S 21 KR 907/19

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG Nürnberg (FSB)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
21
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 21 KR 907/19
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 20 KR 256/20
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

T a t b e s t a n d :
Die Beteiligten streiten über die Kostenübernahme in Höhe von 3.500,01 EUR für einen stationären Krankenhausaufenthalt in der Türkei wegen einer akuten Blinddarmentzündung.

Die Klägerin ist am xx.xx.xxxx geboren. Sie ist bei der Beklagten als Arbeitnehmerin krankenversichert. Die Klägerin erkrankte während eines Urlaubs in der Türkei an einer akuten Blinddarmentzündung. Der Blinddarm wurde am 02.09.2018 in einer Privatklinik "B- Hospital" in der Türkei operativ entfernt, die Klägerin am 03.09.2018 entlassen. Der Klägerin wurden hierfür Kosten in Höhe von 3500,01 EUR in Rechnung gestellt.

Mit Schreiben vom 11.09.2018 stellte die Klägerin bei der Beklagten einen Antrag auf Kostenerstattung für die Operation in der Türkei mittels eines von der Beklagten zur Verfügung gestellten Formblattes und legte die Rechnung der Privatklinik in der Türkei bei. Die Klägerin gab in dem Antrag an, dass die Behandlung medizinisch sofort notwendig gewesen sei und sie keine private Auslandsreisekostenversicherung abgeschlossen habe. Die Klägerin habe keine Anspruchsbescheinigung verwendet und habe sich die Behandlungskosten auch nicht vom türkischen Krankenversicherungsträger erstatten lassen. 

Die Beklagte ermittelte mittels des Formblattes T/A 26 bei der für den Aufenthaltsort zuständigen Zweigstelle der Verbindungsstelle nach dem deutsch-türkischen Sozialversicherungsabkommen (Antalya Sosyal Güvenlik il Müdürlügü), dass bei Erbringung der Sachleistung durch den türkischen Sozialversicherungsträger der Klägerin von der Beklagten 808,57 Türkische Lira (TL), was umgerechnet einen Betrag von 130,50 EUR entspricht, zu erstatten gewesen wären. 

Mit Bescheid vom 02.01.2019 teilte die Beklagte mit, dass eine Kostenerstattung für die vorgelegten Rechnungen nur nach den Tarifen des ausländischen Sozialversicherungsträgers möglich sei. Es könne daher nur ein Betrag in Höhe von 130,50 EUR erstattet werden. Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin Widerspruch ein mit Schreiben vom 28.01.2019, der mit Schreiben vom 20.02.2019 begründet wurde. Die Klägerin legte erneut eine detaillierte Rechnung über ihren Aufenthalt vor. Es werde in Abrede gestellt, dass eine Blinddarmoperation in der Türkei lediglich 130,50 EUR kosten würde. Gemäß dem Sozialversicherungsabkommen zwischen Deutschland und der Türkei seien die Kosten zu übernehmen, die auch in Deutschland angefallen wären. Die Beklagte erwiderte, dass für die Leistungsaushilfen der Türkei ein sogenanntes bilaterales oder zwischenstaatliches Sozialversicherungsabkommen bestehe, namentlich das deutsch-türkische Abkommen über soziale Sicherheit anzuwenden wäre. Danach könnten die wegen des Gesundheitszustandes unverzüglich erforderlichen Sachleistungen nach den in der Türkei geltenden Rechtsvorschriften in Anspruch genommen werden. Die Sachleistung werde dann vom ausländischen Versicherungsträger so gewährt, als ob die Versicherung bei dem die leistungsgewährenden ausländischen Träger des anderen Staates bestünde. Grundsätzlich seien in bilateralen Abkommen keine Kostenerstattungsregelungen vorgesehen. Eine Erstattung nach deutschen Sätzen sei nach einer Absprache mit der obersten Aufsichtsbehörde, dem Bundesversicherungsamt, nur bis zu einer verauslagten Kostenhöhe in Höhe von 1000 EUR möglich. Zur Feststellung der Gebührensätze habe die Beklagte sich erneut an die Verbindungsstelle der Türkei mit der Bitte um Mitteilung der erstattungsfähigen Kosten gewandt und die Rechnung dorthin übersandt. Mit Schreiben vom 03.10.2019 teilte die türkische Verbindungsstelle mit, dass ein erstattungsfähiger Betrag von 808,57 TL bestehen würde. In einer zweiten Stellungnahme vom 30.10.2019 teilte der türkische Sozialversicherungsträger mit, dass lediglich ein erstattungsfähiger Betrag von 321,85 TL bestehe. Mit Widerspruchsbescheid vom 23.10.2019 lehnte die Beklagte eine Kostenerstattung über 130,50 EUR hinaus ab. 

