Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 14.03.2023 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu
erstatten.
Gründe
I.
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger bei der Beklagten in der gesetzlichen Krankenversicherung der Rentner (KVdR) zu versichern ist.
Der 1956 geborene Kläger, der Vater einer 1990 geborenen Tochter ist, nahm erstmals am 01.08.1972 eine versicherungspflichtige Beschäftigung auf und war bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. In den 80er Jahren begann er eine selbstständige Tätigkeit und war ab diesem Zeitpunkt privat krankenversichert. Am 16.08.2019 beantragte er bei der Deutschen Rentenversicherung Baden-Württemberg eine gesetzliche Altersrente, die ihm ab dem 01.10.2019 bewilligt wurde.
Auf der Meldung zur KVdR bei der Beklagten vom 16.08.2019 gab der Kläger an, vom 01.08.1972 bis 01.01.1989 bei der Beklagten versichert gewesen zu sein und ab 01.01.1989 bei einer privaten Krankenkasse versichert zu sein. Mit Bescheid vom 22.08.2019 stellte die Beklagte hierauf fest, dass der Kläger die Vorversicherungszeiten nicht erfülle und deshalb weiter privat kranken- und pflegeversichert bleibe. Den dagegen erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 20.12.2019 zurück.
Am 24.01.2020 hat der Kläger gegen den ihm am 28.12.2019 zugegangenen Widerspruchsbescheid Klage zum Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben und im Wesentlichen vorgetragen, dass die Zugangsregelungen zur KVdR gegen Art. 3 Grundgesetz (GG) verstießen. Er werde anders als die anderen Rentner behandelt. Mit Landwirten, Künstlern und Publizisten gebe es vergleichbar selbstständig Tätige, bei denen eine gesetzliche Versicherungspflicht geschaffen worden sei. Er dagegen sei mit bei Beginn seiner selbstständigen Tätigkeit überhöhten Beiträgen in der gesetzlichen Krankenversicherung für Selbstständige aus der gesetzlichen Krankenversicherung ausgestoßen worden oder wäre gezwungen gewesen, auf seine Selbstständigkeit zu verzichten. Dies stelle einen klaren Verstoß gegen Art. 2 Abs. 1 GG dar. Europarechtlich sei ein Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot des Art. 21 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (Charta der EU) und Art. 14 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) zu konstatieren, da er bezüglich seines Alters, seines Geschlechts und seiner sozialen Herkunft als selbstständig tätiger Handwerker diskriminiert werde. Darüber hinaus sei sein Ausstoß aus der gesetzlichen Krankenversicherung auch völkerrechtswidrig. Das SG habe den Fall zunächst dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) vorzulegen.
Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat ergänzend ausgeführt, die zweite Hälfte der Erwerbstätigkeit des Klägers beginne am 09.02.1996. Die erforderliche Vorversicherungszeit liege damit in der Zeit vom 09.02.1996 bis 16.08.2019 bei 21 Jahren zwei Monaten und sechs Tagen. Der Kläger sei seit dem 01.01.1989 laufend privat versichert. Somit könne er lediglich drei Jahre Anrechnungszeit für ein Kind nachweisen. Die erforderliche Vorversicherungszeit liege damit nicht vor. Aus welchen Gründen sich der Kläger während seiner Selbstständigkeit für eine Privatversicherung entschieden habe, sei nicht Gegenstand bei der Beurteilung von Vorversicherungszeiten.
Mit Urteil vom 14.03.2023 hat das SG die Klage abgewiesen. Die zulässige Klage sei unbegründet. Der angefochtene Bescheid vom 22.08.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.12.2019 sei rechtmäßig. Nach § 5 Abs. 1 Nr. 11 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) seien Personen versicherungspflichtig, die die Voraussetzungen für den Anspruch auf eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung erfüllten und diese Rente beantragt hätten, wenn sie seit der erstmaligen Aufnahme einer Erwerbstätigkeit bis zur Stellung des Rentenantrags mindestens neun Zehntel der zweiten Hälfte des Zeitraums Mitglied oder nach § 10 SGB V (Familienversicherung) versichert gewesen seien. Die Voraussetzung der Vorversicherungszeit in der gesetzlichen Krankenversicherung erfülle der Kläger nicht. Insoweit mache sich die Kammer die zutreffenden Ausführungen der Beklagten in Bescheid und Widerspruchsbescheid zu eigen und folge deren Begründung, sodass diesbezüglich von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe gemäß § 136 Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) abgesehen werde. Von einer Verfassungswidrigkeit der Vorschrift des § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V sei die Kammer nicht überzeugt. Es bestünden nicht einmal Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit. Dasselbe gelte für die vorgetragene Europa- und Völkerrechtswidrigkeit. Die geltend gemachte Vorlageverpflichtung an den EuGH scheide schon deshalb aus, weil die Kammer nicht das letztinstanzliche Gericht sei. Der Vortrag des Klägers sei in weiten Teilen nicht nachvollziehbar und im Ganzen schlicht unsinnig, sodass sich ein näheres Eingehen hierauf erübrige.
