L 7 SO 1992/23

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
7.
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 11 SO 2662/22
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 SO 1992/23
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Auf die Berufung der Beklagten wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 13. Juni 2023 abgeändert. Die Beklagte wird verurteilt, noch offene Bestattungskosten in Höhe von 916,18 EUR zu bezahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen und die Berufung zurückgewiesen.

Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin in beiden Instanzen zu erstatten.



Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist ein Anspruch der Klägerin auf Übernahme von Bestattungskosten nach § 74 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) im Streit.

Die 1974 geborene Klägerin ist die Tochter des 1943 geborenen B1, der 2020 verstarb. Weitere Kinder hatte der Verstorbene nicht. Von seiner früheren Ehefrau war er seit 1977 geschieden. Am 23. Juni 2020 erteilte der Vater der Klägerin dieser eine Konto- und Vorsorgevollmacht für seine Konten bei der S1kasse, H1, wonach die Klägerin bevollmächtigt wurde, ihren Vater im Geschäftsverkehr mit der S1kasse zu vertreten, wobei die Vollmacht für alle bestehenden und künftigen Konten und Depots des Vollmachtgebers bei der genannten S1kasse gelte und mit dem Tod des Vollmachtgebers nicht erlösche, sondern für die Erben des verstorbenen Vollmachtgebers in Kraft bleibe. Zum Zeitpunkt seines Todes verfügte der Verstorbene über ein Girokontoguthaben in Höhe von 4,06 EUR und ein Sparbuchguthaben in Höhe von 4,01 EUR. Am 31. Juli 2020 belief sich der Kontostand des Girokontos nach Zahlungseingängen einer australischen Rente in Höhe von 180,33 EUR (am 29. Juli 2020), eines Erstattungsbetrages aus einer Haftpflicht- und Hausratversicherung in Höhe von 39,60 EUR (am 30. Juli 2020) sowie der Altersrente in Höhe von 695,78 EUR (am 31. Juli 2020) auf 919,77 EUR. Am 23. September 2020 wurde ein Gewinnsparguthaben in Höhe von 44,00 EUR auf das Girokonto ausgekehrt.

Die Klägerin bezieht eine Rente wegen Erwerbsminderung in Höhe von 388,62 EUR monatlich sowie Erwerbseinkommen aus einer geringfügigen Beschäftigung. Über Vermögen, das einen Wert von 5.000 EUR übersteigt, verfügt die Klägerin nicht.

Nach dem Tod der Verstorbenen veranlasste die Klägerin dessen Bestattung durch das Bestattungsunternehmen M1. Dieses stellte der Klägerin unter dem 21. Juli 2020 einen Betrag von insgesamt 1.964,42 EUR in Rechnung, zahlbar bis zum 28. Juli 2020. In dem Rechnungsbetrag waren u.a. Auslagen für zwei Sterbeurkunden zu je 12,00 EUR enthalten.

Bereits am 14. Juli 2020 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Übernahme der Kosten der Bestattung ihres verstorbenen Vaters.

Das Erbe ihres Vaters schlug die Klägerin am 23. Juli 2020 zur Niederschrift des Nachlassgerichts beim Amtsgericht H1 aus.

Mit Bescheid vom 20. Mai 2021 übernahm die Beklagte Bestattungskosten in Höhe von 1.024,24 EUR. Von den geltend gemachten Bestattungskosten würden 1.952,42 EUR als Bedarf anerkannt. Es sei ein Nachlass in Höhe von 928,18 EUR (Girokonto Stand 31. Juli 2020: 880,17 EUR, Sparen und Gewinnen Auszahlung am 23. September 2020: 44,00 EUR, Sparbuch Stand 10. Juli 2020: 4,01 EUR) vorhanden. Dieser sei in voller Höhe zur Deckung der erforderlichen Bestattungskosten einzusetzen.

Die Klägerin legte unter Verweis auf das Fehlen eines Zugriffs auf den Nachlass infolge der Erbausschlagung Widerspruch ein. Ferner machte sie geltend, dass im Rahmen einer Pfändung durch die AOK vom 11. Juni 2014 Teilzahlungen in Höhe von 285,45 EUR (am 2. September 2020) und 610,00 EUR (am 5. Oktober 2020) vom Girokonto des Verstorbenen erfolgt seien.

