Der Anspruch auf Schulbegleitung bei Diabetes ergibt sich aus § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V.
Die Antragsgegnerin wird im Wege einer einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller ab dem 04.12.2023 bis zum 07.02.2024 oder einer vorherigen rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache die ärztlich verordnete häusliche Krankenpflege (Sicherungspflege) für den Schulbesuch in der D-schule, C-Straße, A-Stadt von Montag bis Freitag von 08.00 Uhr bis 12.25 Uhr zur Verfügung zu stellen.
Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller seine notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes darüber, ob die Antragsgegnerin dem Antragsteller eine erforderliche Schulbegleitung zur Verfügung zu stellen hat.
Der 2017 geborene Antragsteller ist im Rahmen der Familienversicherung bei der Antragsgegnerin krankenversichert und bei der Pflegekasse der Antragsgegnerin pflegeversichert. Für den Antragsteller wurde ein Grad der Behinderung von 40 sowie das Merkzeichen „H“ festgestellt.
Der Antragsteller besucht seit dem 01.09.2023 die erste Klasse der D-schule in A-Stadt.
Im Juli 2023 erfolgte die Erstmanifestation eines Diabetes mellitus Typ 1. Seitdem ist der Antragsteller mit einer Insulinpumpe und Blutzuckersensor versorgt.
Mit Erstverordnung häuslicher Krankenpflege für den Zeitraum 05.09.2023 bis 01.01.2024 und ärztlichem Attest jeweils vom 18.07.2023 des Zentrums für Kinder- und Jugendmedizin der Universitätsmedizin C-Stadt wurde für den Antragsteller die Gewährung einer Schulbegleitung zur Sicherstellung der Insulintherapie und Überwachung hinsichtlich Unterzuckerungen beim Schulbesuch beantragt. Zur Begründung wurde angegeben, dass es aufgrund des jungen Alters des Antragstellers einer stetigen und intensiven Überwachung der Blutzuckerwerte durch Dritte bedürfe. Nach der Verordnung bedürfe es einer individuellen Blutzuckerüberwachung mit entsprechender Insulininjektion bei intensivierter Insulintherapie Montag bis Freitag 4-5 Stunden aufgrund der Diagnose E 10.00 G (Diabetes mellitus, Typ 1).
Die Antragsgegnerin beauftragte den Medizinischen Dienst Hessen (MD Hessen) mit einer gutachterlichen Stellungnahme.
Der MD Hessen kam in seinem Gutachten nach Aktenlage vom 09.08.2023 zu dem Ergebnis, dass nachvollziehbar sei, dass der Antragsteller aufgrund seines Alters das Management seiner Erkrankung mit vollumfänglicher Therapie (z. B: Therapieanpassungen bei Sport und Bewegungen) noch nicht alleine übernehmen könne. Es könne bei dem Antragsteller jederzeit zu einer Unterzuckerung kommen, welche das zeitnah und adäquate Eingreifen einer geschulten Person erforderlich mache. Es bedürfe einer kundigen Person, welche die Therapie mit verantworte. Die Blutzuckerprotokolle seien nicht vorgelegt worden. Die Notwendigkeit einer Schulbegleitung könne sozialmedizinisch nachvollzogen werden. Der MD Hessen äußerte darüber hinaus - die rechtliche Auffassung - dass dies jedoch keiner Leistung der medizinischen Behandlungspflege nach dem SGB V entspreche.
Die Antragsgegnerin lehnte hierauf mit Bescheid vom 05.09.2023 den Antrag mit der Begründung ab, dass die Notwendigkeit einer Schulbegleitung sozialmedizinisch nachvollzogen werden, dies jedoch keiner Leistung der medizinischen Behandlungspflege nach dem SGB V entspreche.
Gegen die Ablehnung wandte sich der Antragsteller mit Widerspruch vom 19.09.2023.
