L 1 KR 67/23

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1.
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 89 KR 1123/21
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 KR 67/23
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 12 KR 15/24 BH
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Der 1950 geborene Kläger ist seit 01. April 2019 Mitglied bei den Beklagten. Zuvor war er bei der Barmer Ersatzkasse versichert. Er bezieht seit dem 01. März 2015 eine Altersrente. Eine Tätigkeit bei der BFS Münster GmbH endete zum 27. Juli 2019. Mit Schreiben vom 05. September 2019 und vom 26. September 2019 schrieb die Beklagte zu 1 (nachfolgend nur noch: „die Beklagte“) den Kläger zur Klärung des Versicherungsschutzes an, weil er zum 27. Juni 2019 abgemeldet worden sei. Gleichzeitig informierte sie über die obligatorische Anschlussversicherung und forderte den Kläger auf, den Fragebogen „Angaben zum Einkommen für die Beitragsberechnung“ auszufüllen. Eine Reaktion erfolgte nicht.

Mit Bescheid vom 12. Februar 2020 setzte die Beklagte auch im Namen der Beklagten zu 2 die Beiträge zur Freiwilligen Mitgliedschaft ab 28. Juli 2019 auf insgesamt 825,83 Euro monatlich fest, ab 01. Januar 2020 auf 853,13 Euro. Zur Begründung führte sie aus, die Versicherung werde ab dem 28. Juli 2019 als Freiwillige Mitgliedschaft weitergeführt. Wegen fehlender Nachweise seiner tatsächlichen Einkommensverhältnisse seien die monatlichen Beiträge des Klägers unter Berücksichtigung der Beitragsbemessungsgrenze festgesetzt worden.

Hiergegen erhob der Kläger ab 05. März 2020 Widerspruch: Aus den monatlichen Beitragszahlen des Rentenversicherungsträgers an die Beklagte kenne diese die Höhe seiner Altersrente. Er habe keine sogenannte freiwillige Krankenversicherung begründet. Was der sozialistische Gesetzgeber unter Bezugnahme einer SED- oder Nazi-Gesinnung habe glauben festlegen zu können, sei für ihn nicht im Geringsten relevant. Aus der Gesetzeslage gehe ostzonaler Sozialterror hervor.

In der Folgezeit blieben mehrere Aufklärungsschreiben der Beklagten unbeantwortet bzw. wurden als unzustellbar zurückgesandt. Mit Schreiben vom 10. Februar 2021 teilte der Kläger unter Beifügung von Nachweisen mit, dass er seit dem 01. Februar 2021 Leistungen nach dem 4. Kapitel des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII) beziehe und wies seine tatsächlichen Einnahmen nach.

Die Beklagten erließen daraufhin am 04. März 2021 rückwirkend endgültige Beitragsbescheide und setzten die Beiträge auf Grundlage des Mindesteinkommens endgültig für die Zeit vom 28. Juli 2019 bis 31. Dezember 2019 auf 188,97 Euro monatlich fest, ab 01. Januar 2020 bis 31. Dezember 2020 auf 193,23 Euro sowie ab 01. Januar 2021 vorläufig auf 206,17 Euro monatlich. Mit weiterem Bescheid vom 03. März 2021 setzten sie den monatlichen Gesamtbeitrag ab 01. Februar 2021 auf 323,87 Euro fest. Mit Bescheid vom 04. März 2021 beschied die Beklagte den Kläger ferner dahin, dass das (bestehende) Ruhen des Leistungsanspruches am 31. Januar 2021 endete.

Mit Widerspruchsbescheid vom 18. Mai 2021 wiesen die Beklagten den Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 12. Februar 2020 zurück und führten zur Begründung aus, dass die Voraussetzungen für die obligatorische Anschlussversicherung nach § 188 Abs. 4 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) für die Zeit ab 28. Juli 2019 vorlägen. Für die Zeit nach der Pflichtmitgliedschaft habe keine Mitgliedschaft in der Kranken- und Pflegeversicherung bestanden, daher sei für diese Zeiträume eine Freiwillige Versicherung zu begründen. Das Vorliegen eines anderweitigen Kranken- und Pflegeversicherungsschutzes sei nicht nachgewiesen worden. Die Mitgliedschaft sei Kraft Gesetzes eingetreten. Es sei dabei unerheblich, ob dies der Kläger wünsche oder Leistungen in dem betreffenden Zeitraum erforderlich gewesen seien. Eine Mitgliedschaftserklärung oder ähnliches sei nicht notwendig. Ziel des Gesetzes sei es mit der am 01. August 2013 in Kraft getretenen Regelung, für alle Einwohner Deutschlands durch diese Anschlussversicherung einen nahtlosen Versicherungsschutz in der Kranken- und Pflegeversicherung sicher zu stellen.