Mit Widerspruchsbescheid vom 30. September 2022 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Die Klägerin habe Anspruch auf Übernahme von Bestattungskosten in Höhe von 1.020,19 EUR. Es sei lediglich ein Bedarf in Höhe von 1940,42 EUR als erforderliche Kosten anzuerkennen. Die in der Rechnung des Bestattungsunternehmens enthaltenen Kosten für zwei Sterbeurkunden könnten nicht anerkannt werden, weil in Baden-Württemberg eine Sterbeurkunde für die erfolgte Feuerbestattung nicht erforderlich sei. Von dem anerkannten Bedarf könne der Klägerin zugemutet werden, 920,23 EUR zu tragen. Zum für die Beurteilung der Unzumutbarkeit der Kostentragung maßgeblichen Zeitpunkt ab dem 28. Juli 2020 (die Rechnung der Firma M1 Bestattungen vom 21. Juli 2020 sei „Zahlbar ohne Abzug bis 28.07.2020“ gewesen) habe der Klägerin ein vorrangig einzusetzendes Nachlassguthaben in genannter Höhe von 920,23 EUR als „bereite Mittel“ zur Verfügung gestanden. Nachweislich habe sich am 31. Juli 2020 auf dem Bankkonto und dem Sparbuch des Verstorbenen ein verfügbares Guthaben in Höhe von ins 920,23 EUR befunden, auf welches die Klägerin auch vollumfänglich Zugriff gehabt habe. Zwar sei die Klägerin aufgrund der Ausschlagung nicht Erbin geworden. Aufgrund der ihr vom Verstorbenen zu Lebzeiten erteilten Kontovollmacht, welche alle Konten und Depots des Verstorbenen umfasse und welche mit dem Tod des Verstorbenen auch nicht erloschen sei, habe die Klägerin Zugriff auf das Nachlassguthaben gehabt und es sei ihr auch möglich und zumutbar gewesen, dieses Guthaben für die Bestattungskosten zu verwenden. Darüber hinaus habe die Klägerin in Höhe des vorhandenen Nachlassguthabens von 920,23 EUR auch einzusetzendes, verwertbares Vermögen, ohne dass ihr als Bestattungspflichtige die sozialhilferechtlichen Regelungen über das Schonvermögen nach § 90 SGB XII zu Gute kämen. Dies folge daraus, dass der Klägerin nach der Ausschlagung der Erbschaft vom 23. Juli 2020 als Bestattungspflichtige gegenüber dem oder den Erben des verstorbenen Vaters ein fälliger Anspruch auf Erstattung der ihr unter dem 21. Juli 2020 in Rechnung gestellten Bestattungskosten aus § 1968 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) zustehe, welchen sie in Höhe des am 31. Juli 2020 im Nachlass befindlichen Bankguthabens von insgesamt 920,23 EUR auch sofort durch Verwendung dieses Betrages für die Bestattungskosten selbst hätte realisieren können. Keine bereiten Mittel seien die 44,00 EUR aus dem Gewinnsparen gewesen, die dem Girokonto erst am 23. September 2020 gutgeschrieben worden seien. Die Tragung der Bestattungskosten in Höhe von 920,23 EUR sei der Klägerin auch nicht aufgrund der von der AOK am 2. September 2020 und 5. Oktober 2020 durchgeführten Pfändungen unzumutbar.
Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Unzumutbarkeit der Tragung der Bestattungskosten sei nämlich der Zeitpunkt, zu dem die Fälligkeit der Zahlungsverpflichtung bestanden habe und dies sei hier die Zeit ab dem 28. Juli 2020 gewesen. Außerdem seien Bestattungskosten vorrangig und damit vor eventuell anderen vorhandenen Nachlassverbindlichkeiten aus dem Nachlass zu tilgen, was § 1968 BGB zu entnehmen sei. Anderenfalls müsse der Träger der Sozialhilfe und damit der Steuerzahler Schulden des Verstorbenen übernehmen, was jedoch nicht Aufgabe der Sozialhilfe sei.

