Benzolbelastung des Versicherten durch seine in der Gesetzlichen Unfallversicherung versicherten beruflichen Tätigkeiten, von der nach den Feststellungen des Präventionsdienstes der Beklagten für die Beschäftigungszeiträume vom 15. Februar 1982 bis zum 02. März 1985, vom 15. April 1985 bis zum 31. Januar 1986, vom 01. Februar bis zum 31. Juli 1986 und vom 01. Oktober 1987 bis zum 30. Juni 2002, den Feststellungen des Präventionsdienstes der BG RCI für die Ausbildungs-/Beschäftigungszeit vom 01. September 1978 bis zum 12. Februar 1982 und den Feststellungen des Präventionsdienstes der BGHW für die Beschäftigung vom 09. Februar 1987 bis zum 30. September 1987 ausgegangen werden könne, betrage nämlich insgesamt lediglich 5,5 ppm-Jahre (ppm-Jahr [Benzoljahr] = Tätigkeitsdauer in Jahren x durchschnittliche arbeitstägliche Benzolkonzentration [s. Kap. 3.2.1 der "Wissenschaftlichen Begründung" zur BK Nr. 1318, a.a.0.]). Für eine solche Benzolbelastung gebe es keine hinreichenden medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse, um eine beruflich verursachte akute myeloische Leukämie im Sinne des Tatbestandes der BK Nr. 1318 begründen zu können. Erforderlich wäre eine deutlich höhere Benzolbelastung von 10 ppm-Jahren, zumindest aber im Umfang von 8 ppm-Jahren.
aa) Die Kammer folge damit im Ergebnis dem Gutachten des hämatologisch-onkologischen Sachverständigen Dr. P, der in seinem vom Gericht beauftragten Gutachten vom 07. Oktober 2020 ausgeführt habe, dass für die akute myeloische Leukämie, insbesondere die Sonderform der beim Versicherten diagnostizierten MDS-assoziierten AML des komplex aberranten Karyotyps 49, XY, +13, +14, +21(18), häufig exogene Ursachen vermutet würden, u.a. Radioaktivität, Mineralöle, Farben, verschiedene chemische Substanzen und neben dem Tabakkonsum auch Benzol. Ein für die Anerkennung als BK Nr. 1318 geforderter Ursachenanteil von mindestens 50 % durch Benzolbelastungen könne jedoch nach dem Stand der medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse erst bei einer Benzolexposition von mindestens 10 ppm-Jahren angenommen werden. Für die berufliche Tätigkeit des Versicherten habe jedoch nur eine Benzolexposition von insgesamt 5,5 ppm-Jahren festgestellt werden können. Eine berufliche Verursachung der AML-Erkrankung des Versicherten durch diese Benzolbelastungen könne deshalb nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit angenommen werden. Den Verursachungsanteil der BenzoI-Exposition für die AML-Erkrankung im Fall des Versicherten abzuschätzen, sei in hohem Maße spekulativ. Gehe man davon aus, dass der Verursachungsanteil bei 10 ppm-Jahren 50 % betrage, könne man den Verursachungsanteil im Fall des Versicherten bei 5,5 ppm-Jahren Benzolexposition auf 25 % abschätzen. Dies genüge jedoch nicht, um die medizinischen Voraussetzungen einer BK Nr. 1318 zu bejahen.
bb) Der Klägerin und ihrem Bevollmächtigten sei zuzugeben, dass die gutachterlichen Ausführungen des Sachverständigen in Teilen nicht überzeugen könnten. Insbesondere unterscheide er nicht sauber zwischen den Begriffen Verursachungswahrscheinlichkeit und Verursachungsanteil bzw. setze den Begriff des Verursachungsanteils mit demjenigen der Verursachungswahrscheinlichkeit in unzulässiger Weise gleich.
Richtig sei es vielmehr, grundsätzlich für die Annahme einer beruflich durch Benzolbelastungen im Sinne des Tatbestandes der BK Nr. 1318 verursachten Erkrankung mit den auch sonst für die unfallversicherungsrechtliche Kausalitätsbewertung geltenden Kriterien zu fordern, dass der Benzolbelastung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit, also ohne erhebliche Zweifel, ein wesentlicher Ursachenanteil für die Entstehung der Erkrankung zukommen müsse. Dabei könne ein wesentlicher Ursachenanteil nach den allgemeinen Kriterien der Kausalitätsbeurteilung in der Gesetzlichen Unfallversicherung auch dann vorliegen, wenn ihm im Verhältnis zu anderen Ursachenfaktoren ein geringeres Gewicht (weniger als 50 %) zukomme, wenn er bei einer wertenden Betrachtung nicht völlig durch andere Ursachenfaktoren in den Hintergrund gedrängt werde (vgl. Schönberger u.a., a.a.O., Kap. 1.7.3 [S. 26-28]), während die beweisrechtliche Frage, ob ein solcher wesentlicher Ursachenanteil hinreichend wahrscheinlich sei, grundsätzlich bei einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit von mehr als 50 % noch nicht bejaht werden könne. Vielmehr müssten die für eine (wesentliche) Verursachung sprechenden Umstände diejenigen, die gegen eine (wesentliche) Verursachung sprechen, deutlich überwiegen und es dürften an der (wesentlichen) (Mit-)Verursachung bei einer Gesamtabwägung keine erheblichen bzw. ernsthaften Zweifel verbleiben (vgl. Schönberger u.a., Kap. 1.16.2 [S. 57/58]).
cc) Gleichwohl sei die Kernaussage des Sachverständigen Dr. P, die Verursachung der AML-Erkrankung des Versicherten durch berufliche Benzolbelastungen sei bei einer zu ermittelnden Belastungsdosis von lediglich 5,5 ppm-Jahren nicht wahrscheinlich, für das Gericht im Ergebnis überzeugend. Denn nach dem Stand der medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnis könne insbesondere für die Leukämieform der AML erst bei einer Benzolexposition von 10 ppm-Jahren, zumindest aber von 8 ppm-Jahren, von einer durch epidemiologische Erkenntnisse gesicherten signifikanten Erhöhung des Risikos für die Entstehung einer akuten myeloischen Leukämie einschließlich des auch im Fall des Versicherten vorzufindenden Frühstadiums eines myelodisplastischen Syndroms (MDS) mit einer dann anzunehmenden Verursachungswahrscheinlichkeit von über 50 % ausgegangen werden (s. Schönberger u.a., Kap. 14.1 [S. 981] sowie Kap. 14.4.2 [S. 993]).