Gegen das ihm am 22.03.2023 zugestellte Urteil hat der Kläger am 28.03.2023 Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingelegt. Zur Begründung wiederholt er sein bisheriges Vorbringen und trägt ergänzend vor, dass er nach Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit finanziell nicht mehr in der Lage gewesen sei, den Beitrag in der gesetzlichen Krankenversicherung für Selbstständige zu begleichen, da die Beiträge weit überhöht angesetzt gewesen seien. Aus diesem Grund habe er in eine private Krankenversicherung wechseln müssen. Der Gesetzeswortlaut des § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V benachteilige ausdrücklich Personen, die in der zweiten Hälfte des Zeitraums der Erwerbstätigkeit nicht Mitglied in der gesetzlichen Krankenversicherung gewesen seien. Damit liege eine Ungleichbehandlung im Vergleich zu jüngeren Erwerbstätigen vor. Bei Personen jüngeren Alters, das heiße, in einem Alter von 16 bis 44 Jahren sei unerheblich, ob diese in der gesetzlichen oder privaten Krankenversicherung versichert seien. Er sehe sich auch in seinem Recht zur Wahl einer selbstständigen Berufstätigkeit, die er ausgeübt habe, verletzt, da er als Selbstständiger ohne nachvollziehbaren Grund schlechter behandelt worden sei, als die übrigen Beschäftigten. Dies stelle einen Verstoß gegen Art. 15 Abs. 1 der Charta der EU sowie gegen Art. 12 GG dar. Ferner sehe er einen Verstoß gegen vorrangig anwendbares Völkerrecht. In seinem Ausschluss aus der gesetzlichen Krankenversicherung sei ein Verstoß gegen den UN-Sozialpakt zu sehen. Dadurch sei er finanziell in seiner Rentenzeit existentiell beeinträchtigt, da er mit der ihm gewährten Altersrente nicht in der Lage sei, seine private Krankenversicherung zu bezahlen. Schließlich verweist der Kläger auf ein an ihn gerichtetes Schreiben der Beklagten aus dem Jahr 1983, welches ihm aufgrund seiner Selbstständigkeit in diesem Jahr zugesandt worden sei, und das in der Verwaltungsakte der Beklagten nicht enthalten sei. Sein Wechsel in die private Krankenversicherung sei bereits am 15.02.1983 und damit noch zur Geltung der Reichsversicherungsordnung erfolgt.
Der Kläger beantragt - sachgerecht gefasst -,
das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 14.03.2023 und den Bescheid der Beklagten vom 22.08.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.12.2019 aufzuheben und festzustellen, dass er seit dem 01.10.2019 in der Krankenversicherung der Rentner versichert ist und dass die Nichtfortführung seiner Mitgliedschaft bei der Beklagten im Jahr 1983 rechtswidrig gewesen ist und gegen Völkerrecht verstößt,
hilfsweise das Verfahren auszusetzen und eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG zur geltend gemachten Verfassungswidrigkeit der gesetzlichen Regelung einzuholen,
weiter hilfsweise das Verfahren auszusetzen und eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gemäß Art. 100 Abs. 2 GG zur Vereinbarkeit der gesetzlichen Regelungen mit dem Völkerrecht einzuholen,
höchst hilfsweise, das Verfahren auszusetzen und dem EuGH vorzulegen mit der Frage, ob § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGG V i.V.m. § 10 SGB V gegen das Nichtdiskriminierungsverbot von Art. 21 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und gegen Art. 15 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, wonach jede Person das Recht hat zu arbeiten und einen frei gewählten Beruf auszuüben, verstößt.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Ob und weshalb der Kläger privat krankenversichert gewesen sei, sei nicht von Belang. Entscheidend sei allein, dass er zum Zeitpunkt der Rentenantragstellung die gesetzlichen Voraussetzungen für die KVdR nicht erfüllt habe. Ausführungen zur Verfassungskonformität des zugrundeliegenden Gesetzes seien durch das SG mit Urteil vom 14.03.2023 getätigt worden.