Am 28. Oktober 2022 hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht Heilbronn (SG) erhoben. Zur Begründung hat sie geltend gemacht, dass es sich bei dem Guthaben auf dem Girokonto des Verstorbenen nicht um „bereite Mittel“ gehandelt habe.
Zunächst sei zu berücksichtigen, dass die Klägerin das Erbe ausgeschlagen habe. Da sie nicht Erbin ihres verstorbenen Vaters geworden sei, habe sie auch nicht wirksam über das Girokonto und das dortige Guthaben verfügen können. Darüber hinaus habe die Beklagte nicht berücksichtigt, dass das Girokonto bereits von der AOK gepfändet gewesen sei. Aufgrund der Pfändungs- und Überweisungsverfügung vom 11. Juni 2014 habe die S1kasse H1 das Guthaben auch an die AOK auszahlen müssen.

Auf Anfrage des SG hat die AOK mitgeteilt, dass sie gegen den Verstorbenen am 5. Juni 2014 eine Kontopfändung bei der S1kasse über 26.731,64 EUR erwirkt habe, aus der sie Zahlungen am 11. Januar 2016 (80,91 EUR), am 10. Februar 2016 (72,37 EUR), am 3. Februar 2017 (101,49 EUR), am 2. Februar 2018 (425,40 EUR), am 3. September 2020 (285,45 EUR) und am 6. Oktober 2020 (600,00 EUR) erhalten habe. Ferner habe sie aus einem Verrechnungsersuchen bei der Deutschen Rentenversicherung Zahlungen erhalten. Sie legte eine Drittschuldnererklärung der S1kasse H1 vom 11. Juni 2014 vor, wonach diese die gepfändeten Ansprüche anerkenne und Girokonto und Sparkonto des Pfändungsschuldners (Verstorbener) entsprechend gesperrt habe, wobei es sich beim dem Girokonto um ein Pfändungsschutzkonto im Sinne von § 850k Abs. 4 Zivilprozessordnung (ZPO) handele.

