Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 13. Juli 2022 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte hat dem Kläger dessen außergerichtliche Kosten auch für das Berufungsverfahren zu erstatten.
Außergerichtliche Kosten des Beigeladenen sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger einen Anspruch auf Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) hat oder für ihn der Leistungsausschluss gem. § 7 Abs. 4 SGB II wegen des Bezugs einer Rente wegen Alters oder einer ähnlichen Leistung öffentlich-rechtlicher Art besteht. Der Beklagte geht vom Eingreifen des Leistungsausschlusses aus, weshalb der Kläger vom beigeladenen Sozialhilfeträger vom 19.12.2019 bis 30.11.2022 Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem 3. Kapitel des Sozialgesetzbuches Zwölftes Buch (SGB XII) bezog (vgl. Bl. 251 Senatsakte).
Der 1972 geborene Kläger besitzt die türkische Staatsangehörigkeit, ist verheiratet und Vater zweier Kinder Er lebte gemeinsam mit seiner Familie in der Türkei und reiste nach seiner Flucht auf dem Land- und Luftweg über Griechenland und Italien in die Bundesrepublik Deutschland ein. Ehefrau und Kinder blieben zunächst in der Türkei. Die Ehefrau und Tochter des Klägers reisten2020, der Sohn des Klägers2020 in die Bundesrepublik Deutschland ein (vgl. Bl. 166 VerwA Beigelad.).
Der Kläger war in der Türkei als Polizeibeamter im öffentlichen Polizeidienst beschäftigt (vgl. Dienstbescheinigung der beim Innenministerium der Türkischen Republik ansässigen Generaldirektion der Polizei, Bl. 173 Senatsakte). Nach dem Putschversuch im Juli 2016 kam es zu Massenentlassungen von Staatsbediensteten durch den türkischen Präsidenten, von denen auch der Kläger betroffen war. Er wurde aus dem öffentlichen Dienst suspendiert und wegen ihm vorgeworfener G1-Anhängerschaft in Untersuchungshaft genommen (vgl. Dienstbescheinigung, Bl. 173 ff. Senatsakte). Nach der Entlassung aus der Untersuchungshaft war er nicht mehr berufstätig. Er wurde aus der Organisation der Generaldirektion der Polizei „gem. § 1 Abschn. 1 Buchst. C) des Gesetzerlasses Nr. 677 (KHK-677)“ suspendiert (vgl. Bl. 175, 167 Senatsakte).
In der Folgezeit beantragte der Kläger in der Türkei bei der Anstalt für Soziale Sicherheit der Republik Türkei (Sosyal Güvenlik Kurumu, kurz: SGK) eine Rente. Nach Anfrage des Präsidiums der Anstalt für Soziale Sicherheit mit Schreiben von Anfang Juni stimmte die Generaldirektion der Polizei „gemäß § 39 Absatz (c) des Gesetzes Nr. 5434“ einem Antrag „auf Versetzung in den Ruhestand für Personen, die aus dem Dienst ausgeschieden sind“ zu (vgl. Bl. 167, 169 f. Senatsakte). 2018 teilte dieselbe Behörde dem Präsidium der Anstalt für Soziale Sicherheit mit, dass „da der ehemalige Polizeibeamte (…) am (xx). mit der Suspendierung aus dem öffentlichen Dienst (…) entlassen wurde, seine Pensionierung im Status der entlassenen Personen gemäß § 39 des Gesetzes Nr. 5434 genehmigt wurde“. Außerdem bat die Behörde um ordnungsgemäße Erstellung eines Rentenbescheides (vgl. Bl. 169 f. Senatsakte).
Mit Schreiben bescheinigte das Präsidium der Anstalt für Soziale Sicherheit - Generaldirektion der Rentenversicherungsdienste - Rentenabteilung für die Beschäftigten im öffentlichen Dienst, dass dem Kläger, „der mit der Registrierungsnummer (…) in den Ruhestand getreten ist, zum 01.09. eine Rente von 2.409,13 TL gewährt wurde, was dem 1. Grad, 4. Stufe, 3000 Zusatzindikator und 27 Jahre 5 Monate Dienstzeit“ entspreche.
In der Dienstbescheinigung (Bl. 173 ff. Senatsakte) sind die Dauer der aktiven Dienstzeit, die Militärdienstzeiten, Zeiten für „Angelegenheiten in Bezug auf Angleichung“ (Dauer des Dienstaltergehaltes, Dauer des erworbenen Gehaltsanspruchs, Dauer der Grundlage der Gehaltshöhe zum Rentenversicherungsbeitrag) aufgeführt.
In der Bescheinigung zur „4C* Registrierung“ (Bl. 181 Senats-Akte) wird der Versichertenstatus als „vom Beruf suspendiert“ und das Beginn der „Gehaltszahlung“ mit2017 ausgeführt. Ausweislich der „Rentenauskunft“ der Anstalt für Soziale Sicherheit der Republik Türkei vom 20.12. (Bl. 33 SG-Akte S 22 AS 2326/20) wird der Kläger dort als „Rentner“ geführt und wird die Rente abhängig von Dienstzeit (27 Jahre und 5 Monate) und Jahren mit Dienstalter (22 Jahre und 4 Monate) gezahlt.
Die Rente fließt seit dem Zahlungsbeginn durch die Anstalt für Soziale Sicherheit auf ein Konto des Klägers bei einer türkischen Bank in der Türkei, auf das der Kläger Zugriff hat. Der Kläger und seine Familie lebten zunächst von diesen Rentenzahlungen in der Türkei. Seit dem Zuzug der Ehefrau nach Deutschland veranlasst der Kläger die Überweisung der Rentenzahlung von seinem türkischen Konto auf ein deutsches Konto, auf das er Zugriff hat.
Der Kläger lebt seit dem Zuzug seiner Ehefrau und Tochter im Juli mit seinen Familienangehörigen gemeinsam in einer Unterkunft.
Der Kläger stellte nach seiner Ankunft in der Bundesrepublik Deutschland am 14.01. einen Asylantrag. Mit Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 19.11.2019 (Bl. 18 SG-Akte S 22 AS 2326/20) wurde die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt und die Asylanerkennung abgelehnt.
Mit Bescheid vom 24.01.2020 erteilte die Ausländerbehörde des zuständigen Landkreises dem Kläger eine Aufenthaltserlaubnis aus humanitären, völkerrechtlichen und politischen Gründen (§ 3 Asylgesetz, § 25 Abs. 2 Aufenthaltsgesetz) und erlaubte die Ausübung einer Erwerbstätigkeit (vgl. Bl. 22 VerwA Beigel.).
Bereits zuvor am 02.12.2019 beantragte der Kläger beim Beklagten die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (Bl. 26 ff. VerwA Bekl.) Zur Begründung führte er aus, dass er hilfebedürftig sei. Er erhalte in der Türkei eine Rente in Höhe von monatlich 3.000 Türkische Lira (TL). Von der Rente lebten derzeit seine in der Türkei zurückgebliebene Ehefrau und die Kinder. Seine Ehefrau setze die Rente für die medizinische Versorgung des kranken Sohnes und den Lebensunterhalt ein.
Mit Bescheid vom 18.02.2020 (Bl. 20 VerwA Bekl.) in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.05.2020 (Bl. 118 VerwA Bekl.) lehnte der Beklagte den Antrag des Klägers ab, da er wegen des Bezugs der türkischen Altersrente, die einer deutschen Altersrente vergleichbar sei, von Leistungen nach dem SGB II gem. § 7 Abs. 4 SGB II ausgeschlossen sei.