Seien diese Voraussetzungen erfüllt, sei also eine Benzolbelastung von mindestens 8 ppm-Jahren nachgewiesen (s.u.), bedeute dies, dass berufliche Belastungen im Sinne des fraglichen BK-Tatbestandes nachgewiesen seien, aufgrund derer ein Versicherter nach dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis einer im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung erheblich erhöhten Gefahr ausgesetzt gewesen sei, an einer Erkrankung im Sinne dieses BK-Tatbestandes zu erkranken, also die sogenannten "arbeitstechnischen Voraussetzungen" für die Anerkennung der BK erfüllt seien.
Für den BK-Tatbestand Nr. 1318 werde die Bejahung der arbeitstechnischen Voraussetzungen und die damit zunächst nur abstrakt bejahte Gefahr der Entstehung einer einschlägigen Erkrankung zwar zumindest bei den sogenannten A-Krankheitsbildern wie der AML, für die es hinreichende epidemiologische Erkenntnisse für die Benennung einer gefährdenden Benzolexposition (Dosis-Wirkungs-Beziehung) gebe (s. zur Unterscheidung: Schönberger u.a., Kap. 14.1 [S. 981/982]; SG Berlin, Urteil vom 23. Februar 2021 – S 67 U 254/18 -), dazu führen, dass eine wesentliche Verursachung der Erkrankung durch die Benzolexposition bejaht werde, wenn es im Einzelfall keine gegen eine solche Verursachung sprechenden Gesichtspunkte gebe.
Umgekehrt gelte aber auch, dass dann, wenn keine Benzolbelastung von mindestens 8 ppm-Jahren nachzuweisen sei, für eine individuelle Kausalitätsprüfung entgegen der Auffassung der Klägerin kein Raum bleibe, weil es für Benzolbelastungen von weniger als 8 ppm-Jahren keine gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnisse für die Annahme einer im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung solch erheblich erhöhten Gefahr der Erkrankung gebe.
dd) Eine höhere Benzolexposition als 5,5 ppm-Jahre könne für die berufliche Tätigkeit des Versicherten nicht angenommen werden. Jedenfalls sei sie nicht nachgewiesen und heute rückblickend auch nicht mehr nachweisbar.
(a) Die Kammer stütze sich mit dieser Aussage maßgeblich auf die von der Beklagten durchgeführten Ermittlungen zur Benzolexposition des Versicherten während seiner in der Gesetzlichen Unfallversicherung versicherten Tätigkeit bis zum Jahr 2002, insbesondere die von ihr eingeholten Stellungnahmen ihres eigenen Präventionsdienstes für die Beschäftigungszeiträume vom 15. Februar 1982 bis zum 02. März 1985, vom 15. April 1985 bis zum 31. Januar 1986, vom 01. Februar bis zum 31. Juli 1986 und vom 01. Oktober 1987 bis zum 30. Juni 2002 sowie die Stellungnahmen des Präventionsdienstes der BG RCI für die Ausbildungs-/Beschäftigungszeit des Versicherten vom 01. September 1978 bis zum 12. Februar 1982 und des Präventionsdienstes der BGHW für die Tätigkeit des Versicherten vom 09. Februar 1987 bis zum 30. September 1987.
Danach sei der Versicherte zwar bei von ihm ausgeführten Fußbodenlegearbeiten bis Juli 1986 sowie zeitweise auch als Polsterer (15. Februar 1982 bis 02. März 1985) und beim Montieren von Wandsockelleisten (01. Februar bis 31. Juli 1986) oralen und dermalen Benzolexpositionen bei der Tätigkeit selbst sowie beim Reinigen von Händen und Armen durch verwendete Kleber, Spachtelmasse und benzolhaltigen Lösemitteln wie Nitroverdünner ausgesetzt gewesen. Außerdem habe auch während der vom Versicherten ab Februar 1987 ausgeübten Tätigkeit als Bauleiter auf Großbaustellen für die Linoleum S GmbH bis zum Jahr 1990, während derer er selbst keine Fußbodenlegearbeiten mehr ausgeführt habe, eine orale Benzolexposition als Bystander während seiner Anwesenheit in Räumen, in denen Fußbodenlegearbeiten ausgeführt wurden, bestanden. Diese Benzolexposition habe nach den Feststellungen und Berechnungen der genannten Präventionsdienste aber nur ein Ausmaß von insgesamt 5,5 ppm-Jahren erreicht. Nach 1990 habe nach den Feststellungen des Präventionsdienstes der Beklagten keine relevante Benzolexposition mehr bestanden, weil der Benzolgehalt bei den verwendeten Lösemitteln und Klebern seitdem unterhalb der Nachweisgrenze gelegen habe.
(b) Gesichtspunkte, die die Tragfähigkeit der Feststellungen der genannten Präventionsdienste, insbesondere derjenigen der Beklagten, zu Benzolbelastungen des Versicherten während seiner beruflichen Tätigkeit zweifelhaft erscheinen lassen würden, sehe die Kammer nicht.
Dass keine Ermittlungen hinsichtlich der vom Versicherten ab 2002 ausgeübten selbständigen Tätigkeit als Fußbodenleger durchgeführt worden seien, sei darin begründet, dass der Versicherte als Selbständiger nicht in der Gesetzlichen Unfallversicherung versichert gewesen sei. Schon deshalb könnten eventuelle Benzolbelastungen während dieser Zeit bei der Prüfung der arbeitstechnischen Voraussetzungen der BK Nr. 1318 nicht berücksichtigt werden.
Außerdem sei entgegen der Auffassung der Klägerin für die gesamte Zeit nach dem 31. Dezember 1990 von keiner relevanten Benzolbelastung des Versicherten bei seiner beruflichen Tätigkeit auszugehen. Die Kammer sehe keine Veranlassung an der Aussage des Präventionsdienstes der Beklagten, dass der Benzolgehalt bei den verwendeten Lösemitteln und Klebern nach 1990 unterhalb der Nachweisgrenze gelegen habe und es deshalb nach dem 31. Dezember 1990 keine relevanten Benzolbelastungen des Versicherten mehr gegeben habe, zu zweifeln. Soweit die Klägerin hierzu vortrage, dass insbesondere der besonders problematische Neoprene-Vorstrich RA 7 erst ab 1992 vom Markt genommen worden sei und einen höheren Benzolgehalt habe, als er den Berechnungen der Präventionsdienste zugrunde gelegt worden sei, sei zum einen darauf hinzuweisen, dass der Versicherte diesen Vorstrich nach seinem eigenen Vorbringen nur bis zum Jahr 1986 verwendet habe. Zum anderen belegten die von der Klägerin bzw. dem Versicherten hierzu mit Schriftsätzen vom 15. Februar 2017 und 23. Juni 2017 eingereichten Unterlagen lediglich, dass dieser Vorstrich in seiner ursprünglichen problematischen Zusammensetzung vom Markt genommen worden sei, aber nicht, wann dies geschehen sei. Letzteres folge insbesondere nicht aus der eingereichten vertraulichen Produktinformation der Fa. Henkel, die nur belege, dass sich die Zusammensetzung der Thomsit Neoprene-Produkte im Zeitraum von August 1976 bis Oktober 1991 zweimal, nämlich ab März 1983 und dann erneut ab Januar 1987, geändert habe.