Mit Gerichtsbescheid vom 13. Juni 2023 hat das SG den Bescheid der Beklagten vom 20. Mai 2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. September 2022 abgeändert und die Beklagte verurteilt, noch offene Bestattungskosten in Höhe von 928,18 EUR zu bezahlen. Die Klägerin sei aufgrund der Erbausschlagung zwar nicht als Erbe zur Tragung der Kosten der Bestattung verpflichtet, jedoch gemäß § 30 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 31 Abs. 1 Satz 1 und § 21 Abs. 3 Bestattungsgesetz Baden-Württemberg als Angehörige verpflichtet, für die Bestattung zu sorgen und damit auch die entsprechenden Kosten zu tragen. Hinsichtlich der Erforderlichkeit der Bestattungskosten werde auf den Bescheid und Widerspruchsbescheid der Beklagten verwiesen, wonach insgesamt Kosten in Höhe von 1.952,42 EUR als erforderlich anzusehen seien. Dies sei zwischenzeitlich zwischen den Beteiligten unstreitig, da auch die Klägerin lediglich die Differenz der Zahlung von 928,18 EUR beantragt habe. Die Beklagte sei in den angefochtenen Bescheiden zu Recht davon ausgegangen, dass der Klägerin mit dem Einkommen aus ihrer Rente wegen Erwerbsminderung von monatlich 388,62 EUR und ihrem Nettoeinkommen in Höhe von 472,57 EUR und ihrem Vermögen unterhalb der Vermögensfreigrenze des § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII die Tragung der Bestattungskosten wirtschaftlich nicht zumutbar sei. Allerdings gehe die Beklagte rechtswidrigerweise davon aus, dass die Klägerin das Guthaben aus dem Girokonto des verstorbenen Vaters in Höhe von 880,17 EUR und des Gewinnsparens in Höhe von 44,00 EUR sowie das Sparbuch in Höhe von 4,01 EUR und damit einen Gesamtnachlass in Höhe von 928,18 EUR zur Tragung der Bestattungskosten hätte aufwenden können. Die AOK habe im Jahre 2014 aufgrund von Schulden des Verstorbenen eine Pfändungs- und Einziehungsverfügung gegenüber dem Kreditinstitut der S1kasse H1 erlassen und damit bis zur Höhe des Schuldbetrages von 26.731,64 EUR alle gegenwärtigen und künftigen Ansprüche, Forderungen und Rechte gepfändet, die dem Vollstreckungsschuldner gegen die S1kasse H1 (bei welcher der Verstorbene seine Girokonten und das Sparbuch geführt habe) zustünden und künftig zustehen würden. Hiervon erfasst seien Zahlungen des gegenwärtigen und gesamten künftigen Überschusses (Guthaben), der dem Vollstreckungsschuldner bei Saldoziehung aus der in laufender Rechnung (Kontokorrent) bestehenden Geschäftsverbindung jeweils gebühre, gewesen. Ebenso Auszahlung, Gutschrift oder Überweisung an sich und Dritte von Kreditmitteln aus bereits abgeschlossenen und künftigen Kreditverträgen und Guthaben aus Spareinlagen. Die Pfändung einer Forderung nach § 829 ZPO bewirke die Beschlagnahme (Verstrickung) und begründe für den Gläubiger ein Pfändungspfandrecht. Die Beschlagnahme, als die durch hoheitlichen Eingriff bewirkte Sicherstellung der Forderung für die Gläubigerbefriedigung, entziehe dem Schuldner die Verfügungsbefugnis. Dem Schuldner seien durch die Pfändung Verfügungen zum Nachteil seines Gläubigers verboten, dies entspreche der relativen Wirkung des Verfügungsverbots nach §§ 135, 136 BGB. Verboten seien insbesondere die Einziehung, Stundung, Erlass, Aufrechnung, Übertragung, vertragsmäßige Aufhebung oder Minderung. Damit sei eine Verfügung über die an die AOK gepfändeten Forderungen und Guthaben auf den Konten bereits gesetzlich verboten und damit auch der Klägerin, als Bestattungsverpflichtete, verwehrt. Dass eines der Girokonten des Verstorbenen ein sogenanntes Pfändungsschutzkonto gewesen sei, sei hierfür unerheblich. Dieses diene dazu, Inhabern eines Zahlungskontos ein unbürokratisches Verfahren zu ermöglichen, um während einer Kontopfändung Zugriff auf den unpfändbaren Teil ihrer Einkünfte zu behalten, z. B. zur Begleichung von Kosten für Miete, Energie und Versicherungen. Dadurch könnten diese Personen weiter am Wirtschaftsleben teilnehmen. Das P-Konto sichere zudem eine angemessene Lebensführung von Schuldnern und derjenigen Unterhaltsberechtigten, die gegen den Schuldner gesetzliche Unterhaltsansprüche hätten. Dieser Schutz, den Zugriff auf den unpfändbaren Teil der Einkünfte zu behalten, komme hier nur dem Verstorbenen zu Gute und könne nach Auffassung des Gerichtes nicht so weit ausgeweitet werden, dass damit eine Verfügungsbefugnis der Bestattungsverpflichteten einhergehe, über den unpfändbaren Teil des Verstorbenen zu verfügen. Dies werde auch dadurch bestätigt, dass die AOK als Pfändungsgläubigerin noch einmal am 3. September 2020 und am 6. Oktober 2020 Zahlungen aus der Kontenpfändung erhalten habe und das Gericht der Auffassung sei, dass diese Zahlungen der AOK als Vollstreckungsgläubigerin auch vorrangig zugestanden hätten. Damit sei der Klägerin die Tragung der Bestattungskosten unzumutbar gewesen.

