L 6 U 48/22

Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Unfallversicherung
1. Instanz
SG Magdeburg (SAN)
Aktenzeichen
S 8 U 90/20
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
L 6 U 48/22
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

1. Naturwissenschaftliche Ursächlichkeit der versicherten Verrichtung für den Schaden liegt vor, wenn der Schaden in dem konkreten Ablauf ohne sie nicht eingetreten wäre.
2. Die Ursache ist wesentlich, wenn weitere Ursachen in ihrer Gesamtheit ihr gegenüber nicht von überragender Bedeutung sind.

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Anerkennung eines Ereignisses als Arbeitsunfall.

Laut Unfallanzeige vom 20. Juni 2019 stolperte der im Mai 1955 geborene Kläger am 16. Juni 2019 als ehrenamtlicher Helfer beim Aufnehmen eines Podestteils, fiel hin und habe nicht mehr aus eigener Kraft aufstehen können. Nach dem Arztbrief des H. Q. vom 28. Juni 2019, in dem sich der Kläger unter der Diagnose Quadrizepssehnenruptur beiderseits (weitere Diagnosen u.a. Diabetes mellitus Typ 2 sowie arterieller Hypertonus) bis zum 1. Juli 2019 stationär befand, sei er eine Treppenstufe hinabgestürzt und auf beide Kniegelenke geprallt. Röntgenologisch ergab sich am 16. Juni 2019 nach der Auswertung des Radiologen K. beiderseits ein kleines isoliertes Skelettsegment kranial der Patella, was Ausdruck einer Sehnenverkalkung sein könne, sowie eine Ansatzverkalkung der Patella links. Intraoperativ zeigten sich rechts ein vollständiger und links ein hälftiger Quadrizepssehnenriss. Das operativ entnommene Sehnenmaterial wertete der Pathologe Dipl.-Med. H. im Sinne frischer Unterblutungen ohne wesentliche degenerative Veränderungen der rechten Sehne aus. Links seien auch reparative Umbauvorgänge sowie eine chondroide Metaplasie auszumachen.

In seiner Unfallschilderung vom 29. Juli 2019 erklärte der Kläger, er sei nach einem Konzert in der S.kirche beim Teilabbau des Chorpodests behilflich gewesen. Dabei sei er „offenbar mit beiden Füßen“ an einer Stufe hängengeblieben. Er sei nach hinten gefallen und habe schon während des Sturzes zwei gleichzeitige starke Schmerzereignisse oberhalb beider Knie bemerkt, so dass er spontan an einen Bruch beider Oberschenkel gedacht und diesen Gedanken auch ausgerufen habe.

Mit auf dem Postweg übermitteltem Bescheid vom 22. August 2019 lehnte die Beklagte die Anerkennung des Ereignisses als Arbeitsunfall ab. Die Quadrizepssehnenrupturen seien nicht auf dieses zurückzuführen, sondern auf die festgestellte Verkalkung.

Hiergegen erhob der Kläger am 24. September 2019 Widerspruch und führte zur Begründung aus, er sei über eine Stufe gestolpert und mit der blitzschnellen Entscheidung, nicht nach vorn, sondern nach hinten zu fallen, mit beiden Füßen unter dem Podest hängen geblieben. Gegen eine Wertung des Unfalls als Gelegenheitsursache spreche bereits die Betroffenheit beider Sehnen sowie die histologische Bewertung Dipl.-Med. H.s.

Unter dem 27. März 2020 führte die Pathologin Prof. Dr. W. in ihrer Zweitbeurteilung aus, zu erkennen sei partiell nekrotisches Gewebe der Rupturzone mit fokalen Texturstörungen sowie scholligen Kalzifikaten. In Abhängigkeit von einem geeigneten Unfallereignis könne die Texturstörung zur Ruptur beigetragen haben. Zu empfehlen sei eine gutachtliche chirurgische Bewertung.

In seiner beratenden Stellungnahme vom 17. April 2020 schätzte der Unfallchirurg MU Dr. G. ein, die histologisch gesicherten scholligen Verkalkungen belegten fortgeschrittene degenerative Veränderungen, die zu den Stoffwechselerkrankungen des Klägers passten. Abgesehen davon sei der Unfallhergang zur Verursachung einer beiderseitigen Quadrizepssehnenruptur ungeeignet.

