L 5 R 661/22

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
5.
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 8 R 1151/20
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 5 R 661/22
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Auf die Berufung der Beklagten wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 03.02.2022 aufgehoben und die Klage in
vollem Umfang abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind für beide Instanzen nicht zu erstatten.



Tatbestand


Die Beteiligten streiten über die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.

Der 1968 geborene Kläger erlernte den Beruf des Elektromonteurs und war zuletzt als Elektriker versicherungspflichtig beschäftigt. Infolge eines Arbeitsunfalls am 30.10.2017, bei dem er sich bei einem Sturz von einer Leiter eine Calcaneusfraktur links zuzog, war er bis 28.04.2019 arbeitsunfähig erkrankt. Eine im Anschluss daran bis 15.05.2020 durchgeführte berufliche Wiedereingliederung als Schaltschrankmonteur konnte nicht über drei Stunden gesteigert werden. Von 16.05.2020 bis 29.07.2020 bezog er Arbeitslosengeld, von 30.07.2020 bis 04.09.2020 Krankengeld bzw. Übergangsgeld und von 05.09.2020 bis 19.09.2021 wiederum Arbeitslosengeld. Wegen der Folgen des Arbeitsunfalls erhält er eine Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE), für die Zeit vom 29.04.2019 bis 30.04.2020 in Höhe von 30 v.H. und seither in Höhe von 20 v.H.. Außerdem ist seit 12.07.2022 ein Grad der Behinderung (GdB) von 60 anerkannt.

Am 28.03.2019 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.

Die Beklagte holte daraufhin Befundberichte der den Kläger behandelnden Ärzte ein, unter anderem den Bericht über eine auf Kosten der für den Arbeitsunfall zuständigen Berufsgenossenschaft durchgeführte stationäre ABMR (arbeitsplatzbezogene musculoskeletale Rehabilitation) -Maßnahme vom 02.07.2018 bis 16.07.2018 und das im Auftrag der Berufsgenossenschaft durch P2 erstattete fachorthopädisch-unfallchirurgische Erste Rentengutachten vom 11.03.2019. Im Anschluss daran ließ die Beklagte den Kläger am 28.08.2019 durch den P1 untersuchen. Dieser stellte in seinem Gutachten vom 05.09.2019 folgende Diagnosen: Zurückliegende Calcaneusfraktur (Bruchverletzung des Fersenbeins) mit Weichteilschaden infolge Arbeitsunfall am 30.10.2017, operativ behandelt, verbliebene Funktionseinschränkung, mit orthopädischen Maßschuhen versorgt; Kniegelenksverschleiß beidseits, links zurückliegende Totalendoprothesenimplantation, gutes funktionelles Ergebnis ohne relevante Einschränkung der Kniegelenksbeweglichkeit; Omarthrose (Schultergelenksverschleiß rechtsseitig) sowie Impingementsyndrom („Engpasssyndrom“) im Bereich der rechten Schulter mit funktionellen Beeinträchtigungen, reduzierte Schulterbelastbarkeit; Diabetes mellitus Typ 2, medikamentös kombiniert behandelt einschließlich Insulintherapie, kein Anhalt für relevante diabetesbedingte Folgeschäden; arterielles Bluthochdruckleiden, mittels blutdrucksenkender Medikation aktuell normwertig eingestellt; zurückliegendes Schlaganfallereignis anamnestisch mit subjektiv verbliebener Beeinträchtigung der Temperaturwahrnehmung der linken Körperhälfte jedoch ohne eindeutiges sensibles oder motorisches Defizit; anamnestisch Faktor-V-Leiden (Störung im Bereich des Blutgerinnungssystems, erblich bedingt), mittels blutgerinnungshemmender Maßnahmen (ASS niedrig dosiert) behandelt; Krankheitswertige Adipositas (krankheitswertige Vermehrung der Körpermaße); Harnsäurestoffwechselstörung; deutliche Erhöhung der Leberenzymwerte unklarer Ursache ohne Anhalt für eine relevante Lebersyntheseleistungsstörung. Der Kläger sei in der Lage leichte Tätigkeiten zeitweise im Stehen und Gehen und überwiegend im Sitzen, vorzugsweise in wechselnder Körperhaltung mit individuellen Gestaltungsspielräumen in allen Schichten in einem Zeitumfang von über sechs Stunden täglich zu verrichten. Zu vermeiden seien schwere und überwiegend mittelschwere Hebebelastungen, regelmäßige Überkopfarbeiten, Tätigkeiten, die häufiges Bücken und längere Zwangshaltungen sowie Arbeiten auf stärker unebenen Flächen mit Ausrutschgefahr und häufiges Treppensteigen und Tätigkeiten, die das Ersteigen von Leitern und Gerüsten erfordern und darüber hinaus Tätigkeiten, die mit erhöhter Absturz - und Unfallgefahr einhergehen bzw. erhöhte Gang- und Standsicherheit erfordern.

Mit Bescheid vom 25.09.2019 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Die medizinischen Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung lägen nicht vor.

Hiergegen erhob der Kläger am 14.10.2019 Widerspruch, den die Beklagte Widerspruchsbescheid vom 14.02.2020 als unbegründet zurückwies.

Mit am 13.03.2020 bei der Beklagten eingegangenem Schreiben vom 24.02.2020 hat der Kläger unter Beifügung des von P2 erstatteten zweiten Rentengutachtens vom 06.02.2020 erneut Widerspruch erhoben, den die Beklagte nach Rückfrage beim Kläger als Klage an das Sozialgericht Freiburg (SG) weitergeleitet hat. Er hat zur Begründung ausgeführt, seinen Beeinträchtigungen könne nicht allein durch qualitative Einschränkungen Rechnung getragen werden. Er könne nicht mehr als drei Stunden sitzen oder laufen, ohne dass der Unterschenkel anschwelle. Die Schmerzen würden ein mehr als dreistündiges Arbeiten nicht zulassen.

Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten.