Mit Schreiben vom 14.08.2023 sind die Beteiligten darauf hingewiesen worden, dass der Senat beabsichtige, nach § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss zu entscheiden. Gelegenheit zur Stellungnahme wurde bis zum 01.09.2023 eingeräumt. Die Beklagte hat sich damit einverstanden erklärt. Der Klägerbevollmächtigte hat mit Schriftsatz vom 29.08.2023 und unter Bezugnahme auf den beigefügten Schriftsatz des Klägers vom 29.08.2023 gegen die erfolgte Anhörung Anhörungsrüge erhoben, die unter dem Az. L 5 KR 2497/23 RG geführt wurde. Er vertritt die Auffassung, dass eine mündliche Verhandlung erforderlich ist. Der Kläger habe einen Anspruch auf rechtliches Gehör. Der Senat hat die Anhörungsrüge des Klägers mit Beschluss vom 30.08.2023 als unzulässig verworfen. Im Beschluss hat der Senat auch darauf hingewiesen, dass es bei der angekündigten Vorgehensweise verbleibe.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz sowie die Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.
II.
Der Senat konnte die Berufung des Klägers nach Anhörung der Beteiligten gemäß § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss zurückweisen, da er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Der Rechtsstreit weist nach Einschätzung des Senats keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlich und rechtlicher Hinsicht auf, die mit den beteiligten in einer mündlichen Verhandlung erörtert werden müssten. Zu der beabsichtigten Vorgehensweise hat der Senat die Beteiligten gehört. Die Beteiligten müssen der Vorgehensweise nicht zustimmen, sondern lediglich angehört werden. Gegen die Möglichkeit der Beschlussentscheidung bestehen auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Weder Art. 103 Abs. 1 GG noch Art. 19 Abs. 4 GG verpflichten generell zur mündlichen Verhandlung. Auch Art. 6 EMRK steht einer Beschlussentscheidung nicht entgegen. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat anerkannt, dass konventionsrechtlich für den Fall einer mündlichen Verhandlung in der ersten Instanz eine weitere mündliche Verhandlung in der Rechtsmittelinstanz entbehrlich ist, wenn nur noch über Rechtsfragen zu entscheiden ist oder über Tatsachenfragen, über die ohne Schwierigkeiten nach Aktenlage entschieden werden kann (vgl. hierzu Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG 13. Aufl. 2020 § 153 Rn. 14). So liegt der Fall hier. Das SG hat eine mündliche Verhandlung durchgeführt. Über die Tatsachenfragen kann nach Aktenlage entschieden werden. Die Frage, ab wann der Kläger privat versichert war, kann offenbleiben. Im Übrigen hat der Kläger mit mehreren Schriftsätzen umfangreichst schriftlich vorgetragen. In Kenntnis des Vorbringens in seinen Schriftsätzen, auch im letzten Schriftsatz vom 29.08.2023, hält der Senat eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich.
Die nach § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist statthaft. Streitgegenständlich ist der Bescheid der Beklagten vom 22.08.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.12.2019. Regelungsgehalt dieses Bescheids ist die Ablehnung des Bestehens von Versicherungspflicht des Klägers in der KVdR ab 01.10.2019 durch die Beklagte. Streitgegenstand ist damit nicht ein auf eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung gerichteter Verwaltungsakt (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG), weshalb die Berufung nicht der Zulassung bedarf.