Am 22.09.2023 beantragte der Antragsteller zudem bei dem Kreisausschuss Groß-Gerau die Übernahme der Kosten für eine Schulbegleitung. Dieser leitete den bei ihm eingegangen Antrag mit Schreiben vom 27.09.2023 an die Antragsgegnerin nach § 14 SGB IX weiter. Beigefügt waren eine Stellungnahme des Schulleiters des Antragstellers, ein Bericht der zuvor besuchten Kindertagesstätte, Aufzeichnungen des Glukosesensors-Messsystems für den Zeitraum 14.08.2023 bis 12.09.2023 sowie ein Schreiben der Universitätsmedizin C-Stadt vom 18.09.2023. Dr. H. führte darin aus, dass der Antragsteller mit einer CSII-Therapie behandelt werde. Ergänzend werde durch einen Glukosesensor alle fünf Minuten der Gewebezucker gemessen. Additiv hierzu sei es häufig nötig, den Glukosewert blutig zu bestimmen. Abhängig vom aktuellen Glukosewert und der geplanten Nahrungsaufnahme müsse immer wieder die Insulinmenge individuell, unter zusätzlicher Berücksichtigung körperlicher Aktivität, berechnet werden dann und über die Pumpe eingestellt werden.
Hierauf beauftragte die Antragsgegnerin den MD Hessen mit einer weiteren Stellungnahme, welcher unter dem 15.11.2023 nach Aktenlage ausführte, dass es bei dem Antragsteller jederzeit zu Hypoglykämien kommen könne, welche jedoch durch zeitnahes und adäquates Eingreifen einer geschulten Person durch schnelle Verabreichung schneller und langsamer Kohlenhydrateinheiten schnell behoben werden könnten. Es müssten täglich Therapieanpassungen erfolgen, welche das Kund mit sechs Jahren nicht alleine vornehmen könne. Nicht angepasste Blutzuckerwerte könnten zu lebensbedrohlichen Situationen führen. Das Diabetes Management müsse nicht durch eine fachlich versierte und ausgebildete Fachkraft erfolgen.
Mit Schreiben vom 16.11.2023 verwies die Antragsgegnerin auf die erneute Stellungnahme des MD Hessen und kündigte eine Vorlage des Widerspruchs an den Widerspruchsausschuss an, sofern der Widerspruch nicht bis zum 30.11.2023 zurückgenommen werde.
Am 21.11.2023 hat der Antragsteller den Erlass einer einstweiligen Anordnung bei dem Sozialgericht Darmstadt beantragt.
Zur Begründung trägt er vor, dass der Antragssteller auf Grund seines Alters nicht selbst in der Lage sei, seine Werte akkurat zu kontrollieren. Auch verstehe er teilweise den Alarm nicht. Zu Beginn des Schuljahres sei dem Antragsteller für zwei Tage der Besuch des Unterrichts verwehrt worden, da die medizinische Versorgung nicht gewährleistet werden konnte. Aktuell werde der Antragsteller daher häufig für 4-5 Stunden täglich von seiner Mutter im Unterricht begleitet. Diese kontrolliere, dass der Antragsteller regelmäßig seinen Zucker messe und gegebenenfalls seine Pumpe betätige, damit Insulin entsprechend seines Bedarfs abgegeben werden könne. Die Antragsgegnerin sei aufgrund der Weiterleitung für die Gewährung einer Teilhabeassistenz zuständig.