Vom 30.07.2020 bis 20.08.2020 hat der Kläger eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme in K1 absolviert. Im Entlassungsbericht sind als Diagnosen Gonarthrose rechts, 10.07.2020 Knie-TEP rechts, 2013 Implantation einer zementierten Knie-TEP links wegen Gonarthrose, insulinabhängiger Diabetes mellitus (Typ-1-Diabetes), arterielle Hypertonie und 2017 intraartikuläre Calcaneusdefekt-Mehrfragmentfraktur links mit Weichteilschaden 2. Grades genannt. Die Entlassung ist arbeitsunfähig, voraussichtlich 12 Wochen postoperativ, abhängig vom weiteren Verlauf, erfolgt. Bei weiterhin komplikationslosem Verlauf und völliger Ausheilung sowie Wiedererlangung einer sicheren Wegefähigkeit (laufen mindestens 500 m am Stück ohne Hilfsmittel) sei der Kläger für den allgemeinen Arbeitsmarkt für leichte Tätigkeiten unter Berücksichtigung des negativen Leistungsbildes einsetzbar. Zu meiden sei das Heben und Tragen von Gewichten einhändig über 10 kg und beidhändig über 15 kg, Tätigkeiten aus Zwangshaltungen der Kniegelenke heraus und das Begehen von unebenem Gelände. In der sozialmedizinischen Beurteilung heißt es weiter, dass der Kläger eine Tätigkeit entsprechend dem positiven und negativen Leistungsbild noch drei bis unter sechs Stunden ausüben könne.

Das SG hat H1, mit der Erstellung eines Gutachtens nach § 106 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beauftragt. Im Gutachten vom 20.10.2020 hat H1 nach ambulanter Untersuchung am 14.10.2020 als Diagnosen auf orthopädischem Fachgebiet ein subacromiales lmpingement rechts, Omarthrose rechts, Kniegelenkstotalendoprothese links 16.02.2013, Kniegelenkstotalendoprothese rechts 16.07.2020, Fraktur des linken Calcaneus 30.10.2017 und als weitere leistungsmedizinisch relevante Diagnosen eine arterielle Hypertonie, Diabetes mellitus (Insulin), die Folgen einer zerebrovaskulären Krankheit/eines Schlaganfalls 14.02.2007 und einen Faktor-V-Mangel gestellt und ausgeführt, dem Kläger seien noch körperlich leichte bis gelegentlich mittelschwere Tätigkeiten zuzumuten ohne häufiges Bücken und ohne Hinknien. Arbeiten auf Leitern und Gerüsten sowie im Stehen an laufenden Maschinen könne der Kläger ebenso wie Arbeiten unter Einwirkung von Kälte, Nässe oder Zugluft nicht mehr verrichten. Auch für Arbeiten im Akkord, am Fließband, in Schicht- oder Nachtarbeit erscheine der Kläger aufgrund seines allgemeinen Gesundheitszustandes nicht mehr geeignet. Wegen der verminderten Belastbarkeit beider Beine müssten die Arbeiten überwiegend im Sitzen mit nur gelegentlichem Stehen und Gehen erfolgen. Mittelschwierige Tätigkeiten geistiger Art sowie mit Publikumsverkehr oder besonderer nervlicher Beanspruchung könne der Kläger leisten. Unter Berücksichtigung dieser Einschränkungen könne der Kläger noch drei bis unter sechs Stunden täglich erwerbstätig sein. Die körperlich herabgesetzte Leistungsfähigkeit bestehe seit Rentenantragstellung. H1 hat auch nach einer sozialmedizinischen Stellungnahme der B1 vom 07.12.2020 für die Beklagte in der ergänzenden Stellungnahme vom 23.02.2021 an seiner Einschätzung festgehalten.

Mit Gerichtsbescheid vom 03.02.2022 hat das SG unter Aufhebung des Bescheids vom 25.09.2019 in der Gestalt des Widerspruchbescheids vom 14.02.2020 die Beklagte verurteilt, dem Kläger ausgehend von einem Leistungsfall am 14.10.2020 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung (medizinische teilweise Erwerbsminderung bei Verschlossenheit des Teilzeitarbeitsmarktes) für die Zeit vom 01.05.2021 bis 30.04.2024 zu gewähren. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Kläger sei teilweise erwerbsgemindert. Er sei nur noch in der Lage, leichte körperliche Tätigkeiten in einem Umfang von drei bis unter sechs Stunden täglich auszuüben. Dabei hat sich das SG auf das Gutachten des H1 gestützt. Danach könne der Kläger in quantitativer Hinsicht Tätigkeiten unter Berücksichtigung qualitativer Funktionseinschränkungen nur noch drei bis unter sechs Stunden täglich verrichten. Diese Einschätzung des H1 sei für das Gericht überzeugend. Denn die zeitliche Limitierung ergebe sich aus der beidseitigen Implantation von Knietotalendoprothesen, welche auch bei überwiegender Arbeit im Sitzen keine stärkeren körperlichen Belastungen mehr ermöglichten. Dies gelte insbesondere auch für die posttraumatische Situation am linken Fuß und Sprunggelenk, wo aufgrund der Gelenkstufen und posttraumatischen Arthrose des unteren Sprunggelenkes sowie der Bewegungseinschränkung und Fehlstellung des Rückfußes von einer deutlichen Zunahme der Schmerzhaftigkeit während des Arbeitstages auszugehen sei. Es bestehe auch eine anhaltende und deutliche Limitierung der Gehstrecke am Stück. Schließlich ergebe sich eine zeitliche Limitierung auch durch den allgemeinen Gesundheitszustand des Klägers mit Übergewicht und Durchblutungsstörungen insbesondere am rechten Bein, aber auch generell hinsichtlich der Arteriendurchblutung an den Extremitäten. Die oben genannten Einschränkungen addierten sich und nähmen im Lauf des Arbeitstages zu. Demgegenüber hätten die sozialmedizinischen Stellungnahmen die Kammer nicht davon überzeugt, dass der Einschätzung des H1 nicht gefolgt werden könne. H1 habe in seiner ergänzenden Stellungnahme das Gericht davon überzeugen können, dass die orthopädischen Beeinträchtigungen nicht isoliert zu betrachten seien, sondern im Zusammenhang mit den Begleiterkrankungen der arteriellen Hypertonie und des insulinpflichtigen Diabetes mellitus sowie des angeborenen Faktor-V-Mangels und den Folgen des Schlaganfalles vom 14.02.2007 erschwerend zu berücksichtigen seien. Auch sei zu berücksichtigen, dass H1 den Kläger persönlich untersucht habe. Nachvollziehbar habe er darauf hingewiesen, dass die gutachterliche Untersuchung bei ihm gegen 11:00 Uhr vormittags durchgeführt worden sei und er bereits zu diesem Zeitpunkt leichte praetibiale Ödeme an beiden Unterschenkeln habe feststellen können sowie eine mangelnde Tastbarkeit der Arteria dorsalis pedis und Arteria tibialis posterior beidseits. Es finde sich somit eine Störung sowohl der arteriellen als auch der venösen Durchblutung. Zusätzlich bestehe ein deutliches Übergewicht. Eine deutliche Zunahme der Schmerzen und Bewegungseinschränkung sowie Minderbelastbarkeit liege im Laufe des Arbeitstages bereits vor Ablauf von sechs Stunden vor. Hinsichtlich des Eintritts des Leistungsfalls sei die Kammer zu der Überzeugung gelangt, dass die Beeinträchtigungen in quantitativer Hinsicht mit dem Untersuchungstag (14.10.2020) bei H1 vorlägen. Davon, dass eine Leistungseinschränkung in quantitativer Hinsicht bereits mit Rentenantragsstellung oder zu einem Zeitpunkt davor vorgelegen habe, habe sich die Kammer nicht überzeugen können. Was die Befristung der Erwerbsminderungsrente auf den 30.04.2024 anbelange, nehme die Kammer auch Bezug auf das Sachverständigengutachten des H1. Daher gehe das Gericht vom Regelfall einer befristeten Erwerbsminderungsrente auf drei Jahre aus. Für eine unbefristete Rentengewährung fehle dem Gericht die Überzeugung, dass sich die Beeinträchtigungen des Klägers in keinerlei Hinsicht mehr verändern ließen, so dass das Gericht nicht von diesem Ausnahmefall ausgehe.