Hiergegen hat der anwaltlich vertretene Kläger am 10.06.2020 Klage zum Sozialgericht (SG) Stuttgart (- S 22 AS 2326/20 -) erhoben und zur Begründung im Wesentlichen vorgetragen, er gelte aufgrund seines Berufs in der Türkei als unerwünscht, weshalb er aus dem Polizeidienst entfernt worden sei. Nachdem es in der Türkei keine mit der deutschen Sozialhilfe vergleichbare Leistung gebe, sei er gezwungen gewesen, eine Rente zu beantragen, da er deren Voraussetzungen, nämlich eine Beschäftigungsdauer von 27 Jahren, erfüllt habe. Diese Rente erhalte er seit September 2017. Er sei nach Deutschland geflüchtet, da wieder ein Haftbefehl gegen ihn erlassen worden sei. Er sei mit Ausnahme der noch vorhandenen Sprachbarriere voll erwerbsfähig und stelle sich dem Arbeitsmarkt in vollem Umfang zur Verfügung. Er besuche einen Sprachkurs, um so rasch wie möglich eine entsprechend seiner Qualifikation dotierte Arbeitsstelle zu erhalten. Er habe nicht freiwillig einen Rentenantrag gestellt; er sei nach seiner Entlassung aus dem Staatsdienst und seiner Inhaftierung gezwungen gewesen, die Rente zu beantragen, um zumindest einen Teil des Lebensunterhalts für sich und seine Familie, darunter sein schwerbehinderter Sohn, zu bestreiten. Die Entlassung und die Inhaftierung beruhten allein auf dem von ihm ausgeübten Beruf „Polizist" in der Regierung „vor E1". Da auch weiterhin zu befürchten stehe, dass er und seine Familie erneut verhaftet würden, dürften die im Rentenbescheid enthaltenen Daten nicht an das türkische Konsulat oder die Deutsche Rentenversicherung Nord-Bayern übermittelt werden. Sobald bekannt werde, dass er sich dauerhaft in Deutschland aufhalte, entfalle aufgrund seiner Flucht die Rente. Im Juli 2022 habe die monatliche Rente ca. 3.200,00 TL (Wechselkurs am 04.07.2022 182,88 €) betragen. Dieser geringen Rente komme keine Lohnersatzfunktion zu. Er stelle sich mit seinem vollen Leistungsvermögen der Arbeitslosenvermittlung zur Verfügung und suche eine Vollzeitstelle, um den Unterhalt für sich und seine Familie zu bestreiten.
Der Kläger hat Sprach- und Integrationskurse besucht (vgl. Bl. 174 VerwA Beigel.) und zunächst vom beigeladenen Sozialhilfeträger und, nachdem dieser ihn an den Beklagten verwiesen hat, vom Beklagten die Kostenübernahme für einen Lkw- oder Busfahrer-Führerschein begehrt (Bl. 179 ff. VerwA Beigel.).
Das Klageverfahren ist mit Beschluss des SG vom 24.08.2021 zum Ruhen gebracht und seit Wiederanrufung durch den Kläger am 25.02.2022 unter dem Az. S 22 AS 839/22 fortgeführt worden. Mit Beschluss des SG vom 30.05.2022 ist der Sozialhilfeträger beigeladen worden.
Das SG hat aus einem Parallelverfahren vor dem SG Stuttgart (- S 12 AS 3576/18 -) folgende, dort eingeholte Auskünfte beigezogen:
Die Auskunft der Deutsche Rentenversicherung Nordbayern vom 21.01.2019 (Bl. 36 SG-Akte - S 22 AS 839/22 -), wonach die Leistung, die der dortige (ebenfalls türkische) Kläger erhalte, von dem staatlichen türkischen Sozialversicherungsträger geleistet werde, Altersrente in der Türkei nach Erreichen einer bestimmten Altersgrenze geleistet werde, Türkische (Alters-) Renten genauso wie in Deutschland Lohnersatzfunktion hätten und mit den Renten der Lebensunterhalt gesichert werden solle.
Außerdem die Auskunft des Generalkonsulats der Republik Türkei in Stuttgart, Abteilung für Arbeit und Soziales Sicherheit vom 05.07. (Bl. 37 ff. SG-Akte), in der dieses u.a. ausgeführt hat, dass das türkische Rentensystem und das deutsche Rentensystem sehr unterschiedlich seien und durch verschiedene Gesetze in verschiedenen Perioden mehrere Reformen des Sozialversicherungssystems in der Türkei erfolgt seien. Im Jahre 2006 seien die Sozialsicherheitsanstalt (SGK) gegründet und mit dem Gesetz Nr. 5502 die drei großen Sozialsicherheitsanstalten SSK (für die Arbeiter mit Arbeitsvertrag), Emekli Sandığı (für Beamte und Angestellte des Staates) sowie Bağ-Kur (für selbstständig Erwerbstätige) unter einem Dach vereint worden. Nachdem die Anstaltsstrukturen zusammengeschlossen worden seien, sei im Jahr 2006 das Gesetz Nr. 5510 erlassen worden, um an alle Bürger einen gleichwertigen, leicht zugänglichen und qualitätsvollen Gesundheitsdienst zu leisten. Dieses Gesetz sei am 01.10.2008 mit allen Richtlinien in Kraft getreten. Obwohl im Rahmen der Gesetzesnovelle die Verrentungsverfahren zwischen den drei Rentenversicherungsträgern vereinheitlicht worden seien, würden unterschiedliche Regelungen immer noch weitergelten; so auch die Regelungen, die bei der Feststellung der Rentenbedingungen maßgebend seien. Um die Fragen des Gerichts direkt beantworten zu können, müssten einige Daten des Versicherten bekannt sein, z.B. das erstmalige versicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnis, die Versicherungsdauer, Anzahl der Prämientage, Alter, Art der Versicherung, die Zeiten von Rentenbeitragsnachentrichtungen nach dem Gesetz Nr. 3201 oder 5510 usw. Da die Rentenbedingungen für jeden unterschiedlich seien, sei es wichtig, entsprechende Informationen personenbedingt zu erklären.
Nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung hat das SG mit Urteil vom 13.07.2022 den Bescheid des Beklagten vom 18.02.2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.05.2020 aufgehoben und den Beklagten verurteilt, dem Kläger ab 01.12.2019 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
Zur Begründung hat es ausgeführt, dass streitgegenständlich der Zeitraum vom 01.12.2019 bis zum 13.07.2022 (Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung) sei.
Der Kläger erfülle die Grundvoraussetzungen für den Bezug von Arbeitslosengeld II (§ 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II) hinsichtlich Alter, Erwerbsfähigkeit, Hilfebedürftigkeit und des gewöhnlichen Aufenthaltes. Er sei auch nicht nach § 7 Abs. 4 Satz 1 SGB II vom Leistungsbezug ausgeschlossen. Nach dieser Vorschrift erhalte u.a. keine Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende, wer Rente wegen Alters (Var. 2) oder ähnliche Leistungen öffentlich-rechtlicher Art (Var. 4) beziehe.
Dem Konto des Klägers in der Türkei seien im streitgegenständlichen Zeitraum durchgängig monatliche Leistungen eines türkischen Sozialversicherungsträgers zugeflossen, zumindest seit letztem Jahr überweise er sich diese Rente auf sein deutsches Konto. Der Kläger beziehe demnach die Rente im Sinne von § 7 Abs. 4 Satz 1 SGB II. Entscheidend sei dabei allein, ob Rentenzahlungen vom zuständigen Träger aufgenommen worden seien. Ansonsten habe es der Rentenbezieher in der Hand, durch Einschaltung einer empfangsberechtigten Person seine Zugehörigkeit zum Regime des SGB II oder aber des SGB XII selbst zu bestimmen, was mit dem Sinn und Zweck der Regelung nicht zu vereinbaren sei (unter Verweis auf LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 02.02.2016 - L 9 AS 2914/15 B - juris Rn. 5).
