L 20 KR 256/20

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 21 KR 907/19
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 20 KR 256/20
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

1. Es existiert keine Rechtsnorm, die einen Anspruch auf Kostenerstattung gegen die gesetzliche Krankenkasse für eine akute Blinddarmoperation in einer Privatklinik in der Türkei begründet.
2. Die Erstattung von Kosten für eine im nicht-EU-Ausland in Anspruch genommene privatärztliche Behandlung ist allenfalls in entsprechender Anwendung des Art. 15 DT-SVA als freiwilig gezahlte (Ermessens-)Leistung zu betrachten.
3. Für die Kostenerstattung von Sozialversicherungsleistungen ist bei grenzüberschreitenden Sachverhalten der Leitfaden "Leistungsaushilfe im Rahmen der EG-Verordnung 883/04 und nach Abkommensrecht" vom 15.08.2012 im Sinne einer ermessenslenkenden Verwaltungsvorschrift einschlägig.

 

I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 12.03.2020 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.


T a t b e s t a n d :

Streitig ist die Kostenübernahme für eine stationäre Krankenhausbehandlung in der Türkei.

Die 1994 geborene und bei der Beklagten krankenversicherte Klägerin befand sich in der Zeit vom 02.09.2018 bis 03.09.2018 während eines Urlaubs in der Türkei in stationärer Behandlung in der Privatklinik B Hospital wegen einer akuten Blinddarmentzündung. Im Rahmen des Aufenthaltes entfernten die Mediziner der Privatklinik den Blinddarm der Klägerin operativ. Eine private Auslandsreisekrankenversicherung hatte die Klägerin nicht abgeschlossen.

Am 11.09.2018 stellte die Klägerin bei der Beklagten einen Antrag auf Kostenerstattung für ihre Behandlung in der Türkei. Dem Antrag fügte sie eine Rechnung der Privatklinik B Hospital vom 03.09.2018 in englischer Sprache iHv 3.500,01 € sowie ein ärztliches Attest der Allgemeinärztin K vom 11.09.2018 bei.

Die Beklagte fragte unter dem 20.09.2018 wegen der Kosten für Sachleistungen, die bei Inanspruchnahme der türkischen Anstalt für soziale Sicherung entstanden wären, bei der türkischen Verbindungsstelle Antalya Sosyal Güvenlik il Mürdürlügü mittels des Formblattes T/A26 an. Mit Schreiben vom 07.10.2018 teilte diese der Beklagten mit, der erstattungsfähige Betrag der Krankenhauskosten iHv 3.500,01 € belaufe sich auf 808,57 Türkische Lira (TL).

Mit Bescheid vom 02.01.2019 bewilligte die Beklagte die Kostenerstattung iHv 808,57 TL bzw. 130,50 €. Eine Kostenerstattung für die vorgelegten Rechnungen sei nur nach den Tarifen des ausländischen Sozialversicherungsträgers möglich. An dessen Entscheidung sei sie gebunden.

Deswegen erhob die Klägerin mit Schreiben vom 28.01.2019 Widerspruch. Sie bestritt, dass der ausländische Sozialversicherungsträger für die Not-OP am Blinddarm lediglich einen Betrag iHv umgerechnet 130,50 € aufzuwenden gehabt hätte. Aus den übersandten Unterlagen sei nicht herzuleiten, welche der in der detaillierten Rechnung des Krankenhauses einzeln aufgeführten Positionen der ausländische Sozialversicherungsträger übernehme bzw. nicht übernehme. Die Angabe eines reinen Pauschalbetrags sei nicht ausreichend. Im Übrigen seien nach dem Sozialversicherungsabkommen zwischen Deutschland und der Türkei die Kosten im Rahmen einer Notfallbehandlung zu übernehmen, die auch in Deutschland angefallen wären. Mithin sei zumindest ein Betrag iHv 2.900,- € zu erstatten (Schreiben vom 20.02.2019).

