Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Berufung im Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 23. Januar 2024 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers hat keinen Erfolg.
Die am Sonntag den 25. Februar 2024 beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegte Beschwerde des Klägers gegen das seinem Bevollmächtigten am 24. Januar 2024 zugestellte Urteil des Sozialgerichts Heilbronn (SG) vom 23. Januar 2024 ist zwar statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt (§ 145 Abs. 1 Sätze 1 und 2 Sozialgerichtsgesetz [SGG]). Sie ist jedoch nicht begründet.
1. Nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG bedarf die Berufung der Zulassung in dem Urteil des Sozialgerichts oder auf Beschwerde durch Beschluss des Landessozialgerichts, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750,00 EUR nicht übersteigt. Dies gilt nicht, wenn die Berufung wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG).
Vorliegend streitig ist die Höhe des Erstattungsanspruchs des Klägers hinsichtlich der Kosten des Vorverfahrens. Denn nur hierüber hat das SG in dem angefochtenen Urteil entschieden und den Beklagten verpflichtet, dem Kläger 1/6 der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen im Vorverfahren zu erstatten. Das SG hat in den Entscheidungsgründen zutreffend ausgeführt, über den Hilfsantrag, den Beklagten unter Abänderung des Bescheides des Beklagten vom 8. März 2023 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Mai 2023 zu verurteilen, dem Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts die beantragten Leistungen im Zeitraum 1. April 2023 bis 30 April 2023 in gesetzlicher Höhe zu gewähren, sei nicht mehr zu entscheiden, nachdem der Hilfsantrag nur für den Fall erhoben worden sei, dass der Hauptantrag insgesamt keinen Erfolg habe. Für eine Tätigkeit im Widerspruchsverfahren in sozialrechtlichen Angelegenheiten, in denen im gerichtlichen Verfahren Betragsrahmengebühren entstehen (§ 3 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz [RVG]), beträgt die Geschäftsgebühr nach Nr. 2302 VV-RVG 60,00 bis 768,00 Euro. Die Mittelgebühr beträgt 414,00 Euro, eine Gebühr von mehr als 359,00 Euro (Schwellengebühr) kann nur gefordert werden, wenn die Tätigkeit umfangreich oder schwierig war. Anhaltspunkte hierfür liegen nicht vor, nachdem lediglich mit Schreiben vom 14. März 2023 Widerspruch ohne eine Begründung eingelegt worden ist. Selbst unter Hinzurechnung der Auslagen von 20,00 Euro sowie der Mehrwertsteuer übersteigt der streitige Betrag – 5/6 der Vorverfahrensgebühr – nicht den Betrag von 750,00 Euro.
Es stehen auch keine wiederkehrenden oder laufenden Leistungen für mehr als ein Jahr im Streit, so dass die Berufung der Zulassung bedarf.
2. Das SG hat die Berufung im Urteil vom 23. Januar 2024 auch nicht zugelassen, sodass sie der Zulassung durch das Landessozialgericht bedurft hätte. Zulassungsgründe liegen jedoch nicht vor.
Nach § 144 Abs. 2 SGG ist die Berufung nur zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr. 1) oder das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht (Nr. 2) oder ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann (Nr. 3). Keiner dieser Zulassungsgründe ist vorliegend gegeben.
a) Der Rechtssache kommt zunächst keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG zu. Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache dann, wenn ihre Entscheidung über den Einzelfall hinaus dadurch an Bedeutung gewinnt, dass die Einheit und Entwicklung des Rechts gefördert wird oder dass für eine Anzahl ähnlich liegender Fälle die notwendige Klärung erfolgt (so die ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts [BSG] seit BSGE 2, 129, 132). Die Streitsache muss mit anderen Worten eine bisher nicht geklärte Rechtsfrage aufwerfen, deren Klärung im allgemeinen Interesse liegt, um die Rechtseinheit zu erhalten und die Weiterentwicklung des Rechts zu fördern; die entscheidungserhebliche Rechtsfrage muss klärungsbedürftig und klärungsfähig sein (vgl. BSG SozR 1500 § 160a Nr. 60; SozR 3-1500 § 160a Nr. 16; ferner Leitherer in Meyer-Ladewig u.a., SGG, 14. Aufl. 2023, § 144 Rdnr. 28 f.; § 160 Rdnr. 6 ff. jeweils m.w.N.).