Mit Widerspruchsbescheid vom 26. Mai 2020 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück.

Am 26. Juni 2020 hat der Kläger unter Wiederholung seines Vorbringens vor dem Sozialgericht (SG) Klage erhoben.

Das SG hat von Dr. D. das orthopädisch-unfallchirurgische Gutachten vom 24. März 2022 eingeholt. Nach diesem habe der Kläger im Rahmen der gutachtlichen Untersuchung am 22. März 2022 zum Unfallhergang angegeben, er sei schnell in Richtung des abzubauenden Podests gegangen und mit dem Fuß an einer Steinstufe hängen geblieben. Durch den Anprall des Fußes sei er möglicherweise nach vorn ins Stolpern geraten und dann möglicherweise die Treppen heraufgestrauchelt. Er sei nicht nach vorn gefallen, sondern habe sich abfangen können und sei nach hinten gestürzt. Hierbei sei er möglicherweise mit den Füßen unterhalb der untersten Stufe des offen gestalteten Holzpodests hängen geblieben. Während des Fallens rückwärts habe er einen Widerstand im Bereich der Oberschenkelstrecksehnen wahrgenommen und das Gefühl gehabt, als sei es zu einem Bruch der Oberschenkelknochen oder zu einem schweren Riss gekommen. Danach sei er auf das Gesäß gestürzt und habe nicht aufstehen können.

Der Sachverständige hat ausgeführt, Risse der Quadrizepssehne träten vor allem bei älteren Menschen spontan im Rahmen geringfügiger Bewegungen des Kniegelenks ohne wesentliche Krafteinwirkung (Treppensteigen, Abfangen eines einfachen Stolperns, Heben einer schweren Last aus der Kniebeuge heraus) auf (88 % der Sehnenrisse jenseits des 40. Lebensjahres, bevorzugt im 7. Lebensjahrzehnt). Einseitige und doppelseitige Risse seien insbesondere bei systemischen Grunderkrankungen (z.B. Diabetes) anzutreffen. Traumatische Rupturen entstünden bei indirekten Einwirkungen unter starker Beugung des Kniegelenks und maximaler Anspannung des Oberschenkelstreckers gegen das Körpergewicht (Gewichtheberposition, plötzliche Anspannung der Oberschenkelstrecksehne beim Versuch, einen Sturz mit dem gebeugten Kniegelenk abzufangen). Für eine unfallbedingte Ruptur der kräftigen Oberschenkelstrecksehne sei eine hohe kinetische Energie nötig. Auch die Einwirkung einer direkten plötzlichen Gewalt auf die vorgespannte Sehne (z.B. Tritt gegen den Unterschenkel) könne zu einem Riss führen. Die vorliegend geschilderten Unfallszenarien seien insgesamt als ungeeignet zur Verursachung einer Quadrizepssehnenruptur anzusehen. Lediglich im konstruierten Fall, dass der Kläger an einer Treppenstufe hängen geblieben, mehrere Stufen nach oben gestolpert, dann unter das Holzpodest gerutscht und nach hinten gestürzt sei, könne im Sinne einer wesentlichen Teilursächlichkeit grundsätzlich eine vermehrte Dehnungsbelastung der Quadrizepssehne angenommen werden. Weder seine eigene Vorstellungskraft noch die Erinnerung des Klägers reichten indessen aus, um einen solchen Hergang zu sichern. Hinweisend sei vielmehr die Beschreibung des Klägers, er habe bereits im Fallen nach hinten das Gefühl gehabt, als wären seine Oberschenkel gebrochen. Denkbar sei nämlich, dass er mit dem Fuß an der Treppenstufe hängen geblieben sei bzw. nur das Gefühl des Hängenbleibens gehabt habe. Bedingt durch die gesicherten Verkalkungen könne das deutlich minderbelastbare Sehnengewebe spontan gerissen sein. Der Betroffene habe das Gefühl, als sei der Fuß im Boden hängen geblieben. Da die Streckfähigkeit des Kniegelenks infolge der Zusammenhangstrennung der Oberschenkelstrecksehne nicht mehr gewährleistet sei, folge ein Sturz nach hinten.