Die Beklagte erwiderte, mit der Türkei bestehe ein bilaterales Abkommen über soziale Sicherheit. Danach könnten die wegen des Gesundheitszustandes unverzüglich erforderlichen Sachleistungen (ärztliche Behandlung, Arznei usw) nach den in der Türkei geltenden Rechtsvorschriften in Anspruch genommen werden. Die Klägerin hätte mit einer Anspruchsbescheinigung für die Türkei (sog. Auslandskrankenschein) eine Vertragsbehandlung bei akuten Beschwerden in einem türkischen Vertragskrankenhaus in Anspruch nehmen können. Die Sachleistungen würden dann vom ausländischen Versicherungsträger so gewährt, als ob die Versicherung bei dem die Leistung gewährenden ausländischen Träger des anderen Staates bestünde. Komme die zwischenstaatlich vereinbarte Aushilfe eines ausländischen Versicherungsträgers nicht zustande (entweder habe die Versicherte keine Anspruchsbescheinigung vorgelegt oder ein Privat-Krankenhaus aufgesucht), würden die Kosten ersetzt, die bei ordnungsgemäßer Durchführung der Aushilfe entstanden wären, obwohl bilaterale Abkommen - wie auch das deutsch-türkische Abkommen über soziale Sicherheit - keine Kostenerstattungsregelungen enthielten. Aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung würde bis zu einer Grenze von 1.000,- € eine Erstattung nach deutschen Vertragsgrundsätzen geschuldet. Bei Rechnungsbeträgen über diese Grenze sei zwingend eine Anfrage betreffend der Erstattungssätze im Aufenthaltsstaat vorzunehmen. Die Zweigstelle in Antalya habe eine entsprechende Formularanfrage beantwortet.

Auf Betreiben der Klägerin hin (Schreiben vom 18.03.2019 und vom 23.05.2019), fragte die Beklagte unter dem 28.05.2019 nochmals bei der türkischen Verbindungsstelle wegen der Kosten für Sachleistungen an, die bei Inanspruchnahme der türkischen Anstalt für soziale Sicherung entstanden wären.

Am 03.10.2019 bestätigte die Verbindungsstelle als erstattungsfähigen Betrag 808,57 TL. Unter dem 30.10.2019 meldete sie hingegen einen erstattungsfähigen Betrag iHv 321,85 TL.

Bereits mit Widerspruchsbescheid vom 23.10.2019 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück.

Gegen den Widerspruchsbescheid hat die Klägerin am 25.11.2019 Klage beim Sozialgericht Nürnberg (SG) erhoben. Sie habe Anspruch auf vollumfängliche Erstattung der entstandenen Krankenbehandlungskosten, mindestens in der Höhe, wie sie auch in Deutschland angefallen wären. Die Beklagte habe nicht offenlegt, welche Einzelleistungen in welcher Höhe übernommen würden. Damit habe sich die Beklagte ohne weitere Nachweise darauf berufen, die durchgeführte Operation in der Türkei verursache lediglich Kosten iHv 130,50 € (Schriftsatz vom 09.01.2020).

Die Beklagte hat beantragt die Klage abzuweisen und zur Begründung auf die Gründe des angefochtenen Widerspruchsbescheids verwiesen.

Mit Urteil vom 12.03.2020 hat das SG die Klage abgewiesen. Die Klägerin habe keinen Anspruch gegen die Beklagte auf eine über den Betrag iHv 130,50 € hinausgehende Erstattung wegen ihrer Krankenhausbehandlung in der Türkei. Die Klägerin könne ihr Begehren auf höhere Kostenerstattung weder auf § 18 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) noch auf das Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Türkei über Soziale Sicherheit vom 30.04.1964 (BGBl. II 1972, S. 2, in der Fassung vom 02.11.1984 - BGBl. II 1986, S. 1040 - DT-SVA) stützen. Nach dem DT-SVA sei nur der Betrag zu erstatten, der von dem türkischen Sozialversicherungsträger grundsätzlich für eine Blinddarmoperation bei einem eintägigen Aufenthalt zu erstatten gewesen wäre. Zur Ermittlung der Anspruchshöhe habe die Beklagte mehrere Auskünfte bei der für den Aufenthaltsort zuständigen Zweigstelle der türkischen Verbindungsstelle eingeholt. Nach den Rückmeldungen belaufe sich der Erstattungsbetrag für die entsprechende Krankenhausbehandlung nach geltendem türkischem Recht auf höchstens 808,57 TL (umgerechnet 130,50 €). Aus Sicht der Kammer bestehe keine Veranlassung diese Auskunft infrage zu stellen.