Dagegen richtet sich die Klägerin mit ihrer Klage vom 25.11.2019.

Zur Begründung hat die Klägerin ausgeführt, dass die Klägerin eine detaillierte Rechnung des Krankenhauses vorgelegt habe, aufgeschlüsselt nach den einzelnen Behandlungspositionen sowie weiteren angefallenen Kosten für den Klinikaufenthalt. Der von der Verbindungsstelle genannte Pauschalbetrag ließe nicht erkennen, welche Einzelleistungen in welcher Höhe übernommen würden und welche auch vollständig versagt wurden. Gemäß dem Sozialversicherungsabkommen zwischen Deutschland und der Türkei seien im Rahmen einer Notfallbehandlung die Kosten zu übernehmen, wie sie auch in Deutschland angefallen seien. Für eine Blinddarm-Operation in Deutschland würden Kosten in Höhe von rund 2.900 EUR entstehen.

In der mündlichen Verhandlung vom 12.03.2020 hat die Klägerin beantragt:
1. Der Bescheid der Beklagten vom 02.01.2019, Az: xxx in Gestalt des Widerspruchsbescheides der Beklagten vom 23.10.2019, Az: xxx wird aufgehoben, soweit er eine Kostenerstattung zu Gunsten der Klägerin von mehr als 130,50 EUR versagt und die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin die beantragte Kostenerstattung in Höhe von 3500,01 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5% Punkten über dem Basiszinssatz seit 01.10.2018 zu zahlen.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin vorgerichtlich angefallene Rechtsanwaltskosten in Höhe von 380,80 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5% Punkten über dem Basiszinssatz seit Klageerhebung zu zahlen.
3. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.

Der Kammer haben die Verwaltungsvorgänge der Beklagten vorgelegen. Diese waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Schriftsätze sowie die Verwaltungsvorgänge der Beklagten.


E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :


Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet. Die Klägerin ist durch den angefochtenen Bescheid nicht im Sinne von § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert, denn dieser ist nicht rechtswidrig. 

Die Klägerin hat keinen Anspruch gegen die Beklagte auf eine über den Betrag von 130,50 EUR hinausgehende Erstattung weiterer 3.369,51 EUR wegen ihrer Krankenhausbehandlung in der Zeit vom 02. bis 03.09.2018 in der Türkei.

Nach § 16 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung - (SGB V) sind die Leistungen der deutschen Krankenversicherung nach dem SGB V grundsätzlich in der Bundesrepublik Deutschland zu erbringen. Der Anspruch auf diese Leistungen ruht, solange Versicherte sich im Ausland aufhalten, und zwar auch dann, wenn sie dort während eines vorübergehenden Aufenthalts erkranken, soweit im SGB V nichts Abweichendes bestimmt ist. Darüber hinaus kann sich ein Anspruch aus zwischenstaatlichem Recht ergeben (§ 6 Sozialgesetzbuch Viertes Buch - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung - SGB IV). Ausnahmen von § 16 Abs. 1 Nr. 1 SGB V sind innerhalb des SGB V in den §§ 13 und 18 SGB V vorgesehen.