Zwar weise die vom Kläger bezogene türkische Rente unter Berücksichtigung der Maßgaben des Bundessozialgerichts (BSG) in seinen Urteilen vom 16.05.2012 - B 4 AS 105/11 R - und 07.12.2017 - B 14 AS 7/17 R - grundsätzlich die gleichen typischen Merkmale auf wie eine deutsche Altersrente. Sie werde von dem staatlichen türkischen Sozialversicherungsträger SGK (Sosyal Güvenlik Kurumu) und somit von einem öffentlichen Träger gewährt. Sie knüpfe ferner an das Erreichen einer bestimmten Altersgrenze an. Dabei sei es unschädlich, dass in der Türkei die für den Bezug einer Altersrente maßgebliche Altersgrenze sich insbesondere nach Geschlecht der Versicherten, Eintrittsdatum in die Versicherung und Art der Beschäftigung unterscheiden könne und erst im Zuge von Reformen der sozialen Sicherungssysteme sukzessive vereinheitlicht würde. Jedenfalls sei für den Bezug einer Altersrente das Erreichen eines bestimmten, nach abstrakt-generellen Regeln zu bestimmenden Lebensalters Voraussetzung.
Nicht anders verhalte es sich im Falle des Klägers. Hier betrage das Rentenalter 47 Jahre, nach 22 Jahren und 4 Monaten Dienstzeit. Dies entnehme die Kammer der vorliegenden Rentenauskunft der Anstalt für Soziale Sicherheit (vgl. Bl. 33 SG-Akte). Schließlich stelle die Leistung - unter Berücksichtigung dessen, dass hierbei nach der Rechtsprechung des BSG ihre Höhe nicht von Belang sei, wobei dies bei derart geringen Renten wie vorliegend durchaus in Zweifel gezogen werden solle - Lohnersatz nach einer im Allgemeinen den Lebensunterhalt sicherstellenden Gesamtkonzeption dar. Dies entnehme die Kammer auch der aus dem Verfahren S 12 AS 3576/18 beigezogenen allgemeinen Auskunft der Verbindungsstelle Türkei der Deutschen Rentenversicherung Nordbayern vom 21.01.2019.
Jedoch werde nach Auffassung der Kammer die ausschließlich typisierende Betrachtung dem vorliegenden Sonderfall nicht gerecht. Hinter dem Ausschluss von Leistungen nach dem SGB II stehe die typisierende Annahme, dass Bezieher von Altersrenten vor Erreichen der Regelaltersgrenze schon aus dem Erwerbsleben ausgeschieden seien und nicht mehr in Arbeit eingegliedert werden müssten. Sinn und Zweck der Regelung sei es, die erwerbsbiografische Situation der Leistungsempfänger leistungsrechtlich nachzuvollziehen, nicht aber diese zu steuern und Leistungsempfänger vom Erwerbsleben fernzuhalten. Die Besonderheit der Situation des Klägers bestehe darin, dass er weder durch eigenen Entschluss noch durch das Erreichen einer Altersgrenze aus dem Erwerbsleben ausgeschieden sei. Der Kläger sei vielmehr aus politischen Gründen aus dem öffentlichen Dienst entlassen worden, sei ein Jahr lang sogar in der Türkei inhaftiert und genötigt gewesen, aus dem Land zu fliehen, weil seinen glaubwürdigen Angaben zufolge erneut ein Haftbefehl gegen ihn wegen angeblicher Gülen-Anhängerschaft erlassen worden sei. Er sei nach der Entlassung aus der Haft in der Folge gezwungen gewesen, die Altersrente zu beantragen, um seinen Lebensunterhalt und denjenigen seiner Familie zu sichern. Die Kammer habe keinen Anlass, an den diesbezüglichen, glaubwürdigen Angaben des Klägers zu zweifeln. Sie würden überdies durch seine nachfolgende Flucht aus der Türkei beglaubigt. Auch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge gehe in seinem Bescheid vom 19.11.2019 davon aus, dass der Kläger seine Heimat aus begründeter Furcht vor Verfolgung verlassen habe. An einen Zustand anzuknüpfen, der nur aufgrund der politischen Verfolgung des Klägers in seinem Heimatland eingetreten sei, entspreche nicht dem Sinn und Zweck des § 7 Abs. 4 SGB II. Möge auch die Rente des Klägers als solche einer deutschen Altersrente vergleichbar sein - wobei auch hinsichtlich der Lohnersatzfunktion wie erwähnt Zweifel angebracht seien -; die Umstände jedenfalls, die zu ihrer Inanspruchnahme geführt hätten, seien es nicht. Aus diesem Grunde sehe die Kammer keine Vergleichbarkeit mit der Situation hiesiger Rentenempfänger und verneine die Anwendbarkeit des hier streitigen Leistungsausschlusses.
Der Beklagte hat am 27.07.2022 gegen das - ihm am 25.07.2022 mittels elektronischen Empfangsbekenntnis zugestellte - Urteil Berufung zum Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt. Zur Begründung hat er im Wesentlichen vorgetragen, dass der § 7 Abs. 4 SGB II keine Ausnahmen vom Leistungsausschluss bei Härtefällen in Einzelfällen regele. Es werde nicht differenziert, aus welchen Gründen eine anspruchsberechtigte Person die Altersrente beziehe. Vielmehr sei die Person sogar gezwungen, bei Eintritt der Voraussetzungen diese zu beantragen. Allein der Wille, eine Erwerbstätigkeit weiterhin ausüben zu wollen, sei angesichts des systemgerechten Ausschlusses von Leistungen nach dem SGB II ohne rechtliche Bedeutung (unter Verweis auf BSG Urteil vom 16.05.2012 - B 4 AS 105/11 R -).
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 13. Juli 2022 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung des Beklagten zurückzuweisen.
Zur Begründung verweist er im Wesentlichen auf die Gründe im angefochtenen Urteil und seine Klagebegründung.
Der Beigeladene beantragt,
die Berufung des Beklagten zurückzuweisen.
Zur Begründung hat er im Wesentlichen vorgetragen, im vorliegenden Fall könne nicht davon ausgegangen werden, dass die erwerbsbiographische Lebensphase des Klägers abgeschlossen sei, da er bei Renteneintritt in der Türkei erst 45 Jahre alt gewesen sei, der Kläger nach eigenen Angaben beabsichtigt habe bis 65 Jahren in der Türkei zu arbeiten und nur aufgrund der Entlassung aus seinem Dienstverhältnis in der Türkei notgedrungen die Rente habe beantragen müssen.
Der Kläger hat ab 01.11.2022 eine Erwerbstätigkeit bei dem Johanniter Unfall Hilfe e.V. als Schichtleiter im Regionalverband in Vollzeit (40 Wochenstunden) und zum Zweck der Tätigkeit in einer Flüchtlingsunterkunft ausgeübt (vgl. befristeter Arbeitsvertrag, Bl. 238 ff. VerwA Beigel., Verdienstabrechnung 11/2022: netto 2.279,73 €, Bl. 248 VerwA Beigel.). Wegen Zweckerreichung hat das Arbeitsverhältnis mit Ablauf des 15.07.2023 geendet (Bl. 219 Senatsakte). Im Anschluss hieran hat der Kläger vom 16.07. bis 31.07.2023 eine ehrenamtliche Tätigkeit im Bereich der Flüchtlingsbetreuung ausgeübt (Bl. 220 Senatsakte). Seit 01.08.2023 steht er erneut in einem - zweckbefristeten - Arbeitsvertrag mit dem Johanniter Unfallhilfe e.V. als „Bewohnerbetreuer in der Notunterkunft Schleyerhalle“ mit einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden (Bl. 225 ff. Senatsakte; Verdienstabrechnung 12/2023: 2.836,27 € netto; Bl. 232 f. Senatsakte).