Was allerdings aus dieser Produktinformation gemäß der Auswertung durch den Präventionsdienst der Beklagten (Stellungnahme vom 04. August 2017) folge, sei, dass der Benzolgehalt in dem zu 30 bis 35 % (08/76 - 03/83), zu 35 bis 40 % (03/83 - 01/87) bzw. zu 40 bis 45 % (01/87 - 10/91) in den Produkten enthaltenen Spezialbenzin kleiner als 0,1 % war, der Benzolgehalt des Gesamtprodukts also kleiner als 0,04 % gewesen sei. Den Berechnungen der Präventionsdienste zur Benzolbelastung des Versicherten seien nach Maßgabe des hierfür herangezogenen "IFA-Ringbuch Nr. 9105" jedoch ein Benzolgehalt von 0,1 % zugrunde gelegt worden. Es sei also nicht richtig, wenn die Klägerin behaupte, seitens der Präventionsdienste sei man bei den Berechnungen von einem zu geringen Benzolgehalt der verwendeten Produkte ausgegangen. Vielmehr werde die Aussage des Präventionsdienstes und der Beklagten, dass die der Bestimmung der Benzolexposition zugrunde liegenden Berechnungen zugunsten des Versicherten auf der Grundlage angenommener 'Worst-case-Szenarien" durchgeführt worden seien und die tatsächliche Benzolexposition des Versicherten eher geringer als höher gewesen sei, bestätigt.
Weitere konkrete und prüfbare Einwände gegen die Berechnungen der Benzolbelastungen seien vom Versicherten und der Klägerin nicht vorgebracht worden. Soweit geltend gemacht werde, geleistete Überstunden seien nicht berücksichtigt worden, müsse mit der Beklagten drauf hingewiesen werden, dass weder konkret angegeben worden sei, in welchem Zusammenhang und im Rahmen welcher Beschäftigungsverhältnisse in welchem Umfang vom Versicherten Überstunden geleistet worden seien, die nicht durch entsprechende Minderarbeit z.B. in den Wintermonaten wieder ausgeglichen worden seien, noch ein Nachweis zu angeblichen Überstunden vorgelegt worden sei. Der Berechnung der Benzolbelastung des Versicherten hätten deshalb nur die üblichen Arbeitszeiten zugrunde gelegt werden können.
Dies müsse auch den mehrfachen ärztlichen Stellungnahmen von Dr. M und Prof. Dr. de W vom 12. Oktober 2017 und 04. April 2019 sowie der zuletzt von der Klägerin mit Schriftsatz vom 09. Juni 2021 eingereichten weiteren (undatierten) Stellungnahme von Dr. M entgegen gehalten werden. Diese Ärztinnen hätten wiederholt ausgeführt, der Versicherte habe über Jahrzehnte hinweg an 5 bis 6 Tagen pro Woche 10 bis12 Stunden im Akkord Fußbodenlegearbeiten verrichtet und sei dabei Belastungen durch Lösungsmittel, Verdünnungslösungen und Kleber ausgesetzt gewesen mit einer Belastung von 8,6 ppm-Jahre. Es sei wegen dieser extremen beruflichen Belastung kaum vorstellbar, dass die zytogenetisch nachgewiesenen Aberrationen nicht durch die intensive und wiederholte Exposition zum Auftreten der Leukämie geführt haben sollten. So sei dem entgegenzuhalten, dass die skizzierte Arbeitsbelastung des Versicherten mit der tatsächlichen Arbeitssituation und der beruflichen Tätigkeit des Versicherten, wie sie von den Präventionsdiensten der Beklagten, der BG RCI und der BGHW auf der Grundlage der Angaben des Versicherten ermittelt worden seien, wenig zu tun habe, geschweige denn nachgewiesen sei. Insbesondere könne davon, dass der Versicherte jahrzehntelang im Akkord Fußbodenlegearbeiten ausgeführt habe, in Anbetracht der tatsächlichen beruflichen Biographie des Versicherten keine Rede sein. Nach der bis 1981 dauernden Ausbildung sei der Versicherte zunächst bis Februar 1982 vor allem als Polsterer, danach im Rahmen verschiedener Beschäftigungsverhältnisse zwar einige Jahre als Bodenleger, aber auch von April 1984 bis Anfang März 1985 als Bauleiter, der nur zu ca. 50 % Bodenlegearbeiten ausführte, und bereits ab Februar 1987 als Sachbearbeiter mit einem nur noch geringen Anteil von Fußbodenlegearbeiten und schließlich ab Oktober 1987 als Bauleiter ohne eigene Fußbodenlegetätigkeit tätig gewesen. Erst ab Juli 2002 habe der Versicherte dann wieder als Bodenverleger gearbeitet, dies aber als Selbständiger ohne Versicherungsschutz der Gesetzlichen Unfallversicherung.
Zusammenfassend sei festzuhalten, dass auf der Grundlage der von der Beklagten durchgeführten Ermittlungen zur beruflichen Tätigkeit des Versicherten nur von einer Benzolexposition von insgesamt 5,5 ppm-Jahren während der von September 1978 bis zum 31. Dezember 1990 ausgeübten versicherten Tätigkeiten ausgegangen werden könne. Eine höhere Benzolexposition sei nicht nachgewiesen. Tatsächlich dürfte die Benzolexposition des Versicherten sogar geringer gewesen sein, da ein wesentlicher Teil der von ihm verwendeten Produkte einen geringeren Benzolgehalt gehabt habe als dies bei den Berechnungen der Präventionsdienste angenommen worden sei. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass der Versicherte während seiner versicherten Tätigkeiten einer insgesamt deutlich über 5,5 ppm-Jahren liegenden Benzolexposition ausgesetzt gewesen sein könnte, die durch eine weitere sachverständige Prüfung im Rahmen der dem Gericht obliegenden Amtsermittlung aufgeklärt werden könnte, sehe die Kammer nicht.