Gegen den ihr am 15. Juni 2023 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Beklagte am 11. Juli 2023 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt. Als Bestattungskosten nicht anerkannt werden könnten die Kosten für die zwei abgerechneten Sterbeurkunden in Höhe von 24,00 EUR, da diese für eine Feuerbestattung nicht erforderlich im Sinne von § 74 SGB XII gewesen seien. Von den verbleibenden Bestattungskosten in Höhe von 1.940,42 EUR habe die Beklagte bereits einen Teilbetrag in Höhe von 1.024,24 EUR übernommen, so dass erforderliche Bestattungskosten in Höhe von 916,18 EUR verblieben.
In dieser verbleibenden Höhe sei es der Klägerin allerdings zuzumuten, die Bestattungskosten zu tragen. Dies folge daraus, dass es der Klägerin möglich gewesen sei, diese restlichen Bestattungskosten zum Zeitpunkt von deren Fälligkeit mit dem auf dem Girokonto ihres verstorbenen Vaters bei der S1kasse H1 vorhandenen und von der S1kasse auf den vorliegenden Kontoauszügen am 31. Juli 2020 auch ausdrücklich als „verfügbarer Betrag“ ausgewiesenen Guthaben in Höhe von 916,22 EUR vorrangig vor der Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen zu begleichen bzw. damit ihren als zur Bestattung Verpflichtete bestehenden Anspruch gegen die Erben ihres verstorbenen Vaters auf Erstattung dieser restlichen Bestattungskosten aus § 1968 BGB unschwer zu realisieren und zu erfüllen. Die Klägerin habe auf dieses Guthaben auf dem Girokonto bei der S1kasse H1 auch zugreifen können, da ihr von ihrem verstorbenen Vater noch zu dessen Lebzeiten am 23. Juni 2020 eine Vorsorgevollmacht erteilt worden sei, die mit dessen Tod nicht erloschen sei, und welche sie berechtigt habe, über die Guthaben auf dessen Konten bei der S1kasse H1 zu verfügen. Auch die Pfändungs- und Einziehungsverfügung der AOK stehe dem nicht entgegen. Das Guthaben auf dem Girokonto in Höhe von 916,22 EUR, sei von der S1kasse H1 auf den vorhandenen Kontoauszügen zum 31. Juli 2020 ausdrücklich als „verfügbarer Betrag“ ausgewiesen und bezeichnet. Deutlicher könne von einer Bank nicht mitgeteilt werden, dass ein Betrag auf einem Bankkonto zur Verfügung stehe. Folglich hätte die Klägerin aufgrund der ihr erteilten Vorsorgevollmacht auf diesen verfügbaren Betrag in Höhe von 916,22 EUR zum Zeitpunkt der Fälligkeit der Bestattungskostenrechnung auch unproblematisch zugreifen und darüber verfügen können. Der Klägerin als zur Bestattung Verpflichtete sei es aufgrund der Pfändungs- und Einziehungsverfügung der AOK auch nicht verwehrt gewesen, auf dieses Guthaben zuzugreifen. Denn dieses Guthaben sei der Pfändung – ungeachtet dessen, dass es sich um ein sog. Pfändungsschutzkonto gehandelt habe – nach § 811 Abs. 1 Nr. 8 ZPO in der bis zum 30. November 2021 gültigen Fassung schon von Gesetzes wegen gar nicht unterworfen.

Die Beklagte beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 13. Juni 2023 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend. Sie macht erneut geltend, dass es sich bei dem Girokonto des Verstorbenen um eine P-Konto gehandelt habe und dass dieses gepfändet worden sei.
Als der Vater der Klägerin verstorben sei, habe die für den Pfändungsgläubiger begrenzte Pfändungsmöglichkeit hinsichtlich des Girokontos geendet und die kontoführende Bank habe dann entsprechend dem Pfändungs- und Überweisungsbeschluss das bestehende Guthaben an den Pfändungsgläubiger, also an die AOK überweisen müssen. Auf den auf dem Girokonto befindlichen Betrag habe die Klägerin daher zu keinem Zeitpunkt zurückgreifen können. Infolgedessen sei dieser Betrag auch nicht als bereites Mittel anzusehen.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.


Entscheidungsgründe

Die gemäß § 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten ist zulässig, insbesondere statthaft (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG).

Die Berufung ist nur insoweit begründet, als das SG die Beklagte zur Übernahme weiterer Bestattungskosten über einen Betrag von 916,18 EUR hinaus verurteilt hat. Im Übrigen ist die Berufung unbegründet.

Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid vom 20. Mai 2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. September 2022 (§ 95 SGG), mit dem die Beklagte die Kostenübernahme für die unter dem 21. Juli 2020 in Rechnung gestellte Bestattung des Verstorbenen mit Gesamtkosten in Höhe von 1.964,42 EUR über einen Betrag von 1.024,24 EUR hinaus abgelehnt hat. Gegen den Gerichtsbescheid des SG vom 13. Juni 2023 und die Verurteilung zur Zahlung eines weiteren Betrages in Höhe von 928,18 EUR richtet sich die Beklagte mit ihrer Berufung.