Hiergegen hat der Kläger am 13. Juli 2021 Klage beim Sozialgericht Berlin (SG) erhoben. Zur Begründung hat er ausgeführt, eine Zwangsversicherung sei für ihn als Altersrentner mit einem erhöhten und erzwungenen Beitragssatz zu beanstanden. Es müsse die Entscheidung eines jeden Einzelnen sein, bei welcher Krankenkasse man sich versichere. Die einzig verfassungsrechtlich richtige Behandlung sei es, zu gewährleisten, dass ein Rentner zum einen die Krankenkasse frei wählen könne und zum anderen die Beiträge (nur) nach dem Renteneinkommen berechnet werde. Entsprechendes gelte für die Pflegeversicherung. Er hat erstinstanzlich beantragt, die Verfassungswidrigkeit der obligatorischen Anschlussversicherung für Altersrentner sowie die Beitragserhebung nach einer allgemeinen Beitragsbemessung festzustellen und zu untersagen.

Das Sozialgericht hat diese Klage mit Gerichtsbescheid vom 19. Januar 2023 abgewiesen. Der angefochtene Bescheid der Beklagten sei rechtmäßig und verletze den Kläger nicht in seinen Rechten. Zu Recht gingen die Beklagten für die Zeit ab 28. Juli 2019 von einer obligatorischen Anschlussversicherung nach § 188 Abs. 4 SGB V aus und setzten die zu entrichteten Beiträge nach § 240 SGB V i. V. m. den Beitragsverfahrensgrundsätzen Selbstzahler fest. Zur weiteren Begründung hat das SG auf die des Widerspruchsbescheides verwiesen. Zugunsten des Klägers hätten die Beklagten nach Vorlage der Einkommensnachweise die Beiträge insgesamt rückwirkend neu festgesetzt, obgleich die Frist von 12 Monaten für den nachträglichen Nachweis geringerer Einnahmen verstrichen gewesen sei. Die Vorschrift des § 188 Abs. 4 SGB V begegne auch keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.

Gegen diese am 27. Januar 2023 zugestellte Entscheidung richtet sich die Berufung des Klägers vom 15. Februar 2023.

Zur Begründung hat er ausgeführt, der Gerichtsbescheid verstoße gegen das SGB V. Er sei zu der Versicherung genötigt worden, die deshalb keine freiwillige sein könne. Die Beiträge der Krankenversicherung müssten von den leistungsfähigen reichen Versicherten zugunsten der Armen übernommen werden. Das SGB V müsse (hilfsweise) in der bis zur Wiedervereinigung geltenden Fassung vorläufig schwebend unwirksam sein, weil bisher vom Deutschen Volk noch nicht frei über eine Verfassung für ganz Deutschland entschieden worden sei. Es werde gegen Artikel 3 Abs. 3 Grundgesetz verstoßen, weil er als armer Rentner durch das neue Gesetz in Folge seiner Herkunft benachteiligt werde. Er wehre sich nicht ohne Grund gegen die Praxis der Krankenversicherung, sondern aus schlechten Erfahrungen mit der Vorversicherung.

 

Der Kläger beantragt,

unter Aufhebung des Gerichtsbescheides des Sozialgerichts Berlin vom 19. Januar 2023 die durch die Beklagte ausgeübte obligatorische Anschlussversicherung als unvereinbar mit dem Verfassungsentwurf des Grundgesetzes zu erklären, die allgemeine Beitragsbemessung bei Rentnern für alleine zulässig zu befinden und einen Mindestbeitrag in der Krankenversicherung somit für rechtswidrig zu erklären und alle Rentner in der Krankenversicherung der Rentner zu versichern; der Versicherungsbeitrag richte sich dabei nach Einkommen und Leistungsfähigkeit des Versicherten.

Die Beklagten beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

 

Mit Schreiben vom 09. Oktober 2023 hat der Senat u.a. den Beteiligten mitgeteilt, dass beabsichtigt sei, den Rechtstreit dem Berichterstatter zur Entscheidung zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern zu übertragen. Der entsprechende Beschluss datiert vom 12. Dezember 2023.

 

Entscheidungsgründe

Nach Übertragung ist über die Berufung gegen den Gerichtsbescheid durch den Berichterstatter zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern zu entscheiden. Der Senat konnte in der Besetzung durch den Berichterstatter zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern gemäß § 153 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entscheiden. Der Rechtsstreit weist keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art auf (§ 105 Abs. 1 Satz 1 SGG).

Die Entscheidung ergeht im schriftlichen Verfahren, weil beide Beteiligten sich mit einer solchen Vorgehensweise einverstanden erklärt haben; §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG.

Der Berufung bleibt Erfolg versagt. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht und mit zutreffender Begründung unter Bezugnahme auf die des Widerspruchsbescheides abgewiesen. Auch der Senat verweist auf die Begründung des Widerspruchsbescheides. Ergänzend ist nur noch auszuführen.