Die Ehefrau und Tochter des Klägers haben nach ihrem Zuzug aufgrund eines Erstantrags vom Juli 2020 sowie in der Folge gestellter Weiterbewilligungsanträge vom Beklagten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für die Zeit ab Zuzug im Juli 2020, der Sohn ab seinem Zuzug im Dezember 2020 bezogen, die Ehefrau bis 30.11.2022, die Kinder bis Februar 2023. Seit 01.12.2022 bezieht auch die Ehefrau des Klägers ein Einkommen aus einer Teilzeit-Erwerbstätigkeit. In allen an die Ehefrau des Klägers adressierten Bewilligungsbescheiden wurde für den Kläger stets explizit ein Leistungsanspruch wegen des Eingreifens des Leistungsausschlusses gem. § 7 Abs. 4 SGB II abgelehnt.
Die frühere Berichterstatterin des vormals zuständigen 9. Senats hat am 23.05.2023 mit den Beteiligten einen Termin zur Erörterung der Sach- und Rechtslage durchgeführt. In diesem Termin wurde u.a. das Fortbestehen des Klageinteresses des Klägers erörtert. Auf das Protokoll (Bl. 147 ff. Senatsakte) wird ausdrücklich Bezug genommen.
In der Folgezeit hat der Kläger die ihm vorliegenden Rentenunterlagen in türkischer Sprache vorgelegt (Bl. 157/164 Senatsakte), die in die deutsche Sprache übersetzt worden sind (Bl. 167/182 Senatsakte).
Zudem hat der Beklagte eine Anfrage an das türkische Generalkonsulat versandt. Die per E-Mail vom 27.09.2023 (Bl. 205 Senatsakte) übersandte Auskunft des türkischen Generalkonsulats ist inhaltsgleich zu der vom SG aus dem Verfahren S 12 AS 3576/18 beigezogenen Auskunft. Der Einholung einer Auskunft vom türkischen Generalkonsulat unter Nennung seiner personenbezogenen Daten hat der Kläger ausdrücklich widersprochen (Bl. 216 Senatsakte), da er dann eindeutig zu identifizieren sei und nicht geklärt sei, ob er dann die türkische Rente weiterbeziehen könne.
Die Berichterstatterin des seit August 2023 zuständigen erkennenden Senats hat die Broschüre der Deutschen Rentenversicherung „Arbeiten in Deutschland und in der Türkei“ (4. Aufl., Juli 2018; Bl. 259 ff. Senatsakte), die Information „Das türkischen Rentensystem“ der Deutschen Rentenversicherung Nordbayern (Monika Brich, Leitende Referentin, Hauptabteilung Versicherung und Rente, Vertrag Türkei; Bl. 314 ff. Senatsakte) sowie ein Kurzreferat des Prof. Mag. Dr. Alpay Hekimler vom November 2016 („Sozialsystem und Sozialrecht in der Türkei“, Bl. 319 ff. Senatsakte) aus dem Internet beigezogen und ins Verfahren eingeführt. Im Übrigen sind die Beteiligten darauf hingewiesen worden, dass unter https://rvrecht.deutsche-rentenversicherung.de (>GRA EU/SVA >Länder >Türkei) u.a. das Deutsch-Türkische Sozialversicherungsabkommen (SVA Türkei) sowie die Rechtsgrundlagen der Türkei, die Organisation der Sozialversicherungen und Ausführungen zu den Leistungen der Rentenversicherung in der Türkei abrufbar sind.
Am 29.04.2024 hat die Berichterstatterin mit den Beteiligten einen weiteren Termin zur Erörterung der Sach- und Rechtslage durchgeführt. Die Beteiligten haben in diesem einen (Unterwerfungs-) Vergleich geschlossen, u.a. mit folgendem Inhalt:
1. Der Kläger und der Beklagte sind sich darüber einig, dass streitgegenständlich im vorliegenden Klage- und Berufungsverfahren laufende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für die Zeit vom 01.12.2019 bis 30.06.2020 sind.
2. Der Kläger und der Beklagte sind sich darüber einig, dass im vorliegenden Verfahren ausschließlich der Leistungsanspruch des Klägers dem Grunde nach und nicht auch der Höhe nach streitig ist und mit der Leistungsklage ein Grundurteil begehrt wird.
3. Sollte rechtskräftig festgestellt werden, dass der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 4 SGB II nicht eingreift, verpflichtet sich der Beklagte den Anspruch des Klägers auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II der Höhe nach - auch unter Anrechnung der vom Sozialhilfeträger erbrachten Leistungen - sowohl für die Zeit vom 01.12.2019 bis 30.06.2020 als auch für die Zeit vom 01.07.2020 bis 30.11.2022 (der Zeitraum, für den der Beklagte in den an die Ehefrau des Kläger adressierten Bescheiden einen Leistungsanspruch des Klägers durchgängig wegen der Annahme des Vorliegens des Leistungsausschlusses abgelehnt hat) zu prüfen und zu verbescheiden.
4. Dem Kläger ist bekannt, dass aufgrund des Erstattungsverlangens des Sozialhilfeträgers und der Anrechnung der ihm vom Sozialhilfeträger gewährten Leistungen im Falle einer Anspruchsberechtigung nach dem SGB II dem Grunde nach ggf. kein bzw. nur ein geringer Auszahlungsanspruch nach dem SGB II besteht.
Außerdem haben die Beteiligten ihr Einverständnis mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung erklärt. Wegen der Einzelheiten wird auf das Protokoll (Bl. 354 ff. Senatsakte) Bezug genommen.
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Beteiligtenvorbringens wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz sowie die vorgelegten Verwaltungsakten des Beklagten und des Beigeladenen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
I.
Der Senat konnte aufgrund der Zustimmung der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entscheiden.
Die nach den §§ 143, 144 Abs. 1, Abs. 3 SGG statthafte, unter Beachtung der maßgeblichen Form- und Fristvorschriften (§ 151 Abs. 1 und Abs. 3 SGG) eingelegte Berufung ist zulässig.
II.
Gegenstand des vom Beklagten geführten Berufungsverfahren ist das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 13.07.2022, mit dem dieses den vom Beklagten erlassenen Bescheid vom 18.02.2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.05.2020 aufgehoben und den Beklagten zur Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe ab 01.12.2019 verurteilt hat.
Der streitgegenständliche Zeitraum beschränkt sich trotzt der zeitlich unbegrenzten Ablehnung im angefochtenen Bescheid auf die Zeit ab 01.12.2019 (dem Monat der Antragstellung beim Beklagten) bis 30.06.2020. Denn zum einen trat durch die ab Juli 2020 erfolgten Antragstellungen der Ehefrau des Klägers, mit der dieser in einer Bedarfsgemeinschaft lebt (vgl. § 7 Abs. 3 Nr. 3 SGB II), sowie die (erneuten und auf jeweilige Leistungszeiträume beschränkte) Ablehnungen des Beklagten in den an die Ehefrau des Klägers adressierten Bescheiden ab Juli 2020 eine Zäsur ein (vgl. dazu BSG Urteil vom 06.06.2023 - B 4 AS 4/22 R -, juris Rn. 36 f.). Zum anderen haben sich die Beteiligten dementsprechend klarstellend im Erörterungstermin am 29.04.2024 auf diesen Streitzeitraum durch Vergleich geeinigt und der Kläger hierdurch sein Begehren auf den Zeitraum 01.12.2019 bis 30.06.2020 im hiesigen Verfahren beschränkt.
III.
Die Berufung des Beklagten ist unbegründet. Denn die Klage des Klägers ist zulässig (dazu unter 1.) und begründet (dazu unter 2.)
1.
Die Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 und 4 SGG) ist zulässig, insbesondere bestand bis zur Entscheidung des Senats ein Rechtsschutzbedürfnis des Klägers an der Fortführung der Klage fort. Zwar bezog der Kläger im streitgegenständlichen Zeitraum (und darüber hinaus) zeitgleich Leistungen zum Lebensunterhalt nach dem 3. Kapitel des SGB XII, die der Höhe nach allenfalls unwesentlich von den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II abweichen dürften. Zudem verkennt der Senat nicht, dass der Kläger seit 01.11.2022 in Vollzeit erwerbstätig ist und es sich sowohl im streitgegenständlichen Zeitraum als auch in den sich anschließenden Ablehnungszeiträumen, für den der Beklagte eine Überprüfung im Falle des rechtskräftigen Erfolgs des Klägers im Vergleichswege zugesagt hat, um abgeschlossene Zeiträume in der Vergangenheit handelt. Auch dürfte sich das ursprüngliche Begehren des Klägers auf Gewährung von Leistungen zur Eingliederung in Arbeit (Lkw-/Busführerschein) überholt haben.