Nach § 18 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 SGB V kann die Krankenkasse die Kosten einer erforderlichen Behandlung ganz oder teilweise übernehmen, wenn eine dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlung einer Krankheit nur außerhalb des Geltungsbereichs des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft und des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum möglich ist. Hieran fehlt es, da eine Blinddarm-Operation im Inland zur Verfügung steht.

Nach § 18 Abs. 3 Satz 1 SGB V hat ein Versicherter Anspruch auf Erstattung der erforderlichen Behandlungskosten, die ihm entstehen, weil er im Ausland wegen eines Notfalls behandelt wird. Der Anspruch besteht nur insoweit, als Versicherte sich hierfür wegen einer Vorerkrankung oder ihres Lebensalters nachweislich nicht versichern können und die Krankenkasse dies vor Beginn des Aufenthalts außerhalb des Geltungsbereichs des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft und des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum festgestellt hat. Der Anspruch ist auf die Höhe der Kosten, wie sie im Inland entstanden wären, sowie auf längstens sechs Wochen im Kalenderjahr begrenzt (§ 18 Abs. 3 Satz 2 SGB V). Während der Gesetzgeber im Grundsatz davon ausgeht, dass jeder für seine vorübergehenden Aufenthalte im vertragslosen Ausland in der Lage ist, sich privat zu versichern, wird den Personen, für die diese Voraussetzung gerade nicht erfüllt sind, der Anspruch auf Leistungen der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) erhalten (vgl. SG Gießen, Urteil vom 12. März 2019 - S 7 KR 261/17 -, Rn. 19 - 23, juris). Die Anwendung dieser Vorschrift scheitert hier bereits daran, dass eine Feststellung der Krankenkasse vor Urlaubseintritt nicht eingeholt wurde. Die Klägerin hat vor ihrem Urlaub vielmehr gar keinen Kontakt mit der Beklagten aufgenommen wegen ihrer bevorstehenden Reise.

Die Klägerin hat auch keinen Anspruch aus Art. 12 Abs. 1 Buchst. a) und b) i.V.m. Art. 4a des DT-SVA (Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Türkei über Soziale Sicherheit vom 30. April 1964 - BGBl. II 1972, S. 2, in der Fassung vom 2. November 1984 - BGBl. II 1986, S. 1040) auf Erstattung der über den Betrag von 130,50 EUR hinausgehenden Kosten. Versicherten in der deutschen GKV kann nach dem DT-SVA grundsätzlich auch bei einem Aufenthalt in der Türkei ein Leistungsanspruch zustehen, wenn der Versicherungsfall während des vorübergehenden Aufenthalts im Gebiet der anderen Vertragspartei eingetreten ist und die Versicherten wegen ihres Zustandes sofort Leistungen benötigen (Art. 12 Abs. 1 Buchst. b) DT-SVA).

Ein solcher medizinischer Notfall während des vorübergehenden Aufenthalts in der Türkei i.S.v. Art. 12 Abs. 1 Buchst. b) DT-SVA lag hier vor, da die Klägerin aufgrund ihres gesundheitlichen Zustandes am 02.09.2018 auf sofortige ärztliche Hilfe angewiesen war.

Die Klägerin hat nach Art. 15 DT-SVA jedoch keinen Anspruch auf Zahlung der vollständigen Kosten der Behandlung der Klägerin in dem Privatkrankenhaus " B-Hospital". Der Grundsatz der Maßgeblichkeit des Leistungsrechts des SGB V wird durch Art. 15 DT-SVA als Spezialnorm für Sachleistungen dahin modifiziert, dass sich der Anspruch der Versicherten und damit die Leistungspflicht der Krankenkassen in der Türkei nach türkischem Recht richten. Nach Art. 15 DT-SVA werden die Leistungen im Wege der "Leistungsaushilfe" von dem nach türkischem Recht zuständigen Träger, der Sozialversicherungsanstalt Sosyal Sigortalar Kurumu (SSK) nach dem für diesen geltenden - türkischen - Recht mit Wirkung für die deutschen Krankenkassen erbracht. Nach Art. 15 Abs. 2 DT-SVA gelten für die Erbringung der Sachleistungen die für den Träger des Aufenthaltsortes maßgebenden Rechtsvorschriften sind (vgl. SG Gießen, Urteil vom 12. März 2019 - S 7 KR 261/17 -, Rn. 19 - 23, juris; Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom 19. Oktober 2017 - L 8 KR 395/16 -, Rn. 24, juris). Nach Art. 15 Abs. 4 DT-SVA sind Personen und Einrichtungen, die mit der SSK Verträge über die Erbringung von Sachleistungen für deren Versicherte abgeschlossen haben, verpflichtet, die Sachleistungen auch für die in Art. 4a DT-SVA genannten Personen unter denselben Bedingungen zu erbringen, wie wenn diese Personen bei der SSK versichert oder Angehörige solcher Versicherten wären und als ob die Verträge sich auch auf diese Personen erstreckten.