Die Antragstellerin beantragt (schriftlich),
die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Antragsteller dem Antragsteller vorläufig, längstens bis zur Entscheidung in der Hauptsache, längstens bis zum 14.07.2024, eine Teilhabeassistenz für seinen Schulbesuch, zu gewähren.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Sie ist der Auffassung, dass sich den vorgelegten Unterlagen nicht entnehmen lasse, dass tägliche lebensbedrohliche Situationen weder im Sinne der HKP-RL noch im Sinne der außerklinischen Intensivpflege (AKI-RL), auftreten könnten. Gründe, weshalb eine spezielle Krankenbeobachtung mit permanenter Interventionsbereitschaft, Anwesenheit und Leistungserbringung durch eine geeignete Pflegefachkraft über den gesamten Versorgungszeitraum zur Erbringung der medizinischen Behandlungspflege vorliegen sollten, seien nicht erkennbar und vom MD nicht festgestellt worden. Es sei nicht ersichtlich, dass sich der Antragsteller bei beginnendem Unwohlsein nicht melden könne. Zudem verfüge er über ein Blutzuckermessgerät, das mit der App überwacht werde, so dass relevante Blutzuckerschwankungen erkannt werden könnten. Im Hinblick auf eventuelle Notsituationen müssten die Lehrkräfte bzw. das beaufsichtigende Personal eingreifen können und erste Hilfe leisten können. Auch sei sie nicht kraft Weiterleitung durch den Kreisausschuss Groß-Gerau zuständig geworden.
Über den Widerspruch des Antragstellers ist noch nicht entschieden.
Das Gericht hat am 28.11.2023 einen richterlichen Hinweis erteilt, woraus die Beteiligten eine Entscheidung in der Sache erbeten haben.
Wegen der weiteren Einzelheiten und Unterlagen sowie wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte der Antragsgegnerin Bezug genommen, die Gegenstand der Entscheidung gewesen sind.
II.
Der Antrag der Antragstellerin auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist nach § 86b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG – statthaft.
Der Antrag war insoweit zunächst auszulegen (§ 123 SGG). (§ 123 SGG). Bei der Auslegung ist der für das Gericht und die anderen Beteiligten erkennbare Klagevortrag einschließlich der Verwaltungsvorgänge heranzuziehen (vgl. Schmidt in: Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Auflage 2023, § 92, Rn. 12, m.w.N.). Es gilt der sog. Grundsatz der Meistbegünstigung. Zur Bezeichnung genügt damit im Wesentlichen das, was für die Abgrenzung des Streitgegenstandes ausreicht. Dabei ist unter Streitgegenstand der prozessuale Anspruch zu verstehen, nämlich das von der Klägerseite auf Grund eines bestimmten Sachverhalts an das Gericht gerichtete Begehren der im Antrag bezeichneten Entscheidung (vgl. Schmidt in: a.a.O, § 95 Rn. 5 und § 99 Rn. 2). Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze geht die Kammer davon aus, dass der Antragsteller die vorläufige Übernahme der Kosten für eine erforderliche Schulbegleitung begehrt – gleich, ob als Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem SGB IX oder als Leistungen der Behandlungspflege nach § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V –, wobei ausweislich des Vortrags bislang keine Kosten hierfür aufgewendet wurden, so dass hier auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts abzustellen ist.
Der zulässige Antrag ist überwiegend begründet.
Nach § 86b Abs. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Satz 1). Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2).
Vorliegend kommt eine Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG in Betracht, da die vorläufige Begründung einer Rechtsposition begehrt wird. Eine solche Regelungsanordnung ist nur dann begründet, wenn ein Anordnungsanspruch und ein Anordnungsgrund vorliegen und eine Abwägung der betroffenen Interessen zugunsten des Antragstellers ausfällt. Ein Anordnungsanspruch ist dabei gegeben, wenn der zu sichernde Anspruch dem Antragsteller mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zusteht. Ein Anordnungsgrund liegt bei der Regelungsanordnung vor, wenn eine Regelung entsprechend § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG zur Abwendung eines wesentlichen Nachteils nötig erscheint. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund im Sinne einer besonderen Eilbedürftigkeit sind glaubhaft zu machen (§ 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung – ZPO –). Maßgebend für die Beurteilung der Anordnungsvoraussetzungen sind regelmäßig die Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Eilentscheidung. Das Gericht prüft die Voraussetzungen einer einstweiligen Anordnung summarisch, d.h. Sach- und Rechtsfragen werden vorläufig entschieden, da die Prüfung der Erfolgsaussichten die Entscheidung nicht verzögern darf (Wahrendorf in Roos/Wahrendorf/Müller, SGG, 2.Aufl. (2021), § 86 b, Rn. 196 ff.).