Der Bescheid vom 20. Mai 2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. September 2022 ist rechtswidrig, soweit die Beklagte die Bestattungskosten nicht bis zur Höhe von 1.940,42 EUR übernommen hat. Vielmehr war sie zur Ablehnung der Bestattungskostenübernahme lediglich in Höhe der Kosten für zwei Geburtsurkunden (insgesamt 24,00 EUR) berechtigt.

Als Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch kommt nur § 74 SGB XII in Betracht. Danach werden die erforderlichen Kosten einer Bestattung übernommen, soweit den hierzu Verpflichteten nicht zugemutet werden kann, die Kosten zu tragen.

Der Beklagte ist als örtlicher Träger der Sozialhilfe sachlich zuständiger Leistungsträger (§ 97 Abs. 1, § 97 Abs. 2 Satz 1 SGB XII in Verbindung mit § 2 Gesetz des Landes Baden-Württemberg zur Ausführung des SGB XII [AGSGB XII]). Gemäß § 98 Abs. 3 SGB XII ist in den Fällen des § 74 SGB XII der Träger der Sozialhilfe örtlich zuständig, der bis zum Tod der leistungsberechtigten Person Sozialhilfe leistete, in den anderen Fällen der Träger der Sozialhilfe, in dessen Bereich der Sterbeort liegt. Entsprechend dem Sterbeort in H1 ist die Beklagte der örtlich zuständige Sozialhilfeträger.

Die Klägerin hat dem Grunde nach einen Anspruch auf Übernahme der Bestattungskosten. Sie ist zwar – infolge der Ausschlagung der Erbschaft gilt diese als nicht an die Klägerin erfolgt, § 1953 Abs. 1 BGB – nicht als Erbin, jedoch als nächste Angehörige (Tochter) nach §§ 31 Abs. 1 Satz 1, 21 Abs. 1 Nr. 1 Bestattungsgesetz Baden-Württemberg Verpflichtete im Sinne des § 74 SGB XII. Die Klägerin ist aufgrund der von ihr veranlassten Bestattung auch einer Verbindlichkeit ausgesetzt.

Allerdings handelt es sich nur in Höhe von 1.940,42 EUR um erforderliche Bestattungskosten. Maßstab für die Erforderlichkeit der Bestattungskosten ist eine einfache, aber würdige Art der Bestattung, die den örtlichen Verhältnissen entspricht, d.h. was – unter Berücksichtigung der angemessenen Wünsche des Verstorbenen (§ 9 Abs. 1 SGB XII) – bei Beziehern unterer oder mittlerer Einkommen ortsüblich (§ 9 Abs. 1 SGB XII) aufgewendet wird (BSG, Urteil vom 25. August 2011 – B 8 SO 20/10 R – SozR 4-3500 § 74 Nr. 2 Rdnr. 21). Untere Grenze ist dabei das, was nach den Bestattungs- oder Friedhofsvorschriften der Länder bzw. den Satzungen der Gemeinde zwingend vorgegeben ist. So sind z.B. Kosten für die Ausstellung von Sterbeurkunden nicht erforderlich, wenn sie für die Bestattung nicht benötigt werden (Siefert in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 4. Aufl., § 74 SGB XII, Rdnr. 72). Für die Durchführung einer – wie hier erfolgten – Feuerbestattung ist nach § 50 Bestattungsgesetz in Verbindung mit § 16 Abs. 2 Nr. 1 der Verordnung des Sozialministeriums zur Durchführung des Bestattungsgesetzes (Bestattungsverordnung) für den Erhalt der Erlaubnis zur Feuerbestattung nach § 35 Abs. 1 Bestattungsgesetz lediglich der nicht vertrauliche Teil der Todesbescheinigung erforderlich. Nur bei Sterbefällen außerhalb des Landes ist das Vorliegen einer Sterbeurkunde vorgeschrieben; ein Sterbefall außerhalb des Landes ist vorliegend nicht gegeben.

Die Tragung der danach erforderlichen Kosten in Höhe von 1.940,42 EUR ist der Klägerin auch insgesamt nicht zumutbar.

