1. Die Berufung ist als unzulässig zu verwerfen, wenn sie nach dem Ablauf der gesetzlichen Berufungsfrist eingelegt worden ist.
2. Ein als Revision bezeichnetes Rechtsmittel kann nicht als Berufung gewertet werden, wenn der Kläger ausdrücklich Revision einlegen wollte und sich auf irrig angenommenes Wahlrecht beruft. Eine Wiedereinsetzung in die Berufungsfrist von Amts wegen kommt in diesem Fall nicht in Betracht.
Die Berufung wird als unzulässig verworfen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten sind die Höhe des Grades der Behinderung (GdB) und das Vorliegen der Voraussetzungen von Merkzeichen streitig.
Bei dem am ... 1968 geborenen Kläger ist seit dem 1. Mai 2004 ein GdB von 30 anerkannt. Der Kläger stellte am 31. März 2021 bei dem Beklagten einen Antrag auf Neufeststellung von Behinderungen. Er beantragte zudem die Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen für die Merkzeichen G, aG, RF, Bl, Gl, TBl und „1. Klasse“. Der Beklagte lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom 7. September 2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Juli 2022 ab.
Das Sozialgericht (SG) Dessau-Roßlau hat die hiergegen am 29. August 2022 erhobene Klage mit Gerichtsbescheid vom 28. Juli 2023 abgewiesen. Die Klage sei wegen Nichtwahrung der einmonatigen Klagefrist unzulässig. Auf sonstige inhaltliche Fragen komme es mithin nicht mehr an. In der Rechtsmittelbelehrung wurde u.a. auf Folgendes hingewiesen: „Auf Antrag kann vom Sozialgericht durch Beschluss die Revision zum Bundessozialgericht zugelassen werden, wenn der Gegner schriftlich zustimmt. Der Antrag auf Zulassung der Revision ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Gerichtsbescheids bei dem Sozialgericht Dessau-Roßlau… zu stellen.“
Der Kläger hat sich gegen den ihm am 1. August 2023 zugestellten Gerichtsbescheid am 14. August 2023 beim SG Dessau-Roßlau mit folgendem Schreiben vom 10. August 2023 gewandt: „Sehr geehrter Richter/te Richterin beim Bundessozialgericht, Hiermit lege ich sofortige Revision beim Bundessozialgericht gegen des Bescheides vom Sozialgericht Dessau, den ich unter obiger A.Z. und am 28.07.2023 zusammengefasst und geschrieben bekommen habe.“ Das SG hat die Akten unter dem 16. August 2023 an das Bundessozialgericht (BSG) weitergeleitet.
Dieses hat mit Beschluss vom 18. September 2023 (B 9 SB 11/23 AR) die Revision des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des SG Dessau-Roßlau vom 28. Juli 2023 als unzulässig verworfen. Es sei kein Rechtsmittel zum BSG statthaft. Das SG habe weder im Gerichtsbescheid noch nachträglich durch Beschluss die Revision zugelassen. Statthaftes Rechtsmittel gegen den Gerichtsbescheid sei die Berufung zum Landessozialgericht (LSG) Sachsen-Anhalt. Dies ergebe sich bereits aus der Rechtsmittelbelehrung am Ende des Gerichtsbescheids. Hierauf sei der Kläger auch mit Schreiben des Senats vom 22. August 2023 nochmals nachdrücklich hingewiesen worden.
Der Kläger hatte bereits mit Schreiben vom 1. September 2023, beim SG Dessau-Roßlau am 6. September 2023 eingegangen, Berufung eingelegt. Er hat darauf hingewiesen, dass er ausweislich des Gerichtsbescheides eine „entweder oder Wahl“ gehabt und dann Revision beim BSG eingelegt habe. Dieses habe ihm nun aber mitgeteilt, Berufung beim LSG einlegen zu müssen. Er wolle gegen den Gerichtsbescheid vorgehen. Das SG möge alles mit dem LSG klären. Er habe die Revision damals fristgerecht eingelegt. Deshalb sei auch die Berufung fristgerecht.
Das SG hat die Berufung des Klägers am 14. September 2023 an das LSG zur Entscheidung weitergeleitet.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 28. Juli 2023 und den Bescheid des Beklagten vom 7. September 2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Juli 2022 aufzuheben und festzustellen, dass bei ihm ab dem 5. September 2022 ein höherer GdB als 30 sowie die Voraussetzungen der Merkzeichen G, aG, RF, B, Bl, Gl, TBI und 1. Klasse vorliegen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hat Bedenken hinsichtlich der ordnungsgemäßen Einreichung der Berufung vorgetragen.