Klar gegen eine frische Zusammenhangstrennung der Oberschenkelstrecksehnen beiderseits spräche auch das deutlich rissanfällige Sehnengewebe, wobei der Bluthochdruck, das Übergewicht und die Diabeteserkrankung eine nichttraumatische Ruptur zusätzlich indizierten. Zwar sei die feingewebliche Grundaussage, dass eine relativ frische Rissbildung vorliege, korrekt. Hieraus ergebe sich allerdings nichts über die Rissursache (Trauma oder Folge der operativen Entnahme). Vor allem am linken Kniegelenk sei als Ausdruck maximalen Verschleißes histologisch eine chondroide Metaplasie gesichert. Darüber hinaus hätten sich reparative Granulationsgewebsentwicklungen gefunden, welche ein rezidivierendes Rissgeschehen am linken Kniegelenk wahrscheinlich machten. Auch wenn rechts dergleichen histologisch nicht beschrieben sei, sei den Röntgenaufnahmen vom 16. Juni 2019 dort etwa 2 cm oberhalb des oberen Kniescheibenpols und damit an der Ansatzstelle der Oberschenkelstrecksehne eine Verkalkung zu entnehmen. Diese bestehe genau dort, wo im Weichteilschatten in Höhe der Oberschenkelstrecksehne als Zeichen der Rissbildung eine Delle zu sehen sei. Bei einem derartigen Befund müsse eine noch größere knorpelige Umbauveränderung vorgelegen haben, da die röntgenmorphologisch sichtbare Verkalkung erst als Endstadium eintrete. Links zeige sich am oberen Kniescheibenpol im Ansatzbereich der Oberschenkelstrecksehne ebenfalls eine deutliche Verkalkung mit einer Gesamtausdehnung von 8 mm. Auch sonst seien in Höhe der Oberschenkelstrecksehnen beiderseits deutliche Verkalkungen mit Ausdehnungen von etwa 10 x 5 mm links und 4 x 3 mm rechts sichtbar.

Der Kläger hat hierzu unter dem 25. Juli 2022 eingewandt, der Sachverständige habe den Geschehensablauf missverstanden. Er sei über die unterste Stufe des Aufgangs zur linken Schatzkammer gestolpert. Diese Treppe umfasse vier steinerne Stufen, von denen nur die unterste so in den Altarraum hineinrage, dass man über sie in Richtung Altarraum stolpern könne. Hinaufstolpern könne man nur, wenn man im rechten Winkel von vorn gegen die Stufen laufe. Dies sei zum Unfallzeitpunkt jedoch nicht möglich gewesen, da sich zumindest teilweise unmittelbar vor diesem Aufgang noch der erst teilweise abgebaute linke Teil des Chorpodestes befunden habe. Nach dem Stolpern sei er mit einem oder beiden Füßen ins Straucheln geraten, kurz zum Stehen gekommen und dann, da ihm der Sturz nach hinten im Vergleich zum Fallen nach vorn als das kleinere Übel erschienen sei, rückwärts auf den Kirchenboden gestürzt. Als er mit den Füßen in den offenen Schlitzen des teilabgebauten Chorpodestes hängengeblieben sei, habe er einen Widerstand bemerkt.

Mit Urteil vom 26. Juli 2022 hat das SG die Klage abgewiesen und hierzu in den Gründen ausgeführt: Selbst wenn von der letzten Schilderung des Klägers ausgegangen werde, sei ein wesentlicher Ursachenzusammenhang zwischen dem Sturz und den Quadrizepssehnenrupturen entsprechend den überzeugenden Darlegungen des Sachverständigen angesichts der degenerativen Vorschäden, der die Rupturen begünstigenden Stoffwechselerkrankungen sowie des Alters des Klägers nicht hinreichend wahrscheinlich.