Ausgehend davon, dass die nachweisbare Benzolexposition des Versicherten insgesamt maximal 5,5 ppm-Jahre betrage, könne die Leukämie-Erkrankung des Versicherten aber nicht als eine durch die beruflichen Benzolbelastungen des Versicherten verursachte BK Nr. 1318 anerkannt werden. Erforderlich wäre hierfür eigentlich eine Benzolexposition von 10 ppm-Jahren, mindestens aber von 8 ppm-Jahren, wenn besondere Umstände des Einzelfalles wie die von den behandelnden Ärztinnen des Versicherten benannten Besonderheiten des Krankheitsverlaufs für eine berufliche Verursachung im Sinne der BK Nr. 1318 sprächen. Die für den Versicherten festzustellende Benzolexposition von maximal 5,5 ppm-Jahren sei aber deutlich geringer als 8 ppm-Jahre und lasse eine solche individuelle Kausalitätsbeurteilung nicht zu. Die Anerkennung der AML-Erkrankung des Versicherten als BK Nr. 1318 komme deshalb nicht in Frage.
Gegen das ihrem Prozessbevollmächtigten am 08. Dezember 2021 zugestellte Urteil richtet sich die Klägerin mit ihrer am 20. Dezember 2021 beim Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg eingelegten Berufung. Das SG lege für die arbeitstechnischen Voraussetzungen allein die Berechnungen der Beklagten zugrunde. Dabei habe es verkannt, dass es dem Versicherten wie auch der Klägerin überhaupt nicht mehr möglich sei, über die Dauer eines langen Arbeitslebens Anhaltspunkte für die Richtigkeit oder Unrichtigkeit der vom Beklagten ermittelten Arbeitszeit zu liefern. So habe der Versicherte in der Vergangenheit (z.B. im Jahre 1982) erhebliche Mehrarbeitsstunden geleistet, die in den Berechnungen der Beklagten überhaupt keinen Niederschlag gefunden hätten. Wie aus der in Kopie beigefügten, von der Klägerin noch aufgefundenen Anlage zum Steuerbescheid für das Jahr 1982, ausgestellt vom Finanzamt N-Süd, ersichtlich sei, seien dem Versicherten allein für das Jahr 1982 für 224 Arbeitstage Mehraufwendungen für Verpflegung für eine über 12stündige Abwesenheit von der Wohnung anerkannt worden. Zumindest sei dadurch der Anschein der von der Beklagten ermittelten Arbeitszeit aus Sicht der Berufungsklägerin erschüttert. Im Hinblick auf die oft lang zurückliegenden Beschäftigungszeiten sei für die Versicherten und deren Angehörige von einem Beweisnotstand auszugehen, dem die Berufsgenossenschaften und Gerichte durch Beweiserleichterungen Rechnung zu tragen hätten. Andernfalls würde die Anerkennung von Berufskrankheiten ins Leere laufen. Das SG hätte zumindest medizinisch weiter ermitteln und im Rahmen einer individuellen Begutachtung prüfen müssen, ob die zweifelsfrei festgestellte Erkrankung des Versicherten bei seinem konkreten Erkrankungsbild und –verlauf nicht doch schon bei einer Benzol-Exposition von 5,5 ppm-Jahren auftreten konnte. Eine solche Begutachtung sei auch im Hinblick auf die Fehler im Gutachten des Sachverständigen Dr. P angezeigt gewesen. Daher sei vom Gericht ein Gutachten des bereits erstinstanzlich (noch nach § 109 SGG) benannten Arbeitsmediziners Dr. Sch mit Zusatzgutachten des Fachchemikers Dr. B einzuholen.
Die Klägerin beantragt nach ihrem schriftsätzlichen Vorbringen,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 03. November 2021 sowie den Bescheid der Beklagten vom 18. Oktober 2016 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 15. Dezember 2016 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, die Erkrankung des am 27. Februar 2020 verstorbenen Versicherten M S an akuter myeloischer Leukämie als Berufskrankheit nach Nr. 1318 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung anzuerkennen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angegriffene Urteil für zutreffend und das Vorliegen der arbeitstechnischen Voraussetzungen für eine BK Nr. 1318 nach wie vor für nicht erwiesen.
Die Vorsitzende hat am 19. September 2023 einen Erörterungstermin mit den Beteiligten durchgeführt und den Zeugen G H zu seiner sowie der Tätigkeit des Versicherten bei der Firma Linoleum S GmbH angehört; hinsichtlich der Einzelheiten wird auf das Protokoll der Sitzung Bezug genommen.
Des Weiteren hat der Senat die Patientenkartei/-akten der behandelnden Ärzte, d. h. des Facharztes für Innere Medizin und Hämatologie P M und der Pneumologin Dr. MP, sowie des V Klinikums N beigezogen.
Die Klägerin hat zudem die Lohn- bzw. Gehaltsabrechnungen des Versicherten für die Beschäftigung in der Zeit von Oktober 1987 bis Juli 2002 bei der Firma Linoleum SGmbH zur Gerichtsakte gereicht.
Auf Nachfragen des Senats zum Vorliegen von Geschäftsunterlagen betreffend die verwendeten Vorstriche und Kleber sowie zur genauen Tätigkeit des Versicherten, hat das Büro des Insolvenzverwalters der Firma Linoleum SGmbH, Rechtsanwalt Dr. F S, am 12. Januar 2024 mitgeteilt, dass das Insolvenzverfahren bereits im Januar 2018 mangels Masse eingestellt worden sei und hierzu keine Unterlagen mehr vorlägen.
Nachdem die Vorsitzende mit Schreiben vom 06. Februar 2024 den Beteiligten rechtliche Hinweise zum Ergebnis der weiteren Ermittlungen erteilt hatte, haben diese mit Schriftsätzen vom 19. Februar 2024 (Klägerin) und vom 26. Februar 2024 (Beklagte) ihr Einverständnis zu einer Entscheidung des Gerichts ohne mündliche Verhandlung erklärt.
Hinsichtlich der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten, die bei der Entscheidungsfindung vorgelegen haben, verwiesen.
Entscheidungsgründe
Der Senat konnte gemäß §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden, nachdem sich alle Beteiligten hiermit einverstanden erklärt haben.
Die form- und fristgerecht (§ 151 SGG) eingelegte Berufung der Klägerin ist statthaft und zulässig (§§ 143, 144 SGG), jedoch unbegründet. Das SG hat zu Recht die von der Klägerin erhobene kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 und S. 2, § 56 SGG), mit der sie die Aufhebung des Bescheides der Beklagten vom 18. Oktober 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Dezember 2016 sowie die Verpflichtung (Verurteilung) der Beklagten zur Anerkennung einer BK Nr. 1318 für ihren verstorbenen Ehemann, den Versicherten M St, beantragt hat, durch Urteil vom 03. November 2021 abgewiesen.
1. Die Klägerin ist zwar als Sonderrechtsnachfolgerin des verstorbenen Versicherten
befugt, die Aufhebung des eine BK Nr. 1318 ablehnenden Bescheides der Beklagten vom 18. Oktober 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Dezember 2016 sowie die Verpflichtung der Beklagten zur Anerkennung dieser BK zu beantragen.