Der krankenversicherungsrechtliche Sachleistungsanspruch der Klägerin war mithin bei dem in der Türkei eingetretenen Leistungsfall wirksam durch Art. 15 DT-SVA auf die nach dem türkischen Krankenversicherungssystem zustehenden Leistungen beschränkt. Art. 15 DT-SVA erstreckt sich dabei nach seinem Sinn und Zweck auch auf sachleistungsersetzende Kostenerstattungsansprüche, da solche Ansprüche der Ergänzung des Sachleistungssystems dienen und dessen integraler Bestandteil sind (vgl. SG Gießen, Urteil vom 12. März 2019 - S 7 KR 261/17 -, Rn. 19 - 23, juris; Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom 19. Oktober 2017 - L 8 KR 395/16 -, Rn. 24, juris).

Zur Ermittlung der Anspruchshöhe hat die Beklagte mittels des Formularvordrucks T/A 26 eine Auskunft bei der für den Aufenthaltsort zuständigen Zweigstelle der türkischen Verbindungsstelle eingeholt. Demnach beläuft sich der Erstattungsbetrag für die entsprechende Krankenhausbehandlung nach geltendem türkischem Recht auf 808,57 TL (umgerechnet 130,50 EUR).

Aus Sicht der Kammer besteht keine Veranlassung, diese Auskunft infrage zu stellen. Zwar besteht eine erhebliche Differenz zwischen der erstatteten Leistung von 130,50 EUR und dem von der türkischen Privatklinik berechneten Betrag in Höhe von 3.500,01 EUR. Allerdings wurde nicht substantiiert dargelegt, aus welchem Grund die Behandlung der Klägerin durch Personen oder Einrichtungen gemäß Art. 15 Abs. 4 DT-SVA höhere Kosten als 130,50 EUR hätten verursachen sollen. Anhaltspunkte hierfür sind für die Kammer auch sonst nicht ersichtlich. Die Beklagte hat mehrfach Auskünfte bei der türkischen Verbindungsstelle eingeholt und stets die Auskunft erhalten, dass lediglich ein Betrag in Höhe von 130,50 EUR (teilweise sogar weniger) zu erstatten gewesen wäre. Bei dieser Auskunft hat der türkischen Verbindungsstelle die Rechnung der Klägerin vorgelegen. Entgegen der Ansicht der Klägerin kommt es auch nicht darauf an, ob eventuell Rechnungsposten, die der Klägerin von der Privatklinik in Rechnung gestellt worden sind, nicht berücksichtigt wurden. Nach dem deutsch-türkischen Sozialversicherungsabkommen ist nur der Betrag zu erstatten, der von dem türkischen Sozialversicherungsträger grundsätzlich für eine Blinddarmoperation bei einem eintägigen (02.09.-03.09.2018) zu erstatten gewesen wäre. Dies ist ein objektiver Maßstab. Die Kammer hat keinen Anlass an der Auskunft der türkischen Verbindungsstelle zu zweifeln.  

Die Klage war daher abzuweisen. 

Die Kostenfolge ergibt sich aus § 193 SGG.
 

Rechtskraft
Aus
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