Gegen den der Beklagten am 03.02.2022 zugestellten Gerichtsbescheid hat diese am 03.03.2022 Berufung zum Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt.

Sie ist unter Bezugnahme auf die bereits erstinstanzlich vorgelegten sozialmedizinischen Stellungnahmen von B1 vom 07.12.2020 und vom 01.04.2021 sowie von B2 vom 05.05.2021 und die Stellungnahmen des M1 vom 24.05.2022 und 01.08.2022 sowie des N1 vom 12.04.2024 der Auffassung, dass dem Kläger eine Erwerbsminderungsrente nicht zustehe. Das Gutachten des H1 sei nicht schlüssig. Es sei nicht geeignet, ein in rentenrelevantem Ausmaß reduziertes quantitatives Leistungsvermögen im Sinne eines – vorliegend erforderlichen – Vollbeweises belegen zu können. Bei dem Rehabilitationsentlassungsbericht handele es sich offenbar um ein fehlerhaftes Ankreuzen. Seitens des Untersuchungsbefundes gebe es keine schlüssige Begründung für das eingeschränkte quantitative Leistungsvermögen von drei bis unter sechs Stunden. Bezüglich der im Bericht des Universitätsklinikums F1 vom 08.03.2022 (siehe hierzu im Folgenden) festgestellten Leberzirrhose werde hinsichtlich derselben ein stabiler Status bescheinigt. Auch das von B3 erstattete Gutachten (siehe hierzu im Folgenden) biete keine Begründung, warum eine sitzende Tätigkeit nicht sechs Stunden täglich möglich sei.

Die Beklagte beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 03.02.2022 aufzuheben und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er beruft sich im Wesentlichen auf das Gutachten von H1 und betont, dass er unter erheblichen orthopädischen und internistischen Erkrankungen leide, wobei die Leberzirrhose neu hinzugekommen sei. Aufgrund seiner Einschränkungen könne er auch höchstens 500 Meter gehen. Zur Untermauerung seines Vorbringens hat er den Arztbrief des N2, Universitätsklinikum F1 vom 08.03.2022, ausweislich dessen im Dezember 2021 eine Leberzirrhose CHILD B diagnostiziert wurde, und eine ärztliche Bescheinigung des A1 vom 12.09.2022 vorgelegt.

Die Vorsitzende hat die Sach- und Rechtslage mit den Beteiligten am 17.08.2022 erörtert und im Anschluss daran zunächst den H2 mit der Erstattung eines Gutachtens nach § 106 SGG beauftragt. Nachdem dieser mitgeteilt hat, dass er den Auftrag nicht annehmen könne, da er sich schon im Ruhestand befinde und er den Unterlagen aber auch nicht eindeutig die Notwendigkeit eines angiologischen/lymphologischen Gutachtens entnehme könne, er vielmehr der Überzeugung sei, dass der Kläger am ehestens von einem neurologisch-psychiatrischen Gutachtens profitiere, hat der Senat den S1 mit der Erstattung eines Gutachtens nach § 106 SGG beauftragt.

S1, dem vom Kläger ergänzend noch die Arztbriefe der behandelnden Neurologen vom 03.05.2011 und 25.11.2022, in denen über einen Zustand nach Hirnstamminfarkt mit dissoziierter Sensibilitätsstörung berichtet wird, vorgelegt worden sind, hat in seinem Gutachten vom 27.03.2023 aufgrund einer Untersuchung am 13.03.2023 ausgeführt, es liege beim Kläger ein Schmerzsyndrom rechter Fuß bei Zustand nach Calcaneusfraktur 2017 ohne Hinweis für neuropathische Schmerzkomponente, eine Anpassungsstörung, anamnestisch ein Zustand nach rechts hemisphärischer Ischämie mit persistierendem diskreten sensiblen Hemisyndrom links, eine leichte Polyneuropathie sowie ein Zustand nach Alkoholabusus mit äthyltoxischer Leberzirrhose vor. Unter Berücksichtigung der bereits in den Vorgutachten dargelegten qualitativen Leistungseinschränkungen sei der Kläger in der Lage körperlich leichte Arbeiten in sitzender Stellung mehr als sechsstündig pro Tag zu verrichten. Zusätzlich bestehe eine Einschränkung der Wegefähigkeit.