Die Klagebefugnis sowie das berechtigte Interesse an der Feststellung eines Versicherungsfalls entfällt beim Eintritt einer Sonderrechtsnachfolge nicht deshalb, weil das von der Sonderrechtsnachfolgerin fortgeführte Klageverfahren ursprünglich lediglich eine kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungs- oder Feststellungsklage zum Gegenstand hatte. Dies gilt jedenfalls dann, wenn es möglich erscheint, dass auf die Sonderrechtsnachfolgerin fällige laufende Geldleistungsansprüche des Verstorbenen, die bei Vorliegen einer BK zu dessen Lebzeiten entstanden sind, übergegangen sind (vgl. BSG, Urteile vom 16. März 2021 – B 2 U 17/19 R und B 2 U 7/19 R -, Rn. 15 ff. bzw. 9 ff., jeweils in juris). Hier würden bei Feststellung der BK Nr. 1318 das Bestehen von Verletztengeld- und Verletztenrentenansprüche in Betracht kommen.
Die Klägerin konnte das noch zu Lebzeiten des Versicherten eingeleitete Klageverfahren nach seinem Ableben auch als dessen Sonderrechtsnachfolgerin (§ 56 Abs. 1 S. 1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch <SGB I>) fortführen. Nach § 56 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB I stehen fällige Ansprüche auf laufende Geldleistungen beim Tode des Berechtigten nacheinander 1. dem Ehegatten, 1a. dem Lebenspartner, 2. den Kindern, 3. den Eltern, 4. dem Haushaltsführer zu, wenn diese mit dem Berechtigten zur Zeit seines Todes in einem gemeinsamen Haushalt gelebt haben oder von ihm wesentlich unterhalten worden sind. Ausweislich der vorliegenden Sterbeurkunde vom 09. März 2020 war die Klägerin mit dem Versicherten verheiratet. Sie lebte zum Zeitpunkt seines Todes auch mit ihm in einem Haushalt.
2. Die Klägerin hat aber gegenüber der Beklagten keinen Anspruch auf Anerkennung der zum Tode des Versicherten führenden AML-Erkrankung als BK nach Nr. 1318 der Anlage 1 der BKV. Der Bescheid der Beklagten vom 18. Oktober 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Dezember 2016 erweist sich als rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.
Ein solcher Versicherungsfall im Sinne von § 7 Abs. 1 SGB VII – hier in Verbindung mit § 9 SGB VII – lag bei dem verstorbenen Ehemann der Klägerin nicht vor.
Gemäß § 9 Abs. 1 S. 1 SGB VII sind Berufskrankheiten solche Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrats als Berufskrankheiten bezeichnet (sogenannte Listen-Berufskrankheiten) und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden. Insoweit ist die Bundesregierung ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als bekannt zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind (§ 9 Absatz 1 S. 2 SGB VII). Aus diesen Vorgaben lassen sich bei einer Listen-BK im Regelfall folgende Tatbestandsmerkmale ableiten, die gegebenenfalls bei einzelnen Berufskrankheiten einer Modifikation bedürfen: Die Verrichtung einer - grundsätzlich - versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) muss zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen o.ä. auf den Körper geführt haben (Einwirkungskausalität) und die Einwirkungen müssen eine Krankheit verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität). Dabei müssen die „versicherte Tätigkeit“, die „Verrichtung“, die „Einwirkungen“ und die „Krankheit“ im Sinne des Vollbeweises, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vorliegen. Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt demgegenüber die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings eine bloße Möglichkeit (vgl. BSG, Urteile vom 30. März 2017 – B 2 U 6/15 R -, Rn. 12, vom 17. Dezember 2015 – B 2 U 11/14 R -, Rn. 10 m. w. N., und vom 02. April 2009 – B 2 U 33/07 R -, Rn. 11, jeweils in juris). Dabei ist der Beweisgrad der hinreichenden Wahrscheinlichkeit erfüllt, wenn mehr für als gegen den Ursachenzusammenhang spricht und ernste Zweifel ausscheiden (BSG, Urteil vom 27. Juni 2017 – B 2 U 17/15 R -, Rn. 13 m. w. N., juris). Dass die berufsbedingte Erkrankung gegebenenfalls den Leistungsfall auslösende Folgen nach sich zieht (haftungsausfüllende Kausalität), ist keine Voraussetzung einer Listen-BK, wohl aber für eine Leistung (Leistungsfall).
Die im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung für den Ursachenzusammenhang zwischen Einwirkung und Erkrankung maßgebliche Theorie der wesentlichen Bedingung beruht zunächst auf der naturwissenschaftlich-philosophischen Bedingungstheorie. Danach ist jedes Ereignis (jede Bedingung) Ursache eines Erfolges, das nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (conditio-sine-qua-non). Erst wenn auf dieser sogenannten ersten Stufe feststeht, dass ein bestimmtes Ereignis - hier die Einwirkung durch einen Arbeitsstoff - eine naturphilosophische Ursache der Krankheit ist, stellt sich auf der sogenannten zweiten Stufe die Frage, ob die Einwirkung auch rechtlich die Realisierung einer in den Schutzbereich des jeweils erfüllten Versicherungstatbestandes fallenden Gefahr ist, also eine wesentliche Ursache darstellt (vgl. BSG, Urteil vom 30. März 2017, a.a.O., Rn. 16, juris).
Ausgehend von diesen Maßstäben ist die Verursachung der AML-Erkrankung durch die gemäß § 539 Abs. 1 Nr. 1 Reichsversicherungsordnung (RVO; anwendbar bis zum 31. Dezember 1996) bzw. § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII versicherte berufliche Tätigkeit des Versicherten im Zeitraum September 1978 bis Juni 2002 nicht hinreichend wahrscheinlich im genannten Sinne.
Zwar ist die AML-Erkrankung des Versicherten in Form einer MDS-assoziierten AML des komplex aberranten Karyotyps 49, XY, +13, +14, +21(18) grundsätzlich anerkennungsfähig als BK nach Nr. 1318 der Anlage 1 der BKV (vgl. Merkblatt zur BK Nr. 1318, Kap. III 4; Wissenschaftliche Begründung zur BK Nr. 1318, Kap. 1.3.2.1 und 1.3.2.3). Der Versicherte war auch während seiner versicherten beruflichen Tätigkeit als Raumausstatter, Fußbodenleger und Bauleiter, Monteur für Wandsockelleisten, Sachbearbeiter für Fußboden- und Möbeldekorationsstoffe mit Bodenlegearbeiten sowie Bauleiter und Prokurist im Zeitraum von September 1978 bis Juni 2002 einer Benzolbelastung durch Hautkontakt (dermal) und Dämpfe (oral) bei der Verwendung von benzolhaltigem Kleber, Nitroverdünner, Spachtelmasse und Lösemitteln bzw. als Bystander ausgesetzt gewesen.