Zulässige Klageart hinsichtlich der Mitgliedschaft in der KVdR ist die kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage gemäß §§ 54 Abs. 1, 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG und nicht die schlichte Anfechtungsklage, weil der Kläger nicht nur die Ablehnung der Mitgliedschaft in der KVdR anficht, sondern darüber hinaus die Feststellung seiner Zugehörigkeit zur KVdR begehrt. Soweit der Kläger in seinem Antrag auch begehrt festzustellen, dass die Nichtfortführung seiner Mitgliedschaft bei der Beklagten im Jahr 1983 rechtswidrig gewesen ist und gegen Völkerrecht verstößt, ist dies nicht als gesonderter Feststellungsantrag, sondern als Begründungselement dafür, weshalb er die Vorversicherungszeiten für eine Mitgliedschaft in der KVdR durch Anwendung verfassungswidrigen Gesetze nicht erfüllen konnte, zu werten. Dies sah auch das SG so. Beklagte ist nur die gesetzliche Krankenkasse und nicht auch die bei der Beklagten errichtete Pflegekasse. Die Klage richtete sich nur gegen die Krankenkasse und der Kläger begehrte nur die Feststellung der Mitgliedschaft in der KVdR. Auch das SG hat nur die gesetzlichen Voraussetzungen für die Mitgliedschaft in der KVdR geprüft. Dies hat der Kläger nicht beanstandet.
Die so gefasste zulässige Berufung des Klägers ist indessen nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 22.08.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.12.2019 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger erfüllt seit Rentenantragstellung am 16.08.2019 nicht die Voraussetzungen als versicherungspflichtiges Mitglied in der KVdR.
a) Der angefochtene Bescheid steht in Einklang mit der geltenden Gesetzeslage.
Versicherungspflichtig sind (in der gesetzlichen Krankenversicherung) nach § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V Personen, die die Voraussetzungen für den Anspruch auf eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung erfüllen und diese Rente beantragt haben, wenn sie seit der erstmaligen Aufnahme einer Erwerbstätigkeit bis zur Stellung des Rentenantrags mindestens neun Zehntel der zweiten Hälfte des Zeitraums Mitglied oder nach § 10 SGB V versichert waren. Die Mitgliedschaft versicherungspflichtiger Rentner beginnt mit dem Tag der Stellung des Rentenantrags (§ 186 Abs. 9 SGB V).
Die Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V erfüllt der Kläger nicht, weil er in der zweiten Hälfte der am 09.02.1996 beginnenden Rahmenfrist unter Einbeziehung der Anrechnungszeit für sein Kind nur drei Jahre statt der erforderlichen 21 Jahre zwei Monate und sechs Tage an Vorversicherungszeiten aufweist und damit nicht mindestens neun Zehntel Mitglied in der gesetzlichen Krankenversicherung oder familienversichert war. Der Senat nimmt auf die Berechnung der Beklagten im Widerspruchsbescheid vom 20.12.2019 Bezug. Diese Berechnung ist zutreffend und wird auch von dem Kläger nicht grundsätzlich beanstandet. Die Beklagte hat insoweit berücksichtigt, dass nach § 5 Abs. 2 Satz 3 SGB V (eingefügt mit dem Heil- und Hilfsmittelverordnungsgesetz vom 04.04.2017, BGBl: I S. 778) auf die nach Abs. 1 Nr. 11 erforderliche Mitgliedszeit für jedes Kind, Stiefkind oder Pflegekind (§ 56 Abs. 2 Nr. 2 Sozialgesetzbuch Erstes Buch) eine Zeit von drei Jahren angerechnet wird. Soweit der Kläger nunmehr entgegen seinen Angaben in der Meldung zur KVdR angibt, er sei bereits seit 1983 privat krankenversichert, ändert sich die Berechnung hinsichtlich der Rahmenfrist und der Anrechnungszeit für ein Kind nicht. Ob der Kläger bereits seit 1983 oder erst seit 1989 privat versichert war, kann daher offen bleiben.
b) Der Senat hat keine Zweifel, dass § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V mit der Verfassung in Einklang steht. Eine Aussetzung des Verfahrens nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG kommt deshalb nicht in Betracht.