Indes sieht der Senat ein Rechtsschutzbedürfnis aufgrund des Umstandes als für fortbestehend gegeben an, weil der Bezug von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II Folgewirkungen für den späteren Bezug einer deutschen Rente nach dem Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) derart hat, da Bezugszeiten nach dem SGB II - anders als solche nach dem SGB XII - als Anrechnungszeiten zu berücksichtigen sind (§ 58 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB VI; vgl. dazu auch BSG Urteil vom 16.05.2012 - B 4 AS 105/11 R -, juris Rn. 11). Im Übrigen ist beim SG noch ein Klageverfahren gegen den beigeladenen Sozialhilfeträger wegen der Höhe der angerechneten türkischen Rente anhängig (- S 16 SO 3416/20 -, vgl. Bl. 37 SG-Akte S 22 AS 2326/20). Somit wäre angesichts des Frage, in welcher Höhe die türkische Rente wegen des stark schwankenden Wechselkurses anzurechnen ist, auch ein höherer Anspruch nach dem SGB II denkbar, als bislang vom Sozialhilfeträger nach dem SGB XII bewilligt.
Darüber hinaus ist die Leistungsklage (§ 54 Abs. 4 SGG), soweit mit ihr - wie hier - Leistungen dem Grunde nach begehrt und hierauf beruhend der Beklagte im Falle des Bestehens eines Anspruchs dem Grunde nach verurteilt wird (§ 130 Abs. 1 SGG), zulässig. Wie bereits das BSG (Urteil vom 16.05.2012 - B 4 AS 105/11 R -, juris Rn. 12) verkennt auch der erkennende Senat nicht, dass diese Klageart grundsätzlich unzulässig ist, wenn jeglicher Zahlungsanspruch des Klägers von vornherein ausscheidet (BSG Urteil vom 14.02.1978 - 7 RAr 65/76 -, juris Rn. 20). Insoweit stellt sich die Frage, inwieweit die Ansprüche des Klägers gegen den Beklagten durch die Leistungserbringung des beigeladenen Sozialhilfeträgers bereits (teilweise) als erfüllt im Sinne des § 107 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) gelten können. Jedoch schließt eine rechtskräftige Verurteilung dem Grunde nach nicht den Einwand aus, der ausgeurteilte Leistungsanspruch sei durch die Gewährung einer den Anspruch ausschließenden Sozialleistung und den dadurch begründeten Erstattungsanspruch des subsidiär zuständigen Leistungsträgers gemäß § 107 SGB X als erfüllt anzusehen (BSG Urteil vom 16.05.2012 - B 4 AS 105/11 R -, juris Rn. 12; Urteil vom 08.08.1990 - 11 RAr 79/88 -, juris Rn. 19 ff.). Insoweit liegt es im Ermessen des erkennenden Gerichts, ob es die Frage der Erfüllung durch eine anderweitige Leistung im Rahmen des Streits um den Grund des Anspruchs klärt oder dem Betragsverfahren vorbehält; nur sollte es das im Grundurteil eindeutig klarstellen (BSG 16.05.2012 - B 4 AS 105/11 R -, juris a.a.O.; Urteil vom 08.08.1990 - 11 RAr 79/88 -, juris a.a.O.). Im vorliegenden Fall würde eine anstelle der Leistungsklage in Betracht zu ziehende Feststellungsklage dem Umstand nicht gerecht, dass die umstrittene Leistungsverpflichtung des Beklagten durch die Gewährung seitens der Beigeladenen trotz der im Verhältnis zum Kläger eingetretenen Erfüllungsfiktion nicht erledigt ist (vgl. BSG Urteil vom 16.05.2012 - B 4 AS 105/11 R -, juris Rn. 12; BSG Urteil vom 09.09.1993 - 7/9b RAr 28/92 -, juris Rn. 14). Insgesamt bestehen infolgedessen keine Bedenken gegen die Zulässigkeit der Leistungsklage und gegen die damit zusammenhängende Verurteilung dem Grunde nach, selbst wenn auszuschließen sein sollte, dass der Kläger von dem Beklagten für den hier streitigen Zeitraum noch einen Anspruch auf einen Zahlbetrag an Leistungen nach dem SGB II haben sollte.
2.
Die Klage ist auch begründet, da der Kläger - wie das SG zutreffend ausgeführt hat - Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II dem Grunde nach hat (dazu unter a) und der Leistungsausschluss gem. § 7 Abs. 4 SGB II im vorliegenden Fall nicht eingreift (dazu unter b).
a)
Der Kläger gehört zum leistungsberechtigen Personenkreis gem. § 7 Abs. 1 SGB II (hier in den im streitigen Zeitraum geltenden Fassungen vom 08.07.2019 und 30.11.2019). Er hat - wie das SG ebenfalls zutreffend ausgeführt hat - das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a SGB II noch nicht erreicht (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II), war/ist erwerbsfähig (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II), war hilfebedürftig (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB II) und hatte ab Ende Dezember 2018 und damit auch im streitgegenständlichen Zeitraum und darüber hinaus seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland (vgl. § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB II). Außerdem besitzt er ein Aufenthaltsrecht (§ 3 Asylgesetz, § 25 Abs. 2 Aufenthaltsgesetz), das sich nicht (auch nicht allein) aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt (vgl. § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Buchst. a) und b) SGB II), sondern aus seiner Anerkennung als Flüchtling nach § 3 Asylgesetz. Auch war der Kläger nicht (mehr) Leistungsberechtigter nach § 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes (vgl. § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB II).
b)
Wie das SG zutreffend unter Maßgabe der vom BSG aufgestellten Grundsätze dargelegt hat, greift der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 4 Satz 1 SGB II im vorliegenden Fall nicht ein.
Gem. § 7 Abs. 4 Satz 1 SGB II erhält Leistungen nach dem SGB II nicht, wer u.a. Rente wegen Alters (Var. 2) oder ähnliche Leistungen öffentlich-rechtlicher Art (Var. 4) bezieht.
Zur Überzeugung des Senats greift der Leistungsausschluss für die türkische Rente, die dem Kläger tatsächlich auf sein türkisches Konto zufloss/zufließt und auf dass er durchgängig Zugriff hatte/hat (die er also bezog/bezieht), nicht ein.
Nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 16.05.2012 - B 4 AS 105/11 R -, Urteil vom 07.12.2017 - B 14 AS 7/17 R -, Urteile vom 08.12.2022 - B 7/14 AS 10/21 und 11/21 R -, alle juris) erstreckt sich der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 4 Satz 1 SGB II in der jeweils anwendbaren Fassung unter Berücksichtigung von Wortlaut, Entstehungsgeschichte, systematischem Zusammenhang und dem Sinn und Zweck der Norm (auch) auf den Bezug ausländischer Altersrenten, wenn sie gleichen typischen Merkmale aufweisen wie eine deutsche Altersrente. Zu prüfen ist deshalb, ob die ausländische Rente von Funktion und Struktur mit einer deutschen Altersrente vergleichbar ist. Nach der zitierten Rechtsprechung des BSG liegt eine Vergleichbarkeit dann vor, wenn die ausländischen Leistungen in ihrem Kerngehalt den gemeinsamen und typischen Merkmalen der inländischen Leistung entsprechen, d.h. nach Motivation, Funktion und Struktur gleichwertig sind.
