L 3 U 193/22

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Fulda (HES)
Sachgebiet
Unfallversicherung
1. Instanz
SG Fulda (HES)
Aktenzeichen
S 8 U 25/22
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 3 U 193/22
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 2 U 33/24 B
Datum
Kategorie
Urteil


I.    Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Fulda vom 31. Oktober 2022 wird zurückgewiesen.
II.    Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
III.    Die Revision wird nicht zugelassen.


Tatbestand

Streitig zwischen den Beteiligten ist die Höhe der dem Kläger vom 5. März 2015 bis zum 3. Oktober 2020 gezahlten Rente. 

Der 1937 geborene Kläger absolvierte vom 9. April 1953 bis zum 30. April 1956 eine Ausbildung als Maurer. Danach war er bis 1984 bei unterschiedlichen Hoch- und Tiefbauunternehmen und Handwerks- und Handelsbetrieben in Vollzeit tätig. Vom 1. Juli 1985 bis zum 31. Dezember 2000 war er bei der Gemeinde A-Stadt als Maurer tätig. Seit dem 1. Januar 2001 ist er in Altersrente. Nachdem er 1962 geheiratet hatte, zog er auf den Hof seiner Schwiegereltern und half dort in der Landwirtschaft mit. 1964 zogen sich die Schwiegereltern aus gesundheitlichen Gründen aus der Landwirtschaft zurück, so dass nur noch der Kläger und seine Frau dort tätig waren. Mit Vertrag vom 23. Juli 1999 wurden die landwirtschaftlichen Flächen an seinen Sohn verpachtet. Seitdem half der Kläger nur noch gelegentlich mit. Die Forstflächen von 8,01 ha behielt er. 

Mit Schreiben vom 17. November 2014 stellte der Kläger den Antrag auf Anerkennung einer Berufskrankheit. Der Präventionsdienst errechnete für die Tätigkeit des Klägers als Maurer von 1985 bis Ende 2000 eine UV-Strahlung von 3.200 SED, für die Tätigkeit als Land- und Forstwirt von 1962 bis 2011 eine Strahlung von 5.419 SED.

Beim Kläger wurde mit Bescheid vom 27. Januar 2016 die BK Nr. 5103 „Plattenepithelkarzinom oder multiple aktinische Keratosen der Haut durch natürliche UV-Strahlung“ ab dem 3. Februar 2011 anerkannt. In der Folgezeit waren rund um die BK diverse Rechtsstreite beim Sozialgericht Fulda (Sozialgericht) anhängig (u.a. Zeitpunkt des Eintretens der BK, Höhe der MdE). Im Verfahren S 8 U 88/20 schlossen die Beteiligten einen Vergleich: 
1.    Die Beklagte erkannte das Vorliegen der BK Nr. 5103 ab dem 23. Juli 2004 an. 
2.    Eine Minderung der Erwerbsfähigkeit wurde für die Zeit vom 5. März 2015 bis zum 19. März 2018 mit 20 v.H. und vom 20. März 2018 bis zum 3. Oktober 2020 mit 30 v.H. anerkannt. 
3.    Bezüglich der MdE für die Zeit ab dem 4. Oktober 2020 sollten neue Ermittlungen erfolgen. 

Mit Bescheid vom 16. September 2021 führte die Beklagte den Vergleich zu den Punkten 1. und 2. aus. Sie gab u.a. an, dass sich die Rente nach der MdE von 30 v.H. und nach einem Jahresarbeitsverdienst von 10.655,59 errechne. Maßgebender Zeitpunkt für die Berechnung des Jahresarbeitsverdienstes sei der 23. Juli 2004. Der Bescheid ging dem Kläger am 15. November 2021 zu. Den gegen den Bescheid eingelegten Widerspruch, der sich gegen die Höhe des Jahresarbeitsverdienstes und damit gegen die Höhe der Rente richtete, wies die Beklagte als unzulässig zurück. 

Am 9. März 2022 hat der Kläger Klage erhoben. Eine Begründung ist trotz Hinweis des Sozialgerichts nicht erfolgt. Mit Gerichtsbescheid vom 31. Oktober 2022 hat das Sozialgericht die Klage unter Verweis auf den verspäteten Widerspruch abgewiesen. 