Grundsätzlich soll wegen des vorläufigen Charakters der einstweiligen Anordnung die endgültige Entscheidung der Hauptsache nicht vorweggenommen werden. Wegen des Gebotes, effektiven Rechtsschutz zu gewähren (vgl. Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz – GG –), ist von diesem Grundsatz jedoch dann abzuweichen, wenn ohne die begehrte Anordnung schwere und unzumutbare später nicht wiedergutzumachende Nachteile entstünden, zu deren Beseitigung eine nachfolgende Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre. Weiter ist zu berücksichtigen, dass Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund nicht isoliert nebeneinanderstehen, sondern eine Wechselbeziehung besteht. Die Anforderungen an den Anordnungsanspruch sind mit zunehmender Eilbedürftigkeit bzw. Schwere des drohenden Nachteils (dem Anordnungsgrund) zu verringern und umgekehrt. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund bilden nämlich aufgrund ihres funktionalen Zusammenhangs ein bewegliches System (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Aufl. 2023, § 86b, Rn. 27 m.w.N.). Ist die Klage in der Hauptsache offensichtlich unzulässig oder unbegründet, so ist der Antrag auf einstweilige Anordnung ohne Rücksicht auf den Anordnungsgrund grundsätzlich abzulehnen, weil ein schützenswertes Recht nicht vorhanden ist. Ist die Klage in der Hauptsache dagegen offensichtlich begründet und das angegriffene Verwaltungshandeln offensichtlich rechtswidrig bzw. bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Vorgehens des Leistungsträgers, so vermindern sich die Anforderungen an den Anordnungsgrund (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/ Schmidt, SGG, 14. Aufl. 2023, § 86b, Rn. 29, m.w.N.). In der Regel ist dann dem Antrag auf Erlass der einstweiligen Anordnung stattzugeben, wobei jedoch auf einen Anordnungsgrund nicht gänzlich verzichtet werden kann.
Bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens ist eine umfassende Interessenabwägung erforderlich. Die einstweilige Anordnung wird erlassen, wenn es dem Antragsteller unter Berücksichtigung der Interessen aller Beteiligter nicht zuzumuten ist, die Hauptsacheentscheidung abzuwarten. Abzuwägen sind die Folgen, die auf der einen Seite entstehen würden, wenn das Gericht die einstweilige Anordnung nicht erließe, sich jedoch im Hauptsacheverfahren herausstellt, dass der Anspruch besteht, und auf der anderen Seite entstünden, wenn das Gericht die einstweilige Anordnung erließe, sich aber im Hauptsacheverfahren herausstellt, dass der Anspruch nicht besteht. Dabei ist insbesondere die Intensität einer drohenden Verletzung von Grundrechten zu berücksichtigen (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Aufl. 2023, § 86b, Rn. 29a).
Ausgehend davon ist zur Überzeugung der Kammer sowohl ein Anordnungsgrund (besondere Eilbedürftigkeit) als auch ein Anordnungsanspruch (materiell-rechtlicher Anspruch) glaubhaft gemacht.
Der Antragsteller hat zur Überzeugung des Gerichts glaubhaft gemacht, dass er einen Anspruch auf Sicherungspflege nach § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V gegenüber der Antragsgegnerin hat. Ausgangspunkt des vorliegenden Verfahrens ist der für den Antragsteller im Juli 2023 bei der Antragsgegnerin gestellte Antrag, dem Antragsteller eine Schulbegleitung zu gewähren, welche mit der Verordnung häuslicher Krankenpflege der Universitätsmedizin C-Stadt vom 18.07.2023 beantragt wurde. Diesen Antrag hat die Antragsgegnerin inhaltlich beschieden und – zu Recht – nicht an den Eingliederungsträger weitergeleitet. Hieraus leitet sich auch zur Überzeugung der Kammer der mit hiesigem Verfahren geltend gemachte Anspruch her. Im hiesigen Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes kam es daher nicht darauf an, ob die Antragsgegnerin aufgrund der vom Kreisausschuss Groß-Gerau vorgenommenen Weiterleitungen nach § 14 SGB IX (nochmal) zuständiger Leistungsträger geworden ist.