Die Klägerin verfügt weder über einsetzbare Einkommen und Vermögen, aus welchem sie die Bestattungskosten hätte aufbringen können, wovon auch die Beklagte zutreffend ausgegangen ist, noch war ihr unter Zugriff auf das Girokonto des Verstorbenen in Befriedigung eines gegen die Erben bestehenden Erstattungsanspruchs eine teilweise Kostentragung möglich.

Zwar steht einer nach den landesrechtlichen Bestattungsgesetzen verpflichteten Person ein Erstattungsanspruch gegen den Erben zu, sodass die endgültige Kostenlast den Erben trifft. Dies führt jedoch schon nicht zu einem Fortfall der Anspruchsberechtigung für den nach den Landesgesetzen Verpflichteten (BSG, Urteil vom 12. Dezember 2023 – B 8 SO 20/22 R – SozR 4 (vorgesehen) Rdnr. 17ff. m.w.N.). Ein etwaiger Ausgleichsanspruch gegen (nicht ermittelte) Erben war für die Klägerin auch nicht ohne Weiteres, insbesondere durch Zugriff auf die Bankkonten ihres verstorbenen Vaters möglich.

Zum für die Beurteilung der Bedürftigkeit bzw. Unzumutbarkeit maßgebenden Zeitpunkt der Fälligkeit der Forderung (§ 271 BGB; BSG, Urteil vom 29. September 2009 – B 8 SO 23/08 R – SozR 4-3500 § 74 Nr. 1 Rdnr. 17) war ein Kontoguthaben, auf dessen Zugriff die Beklagte die Klägerin zur Begleichung der Forderung des Bestattungsunternehmens in Befriedigung eines gegen die Erben bestehenden Ausgleichsanspruchs verwiesen hat, schon gar nicht vorhanden. Vielmehr befand sich am 28. Juli 2020, dem Zeitpunkt der Fälligkeit der Rechnung des Bestattungsunternehmens vom 21. Juli 2020, auf dem Girokonto des Verstorbenen lediglich ein Guthaben in Höhe von 4,06 EUR und auf dem Sparbuch ein Guthaben in Höhe von 4,01 EUR. Geldzuflüsse nach dem Fälligkeitszeitpunkt sind nicht geeignet, eine Bedürftigkeit im Zeitpunkt der Fälligkeit entfallen zu lassen.