Zutreffend ist zwar, dass aufgrund des Vorlagebeschlusses des LSG Niedersachsen-Bremen vom 26. Januar 2021 (L 8 AY 21/19) bei dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) unter dem Az. 1 BvL 5/21 ein Verfahren zu der Frage, ob § 3 Abs. 2 Satz 1 und 2 des Asylbewerberleistungsgesetzes (AsylbLG) und § 3 Abs. 2 Satz 5 in Verbindung mit Abs. 1 Satz 5 und 8 AsylbLG in der 2018 geltenden Fassung der Bekanntmachung von 20. Oktober 2015 (BGBI I S. 1722) und 11. März 2016 (BGBI I S. 390) sowie des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales vom 26. Oktober 2015 (BGBI I S. 1793) über die Höhe der Leistungen in den ersten Monaten des Aufenthalts in Deutschland mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 Grundgesetz (GG) vereinbar sind, anhängig ist, und deshalb der Frage der Leistungshöhe nach §§ 3, 3a AsylbLG grundsätzliche Bedeutung zukommen kann. Allerdings ist dies im vorliegenden Verfahren unbeachtlich, da die Höhe des Leistungsanspruchs des Klägers für den April 2023 allein Gegenstand des Hilfsantrags war, über den nach teilweiser Stattgabe bezüglich des Hauptantrags nicht mehr zu entscheiden war.
Der Kläger hat gegen den Bescheid vom 8. März 2023 Widerspruch ohne weitere Begründung eingelegt. Der Widerspruch war somit darauf gerichtet, den Bescheid vom 8. März 2023 aufzuheben mit der Folge, dass der vorausgehende Bewilligungsbescheid vom 5. August 2022 wiederauflebt und dem Kläger über den 31. März 2023 hinaus weiterhin Leistungen in der zuvor bewilligten Höhe gewährt werden. Dem ist der Beklagte mit Bescheid vom 10. Mai 2023 nachgekommen. Während des Verwaltungsverfahrens ist die Bewilligung höherer Leistungen nicht geltend gemacht worden. Auch im Rahmen eines einstweiligen Rechtsschutzverfahrens ist lediglich die Weiterbewilligung der Leistungen in bisheriger Höhe geltend gemacht worden. Im Klageverfahren hat der Kläger auch nicht explizit die Gewährung höherer Leistungen für den Monat April 2023 geltend gemacht, sondern lediglich hilfsweise den Antrag gestellt, ihm unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts die beantragten Leistungen zu gewähren. Bei einem Hilfsantrag (Eventualantrag) muss das Gericht zuerst über den Hauptantrag entscheiden und über den Hilfsantrag nur dann, wenn der Hauptantrag unzulässig oder unbegründet ist (Keller in Meyer-Ladewig u.a.; SGG, 14. Aufl. 2024, § 56 Rdnr. 4). Hat bereits der Hauptantrag Erfolg, so ist über den Hilfsantrag nicht mehr zu entscheiden, da die innerprozessuale Bedingung ja nicht eingetreten ist (Groß in HK-SGG, 6. Aufl. 2021, § 56 Rdnr. 11).