Entscheidende Kriterien für die Vergleichbarkeit sind demnach
die Leistungsgewährung durch einen öffentlichen Träger,
die Lohnersatzfunktion der Leistung nach einer im allgemeinen den Lebensunterhalt sicherstellenden Gesamtkonzeption und
das Anknüpfen der Leistung an bestimmte Beschäftigungs- und Wartezeiten sowie das Erreichen einer bestimmten Altersgrenze.
Denn Grund für den Leistungsausschluss nach dem SGB II ist - so das BSG (wie zitiert) - die typisierende Annahme, dass Bezieher von Altersrenten bereits vor Erreichen des Regelrentenalters (danach sind sie bereits nach § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II nicht mehr leistungsberechtigt) aus dem Erwerbsleben ausgeschieden sind und nicht mehr in Arbeit eingegliedert werden müssen. Sie sollen von der Förderung zur Integration in den Arbeitsmarkt durch eine steuerfinanzierte Leistung ausgeschlossen sein. Ob die hinter § 7 Abs. 4 SGB II stehende typisierende Annahme, dass die erwerbsbiographische Lebensphase abgeschlossen ist, vorliegend greift, erfordert eine eingehendere Prüfung der vom Kläger bezogenen ausländischen Rente (BSG Urteil vom 07.12.2017 - B 14 AS 7/17 R -, juris Rn. 18).
Diese Kriterien sind durch eine von der Tatsacheninstanz vorzunehmende rechtsvergleichende Betrachtung/Qualifizierung der ausländischen und deutschen Rentenleistungen zu prüfen. Dabei sind Feststellungen zu treffen zu der vom Kläger bezogenen Rente und zu deren rechtlicher Einordnung in das (ausländische) türkische Rentensystem, auf deren Grundlage die gebotene rechtsvergleichende Qualifizierung dieser Rente im Vergleich mit einer deutschen Altersrente vorzunehmen ist (BSG Urteil vom 07.12.2017 - B 14 AS 7/17 R -, juris Rn. 18).
Ähnliche Leistungen öffentlich-rechtlicher Art i.S.d. Var. 4 sind vor allem Altersversorgungsbezüge für Beamte sowie ausländische Alterspensionen aus Leistungssystemen, die der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung oder der Altersversorge für Staatsbedienstete ähnlich sind (vgl. Geiger in Münder/Geige/Lenze, LPK SGB II, 8. Aufl. 2023, § 7 Rn. 146).
Leistungsausschließend sind grundsätzlich Leistungen wegen Alters, die nach dem Recht der Europäischen Union und nach Sozialversicherungsabkommen - speziell der VO (EG) 883/2004 und der VO (EWG) 1408/71 - „exportfähig“ sind (vgl. Geiger, a.a.O., Rn. 147).
Der Senat stellt zu der vom Kläger bezogenen Rente Folgendes fest:
Dem Kläger wurde von der türkisch-staatlichen Anstalt für Soziale Sicherheit (SGK) - Generaldirektion der Rentenversicherungsdienste, Rentenabteilung für die Beschäftigten im öffentlichen Dienst - zum 01.09.2017 eine Rente in Höhe von 2.409,13 TL gewährt, entsprechend dem 1. Grad, 4. Stufe, 3000 Zusatzindikator sowie 27 Jahren und 5 Monaten Dienstzeit (vgl. Bescheinigung vom 10.07.2018, Bl. 171 Senatsakte; Rentenauskunft vom 20.12.2019, Bl. 33 SG-Akte S 22 AS 2326/20). Der Kläger war bei Rentenbeginn am 01.09.2017 45 Jahre alt.
Die Rentengewährung basiert auf einer von der beim türkischen Innenministerium ansässigen Generaldirektion der Polizei erfolgten Versetzung des Klägers in den Ruhestand (Pensionierung), die wiederum auf seiner Suspendierung (Entlassung) aus dem öffentlichen (Polizei-)Dienst beruhte und dessen Pensionierung daher „im Status der entlassenen Personen gem. § 39 des Gesetzes Nr. 5434“ erfolgte (vgl. Schreiben der Generaldirektion der Polizei vom 22.06.2018 und vom 26.06.2018, Bl. 167, 169 Senatsakte). Für den Kläger ist eine „4C*-Registrierung“ mit dem Versichertenstatus „vom Beruf suspendiert“ erfolgt, die § 4 Abs. 1 Buchst. c) des Gesetzes Nr. 5510 entspricht (vgl. Bl. 181 Senatsakte unten).
Der Senat stellt zum türkischen Sozialversicherungssystem Folgendes fest:
Zur Organisation der Sozialversicherung in der Türkei (vgl. hierzu https://rvrecht.deutsche-rentenversicherung.de/SharedDocs/rvRecht/02_GRA_EU_SVA/04_Laender/Tuerkei/gra_tuerkei_05_orgsv.html):
Die Türkische Sozialversicherung wurde zum 01.10.2008 durch das Gesetz Nr. 5502 und das Gesetz Nr. 5510 neu organisiert. Bis zum Inkrafttreten des Gesetzes Nr. 5510 am 01.10.2008 wurde die Rentenversicherung für bestimmte Berufsgruppen in eigenen Gesetzen unterschiedlich geregelt und von eigenständigen Trägern durchgeführt. Dies waren die Sosyal Sigortalar Kurumu (kurz: SSK) - Sozialversicherungsanstalt für gewerbliche Arbeitnehmer und Arbeitnehmer in der Landwirtschaft -, die Bag-Kur Esnaf ve Sanatkarlar ve Diger Bagimsiz Calisanlar Sosyal Sigortalar Kurumu (kurz: Bag-Kur) - Pensionsversicherungsanstalt für Selbständige und Handwerker, Freiberufler und Künstler -, die Tükiye Cumhuriyeti Emekli Sandigi (kurz: TCES, gegründet durch ein am 01.01.1950 in Kraft getretenes Gesetz) - Pensionsversicherungsanstalt der Beamten und Angestellten des Staates - und die Pensionskassen der Banken und Versicherungsgesellschaften als Sondersysteme außerhalb der SSK für die dort Beschäftigten.
Das türkische Gesetz Nr. 5510 über die Sozialversicherung und Allgemeine Krankenversicherung (Sosyal Sigortalar ve Genel Saglik Sigortasi Kanunu) wurde am 31.05.2006 verkündet und trat am 01.10.2008 in Kraft. Folgende Versicherungszweige fallen unter das Gesetz Nr. 5510: die Allgemeine Krankenversicherung, die Rentenversicherung, die Unfallversicherung und die Mutterschaftsversicherung. Träger für diese Versicherungszweige (Ausnahme: Arbeitslosenversicherung) ist die Anstalt für Soziale Sicherheit - Sosyal Güvenlik Kurumu - (kurz: SGK). Diese ist auch im Rahmen des SVA Türkei auf türkischer Seite die Verbindungsstelle für diese Versicherungszweige.
Die Organisationsstruktur der SGK ist im Sozialversicherungsanstaltsgesetz (Sosyal Güvenlik Kurumu Kanunu) geregelt. Die SGK besteht aus drei Organen: Generalversammlung, Vorstand (wobei der Vorstandsvorsitzende zugleich Präsident der SGK ist) und Präsidium. Dem Präsidium als Exekutivorgan sind vier Generaldirektionen und zwei weitere Bereiche angegliedert: Generaldirektion für Rentenversicherung, Generaldirektion für Versicherungsbeiträge, Generaldirektion für die Allgemeine Krankenversicherung, Generaldirektion für Dienstleistungen, Aufsichtsabteilung und Fondsverwaltungsabteilung.
Die Leistungen, die von der SGK erbracht werden, unterteilen sich in Geldleistungen der Kurzzeitversicherung (Leistungen bei Arbeitsunfall, Berufskrankheit, Krankheit und Mutterschaft), der Langzeitversicherung (Leistungen bei Alter, Invalidität und an Hinterbliebene) sowie Sachleistungen der Krankenversicherung. Die SGK ist somit Kranken-, Renten- und Unfallversicherungsträger in einer Funktion.