Die Berichterstatterin hat mit Schreiben vom 9. November 2023 den Kläger darauf hingewiesen, dass die Berufung nicht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Gerichtsbescheides beim SG eingegangen und damit unzulässig sei.
Der Kläger ist im Termin zur mündlichen Verhandlung des Senats weder erschienen noch ist er vertreten gewesen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte des Beklagten ergänzend verwiesen. Diese sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte den Rechtsstreit verhandeln und entscheiden, obwohl der Kläger im Verhandlungstermin weder erschienen noch vertreten gewesen ist. Hierauf ist er mit der ihm am 23. Dezember 2023 zugestellten Ladung hingewiesen worden.
Die Berufung des Klägers ist als unzulässig zu verwerfen, da sie nach dem Ablauf der gesetzlichen Berufungsfrist nach § 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) eingelegt worden ist.
Die Berufung ist nach § 151 Abs. 1 SGG bei dem Landessozialgericht schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils einzulegen. Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Monatsfrist bei dem Sozialgericht schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird (§ 151 Abs. 2 Satz 1 SGG). Über diese Frist ist der Kläger in dem angefochtenen Gerichtsbescheid auch belehrt worden.
Der Kläger hat gegen den Gerichtsbescheid vom 28. Juni 2023 erst am 6. September 2023 beim SG Dessau-Roßlau Berufung eingelegt. Ausweislich der vorliegenden Postzustellungsurkunde ist der Gerichtsbescheid dem Kläger am 1. August 2023 zugestellt worden. Die oben bezeichnete Monatsfrist für die Einlegung der Berufung begann daher am 2. August 2023 und endete mit Ablauf des 1. September 2023.
Die Revision des Klägers vom 14. August 2023 kann nicht als - fristgemäße - Berufung gewertet werden. Zwar sind Bezeichnungen als Einspruch, Beschwerde, Revision unschädlich, wenn sich ergibt, dass Berufung gemeint ist. Der Betroffene muss zum Ausdruck bringen, dass das erstinstanzliche Urteil überprüft werden soll (BSG, Urteil vom 8. Dezember 2005, B 13 RJ 289/04 B, Rn. 7, juris). Eine Umdeutung kommt hier jedoch nicht in Betracht. Das BSG hat die Revision nicht umgedeutet, sondern über sie entschieden und sie als unzulässig verworfen. Es hat den Kläger darüber hinaus ausdrücklich mit Schreiben vom 22. August 2023 auf die Möglichkeit der - noch zu diesem Zeitpunkt fristgerecht einzulegenden - Berufung als einzig statthaftes Rechtsmittel gegen den Gerichtsbescheid des SG hingewiesen.
Dem Kläger ist auch keine Wiedereinsetzung in die Berufungsfrist von Amts wegen zu gewähren. Wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten, so ist ihm auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, § 67 Abs. 1 SGG. Ein Verschulden ist nicht gegeben, wenn auch bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt durch einen gewissenhaft und sachgemäß Prozessführenden die Versäumung der Verfahrensfrist nicht vermieden worden wäre bzw. ein Beteiligter diejenige Sorgfalt nicht außer Acht gelassen hat, die einem gewissenhaften Prozessführenden nach den gesamten Umständen zuzumuten ist (BSG, Urteil vom 24. April 1991, 9a RV 10/91, juris).
Der Kläger hat Gründe für eine Wiedereinsetzung weder vorgetragen noch glaubhaft gemacht. Auch sind solche für den Senat nicht ersichtlich. Die Ursache für die verspätet eingelegte Berufung liegt ausschließlich in der Sphäre des Klägers. Dieser ist von einem Wahlrecht zwischen Revision und Berufung ausgegangen. Dieser Irrtum wäre jedoch ohne weiteres zu vermeiden gewesen. Der Kläger hätte nicht im Vertrauen auf die eigene Beurteilung der Verfahrenslage von den Maßgaben der Rechtsmittelbelehrung abweichen dürfen, ohne rechtskundigen Rat einzuholen (vgl. Bayerisches Landessozialgericht vom 17. Januar 2006, L 3 U 419/04, Rn. 13, juris).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.