Dagegen hat die Klägerin Berufung beim Bayerischen Landessozialgericht (LSG) eingelegt. Das Gericht bejahe in seiner erstinstanzlichen Entscheidung zwar zutreffend einen Erstattungsanspruch der Klägerin. Unzutreffender Weise spreche es jedoch nur 130,50 € zu. Der Betrag stehe in einem krassen Missverhältnis zu den tatsächlichen Kosten. Es bestünden aufgrund der widersprüchlichen Angaben erhebliche Zweifel an der Auskunft der türkischen Verbindungsstelle (Schreiben vom 03.08.2020 und vom 25.09.2020).

Das LSG hat unter dem 04.09.2020 den türkischen Sozialversicherungsträger schriftlich um Klarstellung des erstattungsfähigen Betrags gebeten. Dieser hat mit Schreiben vom 05.03.2021 mitgeteilt, die zu erstatteten Beträge seien versehentlich falsch mitgeteilt worden. Der zu erstattende Betrag für 3,500,01 € müsse richtig 518,04 TL lauten. Dieser Betrag sei der Beklagten mit dem Vordruck am 05.11.2020 mitgeteilt worden.

Mit Schreiben vom 27.04.2021 hat die Beklagte den Eingang der Mitteilung am 05.11.2020 bestätigt und klargestellt, die Differenz zwischen 55,01 € (= 518,04 TL) zu dem bereits erstatteten Betrag iHv 130,50 € nicht zurückgefordert zu haben.

Die Klägerin hat in Erwiderung darauf weiter bestritten, dass der nach der türkischen Gebührenordnung für einen derart umfangreichen operativen Eingriff wie eine Blinddarmentfernung anfallende Erstattungsbetrag lediglich 518,04 TL betrage (Schreiben vom 16.03.2021 und 10.05.2021).

Auf Betreiben des LSG hat der Spitzenverband Bund der Krankenkassen (GKV-Spitzenverband) eine weitere Anfrage an die türkische Verbindungsstelle gerichtet. Mit Schreiben vom 06.05.2022 hat der GKV-Spitzenverband deren Antwort vom 31.01.2022 vorgelegt. Demnach ergäben die Berechnungen, der Grund für diese Differenzen seien nicht die Wechselkursschwankungen, weshalb die Entschädigung iHv 3.500,01 € auf 518,04 TL festgelegt worden sei.

Auf die schriftliche Anregung des LSG vom 09.05.2022, die Berufung zurückzunehmen, hat die Klägerin mitgeteilt, es fehle weiterhin eine Begründung für die Angaben unterschiedlicher Erstattungsbeträge aus der Türkei. 518,04 TL, was umgerechnet 29,37 € entspreche, sei für eine Blinddarmoperation sicherlich nicht als angemessener Erstattungssatz zu betrachten (Schreiben vom 02.06.2022 und vom 14.12.2022). Mit Schriftsätzen vom 22.02.2023 und 10.03.2023 hat die Klägerin einen Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Ermittlung der erstattungsfähigen Behandlungskosten nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG)) gestellt.

Mit Beschluss vom 13.03.2023 hat das LSG entschieden, auf Antrag der Klägerin sei ein schriftliches Gutachten nach § 109 SGG nach Aktenlage von einem noch zu benennenden Sachverständigen einzuholen.

Nachdem die Bevollmächtigte der Klägerin den Unfallchirurg G als Sachverständigen benannt hat (Schreiben vom 12.04.2023), hat das LSG darauf hingewiesen, eine gutachterliche Anhörung eines Arztes sei nur zu medizinischen Fragen möglich und bat um Mitteilung, welche medizinischen Fragen klärungsbedürftig seien (Schreiben vom 19.05.2023).

Mit Schriftsatz vom 16.06.2023 hat die Klägerbevollmächtigte mitgeteilt, auch die Abrechnung von Leistungen sei Teil der medizinischen Abteilung.