Am 28. November 2022 hat der Kläger Berufung eingelegt. Er hat erstmals unter Vorlage von Unterlagen mitgeteilt, dass der Bescheid vom 16. September 2021 erst am 15. November 2021 zugegangen ist. Hierauf hat die Beklagte mit einem weiteren Bescheid vom 22. Juni 2023 in der Sache über den Widerspruch entschieden. Sie hat u.a. ausgeführt, dass sich der Jahresarbeitsverdienst aus § 93 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch – Gesetzliche Unfallversicherung – SGB VII ergebe. In der Folgezeit hat der Kläger unterschiedliche weitere Unterlagen vorgelegt, u.a. ein Schreiben der Gemeinde A-Stadt vom 14. November 2023, in dem die unterschiedlichen Tätigkeiten des Klägers aufgeführt werden und mitgeteilt wird, dass der Kläger von 1985 bis 2000 bei der Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau (SVLFG) angemeldet war. 

Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Fulda vom 31. Oktober 2022 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheids vom 16. September 2021 in Gestalt des Bescheids vom 22. Juni 2023 zu verurteilen, ihm für die Zeit vom 5. März 2015 bis zum 3. Oktober 2020 eine Rente unter Berücksichtigung des Jahresarbeitsverdienstes zu zahlen, der sich aus der Zusammenrechnung des Arbeitseinkommens des Klägers als Maurer (Arbeitnehmer) und als Land- und Forstwirt ergibt.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Sie verweist insbesondere auf ihre Bescheide.

Mit Verfügung vom 26. September 2023 ist den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme bzgl. einer Übertragung des Verfahrens auf die Berichterstatterin gem. § 153 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz – SGG gegeben worden. Mit Beschluss vom 9. September 2023 ist die Übertragung erfolgt.

Bezüglich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten und die Gerichtsakten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.  


Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet.

Der Gerichtsbescheid vom 31. Oktober 2022 und der Bescheid der Beklagten vom 16. September 2021 in der Gestalt des Bescheids vom 22. Juni 2023, der gem. § 96 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Gegenstand des Verfahrens geworden ist, sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten. Dieser hat keinen Anspruch auf Berücksichtigung seines früheren Jahresarbeitsverdienstes im Rahmen der gezahlten Rente.

Gem. § 93 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch – Gesetzliche Unfallversicherung – SGB VII ist der Jahresarbeitsverdienst bei kraft Gesetzes versicherten landwirtschaftlichen Unternehmern ein Festbetrag, der gem. § 95 SGB VII angepasst wird. Bei den nach § 2 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. a, b und c versicherten Personen gelten die allgemeinen Vorschriften für die Bemessung des Jahresarbeitsverdienstes (§§ 82 ff.) deshalb nicht. Diese Personengruppen sind nach Auffassung des Gesetzgebers wegen der vorhandenen Unternehmenssubstanz weniger schutzbedürftig als andere Versicherte. Aus diesem Grund sollen sie nur einen Mindestversicherungsschutz (Grundsicherung) erhalten (vgl. BSG, Urteil vom 18. Oktober 1994, 2 RU 5/94 juris) Entgelt oder Einkommen aus anderer Beschäftigung oder Tätigkeit wird dabei nicht berücksichtigt. Für Versicherte, die den Versicherungsfall als Landwirt erlitten haben und daneben eine abhängige Beschäftigung außerhalb der Landwirtschaft ausgeübt hatten, findet nach der Rechtsprechung des BSG eine Zusammenrechnung mit Arbeitsentgelt deshalb grundsätzlich nicht statt (BSG, Urteil vom 4. Juli 1995, 2 RU 33/94 - juris). Eine Ausnahme gilt dann, wenn eine Berufskrankheit des Versicherten im Sinne einer wesentlichen Teilursache sowohl auf eine Arbeitnehmertätigkeit als auch auf eine Tätigkeit als selbstständiger Landwirt zurückzuführen ist, hier gilt der Meistbegünstigungsgrundsatz (LSG Essen, Urteil vom 10. September 2001 - L 15 U 136/99 – juris; Ricke in: beck-online.GROSSKOMMENTAR, Hrsg: Rolfs, Stand: 01. März 2021, § 93 SGB VII, Rn. 2). Insofern liegt keine Einschränkung der Sperrwirkung vor. 