Die Abgrenzung zwischen Eingliederungshilfe und (Behandlungs-)Sicherungspflege erfolgt nach der Zielrichtung der Leistung: Dient die Leistung der Bewältigung von Anforderungen des Schulalltags (Integrationshelfer/ Teilhabeassistent), ist der Bedarf der Eingliederungshilfe nach §§ 75, 90 Abs. 4, 112 SGB IX zuzuordnen. Handelt es sich um die Notwendigkeit, die körperliche Situation zu beobachten und ggf. in medizinisch-pflegerischer Hinsicht zu intervenieren, so handelt es ich um Sicherungspflege nach § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V (vgl. Hessisches Landessozialgericht, Beschluss vom 15.03.2017, L 4 SO 23/17 B ER, juris, Rn. 8).
Der Antragsteller erfüllt die Voraussetzungen für einen Anspruch auf häusliche Krankenpflege nach §§ 27, 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V. Danach erhalten Versicherte in ihrem Haushalt, ihrer Familie oder sonst an einem geeigneten Ort, insbesondere in betreuten Wohnformen, Schulen und Kindergärten, bei besonders hohem Pflegebedarf auch in Werkstätten für behinderte Menschen als häusliche Krankenpflege Behandlungspflege, wenn diese zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung erforderlich ist. Der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) legt in Richtlinien nach § 92 fest, an welchen Orten und in welchen Fällen Leistungen nach den Absätzen 1 und 2 auch außerhalb des Haushalts und der Familie des Versicherten erbracht werden können (§ 37 Abs. 6 SGB V). Dies ist in der HKP-RL geschehen. Der krankenversicherungsrechtliche Anspruch auf häusliche Krankenpflege in Form der Behandlungssicherungspflege besteht neben dem Anspruch auf Leistungen bei häuslicher Pflege aus der sozialen Pflegeversicherung (§ 13 Abs. 2 SGB XI). Die Behandlungspflege bezeichnet die ärztliche Behandlung ergänzenden nichtärztlichen Heilmaßnahmen (vgl. Padé in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 4. Aufl., § 37 SGB V, Rn. 72). Zur Behandlungspflege gehören alle Pflegemaßnahmen, die durch bestimmte Erkrankungen erforderlich werden, speziell auf den Krankheitszustand des Versicherten ausgerichtet sind und dazu beitragen, die Krankheit zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu verhindern oder zu lindern, wobei diese Maßnahmen typischerweise nicht von einem Arzt, sondern von Vertretern medizinischer Hilfsberufe oder auch von Laien erbracht werden. Die Hilfeleistungen umfassen Maßnahmen verschiedenster Art, wie z.B. Injektionen, Verbandwechsel, Katheterisierung, Einläufe, Spülungen, Einreibungen, Dekubitusversorgung, Krisenintervention, Feststellung und Beobachtung des jeweiligen Krankenstandes und der Krankheitsentwicklung, die Sicherung notwendiger Arztbesuche, die Medikamentengabe sowie die Kontrolle der Wirkungen und Nebenwirkungen von Medikamenten (vgl. BSG, Urteil vom 10.11.2005 – B 3 KR 38/04 R – juris, Rn. 14 m.w.N.; Landessozialgericht Baden-Württemberg, Beschluss vom 25.03.2021 – L 4 KR 3741/20 ER-B – juris, Rn.39). Zutreffend hat die Antragstellerin daher das Sozialgericht Darmstadt in seinem Beschluss vom 24.08.2021 (Az. S 17 SO 120/21 ER) zitiert, wonach Eine Begrenzung der Krankenbeobachtung auf eine Beobachtung durch medizinische Fachkräfte oder nur die in Nr. 24 der Anlage zur HKP-RL aufgeführten speziellen Krankenbeobachtung ergibt sich daraus nicht (Sozialgericht Darmstadt, Beschluss vom 24.08.2021 – Az. S 17 SO 120/21 ER –). Dieses führt zutreffend aus:
„So hat das Bundessozialgericht bereits in seinem Urteil vom 10.11.2005 – B 3 KR 38/04 R – juris, Rn. 19, 20, dargelegt:
„Der Einwand der Beklagten, die Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen (jetzt: Gemeinsamer Bundesausschuss) über die Verordnung von "häuslicher Krankenpflege" nach § 92 Abs 1 Satz 2 Nr 6 und Abs 7 SGB V vom 16. Februar 2000 (BAnz Nr 91 vom 13. Mai 2000) in der Fassung der Änderung vom 24. März 2003 (BAnz Nr 123 vom 8. Juli 2003) - HKP-Richtlinien - sähen die Krankenbeobachtung in der hier streitigen Form nicht vor, greift ebenfalls nicht durch. In Abschnitt I Nr 3 der HKP-Richtlinien heißt es allerdings, die verordnungsfähigen Maßnahmen würden in der Anlage aufgeführt; dort nicht genannte Maßnahmen seien als häusliche Krankenpflege nicht verordnungsfähig. In der Anlage wird unter Nr 24 nur eine spezielle Krankenbeobachtung genannt. Diese soll nur bei akuten Verschlechterungen einer Krankheit zur Kontrolle der Vitalfunktionen begründet sein, während die allgemeine Krankenbeobachtung Bestandteil jeder pflegerischen Leistung sei. Ferner sieht die Anlage in Nr 8 die Verordnungsfähigkeit einer speziellen Krankenbeobachtung in Form der Überwachung eines Beatmungsgerätes bei Beatmungspatienten vor. Die Richtlinien sehen also eine enumerative Aufzählung und Beschreibung der verordnungsfähigen Leistungen vor, die eine dauernde Krankenbeobachtung in der hier erforderlichen Form nicht erfassen.
Dies steht indes dem Anspruch des Klägers nicht entgegen. Zwar handelt es sich bei den Richtlinien nach § 92 Abs 1 SGB V um untergesetzliche Normen, die auch innerhalb des Leistungsrechts zu beachten sind (grundlegend BSGE 78, 70 = SozR 3-2500 § 92 Nr 6, und BSGE 81, 73 = SozR 3-2500 § 92 Nr 7; im Anschluss daran etwa BSGE 82, 41 = SozR 3-2500 § 103 Nr 2 und BSGE 81, 240 = SozR 3-2500 § 27 Nr 9). Ein Ausschluss der im Einzelfall gebotenen Krankenbeobachtung aus dem Katalog der verordnungsfähigen Leistungen verstößt aber gegen höherrangiges Recht. Ebenso wenig wie der Gemeinsame Bundesausschuss ermächtigt ist, den Begriff der Krankheit in § 27 Abs 1 SGB V hinsichtlich seines Inhalts und seiner Grenzen zu bestimmen (BSGE 85, 36 = SozR 3-2500 § 27 Nr 11), ist er befugt, medizinisch notwendige Maßnahmen der häuslichen Krankenpflege auszunehmen, wie der Senat bereits entschieden hat (Urteil vom 17. März 2005 - B 3 KR 35/04 R - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR bestimmt; unveröffentlichter Beschluss vom 17. August 2005 - B 3 KR 22/05 B). Die HKP-Richtlinien binden die Gerichte insoweit nicht. „
In Anlehnung daran sieht § 1 Abs. 4 Satz 3 und 4 der aktuellen HKP-RL vor, dass nicht im Leistungsverzeichnis aufgeführte Maßnahmen der häuslichen Krankenpflege im Sinne von § 37 SGB V in medizinisch zu begründeten Ausnahmefällen verordnungs- und genehmigungsfähig sind, wenn sie Bestandteil des von der Verordnerin oder dem Verordner erstellten Behandlungsplans sind, im Einzelfall erforderlich und wirtschaftlich sind und von geeigneten Pflegekräften erbracht werden sollen.“
Diesen inhaltlich zutreffenden Ausführungen schließt sich die Kammer aus voller Überzeugung an und macht sich diese zu eigen.