Sodann hat der Senat auf Antrag des Klägers gemäß § 109 SGG den B3 mit der Erstattung eines Gutachtens beauftragt. B3 hat in seinem Gutachten vom 14.02.2024 nach einer Untersuchung des Klägers am 29.09.2023 eine zurückliegende Calcaneusfraktur links (Bruchverletzung des Fersenbeins) mit Weichteilschaden infolge Arbeitsunfall am 30.10.2017, operativ behandelt verbliebene Funktionseinschränkung, mit orthopädischen Maßschuhen versorgt; einen Kniegelenkverschleiß beidseits, beidseits zurückliegende Totalendoprothesenimplantation, gutes funktionelles Ergebnis ohne relevante Einschränkung der Kniegelenkbeweglichkeit; eine Omarthrose (Schultergelenkverschleiß rechtsseitig) sowie ein Impingementsyndrom („Engpasssyndrom") im Bereich der rechten Schulter mit funktionellen Beeinträchtigungen, reduzierte Schulterbelastbarkeit sowie einen Diabetes mellitus Typ 2, medikamentös kombiniert behandelt einschließlich Insulintherapie, kein Anhalt für relevante diabetesbedingte Folgeschäden, ein arterielles Bluthochdruckleiden, mittels blutdrucksenkender Medikation aktuell normwertig eingestellt, ein zurückliegendes Schlaganfallereignis anamnestisch mit subjektiv verbliebener Beeinträchtigung der Temperaturwahrnehmung im Bereich der linken Körperhälfte jedoch ohne eindeutiges sensibles oder motorisches Defizit und anamnestisch ein Faktor-V-Leiden (Störung im Bereich des Blutgerinnungssystems, erblich bedingt), mittels blutgerinnungshemmender Maßnahmen (ASS niedrig dosiert) behandelt, diagnostiziert. In Zusammenschau der klinisch-radiologischen Befunde sei es dem Kläger sicher nicht mehr möglich schwere oder mittelschwere Arbeiten zu verrichten. Leichte körperliche Arbeiten wären unter gewissen Umständen vorstellbar. Hier müsste die Gehstrecke gesamt bis zum Arbeitsplatz einschließlich der öffentlichen Verkehrsmittel unter einem Kilometer liegen, der Arbeitsplatz sollte ebenerdig bzw. per Fahrstuhl erreichbar sein, über einen höhenverstellbaren Schreibtisch verfügen und das regelmäßige Wechseln aus der Sitz- in die aufrechte Position ermöglichen. Zudem sollte die Armarbeit unterhalb der Schulterhöhe liegen, sich auf einen reduzierten Radius beschränken und das Heben und Tragen schwerer Gegenstände (> 10 kg) exkludieren. Nach Aussage des Klägers seien mehrere Versuche vergleichbare Tätigkeiten länger als sechs Stunden durchzuführen wiederholt gescheitert. In der Zusammenschau aller orthopädischen/unfallchirurgischen aber eben auch der internistischen Diagnosen erscheine dies durchaus glaubhaft. Aus seiner Sicht sei es wenig zielführend abzuwägen, ob die Diagnosen des einen oder anderen Fachgebietes den größeren Einfluss auf die Arbeitsfähigkeit hätten. Letztlich müsse der Kläger ganzheitlich betrachtet werden. In dieser Zusammenschau zeige sich das Bild eines 55 Jahre alten, männlichen, adipösen Patienten mit eingeschränkter Geh- und Stehfähigkeit nach stattgehabter Calcaneus Fraktur links sowie endoprothetisch versorgten Kniegelenken beidseits. Diese Diagnosen alleine würden eine sitzende Tätigkeit sicher uneingeschränkt erlauben. Betrachte man nun aber die beginnende Polyneuropathie gemeinsam mit dem arteriellen Hypertonus, der Ödemneigung sowie dem Zustand nach Schlaganfall und ein gewisses, allerdings mildes, postthrombotisches Syndrom der Unterschenkel werde die Durchführung dieser Tätigkeit über einen längeren Zeitraum deutlich schwieriger absolvierbar. Abschließend komme nun noch die Omarthrose rechts bei Rechtshändigkeit im Beruf des Elektronikers hinzu. Hieraus resultiere, dass das Arbeiten mit schwereren Gegenständen über der Horizontalen unmöglich werde und die Tätigkeit in einem reduzierten Radius zwecks Reduktion der arthrotisch vorgeschädigten Schulter ausgeführt werden sollte. All diese Faktoren ermöglichten eine berufliche Tätigkeit über einen Zeitraum von mehr als sechs Stunden täglich aus seiner Sicht nicht mehr. Bei Einrichtung eines adäquaten Arbeitsplatzes wäre es vorstellbar, dass der Kläger seine Tätigkeit an fünf Tagen der Woche für drei Stunden durchführen könne.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz sowie die Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen.


Entscheidungsgründe

Die nach den §§ 143, 144, 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten ist statthaft und zulässig, sowie in der Sache vollumfänglich begründet.

Gegenstand der Berufung ist der Bescheid der Beklagten vom 25.09.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.02.2020, mit dem der Antrag des Klägers auf Rente wegen Erwerbsminderung abgelehnt worden ist. Gegenstand der Berufung ist angesichts des angegriffenen Gerichtsbescheids des SG jedoch nur die Gewährung einer befristeten Rente wegen voller Erwerbsminderung für die Zeit vom 01.05.2021 bis 30.04.2024, nachdem nur die Beklagte Berufung gegen den Gerichtsbescheid eingelegt hat. Soweit das SG darüber hinaus die Klage abgewiesen hat, ist die Entscheidung mangels einer Berufung des Klägers rechtskräftig.

Das SG hat zu Unrecht die Beklagte zur Gewährung der Rente verurteilt, da der Bescheid rechtmäßig ist und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt. Er hat keinen Anspruch auf eine Rente wegen voller Erwerbsminderung.

Versicherte haben gemäß § 43 Abs. 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie
1.         voll erwerbsgemindert sind,
2.         in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und
3.         vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.

Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein.

Erwerbsgemindert ist nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 SGB VI).

Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen sind hierbei bezogen auf den Leistungsfall, den Eintritt der Erwerbsminderung, zu bestimmen. Mit dem Erfordernis, dass innerhalb eines Zeitraums von fünf Jahren drei Jahre (36 Monate) mit Pflichtbeiträgen belegt sein müssen, geht einher, dass der Versicherungsschutz betreffend dem Leistungsfall der Erwerbsminderung nur für einen Zeitraum von zwei Jahren nach dem Wegfall eines Bezugs zum Erwerbsleben aufrechterhalten bliebt. Unter den Voraussetzungen des § 43 Abs. 4 SGB VU verlängert sich der Fünfjahreszeitraum um bestimmte Zeiten, die nicht mit Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit belegt sind. Liegt hingegen ein längerer Zeitraum zwischen der Erwerbsminderung und dem Erwerbsleben (auch dem Bezug von Lohnersatzleistungen) ist eine eventuelle Erwerbsminderung nicht mehr durch die gesetzliche Rentenversicherung abgesichert. Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen sind nach dem vorliegenden Versicherungsverlauf vom 22.05.2024 zuletzt am 31.10.2023 erfüllt gewesen. Der Versicherungsverlauf des Klägers weist die letzten Pflichtbeitragszeiten im September 2021 aus, sodass bereits nach Ablauf eines Zeitraums von zwei Jahren hiernach kein Versicherungsschutz für den Versicherungsfall der Erwerbsminderung mehr bestand. Verlängerungstatbestände nach § 43 Abs. 4 Nr. 2 SGB VI liegen nicht vor.

In Anlegung dieser Maßstäbe sind die Voraussetzungen des § 43 Abs. 2 SGB VI beim Kläger nicht mit der erforderlichen an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit nachgewiesen (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 20.10.2004 - B 5 RJ 48/03 R -, in juris). Der Senat vermag nicht festzustellen, dass der Kläger seit 14.10.2020 bzw. spätestens seit 31.10.2023 voll oder teilweise erwerbsgemindert ist, weil er Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts nicht mehr in einem Umfang von mindestens sechs Stunden täglich verrichten kann.

Die Beweisaufnahme hat ergeben, dass der Kläger an einer operativ behandelten Calcaneusfraktur mit Weichteilschaden infolge eines Arbeitsunfall am 30.10.2017 mit verbliebener Funktionseinschränkung und einem Schmerzsyndrom, Totalendoprothesenimplantationen beidseits mit guten funktionellen Ergebnissen ohne relevante Einschränkung der Kniegelenksbeweglichkeit, an einer Omarthrose und einem Impingementsyndrom im Bereich der rechten Schulter mit funktionellen Beeinträchtigungen und reduzierter Schulterbelastbarkeit, einem medikamentös kombiniert behandelten Diabetes mellitus Typ 2 einschließlich Insulintherapie ohne Anhalt für relevante diabetesbedingte Folgeschäden, einem mittels blutdrucksenkender Medikation aktuell normwertig eingestellten arteriellen Bluthochdruckleiden, einem im Jahr 2007 erlittenen Schlaganfallereignis mit subjektiv verbliebener Beeinträchtigung der Temperaturwahrnehmung der linken Körperhälfte jedoch ohne eindeutiges sensibles oder motorisches Defizit, einem mittels blutgerinnungshemmender Maßnahmen (ASS niedrig dosiert) behandeltem anamnestischen Faktor-V-Leiden, einer leichten Polyneuropathie, einer krankheitswertigen Adipositas, einer Harnsäurestoffwechselstörung, einer äthyltoxischen Leberzirrhose und einer Anpassungsstörung leidet. Dies entnimmt der Senat dem internistischen Gutachten des P1, dass der Senat im Wege des Urkundsbeweises verwertet, dem von S1 im Auftrag des Senats erstatteten Gutachtens vom 27.03.2023, aber auch den von H1 und B3 erstatteten orthopädischen Gutachten vom 20.10.2020 bzw. 14.02.2024 und dem Rehabilitationsentlassungsbericht vom 25.08.2020.

Bezüglich der orthopädischen Beeinträchtigungen zeigten sich bei der Untersuchung durch H1, die nachdem bereits 2013 eine Kniegelenksendoprothese links implantiert worden war drei Monate nach Implantation der Kniegelenksendoprothese rechts stattfand, die Kniegelenke mit einer Kniebeugung rechts mit 130 Grad und links mit 120 Grad gut beweglich, wobei die Überstreckung rechts Schmerzen am lateralen Kniegelenksspalt und am Fibulaköpfchen, wo auch eine lokale Druckschmerzhaftigkeit bestand, auslöste. Bei der Untersuchung der Sprunggelenke und Füße wurde die Dorsal-/Plantarflexion rechts mit 15/0/50 und links mit 15/0/30, die Pro-/Supination rechts mit 25/0/50 und links mit 10/0/25 gemessen. Links bestand eine reizfreie OP-Narbe am lateralen Fersenrand ausgehend von der Ferse bis etwa zur Basis des Mittelfußknochens V ohne weitere Entzündungszeichen oder Druckschmerzhaftigkeit. Die Fußgewölbe links waren erheblich abgesenkt, zusätzlich bestand eine deutliche Valgusfehlstellung des Rückfußes links und es fand sich ein Druckschmerz um den Außenknöchel herum und über dem unteren Sprunggelenk lateral mehr als medial. Des Weiteren bestand eine rötlich livide und glänzende Verfärbung der Haut am rechten Unterschenkel und Fuß ohne sichere Hinweise auf eine Thrombose oder auf ein postthrombotisches Syndrom. Außerdem fanden sich bei der Untersuchung gegen 11:00 Uhr vormittags geringe Unterschenkelödeme bds. Eine Rötung, Schwellung oder Überwärmung der Kniegelenke beschrieb H3 ebenso wie einen Kniegelenkserguss nicht. Der Untersuchungsbefund des rechten Schultergelenks durch H1 ergab, dass der Kläger den rechten Arm nach vorne mit 140 Grad und zur Seite mit 100 Grad anheben konnte. Außerdem beschrieb er eine Kraftminderung des rechten Armes bei der Abspreizbewegung und beim Anheben sowie eine Muskelminderung im Schulterbereich. Der Barfußgang im Zimmer war kleinschrittig und unsicher mit verminderter Abrollbarkeit des linken Fußes. Der Kläger gab H1 gegenüber an, das Schmerzmittel Tilidin bei Bedarf (ca. dreimal pro Woche) einzunehmen. Damit übereinstimmend fand auch B3 bei der Untersuchung am 29.09.2023 eine im Bereich der rechten oberen Extremität eingeschränkte Schultergelenksbeweglichkeit, eine Muskelminderung und einen leichten Druckschmerz im Bereich des Oberarmkopfes sowie eine Druckempfindlichkeit an den Muskelansätzen rechts. Im Bereich der Unterschenkel befundete er beidseits trophische Störungen bei einem regelrechten Muskeltonus. Die Venenzeichnung war an beiden Beinen leicht vermehrt, wobei die Venenstränge ohne auffällige Verhärtung oder Schmerzangabe gut abzutasten waren. Es habe sich – so B3 weiter – eine prätibiale Ödembereitschaft beidseits gezeigt, die Haut habe eine seitengleiche Temperatur und ein auffälliges gerötetes Hautkolorit aufgewiesen. Im Bereich der Kniegelenke stellte auch B3 reizlose Narbenverhältnisse ohne Erguss fest. Die Seitenbandverhältnisse waren stabil, die Beweglichkeit in beiden Kniegelenken endgradig eingeschränkt. Im Bereich des linken Sprunggelenks und im Bereich des Rück- und Mittelfußes beidseits waren die Konturen verschlissen. Die Beweglichkeit im Bereich des oberen und unteren Sprunggelenks war links stark eingeschränkt, links fand sich auch ein Bewegungsschmerz. Der Gang war linksseitig hinkend.