Mit Beschluss vom 07.12.2023 hat das LSG den Beschluss vom 13.03.2023 aufgehoben und den Antrag der Klägerin auf Anhörung eines bestimmten Arztes nach § 109 Abs. 1 SGG abgelehnt. Das von der Klägerin angetragene Beweisthema sei einer medizinischen Beurteilung nicht zugänglich.

Die Klägerin beantragt,
1. unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Nürnberg vom 13.03.2020 wird der Bescheid der Beklagten vom 02.01.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheids der Beklagten vom 23.10.2019 aufgehoben, soweit er eine Kostenerstattung zugunsten der Klägerin von mehr als 130,50 € versagt und die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin die beantragte Kostenerstattung in Höhe von 3.500,01 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 01.10.2018 zu zahlen.
2. unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Nürnberg vom 13.03.2020 für die Beklagte verurteilt, an die Klägerin vorgerichtlich angefallene Rechtsanwaltskosten in Höhe von 380,80 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Klageerhebung zu zahlen.
3. die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits einschließlich der Berufung

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Die Beteiligten haben jeweils ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die von der Beklagten vorgelegte Verwaltungsakte sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.


E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung - über die aufgrund des Einverständnisses der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden werden kann (§ 151 Abs. 1, § 124 Abs. 2 SGG) -, ist zulässig (§ 143, 144, 151 SGG), aber nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid vom 02.01.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.10.2019 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.

1.
Streitgegenstand ist der Anspruch der Klägerin auf Erstattung weiterer Kosten für die stationäre Behandlung in der Türkei in der Zeit vom 02.09.2018 bis 03.09.2018 in der Privatklinik B Hospital, den die Beklagte mit Bescheid vom 02.01.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23.10.2019 abgelehnt hat. Hiergegen wendet sich die Klägerin zulässigerweise mit einer kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage nach §§ 54 Abs. 1 u. 4, 56 SGG.

2.
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf weitere Kostenerstattung für die stationäre Behandlung in der Türkei über den im angefochtenen Bescheid vom 02.01.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23.10.2019 bereits bewilligten Betrag iHv 130,50 €.

a.
Denn die Voraussetzungen des als Anspruchsgrundlage nach dem Fünften Sozialgesetzbuch allein in Betracht kommenden § 18 SGB V liegen nicht vor.

In § 18 SGB V ist die Kostenübername bei Behandlung außerhalb des Geltungsbereichs des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft und des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum geregelt. Danach gilt: Ist eine dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlung einer Krankheit nur außerhalb des Geltungsbereichs des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft und des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum möglich, kann die Krankenkasse die Kosten der erforderlichen Behandlung ganz oder teilweise übernehmen. Der Anspruch auf Krankengeld ruht in diesem Fall nicht (Abs. 1). Ist während eines vorübergehenden Aufenthalts außerhalb des Geltungsbereichs des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft und des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum eine Behandlung unverzüglich erforderlich, die auch im Inland möglich wäre, hat die Krankenkasse die Kosten der erforderlichen Behandlung insoweit zu übernehmen, als Versicherte sich hierfür wegen einer Vorerkrankung oder ihres Lebensalters nachweislich nicht versichern können und die Krankenkasse dies vor Beginn des Aufenthalts außerhalb des Geltungsbereichs des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft und des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum festgestellt hat (Abs. 3).

Eine Kostenerstattung für die Krankenhausbehandlung in der Türkei hat das SG zutreffend abgelehnt, da die Blinddarmoperation im Inland zur Verfügung steht und die Beklagte nicht festgestellt hat, dass sich die Klägerin wegen einer Vorerkrankung oder wegen des Lebensalters nachweislich nicht privat versichern kann.

b.
Die Klägerin hat ferner keinen Anspruch auf Kostenerstattung nach dem Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Türkei über Soziale Sicherheit.