Der Senat konnte sich jedoch – wie bereits das SG - schon nicht davon überzeugen, dass der Versicherte bei seinen versicherten Tätigkeiten in der Zeit von September 1978 bis Juni 2002 in einem für die Annahme der arbeitstechnischen Voraussetzungen der BK Nr. 1318 hinreichendem Umfang gegenüber Benzol exponiert gewesen wäre.
Eine entsprechende Exposition muss im Vollbeweis, d.h. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit gesichert sein. Hierbei auftretende Beweisschwierigkeiten rechtfertigen weder eine Beweislastumkehr noch die Annahme eines Beweisnotstandes und eine daraus abzuleitende Notwendigkeit zu Beweiserleichterungen. Typische Beweisschwierigkeiten, die sich aus den Besonderheiten des Einzelfalles ergeben, sind im Rahmen der freien richterlichen Beweiswürdig zu berücksichtigen (vgl. BSG, Urteile vom 06. Oktober 2020 – B 2 U 9/19 R -, Rn. 29, und vom 15. September 2011 – B 2 U 22/10 R -, Rn. 28, jeweils in juris). Vorliegend hat der feststellbare Umfang der Exposition gegenüber Arbeitsstoffen im Sinne der BK Nr. 1318 kein solches Ausmaß erreicht, das für einen Ursachenzusammenhang zwischen den Belastungen durch Benzol und dem Auftreten der MDS-assoziierten AML bei dem Versicherten sprechen könnte. Es kann nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit festgestellt werden, dass er bei der Durchführung der im Zusammenhang mit den versicherten Tätigkeiten stehenden Verrichtungen Einwirkungen ausgesetzt gewesen ist, die im Rahmen einer BK der Nr. 1318 ursächlich relevant sind.
Definiert der Tatbestand einer BK die Tatbestandsmerkmale der erforderlichen beruflichen Einwirkungen nicht anhand exakter Einwirkungsgrößen - wie im vorliegenden Fall, in dem nur von „Benzol“ die Rede ist - ist es nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 04. Juli 2013 – B 2 U 11/12 R -, Rn. 14, juris) Aufgabe der Versicherungsträger und Gerichte, unter Berücksichtigung der Gesetzesmaterialien sowie anhand der Vorgaben des vom BMAS herausgegebenen Merkblatts für die ärztliche Untersuchung zur jeweiligen BK die hierfür vorausgesetzten beruflichen Einwirkungen näher zu konkretisieren. Den Merkblättern kommt dabei zwar keine rechtliche Verbindlichkeit zu (BSG, Urteil vom 12. April 2005 – B 2 U 6/04 R -, Rn. 15, juris, m. w. N.), sie sind allerdings als Interpretationshilfe und zur Wiedergabe des bei seiner Herausgabe aktuellen medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisstands heranzuziehen (BSG, Urteile vom 17. Dezember 2015 – B 2 U 11/14 R -, Rn. 16 ff., und vom 18. August 2004 – B 8 KN 1/03 R -, Rn. 24, jeweils in juris). Ergänzend hierzu ist (gegebenenfalls unter Zuhilfenahme medizinischer, naturwissenschaftlicher und technischer Sachkunde) nach dem im Entscheidungszeitpunkt aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand zu beantworten, welcher Einwirkungen es bedarf, um die Anerkennung einer BK zu rechtfertigen. Als aktueller Erkenntnisstand sind solche durch Forschung und praktische Erfahrung gewonnenen Erkenntnisse anzusehen, die von der großen Mehrheit der auf dem betreffenden Gebiet tätigen Fachwissenschaftler anerkannt werden, über die also, von vereinzelten, nicht ins Gewicht fallenden Gegenstimmen abgesehen, Konsens besteht (BSG, Urteil vom 27. Juni 2006 – B 2 U 20/04 R -, Rn. 20, juris, m. w. N.). Gibt es keinen aktuellen allgemeinen wissenschaftlichen Erkenntnisstand zu einer bestimmten Fragestellung, kann in Abwägung der verschiedenen Auffassungen einer nicht nur vereinzelt vertretenen Auffassung gefolgt werden (BSG, Urteil vom 30. März 2017 - B 2 U 6/15 R -, Rn. 18, juris m. w. N.).
Hiervon ausgehend hat das SG zutreffend den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand, wie er sich aus der Wissenschaftlichen Begründung zur BK Nr. 1318 (Kap. 2.2 und 3, a.a.O.) und dem Merkblatt zur BK 1318 (Kap. IV, a.a.O.) sowie der arbeits- und unfallmedizinischen Literatur (vgl. Schönberger/ Mehrtens/ Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 10. Aufl. 2024, Kap. 14.2, S. 1011 ff; 1014 f.; Mehrtens/Brandenburg, Die Berufskrankheitenverordnung (BKV), Stand Dezember 2016, M 1318 Anmerkungen Rn. 2 und 4) ergibt, der Beurteilung zugrunde gelegt. Danach ist für die Annahme einer hinreichend wahrscheinlichen Verursachung einer MDS-assoziierten AML-Erkrankung durch Benzol eine Benzolbelastung von 8 bis 10 ppm-Jahren erforderlich.
Vorliegend lässt sich anhand der auch den Senat überzeugenden Ermittlungen und Berechnungen der Präventionsdienste der Beklagten, der BG RCI und der BGHW nur eine Benzolbelastung weit unter 8 bis 10 ppm-Jahren, d.h. nur im Umfang von 5,5 ppm-Jahren für die hier maßgeblichen Tätigkeiten des Versicherten im Zeitraum September 1978 bis Juni 2002 feststellen. Nach den insoweit schlüssigen und nachvollziehbaren Darlegungen des Sachverständigen Dr. P kann damit eine wesentliche Verursachung der MDS-assoziierten AML-Erkrankung durch die Benzolbelastung im Rahmen der versicherten Tätigkeit des Versicherten nicht begründet werden. Zudem lag beim Versicherten eine konkurrierende Ursache in Form eines langjährigen Tabakkonsums im Umfang von 35 packyears bei Ausbruch der Erkrankung vor, der bereits zu einer chronisch-obstruktiven Lungenerkrankung (COPD Grad III) mit Lungenemphysem geführt hatte (siehe Bericht über den Erkrankungs- und Behandlungsverlauf der behandelnden Pneumologin Dr. P vom 29. September 2023, wonach dem Versicherten im Sommer 2015 wiederholt der Tabakverzicht angeraten wurde). Nach der vom Sachverständigen Dr. P angeführten, in Onkopedia (www.onkopedia.com/de/onkopedia/guidelines/akute-myeloische-leukaemie-aml/@@guidelines/html/index.html) von der DGHO Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie e.V. veröffentlichten Leitlinie zur Akuten Myeloischen Leukämie (AML), aktualisierter Stand August 2023, wird unter Zif. 2.4 mit der Überschrift „Risikofaktoren“ der Tabakkonsum aufgeführt. Danach haben Studien einen klaren Zusammenhang zwischen dem Rauchen und der AML-Erkrankung belegt. Das AML-Risiko sei bei aktiven Rauchern um 40 % gegenüber Nichtrauchern erhöht. Auch bei Schönberger/ Mehrtens/ Valentin (10. Aufl. 2024, Kap. 14.4.2.8, S. 1031) wird darauf hingewiesen, dass das Risiko für das Auftreten einer AML (wie auch des myelodysplastischen Syndroms) erhöht ist und mit der Menge der gerauchten Zigaretten korreliert.