S1 hat dargelegt, dass an den Beinen des Klägers bei Zustand nach Knie-TEP bds. bei reizlosen Narben kein Patellasehnenreflex erhältlich gewesen sei, der Achillessehnenreflex sei an den Füßen seitengleich lebhaft auslösbar gewesen. Am linken Fuß stellte er eine reizlose lange Narbe über dem Fersenbein lateral fest, wobei das angrenzende Gewebe etwas dunkler, aber intakt und vital gewirkt habe. Mit Ausnahme einer Hyperkeratose bds. befundete er keine trophischen Störungen. Multiple Druckdolenzen fand er an beiden Füßen und distalen Unterschenkeln. Die Kraft in beiden Beinen war erhalten. Der Kläger ging langsam und etwas breitbeinig unter Angabe von Schmerzäußerungen. Den rechten Arm abduzierte der Kläger nur bis 110 Grad. Sensibel gab er eine leichte Hemihypästhesie links für alle Qualitäten an. Bei der Elektroneurographie war die Nervenleitgeschwindigkeit des Nervus peronaeus rechts mit 37 m/s grenzwertig normverlangsamt, links mit 42 m/s noch im Normbereich. Vom psychischen Befund her beschreibt S1 mit Ausnahme der Tatsache, dass der Kläger sehr die Schmerzen beklagt und betont habe, weshalb er nicht einmal drei Stunden tätig sein könne, keine Auffälligkeit.

Unter Zugrundelegung dieser als rentenrelevant zu berücksichtigenden Gesundheitsstörungen ergeben sich nach Ansicht des Senats qualitative Leistungseinschränkungen. Der Kläger kann keine Tätigkeiten mehr verrichten, die verbunden sind mit schweren und überwiegend mittelschweren Hebebelastungen, Hinknien, regelmäßigen Überkopfarbeiten, häufigem Bücken und längeren Zwangshaltungen, dem Erfordernis des Ersteigens von Leitern und Gerüsten sowie Arbeiten auf stärker unebenen Flächen mit Ausrutschgefahr und häufigem Treppensteigen. Darüber hinaus sind Tätigkeiten ausgeschlossen, die mit erhöhter Absturz - und Unfallgefahr einhergehen bzw. erhöhte Gang- und Standsicherheit erfordern. Nicht mehr verrichten kann der Kläger des Weiteren stehende Tätigkeiten an laufenden Maschinen, Arbeiten unter Einwirkung von Kälte, Nässe oder Zugluft, Arbeiten im Akkord, am Fließband und in Schicht- oder Nachtarbeit. Wegen der verminderten Belastbarkeit beider Beine müssen die Arbeiten überwiegend im Sitzen mit nur gelegentlichem Stehen und Gehen erfolgen.

Nach den für den Senat nachvollziehbaren und wohlbegründeten Gutachten des P1 und des S1 spricht aber viel dafür, dass der Kläger täglich noch mindestens sechs Stunden leidensgerechte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verrichten kann. Davon, dass dem Kläger auch eine sitzende Tätigkeit nicht sechs Stunden täglich möglich ist, ist der Senat nicht überzeugt. Eine Einschränkung bzgl. sitzender Tätigkeiten würde sich – wie N1 zuletzt noch einmal ausgeführt hat – ergeben, wenn ein erheblicher Reizzustand der Kniegelenke bestehen würde oder eine höhergradige Einschränkung der Wirbelsäulenfunktionen. Dies ist aber nicht der Fall. Auch eine höhergradige Schmerzerkrankung könnte eine Einschränkung rechtfertigen. Eine solche liegt aber ebenfalls nicht vor. Der Kläger nimmt weder eine permanente Schmerzmedikation ein noch ist bzw. war er in schmerztherapeutischer Behandlung. Dass aus den orthopädischen Erkrankungen des Klägers eine quantitative Leistungseinschränkung des Klägers resultiert, führen im Übrigen auch H1 und B3 nicht aus.

H1 und B3 stützen ihre Leistungseinschätzung auf die beim Kläger vorliegenden orthopädischen Erkrankungen und die bei ihm vorliegenden weiteren Erkrankungen. Entgegen den Beurteilungen von H1 und B3 ist der Senat von einer quantitativen Einschränkung des Leistungsvermögens des Klägers aber auch nicht bei „ganzheitlicher“ Betrachtung des Klägers überzeugt. Die beim Kläger vorliegenden internistischen und neurologischen Erkrankungen wie Diabetes mellitus, Bluthochdruck, Sensibilitätsstörungen und eine Beeinträchtigung der Temperaturwahrnehmung aufgrund des 2007 erlittenen Schlaganfalls sowie das Faktor-V-Leiden sind medikamentös gut eingestellt bzw. nicht höhergradig ausgeprägt, so dass sie keine zusätzlichen Einschränkungen rechtfertigen. Bzgl. des erlittenen Schlaganfalls und den daraus resultierenden Beeinträchtigungen ist in diesem Zusammenhang auch darauf hinzuweisen, dass diese in der Vergangenheit einer Berufstätigkeit des Klägers auch nicht entgegenstanden. Nichts anderes ergibt sich unter Berücksichtigung der mittlerweile festgestellten Polyneuropathie, der Ödemneigung und dem postthrombotischen Syndrom im Bereich der Unterschenkel. Es handelt sich insoweit um kleinere Diagnosen, die nur gering ausgeprägt sind. Die Notwendigkeit einer Behandlung sehen die behandelnden Ärzte des Klägers diesbezüglich nicht. Weder H1 noch B3 führen prätibiale Ödeme und ein postthrombotisches Syndrom in ihren Gutachten als leistungsmedizinisch relevante Diagnosen auf. Was schließlich die Leberzirrhose anbelangt, bescheinigt das Universitätsklinikum F1 im Arztbrief vom 08.03.2022 einen stabilen Status ohne Stauungszeichen im Sinne von Krampfadern der Speiseröhre und/oder Wasseransammlungen im Bauchraum. Diese im Dezember 2021 gestellte Diagnose rechtfertigt deshalb allenfalls eine weitere qualitative Einschränkung dahingehend, dass der Kläger keine Arbeiten mehr verrichten sollte, die ihm einen Zugang zu Alkohol verschaffen. Auch in der Gesamtschau mit den weiteren Erkrankungen folgt hieraus aber ebenfalls keine quantitative Einschränkung des Leistungsvermögens.