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat bereits entschieden, dass die Vorschrift des § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V in der seit 01.01.1989 geltenden Fassung des Gesundheitsreformgesetzes (GRG) vom 20.12.1988 (BGBl. I, S. 2477), die entsprechend den Beschlüssen des BVerfG vom 15.03.2000 - 1 BvL 16/96 u.a. -, in juris; Entscheidungsformel veröffentlicht in BGBl. I 2000, S. 1300) letztendlich bis zur Neuregelung ab 01.04.2007 weitergalt, nicht zu beanstanden ist. Das BVerfG hat lediglich die Fassung des § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V i. d. F. des Gesetzes zur Sicherung und Strukturverbesserung der gesetzlichen Krankenversicherung (Gesundheitsstrukturgesetz - GSG -) vom 21.12.1992 (BGBl. I S. 2266), in dem die Voraussetzungen für die Mitgliedschaft in der KVdR dahingehend verschärft wurden, dass versicherungspflichtig nur noch waren „Personen, die die Voraussetzungen für einen Anspruch auf eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung erfüllen und diese Rente beantragt haben, wenn sie seit der erstmaligen Aufnahme einer Erwerbstätigkeit bis zur Stellung des Rentenantrags mindestens neun Zehntel der zweiten Hälfte des Zeitraums aufgrund einer Pflichtversicherung Mitglied oder aufgrund einer Pflichtversicherung nach § 10 (SGB V) versichert waren“, womit eine freiwillige Versicherung und Zeiten einer Familienversicherung bei freiwilliger Versicherung des Ehegatten ausgeschlossen waren, für verfassungswidrig erklärt. Mit dem GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz (GKV-WSG) vom 26.03.2007 (BGBl. I S. 387) hat der Gesetzgeber hierauf reagiert und zum 01.04.2007 § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V geändert. Die Wörter „auf Grund einer Pflichtversicherung nach § 10 SGB V versichert waren; als Zeiten der Pflichtversicherung gelten auch Zeiten, in denen wegen des Bezugs von Anpassungsgeld für entlassene Arbeitnehmer des Bergbaus (§ 38 Nr. 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch) oder des Bezugs von Überbrückungsgeld aus der Seemannskasse (§ 143 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch) eine freiwillige Versicherung bestanden hat“ wurden durch die Wörter „Mitglied oder nach § 10 (SGB V) versichert waren“ ersetzt.
Nachdem mit der Gesetzesänderung zum 01.04.2007 die Vorgaben des BVerfG umgesetzt wurden, ist kein Grund ersichtlich, warum § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V gegen Grundrechte des Klägers verstoßen soll. Mit dieser Gesetzesänderung wurden freiwillig Versicherte, Familienversicherte bei freiwilliger Versicherung des Ehegatten den Pflichtversicherten gleichgestellt. Abgesehen davon war der Kläger auch weder freiwillig versichert noch familienversichert bei freiwilliger Versicherung seiner Ehefrau.
Entgegen des Vortrags des Klägers gebieten auch weder Art. 3 Abs. 1 GG noch die Regelungen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG), dass in § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V nicht auf die zweite Hälfte des Erwerbslebens hinsichtlich der Erfüllung der Vorversicherungszeiten abgestellt werden darf. Die für den Zugang zur KVdR notwendigen Vorversicherungszeiten haben nichts mit dem Alter des Versicherten zu tun, sondern sind Ausdruck des Versicherungs- und Solidaritätsgrundsatzes; der Gesetzgeber hat den Zugang zur KVdR auf Personengruppen beschränken wollen, die vorher eine ausreichend lange Zeit in der gesetzlichen Krankenversicherung Mitglied waren (Felix in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 4. Aufl., § 5 SGB V, Stand: 05.06.2023, Rn. 94, 101). Der Gesetzgeber durfte dabei generalisierende, typisierende und pauschalierende Regelungen treffen, ohne allein wegen der damit unvermeidlich verbundenen Härten gegen Art. 3 Abs. 1 GG zu verstoßen. In nicht zu beanstandender Weise durfte er auch davon ausgehen, dass er mit dem von ihm zugrunde gelegten, auf das Ende des Erwerbslebens bezogenen Maßstab dem Regelfall des Rentners Rechnung trug (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 03.09.1998 - B 12 KR 21/97 R -; BSG, Urteil vom 04.06.2009 - B 12 KR 26/07 R -; BSG, Beschluss vom 25.04.2017 - B 12 KR 102/16 B -; alle in juris). Die Anknüpfung an die Versicherung in der zweiten Hälfte des Erwerbslebens ist angesichts der insoweit notwendigen Ermittlungen auch sachgerecht. Ermittlungen zur ersten Hälfte des Erwerbslebens sind deutlich schwieriger zu bewerkstelligen.