Der Senat weist die Berufung aus den nach eigener Prüfung vollumfänglich als zutreffend erachteten Entscheidungsgründen des SG im Urteil vom 03. November 2021 zurück und sieht unter Bezugnahme auf die Entscheidungsgründe im angefochtenen Urteil gemäß § 153 Abs. 2 SGG von einer weiteren Begründung ab.
Der Vortrag der Klägerin und das Ergebnis der Ermittlungen im Berufungsverfahren führen zu keiner anderen Beurteilung. Soweit die Klägerin entgegen der ursprünglichen Angaben des Versicherten geltend macht, der Versicherte habe in der Vergangenheit (z.B. im Jahre 1982) erhebliche Mehrarbeitsstunden geleistet, ließ sich diese Behauptung nicht verifizieren. Nach der von der Klägerin noch aufgefundenen Anlage zum Steuerbescheid für das Jahr 1982, ausgestellt vom Finanzamt N-Süd, waren dem Versicherten für das Jahr 1982 für 224 Arbeitstage Mehraufwendungen für Verpflegung für eine über 12stündige Abwesenheit von der Wohnung anerkannt worden. Daraus wird aber nicht ersichtlich, wodurch die mehr als 12stündige Abwesenheit von der Wohnung bedingt war und ob diese überhaupt mit einem Mehr an benzolbelastenden Tätigkeiten verbunden war. In Betracht kommen hier insbesondere auch lange Anfahrtswege zu den Bau- bzw. Montagestellen, Zeiten für Materialtransporte zu und von den Bau- bzw. Montagestellen, eine arbeitsbedingte Wohnortsabwesenheit etc.. In den von der Klägerin ebenfalls noch aufgefundenen Lohn- bzw. Gehaltsabrechnungen der Fa. Linoleum S für die Zeit von Oktober 1987 bis Juli 2002 sind keinerlei Überstunden vermerkt bzw. abgerechnet. Danach hatte der Versicherte ein Festgehalt zuzüglich geldwerter Vergünstigungen (Firmenwagen) wie auch Urlaubs- und Weihnachtsgeld erhalten. Insbesondere die anfangs noch üblichen, handschriftlich ausgefüllten Abrechnungsstreifen (Oktober 1987 bis Dezember 1988) weisen Spalten für Überstunden und Überstundenzuschläge aus, die jedoch keine Einträge enthalten. Ab 1989 hatte der Versicherte zudem Provisionen und später auch noch Tantiemen ausgezahlt bekommen, orientiert wohl am Umsatz der Firma bzw. dem von ihm akquirierten/betreuten Auftragsvolumen. So betrug z.B. nach einer in den Unterlagen von 1993 eingelegten handschriftlichen Kontrollberechnung die Provision 0,5 % (von 2.956.691,07 DM) und die Tantieme 3 % (von 400.222,83 DM), insgesamt 26.790,50 DM. Dem Versicherten waren im Jahr 1993 zusätzlich zum Gehalt Provisionen i.H.v. 7.500 DM (4/1993) und 7.359,77 DM (5/1993) sowie zweimal Tantiemen i.H.v. jeweils 6.003,34 DM (6/1993 und 7/1993) gezahlt worden. Diese Art der Entlohnung entsprach dem Beschäftigungsprofil des Versicherten als Bauleiter, dem später zusätzlich noch Prokura erteilt worden war.
Der im Erörterungstermin des Senats gehörte, 74-jährige Zeuge G H der nach seiner Schilderung über eine mehr als 45jährige Berufserfahrung als Fußbodenleger verfügte, konnte letztlich aus eigener Anschauung nichts Wesentliches zur tatsächlichen Tätigkeit des Versicherten und zum Umfang von dessen Benzolexposition beitragen. Denn der Zeuge hat den Kläger erst nach dessen Eintritt in die Firma Linoleum S kennengelernt. Soweit er in seiner schriftlichen Erklärung vom 17. August 2020 sich auch auf frühere Arbeitsstellen des Versicherten bezieht, verfügt er über keine eigenen Kenntnisse zu den dortigen konkreten Arbeitsbedingungen, sondern rekurriert nur auf seine eigene Berufserfahrung. Der Zeuge hat im Erörterungstermin des Senats angegeben, schon bei der Firma Linoleum S gearbeitet zu haben, als der Versicherte hinzugekommen sei. Er selbst sei als Fußbodenleger auf wechselnden Baustellen, z.B. viel in Krankenhäusern, Rathäusern, Schulen aber auch in Wohnungen, im Bezirk Sp eingesetzt gewesen und habe wie die anderen Fußbodenleger zumeist alleine auf der Baustelle gearbeitet. Aus seiner Betriebsratstätigkeit wisse er, dass zum Schluss bei der Firma Linoleum S noch 14 Personen einschließlich des Lagerarbeiters gearbeitet hätten, zeitweise seien es ca. 30 Mitarbeiter gewesen. In der Regel hätten die Fußbodenleger alleine auf der Baustelle gearbeitet, maximal mal zu dritt. Ständige Überstunden habe es bei den Fußbodenlegern nicht gegeben. Wenn ein Auftrag mal eine Stunde länger gebraucht habe, dann hätte man die abgerechnet, und wenn es schneller gegangen sei, dann habe man eben auch 2 Stunden früher nach Hause gehen können. Als Bauleiter sei der Versicherte auf die Baustellen gefahren und habe Anweisungen gegeben, dort habe er auch die Dämpfe eingeatmet. Ob der Versicherte an den Baustellen selbst mit Hand angelegt habe, wisse er nicht. Bei seinen Baustellen sei das auch nicht nötig gewesen. Der Versicherte sei vorwiegend auf Baustellen unterwegs gewesen und habe alles organisiert und mal Material hingebracht. Ob der Versicherte und in welchem Umfang im Büro gearbeitet habe, wisse er nicht.