Auch das erste und das zweite Rentengutachten des P2 vom 11.03.2019 und 06.02.2020 vermögen das Vorliegen der Voraussetzungen des § 43 Abs. 2 SGB VI nicht nachzuweisen. P2 beschreibt in seinem Ersten Rentengutachten nach Untersuchung des Klägers am 11.03.2019 eine in deutlicher posttraumatischer Fehlstellung konsolidierte Calcaneusfraktur links mit posttraumatischer Plattfußfehlstellung und negativiertem Tubergelenkswinkel, eine schmerzbedingte Minderbelastbarkeit des linken Rückfußes mit eingeschränkter Gehstrecke (1 – 1,5 km am Stück unter Vollbelastung des linken Beines ohne Gehhilfe), eine funktionell eingeschränkte Beweglichkeit des linken Sprunggelenks und eine periphere neurologische Sensibilitätsminderung des lateralen Vorfußes links. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit schätzte er ab 29.04.2019 auf 30 v.H. Im Zweiten Rentengutachten nach Untersuchung am 06.02.2020 beschreibt er den gleichen Befund und schätzt die Minderung der Erwerbsfähigkeit auf 20 v.H. Der Befund von Seiten des linken Fußes des Klägers steht im Einklang mit den im Rentenverfahren erhobenen Gutachten.

Einen Nachweis vom Vorliegen quantitativer Leistungseinschränkungen vermag auch die ärztliche Bescheinigung des A1 vom 12.09.2022 nicht zu erbringen. Er nennt im Wesentlichen die bekannten Diagnosen und schildert die bekannten Einschränkungen. Eine Beurteilung der beruflichen Leistungsfähigkeit des Klägers nimmt er nicht vor. 

Soweit schließlich im Rehaentlassungsbericht vom 25.08.2020 sowohl für die Tätigkeit als Elektromonteur als auch auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ein Leistungsvermögen von drei bis unter sechs Stunden angegeben wurde, ist der Senat wie auch M1 davon überzeugt, dass es sich, was die Einschätzung des Leistungsvermögens auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt anbelangt um ein fehlerhaftes Ankreuzen handelt. Jedenfalls ist aber auch unter Berücksichtigung des im Entlassungsbericht geschilderten Befundes, wonach es zu einer Verbesserung der Bewegungsausmaße seitens des operierten Kniegelenks kam und zu einem Rückgang der Schmerzsymptomatik, weshalb es der Einnahme einer regelmäßigen Schmerzmedikation nicht mehr bedurfte, ein Leistungsvermögen von unter sechs Stunden täglich nicht belegt.   

Eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung liegen nicht vor. Zwar wirkt, wie oben dargelegt, grundsätzlich nur eine Einschränkung der Leistungsfähigkeit in zeitlicher Hinsicht rentenbegründend, jedoch kann unter dem Gesichtspunkt des Vorliegens einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder einer spezifischen Leistungsbehinderung das Erfordernis resultieren, den Versicherten eine konkrete Verweisungstätigkeit zu benennen (vgl. BSG, Urteile vom 11.12.2019 - B 13 R 7/18 R-, vom 24.02.1999 - B 5 RJ 30/98 R - und vom 11.05.1999 - B 13 RJ 71/97 R -, jeweils in juris). Grundlage der Benennungspflicht bildet in diesen Fällen der Umstand, dass von vornherein ernste Zweifel an einer Einsetzbarkeit in einem Betrieb aufkommen. Eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen ist in Betracht zu ziehen, wenn, neben einer qualitativen Leistungseinschränkung auf „leichte Tätigkeiten“, die Leistungsfähigkeit zusätzlich in erheblichem Umfang einschränkt ist (BeckOGK/Gürtner SGB VI, § 43, Rn. 47). In diesem Sinne ist unter der Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen eine Häufung von Leistungseinschränkungen zu verstehen, die insofern ungewöhnlich ist, als sie nicht regelmäßig bei einer Vielzahl von Personen bis zum Erreichen der Altersgrenze für die Regelaltersrente angetroffen wird.

Eine solche ergibt sich nicht unter dem Aspekt eines etwaig verschlossenen Arbeitsmarktes. Bei vollschichtiger Leistungsfähigkeit ist grundsätzlich davon auszugehen, dass es für eine Vollzeittätigkeit hinreichend Arbeitsplätze gibt. Mithin obliegt bei einer vollschichtigen Einsatzfähigkeit das Arbeitsplatzrisiko der Arbeitslosenversicherung bzw. dem Versicherten, nicht aber der Beklagten (vgl. insofern § 43 Abs. 3 letzter Halbsatz SGB VI, der bestimmt, dass die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen ist).