Dieser Sachverhalt liegt zur Überzeugung der Kammer auch vor. Bei dem Antragsteller liegt unstreitig ein schwer einstellbarer, insulinpflichtiger Diabetes mellitus Typ1 vorliege. So bestätigt auch der MD Hessen in seinem Gutachten, dass es bei dem Antragsteller jederzeit zu Hypoglykämien bei schwankenden Blutzuckerwerten kommen könne. Allein durch zeitnahes und adäquates Eingreifen einer geschulten Person /Schulbegleitung und durch schnelle Verabreichung schneller und langsamer Kohlenhydrateinheiten könnten diese jedoch schnell behoben werden. Auch bestätigt der MD Hessen, dass nicht angepasste Blutzuckerwerte zu lebensbedrohlichen Situationen führen könnten und, dass täglich Therapieanpassungen erfolgen müssten, was der Antragsteller in seinem Alter noch nicht alleine könne. Hierbei ist nach Auffassung der Kammer ebenfalls zu berücksichtigen, dass die Erstmanifestation erst im Juli 2023 erfolgte und die Versorgung mit dem Blutzuckersensor kurz darauf. Nachvollziehbar ist für die Kammer auch, dass der Antragsteller, welche gerade erst die 1. Klasse besucht, die Zahlenwerte des Blutzuckersensors nicht nachvollziehen kann und daher auch selbst nichts gegen eine etwaige Unterzuckerung unternehmen kann. Eine adäquate Beurteilung und angemessene Reaktion auf die angezeigten Blutwerte sind von dem Antragsteller naturgemäß aufgrund des jungen Alters nicht zu erwarten. Diese Einschätzung wird auch durch die Versorgungsmedizin-Verordnung gestützt. Nach Nr. 5 jj) der Versorgungsmedizin-Verordnung ist beim Diabetes mellitus Hilflosigkeit bis zur Vollendung des 16. Lebensjahres anzunehmen. Hilflos sind nach Nr. 4b) Versorgungsmedizin-Verordnung diejenigen, die infolge von Gesundheitsstörungen für eine Reihe von häufig und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen zur Sicherung ihrer persönlichen Existenz im Ablauf eines jeden Tages fremder Hilfe dauernd bedürfen. Diese Voraussetzungen sind auch erfüllt, wenn die Hilfe in Form einer Überwachung oder einer Anleitung zu den genannten Verrichtungen erforderlich ist oder wenn die Hilfe zwar nicht dauernd geleistet werden muss, jedoch eine ständige Bereitschaft zur Hilfeleistung erforderlich ist (vgl. Sozialgericht Darmstadt, Beschluss vom 24.08.2021 – S 17 SO 120/21 ER –, nicht veröffentlicht). So kommt auch der MD Hessen zu dem – für die Kammer überzeugenden – Schluss, dass der Antragsteller eine Unterstützung aufgrund seiner Diabetes-Erkrankung benötigt und die Notwendigkeit einer Schulbegleitung sozialmedizinisch nachvollzogen werden kann. Allein die (rechtliche) Bewertung durch den MD Hessen, welcher sich die Antragsgegnerin ausweislich des Bescheides vom 05.09.2023 ohne weitergehende rechtliche Prüfung angeschlossen hat, geht fehl.