An eine konkrete Zusammenarbeit mit dem Versicherten als Fußbodenleger konnte der Zeuge sich nicht erinnern. Lediglich zur Großbaustelle Kammermusiksaal, der zur 750-Jahrfeier B eingeweiht werden sollte und fertig gestellt werden musste, hat der Zeuge ausgeführt, dass hier die ganze Firma – seines Erachtens auch der Versicherte - ca.1,5 Wochen lang mitgearbeitet hätte. Während sie noch Teppiche auf den Treppen verlegt hätten, seien damals schon die Proben voll in Gang gewesen.
Selbst wenn man für diese Mitarbeit als Fußbodenleger vor der Eröffnung des Kammermusiksaals am 28. Oktober 1987 statt der niedrigeren Benzolbelastung als Bystander für die Bauleitertätigkeit eine höhere Benzolbelastung als aktiver Fußbodenleger annehmen würde, ist im Hinblick auf die kurze Tätigkeitszeit von nur 1,5 Wochen nicht erkennbar, dass dies zu einer relevanten Erhöhung der Gesamtbenzolbelastung führen könnte.
Zudem sprechen die weiteren Angaben des Zeugen zu den Fußbodenlegearbeiten gegen die späteren Darstellungen des Versicherten bzw. der Klägerin zum Umfang der Belastungen durch spritzende Arbeitsmaterialien und umfassende Verschmutzungen durch Kleber und Lösungsmittel an der Kleidung, den gesamten Armen und den Händen sowie gegen die im Klageverfahren teilweise angegebenen Zeiten für das Reinigen der Hände / Unterarme.
Der Zeuge H konnte sich an die konkreten Bezeichnungen (Namen) der bei der Fa. Linoleum S eingesetzten Produkte nicht mehr erinnern. Er hat angegeben, dass ein lösemittelhaltiger, pattexartiger Kleber, der nicht angemischt werden musste, sowie Bolder Kit, der aus 2 Komponenten, die gemischt werden mussten, bestanden und Benzol enthalten habe, verwendet worden seien. Der pattexartige Kleber sei bei Wandsockelleisten aus Kunststoff/Gummi, Wandschutzleisten aus Kunststoff, Treppenkanten und auch bei Treppenbelag eingesetzt worden, da diese mit Dispersionskleber nicht so gut gehaftet hätten. Da der pattexartige Kleber sehr schnell fest geworden sei, habe man ihn mit Nitroverdünnung im Eimer wieder flüssiger machen müssen. Bolder Kit sei zum Spachteln von Rissen und Löchern genutzt worden. Bei solchen Arbeiten seien Handschuhe angezogen und die Hände nur normal mit Wasser und Seife gereinigt worden. Nur wenn es an den Fingern klebte, seien diese mit Nitroverdünnung gereinigt worden. Wie lange die alten Vorstriche genommen worden seien, wisse er nicht mehr. Später seien die Dispersionsvorstriche verwendet worden. Es habe noch einen Epoxidharzvorstrich, bestehend aus 2 Komponenten, gegeben, der seiner Erinnerung nach Benzol enthalten habe. Dieser Epoxidharzvorstrich sei während der ganzen Zeit bei der Firma Linoleum S, jedoch nur ab und zu verwendet worden, sozusagen alle paar Wochen mal, wenn der Unterboden zu schlecht gewesen sei. Generell habe man bei diesen Arbeiten Handschuhe getragen, um die Hände zu schützen, wenn man sich mal am Boden abstützen musste. Aber die Kleidung habe am Abend immer nach diesen ganzen Dämpfen gerochen.
Aus diesen Angaben des Zeugen wird deutlich, dass bei den Bodenlegearbeiten durch den gezielten Einsatz von Handschuhen eine größere Verunreinigung der Hände und Unterarme durch benzolhaltige Kleber und Vorstriche vermieden wurde und damit auch der Einsatz benzolhaltiger Nitroverdünner/Lösemittel bei der Reinigung der Hände/Unterarme gering gehalten wurde. Soweit der Zeuge auf den Geruch der Arbeitskleidung am Ende eines Arbeitstages hinweist, ist dies nicht gleichbedeutend mit der Durchtränkung der Kleidung mit benzolhaltigen Arbeitsstoffen. Kleidung nimmt sehr schnell Umgebungsgerüche an, wie z.B. Essensgerüche beim Aufenthalt in einer Kantine, Rauch-/Brandgeruch beim Aufenthalt in der Nähe von einem Lager– oder Kaminfeuer etc..
Aus den vom V Klinikum N beigezogenen Behandlungsunterlagen wird nicht erkennbar, woher Prof. Dr. de W und Dr. M ihre Kenntnisse über die in den Attesten vom 12. Oktober 2017 und 04. April 2019 enthaltenen Beschreibungen zu den Arbeiten des Versicherten (z.B. „Akkordarbeit über 10 Jahre bei 10-12-stündiger täglicher Arbeitszeit“) und seiner beruflichen Belastungen durch Lösemittel, Verdünnungslösungen und Kleber haben. Soweit sie sich auf Angaben des Versicherten während der Behandlung beziehen sollten, fehlt eine entsprechende Dokumentation. Insbesondere findet sich keine differenzierte Darstellung nach den einzelnen Beschäftigungsabschnitten, Arbeitgebern und Art der jeweiligen Tätigkeiten sowie keine Unterscheidung zwischen den versicherten und den nicht versicherten Tätigkeiten. Protokolle oder Vermerke über eine gezielte und differenzierte Befragung des Versicherten zu seiner beruflichen Belastung sind den Krankenakten nicht zu entnehmen. Soweit im Attest der Ärztinnen vom 12. Oktober 2017 weiter angeführt wird: „Außerdem kamen tägliche Kleberexpositionen hinzu, denen er als Bauunternehmer ausgesetzt war“, lässt dies nur auf Angaben des Versicherten zu seiner zuletzt mehr als 10 Jahre ausgeübten, nicht versicherten selbständigen Tätigkeit als Fußbodenleger schließen, die jedoch bei Prüfung der BK Nr. 1318 nicht zu berücksichtigen ist.
Da es hier schon am Nachweis von Anknüpfungstatsachen für eine höhere Benzolexposition des Versicherten als den von den Präventionsdiensten ermittelten Benzoljahren fehlt, sieht der Senat sich auch nicht zu weiteren Ermittlungen (wie die von der Klägerin angeregte Einholung eines arbeitsmedizinischen Gutachtens von Dr. S nebst arbeitstechnischem Zusatzgutachten von Dr. B) von Amts wegen gedrängt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ausgang des Rechtsstreits in der Hauptsache
Die Revision war nicht zuzulassen, da Zulassungsgründe im Sinne von § 160 Abs. 2 SGG nicht ersichtlich sind.