In dem bilateralen Abkommen sind Kostenerstattungsansprüche von Versicherten, die im Rahmen eines vorübergehenden Aufenthaltes in der Türkei medizinische Leistungen in Anspruch nehmen, gegen deren (deutsche) Krankenversicherung nicht geregelt. Nach dem Abkommen sind lediglich - unter bestimmten Voraussetzungen - Sachleistungen für deutsche Staatsangehörige nach türkischem Recht vorgesehen (vgl. Art. 15 Abs. 2 DT-SVA).

c.
Eine explizite Rechtsnorm, welche konkret einen Anspruch der Klägerin auf die begehrte Kostenerstattung für medizinische Leistungen in der Türkei begründet, existiert damit nicht, so dass - ein Systemversagen ist insoweit nicht ersichtlich - die Erstattung einer im nicht-EU-Ausland in Anspruch genommenen privatärztlichen Behandlung, allenfalls in entsprechender Anwendung des Art. 15 DT-SVA als freiwillig gezahlte (Ermessens-)
Leistung zu betrachten ist (idS SG Gießen Urteil vom 12.03.2019 - S 7 KR 261/17 - juris Rn. 28, LSG Hessen, Urteil vom 19.10.2017 - L 8 KR 395/16 - juris Rn. 24), womit eine Anspruchsgrundlage allein aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG) und der Selbstbindung der Verwaltung aufgrund einer ständigen Verwaltungspraxis auf Basis der einschlägigen Richtlinien herzuleiten ist.

d.
Insoweit ist für die Kostenerstattung von Sozialversicherungsleistungen bei grenzüberschreitenden Sachverhalten - iSe ermessenslenkenden Verwaltungsvorschrift - einschlägig der Leitfaden "Leistungsaushilfe im Rahmen der EG-Verordnung 883/04 und nach Abkommensrecht" (Leitfaden) vom 15.08.2012.

aa.
Demnach sind Rechtsgrundlagen für die Leistungsaushilfe grundsätzlich das EG-Recht und Abkommensrecht. Vorliegend findet ausschließlich das Abkommensrecht Anwendung, da die Klägerin die dem Streit zugrundeliegenden medizinischen Leistungen außerhalb des räumlichen Anwendungsbereichs der EG-Verordnungen in der Türkei in Anspruch genommen hat (Nr. 1.1 Leitfaden). In Nr. 3.7.2 des Leitfadens ist die Kostenerstattung nach Abkommensrecht wie folgt geregelt: Eine Kostenerstattung in Höhe der deutschen Sätze kann vorgenommen werden, sofern nach deutschen Sätzen eine Erstattung möglich ist, die verauslagten Kosten einen Betrag in Höhe von 1.000,- € nicht übersteigen und der Versicherte mit dieser Art der Erstattung einverstanden ist. Übersteigt die eingereichte Quittung - wie hier - den Betrag von 1.000,- € ist die Krankenkasse verpflichtet, die Höhe der Erstattungssätze im jeweiligen Abkommensstaat (hier: die Türkei) anzufragen. Die Anfrage, welche Kosten im Rahmen der Leistungsaushilfe entstanden wären, erfolgt mittels Vordrucks unter Beifügung der quittierten Rechnungsunterlagen.

Für die gerichtliche Prüfung einer Förderung ist deshalb entscheidend, wie die Behörde des zuständigen Rechtsträgers die Verwaltungsvorschrift im maßgeblichen Zeitpunkt in ständiger Praxis gehandhabt hat und in welchem Umfang sie infolgedessen durch den Gleichheitssatz gebunden ist (vgl. BayVGH, U.v. 11.10.2019 - 22 B 19.840 - juris, Rn. 26).

bb.
Gemessen hieran hat die Klägerin keinen Anspruch auf Erstattung von mehr als die bereits bezahlten 130,50 €.

Die Beklagte hat das nach dem Leitfaden vorgesehene Verfahren ordnungsgemäß durchgeführt. Fehler bei der Durchführung sind weder für den Senat ersichtlich, noch von der Klägerin gerügt.

Sofern die Klägerin meint, die Meldung eines Pauschalbetrags durch die türkische Verbindungsstelle sei nicht ausreichend, vermag der Senat keine Rechtsnorm und/oder Verwaltungsvorschrift zu finden, welche diese Auffassung stützt. Auch die von der Beklagten beschriebene Verwaltungspraxis rechtfertigt keine andere Bewertung.