Gegen das ihm am 30. Juli 2022 zugestellte Urteil hat der Kläger am 30. August 2022 beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt Berufung eingelegt und entsprechend seinen Angaben vom 25. Juli 2022 umfangreich wiederholt, er sei höchstwahrscheinlich mit beiden Füßen in den offenen Schlitzen des teilabgebauten hölzernen Podests hängen geblieben und nach hinten gestürzt.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 26. Juli 2022 sowie den Bescheid der Beklagten vom 22. August 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Mai 2020 aufzuheben und das Ereignis vom 16. Juni 2019 mit Rissen der Quadrizepssehnen, links als Teilriss und rechts vollständig, als Arbeitsunfall festzustellen.

Die Beklagte beantragt,

            die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die Entscheidung des SG für zutreffend.

Das Gericht hat eine ergänzende Stellungnahme von Dr. D. vom 24. August 2023 eingeholt. Darin hat er ausgeführt, sofern der Kläger mit beiden Füßen unter ein Podestteil geraten und nach hinten gefallen sei, komme dies als geeigneter Hergang in Frage. Um indirekt die Quadrizepssehnen beidseits zu zerreißen, sei es allerdings zusätzlich erforderlich, dass neben einer maximalen Vorspannung der Oberschenkelmuskulatur eine maximale passive Beugung des Kniegelenks stattfinde. Dies sei bei einem Steckenbleiben der Füße mit Sturz nach hinten nicht möglich. Denn durch den Körperschwerpunkt würden die Kniegelenke gestreckt und nicht gebeugt. Ein geeigneter Hergang zur Verursachung einer Oberschenkelstrecksehnenruptur beidseits sei demnach weiterhin nicht plausibel. Viel wahrscheinlicher und auch literaturgemäß anzunehmen sei ein Hängenbleiben mit dem Fuß an der Stufe und ein dann nach vorn gerichtetes Straucheln, bei dem die Oberschenkelstrecksehnen aufgrund der degenerativ bedingten Prozesse beiderseits nachgegeben hätten. Infolge deren Versagens komme es zu einem Zusammenklappen der Kniegelenke und einem nach hinten Fallen, da die Oberschenkelmuskulatur die Kniegelenke nicht mehr strecken könne.

In der mündlichen Verhandlung vom 28. Mai 2024 hat Dr. D. erklärt, für den Teilriss des linken Knies lasse sich ein frisches Geschehen nicht belegen. In Auswertung der feingeweblichen Untersuchungen seien jedenfalls reparative Umbauvorgänge beschrieben, die in der Kürze der Zeit seit dem Unfall nicht möglich seien. Im rechten Knie sprächen frische Einblutungen für eine frische Verletzung. Sicher sei dies nicht, weil die Blutungen auch bei der Probeentnahme entstanden sein könnten. Nach der Beschreibung des Klägers vom 25. Juli 2019 seien die betroffenen Sehnen sicher im Sinne einer Belastung erreicht worden. Dies sei im Grunde aber bei jedem einzelnen Schritt der Fall. Der Hergang enthalte hier jedoch keinerlei Besonderheit, die eine Schädigung einer gesunden Sehne erklären könne. Deshalb gehe er von einer Gelegenheitsursache aus. Für eine wesentliche Ursache maßgeblich sei eine starke Beugung im Kniegelenk, die nach der Beschreibung des Klägers nicht eingetreten sein könne, weil er die klinischen Beschwerden schon in einem früheren Stadium des Sturzes beschreibe. Spontane Risse von Oberschenkelstrecksehnen stellten keine Seltenheit dar und träten auch beidseitig auf. Er gehe davon aus, dass der Schaden beim Kläger auch in einer Alltagssituation wie dem Aufstehen aus dem Bett hätte entstehen können.

Neben den Gerichtsakten hat in der mündlichen Verhandlung und bei der Entscheidung die Akte der Beklagten zu der Unfallmeldung – Az. XXXXXXXXXXX – vorgelegen.

Entscheidungsgründe:

Die nach § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte, form- und fristgerecht eingelegte (§ 151 Abs. 1 SGG) und auch ansonsten zulässige Berufung hat keinen Erfolg.

Der Bescheid der Beklagten vom 22. August 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Mai 2020 beschwert den Kläger nicht im Sinne von § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG. Das angeschuldigte Ereignis ist nicht als Arbeitsunfall feststellbar, weil die als Erstschaden geltend gemachten Quadrizepssehnenrisse nicht wesentlich durch die versicherte Verrichtung verursacht worden sind.