Die Bedürftigkeit bzw. Unzumutbarkeit der Aufbringung der Mittel durch die Klägerin im Fälligkeitszeitpunkt der Bestattungskostenrechnung ist auch nicht etwa durch Geldzuflüsse auf dem Girokonto nach dem 28. Juli 2020 entfallen. Denn jedenfalls war der Klägerin – unabhängig vom Fortbestehen der Kontovollmacht über den Tod des Verstorbenen hinaus – ein Zugriff auf jegliche Bankguthaben des Verstorbenen verwehrt. Die Verfügungsbefugnis der Klägerin als Bevollmächtigte über die Kontoguthaben kann dabei nicht weitergehen als die des vollmachterteilenden Kontoinhabers bzw. dessen Erben selbst. Infolge der Pfändung der Kontoguthaben durch die AOK Gesundheitskasse waren jegliche Verfügungen über die auf den Konten befindlichen Gelder ausgeschlossen. Dies hat das SG in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Gerichtsbescheides zutreffend dargelegt (§ 153 Abs. 2 SGG). Ergänzend ist auszuführen, dass gemäß § 779 Abs. 1 ZPO eine Zwangsvollstreckung, die zur Zeit des Todes des Schuldners gegen ihn bereits begonnen hatte, in seinen Nachlass fortgesetzt wird. Daher ist eine Pfändung zu beachten, ohne dass der Gläubiger z.B. den Titel auf die Erben umschreiben und ihnen nochmals zustellen müsste. Erst recht gelten bereits zu Lebzeiten an den Erblasser zugestellte Pfändungen weiter (Sudergat in Sudergat, Kontopfändung und P-Konto, 4. Auflage 2022, Rdnr. 462). Ein Zugriff auf das im Wesentlichen auf dem Girokonto vorhandene Guthaben war der Klägerin auch nicht dadurch möglich, weil das Girokonto für den Verstorbenen als Pfändungsschutzkonto (sog. P-Konto) nach § 850k ZPO  geführt worden war. Ein pfändungsfreier Betrag nach § 899 ZPO steht nur dem Schuldner zu. Mit dessen Tod endet der Pfändungsschutz. Die Eigenschaft als P-Konto ist höchstpersönlich an die Person des Kontoinhabers gebunden. Dies kommt schon dadurch zum Ausdruck, dass nach dem gesetzgeberischen Willen gem. § 850k Abs. 1 Satz 1 ZPO nur der Kontoinhaber selbst (oder sein Vertreter) die Umwandlung beantragen kann. Verstirbt daher ein P-Kontoinhaber, endet mit dessen Tod auch die Eigenschaft als P-Konto (Sudergat in Sudergat, Kontopfändung und P-Konto, 4. Auflage 2022, Rdnr. 1121f.). Die Beklagte kann auch nicht mit Erfolg darauf verweisen, dass die zum Ende des Monats Juli 2020 auf dem Girokonto eingegangenen Rentenzahlungen nach § 811 Abs. 1 Nr. 8 ZPO in der bis zum 30. November 2021 geltenden Fassung nicht der Pfändung unterlägen. Die Vorschrift des § 811 ZPO bestimmt schon nach der amtlichen Überschrift nur „unpfändbare Sachen“. Sachen sind gemäß § 90 BGB nur körperliche Gegenstände, sodass § 811 Abs. 1 Nr. 8 ZPO nur die (Un)Pfändbarkeit von Bargeld regelt. Für überwiesenes Arbeitseinkommen, als welches unter anderem auch Altersrenten gelten (§ 850 Abs. 2 ZPO), gilt vielmehr § 850k ZPO (Kemper in Saenger, ZPO, 9. Auflage 2021, Rdnr. 29). Ein rechtmäßiger Zugriff der Klägerin auf vom Verstorbenen hinterlassene Geldbeträge zur (teilweisen) Begleichung der Bestattungskosten war damit nicht möglich. Dass auf dem Kontoauszug für das Girokonto zum 31. Juli 2020 ein „verfügbarer Betrag“ von 916,22 EUR ausgewiesen ist, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Dieser Angabe ist weder zu entnehmen, für wen und wofür der genannte Betrag „verfügbar“ sein soll, noch kommt ihr die Bedeutung zu, dass eine Verfügung auch rechtmäßig wäre.

Die auf dem Girokonto im Juli 2020 zugeflossenen Rentenzahlungen waren auch nicht aufgrund der Regelung des § 850c Abs. 1 ZPO, der Pfändungsgrenzen für Arbeitseinkommen und damit auch die hiesigen Rentenzahlungen festlegt, der Pfändung entzogen. Denn § 850c ZPO betrifft die Pfändung von Arbeitseinkommen an der Quelle, mithin beim Arbeitgeber bzw. vorliegend den Rentenversicherungsträgern. Nicht anwendbar ist § 850c ZPO auf bereits ausgezahltes Arbeitseinkommen. Insofern ist allein § 850k ZPO einschlägig, soweit durch die Zahlung Bankguthaben begründet wurde und § 811 Nr. 8 ZPO, wenn das Geld bar ausgezahlt wurde (Kemper, a.a.O. § 850c Rdnr. 4).

Selbst, wenn letztlich eine Verfügung der Klägerin über das Bankguthaben rechtmäßig gewesen wäre, erscheint eine Verweisung der Klägerin auf eine Zugriffsmöglichkeit auf die Kontoguthaben nicht zumutbar, weil ihr – um sich nicht der Gefahr einer Ersatzpflicht auszusetzen – die Last der Prüfung der Rechtmäßigkeit insbesondere der nach dem Tod des Berechtigten erfolgten Rentenzahlungen und möglicher bevorrechtigter Gläubiger aufgebürdet würde. Von einer Realisierung eines Ausgleichsanspruchs gegen die Erben „ohne Weiteres“ kann vor diesem Hintergrund keine Rede sein.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Angesichts der Geringfügigkeit des Obsiegens der Beklagten erachtet der Senat auch eine nur teilweise Kostenlast der Klägerin nicht für angezeigt.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG).




 

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