Die Rentenversicherung in der Türkei ist beitragsfinanziert. Alle Arbeitnehmer, inklusive der Staatsbediensteten, und die Selbständigen sind grundsätzlich pflichtversichert. Der Beitragssatz für die Rentenversicherung beträgt 20%, wovon regelmäßig 11 % vom Arbeitgeber und 9 % vom Arbeitnehmer getragen werden. Selbständige tragen die Beiträge allein. Beiträge werden bis zu einer festgelegten Beitragsbemessungsgrenze vom Bruttoentgelt abgeführt. Eine freiwillige Versicherung ist möglich und auch die Nachentrichtung von Beiträgen nach dem Gesetz Nr. 3201 Neben den Beiträgen wird ein Staatszuschuss zur Rentenversicherung geleistet.
Eine wichtige Zielsetzung des Gesetzes Nr. 5510 war der Aufbau einer neuen Organisationsstruktur. Ziel war die Schaffung eines einheitlichen Trägers für die Versicherungszweige, die vom Gesetz Nr. 5510 erfasst werden. Die bisherigen Träger wurden daher mit Wirkung vom 01.10.2008 zu einem gemeinsamen Träger - SGK - zusammengelegt und die vorherigen unterschiedlichen Rechtsgrundlagen sind nunmehr im Gesetz Nr. 5510 als einheitliche Rechtsgrundlagen zusammengefasst worden. Die vor dem 01.10.2008 bei den verschiedenen türkischen Rentenversicherungsträgern zurückgelegten Versicherungszeiten spiegeln sich bis heute in der Darstellung der türkischen Versicherungszeiten wieder.
Zu den Rechtsgrundlagen der türkischen Rentenversicherung (vgl. https://rvrecht.deutsche-rentenversicherung.de/SharedDocs/rvRecht/02_GRA_EU_SVA/04_Laender/Tuerkei/SVA_Tuerkei/gra_tuerkei_sva_a_0002.html):
Nach Art. 4 Abs. 1 Gesetz Nr. 5510 sind seit 01.10.2008 versichert: 1. Personen mit einem Arbeitsvertrag, 2. selbständig Beschäftigte und 3. im öffentlichen Dienst Beschäftigte. Für diese Personengruppen sind (waren) unterschiedliche Rechtsgrundlagen maßgeblich: für lohnabhängige versicherte Arbeiter und Angestellte in der Privatwirtschaft und Industrie das Gesetz Nr. 506, für selbständige Kaufleute und Gewerbetreibende das Gesetz Nr. 1479, für Beschäftigte/Beamte im öffentlichen Dienst das Gesetz Nr. 5434. Die vor dem 01.10.2008 geltenden Vorschriften sind auch noch seit dem 01.10.2008 teilweise in Kraft.
Zu den Leistungen der Rentenversicherung in der Türkei (vgl. https://rvrecht.deutsche-rentenversicherung.de/SharedDocs/rvRecht/02_GRA_EU_SVA/04_Laender/Tuerkei/gra_tuerkei_10_lerv.html):
Durch die Sozialversicherungsreform mit dem Gesetz Nr. 5510 wurde eine einheitliche Sozialversicherung geschaffen, die für alle Versicherten gleichwertige Leistungen vorsieht.
Abhängig Beschäftigte mit Beschäftigungsbeginn ab 01.10.2008 erhalten eine Altersrente, wenn sie das 60. (Männer) beziehungsweise das 58. Lebensjahr (Frauen) vollendet haben und mindestens 7.200 Beitragstage versichert waren. Selbständige und Beschäftigte im öffentlichen Dienst müssen bei gleichen Altersgrenzen für mindestens 9.000 Beitragstage versichert gewesen sein.
Für die Versicherten, die bereits vor der dem 01.10.2008 versichert waren, gelten Übergangsregelungen in Bezug auf das Rentenalter und die Mindestversicherungszeit. Für abhängig Beschäftigte mit Beschäftigungsbeginn vor dem 01.10.2008 steigen die Altersgrenzen schrittweise von 49 bei Männern (45 bei Frauen) auf 60 (58). Sie müssen für mindestens 5.000 beziehungsweise 7.000 Beitragstage versichert gewesen sein oder eine Wartezeit von 25 Jahren mit mindestens 4.500 Beitragstagen zurückgelegt haben. Für Selbständige und Beschäftigte im öffentlichen Dienst gibt es höhere Mindestversicherungszeiten.
Erst zum 03.03.2023 - und damit im vorliegenden Fall mangels Rückwirkung nicht anwendbar - ist eine Ergänzung des Gesetzes Nr. 5510 zur möglichen Inanspruchnahme einer vorzeitigen Altersrente in Kraft getreten (Personen, die am 08.09.1999 [oder davor] bereits versichert waren, die Wartezeit von 20 Jahren bei Frauen beziehungsweise 25 Jahren bei Männern erfüllen und die erforderlichen Beitragstage versichert sind, haben unabhängig vom Lebensalter Anspruch auf Altersrente. Die Anzahl der erforderlichen Beitragstage ist vom Eintrittsdatum in die Versicherung abhängig und liegt zwischen 5000 und 5975 Beitragstagen.).
Die türkischen Altersrenten werden nach folgender Rentenformel berechnet: versicherungspflichtiges monatliches Durchschnittsentgelt x (mal) Lohnersatzquote = (ist gleich) monatliche Rente.
Das monatliche Durchschnittsentgelt wird ermittelt, indem der Gesamtbetrag der Beiträge durch die ihm zugrundeliegenden Beitragstage dividiert und mit 30 multipliziert wird. Die Lohnersatzquote bestimmt sich nach den Tagen, für die Beiträge gezahlt wurden. Im Normalfall ergeben 360 Beitragstage eine Lohnersatzquote von 2 %. Die Lohnersatzquote kann durch Dienstzeitenzuschläge erhöht werden, die an die Art der Beschäftigung oder an den Status der Beschäftigten anknüpfen.
Die Renten werden in der Regel mindestens einmal jährlich zum 01.01. (gelegentlich zusätzlich zum 01.07.) an den Verbraucherindex und die Veränderungen des Bruttosozialprodukts angepasst.
Mit dem Inkrafttreten des Gesetzes Nr. 5510 wurde die Mindestrente grundsätzlich abgeschafft. Davor gab es entsprechende Leistungen für Arbeitnehmer und Beamte und in Bestandsfällen beziehungsweise für Beamte, die vor dem 01.10.2008 verbeamtet wurden, gilt die Regelung weiter. Die Rentenhöhen werden im Bedarfsfall mitgeteilt.
Art. 4a des SVA Türkei regelt die Gebietsgleichstellung und Nichtanwendung von Wohnortklauseln („Soweit dieses Abkommen nichts anderes bestimmt, stehen folgende Personen, die sich im Gebiet einer Vertragspartei gewöhnlich aufhalten, bei Anwendung der Rechtsvorschriften einer Vertragspartei deren Staatsangehörigen gleich: a) Staatsangehörige der anderen Vertragspartei, b) Flüchtlinge im Sinne des Artikels 1 des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 und des Protokolls vom 31. Januar 1967 zu diesem Abkommen, c) Staatenlose im Sinne des Artikels 1 des Übereinkommens über die Rechtsstellung der Staatenlosen vom 28. September 1954, d) andere Personen hinsichtlich der Rechte, die sie von einem Staatsangehörigen einer Vertragspartei, einem Flüchtling oder einem Staatenlosen im Sinne dieses Artikels ableiten.“), so dass von öffentlichen Trägern der Türkischen Republik gewährte Sozialversicherungsleistungen „exportfähig“ sind.