Arbeitsunfälle sind nach § 8 Abs. 1 Satz 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Unfallversicherung (SGB VII) Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die – hier allein zu prüfen – zu einem Gesundheitsschaden führen (§ 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII). Für die Anerkennung eines Unfalls als Arbeitsunfall ist danach in der Regel erforderlich, dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls seiner versicherten Haupttätigkeit zuzurechnen ist (sachlicher bzw. innerer Zusammenhang), sie zu dem zeitlich begrenzten, von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis – dem Unfallereignis – geführt hat, und dieses Unfallereignis einen Gesundheits(erst)schaden des Versicherten verursacht hat (siehe z.B. Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 4. September 2007 – B 2 U 24/06 R – juris; Urteil vom 5. September 2006 – B 2 U 24/05 R – juris). Hinsichtlich des Beweismaßstabs gilt, dass die Tatsachen, die die Tatbestandsmerkmale „versicherte Tätigkeit", „Verrichtung zur Zeit des Unfalls", „Unfallereignis" sowie „Gesundheits(erst)schaden" betreffen, im Grad des Vollbeweises feststehen müssen. Insoweit ist eine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit erforderlich, die selbst vernünftige Zweifel nicht zulässt (siehe nur BSG, Urteil vom 17. Februar 2009 – B 2 U 18/07 R – juris; Urteil vom 9. Mai 2006 – B 2 U 1/05 R – juris, Rn. 13 ff. und 2; Urteil vom 12. April 2005 – B 2 U 27/04 R – juris). Demgegenüber genügt für den Nachweis der Ursachenzusammenhänge zwischen diesen Voraussetzungen hinreichende Wahrscheinlichkeit (siehe nur BSG, Urteil vom 2. April 2009 – B 2 U 30/07 R – juris; Urteil vom 12. April 2005 – B 2 U 27/04 R – juris). Sie besteht, wenn mehr für als gegen eine Verursachung spricht und ernste Zweifel daran ausscheiden. Erst wenn feststeht, dass ein bestimmtes Ereignis (hier der Sturzablauf vom 16. Juni 2019) eine naturwissenschaftliche Ursache für einen Erfolg (die Quadrizepssehnenrupturen) ist, stellt sich in einem zweiten Schritt die Frage nach einer wesentlichen Verursachung des Erfolgs durch das Ereignis. Grundlage der Würdigung des Ursachenzusammenhanges sind dabei nur die Tatsachen, die vollbeweislich feststehen (siehe nochmals BSG, Urteil vom 17. Februar 2009 – B 2 U 18/07 R – a.a.O.; Urteil vom 9. Mai 2006 – B 2 U 1/05 R – a.a.O.).

Ausgehend hiervon scheidet die Anerkennung eines Arbeitsunfalls vorliegend aus. Zwar ist der Kläger im Rahmen einer nach § 2 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. b SGB VII versicherten Tätigkeit gestürzt und sind bei ihm intraoperativ auch Quadrizepssehnen(teil)rupturen beiderseits belegt. Es liegt jedoch keine hinreichende Wahrscheinlichkeit dafür vor, dass die Rupturen durch den Sturz verursacht worden sind.

Für den Teilriss der linken Quadrizepssehne lässt das Gericht im Sinne einer Unterstellung zu Gunsten des Klägers offen, ob der Teilriss überhaupt im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang des Schadensereignisses erfolgt ist. Dies kann nur aus der Angabe des Klägers abgeleitet werden, er habe schon im Sturz ein Schmerzereignis beider Knie wie bei einem Knochenbruch wahrgenommen. Darin hat auch der Sachverständige Dr. D. zumindest ein Indiz für den zeitlichen Zusammenhang gesehen.

Für den vollständigen Riss im rechten Knie geht das Gericht von der naturwissenschaftlichen Kausalität aus, weil dafür neben den Angaben des Klägers zum Schmerzverlauf sehr deutlich die in der feingeweblichen Untersuchung nachgewiesenen Spuren frischer Blutungen sprechen. Darin sieht auch der Sachverständige Dr. D. den entscheidenden Hinweis, wenngleich er die Möglichkeit erwogen hat, die Blutung habe sich erst durch den Schnitt bei der Entnahme der Probe gebildet. Im Gesamtbild mit unmittelbar nach dem Fehltritt des Klägers eingetretenem Funktionsverlust der Sehne schließt das Gericht diese Möglichkeit hier gegenüber dem Blutungseintritt durch den Hergang aus.