Vorliegend kann jedoch dahinstehen, ob die Erkrankung des Klägers auch kausal auf die Tätigkeit des Klägers bei der Gemeinde A-Stadt zurückzuführen ist, da sich selbst dann kein höherer Jahresarbeitsverdienst ergibt. Wie sich aus dem Vergleich der Beteiligten im Verfahren S 8 U 88/20 ergibt, ist der Versicherungsfall am 23. Juli 2004 eingetreten. Nach § 82 Abs. 1 SGB VII ist der Jahresarbeitsverdienst der Gesamtbetrag der Arbeitsentgelte (§ 14 Sozialgesetzbuch Viertes Buch – Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung – SGB IV) und Arbeitseinkommen (§ 15 SGB IV) des Versicherten in den zwölf Kalendermonaten vor dem Monat, in dem der Versicherungsfall eingetreten ist. Der Kläger bezieht aufgrund der für die Gemeinde ausgeübten Tätigkeit seit dem 1. Januar 2000 Altersrente, d.h. im Jahr vor dem Versicherungsfall hat er weder Arbeitsentgelt noch Arbeitseinkommen bezogen. Aus § 82 Abs. 2 SGB VII ergibt sich nichts Anderes. Die Vorschrift dient dazu, eine fiktive Auffüllung für Zeiten innerhalb des Jahreszeitraums vorzunehmen. Voraussetzung ist demgemäß, dass im Jahresarbeitsverdienst-Jahr überhaupt Arbeitsentgelt/-einkommen bezogen wurde. Sonst wären es keine Ausfallzeiten (vgl. Ricke in: beck-online.GROSSKOMMENTAR, Hrsg: Rolfs, Stand: 15. November 2023, § 82, Rn. 20). 

§ 9 Abs. 5 SGB VII ist vorliegend nicht anwendbar. Hiernach ist, soweit Vorschriften über Leistungen auf den Zeitpunkt des Versicherungsfalls abstellen, bei Berufskrankheiten auf den Beginn der Arbeitsunfähigkeit oder der Behandlungsbedürftigkeit oder, wenn dies für den Versicherten günstiger ist, auf den Beginn der rentenberechtigenden Minderung der Erwerbsfähigkeit abzustellen. Grundvoraussetzung ist hier jedoch das Vorliegen eines Versicherungsfalls. Der ist beim Kläger erst am 23. Juli 2004 eingetreten, so dass eine Vorverlegung auf einen Zeitpunkt vor diesem Datum nicht möglich ist (vgl. Hauck/Noftz/Römer, § 9 SGB VII, Rn. 239). 

Eine Anwendung des § 84 Abs. 1 SGB VII scheidet ebenfalls aus. Die Vorschrift regelt, dass bei Berufskrankheiten für die Berechnung des Jahresarbeitsverdienstes als Zeitpunkt des Versicherungsfalls der letzte Tag, an dem die Versicherten versicherte Tätigkeiten verrichtet haben, die ihrer Art nach geeignet waren, die Berufskrankheit zu verursachen, anzunehmen ist. Solange der Versicherte im gleichen oder in einem anderen Unternehmen zur Verursachung der betreffenden Berufskrankheit geeignete Arbeiten ausgeübt hat, ist jedoch der letzte Tag im Sinne von Satz 1 nicht eingetreten. Denn bei Fortsetzung einer gefährdenden Tätigkeit kann der Zweck der Norm, bei der Berechnung des Jahresarbeitsverdienstes durch die Unterlassung der Tätigkeit entstehende Nachteile zu verhindern, nicht erfüllt werden (vgl. BSG, Urteil vom 10. August 1999, B 2 U 20/98 R – juris). Der Kläger war, nachdem er seine Tätigkeit bei der Gemeinde beendet hatte, weiterhin in der Land- und Forstwirtschaft tätig. Zum einen unterstützte er nach Verpachtung der Flächen an seinen Sohn diesen gelegentlich bei der Arbeit. Zum anderen behielt er die Forstflächen von 8,01 ha. 

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG, die Entscheidung über die Nichtzulassung der Revision auf § 160 SGG
 

Rechtskraft
Aus
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