Ausnahmsweise kann jedoch der Arbeitsmarkt als verschlossen gelten. Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass eine Verweisung auf die verbleibende Erwerbsfähigkeit nur möglich ist, wenn nicht nur die theoretische Möglichkeit besteht, einen Arbeitsplatz zu erhalten. Der Arbeitsmarkt gilt in Ermangelung einer praktischen Einsatzfähigkeit nach der Rechtsprechung des BSG abschließend als verschlossen, wenn der Versicherte nicht unter den in den Betrieben üblichen Bedingungen arbeiten kann, der Versicherte entsprechende Arbeitsplätze aus gesundheitlichen Gründen nicht aufsuchen kann, der Versicherte nur in Teilbereichen eines Tätigkeitsfeldes eingesetzt werden kann, die in Betracht kommenden Tätigkeiten auf Arbeitsplätzen ausgeübt werden, die als Schonarbeitsplätze nicht an Betriebsfremde vergeben werden, die in Betracht kommenden Tätigkeiten auf Arbeitsplätzen ausgeübt werden, die an Betriebsfremde nicht vergeben werden, die in Betracht kommenden Tätigkeiten auf Arbeitsplätzen ausgeübt werden, die als Aufstiegspositionen nicht an Betriebsfremde vergeben werden oder entsprechende Arbeitsplätze nur in ganz geringer Zahl vorkommen.

Keine der genannten Fallkonstellationen ist hier gegeben. Die qualitativen Leistungseinschränkungen des Klägers (siehe oben) sind nicht als ungewöhnlich zu bezeichnen. Darin ist weder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung noch eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen zu sehen.

Auch die Wegefähigkeit des Klägers ist zur Überzeugung des Senats nicht eingeschränkt. Neben der zeitlich ausreichenden Einsetzbarkeit des Versicherten am Arbeitsplatz gehört zur Erwerbsfähigkeit auch das Vermögen, eine Arbeitsstelle aufzusuchen. Eine gesundheitliche Beeinträchtigung, die dem Versicherten dies nicht erlaubt, stellt eine derart schwere Leistungseinschränkung dar, dass der Arbeitsmarkt trotz eines vorhandenen vollschichtigen Leistungsvermögens als verschlossen anzusehen ist (BSG, Beschluss des Großen Senats vom 19.12.1996 - GS 2/95 -, in juris). Diese Kriterien hat das BSG zum Versicherungsfall der Erwerbsunfähigkeit entwickelt, wie ihn § 1247 RVO und § 44 SGB VI in der bis zum 31.12.2000 geltenden Fassung (a.F.) umschrieben hatten (vgl. BSG, Urteil vom 17.12.1991 - 13/5 RJ 73/90 -, in juris). Diese Maßstäbe gelten für den Versicherungsfall der vollen Erwerbsminderung (§ 43 Abs. 2 SGB VI) unverändert fort (vgl. BSG, Urteil vom 28.08.2002 - B 5 RJ 12/02 R -, in juris). Konkret gilt: Hat der Versicherte keinen Arbeitsplatz und wird ihm ein solcher auch nicht angeboten, bemessen sich die Wegstrecken, deren Zurücklegung ihm möglich sein müssen, - auch in Anbetracht der Zumutbarkeit eines Umzugs - nach einem generalisierenden Maßstab, der zugleich den Bedürfnissen einer Massenverwaltung Rechnung trägt. Dabei wird angenommen, dass ein Versicherter für den Weg zur Arbeitsstelle öffentliche Verkehrsmittel benutzen und von seiner Wohnung zum Verkehrsmittel sowie vom Verkehrsmittel zur Arbeitsstelle und zurück Fußwege absolvieren muss. Eine (volle) Erwerbsminderung setzt danach grundsätzlich voraus, dass der Versicherte nicht vier Mal am Tag Wegstrecken von über 500 m mit zumutbarem Zeitaufwand (also jeweils innerhalb von 20 Minuten) zu Fuß bewältigen und ferner zwei Mal täglich während der Hauptverkehrszeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren kann. Bei der Beurteilung der Mobilität des Versicherten sind alle ihm tatsächlich zur Verfügung stehenden Hilfsmittel (z. B. Gehstützen) und Beförderungsmöglichkeiten zu berücksichtigen (vgl. BSG, Urteil vom 17.12.1991 - 13/5 RJ 73/90 -, in juris). Dazu gehört z. B. auch die zumutbare Benutzung eines eigenen Kfz (zur Wegefähigkeit vgl. zuletzt BSG, Urteil vom 12.12.2011 - B 13 R 79/11 R -, in juris). Der Kläger ist noch in der Lage, eine Gehstrecke von 500 Metern viermal in weniger als 20 Minuten täglich zurückzulegen und öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen. Der Senat folgt insoweit den Gutachten des P1 und des H1. Hierfür sprechen auch die Rentengutachten des P2 und die Tatsache, dass dem Kläger das Merkzeichen G nicht zugesprochen wurde. Darüber hinaus verfügt der Kläger über einen Pkw.

Aus der Anerkennung eines GdB folgt ebenfalls nicht, dass der Kläger erwerbsgemindert wäre. Zwischen der Schwerbehinderung nach dem Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) und der Erwerbsminderung nach dem SGB VI besteht keine Wechselwirkung, da die gesetzlichen Voraussetzungen unterschiedlich sind (BSG, Beschluss vom 08.08.2001 - B 9 SB 5/01 B -, in juris, Rn. 5; BSG, Beschluss vom 09.12.1987 - 5b BJ 156/87 -, in juris, Rn. 3). Für die Erwerbsminderung nach § 43 SGB VI sind die Erwerbsmöglichkeiten des Betroffenen maßgeblich, während § 152 Abs. 1 Satz 5 SGB IX (in der seit 01.01.2018 geltenden Fassung des Art. 1 Gesetz zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen [BTHG] vom 23.12.2016 [BGBL. I, S. 3234]) auf die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft abstellt (zuvor § 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX in der bis zum 14.01.2015 geltenden Fassung und § 159 Abs. 7 SGB IX in der seit dem 15.01.2015 geltenden Fassung, eingefügt durch Art. 1a Nr. 3 Gesetz zum Vorschlag für einen Beschluss des Rates über einen Dreigliedrigen Sozialgipfel für Wachstum und Beschäftigung und zur Aufhebung des Beschlusses 2003/174/EG vom 07.01.2015 [BGBl. II, S. 15], die auf die abstrakten Maßstäbe des § 30 Abs. 1 Bundesversorgungsgesetz (BVG) verwiesen; vgl. BSG, Beschluss vom 08.08.2001 - B 9 SB 5/01 B -, in juris, Rn. 5; BSG, Beschluss vom 09.12.1987 - 5b BJ 156/87 -, in juris, Rn. 3).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG).


 

Rechtskraft
Aus
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