Eine die Zulassung der Berufung rechtfertigende grundsätzliche Bedeutung kommt auch weder der Frage zu, ob im Falle verweigerter Akteneinsicht die notwendigen Auslagen im Vorverfahren unabhängig vom Ausgang des Verfahrens zu erstatten sind, noch der Frage, ob bei einem vollständig erfolgreichen Widerspruch für eine Quotelung der Kosten kein Raum bleibt, diese vielmehr vollständig zu erstatten sind. Insoweit ist zunächst zu berücksichtigen, dass sich vorliegend die Kostenentscheidung des SG nach § 193 SGG und nicht nach § 63 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) zu richten hatte. Denn § 63 SGB X ist in seinem Anwendungsbereich auf das isolierte Vorverfahren, dem kein gerichtliches Verfahren nachfolgt, begrenzt. Wird dagegen gegen den Widerspruchsbescheid Klage erhoben, trifft das Gericht eine einheitliche Kostenentscheidung, die im Rahmen des § 193 SGG dann auch die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Aufwendungen im Widerspruchsverfahren umfasst (BSG, Urteil vom 19. Oktober 2016 – B 14 AS 50/15 – juris Rdnr. 20). Nach § 193 Abs. 1 Satz SGG hat das Gericht im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Dazu gehören nach § 193 Abs. 2 SGG auch die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen für ein Vorverfahren. Insoweit ist weiter zu berücksichtigen, dass dem Gericht bei der Kostenentscheidung nach § 193 SGG ein sachgemäßes bzw. pflichtgemäßes Ermessen zusteht und die Kostenvorschriften der Zivilprozessordnung (ZPO) ‑ abgesehen von der in § 194 Satz 1 SGG ausgesprochenen Verweisung auf § 100 ZPO - nicht anwendbar sind (Wehrhahn in jurisPK-SGG, Stand 21. November 2023, § 193 Rdnr. 36). Zwar hat sich das Gericht hierbei grundsätzlich am Verfahrensausgang zu orientieren, allerdings können auch andere Umstände wie die Veranlassung des Rechtsstreits oder eine unrichtige Sachbehandlung berücksichtigt werden (Groß in HK-SGG, 6. Aufl. 2021, § 193 Rdnr. 21 f.). Da somit in die Kostenentscheidung auch Ermessensgesichtspunkte enthält, kommt ihr über den Einzelfall hinaus keine grundsätzliche Bedeutung zu. Im Übrigen rechtfertigt eine möglicherweise inhaltlich falsche Entscheidung eines erstinstanzlichen Gerichts keine grundsätzliche Bedeutung (Bayerisches LSG, Beschluss vom 13. März 2012 – L 7 AS 723/11 NZB – juris Rdnr. 17).
b) Darüber liegt auch eine Divergenz im Sinne des § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG nicht vor. Eine solche Divergenz ist anzunehmen, wenn tragfähige abstrakte Rechtssätze, die einer Entscheidung des SG zugrunde liegen, mit denjenigen eines der in § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG genannten Gerichte nicht übereinstimmen. Das SG muss seiner Entscheidung also einen Rechtssatz zugrunde gelegt haben, der mit der Rechtsprechung jener Gerichte nicht übereinstimmt (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig u.a., SGG, 14. Aufl. 2023, § 160 Rdnr. 13 mit Nachweisen aus der Rechtsprechung zur Frage der Revisionszulassung). Eine solche bewusste Abweichung von der Rechtsprechung eines Obergerichts ist weder geltend gemacht noch sonst vorliegend.
c) Schließlich liegen auch die Voraussetzungen für die Zulassung der Berufung nach dem Zulassungsgrund des § 144 Abs. 2 Nr. 3 SGG nicht vor. Ein Verfahrensmangel ist ein Verstoß gegen eine Vorschrift, die das sozialgerichtliche Verfahren, nicht das Verwaltungs- oder Vorverfahren regelt. Der Mangel bezieht sich nicht auf den sachlichen Inhalt des Urteils, sondern auf das prozessuale Vorgehen auf dem Weg zum Urteil. Bei der Beurteilung, ob ein die Zulassung rechtfertigender Verfahrensmangel vorliegt, muss von der Rechtsauffassung des SG ausgegangen werden. Ein entsprechender Mangel ist von dem Kläger nicht gerügt worden und auch sonst nicht ersichtlich.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Das angefochtene Urteil des SG wird hiermit rechtskräftig (§ 145 Abs. 4 Satz 4 SGG).
Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Asylbewerberleistungsgesetz
Abteilung
7.
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 16 AY 1043/23
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 AY 631/24 NZB
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Rechtskraft
Aus
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