Die Unterbrechung der Schrittfolge des Klägers durch das Anstoßen an der Treppenstufe mit Kontrollverlust über die weitere Fortbewegung ist im Sinne naturwissenschaftlicher Kausalität für beide Risse wirksam, weil sie zu dieser Zeit ohne diese Einwirkung höchst unwahrscheinlich sind. Auf die hier abgegebene Beschreibung des Unfallvorgangs beschränken sich die vom Gericht zu treffenden Feststellungen. Sie entsprechen der eigenen Beschreibung des Klägers vom 29. Juli 2019. Seine späteren, ins Einzelne gehenden Darstellungen eines näheren Unfallablaufs sind nicht glaubhaft, weil der Kläger schon in seiner ersten Darstellung mit der Einschränkung als „offenbar“ deutlich gemacht hat, dass er eine konkrete Erinnerung an genaue Abläufe nicht hat. Der festzustellende Vorgang wirkt jedenfalls auf die Sehne als Kraftentfaltung ein, wie der Sachverständige Dr. D. bestätigt hat. Der danach bestehende Anteil des Fehltritts an diesem konkreten Riss ist in dem abgelaufenen Vorgang unersetzlich; die Frage nach seiner Beliebigkeit gegenüber anderen alltäglichen Wirkvorgängen stellt sich erst bei der Prüfung der Wesentlichkeit der Ursache. Daran würde es nicht einmal etwas ändern, wenn es sich um Spontanrisse handeln würde, die beim bloßen Gehen während des Bühnenabbaus entstanden sind. Denn auch das Gehen ist nach den Ausführungen des Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung eine Verrichtung, bei der die Quadrizepssehnen belastet werden. Jedenfalls ist hier aber die naturwissenschaftliche Ursache nicht zugleich wesentlich.

Neben der Einwirkung des Ereignisses liegt eine unfallunabhängige Schadensursache vor, der gegenüber dem Ereignis nach der Einschätzung des Sachverständigen die überragende Bedeutung für den Eintritt der Risse zukommt. Diese schlüssige Beurteilung des Ereignisses als unwesentlich nimmt Dr. D. vor, indem er das Ereignis als Gelegenheitsursache einordnet und degenerative Veränderungen als klar gegen eine unfallbedingte Verursachung sprechend wertet, schließlich auch eine Gewebeschwächung bis hin zu spontaner Rissbereitschaft belegt. Denn es lassen sich im Bereich der Rissbildungen mittelbar knorpelige Umbauvorgänge nachweisen, die nach der Beurteilung des Sachverständigen das Sehnengewebe deutlich rissanfällig werden lassen. Dies ergibt sich nach seiner Einschätzung aus den Verkalkungen im Rissbereich der Sehnen, die sich erst sichtbar bildeten, wenn bereits gröbere knorpelige Umbauvorgänge vorausgegangen sind. Bereits Herr K. stellte im Rahmen seiner Auswertung der Röntgenaufnahmen vom 16. Juni 2019 erhebliche Verkalkungen der Quadrizepssehnen fest, die der Sachverständige Dr. D. in seiner Nachbefundung bestätigt hat. Histologisch teilte neben partiell nekrotischem Gewebe im Bereich der Rupturzone des rechten Knies auch Prof. Dr. W. schollige Verkalkungen mit, die MU Dr. G. nachvollziehbar als Beleg einer fortgeschrittenen Degeneration gewertet hat. Bezüglich der linken Quadrizepssehne befundete Dipl.-Med. H. neben reparativen Umbauvorgängen eine chondroide Metaplasie, die nach der unwidersprochenen Einordnung Dr. D.s Ausdruck maximalen Verschleißes ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor, da die Entscheidung auf gesicherter Rechtslage und tatsächlicher Einzelfallbewertung beruht, ohne dass eine Abweichung von einem der in dieser Norm bezeichneten Gerichte vorliegt.

Rechtskraft
Aus
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