Sofern die Klägerin darüber hinaus vorträgt, der aus der Türkei übermittelten Betrages sei falsch, da er zu niedrig sei, stellt dies eine nicht objektivierte Behauptung dar. Die Beklagte hat der türkischen Verbindungsstelle das vorgesehene Formblatt samt der detaillierten Rechnung des Krankenhauses, mithin die Grundlage der Zahlungen der Klägerin und ihres geltend gemachten Kostenerstattungsanspruchs, mehrfach vorgelegt. Von der Beklagte kann nicht verlangt werden, die gemeldeten Pauschalbeträge rechtlich zu überprüfen und im Detail nachzuvollziehen. Dies ergibt sich weder aus den relevanten Vorschriften noch aus der gelebten Verwaltungspraxis. Daher sehen auch die Musterformblätter nur eine Spalte für die Rückmeldung der Kosten vor. Allein der Umstand, dass die Differenz zwischen dem mitgeteilten Kostenbetrag und dem tatsächlichen Rechnungsbetrag mehr als 3.000,- € beträgt, bedeutet nicht, dass der mitgeteilte Betrag falsch ist. Zum einen handelt es sich bei dem Krankenhaus um eine Privatklinik, deren Behandlungen auch in der Türkei üblicherweise ein Vielfaches mehr kosten als die Behandlung in einem staatlichen Vertragskrankenhaus (vgl. SG Aachen, Urteil vom 11.06.2013 - S 13 KR 192/12 - juris, Rn. 28). Zum anderen kann nicht davon ausgegangen werden, dass die tatsächlich der Klägerin in Rechnung gestellten und von ihr bezahlten Kosten iHv 3.500,01 € eine irgendwie nachvollziehbare rechtliche Grundlage haben, wie sie etwa in Deutschland die Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) darstellt. Dies sieht der Senat auch dadurch bestätigt, dass die Klinik für die Behandlung der Klägerin einen glatten Betrag - mit einer Rundungsdifferenz von 1 Cent - in Rechnung gestellt hat.

Ferner rechtfertigen auch die verschiedenen gemeldeten Beträge keine andere rechtliche Bewertung. Gegenüber dem LSG hat die Verbindungsstelle zuletzt am 05.03.2021 einen Betrag iHv 518,04 TL gemeldet. Dieser Betrag wurde gegenüber dem GKV-Spitzenverband unter dem 06.05.2022 bestätigt. Die Beklagte hat gleichwohl den ihr im Verwaltungsverfahren gemeldeten (höheren) Betrag erstattet. Ein weitergehender Anspruch als 130,50 € besteht jedenfalls nach alledem nicht.

e.
Weitere Ermittlungen des Gerichts waren weder von Amts wegen noch auf Antrag der Klägerin angezeigt.

Der Senat hat mehrfach bei der Verbindungsstelle Stellungnahmen eingeholt.

Medizinische Ermittlungen waren nicht anzustellen, da die Höhe der erstattungsfähigen Behandlungskosten kein Beweisthema darstellt, welches einer medizinischen Beurteilung zugänglich ist (vgl. MKS/Keller, 14. Aufl. 2023, SGG § 109). Für die Befragung eines medizinischen Sachverständigen ist es nämlich erforderlich, dass es um eine Tatsachenfrage geht, die nur mit Hilfe ärztlichen Fachwissens beantwortet werden kann (BSG, Urteil vom 20.04.2010 − B 1/3 KR 22/08 R - juris, Rn. 17). Bei der im Streit stehenden Höhe der erstattungsfähigen Behandlungskosten handelt es sich jedoch um eine vom Senat zu klärende Rechtsfrage und keine dem Sachverständigenbeweis zugängliche medizinische Tatsachenfrage. Aus diesem Grund hat der Senat den Antrag der Klägerin auf Einholung eines Sachverständigengutachtens nach § 109 SGG bei dem Unfallchirurg G mit Beschluss vom 07.12.2023 abgelehnt.

3.
Die Berufung ist demnach unbegründet und war somit zurückzuweisen.

4.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

5.
Gründe dafür, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG), liegen nicht vor.

 

Rechtskraft
Aus
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