Die Antragsgegnerin verkennt darüber hinaus, die Begleitperson während des Schulbesuchs einerseits die regelmäßig erforderlichen Blutzuckerkontrollen und Insulingaben übernimmt, gleichermaßen aber auch in Sondersituationen, wie bspw. bei Bedarf vor bestimmten schulischen Aktivitäten (wie z.B. dem Schulsport, Schulmittagessen), und gerade auch bei unvorhersehbar auftretenden Symptomen einer Über- oder Unterzuckerung Blutzuckermessungen durchführt und nach Interpretation der Blutzuckerwerte die entsprechende Insulindosis verabreicht (vgl. Landessozialgericht Baden-Württemberg, Beschluss vom 25.03.2021 – L 4 KR 3741/20 ER-B –, juris, Rn. 32). Das dies in unvorhersehbar auftretenden Situationen vorkommen kann, dürfte insofern unstreitig sein. Der Antragsteller benötigt daher auch während des Schulbesuchs eine ständige Beobachtung, damit geeigneten Maßnahmen ergriffen werden, um Über- oder Unterzuckerung zu vermeiden (vgl. auch Landessozialgericht Baden-Württemberg, Beschluss vom 25.03.2021 – L 4 KR 3741/20 ER-B –, juris, Rn. 39).
Ebenso kann nicht von den Lehrern erwartet werden, dass diese die Blutzuckerkontrolle und Überwachung für den Antragsteller mit übernehmen. Dies zählt zum einen nicht zu den Aufgaben eines Lehrers. Zum anderen fehlt es bei den Lehrkräften überwiegend an entsprechenden Fähigkeiten und Kenntnissen, so dass es ihnen dies auch nicht – insbesondere unter Berücksichtigung etwaiger Haftungsfragen – zumutbar ist. Diese Aufgabe können sie auch ohne Vernachlässigung ihrer Lehr- und Aufsichtsverpflichtung gegenüber den übrigen Kindern in der Grundschulklasse nicht wahrnehmen.
Da der Antragsteller auch während der außerschulischen Zeit der ständigen Überwachung bedarf und diese durch seine Eltern sichergestellt wird, ist die beantragte Leistung nicht dem Bereich der Teilhabe/Eingliederungshilfe zuzuordnen, sondern stellt eine Sicherungspflege dar.
Schließlich ist auch ein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Dem Antragsteller ist das Abwarten einer Hauptsachentscheidung nicht zuzumuten. Hierbei ist zu berücksichtigten, dass der Widerspruch vom 19.09.2023 gegen den Bescheid vom 05.09.2023 noch nicht beschieden ist und ein Hauptsacheverfahren mit den notwendigen Ermittlungen nicht in kurzer Zeit abgeschlossen werden kann, was zu Folge hätte, dass der Schulbesuch des Antragstellers ohne die streitgegenständlichen Leistungen gefährdet ist. Nicht ausreichend ist insoweit, der Mutter aufzuerlegen, ihren Sohn zur Schule zu begleiten, damit dieser überhaupt am Schulunterricht teilnehmen kann.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ausgang des Verfahrens. Die Ablehnung im Übrigen war auszusprechen, da ausweislich der Verwaltungsakte bislang lediglich eine Verordnung bis zum 01.01.2024 vorgelegt wurde, wobei das Gericht insoweit bereits darüber hinausgegangen ist und eine vorläufige Entscheidung bis zum Ende des 1. Halbjahres ausgesprochen hat. Dem Antragsteller wird insoweit nahegelegt, rechtzeitig eine Folgeverordnung für das 2. Halbjahr vorzulegen, welche aus den oben genannten Gründen ebenfalls eine Kostenübernahmepflicht der Antragsgegnerin auslösen würde. Einem etwaigen weiteren Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wäre stattzugeben, sollte die Antragsgegnerin erneut eine Kostenübernahme verweigern. Das als lediglich geringfügig zu bewertende Unterliegen führt jedoch nach Auffassung der Kammer nicht zu einer abweichenden Kostentragung der Beteiligten.