Die Vorschrift des § 188 Abs. 4 SGB V ist auch verfassungsrechtlich unbedenklich. In welchem Umfang der Gesetzgeber Systeme der gesetzlichen Sozialversicherung bildet und ausgestaltet, unterliegt seinem Gestaltungsermessen. Versicherungszwang und Beitragspflichten und damit eine Einschränkung von Freiheitsrechten sind insofern unvermeidlich. Dieses findet seine rechtlichen Grenzen allein in der Verfassung und dort vor allem in den Grundrechten. Die gesetzliche Krankenversicherung dient dem sozialen Schutz und der Absicherung vor den finanziellen Risiken von Erkrankungen. Sie basiert auf einem umfassenden sozialen Ausgleich zwischen Gesunden und Kranken, vor allem aber zwischen Versicherten mit niedrigem Einkommen und solchen mit höherem Einkommen sowie zwischen Alleinstehenden und Personen mit unterhaltsberechtigten Familienangehörigen. Der Gesetzgeber kann den Kreis der Pflichtversicherten so abgrenzen, wie es für die Begründung einer leistungsfähigen Solidargemeinschaft erforderlich ist. Die Gründe für die Regelung des § 188 Abs. 4 SGB V sind sachlich nachvollziehbar. Der Gesetzgeber hat zur Rechtfertigung und Begründung des § 188 Abs. 4 SGB V ausgeführt (BT-Drs. 17/13947, 27): "Wenn Personen kraft Gesetzes aus einer vorhergehenden Versicherungspflicht nach § 5 SGB V (z. B. als Arbeitnehmer) oder einer Familienversicherung nach § 10 SGB V ausgeschieden sind und sich nicht nahtlos erneut ein Tatbestand einer vorrangigen Versicherungspflicht angeschlossen hat, hatten die Krankenkassen bislang keine Möglichkeit, die nachrangige Versicherungspflicht nach § 5 Absatz 1 Nummer 13 SGB V durchzuführen, wenn diese Personen zwar keinen anderweitigen Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall hatten, sie sich aber auch auf Aufforderung der Krankenkassen, den weiteren Versicherungsschutz zu klären, nicht bei dieser gemeldet haben. Da die Mitgliedschaft der (nachrangig) nach § 5 Absatz 1 Nummer 13 SGB V Versicherungspflichtigen bereits mit dem ersten Tag ohne anderweitigen Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall beginnt, konnten auf diese Weise erhebliche Beitragsrückstände bis zu dem Zeitpunkt entstehen, an dem die Mitgliedschaft schließlich rückwirkend festgestellt wurde. […] Diese Regelung soll auf alle Personen, deren vorhergehende Versicherung bei einer Krankenkasse kraft Gesetzes endet, ohne dass sich unmittelbar ein weiterer, vorrangiger Versicherungspflichttatbestand anschließt, erweitert werden. Sie stärkt den Grundsatz des Vorrangs der freiwilligen Versicherung vor der nachrangigen Versicherungspflicht. Sie vermeidet zugleich, dass diese Personen durch eine verspätete Rückkehr zu ihrer letzten Krankenkasse hohe Beitragsschulden auf Grund der zwischenzeitlich eingetretenen nachrangigen Versicherungspflicht aufgebaut haben." Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG), dass dem Gesetzgeber auf dem Gebiet des Sozialversicherungsrechts wegen der fortwährenden schnellen Veränderungen des Arbeits-, Wirtschafts- und Soziallebens eine besonders weite Gestaltungsfreiheit zuzugestehen ist, die nur einer eingeschränkten verfassungsgerichtlichen Kontrolle unterliegt. Gerade bei der gesetzlichen Krankenversicherung, die auf einem umfassenden sozialen Ausgleich basiert, ist die Abgrenzung des Kreises der Pflichtversicherten dem Gesetzgeber überlassenen (BVerfG 10.06.2009, 1 BvR 706/08 u. a. Juris-Rdnr. 229 m. w. N.). Das BVerfG kann insbesondere nicht prüfen, ob der Gesetzgeber im Einzelnen die zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste Lösung gefunden hat (BVerfG 03.06.2013, 1 BvR 131/13 u. a., Juris-Rdnr. 14 m. w. N.). Da es sich zudem um eine freiwillige Versicherung handelt, kann der Austritt aus der Mitgliedschaft bis zwei Wochen nach Hinweis der Krankenkasse über die Austrittsmöglichkeit erklärt werden. Dass ein Austritt nur dann wirksam wird, wenn eine anderweitige Absicherung im Krankheitsfall nachgewiesen wird, ist angesichts des Schutzzwecks der Norm verfassungsrechtlich unbedenklich (LSG Baden-Württemberg Urt. v. 24.1.2017 - L 11 KR 701/16, BeckRS 2017, 119015, beck-online, Nichtzulassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen: B 12 KR 19/17 B; vgl. so insgesamt weitgehend wörtlich LSG Hamburg, Urteil vom 28. September 2017 – L 1 KR 110/16 –, juris-Rdnr. 14)

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG und entspricht dem Ergebnis in der Sache.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.

Rechtskraft
Aus
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