Weitere gesetzliche Grundlagen und Informationen zum türkischen Sozialversicherungs-, insbesondere Rentenversicherungssystem waren für den Senat - und auch die Beteiligten - nicht ermittelbar. Eine detailliertere Anfrage an das türkische Generalkonsulat bzw. die SGK ist unter Berücksichtigung des Schutzes der personenbezogenen Daten des Klägers nicht in Betracht gekommen, auch da er dann evtl. weitere Repressalien zu erwarten hätte.
Unter Berücksichtigung dieser Feststellungen ergibt sich Folgendes:
(1) Die Leistungsgewährung gegenüber dem Kläger erfolgt hier durch einen öffentlichen Träger, nämlich die türkisch-staatliche Anstalt für soziale Sicherheit SGK.
(2) Die türkische Altersrente hat auch eine Lohnersatzfunktion nach einer im allgemeinen den Lebensunterhalt sicherstellenden Gesamtkonzeption.
Der für die Vergleichbarkeit wesentliche Zweck dieser Leistung nach ihrer Gesamtkonzeption, den Lebensunterhalt sicherzustellen, ergibt sich aus ihrer Stellung im System der Alterssicherung im Herkunftsstaat (vgl. dazu sowie zum Folgenden: BSG Urteil vom 16.05.2012 - B 4 AS 105/11 R -, juris Rn. 25, Urteil vom 08.12.2022 - B 7/14 AS 11/21 R -, juris Rn. 20). Dementsprechend nicht entscheidend ist, ob die Höhe der Leistung ausreicht, um im Aufenthaltsstaat den Lebensunterhalt sicherzustellen (BSG, wie zuvor). Unerheblich ist auch, ob sie im Einzelfall ausreichen würde, um den Lebensunterhalt im Herkunftsstaat zu sichern (BSG, wie zuvor). Die Leistung muss nur ihrer Gesamtkonzeption nach so bemessen sein, dass sie den Unterhalt des Berechtigten in der Regel gewährleisten soll (BSG, wie zuvor).
Die Lohnersatzfunktion der türkischen Altersrente ergibt sich zum einen aus der zuvor festgestellten Berechnung der türkischen Altersrente als auch den Feststellungen zur Rentenanpassungen an Verbraucherindex und Veränderungen des türkischen Bruttosozialprodukts. Darüber hinaus hat die DRV Nordbayern in der aus dem Verfahren S 12 AS 3576/18 beigezogenen Auskunft vom 21.01.2019 mitgeteilt, dass die türkische Altersrente Lohnersatzfunktion hat.
(3) Die türkische Altersrente knüpft (generell) sowohl für Beschäftigte als auch für Beamte an bestimmte Beschäftigungs-/Dienst-/Mindestversicherungs- und Wartezeiten als auch an das Erreichen einer bestimmten Altersgrenze an.
Auch die im vorliegenden Einzelfall dem Kläger gewährte Rente knüpft an die von ihm zurückgelegte Dienstzeit und damit an Mindestversicherungs-/Beitragszeiten und Wartezeiten an. Indes hatte der Kläger, der bereits vor dem 01.10.2008 pflichtversichert war, bei Rentenbeginn am 01.09.2017 noch nicht die Mindestaltersgrenze für eine türkische Altersrente erreicht, die bei von 49 Jahren (plus) lag. Er war bei Rentenbeginn erst 45 Jahre alt. Eine reguläre Altersrente stellt die Rente daher nach türkischem Recht nicht dar. Deshalb ist fraglich, ob der Kläger, dem mithin Rente bereits vor Erreichen der Mindestaltersgrenze gewährt wurde, eine „vorzeitige“ Altersrente bzw. eine „vorzeitige“ Alterspension/Ruhestandsgehalt für Beamte nach türkischem Recht bezieht. Ob es eine solche „vorzeitige“ Altersversorgung vom türkischen Versicherungsträger zu diesem Zeitpunkt gab und es sich bei der vom Kläger bezogenen Rente um eine solche handelt, die mit einer deutschen Altersversorgung vergleichbar ist, kann der Senat auf der Grundlage der ermittelten Erkenntnisquellen nicht beurteilen.
Dies kann der Senat aber im Ergebnis offen lassen, da diese Frage nicht entscheidungserheblich ist.
(4) Denn aufgrund der hier vorliegenden besonderen Einzelfallumstände ist nach Auffassung des Senats die speziell dem Kläger gewährte Rente deshalb nicht vom Leistungsausschluss des § 7 Abs. 4 SGB II erfasst, weil die Gründe, die zur Inanspruchnahme der Rente geführt haben, ausschließlich auf einer politischen Verfolgung des Klägers in seinem Heimatland und seiner damit verbundenen - von ihm nicht beantragten - Entlassung aus dem öffentlichen Staatsdienst beruhen. Somit greift hier, wie das SG zutreffend ausgeführt hat und worauf das BSG maßgeblich bei der Prüfung abstellt (Urteil vom 07.12.2007 - B 14 AS 7/17 R -, juris Rn. 18), gerade nicht die hinter § 7 Abs. 4 SGB II stehende typisierende Annahme, dass die erwerbsbiographische Lebensphase abgeschlossen ist. Deshalb muss wegen der vorliegenden Besonderheiten des Einzelfalls eine Ausnahme von der typisierenden Betrachtung gemacht werden und greift der Leistungsausschluss nicht ein.
Das SG hat vollkommen zutreffend ausgeführt:
Die Besonderheit der Situation des Klägers besteht darin, dass er weder durch eigenen Entschluss noch durch das Erreichen einer Altersgrenze aus dem Erwerbsleben ausgeschieden ist. Der Kläger wurde vielmehr ausschließlich aus politischen Gründen aus dem öffentlichen Dienst entlassen, inhaftiert und nach der Entlassung aus der Haft gezwungen, die Rente zu beantragen, um seinen Lebensunterhalt und den seiner Familie sicherstellen zu können. Er war überdies genötigt, aus dem Land zu fliehen, weil seinen glaubwürdigen Angaben zufolge erneut ein Haftbefehl gegen ihn wegen angeblicher Gülen-Anhängerschaft erlassen wurde. Auch der Senat hat - wie schon das SG - keinen Anlass, an den diesbezüglichen, glaubwürdigen Angaben des Klägers zu zweifeln. Sie sind überdies durch seine nachfolgende Flucht aus der Türkei glaubhaft. Auch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge geht in seinem Bescheid vom 19.11.2019 davon aus, dass der Kläger seine Heimat aus begründeter Furcht vor Verfolgung im Sinne des § 3 Asylgesetz verlassen hat. An einen Zustand anzuknüpfen, der nur aufgrund der politischen Verfolgung des Klägers in seinem Heimatland eingetreten ist, entspricht nicht dem Sinn und Zweck des § 7 Abs. 4 Satz 1 SGB II. Sinn und Zweck der Regelung ist es, die erwerbsbiografische Situation der Leistungsempfänger leistungsrechtlich nachzuvollziehen, nicht aber diese zu steuern und Leistungsempfänger vom Erwerbsleben fernzuhalten.
Die erwerbsbiographische Lebensphase des Klägers war zum Zeitpunkt des Rentenbeginns im September 2017 im Alter von 45 Jahren mitnichten abgeschlossen. Dies zeigt sich auch daran, dass der Kläger wieder in Vollzeit erwerbstätig ist. Die typisierende Annahme des Leistungsausschlusses greift daher auch nach Auffassung des Senats vorliegend nicht ein.
IV.
Nach alledem hat die Berufung des Beklagten keinen Erfolg.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Entscheidung über die Zulassung der Revision erfolgt gem. § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat in Bezug auf die Frage, ob von der typisierenden Annahme des Leistungsausschlusses nach § 7 Abs. 4 Satz 1 Var. 2 und Var. 4 SGB II Ausnahmen aufgrund von Besonderheiten des Einzelfalls, die zur Inanspruchnahme einer ausländischen Altersversorgung führen, zugelassen werden können.
Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
2.
1. Instanz
-
Aktenzeichen
S 22 AS 839/22
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 2 AS 2146/22
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Rechtskraft
Aus
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