Ebenso scheidet ein Verstoß gegen den vom Kläger geltend gemachten Art. 12 GG und Art. 15 Abs. 1 der Charta der EU aus. Der Kläger war zu jeder Zeit in seiner Berufswahl frei. Soweit der Kläger einen Zusammenhang zwischen seiner Mitgliedschaft bei der Beklagten und seiner ausgeübten selbstständigen Tätigkeit herstellt, sei darauf verwiesen, dass er sich auch als Selbstständiger bei der Beklagten als freiwilliges Mitglied hätte versichern können. Er hätte die gesetzliche Versicherung in Anspruch nehmen können. Wenn er sich nicht in der Vergangenheit von der gesetzlichen Krankenversicherung abgewandt und die private Krankenversicherung gewählt hätte, hätte er die Voraussetzungen für eine Mitgliedschaft in der KVdR erfüllen können. Dass sich die Beitragsbemessung von freiwillig Versicherten und Pflichtversicherten unterscheidet, führt zu keinem anderen Ergebnis. Eine unterschiedliche Regelung besteht nur insoweit, als bei freiwillig versicherten Selbstständigen wie bei allen freiwillig Versicherten neben dem Arbeitseinkommen zusätzlich noch weitere Einnahmen, z.B. Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung und/oder Kapitalerträge der Beitragspflicht unterworfen sind, weil diese auch die gesamte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des freiwilligen Mitglieds (§ 240 Abs. 1 Satz 2 SGB V, § 2 Abs. 1 Satz 2 Einheitliche Grundsätze des Spitzenverband Bund der Krankenkassen zur Beitragsbemessung freiwilliger Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung und weiterer Mitglieder- gruppen sowie zu Zahlung und Fälligkeit der von Mitgliedern selbst zu entrichtenden Beiträge) abbilden. Daraus folgt aber nicht, dass deshalb alle selbstständigen freiwillig Versicherten höhere Beiträge als Pflichtversicherte zu zahlen haben, wie der Kläger als Argument für seinen Austritt aus der gesetzlichen Krankenversicherung anführt. Vielmehr ist und war die Höhe der Beiträge von den im Einzelfall vorhandenen beitragspflichtigen Einnahmen des freiwillig Versicherten abhängig. Die Beitragsbelastung eines Versicherten hängt in erster Linie von der Höhe der beitragspflichtigen Einnahmen ab und nicht vom Versicherungsstatus (Versicherungspflichtiger Arbeitnehmer oder freiwillig versicherter Selbstständiger).
c) Auch der weitere Hilfsantrag des Klägers auf Vorlage des Rechtsstreits an das BVerfG nach Art. 100 Abs. 2 GG ist abzulehnen. Danach ist, wenn in einem Rechtsstreit zweifelhaft ist, ob eine Regel des Völkerrechts Bestandteil des Bundesrechtes ist und ob sie unmittelbar Rechte und Pflichten für den Einzelnen erzeugt (Art. 25), der Rechtsstreit dem BVerfG vorzulegen. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Bei dem Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte vom 19.12.1966 (UN-Sozialpakt, in Kraft getreten am 03.09.1976, BGBl. II 1976, S. 428), der durch das Vertragsgesetz vom 23.11.1973 (BGBl. II S. 1569) innerstaatlich verbindlich geworden ist, handelt es sich nicht um allgemeine Regeln des Völkerrechts i.S.v. Art. 25 GG, sondern um Völkervertragsrecht (vgl. BVerfG, Beschluss vom 15.12.2015 - 2 BvL 1/12 -, in juris, wonach völkerrechtliche Verträge in der Regel nicht an dem in Art. 25 Satz 2 GG bestimmten Vorrang vor den (einfachen) Gesetzen teilnehmen). Abgesehen davon steht § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V im Einklang mit den vom Kläger geltend gemachten Rechten des UN-Sozialpakts. Insoweit ist zunächst zu konstatieren, dass die Bestimmungen des UN-Sozialpakts das Recht auf soziale Sicherheit, die Gewährleistung der sozialen Herkunft und die Würde und die freie Entfaltung der Persönlichkeit nicht definieren. Tatsächlich wurde der Kläger aber aufgrund seiner „sozialen Herkunft“ als selbstständiger Handwerker in der Vergangenheit nicht aus der gesetzlichen Krankenversicherung ausgestoßen, er hätte auch als selbstständiger Handwerker als freiwilliges Mitglied in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert werden können. Diese Möglichkeit hat er indessen nicht ergriffen, sondern die private Krankenversicherung mit den für ihn damals günstigeren Beiträgen gewählt. Eine Beeinträchtigung aufgrund der sozialen Herkunft ist deshalb nicht ersichtlich. Auch sein Recht auf „soziale Sicherheit“ wird nicht tangiert. Er kann im Falle der Hilfebedürftigkeit in den Basistarif bei seinem Krankenversicherungsunternehmen wechseln und hat auch die Möglichkeit die Hilfe des Sozialleistungsträgers in Anspruch zu nehmen. Abgesehen davon dürfte das Vorbringen des Klägers, dass er mit der ihm bewilligten Rente nicht in der Lage ist, seine privaten Krankenversicherungsbeiträge aufzubringen, darin begründet sein, dass er freiwillig nur wenig oder nichts in die gesetzliche Rentenversicherung einbezahlt hat und – wie er ausgeführt hat, sich stattdessen privat abgesichert hat – weshalb er nunmehr eine niedrige gesetzliche Rente bezieht. Er sei insoweit darauf verwiesen, dass er zur Finanzierung auch seine private Absicherung heranzuziehen hat. Auch ein Verstoß gegen seine „Würde und die freie Entfaltung der Persönlichkeit“ ist nicht erkennbar. Soweit der Kläger zuletzt noch im Zusammenhang mit §§ 153 Abs. 2 und 4, 136 Abs. 3 und 105 SGG einen völkerrechtlichen Verstoß sieht, ist sein diesbezügliches Vorbringen für den Senat in keiner Weise nachvollziehbar.
d) Auch der weitere Hilfsantrag des Klägers auf Vorlage des Rechtsstreits an den EuGH nach Art. 267 Abs. 1 Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) ist abzulehnen. Danach muss der EuGH nur angerufen werden, wenn sich das nationale Gericht im Rahmen einer letztinstanzlichen Entscheidung entscheidungserheblich auf europäisches Gemeinschaftsrecht stützt und an dessen Auslegung Zweifel bestehen. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Abgesehen davon, dass das erkennende Gericht nicht letztinstanzlich entscheidet, ist im Übrigen keinerlei Bezug zum Gemeinschaftsrecht gegeben. Auf - wie hier - rein innerstaatliche Sachverhalte kann das Gemeinschaftsrecht nicht angewandt werden.
e) Abschließend sei noch einmal darauf verwiesen, dass die Nichtfortführung der Mitgliedschaft des Klägers in den 80er Jahren nicht Gegenstand der angegriffenen Entscheidung der Beklagten war. Gegenstand war allein, die Aufnahme des Klägers in die KVdR. Die Beklagte hat über die Beendigung der Mitgliedschaft des Klägers in den 80er Jahren auch zu keiner Zeit entschieden. Der Kläger hat - so sein Vortrag - im Jahr 1983 die gesetzliche Krankenversicherung verlassen und wechselte in die private Krankenversicherung. Dies geschah auf sein eigenes Betreiben hin, die Beklagte war insoweit nicht involviert; sie hat die Fortführung der Mitgliedschaft des Klägers in der gesetzlichen Krankenversicherung nicht abgelehnt. Es fehlt damit bezogen auf das Jahr 1983 und die Beendigung der Mitgliedschaft an einem Rechtsverhältnis zwischen dem Kläger und der Beklagten, das aus einem konkreten Sachverhalt zwischen den Beteiligten entstanden ist und hinsichtlich dessen Streit bestand. Zur Klärung der damit allein abstrakten Rechtsfrage der Rechtswidrigkeit der Nichtfortführung der Mitgliedschaft bei der Beklagten im Jahr 1983 dürfen Gerichte nicht angerufen werden (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 25.04.1984 - 8 RK 30/83 -, in juris). Eine darauf gerichtete Feststellungsklage wäre unzulässig, weshalb der Senat wie das SG den Vortrag des Klägers im Zusammenhang mit der Beendigung seiner Mitgliedschaft bei der Beklagten als Begründungselement für sein eigentliches Begehren auf Aufnahme in die KVdR wertete (Grundsatz der Meistbegünstigung).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.
Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5.
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 6 KR 271/20
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 5 KR 969/23
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
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Datum
-
Kategorie
Beschluss
Rechtskraft
Aus
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